Cover

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Eine Hexe zu sein war für mich nicht immer von Vorteil. Ich empfand es nicht als besonders prickelnd, als meine Schultüte an meinem ersten Schultag anfing in Flammen aufzugehen, noch verfiel ich in Jubelschreie, als mein schwarzes Haar sich wie von selbst rot verfärbte, und das bei meinem ersten Date mit Henry Homs, wo er mir gestanden hatte, dass rothaarige Frauen einfach unvergesslich für ihn seien.
Als ich eines Nachts aus zwei Meter Höhe aus schwebendem Zustand zu Boden fiel und mir den Arm brach, war selbst meinen Eltern klar, dass ich mich in die Reihe der Zauberkundigen eingliedern durfte.
Seit die Hexen sich vor zwanzig Jahren den Menschen zu erkennen gegeben hatten, verlief der normale Alltag nicht mehr so normal. Hexenclubs schossen wie Kartoffeln aus dem Boden. An jeder Ecke konnte man einen Bio-Hexenladen mit ultramodernem, feuerfestem Hexenkessel aufsuchen. Seltener waren jene Läden zu finden, die magische Utensilien der anderen Welt verkauften.
Sie war eine verborgene Welt fernab der Normalität. In dieser konnten nur sehr mächtige Hexen und Hexenmeister wandeln, aber sogar für diese war sie zu wild und gefährlich. Da konnte man zum Beispiel das geriebene Horn eines Einhorns, oder die Klaue eines neugeborenen Drachens ergattern. Zutaten, die man für besonders schwierige Zauber benutzte. Zutaten, die ich derzeit benutzen musste, wenn ich meine Prüfung, Wie werde ich eine hervorragende Hexe, mit Bravour bestehen wollte. Die erste Prüfung, Plötzlich Hexe, hatte ich eher widerwillig abgelegt und das nur, weil meine Mom mir damit gedroht hatte mir monatelang Spinat vorzusetzen und seien wir mal ehrlich, wer - außer Popeye natürlich - liebt eklig grünen Spinat? Eine Sechzehnjährige auf keinen Fall!
Völlig unmotiviert hatte ich mich am Kurs beteiligt und wundersamerweise bestanden. Meine Lehrerin, eine Hexe mit krausem Haar und einer dicken Warze am Kinn, hatte mich so lange gelobt, bis mir der Neid und der Hass meiner Kollegen sicher waren. Dafür war ich jedoch so hoch in der Achtung meiner Mom gestiegen, dass sie mir so lange mein Lieblingsgericht Lasagne serviert hatte, bis es mir zum Halse hinaushing. Wäre ich dank meines Kurses nicht in der Lage gewesen mir heimlich Zutaten aus dem Kühlschrank herbeizuzaubern, ich wäre elendig verhungert, weil ich unauffällig die Lasagne verschwinden ließ, die sie mit so viel Liebe zubereitet hatte.
Mittlerweile war ich dreiundzwanzig Jahre alt, besaß eine eigene Wohnung und durfte monatlich mit dem Besuch meiner Eltern rechnen, aber damit kam ich klar, vor allem, seit ich in einen Zauber investiert hatte, der mich rechtzeitig darüber informierte, wann sie aufbrachen um ihre geliebte Tochter zu besuchen.
Da die letzte Visite nur ein paar Tage zurücklag, durfte ich mich vorerst entspannen und mich ganz meiner Prüfung widmen.
Gemeinsam mit Tracey Winds hatte ich die Aufgabe bekommen ein Drachenei so lange aufzubewahren bis es schlüpfte. Dann mussten wir den Drachen dem Hexenmeister schenken, der für unseren Bezirk im sonnigen Florida zuständig war. So sah es der Aufnahmeritus im Hexenzirkel vor. Normalerweise wäre das eine durchaus zu schaffende Aufgabe gewesen. Hier lag die Bezeichnung auf wäre, denn Tracey Winds ging lieber mit ihren Freundinnen shoppen und so unterlag es mir, Drachenmami für einen noch nicht geschlüpften Drachen zu spielen.
Diese Tätigkeit beinhaltete das tägliche Baden in verzaubertem Drachenfeuer, zusätzlich zu mehreren Stunden Kuscheln in meinem Büstenhalter, damit der Drache auch das Schlagen meines Herzens hören konnte. Mrs Willer, meine Beraterin was Hexendinge betraf, hatte uns nahegelegt sich abzuwechseln, damit wir genügend Schlaf bekamen. Dumm nur, dass Tracey das so gar nicht interessierte.
Gäbe es meinen Mitbewohner nicht, ich wäre verzweifelt. Percy Lombardi, ein waschechter Elf aus der anderen Welt mit vortrefflichen Manieren und einem Hang zur Diva, sobald sich ein gutaussehender Typ in der Nähe befand, ergänzte mein eigenständiges Leben in der neuen Großstadt Miramar fernab meiner Eltern, die in Venice lebten. Dass der Gute stockschwul war, sah ich nur dann als Manko an, wenn wir zufällig auf den gleichen Typen standen. Meistens passierte das jedoch nicht, denn Percy bevorzugte eher die Art Mann, die mit arrogantem Gesicht und hochgezogener Nase durch die Gegend lief. Ich mochte die netten Männer, aber auch ich bin mal an den Falschen geraten.
Im Moment voll mit Hexendingen beschäftigt, hatte ich sowieso keine Zeit um mir über mein nicht vorhandenes Liebesleben den Kopf zu zerbrechen. Der letzte Mann mit dem ich ausgegangen war, war zum Glück nicht Henry Homs gewesen, aber mein Dad glaubte immer noch, seine einzige Tochter wäre noch Jungfrau und ich wollte ihn weiterhin in dem Glauben belassen, bis ich mindestens sechzig war.
»Mel, wo bist du?«
Percys Stimme drang aus dem Flur. Ich saß gerade über meinen großen Kupferkessel gebeugt, der auf unserem mittlerweile neuen, wesentlich größerem Herd stand und vor sich hin dampfte, und goss penibel flüssiges Drachengold hinein. Das nächste Bad für mein Drachenei war bald fällig und ich durfte mich keine Sekunde verspäten, sonst ging das Experiment in die Hose und ich konnte meine Prüfung vergessen.
Natürlich hätte ich mich weigern können eine Laufbahn als Hexe anzustreben, doch sobald man erfuhr, dass man dazu gehörte, bekam man den Stempel Hexe in den Personalien und durfte zusehen wie man weiterkam. Meine Eltern hatten sicherlich auch eine andere Zukunft für mich im Sinn gehabt, doch weil sie verhindern mussten, dass ich wegen eines Alptraumes unser Haus abfackelte, wandten sie sich an den Hexenzirkel und ab da gab es sowieso kein Zurück mehr.
Heute strebte ich die Lizenz an, einen eigenen Hexenladen zu besitzen, aber dafür musste ich fünf der zehn Prüfungen bestehen. Ich war erst bei Nummer zwei, weil ich mir vorgenommen hatte die Schule zu Ende zu machen und zu studieren. Was die Prüfungen betraf, war ich momentan arg im Rückstand und durfte mich eigentlich auch nicht über Tracey Winds beklagen, immerhin war sie fünf Jahre jünger als ich.
»Mel?«
Percys Stimme hatte mittlerweile einen schrillen Tonfall angenommen. Ich wollte ihm gerne meine Aufmerksamkeit schenken, aber diese Mixtur war einfach zu wichtig. Vorsichtig goss ich die leuchtende Flüssigkeit in den brodelnden Sud und grunzte zufrieden, als es wie gewohnt dreimal laut blubberte.
»Mel!«
»Percy, verflucht«, zischte ich. »Das ist wichtig für das Drachenei, sonst geht es kaputt.«
»Dein dämliches Ei ist schon kaputt«, jammerte Percy und ich stockte, richtete mich ungläubig auf. Mein Elfen-Mitbewohner stand im Türrahmen und riss sich das Hemd auf. Mein Büstenhalter, den ich ihm geliehen hatte, damit er das Ei ruhig auf seiner flachen Brust halten konnte, wackelte bedenklich hin und her und es war eindeutig nicht Percys hektischer Atem, der dafür verantwortlich zu sein schien.
»Was hast du gemacht?« schrie nun auch ich schrill.
»Gar nichts«, entgegnete er empört. »Ich wollte mir nur Oprah anschauen, als es anfing sich zu bewegen.«
»Aber was machen wir jetzt?«
Meine Prüfung! Oh Gott, mein Drachenei verhielt sich nicht so wie es sollte.
»Woher soll ich das wissen?«, fauchte Percy. »Ich habe nur den Babysitter gespielt.«
Entschieden griff er in den gepolsterten Büstenhalter und griff nach dem Ei. Am liebsten hätte ich mich in mein Zimmer verkrochen und den Kopf wie ein Strauß in den Sand gesteckt, aber ich zwang mich zuzusehen, wie Percy das mittlerweile dunkler werdende Ei in die Hand nahm und das Gesicht verzog.
»Was ist?«, fragte ich aufgeregt.
»Es ist knalle heiß«, zischte Percy. Sein lockiges blondes Haar flog um sein Gesicht, als er unkontrolliert hin und her tänzelte. Mir blieb der Mund offen stehen, als er mit der Hand, in der er das Ei hielt, genauso hektisch hin und her wedelte. Immer mehr Rauch stieg von seinen Fingern auf, ich wollte schon rufen, da flog ihm das Ei in einer Abwärtsbewegung aus der Hand und klatschte auf den Tisch.
Ich wusste nicht wer schockierter aussah, ich oder der Elf vor mir. Wie auf einen stummen Befehl hin sahen wir gleichzeitig nach unten. Ich rechnete schon mit dem Schlimmsten und seufzte erleichter auf, denn das Ei war wie durch ein Wunder unversehrt geblieben. Im nächsten Moment flammte es mit einem Wusch hell auf und mein kostbares Experiment verschwand in einem rotglühenden Feuer.
Percy und ich sprangen fluchend vom Küchentisch weg und brachten uns in Sicherheit, wo wir weiter wie zwei Mondkälber starten.
Mein Mitbewohner fing sich als erstes. Er rannte in den Flur und kam wenig später mit unserem Feuerlöscher zurück.
Wenn die Flammen mein Drachenei nicht erledigen würden, dann würde es der Feuerlöscher definitiv schaffen. Beschützend baute ich mich vor dem brennenden Tisch auf und verschränkte die Arme vor der Brust. »Was hast du damit vor?«
»Dein Experiment fackelt unsere Küche ab«, entgegnete Percy mit funkelnden Augen. Im Moment sah er nicht mehr so liebenswürdig aus, wie es der Art der Elfen entsprach.
»Ähm, lass uns erst einmal darüber reden«, warf ich ein um Zeit zu schinden. Fieberhaft suchte ich nach einem Zauberspruch für das Feuer, doch Percys Voranstürmen lenkte mich ab. Ich warf mich auf ihn und begrub ihn unter mir. Elfen waren federleicht und nicht besonders stark, aber sie waren verdammt gut, wenn es darum ging jemanden zu verhexen. Ich hoffte nur, mein Angriff würde mir keinen Furunkelfluch einbringen, für den so mancher Elf berühmt geworden war.
Die spitzen Ohren unter dem blonden Haar wackelten bedenklich, das taten sie immer, wenn Percy schlechte Laune hatte. Wir rangelten um den Feuerlöscher und übersahen so fast das Wesentliche: Das Feuer löschte sich von selbst!
Gerade als ich über Percys Gesicht hinweg krabbeln wollte, packte dieser mich an die Hüfte und klammerte sich stur an mir fest. In diesem Moment hörten wir von draußen das laute Hupen eines Autos und verharrten ob der ungewohnten Stille. Schließlich rappelten wir uns auf und sahen zu dem Ei.
Mir kamen fast die Tränen vor enttäuschter Wut, als ich den Aschehaufen sah, der sich auf unserem Holztisch auftürmte.
Mein Mitbewohner hatte, wie ich, den Streit sofort vergessen und nahm mich tröstend in den Arm.
Drei ganze Monate umsonst Tag und Nacht geschuftet. Mein Drachenei war zugrunde gegangen und ich wusste noch nicht einmal warum.
»Mel, das wird schon wieder«, versuchte Percy mich aufzumuntern.
»Ich habe … hicks … drei Monate lang … hicks … daran gearbeitet.«
Und wieso musste ich ausgerechnet jetzt Schluckauf bekommen? Da Percy nicht wusste, was er sagen sollte um mich aufzubauen, schwieg er. Wie sollte ich jetzt vorgehen? Mrs. Willer würde kein Verständnis für mein Versagen aufbringen und ich brauchte die Lizenz unbedingt für die nächste Prüfung.
Da unterbrach ein anderes Geräusch mein deprimiertes Schluchzen. Der Aschehaufen bewegte sich ruckelnd.
Was kam denn nun auf mich zu? Irritiert beugte ich mich nach vorne, um ihn mir anzusehen, da stob die Asche zur Seite und ich konnte das Ei sehen. Wie sonst stand es vor mir, nur wesentlich kleiner und irgendwie … reiner. Schale splitterte davon ab und ich sah etwas Goldenes aufblitzen.
Geschockt packte ich Percys Hemd und zog daran, damit er es sich ebenfalls ansah. Immer mehr Schale rieselte nach unten und das zugefügte Loch wurde größer und größer.
War mein Experiment nun doch nicht verpatzt? Es lief zwar nichts so wie es sollte, aber der Drache im Ei schien am Leben zu sein. Noch während ich dies überlegte, schoss etwas aus dem Ei zum offenen Fenster und verschwand nach draußen.
Danach war ich um zwei Dinge schlauer. Erstens, was auch immer in dem Ei gewesen war, war definitiv kein Drache und zweitens, was kein Drache gewesen war, war mir soeben entwischt und befand sich in der Menschenwelt auf freiem Fuß, was deutlich gegen die Hexengesetzte verstieß. Kein Fabelwesen durfte in der Menschenwelt frei herumstreunen.
Mir drohte nicht nur der Verlust der Prüfung, sondern auch eine hohe Konventionalstrafe dafür, dass ich nicht sorgsam genug mit meinem Experiment umgegangen war.
Meinem Ziel, einen eigenen Hexenladen zu führen, konnte ich allmählich Ade sagen.

