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Hast du gesehen wie sie lief?
Erneut pocht das Verlangen durch meine Adern, ich will die Augen schließen, ihren Geruch auf mich einwirken lassen, ganz zu dem werden, dass sie fürchtet.
Das helle Haar in der Nacht, es wird wie das Aufblitzen eines goldenen Tuches leuchten, so lange bis ich sie gepackt habe, bis ich sie unter mich begrabe. Und dann? Wie könnte ich mich noch zurückhalten? Dann, wenn ich ihre Wärme fühle und ihr Blut rasend schnell durch das Herz gepumpt wird. Sie wird den Mund öffnen und schreien, ich weiß es, sie wird schreien und das in mir sehen was ich wirklich bin. Nicht der friedliebende Mensch, den ich der Welt vorspiele, sondern das Monster, welches hinter meinen Augen schlummert. Bevor es jedoch dazu kommt, habe ich schon längst meine Hände auf ihren kleinen Mund gepresst und beiße zu.
Ein kleiner Schmerz, gefolgt vom Taumel, denn ich werde so gierig sein, dass mich kein Zögern mehr aufhalten kann. Alles werde ich mir von ihr nehmen, ihr Blut, ihr Leben. Die Augen, sie werden leer, der Geist rückt in weiter Ferne. Vielleicht wird sie sich fragen was es war, dass sie da gepackt hat, doch die Frage wird in den Hintergrund rücken und verblassen, bis nichts weiter in ihr herrschen wird als diese Müdigkeit.

*

Wie an jedem Abend, war sie auch heute den Weg durch den Park entlang gewandelt und auch heute begegnete sie niemandem. Wie immer verspürte sie keine Angst, doch dann hörte sie das Knistern zwischen den Bäumen und das Flüstern in der Dunkelheit. Beim näheren Betrachten allerdings, war da nichts. Sie ermahnte sich und schalt sich eine Närrin. Lauernde Mörder, gewissenlose Banditen, die gab es in Filmen und Großstädten, doch nicht hier in einem solch kleine Ort, der noch nicht einmal einen eigenen Lebensmittelladen besaß.
Die Sommernacht umschmeichelte sie warm, also öffnete sie die Knöpfe ihres leichten Mantels, seufzte erleichtert als die Luft über die zarte Haut ihres Halses streicht. Für einen Moment schloss sie die Augen, stellte sich vor, es wären die Finger eines Mannes, eines stattlichen Mannes mit braungebrannter Haut und blauen Augen. Wie genussvoll es wäre, wenn er dann seine Lippen benutzten würde…
Erneut ein Geräusch, dieses Mal so nah, dass sie herumfuhr. Nein, das war keine Einbildung, sie war nicht alleine! Ihr Herz schlug schneller. Ein Eichhörnchen vielleicht? Oder gar eine Maus, die über das Laub huschte? Wie würde sie über sich lachen, wenn ein kleines Tier durch die Nacht angerannt kam, die dünnen Beinchen wie kleine Stecknadel, die es immer mehr vorantrugen.
Das Rascheln nahm zu und wie um sich selbst zu zeigen, dass sie eine Närrin war, blieb sie stehen und sah genau in den Schlund der Finsternis. Augen blitzen auf, das schwache Licht der weit entfernten Laterne spiegelte sich in ihnen, dann nahm sie ein Knurren wahr. Ihr Atem stockte, das Herz mit Sicherheit auch, dann setzen ihre Beine, unabhängig von ihrem Gehirn, die Arbeit ein und rannten. Die flachen Schuhe, die sie heute Morgen angezogen hatte, waren gut zum Rennen, sie trugen sie immer mehr von dem Geräusch des Flüsterns fort, immer weiter in Sicherheit. Ihr Herz pumpte triumphierend, sie war schnell, lief schon seit Jahren Marathon und hielt sich in guter Kondition. Niemand würde sie einholen können. Noch ehe sie diesen Gedanken jedoch zu Ende denken konnte, wurde sie gepackt und zu Boden geworfen. Eine Hand presste sich gegen ihren Mund und dämmte ihren Schrei. Die Augen, geweitet vor Furcht und Entsetzen blickten hinauf in eine entsetzliche, hungrige Fratze und am liebsten wäre sie jetzt blind, damit ihr dieser Anblick erspart bliebe.

