Ich schau das Bild noch einmal an
der Abschied hat sehr weh getan.
Das mit uns Zwei’n ist so lange her,
doch ich vergess‘ nie das Haus am Meer.
Das kleine Haus am Meer
War unser Paradies
Und niemand weiß bis heute
von unserer Liebe
so ein verbotnes Glück
hab ich nie mehr gespürt
Und ich hab niemals mehr heimlich so geliebt
(Monika Martin)
Unter kleinen Staubwölkchen und mit keuchendem Atem schleppte die vierundzwanzigjährige Simone die letzte Kiste aus der hintersten Ecke des großen Dachbodens, um sie vor mir abzustellen. Mit zusammengekniffenen Augen und wedelnder Hand versuchte ich den aufwirbelnden Staub von mir fernzuhalten, was mir erst nach wenigen Augenblicken gelingen wollte.
„Sag mal, Mama, wie lange warst du denn nicht mehr hier oben?“, erkundigte sich Simone irritiert. Sie folgte mit den Augen dem aufwirbelnden Staub, der im Sonnenschein umher wirbelte. So bemerkte sie das Heben und Senken der mütterlichen Schultern nicht. „Das muss schon eine ganze Weile her sein“, gestand ich kleinlaut, als mir auffiel, dass meine Tochter mich nicht beachtete, „vermutlich wäre ich in der nächsten Zeit auch gar nicht auf die absurde Idee gekommen, hier zu entrümpeln, wenn du nicht alte Unterlagen aus deiner Schulzeit gebraucht hättest. Ich verstehe noch immer nicht, warum du unbedingt dem Nachbarjungen Nachhilfe geben musst.“ Gerührt schaute mich mein großartiges Mädchen an, so kannte ich sie. „Du weißt doch, dass er unbedingt die Klasse schaffen muss – warum sollte ich nicht helfen, wenn ich kann ...? Lass uns einfach die letzte Kiste noch durchschauen. Ich möchte ja fertig werden“, erklärte Simone mir bestimmt. In ihren Augen war aber ein spitzbübisches Lächeln zu sehen, das den Worten die versteckte Schärfe nahm. Daraus schloss ich, dass ihre Worte nicht so ernst gemeint waren wie sie sich angehört hatten.
Ich hatte die Neugier meines Kindes vollkommen unterschätzt. Anstatt zügig nach den alten Unterlagen zu suchen öffnete sie die letzte Schachtel und begutachtete jedes einzelne Blatt Papier, das sie in die Hand bekam, aufs Genaueste. Ein zwischen Kartonwand und einigen alten Büchern eingeklemmter Umschlag erregte Simones besondere Aufmerksamkeit – ich hätte es wissen müssen! Aufgrund des bereits spröde gewordenen Papiers zog sie ihn vorsichtig hervor und öffnete ihn behutsam, ohne auf mich zu achten. Aus der kurzen Entfernung erkannte ich zwar meine Handschrift, die bereits erblassenden Buchstaben konnte aber auch ich nicht mehr entziffern.
Interessiert zog sie als erstes ein altes Foto heraus. Gespannt betrachtete sie das Bild, in meinen Augen viel zu lange. Endlich hob sie ihren Kopf und schaute mich fragend an. „Wo war das denn, Mama? Und warum versteckt man einen Schnappschuss von einem Haus am Meer auf dem Dachboden?“, wollte sie erwartungsvoll wissen, „Wer ist dieser Mann neben dir?“ In ihren Augen konnte ich ihr großes Interesse sowie die Erwartung erkennen und wusste vorerst nicht, was ich ihr auf die Fragen antworteten sollte. Doch plötzlich vermochte ich ihr eine erschöpfende Antwort zu geben!
***
Mit tränennassen Augen schaute ich vor mich hin, während ich mich langsam in den auf der großen Terrasse stehenden Schaukelstuhl zurücklehnte und auf das Meer hinaus starrte. Vor wenigen Minuten hatte ich ein ausgesprochen hitziges Streitgespräch beendet, indem ich den Telefonhörer so wütend auf die Gabel geworfen hatte, dass er auf dem kleinen Kästchen gelandet war, auf dem der Apparat stand.
Ich war so mit mir und meiner in mir nagenden Wut beschäftigt, dass ich nicht einmal auf meine nähere Umgebung achtete. Das kleine Haus, in dem ich
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 29.04.2017
ISBN: 978-3-7438-6768-0
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