 

»Vielleicht sieht er es nicht so eng?«
Percys fragender Tonfall war mir keineswegs entgangen. Wir saßen in seinem altmodischen roten Cadillac und fuhren Richtung Stadtausfahrt. Dichter Verkehr hatte uns behindert, so dass wir viel zu spät waren, aber zum Glück hatte er sich wieder gelichtet. Die meisten wollten in die Stadt hineinfahren und nicht zu einer Tageszeit, wo man gewöhnlich ins Bett ging und schlief, die Stadt verlassen.
Nach meiner kleinen Panikattacke, was das schiefgegangene Experiment betraf, hatten Percy und ich die Umgebung verzweifelt abgesucht, aber nichts gefunden. Niedergeschlagen hatte ich meine Beraterin angerufen, die ihrem Beruf ganz und gar nicht gerecht wurde. Nein, sie habe mir niemals im Leben ein falsches Ei gegeben! Ich müsse einen Fehler gemacht und die Eier irgendwo anders vertauscht haben. Es lag jetzt an mir die eingebrockte Suppe wieder auszulöffeln!
Das waren schon die harmlosesten Beispiele. Und als besagte Beraterin meinen Mitbewohner Percy gesehen hatte, schien sie vollends die Fassung zu verlieren. Sie sabberte etwas davon, dass es kein Wunder für mein Versagen sei, wenn ich einen Elfen als Mitbewohner hatte.
Hexen und Elfen waren seit dem letzten Krieg vor dreihundert Jahren nun ja, nicht gut Freund, aber bisher hatte ich mich aus den alten Streitigkeiten herausgehalten. Warum sollte ich mich aufgrund von Vorurteilen von jemandem fernhalten? Percy hatte mir nichts getan und er war mir ein guter Freund. Mir blieb also nichts anderes übrig, als den letzten Vorschlag meiner Beraterin zu befolgen: Geh zu deinem Manitu und beichte deine Sünden.
In meinem Fall bedeutete dies, meinen Hexenmeister aufzusuchen und so lange auf den Knien vor ihm zu rutschen, bis er mir mein Versagen vergab.
»Der Kerl wird mich das nie vergessen lassen«, stöhnte ich. »Ich habe einen … was auch immer auf die Menschheit losgelassen!«
»Vielleicht ist es ja nur ein ganz harmloses … Ding?«, versuchte Percy mich zu beruhigen.
»Klar, es fackelt unsere Küche ab, ist aber ansonsten total lieb und anhänglich«, jammerte ich. Vor meinem inneren Auge sah ich mich schon arm wie eine Bettlerin vor dem Haus meiner Eltern stehen, und ihnen mein Versagen beichten. Keinen Spezialhexenladen, keine Zukunft, in der ich auf ehrbare Weise mein Geld verdienen konnte.
Noch nicht einmal das verwöhnte Gör Tracey schien sich die Schuld dafür zu geben. Sie war ja nicht verantwortlich gewesen als es passiert war, lautete ihr Kommentar. Tatsächlich war sie sogar so dreist gewesen mich zusammenzustauchen, weil ich ihr Experiment versaut hatte.
»Und wie ist der Hexenmeister so?«
Nun raffte ich mich doch etwas auf. Jede Hexe, die sich in der Ausbildung befand, verbreitete Gerüchte über ihn. Laut denen war mein Hexenmeister Ash Bradak von der speziell netten Sorte, die ihren Untergebenen die Haut über die Ohren zog, wenn sie auch nur ein einziges Mal versagten. Dies teilte ich auch meinem Mitbewohner mit. Am liebsten hätte ich mich auf einen anderen Kontinent geflüchtet, aber leider hatten die Hexenhäuser gute Beziehungen zu anderen Ländern. Flucht war also keine Option.
»Und wenn ich deine Beraterin mit einem Vergessensfluch belege und wir nichts sagen?«, schlug Percy etwas anderes vor. »Du könntest lügen, dass das Experiment schiefgegangen sei. Sie würden dich lediglich die Prüfung wiederholen lassen.«
Wäre ich ein unmoralischer Mensch, ich hätte mich darauf eingelassen, doch ich sorgte mich um die Menschen, die möglicherweise von meinem … Experiment bedroht wurden.
»Nein, das geht nicht.«
»Ähm, du weißt, dass ich gegen einen Hexenmeister nichts ausrichten kann? Weder darf ich ihn mit einem Fluch belegen, noch ist es mir erlaubt mich einzumischen wenn du bestraft wirst.«
Ich wusste es. Würde Percy sich einmischen, konnte nur allzu leicht ein weiterer Krieg zwischen Hexen und Elfen ausbrechen.
»Das ist klar. Bring mich einfach zu diesem Haus, den Rest erledige ich alleine.«


