Wenn ich heute zurückdenke, verstehe ich immer noch nicht, warum es mir nicht früher klar wurde. Aber wahrscheinlich lag das Ganze so weit ausserhalb allem, was sich ein Mensch vorstellen kann, dass mein Gehirn sich einfach weigerte, die Tatsachen zu akzeptieren...
Ich hatte eine Auszeit gebraucht und mir für vier Wochen eine einsame Waldhütte ohne Telefon und Handyempfang gemietet. Damit ich wirklich meine Ruhe hätte, war ich natürlich auch mit Nahrungsmitteln für vier Wochen ausgerüstet gewesen, so dass keinerlei Kontakt zur Aussenwelt nötig war. Die ruhigen Herbsttage waren Balsam für meine gestresste Psyche. Ich machte lange Waldspaziergänge durch den sich verfärbenden Wald und nutzte die letzten wirklich warmen Tage, um in dem kleinen See zu schwimmen.
Abends hatte ich gemütlich vor dem Kamin gesessen und gelesen oder einfach nur die Gedanken treiben lassen.
Aber auch die schönste Auszeit hatte mal ein Ende und nun fuhr ich seit Stunden durch kleine Orte und über Landstraßen. Anfangs bemerkte ich es nicht, dass nirgends ein Mensch auf den Straßen war. Es war schließlich Mittagszeit, da ist in Kleinstädten oder Dörfern sowieso kein anständiger Mensch auf der Straße.
Aber nach und nach ging mir auf, dass ich auch auf der Autobahn kein einziges Fahrzeug sah, weder in meiner Richtung noch auf der Gegenfahrbahn. Bisher hatte ich meine MP3-CD gehört, aber nun versuchte ich das Radio einzustellen. Nichts, nur Rauschen.
Langsam wurde ich immer nervöser. Auf den Weiden standen Kühe, glotzten geruhsam über ihre Zäune und kauten. Über mir am Himmel zogen zwei Raubvögel ihre weiten Kreise. Aber nirgends war ein Mensch zu sehen.
Was um alles in der Welt hatte ich verpasst? Wo waren die Menschen hin? Es gab, soweit ich sehen konnte, keine Zerstörungen.Was war passiert? Ich geriet in Panik...
Noch zwei Stunden und ich würde zu Hause sein. Ich trat das Gaspedal durch ohne auf die Geschwindigkeit zu achten. Ich musste in eine mir vertraute Umgebung, um mich zu beruhigen und wieder klar denken zu können…
Zu Hause angekommen erwartete mich das gleiche Bild. In unserer kleinen Straße standen die Autos ordentlich am Straßenrand geparkt, die Vögel sangen in den rotgoldenen Bäumen. Aber ich sah niemanden.
Langsam stieg ich mit meinem Gepäck in den vierten Stock und schloss die Wohnungstür auf.
Nachdem ich alles abgeladen hatte, versuchte ich das Radio einzuschalten. Nichts. Auch das Licht funktionierte nicht. Also gab es keinen Strom. Ich drehte den Wasserhahn auf, um mir die Hände zu waschen. Aber es kam kein Wasser. Die Panik überfiel mich erneut. Kein Strom, kein Wasser, niemand, der mir helfen oder den ich fragen konnte.
Ich hatte Hunger, aber da der Strom offensichtlich schon einige Zeit fehlte, konnte ich nichts aus meinem Kühlschrank oder dem Tiefkühler mehr verwenden. Und selbst wenn ich etwas aus der Dose essen wollte: Da es keinen Strom gab, konnte ich mir auch nichts kochen.
Ich sank in einen Sessel und begann zu heulen. Irgendwann kroch ich völlig erschöpft ins Bett und schlief sofort ein.
Am nächsten Morgen ging es mir etwas besser. Ich hatte Hunger und begann zu überlegen. Schräg gegenüber von meiner Wohnung gab es einen Supermarkt. Ich musste dort hin und schauen, ob und wie ich an Lebensmittel und Wasser gelangen konnte. Milch müsste sich gehalten haben, Knäckebrot gab es sicher ebenfalls und meinen Konservenvorrat an Wurst und Fleisch konnte ich dort auch aufbessern. Ich schnappte meine große Einkaufstasche und rannte die Treppen hinunter. Vor dem Supermarkt wollte mich die Panik schon wieder übermannen. Wie um alles in der Welt sollte ich da reinkommen? Diese Scheiben konnte man nicht einfach mit einem Stein einschlagen. Mutlos wollte ich schon umkehren, als mir eine Idee kam. Mein Auto war schon alt, der Tank durch die lange Fahrt fast leer. So, wie es aussah, würde ich auch kein Benzin mehr tanken können. Aber um die Tür des Supermarkts zu knacken, reichte das Benzin mit Sicherheit noch. Ich rannte zu meinem Auto zurück, stieg ein, legte den Gang ein und brachte den Wagen in Position. Dann trat ich das Gaspedal durch und raste auf die Tür zu. Es klappte tatsächlich und ich setzte den Wagen zurück. Als ich ausstieg und durch die zerbrochene Tür in den Supermarkt wollte, schlug mir ein ziemlich übler Geruch entgegen. Klar. Gemüse und Kartoffeln, Fleisch und Wurst in der Fleischtheke, alles stank um die Wette. Davon brauchte ich auch nichts. Ich griff mir zwei Kartons H-Milch, eine Packung Knäckebrot, eine Packung Frühstücksmargarine und ein paar Dosen Wurst, dann flüchtete ich fast zurück in meine Wohnung. Nachdem ich gegessen hatte, sagte ich mir, dass ich mir über meine Situation und die nächsten Schritte klarwerden musste.
In meinem Kopf begannen die Gedanken zu kreisen. Der Winter stand vor der Tür. In der Wohnung gab es keine Möglichkeit zum heizen mehr, hier gab es nur Fernheizung, jedenfalls vor diesem wie auch immer gearteten Ereignis, das die Menschen verschwinden ließ.
