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Vorwort

Hier möchte ich Gedanken sammeln, zu allen möglichen Themen des täglichen Lebens. Sie werden ziemlich sicher nicht immer dem allgemeinen Tenor entsprechen. Aber es sind MEINE Gedanken. Und denken darf ich, was ich will...

Was gibt es denn da zu feiern? - Gedanken zum Tag der Deutschen Einheit

Um es von vornherein klarzustellen: Ich trauere der alten DDR als Ganzes nicht nach. Zu viele Lügen und Scheinheiligkeit, zu viele staatlich angeordnete Verbrechen, Zwang und Bevormundung.

Doch ich habe mich bereits nach den ersten fünf Jahren seit der Wiedervereinigung gefragt, was es denn da zu feiern gibt? Rund sechzehn Millionen Menschen sind verraten und verkauft, um die verdienten Früchte ihrer Arbeit gebracht und mit hohlen Versprechen geblendet worden.

Oh ja, es gibt die „blühenden Landschaften“... Dort, wo sich das Unkraut auf den Ruinen von einstigen landwirtschaftlichen und industriellen Gebäuden ausbreitet. Viele der Menschen, die da hart gearbeitet haben, durften sich in die endlosen Schlangen vor den neu eingerichteten Arbeitsämtern einreihen. Sie waren - wie ich  mit gerade fünfunddreißig Jahren - auf einmal „zu alt“ für ihre Jobs in den hochmodernen Sparten der IT zum Beispiel.

Frauen hat es oft noch härter getroffen als Männer. Hervorragend ausgebildete Frauen in technischen Berufen fanden keinen Job mehr, weil es ja in die Köpfe der Personalchefs großer westlicher Unternehmen nicht hineinging und geht, dass eine Frau so etwas beherrschen könnte. Und außerdem gehören Frauen nach Hause an den Herd!

Alleinerziehende Frauen sinken oft auf damals Sozialhilfe, heute Hartz IV-Niveau ab, weil sie mit kleinen oder behinderten Kindern kaum einen Job bekommen. Kindergärten, die es in der DDR genug gab, wurden geschlossen, die Kindergärtnerinnen, die Angestellte im Öffentlichen Dienst und hervorragend ausgebildet waren – in der DDR war eine solche Ausbildung einem Pädagogik-Studium gleichgesetzt (!) - wurden entlassen.

Die Löhne und Gehälter in der DDR waren auch deshalb so niedrig, weil der Anteil an „Volkseigentum“, den jeder in der DDR hatte, da mit hinein gerechnet wurde.

Dieses Volkseigentum wurde nun von der Treuhand – eine Bezeichnung, die der blanke Hohn war! - in großem Stil für „eine Mark“ verschleudert an westliche Firmen, die sich größtenteils freudig die Hände gerieben und flugs einen ernstzunehmenden Konkurrenten auf dem Weltmarkt plattgemacht haben. Konsequenzen? Hatte das nur für die ehemaligen Angestellten und Arbeiter dieser Betriebe, die „abgewickelt“ wurden und die sich auf dem „Arbeitsmarkt“ wiederfanden, auf dem sie sich nicht auskannten und sich aus Unwissenheit oftmals weit unter Wert verkauften.

Die westliche Wirtschaft, die bis zur Wiedervereinigung gerade einem Tief entgegen dümpelte, bekam einen riesigen Markt auf dem Silbertablett serviert, mit Konsumenten, denen man anfangs auch den größten Schrott andrehen konnte, weil sie es einfach nicht besser wussten. Selbst in Werbespots wurden die „Ossies“ wie minderbemittelte Nachhilfeschüler dargestellt, siehe diesen Waschmittelspot von damals, in dem eine taffe Westfrau mit Betonfrisur einer leicht unterbelichteten Ostfrau mit schlecht geschnittenen Haaren erklären muss, was ein Wasserhärtegrad ist...

Menschen, die ein Grundstück, oft mit Haus, vom Staat gekauft hatten - das früher einem in den Westen Geflohenen gehörte - die gebaut, verbessert und eine Menge Geld in ihr Haus gesteckt hatten, sahen sich plötzlich Rückübertragungsansprüchen von Leuten gegenüber, die im Westen bereits längst gut für ihr verlorenes Eigentum entschädigt worden waren! Sie hatten keine Chance und verloren oftmals alles, weil sie nur erstattet bekamen, wofür sie Rechnungen vorlegen konnten. Und wer hebt Rechnungen mehr als dreißig Jahre lang auf? Oftmals haben Verwandte und Freunde geholfen, natürlich OHNE Rechnung...