Ich war mir ziemlich sicher, meine Worte in die Tat umsetzen zu können, doch diese Sicherheit schwand, als Percy vor der besagten Adresse hielt.
»Wir sind da«, meinte Percy betont drängend, als ich mich minutenlang nicht gerührt hatte.
»Grundgütiger«, rief ich aus, immer noch auf das Gebäude starrend.
»Steigst du jetzt aus oder nicht?«
Um ehrlich zu sein, ich wusste keine Antwort. Das Gebäude vor mir hatte beträchtliche Ähnlichkeit mit dem Haus der Munsters. Mein Dad hatte diese Serie in den Sechzigern abgöttisch geliebt, obwohl ich vermutete, dass es eher an der Hauptdarstellerin gelegen hatte, die gewisse Ähnlichkeit mit meiner Mutter besaß.
»Was soll der Kitsch?«
Percy hob eine Braue. »Kitsch?«
»Naja, schau es dir an. Wie kann man so leben?«
Nun lachte mein Mitbewohner belustigt. »Gib es zu, du hast Schiss!«
Ach! Nur weil die Bude aussah, als würde sie schon beim leichtesten Klopfen zusammenbrechen?
»Sind wir Haftpflichtversichert?«
Perplex öffnete Percy den Mund. »Was zum Kuckuck redest du da?«
»Ach, nichts«, nuschelte ich und stieg hinaus. Um das ganze Szenario zu vervollkommnen, waren düstere Wolken am Firmament erschienen und es donnerte bedrohlich. Ein rauer Wind wehte verwelktes Laub vor mir her und ließ es in kleinen Wirbeln nach oben schweben.
Unbehaglich ging ich zwischen ausgedörrten Eichen auf das dunkle Haus zu. In dem Moment, als ich den Fuß hob um die Stufen zur Tür hochzusteigen, setzte heftiger Regen ein.
Mein schwarzes Haar kräuselte sich sofort in der Feuchtigkeit und hing mir wirr ins Gesicht. Ich hob die Hand um anzuklopfen und sprang zur Seite, als die Tür aufgerissen wurde. Im nächsten Moment rauschte etwas Haariges an mir vorbei und übergab sich lautstark hinter einem Busch.
Gelächter und Musik drangen aus dem Inneren des Hauses.
»He! Sieh an, Morlok hat es erwischt!«
Der Sprecher stand in der Tür und trug einen Turban auf dem Kopf, sowie Pluderhosen und eine glänzende Weste über eine sehr breite, durchtrainierte Brust.
»Du schuldest mir zwanzig Dollar, Genmair«, erklang eine andere, dröhnende Stimme und neben dem Sultan erschien ein anderer Sprecher, der das Kostüm eines Vampirs trug, was total unglaubwürdig rüberkam, denn Vampire gab es nicht. Das Gerücht um sie war nur entstanden, weil Elfen im Krieg den Blutfluch auf die Hexen niedergelassen hatten. Jener raubte ihnen das Lebenselixier und ließ sie blutleer zurück. Viele unschuldige Menschen hatten damals ebenfalls darunter leiden müssen.
»He, Morlok, fang ein paar Hagelkörner ein wenn du reinkommst, das Eis ist alle!«
Wie auf ein Stichwort, setzte sofort heftiger Hagel ein und der mitgenommene Morlok gesellte sich langsam wieder ins Haus. Vor mir blieb er stehen und musterte mich. Sein haariges Gesicht, wie auch der Rest des Körpers, sollte wohl einen Werwolf darstellen, aber auch dieses Geschöpf entsprang der Phantasie.
»Wer bist du?«, knurrte er mich an.
Ich hätte ihm am besten antworten sollen, aber ich war viel zu sehr damit beschäftigt ihn anzustarren. Und sein plötzliches Grinsen machte die Situation auch nicht besser.
Keuchend entwich mir ein Überraschungslaut, als ich unerwartet hochgehoben und über die Schulter geworfen wurde.
»He, Jungs! Die Dame ist hier!«
Wie? Hatten sie mich etwa erwartet? Und wenn schon, konnten sie mich nicht wie zivilisierte Menschen … Hexer ins Haus bitten?
»Echt? Lass mal sehen!«
Ich wurde auf die Beine gestellt und fand mich einem Piraten gegenüber. Besagter Pirat war ziemlich jung und trug eine Augenklappe, die ein scheinbar fehlendes rechtes Auge bedecken sollte. Rotes Haar floss ihm um die schmächtigen Schultern.
Während ich von ihnen gemustert wurde, nahm ich mir die Zeit, mich genau umzusehen. Von innen wirkte das Haus vollkommen anders. Es war geradezu herrschaftlich eingerichtet. Ich sah teure Gemälde an den Wänden und dicke Perserteppiche auf dem Boden. Ich vermutete, dass das Äußere mit Zaubern verändert worden war.
Im stilvoll eingerichteten Raum befanden sich sehr viele Menschen und alle waren kostümiert. Das erklärte den Werwolf und den Vampir, es handelte sich eindeutig um ein Kostümfest. Oh, Percy würde sich ins Bein beißen mich nicht begleitet zu haben. Schon immer hatte er ein Kostümfest erleben wollen.
»Nun, wer bist du?«
Der vampirische Sprecher musterte mich zu eindringlich, sodass ich ihm rasch Auskunft erteilte. »Mel Roomy«, stieß ich hervor. »Ich würde gerne zu Mr. Ash Bradak vorgelassen werden, es ist …«
»Ich hab`s doch gesagt«, unterbrach mich der Werwolf lachend. »Sie will Ash sehen!«
»Soso!«
Der Sultan hob mein Kinn an und musterte mich auf eine Weise, die mir die Schamesröte ins Gesicht trieb. Meinen Instinkt unterdrückend, ihm mein Knie in die Weichteile zu rammen, wandte ich mein Gesicht ab, um den Hautkontakt zu unterbrechen.
»Und ziemlich störrisch ist sie auch noch«, kommentierte der Vampir. »Genauso wie Ash es mag.«
Wie bitte? Ich öffnete den Mund, aber da zog der Werwolf mich schon zu einer Treppe, die dem Herrenhaus in Vom Winde verweht reichlich Konkurrenz machte. Ich ertappte mich dabei, dem Kerl die Stufen nach oben zu folgen.
»Hören Sie mal, ich müsste dringend zu Ash Bradak«, fing ich nochmal an. »Es geht um …«
»Es ist ja gut. Wir sind schon unterwegs zu ihm«, informierte Morlok mich.
Na wenn das so war, dann sollte ich nicht meckern. Besser er stauchte mich in einem abgelegenen Zimmer zusammen, als unten auf diesem Fest, wo alle zuhören konnten. Diese Demütigung war alleine viel besser zu ertragen … ebenso das auf den Knien herumrutschen.
Morlok blieb im ersten Stock vor einer weißen Tür stehen und forderte mich auf einzutreten. Sein Verhalten kam mir komisch vor, aber ich trat dann doch schulterzuckend in den Raum.
Ich hatte einen Salon erwartet, oder einen Raum, in dem man Audienzen gab, aber vor mir erstreckte sich ein riesiges Schlafzimmer, das geradezu unverschämt teuer aussah.
»Ähm, ich glaube, ich bin hier falsch«, warf ich ein.
»Keine Sorge, Ash kommt sofort«, wies der Werwolf meinen Einwand ab und ließ mich alleine.
Unbehaglich sah ich mich in dem großen Raum um. Es gab ein breites Sofa, aber es sah so schick aus, dass ich es nicht wagte mich hinzusetzen. Vielleicht wäre mein Hexenmeister noch unausstehlicher, wenn ich es mir bequem machte. Am besten wie ein Sünder stehen bleiben, dann kam ich mir in diesem großen Zimmer auch nicht so klein vor.
Von unten drangen immer noch die Geräusche der Feiernden zu mir hinauf und als sich lange Zeit nichts rührte, zückte ich mein Handy.
»Percy«, quiekte ich in das Mobiltelefon, als er sich meldete. »Ich bin auf einer Kostümparty!«
Das konnte ich mir einfach nicht verkneifen! Ich stellte mir sein enttäuschtes, neidisches Gesicht vor und grinste.
»Du schamloses Luder«, beschuldigte er mich sofort. »Ich dachte, du wirst bestraft.«
»Kann ja noch kommen. Die haben mich in ein Schlafzimmer gebracht«, sagte ich unbehaglich.
Ich konnte mir vorstellen, wie die Augen meines Mitbewohners groß und rund wurden. »Im Schlafzimmer? Was sollst du dort machen? Die Matratzen ausschütteln?«
»Haha, wie witzig«, grummelte ich. »Vielleicht sind alle Zimmer wegen der Party belegt.«
»Die Party«, seufzte mein Freund sehnsuchtsvoll. »Gibt es da auch …«
»Nichts da«, unterbrach ich ihn unwirsch. »Das ist eine Party voller Hexen, schon vergessen?«
»Spielverderberin«, nuschelte er betrübt. »Dann schüttel mal schön die Kissen aus«, zischte er und legte auf.
»Blödmann«, brummte ich. Von wegen Kissen ausschütteln. Die hatten sicher kein Zimmer mehr frei in diesem großen … wirklich großen Haus. Verwirrt schaute ich mich um und ging dann zu einem Gemälde neben dem Bett. Es zeigte einen düster aussehenden rothaarigen Mann mit funkelnden grünen Augen. Alleine bei seinem Anblick grauste es mir. Wer das wohl war? Ich hoffte nur, dass es sich hierbei nicht um meinen Hexenmeister handelte. Gerade als ich zurückgehen wollte, schlangen sich zwei Arme um meine Mitte.
»Du stehst da genau richtig«, raunte eine Stimme in mein Ohr.
Die Tatsache, dass Percy mit seinen schweinischen Vermutungen recht gehabt hatte, ärgerte mich so maßlos, dass ich herumfuhr und demjenigen, der mich ungefragt betatschte, eine schallende Ohrfeige gab.
Der Mann, der mich um gut einen Kopf überragte, blickte mich so verdutzt an, dass er im ersten Moment nicht reagieren konnte. Während dieser Zeit fiel mir die Ähnlichkeit mit dem Gemälde auf. Es war nicht das gleiche Gesicht, aber es gab eine gravierende Vergleichbarkeit. Mir wollten schon die Knie schlottern, denn in mir keimte ein grauenhafter Verdacht.
»Ash, warte mal! Es gab da eine …«
Morlok öffnete die Tür und stand mit einer schwarzhaarigen, rassigen Schönheit im Türrahmen, deren Aufzug einem Filmstar Konkurrenz gemacht hätte. Ich, mit meinem dunkelblauen Kleid, kam mir geradezu schäbig neben ihr vor.
Der rothaarige Mann sah von der Frau zu mir und runzelte düster die Stirn. »Bring die Dame wieder nach Hause, das wird eine Weile dauern.«
Inbrünstig hoffte ich, dass er mich meinte und machte einen Schritt nach vorne, doch mein Gegenüber schüttelte den Kopf. »Wir unterhalten uns jetzt!«
Ich wollte zu Percy rennen, mich in seinen Armen vergraben und ihm von dem bösen Hexenmeister erzählen, stattdessen straffte ich den Rücken und versuchte tapfer mir nicht anmerken zu lassen, was für einen Schiss ich hatte.
Morlok zog sich mit der Frau zurück und ließ uns alleine. Ash Bradak deutete mit dem Kopf zum Sofa. »Und jetzt wollen wir erst einmal in Erfahrung bringen wer du bist.«
Beklommen setzte ich mich hin. In meinem Kopf spukte unentwegt der gleiche Gedanke: Ich hatte ihn geohrfeigt!
»Mel Roomy«, stieß ich hinaus. Offenbar musste ich nichts groß weiterführen, denn in seinen grünen Augen blitzte Verstehen auf. »Die kleine Hexe«, murmelte er.
Naja, klein war ich nicht unbedingt mit meinen einsachtzig, aber neben einem Elfen als Freund und diesem riesigen Hexenmeister, sah ich geradezu winzig aus.
»Bis dahin haben wir es geschafft«, sagte Bradak ungewohnt ruhig. »Und nun zum Grund deines Besuches.«
Ich stellte mir gerade vor, welche Sühnerpose am besten ziehen würde und verwarf sie alle. »Ähm … es geht um … äh …«
»Ja?«, half er mir scheinbar freundlich, aber so doof war ich dann doch nicht zu glauben, er wäre nett und hilfsbereit. »Ähm, also mein Drachenei ging mit einem Wusch in Flammen auf. Dann ist Percy gekommen und hat es mit meinem Feuerlöscher bedroht. Können Sie sich das vorstellen? Er wollte mit meinem Feuerlöscher mein Experiment zerstören. Das habe ich nicht zugelassen und versucht ihn aufzuhalten, immerhin ist diese Prüfung eine sehr ernste, sehr langwierige und …«
»Die Kurzfassung, bitte!«, donnerte der rothaarige Hexer.
»Percy hat auf das Drachenei aufgepasst. Das Ei ist in Flammen aufgegangen und das was drin war ist aus dem Fenster geflogen und ist … weg?«
Seine Augen waren nicht wie schön glitzernde Smaragde, wie es sonst in Romanzen beschrieben wurde, sondern die einer Raubkatze und ich fragte mich im Moment schaudernd, ob ich die Beute war.
»Also, dein Experiment ist dir abhanden gekommen und ein Feuerwesen fliegt frei in der Menschenwelt herum?«
Wie er das jetzt so sagte, klang es weitaus schlimmer. »Äh, ja.«
Ich erwartete ein Brüllen, oder einen Zauberspruch, der mich für den Rest meines Lebens lähmte, doch er blieb ruhig und ging stattdessen zu dem Telefon. Aber diese Ruhe war es, die mich am meisten erschütterte, denn hinter ihr spürte ich seine sengende Wut und außerdem … hatte ich ihm eine gescheuert!
»Genmair?«, sprach er in den Hörer. »Macht euch bereit. Uns ist ein Phönix abhanden gekommen.«
»Ein Phönix?«, entkam es mir etwas erstickt. Was zur Hölle hatte das Ei eines Phönixes bei mir zu suchen?
Der Hexenmeister hatte mich scheinbar vergessen. Ich dachte an die Geschichte der Phönixe, dass sie weise edle Tiere waren … aber nur im hohen Alter. In seiner jetzigen Form würde das Tier nur Unsinn anstellen und die ganze Stadt als sein Nest ansehen.
»Ja, wir gehen zu dritt. Nimm Morlok noch mit, das sollte reichen«, ordnete Ash weiterhin an.
»Ich komme mit«, unterbrach ich ihn entschieden und hätte am liebsten die Kurve gekratzt, als er mich sehr böse anschaute. Aber dieses Mal ließ ich mich nicht kleinkriegen. »Das ist mein Experiment und meine Verantwortung. Ich will nicht tatenlos dastehen, während Menschen in Gefahr sind.«
Daheim zu sitzen und auf irgendeine gute oder schlechte Nachricht zu warten könnte ich niemals durchstehen.
»Wir sind zu viert.«
»Äh, mein Mitbewohner ist auch hier. Also, es ist ein Elf, ich denke mal, es wäre nützlich ihn dabeizuhaben.«
»Zu fünft«, bellte er nun in den Hörer. Ich hatte das Gefühl, dass sein rotes Haar vom Kopf abstand, aber das würde bedeuten, dass er seine Kräfte nicht unter Kontrolle hatte.
Mit einem Knall legte er das Telefon weg und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf mich. Um ihm keine Gelegenheit zu geben seinen Zorn an mir herauszulassen, zückte ich mein Handy und rief Percy an.
»Komm zur Tür, du darfst bei der Party mitmachen«, versprach ich ihm und legte auf. Percy würde mich nun garantiert verfluchen, denn immerhin kam er nicht zu der Party, die er sich vorstellte, aber hey! Die Beziehungen zwischen Elfen und Hexenmeistern müssten dringend aufpoliert werden!