Wasser fehlte ebenso. Ein paar hundert Meter hinter dem Haus, in dem ich wohnte, floss zwar der Fluss vorbei, aber aus dem zu trinken konnte ich mich nicht überwinden, nicht einmal dann, wenn ich das Wasser abkochen könnte, was ja sowieso nicht ging.
Die Lebensmittel im Supermarkt würden auch nicht ewig reichen, ganz abgesehen davon, dass man sich wohl kaum gesund ernähren konnte, wenn man nur von Dosennahrung leben sollte. Mir kamen wieder die Tränen und ich heulte bestimmt eine Stunde lang hemmungslos. Irgendwann schlief ich erschöpft ein.
Am nächsten Morgen frühstückte ich nachdenklich. Die Gedanken vom Abend zuvor begannen wieder zu kreisen. Ich musste eine Unterkunft finden, in der ich noch mit Holz heizen und kochen konnte wie früher, die Zugang zu einem Brunnen oder einem halbwegs sauberen Fluss hatte, wenn möglich mit einem Garten, damit ich mich mit frischem Obst und Gemüse versorgen konnte. Dass Tiere noch da waren, würde mir vielleicht die Chance geben, ein paar Hühner zu finden, eventuell auch eine Kuh. Das würde aber wiederum bedeuten, dass ich raus musste aus der Stadt, irgendwo auf dem Land ein Haus suchen, das mir die Möglichkeiten bot, die ich brauchte.
Raus aus der Stadt war ja schön und gut, nur wie? Mein Auto war nur ein bisschen verbeult, aber der Tank war leer. Ich hatte zwar noch 20 Liter im Keller, aber die würden auch nicht ewig reichen. Allerdings standen genug Autos in den Straßen herum. Wäre es möglich, eins davon zum Fahren zu kriegen? Ich hatte natürlich etwas davon gehört, dass man die Zündung eines Motors kurzschließen konnte. Sicher konnte man das, aber ich hatte keine Ahnung, wie man das macht…
Andererseits, wenn ich wenigstens aus einigen der Autos Benzin abzapfen könnte, würde mein Auto noch einige Zeit mitspielen...Und eine leise Hoffnung hatte ich: Irgendwo waren vielleicht doch noch Menschen...
Ich griff mir mein Kalenderbuch. Wenn ich nicht verrückt werden wollte, musste ich erstens einen Plan aufstellen, zweitens etwas tun und drittens beginnen ein Tagebuch zu führen, sonst würde ich irgendwann weder wissen, was für ein Wochentag ist noch welches Datum dieser Tag hat.
Und so begann ich also mein Tagebuch:
2.09.2014, zweiter Tag meines neuen Lebens als Last Soul on Earth
Keine Ahnung, was passiert ist. Aber ich muss hier weg. Den Winter überlebe ich hier nicht. Kann weder heizen noch gibt’s Wasser oder Strom zum kochen.
Was ich also brauche, ist eine Hütte mit Garten, Wasser in der Nähe, wenn es geht auch ein Wald zum Holz machen und Pilze und Beeren suchen.
Nördlich von hier ist eine große landwirtschaftliche Zone. Dort werde ich es zuerst versuchen.
Durch etliche kleine Orte gefahren, fette große Villen gesehen, mit großen Fenstern. Na toll. So ein Haus warm zu kriegen nur mit Holzfeuer, das stelle ich mir nicht leicht vor, also nichts für mich.
Im letzten Ort, ich wollte schon umkehren, hab ich es gefunden.
Ein altes Bauernhaus, nicht sehr groß, ungefähr 6 mal 8 Meter, Ziegelbau mit kleinen Fenstern und Fensterläden. Und zwei Schornsteine auf dem Dach, also ist heizen möglich. Und das beste: Anscheinend hat jemand angefangen das Haus zu sanieren. Das Dach ist neu und hat sogar Solarpaneele. Ich hab angehalten, bin erst mal sitzengeblieben und habe es mir angesehen. Laut Karte liegt ein See in der Nähe und auch ein Bach.
Dann wollte ich mir das Haus genauer ansehen. Bin einmal ums Haus gelaufen, denn die Vordertür sah ziemlich massiv aus. Hab richtig gedacht. Diese Bauernhäuser hatten auch eine Tür zum Hof. Diese hier war noch nicht mal abgeschlossen, hatte aber zusätzlich eine massive Gittertür zum Abschließen. Auf dem Hof ein alter, aber anscheinend funktionstüchtiger Brunnen. Rechtwinklig zum Haus eine Scheune mit Garage und einem Auto drin und ein ehemaliger Stall. Ich glaube, Immobilienmakler haben so etwas immer Dreiseitenhof genannt.
Wozu Kreditkarten alles gut sind, hätte ich früher nie gedacht. Ich habe zwar eine Weile gebraucht, aber dann war die Hoftür offen und ich konnte ins Haus. Drinnen war...nun ja, Baustelle, war klar. Aber als ich den alten gemauerten Herd sah, den solche alten Häuser früher hatten, hätte ich tanzen wollen wie ein kleines Kind. Es war zwar staubig überall, Werkzeug lag herum und die Wände waren teilweise roh und unverputzt, aber was solls. Das war genau das Haus, das ich gebrauchen konnte. Heizen und kochen konnte ich hier und der Rest musste sich finden. Ich griff mir einen großen Hammer, denn der Stall draußen war mit einem Vorhängeschloss gesichert. Nach ein paar kräftigen Schlägen auf das Schloss war er es nicht mehr.
Gartengeräte und jede Menge anderer Werkzeuge wurden hier aufbewahrt. Sehr gut, damit würde ich auskommen können. An einer Wand war Holz gestapelt. Ob das für den gesamten Winter reichen würde, wagte ich dann doch zu bezweifeln. Also wären die nächsten Aufgaben ein Umzug und dann – Holz machen ohne Ende. Ich gestand mir ein, dass ich eine Scheißangst davor hatte, frieren und hungern zu müssen...Nicht weiter drüber nachgrübeln, Mädel...Ab nach Hause und packen!