Das Lohn- und Gehaltsniveau sowie die Renten sind in den neuen Bundesländern auch 27 Jahre nach der Wiedervereinigung nicht die gleichen wie in den alten Bundesländern. Sie liegen durchschnittlich immer noch fünfundzwanzig Prozent unter dem Niveau der alten Bundesländer. Aber die Preise sind überall genauso hoch, sowohl für die Mieten als auch für das tägliche Leben!

Und ich stelle fest, dass die Lügen und die blendenden Versprechungen vor den Wahlen zum Beispiel die gleichen geblieben sind, genauso wie vor der Wiedervereinigung.

Ist es da ein Wunder, dass nicht nur ich mich frage, was es an diesem Tag, dem 3. Oktober, eigentlich zu feiern gibt?

Sicher, die Freiheit, dass ich das hier schreiben und veröffentlichen kann, die habe ich. Aber davon wird meine hohe Miete nicht bezahlt!
Sicher, ich kann reisen, wohin ich will, vorausgesetzt, ich habe das dazu nötige Kleingeld. Und das habe ich NICHT!

Ich finde, eine große Chance, etwas vollkommen Neues und Gutes zu schaffen, wurde verschenkt. Nicht einmal die Verfassung ist bis heute geändert worden, wie es anfangs versprochen und angestrebt wurde.

Also noch einmal: Was gibt es denn da zu feiern?

Kleider machen Leute?

 Früher Abend, ich stelle mit Schrecken fest, ich muss noch etwas einkaufen. Zum Glück ist es noch hell. Ich bin kein ängstlicher Typ, aber ich wohne in einer Großstadt und wo ich einkaufen muss, ist einer der Brennpunkte, wie sie so schön verharmlosend neuerdings bezeichnet werden.

Direkt neben dem Einkaufscenter liegt der Bahnhof, wo die Polizei eigentlich auch gleich mindestens zwei vollbesetzte Mannschaftswagen dauerpostieren könnte, denn kaum rückt einer ab, muss der nächste schon wieder anrücken. Meist kommen sie jedoch erst um die Reste abzuräumen. Auch heute weit und breit nichts von den Jungs zu sehen.

Aber wie gesagt, es ist noch eine Weile hell, also kaum Gefahr. Hoffe ich zumindest. Ich kann den Eingang schon sehen, da schiebt sich eine Gruppe Punks (wenigstens denke ich, dass es Punks sind) in meinen Weg und zieht in die gleiche Richtung. Ich schaue sie mir an. Schwarze, mit fetten Nieten bestückte Lederjacken, teilweise ähnlich verzierte Lederhosen, dicke, schwere Ketten griffbereit an der Jacke, die obligatorische Dose in der Hand, gruselige Tattoos, Sicherheitsnadeln und große Sechskantmuttern als Ohrschmuck. Also das normale volle Programm.

Ich denke so bei mir, würde ich dieser Horde im Dunkeln begegnen, weiß ich genau, ich wechselte mit weichen Knien die Straßenseite...

Ich versuche die Truppe zu überholen. Keine Chance, sie nehmen zu viel Platz ein und ich muss sie ja auch nicht noch auf mich aufmerksam machen.

Und dann passierts. Ich habs doch geahnt...

Am Eingang des Einkaufscenters dreht sich der am aggressivsten aussehende Typ um, sieht mich und...reißt die Tür zum Center auf.
Die Horde macht mir Platz und er tritt zur Seite und senkt den Kopf, bevor er sehr freundlich lächelnd sagt: „Bitte sehr, meine Dame!“

Völlig geschockt bedanke ich mich dennoch mit einem ehrlich gemeinten freundlichen Lächeln und sehe im Vorbeigehen noch, sie alle haben lediglich Cola-Dosen in der Hand...

Man kann sich doch wirklich auf KEIN Cliché mehr verlassen!  

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Texte: Die Texte gehören ausschließlich mir. Zitieren oder anderweitig nutzen nur mit meiner schriftlichen Erlaubnis.
Tag der Veröffentlichung: 09.10.2017

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
All denen gewidmet, die noch mit offenen Augen durch unsere Welt gehen und ihr Gehirn nicht eingemottet haben.

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