2

 

 

 

Nie im Leben hätte ich gedacht, dass man eine Party so schnell beenden konnte. Percy war noch nicht mal an der Tür, da rauschte Bradak durch das Haus und rief nur zwei Sätze: »Geht nach Hause! Die Party ist vorbei!«
Die Gäste verstummten alle auf einmal, sogar der Mann am DJ-Pult beendete die Musik. Ich erwartete Fragen oder schlechtgelaunte Kommentare, doch Massen von Hexen und Hexern, die vorhin noch ausgelassen gefeiert hatten, strömten nur so aus dem Haus.
Mir stand der Schweiß auf der Stirn, weil sich meine schlimmsten Befürchtungen bewahrheiteten. Ash Bradak war kein Mann, mit dem man sich anlegen sollte. Ich fühlte mich auf einmal wie damals, als ich vor lauter Liebeskummer zehn Tafeln Schokolade gegessen hatte. Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen, außerdem hatte ich das Gefühl, bei jedem Blick von ihm zusammenzuzucken.
»Mel?«
Percy stand in der Tür zum großen Salon. Seinem makellosen Gesicht haftete etwas Misstrauisches an. Ich wollte sofort zu ihm laufen, doch eine Hand legte sich auf meine Schulter und hielt mich davon ab. Mit einer schrecklichen Vorahnung blickte ich auf und spähte in Bradaks lächelndes Gesicht hinter mir.
»Nun, kleine Hexe, wir wollen uns noch einmal ausführlicher unterhalten. Du musst Percy sein, nicht wahr?«
Ich blickte zu meinem Mitbewohner und hielt den Atem an, als ich sah, dass er die Hände zu Fäusten geballt hatte. War er wütend auf mich? Ja, ich hatte ihn reingelegt, aber ich hatte nicht erwartet, dass er mir deswegen zürnen würde.
»Lass sie los. Sie hat Angst.«
Überrascht hörte ich seine Worte. Sorgte er sich um meine Wohlergehen?
»Percy!«
Ich riss mich von meinem Hexenmeister los und versteckte mich hinter Percys Rücken, krallte mich in seinem Hemd fest.
Plötzlich hörte ich schallendes Gelächter. Ich wagte an Percy vorbeizuschauen und konnte einen jungen Mann mit Augenklappe sehen. Das musste der Pirat sein. Wenn ich mich recht erinnerte, hieß er Ruben.
»Der Elf hat recht, Onkel. Du machst der kleinen Hexe Angst.«
Onkel?
Ash Bradak nahm tief Luft und fuhr sich gereizt durch sein längeres Haupthaar. »Ruben, halt dich raus. Das hier ist geschäftlich.«
»Hm«, machte der junge Mann, schien jedoch nicht vorzuhaben diesen Ratschlag zu befolgen. Er kam in den großen Raum und setzte sich auf ein Sofa. »Genmair meinte, es gäbe Ärger. Die ganze Truppe ist versammelt, wieso hast du mir nicht Bescheid gegeben?«
»Weil du nicht mitgehen wirst«, meinte Ash ungerührt.
»Ich bin dein Stellvertreter, Onkel, und ich werde euch begleiten.«
Irgendetwas ging zwischen den beiden vor. Ich war neugierig herauszufinden was es war, aber andererseits war ich froh, dass dieser junge Mann die Aufmerksamkeit meines Hexenmeisters von mir abgelenkt hatte.
»Es geht um einen Phönix, mich dabei zu haben ist das Beste, was dir passieren kann«, fuhr Ruben fort.
»Dem kann ich nicht widersprechen«, warf ein anderer Mann ein. Genmair, der Sultan, zeigte sich von seiner beste Seite. Er hatte blonde kurze Haare und ein so schön geschnittenes Gesicht, dass ich ihn am liebsten angefleht hätte, seine Haremsdame sein zu dürfen.
»Ich bin der gleichen Meinung wie Genmair«, meldete sich ein weiterer Hexer zu Wort. Er stand mir am nahesten, daher reichte ein Blick in seine blauen Augen, um ihn als Morlok zu identifizieren. »Ruben ist ein Bindungshexer. Wenn du also nicht vorhast den Phönix zu töten, dann musst du ihn wohl oder übel mitnehmen.«
Bei dem Wort Bindungshexer standen mir die Haare zu Berge. In diesem Moment begegnete ich Rubens Blick und hielt unwillkürlich den Atem an. Bindungshexer waren sehr selten und äußert gefährlich. Sie als einzige konnten mithilfe ihrer Hexerkraft den Geist eines Menschen manipulieren. Schon immer hatte man ihre Kraft gefürchtet und in früherer Zeit sogar Hetzjagden auf sie veranstaltet.
Als würde er meine Gedanken kennen, lächelte er mich breit an. Ich rang zittrig nach Luft und verfolgte das Gespräch weiter.
»Oder möchtest du den Phönix töten?«
»Nein, verdammt!«, brauste Bradak auf. »Ken, du hast heute schon etwas getrunken. Kannst du für unseren Schutz sorgen?«
Ken musste der Vampir sein. Er hatte sich von seinem langen Umhang, den falschen Zähnen und dem Makeup befreit. Zum Vorschein kam ein Mann mit leicht asiatischen Zügen und feinen Grübchen in den Wangen. Seine Frisur erinnerte an den indianischen Tomahawk. Ich erkannte mystische Linien, die in seinen Schädel tätowiert waren.
»Klar, ich hatte nur ein Bier.«
Seine Stimme war unerwartet sanft und stand im Gegensatz zu seinem tätowierten und gepiercten Äußeren. »Meine Blutmagie wird durch diese eine Flasche nicht beeinträchtigt.«
»Gah!«
Alle Gesichter wandten sich in meine Richtung und mir fiel auf, dass dieser entsetzte Laut von mir gekommen war. Oh Gott! Ein Bindungsmagier, ein Blutmagier. Was kam noch? Argwöhnisch sah ich zu den restlichen Hexern.
»Was ist los, kleine Hexe?«
Klar, ich hatte Schiss, aber langsam pisste mich dieser Spitzname wirklich an. »Ich heiße Mel. Mel Roomy«, wiederholte ich, meinem Hexenmeister genau in die Augen sehend.
»Sehr tapfer, wirklich. So, wie du dich an deinen Elfenfreund klammerst«, kommentierte er weiter.
Blödmann! Ich stürzte schon vor, aber es war Percy, der mich davor bewahrte etwas Dummes zu tun.
Ash Bradak lächelte mich an, als hätte er in diesem Moment etwas sehr Interessantes an mir entdeckt. »Ja?«
»Geht es Ihrer Wange wieder gut?«, fragte ich liebenswürdig.
Morlok verschluckte sich an dem Schluck Wasser, dass es ihm zur Nase herauskam. Sogar Genmairs Augen weiteten sich.
Ash Bradak strich sich mit der Hand über die Wange, die ich geohrfeigt hatte. »Ja, es war wirklich … unvergesslich.«
Unvergesslich? Es war genau das, was er verdient hatte! Ich versuchte mich selbst zu beruhigen. Das hier war mein Hexenmeister und den sollte ich am besten nicht verärgern, aber selbst in dieser brenzligen Situation konnte ich mein vorlautes Mundwerk nicht halten.
»Wollen wir nicht langsam besprechen was hier los ist?«, fragte Percy.
Bradak hob spöttisch eine Braue, nickte schließlich. »Wir haben keine Zeit, also versuchen wir es so schnell wie möglich hinter uns zu bringen. Laut den Erzählungen der kleinen Hexe ist euch ein Phönix entwischt.«
»Es sollte aber ein Drachenei sein«, wandte ich ein. »Das war meine Prüfungsvorgabe. Ich habe ihn jeden Tag in der Lösung gebadet, die für ihn gedacht war.«
»Das spielt keine Rolle.« Dieses Mal war es Ruben, der sprach. »Ein Phönix liebt die Wärme ebenso wie ein Drache. Die Bedingungen für beide Eier sind ähnlich. Ich kann es nur nicht glauben, dass du so einfach an ein Phönixei kamst. Diese sind so gut wie kaum aufzufinden.«
Das wusste ich auch. In der alten Welt waren sie vom Aussterben bedroht. Viele Hexen und Hexer versuchten diese Tierart zu retten und hatten nicht besonders viel Erfolg damit.
»Von wem hattest du das Ei?«
»Von meiner Beraterin«, antwortete ich ehrlich. »Ich habe es zusammen mit meiner Partnerin bekommen.«
»Das bringt mich auf einen anderen Gedanken. Wo ist diese Partnerin von dir?«
Bradaks Frage gefiel mir nicht. Klar, Tracy Winds hatte mich im Stich gelassen, aber ich wollte ihr keinen Ärger machen.
»Sie feiert.«
»Percy!«, rief ich aus.
Der Elf zuckte mit den Schultern. »Versuch bloß nicht für jemanden deinen Kopf hinzuhalten, der dir das noch nicht einmal dankt. Die gute Dame hat sich nach dem ersten Tag nicht ein einziges Mal blicken lassen. Du hast geschuftet und kaum eine Nacht gehabt, in der du durchschlafen konntest.«
»Ist das so?«
Ich wagte nicht meinem Hexenmeister in die Augen zu sehen. »Sie ist sehr jung.«
»Ich würde eher sagen, für diese Prüfung bist du etwas zu alt.«
Beleidigt blickte ich auf, presste jedoch meine Lippen zu einem dünnen Strich, damit mir keine weiteren Verwünschungen entkamen.
»Gut, hier können wir sowieso nichts machen. Ich schlage vor, wir fahren los und sehen uns in der Nähe deiner Wohnung um«, entschied Bradak.
»Ich begleite euch!«, teilte Ruben allen mit. Niemand erhob Einwände.
Mein Hexenmeister sah aus, als hätte er in etwas Saures gebissen und ich grinste ihn an.
»Im Auto ist kein Platz für sieben Leute. Kleine Hexe, du wirst auf meinem Motorrad mitfahren.«
Mein Grinsen fiel zusammen mit meiner Kinnlade nach unten.