03.09.2014
Nur das notwendigste zusammengerafft, aber immer noch ist meine Karre vollgepackt bis unters Dach. Bettzeug, ein paar strapazierfähige Klamotten, Bücher über Heilpflanzen und -kräuter, ein Pilzbestimmungsbuch, Reinigungsmittel, mein Waschzeug, Handtücher, Decken, einige Töpfe, einen Wasserkessel und eine Pfanne, meine restlichen Lebensmittel, Geschirr und ein paar Medikamente. Wäre ich nicht allein auf der Straße, ich wäre eine Gefahr für jeden anderen, denn nach hinten und zur Seite sah ich überhaupt nichts...
Aber ich kann es mir nicht leisten, mehrmals hin und her zu fahren, weil mein Tank das nicht zulassen würde.
Endlich bei „meinem“ Haus angekommen, ließ ich den Wagen einstweilen auf der Straße stehen und ging wieder von hinten ins Haus. Mir war nämlich kurz vor dem Einschlafen gestern noch eingefallen, dass ich auf einem Brett, das der Handwerker offensichtlich als Werkbank benutzt hatte, ein Schlüsselbund gesehen zu haben glaubte. Und tatsächlich, da lag es. Ich probierte und fand Schlüssel für die Vordertür und – den Schlüssel für das Auto in der Garage. Ich machte einen Luftsprung!
Nachdem ich meinen Kram durch die Vordertür ins Haus geschafft hatte, musste ich erst mal putzen. In einer Ecke richtete ich meinen Schlafplatz ein, verstaute die übrigen Sachen notdürftig in einer alten Decke und stellte das Geschirr und die Töpfe auf dem Herd ab. Dann sank ich erschöpft auf einen Stuhl. Ein Kaffee wäre jetzt nett...
Also zum Stall, Holz holen. Ein Korb fand sich dafür, den ich so voll packte, wie es nur ging. Anheizen dauerte eine Weile, denn ich war es nicht mehr gewohnt, ein offenes Feuer zu entfachen. Zuerst hatte ich nicht daran gedacht, nur kleines Holz und Papier zu entzünden, bevor ich die größeren Holzstücke auflegen konnte. Aber endlich hatte ich es geschafft.
Nun musste sich zeigen, ob der Brunnen im Hof nur ein Anschauungsstück war. Doch als ich den Eimer in den Brunnen hinunterließ und er tatsächlich ins Wasser platschte, war ich mehr als erleichtert, denn zu dem kleinen Bach hätte ich doch ein ganzes Stück laufen müssen und mit zwei vollen Eimern wieder zurück, das wäre eine ziemliche Plackerei gewesen, auch wenn ich mich mit dem Wasser sehr eingeschränkt hätte. Langsam wurde mir klar, dass ich wohl mindestens in die Zeit des Mittelalters zurückgeworfen worden war und das auf mich allein gestellt, ohne das notwendige Wissen. Schon wieder liefen mir die Tränen. Verdammt...
Nach dem Kaffee zog ich die älteste Jeans an, die ich hatte, ein Sweatshirt und einen dicken Pullover drüber und ging in den Stall, um mir eine Axt zu holen. Ich war noch gar nicht bis zum Ende des Stalles vorgedrungen. Heute sah ich dort einen kleinen Handwagen stehen. Der wäre mir eine große Hilfe beim Holz holen!
Keine fünf Minuten später war ich auf dem Weg in den Wald. Dieser hier war offensichtlich bewirtschaftet worden, denn am Wegrand lagen fein säuberlich aufgestapelt die für den Verkauf vorgesehenen Stämme, die in den letzten Monaten gefällt worden waren. Nur konnte ich die einstweilen nicht gebrauchen, denn mit der Axt hätte ich ewig gebraucht, um sie zu zerkleinern und in ihrer vollen Länge konnte ich sie unmöglich transportieren...
Aber die letzte Fällung konnte noch nicht allzu lang her sein, denn der Wald war danach nicht aufgeräumt worden. Die Keile, die man aus den Bäumen schnitt, um sie fällen zu können, lagen überall herum und auch dickere Äste fanden sich. Also an die Arbeit. Als ich mir nach ein paar Stunden Arbeit vor Erschöpfung beinahe die Axt ins Bein geschlagen hätte, fiel ich im Schock auf den Boden und heulte. Es machte mir wieder klar, dass ich völlig auf mich allein gestellt war und verdammt noch mal sehr gut aufpassen sollte...
Meine Hände hatten Blasen, der Rücken tat weh, aber mein Handwagen war voll und das war das Wichtigste.
10.09.2014
Es hat sich so etwas wie eine Routine eingespielt. Vormittags mache ich Holz, nachmittags gehe ich auf Besorgungstour. Aus den Nachbarhäusern habe ich mir ein paar notwendige Einrichtungsgegenstände geholt. Bei einigen Häusern musste ich ein Fenster einschlagen, um hineinzukommen, bei andern kam wieder die Kreditkarte zum Einsatz. Ein paar Regale, einen kleinen Schrank, einen Sessel und einen Tisch habe ich inzwischen.
Mein Haus kann man jetzt beinahe als wohnlich bezeichnen. Meine Bekleidungssituation macht mir allerdings zunehmend Sorgen. Gummistiefel oder Regenkleidung besitze ich nicht, doch es zeigt sich immer mehr, dass solche Hilfsmittel auf dem Land dringend nötig sind. Die letzten Tage hat es permanent geregnet, so dass mein Weg in den Wald aufgeweicht ist und es immer mühsamer wird, mit meinem Handwagen durch die schlammigen Pfützen zu kommen. Auch, dass ich nach einiger Zeit im Wald völlig durchnässt war, machte die Sache nicht leichter.