*



Sie hatten zu viel getrunken in dieser Nacht, zu viel Bier, zu viel Schnaps und das durcheinander. Das Ergebnis war ein taumelnder Gang und der Versuch, sich aneinander zu klammern, während sie den Heimweg antraten, dabei durch das kleine Wäldchen des Parks torkelten.
Mitten im schlingernden Gang blieb der Dritte aus ihrem Bunde stehen, öffnete seine Hose um die Blase zu erleichtern, fiel dabei in ein Gebüsch und kicherte volltrunken. Seine Freunde gesellten sich zu ihm, wollten ihm aufhelfen, doch auch sie waren kaum fähig sich auf den Beinen zu halten, so dass sie neben ihm zu Boden stürzten und mit kicherten.
Plötzlich erregte ein Geräusch ihre Aufmerksamkeit, drang sogar durch den Schleier der Trunkenheit. Lauschend mühten sie sich auf alle Viere und spähten verwirrt durch das Gebüsch. Der Mittlere sah es zuerst und stieß seine Freunde grinsend an, auch ihre Münder verzogen sich zu einem dümmlichen Lächeln, als sie das Pärchen auf dem Boden hemmungslos miteinander toben sahen. Sich zur Stille ermahnend, schauten sie weiter zu, auf eine einmalige Aussicht hoffend. Auf etwas, das meist nur im Schlafzimmer stattfand.
Dann ein leiser, gepresster Schrei, der jedoch vollkommen anders klang als ein kehliger, lustvoller Laut und die Freunde erstarrten, da ihnen langsam dämmerte, dass ihnen hier kein schlüpfriges Schauspiel geboten wurde. Alkohol vernebelte ihre Sinne, aber sie waren immer noch fähig genug um zu erkennen, dass das hier falsch war, ganz falsch. Schon schickte einer von ihnen sich an aufzustehen, den großen Mann von der Frau wegzuziehen, als etwas bei dem Pärchen geschah.
Die zierliche, winzige Frau lag reglos unter der hünenhaften Gestalt des Mannes und rührte sich nicht, ebenso wie der dunkle Geselle. Die Stille, welche sie nun umgab, war von einer unwirklichen Macht durchtränkt. Ein seltsamer Geruch umwehte sie, die Schultern des Riesen bebten. Im Profil sahen sie, wie der große Mund noch weiter geöffnet wurde, die Augen auf groteske Weise fast aus den Höhlen zu fallen drohten. Ein Zittern umgab seine Gestalt, Krämpfe erfassten seine Beine, die einzige Konstante war die reglose Frau unter ihm. Seine Hand fiel ab, ein seltsames Leuchten ging von den beiden aus, dann verkümmerten die Finger des Riesen, trockneten ein bis sie nichts waren als dünne Stäbchen, das gleiche geschah mit dem ganzen Körper. Kleider, viel zu groß für ihn, hingen an ihm, die Wirbelsäule stach hervor als Muskelgewebe und Fleisch verschwanden. Ein kehliger, entsetzter Laut verließ das geöffnete Maul und immer noch gab es nur … diesen Blick aus dunklen Augen, umrahmt von goldenen Locken.
Krächzend sackte das Raubtier in sich zusammen, kaum fähig sich zu rühren, kaum fähig einen Schrei auszustoßen. Der einst starke Körper zerfiel immer mehr zu Asche, bis er selbst nicht mal dem Windhauch trotzen konnte und fortgeweht wurde.
Die Frau lag noch eine Weile da, dann schloss sie die Augen und sog die Nachtluft tief in ihre Lungen ein, ehe sie sich regte und aufkniete. Ihre Wangen erstrahlten in einem rosigen Farbton, das helle Haar glänzte nun wirklich wie flüssiges Gold als sie es schwungvoll nach hinten warf, dann kam sie auf die Beine und streckte sich.
Die Freunde in ihrem dürftigen Versteck erstarten, als sie sich in ihre Richtung bückte, doch sie hob lediglich ihren luftigen Sommerschal hoch und band ihn sich um den Hals, ehe sie sich summend weiter auf ihrem Weg machte.
Stumm und fassungslos knieten die Freunde da, kaum fähig zu glauben, dass ein solches Raubtier vor ihren Augen zugrunde ging und schon plagten sie Zweifel. Gab es dieses Geschehnis überhaupt? Oder war das alles nur ein skurriler Traum, erschaffen durch die vernebelnde Wirkung des Alkohols?
Ende

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Tag der Veröffentlichung: 06.01.2010

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