»Ich hasse Sie!«
Ich lehnte mich zitternd gegen die Wand, die zu unserem Wohnhaus gehörte. Wir hatten die Strecke zurück in der Hälfte der Zeit geschafft, die wir für die Fahrt zu Bradaks Anwesen benötigt hatten. Von Anfang an war er wie ein Verrückter gerast. Abgesehen davon, war ich nicht wirklich für einen Ritt auf einer Harley Davidson angezogen. Mein Kleid war die ganze Zeit nach oben geflogen und ich hatte mich in Todesangst an Bradak geklammert und nicht gewagt loszulassen. Ich wollte nicht wissen, wie viele Autofahrer mein Höschen gesehen und fotografiert hatten. Wenn ich demnächst Bilder von mir in den sozialen Netzwerken zu sehen bekam, würde ich ihn umbringen! Zumindest hatte ich einen Helm getragen, der meine Identität verbarg.
Der rothaarige Hexer stand mir gegenüber und zündete sich seelenruhig eine Zigarette an. »Du sagst wirklich die nettesten Sachen zu mir.«
Den Drang unterdrückend ihm noch eine zu scheuern, kämpfte ich darum meinen aufgewühlten Magen zu beruhigen. Eigentlich hätte ich mich nicht zurückhalten und ihn vollkotzen sollen!
Bradak schaute auf seine Uhr. »Dein Elfenfreund scheint nicht der Schnellste zu sein, was das fahren betrifft, oder?«
»Oder Sie sind nichts anderes als ein gewissensloser Raser, der …«
Weiter kam ich nicht, denn er stand plötzlich vor mir. Ich presste mich gegen die Wand, aber er beugte sich so weit vor, bis unsere Nasen sich fast berührten.
»Ja?«, fragte er leise, fast schnurrend.
»Auszeit!«, rief ich und wedelte mit der Hand vor meinem Gesicht. In dem Moment erklang ein Hupen und Percy lenkte sein Auto am Bordsteinrand. Bradak wirkte, als ob er bedauern würde unterbrochen worden zu sein. Ich stieß erleichtert die angehaltene Luft aus und hätte Percy am liebsten vor Dankbarkeit geknutscht.
»Mel, geht es dir gut?«
Mein Freund ignorierte Bradak und kam zu mir. Seine Hände waren warm, als er sie mir auf die Wangen legte. Ich hatte eine Jacke an, aber der Fahrtwind war eisig kalt gewesen.
»Das war unnötig«, kommentierte Percy. »Sie hätte im Auto fahren können.«
»Abgesehen von mir haben die meisten schon etwas getrunken. Nein, sie hätte nicht im Auto fahren können.«
Wenn er es so sagte, klang es beinahe logisch, aber ich hatte das Gefühl, dass er mich vielmehr büßen lassen wollte. Er war mir von Anfang an unsympathisch, aber mittlerweile hatte ich wirklich das Gefühl, dass er ein vollkommener Sadist war!
»Wo liegt eure Wohnung?«
Ruben gesellte sich zu uns. Ein langer Mantel verbarg seine Schmächtigkeit. Wann immer ich ihn ansah, hatte ich das Gefühl, er wäre körperlich schwach. Begegnete ich hingegen seinem einzigen Auge, erzitterte ich innerlich. Ganz gleich, wie schwach sein Körper war, als Hexer war er sicher einmalig.
Stumm deutete ich zu dem offenen Fenster im zweiten Stock. »Ich war in der Küche und habe den Sud für das Bad vorbereitet. Percy saß im Wohnzimmer und kam dann zu mir. Das Ei wurde immer wärmer und verwandelte sich schließlich in einen Aschehaufen. Ich glaubte zuerst, es wäre zerstört, aber dann kam es verändert zum Vorschein.«
»Verändert?«, hakte Morlok nach.
»Die Farbe der Schale war anders, irgendwie klarer.«
»Moment mal, es verbrannte in einem Aschehaufen und kam dann nicht als Phönix zum Vorschein?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, der Phönix kam aus dem Ei, indem er es von innen heraus zerstörte.«
»Grundgütiger!«, entfuhr es Genmair.
Ihr seltsames Verhalten konnte ich mir nicht erklären. In meinem Kurs hatte ich das Thema Phönixe schon mal durchgehabt, aber viel wussten wir nicht über sie. Ich dachte, das Schlüpfen, wie es in meiner Küche passiert war, sei vollkommen normal.
»Es ist eine Königin«, mutmaßte Bradak.