Also muss ich erneut auf Raubzug gehen. Nach den ersten Skrupeln habe ich mich daran gewöhnt, mir holen zu müssen, was ich brauche, auch wenn es mir nicht gehört. Aber jemand anderes, der einen Anspruch darauf anmelden könnte, ist nicht in Sicht. Im Ort gibt es einen kleinen Supermarkt, in dem ich mir regelmäßig meine Lebensmittel besorge. Die Tür war zum Glück nicht mit so dickem Glas versehen, wie es die großen Märkte verwenden, so dass meine Axt mir gute Dienste leistete. Der Markt hat auch eine kleine Abteilung für Haushaltswaren und ein paar große Waschschüsseln und Eimer habe ich mir bereits geholt. Aber Gummistiefel oder Regenkleidung stand nicht im Sortiment.
Zunächst werde ich in den Nachbarhäusern gezielter nach diesen Dingen suchen. Aber nicht mehr heute. Ich bin vom Holzholen vollkommen erschöpft, mein Hals kratzt, mein Kopf dröhnt und ich bekomme einen trockenen Husten...
14.09.2014
Die letzten Tage waren wirklich hart. Ich hatte hohes Fieber und habe die ersten beiden Tage fast nur geschlafen. Zum Glück hatte ich auch weder Appetit noch Hunger. Aber getrunken habe ich, wenn auch nur Wasser. Am dritten Tag ging es einigermaßen und ich war wieder draußen, frisches Wasser holen. Aber weiter weg traue ich mich noch nicht. Mein Kreislauf spielt verrückt, da wäre es sehr ungünstig, wenn ich zum Beispiel im Wald umkippe. Habe mich meinem seltsamen Haushalt gewidmet. Regale eingeräumt, meine Garderobe durchgesehen und ausgebessert. Nähzeug gabs in dem kleinen Supermarkt, das hatte ich nämlich vergessen mitzunehmen bei meinem Umzug.
Erstaunlich ist, dass sich meine Augen daran zu gewöhnen scheinen, dass es mit Kerzen nicht mehr so hell ist wie mit elektrischem Licht. Aber die Kerzen aus dem Supermarkt werden auch nicht ewig reichen. Ich muss mir etwas einfallen lassen...
15.09.2014
Es geht wieder und ich war in dem kleinen Supermarkt. Als ich ankam, streunte ein großer, wunderschöner Schäferhund dort herum. Zuerst war er misstrauisch, aber dann kam er heran und schnüffelte an mir. Also habe ich zusätzlich ein paar Dosen Hundefutter mitgenommen, nur für alle Fälle. Denn Warrior, so habe ich ihn genannt, wird wohl lernen müssen, selbst zu jagen. Ich kann ihn nicht verpflegen auf die Dauer...
Jetzt sitzt er neben mir und schaut mich mit schief gelegtem Kopf an, als wollte er sagen: 'Na? Werden wir uns vertragen?' Er scheint noch ein junges Tier zu sein, die runden Pfoten sind noch nicht ganz verschwunden. Er wird es lernen zu jagen.
Ich frage mich, wovon er bisher gelebt hat...Und sollte er bei mir bleiben, wäre ich ziemlich glücklich. Ein Gefährte hat mir gefehlt...Bisher habe ich ihn nicht angefasst. Er muss sich erst an mich gewöhnen. Aber es scheint, als würde er sich bei mir wohlfühlen.
Ich muss mir unbedingt ansehen, wie weit die Handwerker mit dem Anschluss der Solarpaneele gekommen sind. Entweder ich kriege das hin oder die Dinger sind völlig nutzlos.
16.09.2014
Als ich heute morgen wach wurde, lag Warrior an meinem Rücken und hat mich gewärmt. Oder er sich an mir, wie auch immer. Es war ein schönes Gefühl...
Dann war ich wieder im Wald. Da der Handwagen weit mehr Holz fasst, als ich in zwei Tagen bisher verbrauche, ist mein Vorrat ganz schön angewachsen. Das beruhigt. Denn so frei, wie das Haus steht, wird der Winterwind es bestimmt auskühlen. Also werde ich viel Holz brauchen.
Ich war mit dem Auto zwei Orte weiter. Da gibt’s einen Baumarkt, auf einer dieser im Nirgendwo aus dem Boden gestampften unsäglichen „Einkaufsoasen“. Gummistiefel und Regenkleidung habe ich nun. Beim durchstreifen des Ladens habe ich noch jede Menge andere nützliche Sachen gesehen, die mir irgendwann zugute kommen könnten. Aber nun weiß ich ja, wo ich sie herkriege, wenn ich sie brauche. Aber eine Angel und einen Käscher habe ich mitgenommen. Und Köder, aus dem Angelladen, der auch dort ist. Endlich mal wieder was Frisches zu essen wäre herrlich...
Ein paar Öllampen habe ich auch noch mitgenommen. Selbst, wenn das Petroleum aus dem Baumarkt alle sein wird, kann ich mit normalem Speiseöl auch weiter für Licht sorgen. Obwohl das möglicherweise ganz schön stinken wird. Aber kommt Zeit, kommt Rat...boah, was für ein blöder Spruch...
18.09.2014
Warrior scheint bei mir bleiben zu wollen. Ich war heute mit ihm im Wald und als ich zurückwollte, kam er hinterhergejagt. Ich habe beschlossen, nur noch bei halbwegs trockenem Wetter Holz zu machen, denn das nasse Zeugs braucht sonst ewig, bis es trocken genug zum Verbrennen ist.
19.09.2014
Ich habe Benzin gefunden! In einer der Garagen der Nachbarhäuser standen zwei Kanister voll! Mit einem werde ich meine alte Karre dazu bringen, ein paar der gefällten Baumstämme aus dem Wald zu schleifen. Eine Kette habe ich auch gefunden und der Wagen hat noch eine gute alte Hängerkupplung und einen starken Motor. Die Wege sind einigermaßen abgetrocknet, also sollte das klappen.
Wenn ich ein paar Stämme in die Nähe des Hauses schleppen kann, dann kann ich sie zersägen und muss nicht mehr jeden Tag in den Wald. Morgen versuche ich das.
