Ich konnte einfach nicht fassen, was ich da gerade sah. Mit einem für meine Verhältnisse riesengroßen Strauß Blumen und einer Schachtel Pralinen war ich auf den Weg zu Alex´ Wohnung. Und ich konnte keinem sagen, wie ich mich auf diesen Abend zu zweit gefreut hatte. Immerhin war ich gerade dabei, sie zu erobern, und ich hatte bisher den Eindruck gehabt, dass es mir ganz gut gelingen würde, waren wir doch nach Gerrits feuchtfröhlicher Geburtstagsfeier im Bett gelandet. Ich musste zugeben, dass mir genau das die Hoffnung gab, einfach weiter zu probieren und an sie heranzukommen.
Gerade war ich dabei, die letzte Treppe nach oben zu gehen, als sich ihre Wohnungstür öffnete und sie mit einem Mann herauskam, um sich zu verabschieden. „Gerrit ... es war wunderschön ...“, hörte ich sie sagen, mit einem Lächeln auf den Lippen, das mich unter Umständen um den Verstand gebracht hätte, in diesen Minuten aber vom Hocker fallen ließ. Ich schluckte heftig, als ich sah, dass sie sich küssten und nichts um sich wahrzunehmen schienen. Langsam legte sie ihre Arme um seinen Nacken, presste sich an ihn, ihr Kuss schien leidenschaftlicher, ja fast fordernder zu werden. Sekundenlang stand ich da, wollte nicht begreifen, was sich da genau abspielte. Doch ich war nicht in der Lage, mich zu bewegen, zu sehr fesselte mich das, was ich gerade sah. Erst als sie den Kuss lösten, erwachte ich aus meiner Erstarrung. Angewidert wandte ich mich ab und ging langsam wieder die Treppe zum Ausgang hinunter, darauf hoffend, keinen Krach zu machen. Mit hängenden Schultern verließ ich das Haus, in dem sie wohnte, den Strauß Rosen schleifte ich einfach hinter mir her, es war mir egal, wie sie nach dem Weg zum Wagen aussehen würden. Für mich war gerade eben eine kleine Welt zusammengebrochen. Wie gesagt, ich hatte geglaubt, dass aus mir und Alex etwas werden hätte können, und jetzt war ich enttäuscht, dass sie ausgerechnet mit meinen besten Freund etwas am Laufen hatte.
Geknickt lief ich durch die Stadt, den Blumenstrauß hatte ich der erstbesten Passantin in die Hand gedrückt, die mir gerade über den Weg gelaufen war. Ich wusste nicht, wie lange ich schon durch München geirrt war, an mir war alles vorüber gegangen, irgendwann hatte ich die leere Pralinenschachtel in der Hand, ich hatte einfach die ganze Schokolade in mich hineingestopft, und als mir das bewusst wurde, starrte ich irritiert den leeren Karton an, warf ihn schließlich in einen der unzähligen Mistkübel, die in der Stadt so herumhingen. Ich war schon über die Tatsache, dass ich Pralinen aß, entsetzt, aber eine ganze Schachtel zu verputzen konnte ich einfach nicht fassen. Da musste ich schon völlig aus dem Häuschen sein.
Erst nach und nach begriff ich, was ich gesehen hatte, noch immer war ich wie vor den Kopf geschlagen, konnte es einfach nicht verstehen. Nach einem üblen Scherz hatte das nämlich nicht ausgesehen, schließlich waren sie völlig in diesen Kuss hineingekippt. Am meisten war ich darüber entsetzt, dass ich nicht einmal gemerkt hatte, was sich zwischen meinen Kollegen abgespielt hatte. Denn bisher war ich der Meinung gewesen, dass wir nicht nur ausgezeichnet zusammen gearbeitet hatten sondern auch eng befreundet waren. Und genau deshalb war ich so verblüfft, dass ich sie mich so im Regen hatten stehen lassen. Verärgert stieß ich eine leere Bierdose mit dem Fuß beiseite, erst der Lärm, den ich dadurch verursachte brachte mich zur Besinnung. Irritiert schaute ich mich um, wusste vorerst gar nicht, wo ich mich befand. Es dauerte einige Sekunden, bis ich mich endlich zurechtfand. Ich bemerkte, dass ich unweit von ihrer Wohnung vor einem Beisl stand, das noch geöffnet war. Ohne lange zu überlegen, trat ich ein, da ich absolut keine Lust hatte, alleine in meiner Wohnung herumzusitzen. Immerhin hatte ich den Abend sowieso verplant gehabt, jedoch nicht auf diese Weise. Ich hatte ihn mir in den schönsten Farben ausgemalt, darauf hoffend, dass ich sie erst am nächsten Morgen verlassen würde. Stattdessen saß ich in einer der unzähligen Kneipen von München und ließ mich volllaufen.
Erschrocken fuhr ich hoch, schaute mich ratlos im Raum um, in dem ich lag und merkte, dass es mein eigenes Schlafzimmer war. Ich brauchte Minuten, um mich darin zurechtzufinden. Erst dann bemerkte ich, dass ich schweißnass und das Bett neben mir leer war. Natürlich hatte ich diesen Tag wie so oft in den letzten Monaten in meinen Träumen wieder erlebt, die Enttäuschung von damals kam wieder hoch. Doch an diesem Morgen war etwas anders, ich wurde wütend, zornig darüber, dass ich noch nicht darüber hinweg war, dass Alex sich ausgerechnet für Gerrit und nicht für mich entschieden hatte. Natürlich hatte die Freundschaft ein wenig darunter gelitten, denn ich hatte mich zurückgezogen, auch wenn es Gerrit nicht verstehen konnte. Nur Alex durchschaute mich – natürlich, wie auch nicht. Und für mich wurde es nicht leichter, denn einige Wochen später erfuhr ich, dass sie ein Kind erwartete und Gerrit darauf bestand, dass ich der Taufpate werden sollte. Immerhin war ich sein bester Freund, jedenfalls behauptete er das. Ich versuchte zwar, ihn davon abzubringen, doch er ließ sich nicht beirren und davon abbringen, weder von Alex noch von mir. Schließlich ließ ich mich von Gerrit erweichen, es doch zu tun, wollte ich doch den Rest unserer Freundschaft nicht gefährden, die mir trotz allem doch unheimlich wichtig war. Doch ein Rest von Ungewissheit blieb...
E N D E
Tag der Veröffentlichung: 12.02.2017
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