Eine Königin! Mir hallten Bradaks Worte immer noch in den Ohren, als ich die Tür zu unserer Wohnung aufschloss und die Hexer eintreten ließ.
Nach dem katastrophalen Abgang meines sogenannten Drachens, hatten wir die Lichter gelöscht, aber alles weitestgehend so belassen wie es gewesen war. Ich scheute mich davor, all diese Männer in meine Küche zu führen. Wenn ich Tränke zusammenhexte, war ich zu sehr damit beschäftigt die Zutaten korrekt zuzuführen, daher beseitigte ich das entstandene Chaos meist hinterher.
Meine Küche sah nicht aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen, aber sauber war sie auch nicht.
»Der Sud?«, fragte Genmair, nachdem ich das Licht eingeschaltet hatte. Er wartete meine Antwort nicht ab, sondern ging zu dem Gebräu und spähte hinein. Die schöne goldene Färbung hatte sich in Bronze verwandelt, aber die Wärme war immer noch vorhanden.
Genmair schloss die Augen und sog den Geruch tief in sich hinein. »Das ist ein guter Trank. Die Konzentration des Drachengolds ist genau richtig. Wie ist deine Bewertung bei der Trankherstellung?«
»Mel ist eine der Besten in ihrer Klasse«, erzählte Percy stolz.
»Und wieso ist sie nicht schon viel weiter? Vom Alter her könnte sie mittlerweile ihre fünfte Prüfung absolviert haben«, sagte Morlok.
Alle Augen richteten sich auf mich. »Ich wollte studieren.«
»Wofür?«, fragte Ruben spöttisch. »Als Hexe gibt es nur einen Weg, den man bestreiten kann.«
Sowas kotzte mich an! »Wer sagt das? Ich sah nicht ein, warum ich meine Zukunftspläne aufgeben sollte, weil ich plötzlich anfing die verrücktesten Sachen um mich herum zu wirken. Schon immer träumte ich davon zu studieren, also habe ich es getan. Das war mein Weg, und ich bin ihn gegangen!«
Die plötzliche Stille erinnerte mich daran, dass diese Männer mächtige Hexer waren. Um mich abzulenken ging ich zu dem Aschehaufen auf dem Tisch. Erneut spielte sich vor meinen Augen ab, was sich zugetragen hatte.
»Ist das die Asche?« Ken trat neben mich und ging in die Hocke. Was er dann tat, erschreckte mich, so dass ich einen Schritt zurücktrat. Er holte einen Dolch aus der Scheide, die er an seinem Gürtel befestigt hatte und griff nach einer meiner sauberen Schüsseln.
Ich zuckte zusammen, als er sich in die Handfläche schnitt. Es musste höllisch wehtun, aber er verzog nicht eine Miene. Angewidert sah ich dabei zu, wie er sein Blut in das Gefäß fließen ließ und dann einen Teil der Asche hinzugab.
Sein Gesicht wirkte vollkommen konzentriert, dann setzte er die Kraft ein, die ihn zum Blutmagier machte.
Mir wurde schlecht. Ich musste mich am Tischrand festhalten. Meine Beraterin hatte es eine Sensibilisierung auf die Hexenkraft genannt. Wenn jemand in meiner näheren Umgebung starke Magie wirkte, reagierte ich darauf. Es war nicht immer so schlimm wie jetzt. Ich vermutete, dass es an der Macht lag, die der Hexer besaß und Ken schien über reichlich davon zu verfügen.
Um mir mein Unwohlsein nicht anmerken zu lassen, ging ich zum Fenster und schloss es zu.
»Was meintet ihr mit einer Königin?«, hakte ich dann nach.
»Elf, willst du es ihr nicht lieber erzählen?«, fragte Bradak.
Verwundert schaute ich zu Percy. Die Art, wie mein Mitbewohner sich wand, gefiel mir nicht. »Ja?«
Percy atmete tief ein, schließlich stieß er einen derben Fluch aus. »Es dürfte eigentlich unmöglich sein, weil wir die letzte Königin getötet haben.«
Verwirrt schüttelte ich den Kopf. »Ich verstehe nicht …«
»Auf der Erde existieren keine magischen Wesen«, begann mein Freund. »Die ganzen Legenden und Sagen stammen aus meiner Welt. Der Phönix kann sich neu erschaffen, indem er aus seiner Asche aufersteht, aber neue Phönixe werden nur von einer Königin geboren. Deren Eier können Jahrhundert, sogar Jahrtausende überstehen. Es hieß, die Elfen drohten unterzugehen, weil sie so viele davon legte. Wir verloren ganze Städte an den Neugeborenen, bis wir die Entscheidung trafen sie zu töten …«
Er sprach nicht weiter und ich selbst war auch wie paralysiert. »Ihr wolltet die Phönixe ausrotten?«
»Es wurde damals viel darüber debattiert. Aber es gab nicht nur die Phönixe, die uns zusetzten, sondern auch noch die Drachen und viele andere magische Kreaturen. Es ging wirklich ums Überleben, also warteten wir ab, bis ein königliches Ei gelegt wurde und töteten schließlich die Königin. Das Ei wurde in unserer sichersten Festung verwahrt. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ausgerechnet hierher gelangt ist.«
Das zu hören fühlte sich an, als wäre Percy eine vollkommen fremde Person. Er klang so ungewohnt ernst, so gar nicht nach meinem sorglosen Freund. »Wieso hast du das nicht gleich gesagt? Wenn du die Geschichte kennst, dann musst du doch gewusst haben, dass es sich um eine Königin handelt, oder?«
»Mel, wir sprechen von einer Sache, die zwei Jahrtausende zurückliegt. Was ich weiß, habe ich nicht selbst erlebt, sondern aus den Erzählungen meiner Eltern erfahren. Und selbst jetzt fällt es mir schwer zu glauben.«
Mir wurde die Tragweite dessen bewusst, was er mir erzählt hatte. Aber was mir am wichtigsten erschien, war eine ganz besondere Frage: »Wann beginnt die Königin damit, ihre Eier zu legen?«
Wenn den Elfen durch sie die Ausrottung gedroht hatte, wollte ich nicht wissen, wie es bei uns werden würde.
»Das ist die entscheidende Frage, kleine Hexe«, sagte Bradak lächelnd.

Es war dunkel und kalt. Ich hatte mich rasch umgezogen und trug Jeans, Turnschuhe und einen Pullover, aber ich fröstelte immer noch. Vielleicht lag es an dem Zauber, den Ken gewirkt hatte.
Der Hexer ging vor uns. Den Inhalt mit seinem Blut und der Asche, hatte er in eine Phiole gefüllt, die ein schwaches Leuchten aussandte.
Es war ein komplizierter Suchzauber. Ich kannte einige einfache Zauber, aber dieser hier, mit Blutmagie gewirkt, war zu hundert Prozent präzise.
Da wir bereits drei Uhr früh hatte, begegneten uns zum Glück nicht viele Menschen.
Ich wollte nicht wissen, wie wir für andere aussahen. Fünf Männer, ein Elf und eine Hexe in ihrer Mitte, die blindlings mitten in der Nacht einem magischen Lichtlein folgten.
Percy ging neben mir und hatte nach meiner Hand gegriffen. Ich konnte mir diese plötzliche Anhänglichkeit nicht erklären. Klar kuschelten wir oft miteinander. Elfen waren sehr auf Berührungen bedacht und er war mein bester Freund, aber heute schien er mir besonders zugetan zu sein.
»Fühlst du schon etwas?«, fragte Genmair.
Ich zerbrach mir die ganze Zeit den Kopf darüber, welche Art von Hexerei Morlok und er wirken konnten. Und Bradak? Persönlich hatte ich ihn erst heute Nacht getroffen, aber was ich über ihn gehört hatte, würde ein Dutzend Horrorbücher füllen.
Einmal hatte eine Hexe ihm ein misslungenes Experiment überreicht, danach war sie zwei Monate lang völlig haarlos gewesen. Sie konnte sich noch nicht einmal eine Perücke aufsetzen, denn die wurde immer von dem Zauber auf ihrer Kopfhaut abgestoßen. Zwar hatte sie nie wieder einen Trank verpatzt, aber ich zitterte alleine bei dem Gedanken daran.
Ich konnte nicht anders, als ihn von der Seite anzusehen. Er war nicht überirdisch schön wie Genmair, sondern erinnerte mich an einen Fuchs. Wenn ich in sein Gesicht sah, fragte ich mich immerzu, was er als nächstes aushecken würde, und ich war mir zu hundert Prozent sicher, dass ich darunter zu leiden hatte.
»Wisst ihr, was mich überrascht?«, unterbrach Ruben die Stille. »Ich habe auf unserem Weg nicht die kleinste Stichflamme gesehen. Ken, funktioniert dein Zauber?«
Der Asiate drehte sich mit stechendem Blick herum und musterte Ruben lange. Dieser hob beschwichtigend die Hände. »Oder findest du das nicht merkwürdig?«
Ich tat es nicht, aber ich war auch keine Expertin, wenn es um Phönixe ging. Das Thema war Bestandteil der nächsten Prüfung. Sollte ich dieses Fiasko gelöst haben, würde ich ordentlich büffeln, das schwor ich mir.
»Und wenn die Königin gestorben ist?« Morlok blieb stehen und sah in den dunklen Himmel. »Königinnen schlüpfen am Tag und lassen sich von der Sonne wärmen.«
»Es lebt«, zischte Ken. »Die Spur ist noch da, also ist der Phönix nicht tot!«
Das plötzliche Klingeln meines Handys erschreckte mich. Jeder der anwesenden Männer wandte sich mir wie eine Person zu. Klar, ich hatte gebeten dabei zu sein und nun störte ich diese Suche.
Ihre Blicke ignorierend, wandte ich ihnen den Rücken zu und ging ran. Zu dieser Nachtzeit rief kaum einer an, vielleicht war es ein Notfall.
»Roomy hier.«
»Mel, wo zur Hölle steckst du? Wolltet ihr das Vieh nicht einfangen?«
Verdutzt blieb ich stehen. »Tracy?«
»Nein, der heilige Geist! Natürlich bin ich es«, schnappte sie aufgeregt. Im Hintergrund hörte man Schreie.
»Was ist los bei euch?«
Jetzt war ich mir der Aufmerksamkeit der Hexer sicher. Sie rückten so nah an mich heran, dass ich Platzangst bekam.
»Das Vieh ist bei uns. Wo bleibt ihr?«
Tracy war so laut gewesen, dass jeder es mitbekommen hatte. Am verwirrtesten schien Ken zu sein, denn sein Zauber zeigte immer noch in die falsche Richtung. Ich wusste, dass Tracy auf der Feier ihrer besten Freundin war und diese wohnte am anderen Stadtende.
»Bist du sicher? Ist es ein Phönix?«
»Ob ich sicher bin?« Ihre Stimme drohte zu kippen. »Das Ding hat das Haus meiner Freundin abgefackelt. Und jetzt will es zum nächsten.«
Innerlich fühlte ich mich hundeelend. »Ist jemand verletzt oder … getötet worden?«
Das könnte ich mir nie verzeihen.
»Nein, wir haben zum Glück im Garten gefeiert. Als das Vieh kam, sind wir alle in den Nachbarsgarten gerannt. Aber das verdammte Haus brennt ab.«
Mir wurde schwindlig. Es war eine unendliche Erleichterung, dass niemand zu Schaden gekommen war, aber ich rechnete mir bereits die Summe zusammen, die ich den Besitzern als Entschädigung zu zahlen hatte. Das Gefühl kotzen zu müssen verstärkte sich.
»Tracy, gib mir deine genaue Adresse. Wir kommen sofort vorbei.«
»Beeilt euch«, schrie sie, dann nannte sie mir den Treffpunkt.
Nachdem ich aufgelegt hatte, versuchte ich ruhiger zu atmen, aber die Hexer standen immer noch so dicht bei mir. Aus ihren Diskussionen hörte ich nur Vermutungen heraus. Viele zweifelten an Kens Zauber, aber dieser beharrte weiterhin stur, dass er nicht fehlgeschlagen war.
Ich schob mich zwischen sie durch und ging zu einem Busch, wo ich mich lautstark übergab. Jemand hielt mir meine langen Haare aus dem Gesicht und massierte mir sanft den Rücken.
Nachdem es mir etwas besser ging, schaute ich auf und erwartete Percys Gesicht zu sehen, doch es war Bradak, der neben mir stand.
»Entschuldigung, ich wollte nicht …«, stammelte ich, aber er schüttelte nur den Kopf. »Geht es jetzt besser?«
»Es hätte jemanden töten können und dass kann noch passieren. Dann wäre es meine Schuld.«
»Wir haben noch immer nicht geklärt, wie ein Phönixei in deinen Besitz gelangen konnte. Ein junger Drache ist anschmiegsam und gehorsam, deswegen wurde die Prüfung auf ihn zugeschnitten. Phönixe sind das genaue Gegenteil. Komm, steh auf. Wir müssen weitermachen.«
Ich ließ mir aufhelfen und griff nach einem Taschentuch, um mir den Mund abzuwischen. Gäbe es den Phönix nicht, ich hätte mich vor Scham gewunden vor Bradaks Augen gekotzt zu haben, doch so war ich vielmehr mit der mir entflohenen Kreatur beschäftigt.
Wir kehrten zu den anderen zurück. Percy warf mir einen besorgten Blick zu. Eine hitzige Diskussion war bei den anderen entstanden. Ken beteuerte die ganze Zeit, dass sein Zauber funktionierte. Ruben hielt dagegen, dass Tracy sich in der entgegengesetzten Richtung befand. Ich hatte am Telefon ihre Adresse laut nachgesprochen, damit ich sie mir besser merken konnte. Die Stimmung drohte zu kippen. Aus diesem Grund war Percy nicht bei mir geblieben. Elfen konnten zu den schlimmsten Feinden zählen, aber ihre Natur war friedliebend. Mit einem Elf in ihrer Mitte konnten sogar die erbittertsten Feinde zu einem Kompromiss kommen, weshalb viele bei uns als Vermittler arbeiteten.
»Ruhe!«, donnerte Bradak und alle wandten sich uns zu.
»Es gibt nur eine Möglichkeit alles zu prüfen«, fuhr er fort. »Wir teilen uns auf. Jemand geht mit Ken und die anderen überprüfen die Hexe.«
»Genmair und ich gehen mit Ken«, entschied Morlok. Der blonde Hexer nickte einverstanden.
Gesagt, getan.