Heute sehe ich mir erst mal das Haus weiter an. Bisher hatte ich so viel damit zu tun, für mein Überleben zu sorgen und meine Umgebung zu erkunden, dass es mir dazu an Zeit und Kraft gefehlt hat. Der Raum in dem ich bisher kampiert habe, war wohl mal eine Wohnküche.
Da kommt man von einem Flur aus hinein. Der Flur hat einen Ziegelboden, dessen Ziegel im Fischgrätmuster verlegt sind und schon sehr alt aussehen. Gegenüber ist eine weitere Tür, dahinter liegt ein kleineres Zimmer, das sich später als Wohnraum nutzen ließe. Und ich traue meinen Augen nicht, da steht ein Kaminofen! Er ist an den Schornstein angeschlossen, herrlich!
Ich bugsiere den Sessel hinüber und zwei der bisher leer gebliebenen Regale auch. Ich stelle meine Bücher hinein. Den kleinen Schrank in der Küche werde ich nur noch für Geschirr und Töpfe nutzen, also brauche ich einen Schrank oder eine Truhe für meine Kleidung. Auch ein Bett sollte ich mir bauen oder besorgen. Am besten eines, das ich in dem Raum auch als Sofa nutzen kann. Mal sehen, auf welche Ideen mich der Baumarkt demnächst bringen kann... .
Weiter den Flur hinunter geht es dann eine Treppe rauf unter das Dach. Oben hatte der Vorbesitzer wohl vor, auszubauen. Das Dach ist gedämmt, ansonsten ist der Raum da oben riesig. Zumindest scheint er mir so, nachdem ich die ganze Zeit in der Wohnküche gehaust habe. Er hat herrliche Holzbalken, die frei zu sehen sind.
Hier oben kann ich meine Wäsche trocknen, wenn das Wetter es nicht mehr zulässt, dass ich sie draußen aufhänge. In den letzten Tagen habe ich kein Stück trocken bekommen, wenn ich es nicht in der Küche irgendwie aufgehängt habe. Dadurch war die Luftfeuchtigkeit so hoch, dass sogar mein Bettzeug klamm geworden ist.
Das hört nun hoffentlich auf...
20.09.2014
Ich beschäftige mich zur Zeit immer nur mit den nächstliegenden Aufgaben. Unter der Treppe zum Dachboden sind noch zwei Türen. Eine führt zur Treppe in den Keller, die andere zu noch einem größeren Raum. Den brauche ich vorerst nicht. Aber gut zu wissen, dass da noch ein uralter Kachelofen steht...
Der Keller wurde wohl noch nicht entrümpelt. Und das könnte ein großes Glück für mich sein. Ich habe zumindest ein Regal voll mit leeren Einweckgläsern gesehen. Wenn die Gummiringe da auch irgendwo liegen, wäre das perfekt. Aber im Licht meiner Kerze sehe ich natürlich nicht allzu viel. Ich werde mir wohl eine Taschenlampe aus dem Baumarkt besorgen müssen. Dabei wollte ich von Anfang an so weit wie möglich auf den ganzen technischen Kram verzichten, weil er eh nicht lange vorhalten wird...Was nützen mir all die technischen Geräte und Werkzeuge, wenn es keinen Strom gibt und Batterien nicht lange halten.
Die Holzstämme aus dem Wald zu holen, ist natürlich nicht so einfach, wie ich es mir vorgestellt habe. Ziehe ich die Kette nicht weit genug auf den Stamm, dann rutscht sie ab. Die Holzrücker hatten früher spezielle Ketten mit starken Haken dran. Die habe ich aber nicht. Ich muss also jeden Stamm erst mal ein Stück hoch hebeln und einen Keil unterlegen. Verdammt, warum hat der Mensch nur zwei Hände? Ich habe für einen einzigen Stamm Stunden gebraucht und zwischendurch vor Wut geheult. Aber jetzt liegt der Stamm vor dem Haus und ich bin erleichtert.
21.09.2014
Warrior ist immer wieder für Stunden verschwunden. Aber er kommt jedes Mal zurück zu mir. Lieber Kerl...
Bei meinem Streifzug durch das Dorf habe ich einen Apfelbaum gefunden. War aber eher Zufall, denn ich wollte eigentlich ins Haus und es zuerst hinten versuchen. Den ersten Apfel habe ich regelrecht verschlungen, so was von lecker. Hab mir einen Korb geholt und so viele Äpfel wie möglich eingesammelt. Nun werden die Weckgläser wohl wirklich zum Einsatz kommen. Aber dann brauche ich Zucker in rauen Mengen. Noch hat mein kleiner Supermarkt Zucker vorrätig.
23.09.2014
Die letzten Tage habe ich eingeweckt und Apfelsaft gemacht. Von meiner Oma habe ich mich dunkel erinnert, wie sie das gemacht hat. Es war eine verdammte Schinderei, aber es hat sich gelohnt. Zwanzig Gläser eingeweckte Äpfel und 10 Flaschen mit Saft. Der Keller ist eine regelrechte Schatztruhe, denn auch die Flaschen habe ich da gefunden.
Solange ich arbeite, konzentriere ich mich auf das, was ich tue und höchstens den nächsten Schritt. Aber sowie ich fertig bin und mich für einen Tee oder Kaffee hinsetze, fangen die Gedanken an zu kreisen.
Was kann nur geschehen sein? Gibt es noch andere Menschen irgendwo? Aber ehrlich gesagt...so langsam hoffe ich fast, dass, wenn es noch irgendwo größere Gruppen von Menschen geben sollte, sie mich nicht finden.
Extreme Situationen wie diese bringen in Menschen das Beste oder eben das Schlechteste zum Vorschein. Und sollte ich ausgerechnet auf eine Gruppe der zweiten Kategorie treffen müssen...Welche Chancen hätte ich, allein? Genau, keine. Und das macht mir verdammt Angst, wenn ich ehrlich bin.
Langsam werden Ratten zum Problem, aber mich wunderte schon ein paar Tage, dass sie zwar überall durchs Dorf laufen, um meinen Hof aber einen großen Bogen machen. Heute habe ich gesehen, warum. Warrior jagt mit Begeisterung Ratten. Und er fängt sie auch! Ob er sie auch frisst, habe ich nicht sehen können. Aber falls ja, dann hat der Kleine wirklich gelernt sich selbst zu versorgen. Ich bin richtig stolz auf ihn. Als er dann zurückkam, ließ er sich das erste mal von mir streicheln und schien es zu genießen. Endlich konnte ich ihm auch das blöde Halsband abnehmen. Streift er durch den Wald, dann wäre es möglicherweise eine Gefahr für ihn, also weg damit.
Am Nachmittag habe ich angefangen, den Stamm vor dem Haus zu zersägen. Natürlich von Hand. Mühsam und kräftezehrend und mit dem Zersägen ist es ja noch nicht getan. Dann müssen die Kloben auch noch gehackt werden. Allerdings, darauf freue ich mich fast. Ich habe als Kind bei Oma liebend gerne Holz gehackt.
Und dann kam Warrior an und verhielt sich seltsam. Er sprang mich an, dann lief er ein paar Schritte weg. Dann das gleiche Spiel von vorne. Es hat ein paar Minuten gedauert, ehe ich begriffen habe, dass er mich auffordern wollte, ihm zu folgen. Er führte mich zu einem Haus ziemlich am Ende vom Dorf. Bis hierher bin ich bei meinen Streifzügen noch nicht gekommen. Unter dem Hoftor war eine Kuhle gebuddelt, durch die er auf den Hof geschlüpft ist. Das Tor war zum Glück unverschlossen und als ich auf den Hof kam, traute ich meinen Augen nicht.
Dort saßen sechs große Hunde verschiedenster Rassen um eine Hundehütte herum, in der ein weiterer Hund angekettet war. Das arme Tier war klapperdürr, aber es lebte noch. Was sollte ich tun? Würde das Rudel, denn das waren sie offensichtlich bereits, mich an ihren Kameraden heran lassen?
Langsam, Schritt für Schritt ging ich näher heran. Einer aus dem Rudel knurrte mich an, doch Warrior schnappte nach ihm und er gab Ruhe. Ich hockte mich zu dem armen Geschöpf, das halb in der Hütte lag und halb draußen. Er war mit einem Karabinerhaken in die Kette eingehakt, also kein größeres Problem. Nachdem ich ihn ausgehakt hatte, versuchte er aufzustehen, war aber zu kraftlos. Also hob ich ihn einfach hoch und trug ihn nach Hause.
Das ganze Rudel folgte mir in sicherem Abstand. Trotz seines Zustandes war der arme Kerl doch ganz schön schwer und ich kam atemlos zu Hause an und trug ihn in den Hof. Nachdem ich ihn abgelegt hatte, holte ich eine der Hundefutterdosen aus dem Haus und eine flache Schale. Zu Anfang wäre es bestimmt nicht gut, wenn er zu viel fraß, also füllte ich ihm nur ein wenig in die Schale. Anschließend bekam er noch Wasser, aber Durst schien er nicht gelitten zu haben. Gut, kein Wunder, hatte es doch lange genug geregnet. Bis es dunkel wurde, bekam er jede Stunde ein wenig Futter und ich konnte beinahe zusehen, wie er sich erholte. Es wird jedoch noch lange dauern, bis er wieder genug auf den Rippen hat, um den Winter zu überstehen.
25.09.2014
Das Rudel ist immer noch da. Sie lagern auf dem Hof, lassen das Futter von Prinz aber unangetastet. Ja, ich habe den armen Kerl Prinz getauft. Seine Augen glänzen wieder und sein Fell wird langsam wieder ansehnlich. Auch stechen die Rippen nicht mehr so sehr hervor. Er wird sich hoffentlich ganz erholen. Zumindest kommt er mir schon freudig entgegen, wenn ich den Hof betrete. Inzwischen bekommt er auch normal große Futterrationen.
Langsam beginne ich auch die Strukturen des Rudels ein wenig zu verstehen. Ich kann zwar nicht alle Hunderassen identifizieren, aber es sind mit Warrior drei Schäferhunde, von denen ein Tier weiblich ist. Sie scheint so etwas wie die Alphahündin zu sein, denn sie sorgt für Ordnung im Rudel, zusammen mit einem Kangal. Diese Rasse kenne ich, weil eine Bekannte ein solches Tier hatte.
Der Hof ist ganz schön eng geworden mit acht großen Hunden, aber ich fühle mich inzwischen sehr viel sicherer mit ihnen. Und sie gehen jagen. Noch immer bringen sie Prinz, der noch nicht wieder voll auf der Höhe ist, Beute mit. Ich möchte nicht wissen, was es ist. Aber anscheinend haben sie ihn so am Leben gehalten, als er hilflos angekettet zu verhungern drohte.
Die Schäferhündin habe ich Leila getauft. Sie könnte die Mutter von Warrior sein, aber ich weiß es nicht mit Sicherheit. Allerdings deutet seine Stellung im Rudel darauf hin.
Morgen werde ich noch einmal zum Baumarkt fahren. Ich habe da ein paar Ideen, wie ich mir mein Leben hier ein wenig komfortabler gestalten kann...
26.09.2014
Baumarkt war sehr erfolgreich. Ich habe mir Bretter ohne Ende geholt. Ich brauche noch Regale und für ein Bett brauche ich ja auch Bauholz. Schrauben und alles übrige hab ich natürlich auch nicht vergessen. Als ich so durch diese Ansammlung ehemaliger Konsumtempel gestreift bin, habe ich doch tatsächlich ein kleines Möbelgeschäft entdeckt, in dem Truhen standen. Aber leider war mein Auto schon voll, also konnte ich keine mehr mitnehmen. Nun ja, einige Male zum Baumarkt wird das Benzin noch reichen...