Ich war unendlich erleichtert darüber dieses Mal im Auto sitzen zu können. Die anderen setzten die Suche zu Fuß fort. Tracys Freundin wohnte im Osten von Miramar. Percy kannte die Gegend und fuhr schweigend. Ich saß mit Ruben auf der Rückbank, Bradak thronte auf dem Beifahrersitz. Jeder hing seinen Gedanken nach.
Ich hoffte die ganze Zeit, dass niemand ums Leben gekommen war. Alleine die bloße Vorstellung davon hatte mich zum Kotzen gebracht.
»Scheiße!« Der Ausruf kam von Percy.
Ich richtete mich auf und beugte mich nach vorne, blickte an ihm vorbei. Hier gab es nicht so viele Hochhäuser, daher sah ich den grellen Schein sofort und identifizierte ihn als ein Haus, das brannte … oder mehrere Häuser, die in Flammen standen.
Die schrille Sirene eines Löschfahrzeuges war zu hören, noch bevor der große Wagen um die Ecke schoss und in die Richtung verschwand, die unser Ziel war.
»Das ist … ein großes Feuer«, murmelte Percy.
Viele Gaffer hatten sich auf der Straße vor ihren Häusern versammelt. Einige packten vorsorglich ihre wichtigste Habe in ihre Autos. Dokumente, Wechselkleidung, was man eben rettete, wenn das Haus abzubrennen drohte.
Mir wurde immer mulmiger zumute. Vielleicht hatten sie gesehen wie groß das Feuer wirklich war. Ich war froh schon gekotzt zu haben, sonst würde ich es wieder tun. Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen.
Wir überholten mehrere stehende Autos und erreichten eine Absperrung. Ein Polizist wies uns an umzukehren, da stieg Bradak aus. Ich hörte nicht was gesprochen wurde, da sie zu weit weg waren.
»Mel, alles in Ordnung bei dir?«
Percy drehte sich zu mir um. Er war mein bester Freund und kannte mich sehr gut. Stünde er neben mir, er hätte mich in den Arm genommen.
»Ruben, du fährst«, entschied er unerwartet.
»Was? Ich habe keinen Führerschein«, entgegnete der junge Mann. »Aber ich verstehe worauf du hinaus willst.«
Plötzlich zog Ruben mich an sich und umarmte mich. Ich versteifte mich automatisch, aber er hatte nichts Doppeldeutiges oder Schweinisches im Sinn. Diese Umarmung war genau das, was ich brauchte.
»Was geht hier vor?«
Bradak stand neben dem Wagen, eine Braue misstrauisch in die Höhe gezogen. »Bandelst du etwa mit meinem Neffen an? Reicht dir der Elf nicht?«
Meine Sorgen waren vergessen! Ich befreite mich aus Rubens Umarmung und funkelte ihn wütend an, doch jener lachte nur laut auf. »Das ist viel besser. Diese Elendsmiene passt nicht zu dir.«
Das nahm mir den Wind aus den Segeln. Hatte er das absichtlich gesagt? Es wirkte, mir war nicht mehr zum Heulen zumute.
»Wir können durch.« Mein Hexenmeister setzte sich wieder auf den Beifahrersitz. »Die Löschfahrzeuge sind bereits vor Ort und warten nur auf das Okay der Spezialeinheit. Laut dem Polizisten gibt es keine Opfer, aber es brennen bereits mehrere Häuser. Die Spezialeinheit will versuchen das Tier einzufangen. Wir unterstützen sie dabei.«
»Unterstützen? Ich kann den Phönix alleine einfangen, dann gibt es keine Verletzte«, hielt Ruben dagegen.
»Das klären wir mit dem Einsatzleiter.«
Ruben machte ein unzufriedenes Gesicht, führte das Gespräch aber nicht weiter fort.
Wir spürten die Hitze, noch bevor wir das Feuer sahen. Die Straßen waren weitestgehend geräumt. Ich sah keine Menschen. Offenbar war bereits hinter der Absperrung alles evakuiert worden.
Percy parkte sein Auto am Straßenrand. Vor uns hielten sich mehrere Fahrzeuge
auf. Die Feuerwehr wartete ungeduldig im Hintergrund.
Die Mitglieder der Spezialeinheit, die derzeit das Kommando besaß, bestanden aus Hexen und Hexern, die für alle Eventualitäten ausgebildet worden waren. Normale Menschen kamen gegen uns nicht an, daher waren sie dafür zuständig uns zu bändigen und einzufangen, sollten wir gegen das Gesetz verstoßen.
Ich stieg mit den anderen aus und folgte Bradak zu den Umstehenden. Eine von ihnen stach aus der Menge heraus. Sie war so groß wie ich, aber die Uniform schaffte es nicht, ihre ganzen Muskelberge zu verbergen. Sie war die stärkste Frau, der ich je begegnet war.
»Scheiße, Bradak! Ich hätte wissen müssen, dass du dahinter steckst«, sagte sie anstelle einer Begrüßung.
»Nina Webs«, entgegnete Bradak. »Was für eine angenehme Überraschung.«
»Spar dir den Scheiß«, unterbrach sie ihn grob. »Dafür habe ich keine Zeit.«
Ich ging an ihr und den anderen vorbei und spähte zwischen den Fahrzeugen auf das Feuer. Es war schrecklich, verheerend. Mich entsetzte die Geschwindigkeit, mit der es sich durch die Heime vieler Familien fraß. Trotz der Zerstörungswut der Flammen, gab es aber einen ganz besonderen Umstand, der mir fast den Rest gab.
»Sie brennen von unten nach oben«, rief ich. Die Männer begriffen sofort was ich meinte und eilten zu mir.
»Mist! Ken hatte Recht«, brummte Ruben.
Noch bevor das Wesen auf uns zukam, wussten wir, dass es sich nicht um meinen Phönix handelte. Ein Phönix hätte sein Feuer aus der Luft nach unten gespien und den Dachstuhl zuerst in Brand gesetzt. Das Tier, welches um die Häuserecke trottete, hatte vielmehr Ähnlichkeit mit einem Komodowaran, nur in der Größe eines Pferdes. Ich hatte mal ein Pferd von nahem gesehen. Es war schwarz und riesengroß gewesen, mit ausgeprägten Muskeln und seidig glänzendem Fell. Trotz seiner Schönheit hatte ich mich in Acht genommen. Das gleiche fühlte ich bei diesem Tier. Seine Haut war dick wie Leder und schimmerte in den verschiedensten Rottönen, von dunkelrot bis zu einem grellen Orange. Dieses Schimmern schien beinahe lebendig zu sein, bis mir auffiel, dass es sich wirklich bewegte. Die Haut dieses Wesen besaß ein Eigenleben, aber als ich genauer hinsah, erkannte ich, dass man durch diese dicke Haut hindurchsehen konnte. In dem Moment, in dem ich zu dieser Erkenntnis gelangte, öffnete es sein Maul und spie Feuer auf ein bereits brennendes Haus. Das flüssige Feuer, welches sich in seinem Körper befand und nach vorne zum Maul transportiert wurde, erzeugte dieses Schimmern. Ich empfand es als unvergleichlich schön, aber tödlich. »Was ist das?«
»Ein Feuerbasilisk«, knurrte Bradak. »Ein Wesen, das hier nicht sein dürfte.«
Wie war es hierhergekommen? Basilisken schlüpften auch aus Eiern. Nein, dieser Gedanke war zu abwegig.
Der Basilisk hatte uns entdeckt und wandte uns seinen mächtigen Schädel zu. Die Augen einer Schlange starrten mich an. Aus seinem Maul troff zwischen den spitzen Zähnen Flüssigkeit zu Boden und entflammte sogleich. Das Feuer schien ihm nichts anzuhaben, aber immerhin war er eine magische Kreatur. Obwohl ich vor Angst zitterte, fühlte ich eine unerklärliche Anziehung zu dem ungezähmten Biest. Ich hob schon den Fuß um voranzuschreiten, da hielt Bradaks Stimme mich rechtzeitig zurück.
»In Ordnung, wir haben seine Aufmerksamkeit. Webs, wo willst du das Ding haben?«
»Zurück in seine Welt«, schnarrte diese. »Für den Moment will ich es eingefangen und ruhiggestellt haben. Die Gegend ist bis zur Absperrung evakuiert. Reicht euch das?«
»Es wird völlig reichen«, sagte Ruben und zog seinen Mantel aus. Darunter erkannte ich ein Hemd, das man nur wegen des Schnittes ein Hemd nennen konnte, denn es war durchsichtig. Er fing an auf den Basilisken zuzugehen. Ein schwaches Leuchten ging von seinem Körper aus … Nein, es war nicht sein Körper, sondern Tätowierungen … Runen! Es waren Runen!
Das war Wahnsinn! Runen waren Bestandteile der anderen Welt. Sie konnten einen Menschen versklaven, oder ihm unendliche Macht verleihen. Wieso zum Teufel trug Ruben Runen permanent auf der Haut? Ein Bindungsmagier war stark, sogar ungemein stark. Mehr Macht würde ihn zerstören.
Ruben, der mein Starren natürlich bemerkt hatte, grinste mich an. »Findest du mich so attraktiv, dass du deinen Blick nicht mehr von mir lösen kannst?«