Mein Rudel hat mich heute tatsächlich begrüßt. Leila kam heran und schnupperte, stupste mich mit der Nase an und zog sich zurück. Der Kangal kam ganz langsam auf mich zu, stand vor mir und sah mich einfach an. Doch ich hab mich noch nicht getraut ihn anzufassen. Aber seinen Namen hat er nun auch weg. King...etwas anderes kam einfach nicht in Frage, so wie er agiert. Prinz und Warrior haben mich typisch nach Hundeart begrüßt und sprangen um mich herum mit einem Lärm, den ich einfach nicht mehr gewohnt bin.
Das Holz habe ich einstweilen auf den Dachboden geschafft. Dort ist genug Platz zum bauen, wenn ich denn Zeit dafür habe.
Den Baumstamm, den ich aus dem Wald geholt habe, habe ich fast fertig zerlegt. Zwischendurch war mir sehr nach Holzhacken. Ein von früher mal übrig gebliebener Stumpf eines gefällten Baumes auf dem Hof macht sich super dafür und mein Vorrat wächst.
Ich habe ziemlich abgenommen, aber ich merke, dass meine Kondition schon erheblich besser geworden ist. Kein Wunder bei der Arbeit, die ich jeden Tag leiste. Ich habe mich daran gewöhnt, allein zu sein. Aber ich merke, dass ich anfange laut mit mir selbst zu sprechen. Ist mir egal, Hauptsache, ich verliere nicht den Verstand, denn das könnte mich das Leben kosten.
30.09.2014
Die letzten Tage waren...ereignisreich. Ich wollte einen Tag, nachdem ich das Holz geholt hatte, nochmal zum Baumarkt, die Truhe holen.
Ich bin dort nicht angekommen. Auf dem Weg hätte mich beinahe der Schlag getroffen. Seit Wochen bin ich allein in dieser Gegend und plötzlich kommen mir zwei Menschen entgegen getaumelt. Oder besser gesagt, der Erwachsene taumelt. Ein Mann, schwer zu schätzen, wie alt, furchtbar ausgezehrt, an seiner Hand ein kleines Mädchen, vielleicht acht Jahre alt. Sie führte ihn fast, denn er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten.
Was sollte ich tun? Für eine Falle war es ringsherum zu frei, also keine Versteckmöglichkeiten für irgendwelche zwielichtigen Typen. Angehalten und den Mann und das Kind ins Auto verfrachtet.
Die Kleine ist erstaunlich aufgeweckt und weit für ihr Alter. Sie erzählte, dass der Opa und sie seit vielen Tagen laufen. Anfangs haben sie noch Essen gefunden, später kaum noch und wenn es was gab, dann hat der Opa es immer ihr gegeben.
Mein Gott, der Mann wäre für seine Enkelin fast verhungert! Ich halte bei meinem Supermarkt an und suche Hühnersuppe. Etwas gehaltvolleres würde er nicht vertragen nach so langer Zeit.
Bei meinem Haus angekommen, muss ich die Beiden erst dem Rudel vorstellen, sonst könnte es für sie gefährlich werden, wenn sie das Haus verlassen. Mühsam hält sich der Mann auf den Beinen, aber das muss jetzt sein, mein Rudel besteht nicht aus Schoßhunden. Ich rufe Leila und King und erstaunlicherweise kommen die beiden sofort.
Alina, so heißt das Mädchen, ist begeistert, aber auf meinen Rat hin steht sie ganz still und lässt sich beschnuppern. Endlich haben die Rudelführer Alina und ihren Opa anscheinend akzeptiert. Wir bugsieren den Großvater ins Haus und legen ihn einstweilen auf mein Bett.
Ich mache die Hühnersuppe heiß und Alina bekommt ebenso wie ihr Großvater zunächst nur einen halben Teller voll. Nachdem eine Stunde später immer noch alles drin geblieben ist, gibt es nochmal einen halben Teller voll. Danach schläft der Großvater vollkommen erschöpft ein, auf meinem Bett... Das heißt, wir brauchen dringend wenigstens noch zwei Matratzen und Bettzeug. Ich nehme Alina mit zum Nachbarhaus und wir holen, was nötig ist. Die Kleine sieht süß aus mit ihren Armen voller Kissen, die bald höher sind als sie selbst.
Gemeinsam richten wir das hintere Zimmer mit dem Kachelofen für die beiden her. Danach macht sich deutlich Müdigkeit bei dem Mädchen bemerkbar, also lasse ich sie sich waschen und bringe sie dann zu Bett. Als sie mir erzählt, dass es das erste Mal seit Wochen ist, dass sie wieder ein Bett hat, kommen mir die Tränen und ich verlasse sie ganz schnell.
Ich muss nachdenken und brühe mir erst mal einen Tee. Für drei Menschen Nahrung zu beschaffen wird spätestens, wenn die Vorräte des Supermarktes aufgebraucht sind, sehr schwierig. Bisher hat mir das Knäckebrot gereicht, aber... Für einen Mann, speziell, wenn er körperlich arbeiten muss, reicht das nie und nimmer. Und arbeiten wird er müssen, wenn er hierbleibt. Hoffentlich ist das kein Typ mit zwei linken Händen...
Ich habe keine Ahnung, ob ich in meinem antiken Herd Brot backen kann. Abgesehen davon habe ich in meinem früheren Leben höchstens mit Fertigbackmischungen Brot gebacken. Kartoffeln! DAS wäre die Idee. Da ich selbst ungern welche esse, habe ich mich bisher nicht darum gekümmert, ob es hier Kartoffelfelder gibt. Aber ich weiß, dass hier eine Region dafür war. Es ist bestimmt noch eine halbe Stunde hell, also laufe ich nochmal zum Supermarkt und hole Kartoffeln, getrocknetes Suppengrün, Zwiebeln, Speck und Würstchen. Die abgepackten natürlich. Das Haltbarkeitsdatum ist zwar bereits um ein paar Tage überschritten, aber ich weiß ja, wie so etwas gelaufen ist...
Zuhause schäle ich Kartoffeln, brate Speck und Zwiebeln an und koche dann einen wirklich großen Topf Kartoffelsuppe. Der Duft lässt selbst mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Aber für mich allein hätte ich diesen Aufwand nicht betrieben...
Offensichtlich hat dieser Duft aber den Großvater geweckt. Es klopft an der Küchentür und er kommt herein. Sein Gang ist wieder etwas kräftiger, aber er sieht noch immer sehr abgekämpft aus.
Doch er schaut sich neugierig um und als ich ihn zu einem Stuhl winke, setzt er sich anscheinend dankbar. Als ich ihm dann noch einen Becher Tee hinstelle, schüttelt er fassungslos den Kopf und fragt zuerst nach Alina. Ich zeige ihm das Zimmer, wo sie schläft. Zurück in der Küche fragt er dann, ob ich schon immer hier gelebt hätte.
Ich weiß noch nicht, ob ich lachen oder heulen soll und erzähle ihm einfach meine Geschichte. Wie ich aus dem Urlaub kam, was ich vorgefunden habe und was ich danach alles getan habe, um überhaupt den nahenden Winter überleben zu können.
Ab und zu nickt er, aber ich sehe ihm sein Erstaunen trotzdem an. Keine Ahnung, was in seinem Kopf vor sich geht. Hat er einer Frau nicht zugetraut, sich allein durchschlagen zu können?
Dann beginnt er zu erzählen. Sein Name ist Andreas. Er und seine Enkelin kommen aus einem Industriegebiet zweihundert Kilometer von hier. Nachdem er beobachtet hatte, dass überall leuchtend weiße gigantische Säulen aus Licht auftauchten, hatte er zugesehen, wie die Menschen, die sich neugierig zu nahe herangewagt hatten, von dem Licht verschluckt worden waren. Seltsamerweise war das nur den Menschen mittleren Alters passiert. Kinder unter zwölf Jahren, wenn sie nicht an der Hand oder auf dem Arm ihrer Eltern waren, verschwanden nicht, ebenso wenig wie wirklich alte Leute.
Wie Staubsauger hatten die mysteriösen Lichtsäulen die Menschen angezogen. Allerdings waren sie alle freiwillig auf das Licht zugelaufen und schließlich darin verschwunden. Die Lichtsäulen waren überall, wechselten auch ihre Standorte. Als die ersten Menschen, die noch zurückgeblieben waren, erkannten, was ihnen bevorstehen würde, wenn sie hierblieben, waren sie in Scharen zu den Lichtsäulen geströmt.
Er jedoch konnte und wollte seine Enkelin nicht alleinlassen. Sein Sohn und seine Schwiegertochter waren zu nahe an eine solche Lichtsäule gekommen und wie alle anderen verschwunden. Er war geschieden und noch keine fünfzig Jahre alt. Mit Alina an der Hand war er meist nachts gelaufen, damit er die Lichtsäulen frühzeitig genug erkennen konnte. Ein Auto besaß er nicht, daher hatten sie den Weg zu Fuß gemacht. Er hatte gesehen, wie es immer weniger Menschen wurden, bis sie schließlich durch vollkommen entvölkerte Gegenden gekommen waren, wo sie auch kaum noch etwas zu essen gefunden hatten. Die letzten Tage hatte er Alina mit Äpfeln ernährt, die er irgendwo gefunden hatte.
Als ich den hungrigen Ausdruck auf seinem Gesicht sehe, stelle ich ihm noch einen vollen Teller Kartoffelsuppe hin. Nachdem er gegessen hat, stellt er weitere Fragen nach dem, wie ich mich hier eingerichtet habe.
Und dann kommt der Hammer. Seine Eltern waren Bauern und er kann sich noch an vieles aus dieser Zeit erinnern. Er weiß, wie man eine Kuh melkt, dass sie aber ein Kalb haben muss, sonst gibt’s keine Milch. Er selbst kennt sich mit Elektroanlagen aus, weiß, wie man ein Auto kurzschließt und behauptet, handwerklich nicht ganz ungeschickt zu sein. Auf die Idee, ein Auto aufzubrechen und statt zu laufen zu fahren, ist er, entkräftet wie er nach einigen Tagen war, nicht mehr gekommen. Wäre Alina nicht bei ihm gewesen, er hätte sich in diesem Zustand aufgegeben, sagt er.
Als ich Holz holen gehen will, fragt er, ob er mitgehen kann. Draußen im Hof ist er dann jedoch erst mal etwas verunsichert, als das Rudel wie Schatten aus der Dunkelheit herankommt. Doch ich kann sowohl das Rudel als auch ihn beruhigen.
Zurück in der Küche fragt er mich, wie ich zu den Hunden kam und ich erzähle es ihm. Und auch, warum ich froh bin, dass sie da sind.
Am nächsten Tag geht es Andreas wesentlich besser und nachdem ich ihm von den Solarpaneelen erzählt habe, greift er sich Werkzeug und verschwindet.
Ich mache mich mit Alina auf die Suche nach weiterem Obst. Auch den Apfelbaum besuchen wir und haben wieder einen Korb voller Äpfel gesammelt.
Auch Winterbirnen haben wir gefunden. Die kommen in den Keller, da ist es dunkel und kühl genug. Auch die Äpfel wecke ich diesmal nicht ein. Wir benötigen Vitamine und solange die Äpfel es kühl und dunkel haben, werden sie wohl eine Weile haltbar sein.
Tag der Veröffentlichung: 05.09.2017
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Widmung:
Ich hatte da so eine seltsame Idee...mal sehen, was draus wird!
Die Idee kam mir, als ich ein Lied hörte, das so hieß wie diese Geschichte...
Achtung: Diese Geschichte gehört ausschließlich mir. Abdrucken oder zitieren, auch auszugsweise, egal wo und wie, ist nur mit meiner ausdrücklichen Genehmigung erlaubt!