»Feuer«, sagte ich nur. Er reagierte schnell und schoss auf dem Flammenstrahl des Basilisken. Ein Auto ging in Flammen auf, aber niemand war verletzt worden.
»Kleine Hexe, das war gemein.«
Er hatte verfluchte Ähnlichkeit mit seinem Onkel, überlegte ich mürrisch. »Könnten wir uns jetzt um die Sache kümmern? Während wir hier herumalbern, fliegt mein Phönix immer noch frei herum und ich will ihn unbedingt fangen.«
»Phönix?«, stieß Webs mit einer unerwartet quietschenden Stimme hinaus. Ich ignorierte sie und konzentrierte mich auf den Basilisken. Ihn trennte lediglich eine Barriere aus Fahrzeugen von den Menschen des Viertels und diese würde wie Zunder brennen, wenn er es darauf anlegte.
Ruben schien dieses Mal die Sache ernst anzugehen. Er breitete die Arme aus und rief eine Wortfolge.
Es gab viele Arten einen Zauber zu wirken. Manche legten ihre Macht in Reimen, andere wiederum spezialisierten sich auf Tränken und dann gab es jene, die den Willen hatten. Ich gehörte zur letzten Sorte und hatte das auf die harte Tour gelernt. Wenn ich zaubern wollte, musste ich weder singen, noch verfluchte Reime von mir geben, ich musste mich auf den Zauber konzentrieren. Während meiner Zeit als Teenager hatte mich diese Art zu hexen sehr in Verruf gebracht. Als der schlimmste Albtraum der ganzen Schule, Tom Newman, mich damals in die Mangel gehabt hatte, war ich so aufgebracht gewesen, dass ich ihn mittels meiner Kraft gegen die Wand geschleudert hatte. Seit diesem Tag hatte er mich in Ruhe gelassen, zusammen mit den anderen Schülern, denen die Angst bei meinem Anblick immer anzusehen war.
Runenmagie konnte jeder erlernen wenn er sich ins Zeug legte, aber die meisten nahmen sich noch nicht einmal die Zeit, denn es war verdammt schwer.
Die Runen auf Ruben glühten immer mehr. Jemand trat neben mich. Ich blickte auf und begegnete Percys Blick. Er würde mir beistehen und mich beschützen, so wie ich es bei ihm tun würde.
Bradak hielt sich in Rubens Nähe auf. In den letzten Stunden hatte ich einiges über ihn erfahren. Aus einem unerklärlichen Grund wusste ich, dass er seinen Neffen nicht kämpfen sehen wollte. Deshalb hatte er auch Ruben zuerst nichts über den Phönix gesagt.
»Er ist in Ordnung.« Mein vorlautes Mundwerk!
Mein Hexenmeister schaute nicht zu mir, aber ich hatte das Gefühl, dass seine Miene etwas weicher wurde.
Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie einen Bindungsmagier bei der Arbeit erlebt. Ruben hielt verbissen die ganze Zeit den Blickkontakt aufrecht.
Eine Hexe hatte mir einmal erzählt, dass ein begabter Bindungsmagier einen anderen mit seinen Augen einfangen konnte. Der Rest war Formalität. Das gleiche versuchte jetzt Ruben. Die Runen leuchteten, aber der Zauber wirkte seltsam auf mich … stockend. Als könne er nicht richtig fließen. »Wo liegt das Problem?«
»Was meinst du?«, fragte Bradak leicht abwesend.
»Sein Zauber funktioniert nicht richtig«, versuchte ich zu erklären. »Die Runen behin…«
Was als nächstes geschah, konnte ich nicht sagen. Es gab eine heftige Explosion, die mich von den Füßen riss. Benommen schaute ich über mich, genau in Bradaks Gesicht.
»Behalte diesen Gedanken für dich«, knurrte er mir zu. Zuerst zweifelte ich an meinen Wahrnehmungskräften. Was für einen Grund hätte er mir zu drohen, doch ein Blick in sein Gesicht genügte.
»Das muss ein Gastank in einem der Häuser gewesen sein«, ächzte Webs, die langsam auf die Beine kam. »Wir konnten nicht alle Gefahrenquellen beseitigen.«
Ruben stand als einziger. Dieses Mal wirkte sein Zauber besser. Er hatte den Basilisken eingefangen. Mit seinen Händen vollführte er schwingende Bewegungen. In den Lehrbüchern stand geschrieben, dass Bindungsmagier so ihre Gegner bezwangen. Der Basilisk befand sich zweifelsfrei in Rubens Gewalt.
Ich wollte ihn unterstützen, wusste aber nicht wie.
»Wir können ihm nicht helfen«, sagte Bradak, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Das muss er alleine schaffen.«
Percy, der auf meiner rechten Seite stand, nickte. Ich wusste es, fühlte mich aber trotzdem, als müsste ich voranstürmen.
»Da! Er hat ihn gleich!« Dieser Ausruf kam von Webs.
Der Basilisk war völlig bewegungslos. Flüssigkeit troff aus seinem Maul. Es musste sich um seinen brennbaren Speichel handeln. Ohne den Funken, den er auf natürliche Weise entfachen konnte, war er völlig gefahrlos. Hinter uns bereitete die Spezialeinheit alles vor, um die Gefahrenquelle so schnell wie möglich zu beseitigen.
Ruben fing an rückwärts zu gehen. Seine Arme und Beine zitterten, aber das Tier folgte ihm willenlos. Hinter einem Wagen ging ein Hexer in Deckung, legte das Gewehr an und wartete auf die Möglichkeit für den perfekten Schuss.
»Wollt ihr es töten?«
Bradak schüttelte den Kopf. »Nicht, wenn es zu vermeiden ist. In dem Gewehr befindet sich ein Betäubungsmittel. Der Basilisk wird das Bewusstsein verlieren. Das wird uns genügend Zeit geben ihn in seine Welt zurückzuschaffen.«
Kaum hatte er zu Ende gesprochen, erfolgte auch der Schuss. Das Tier befand sich so stark unter Rubens Kontrolle, dass es nicht einmal zusammenzuckte.
»Kleine Hexe, wir müssen uns unterhalten.«
Wie er das sagte, klang es, als hätte ich irgendwas angestellt. Ich zerbrach mir das Hirn, kam aber nicht darauf, was er meinte.
»Du bist eine Sucherin?«
Die Frage verwirrte mich. »Sucherin?«
Bradak seufzte, als hätte ich ihm den Tag vermasselt … Okay, im gewissen Sinn hatte ich das auch getan. Er hätte feiern sollen … mit dieser Schwarzhaarigen … in dem großen Bett …
Nein! Nicht darüber nachdenken! Wie und mit wem er feierte, gehörte nicht zu meinen Problemen und sollte mich nicht interessieren.
»Wir werden ausgiebig miteinander plaudern, wenn das hier vorbei ist.«
»Wieso klingt das bei Ihnen immer wie eine Drohung?«, fragte ich etwas zickig.
»Weil es eine ist. Heute war nicht einfach nur ein Tag, an dem ich zufälligerweise eine Party schmeißen wollte. Heute war mein dreiunddreißigster Geburtstag. Stattdessen jage ich dem Phönix einer frechen Hexe hinterher und wäre fast von einem Basilisken zu Asche pulverisiert worden.«
Ich dachte lange darüber nach, was ich erwidern sollte und sagte: »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.«
Bradak machte ein Gesicht, als hätte er meine Worte verstanden, könne aber beim besten Willen nicht glauben, dass ich sie tatsächlich ausgesprochen hatte. »Das hast du nicht wirklich gesagt, oder?«
»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag nachträglich?«
Percy zitterte neben mir. Dieser Mistkerl lachte sich die Seele aus dem Leib! Was zur Hölle sollte ich sonst zu ihm sagen?
Mein Hexenmeister nahm tief Luft, wahrscheinlich zählte er stumm sogar bis zehn. Als er sich mir zuwandte, konnte ich seinem Blick kaum standhalten, aber ein sturer Teil von mir weigerte sich wegzuschauen. Niemals zuvor war ich mir bei einem Menschen so sicher gewesen, dass er ein Sadist war.
»Ja, wir werden uns unterhalten. Sehr ausführlich und sehr lange.«
In diesem Moment, und bevor ich mir noch mehr Ärger mit meinem Mundwerk einhandeln konnte, erklang ein durchdringender Schrei und der Himmel explodierte in Rot. Wir zuckten zusammen und suchten automatisch Schutz. Bradak und Percy knieten dicht neben mir und hatten mich in ihre Mitte genommen. Als wir in den Himmel sahen, konnten wir einen Feuerstreifen sehen, der sich wie ein brennender Regenbogen über die Stadt erstreckte.
Mein Phönix hatte beschlossen der Welt einen guten Morgen zu wünschen.

 

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Texte: Christina M. Fischer
Bildmaterialien: www.ennipix.de
Tag der Veröffentlichung: 24.05.2016

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