Von fürchterlichem Grauen getrieben, rannte sie um ihr Leben.
Panisch blickte sie hinter sich und suchte hektisch die Umgebung ab.
Ihr Herz raste, als wolle es sogleich herausspringen.
Ein erstickendes Gefühl umfasste ihre Kehle, doch die Tränen blieben aus.
Stockend schnappte sie verzweifelt nach Luft, während sie immer weiter rannte.
Ein bleiernes Gefühl legte sich wie ein Schleier um ihr Herz.
Weg. Sie wollte einfach nur weg.
Verzweiflung überkam sie und wurde immer stärker,
sie war gefangen - in einem Irrgarten.
Doch umgab sie nur reinste Leere.
Eine weite aus schwarzem, nicht enden wollendem Nichts.
Undefinierbare Bilder zogen verschwommen an ihr vorbei.
Doch nur am Rande bekam sie dies mit, denn sie rannte immer noch vor etwas davon.
Etwas das nicht greifbar war, womöglich nicht einmal existierte.
Ein Schreien lies sie aufschrecken.
Noch müde strich sie sich eine schweißnasse braune Haarsträhne aus der Stirn und stand widerstrebend auf.
Ihr kleiner Sohn war der unerbittlichste Wecker, den sie jemals erlebt hatte. So manches mal schon hätte sie sich am liebsten unter dem Kissen vergraben, um weiter schlafen zu können.
Doch sobald er sie mit seinen unschuldigen Augen anstrahlte und ein freudiges quietschen über seine Lippen kam, war alles vergessen und sie konnte nicht anders als zu Lächeln.
„Guten Morgen mein Sonnenschein. Na, hast Du gut geschlafen?" Mit einem Kuss auf die Stirn nahm sie ihren Sohn aus seinem Bett.
Dieser hielt sich mit einer Hand an seiner Mutter fest, strahlte sie an und legte seinen kleinen Kopf an ihren Hals. Sie schmiegte ihre Wange an sein Köpfchen und fing an sich leicht hin und her zu wiegen, während sie dabei leise Summte.
So standen sie da, kuschelten und genossen die traute Zweisamkeit.
Ein lauter Knall lies beide zusammenzucken.
„Violett! Violett wo bist Du?"
Sofort sank ihre eben noch gute Laune, und sie fing an ihren täglichen Pflichten nachzukommen, während sie zurück rief: „Bei Nero."
„Ich brauche Geld." Sie hielt kurz in ihrer Tätigkeit des Wickelns inne und schaute über ihre Schulter zu dem Glatzköpfigen jungen Mann, der jetzt in der Schlafzimmertür stand.
Mit vor Ironie triefendem Ton erwiderte sie: "Guten Morgen, mein Geliebter. Ich freue mich auch dass Du schon zu hause bist." Damit wandte Violett ihre Aufmerksamkeit wieder ihrem Sohn zu.
Der Mann umarmte sie von hinten und gab ihr einen sanften Kuss in den Nacken.
„Hast Du wieder einen Albtraum gehabt?" Seine Stimme klangt ehrlich besorgt, während er zärtlich seine Finger über ihre Seite streichen ließ.
„Ja" Sie hasste ihn so sehr wie sie ihn liebte, weil er genau wusste wie er Hoffnungen in ihr Wecken konnte.
„Hör zu Süße, ich hab da 'n ganz großes Ding am laufen! Ich brauch wirklich nur 'ne kleine Summe, als Einstiegskapital so zu sagen."
Violett nahm ihren Sohn wieder auf den Arm und drehte sich seufzend um. „So wie die ganzen anderen Male? Kevin, ich brauch das Geld für die Abendschule, das weißt Du doch ganz genau. Außerdem bin ich es leid dass wir ständig nichts mehr zu essen haben, weil du das Geld in irgendwelche dubiosen Geschäfte investierst."
Genervt ging sie an ihrem Freund vorbei und aus dem Zimmer heraus.
Sie war diese ständigen Diskussionen so unendlich satt. Nachdem sie ihren Sohn in seine Spielecke im Wohnzimmer gesetzt hatte, ging sie in die Küche um Frühstück zuzubereiten.
„Süße, mir ist gerade eine Idee gekommen, wie wäre es wenn Du einen Kredit aufnimmst?"
Violett schaute ihren Freund ungläubig an. „Ernsthaft? Hast Du sie nicht mehr alle? Das werde ich mit Sicherheit nicht! Such dir eine anständige Arbeit und nicht so eine Scheiße, dann haben wir diese ganzen Probleme gar nicht."
Kopfschüttelnd beschäftigte sie sich wieder mit dem Essen, als plötzlich eine Tasse nahe ihres Kopfes vorbei flog, und ihr Freund anfingt zu schreien: „Du dreckige Bitch! Ich tue alles für dich, und was ist dein Dank? Nur abwertende Kommentare und keinerlei Hilfe deinerseits! Du kleine Schlampe hast es gar nicht verdient an meinem Erfolg teilzuhaben! Wer weiß ob dieser kleine Bastard da drüben, überhaupt mein Sohn ist!"
Violett, die bisher nur entgeistert die Scherben angestarrt hatte, drehte sich langsam zu ihrem Freund um und taxierte ihn.
Mit ungewöhnlich ruhiger Stimme sagte sie leise: „Raus."
Kevin lächelte sie herablassend an. „Was? Du kannst mich nicht einfach rausschmeißen!"
Violett griff nach dem erstbesten hinter sich, und zog ein Fleischermesser hervor.
Immer noch tödlich ruhig, wiederholte sie: "Raus. Hier. Sofort."
Er schien noch einen Moment abzuschätzen, wie ernst die Lage war, doch wurde ihm letztendlich bewusst, das er eine gefährliche Grenze überschritten hatte. Mit einem „Tze.", stürmte Kevin wütend davon, und ließ dabei lautstark die Tür zu fallen.
Langsam ließ sie das Messer sinken.
Weiterhin an die Küchenzeile angelehnt stand Violett da und starrte auf die Scherben zu ihren Füßen. Die ihr Leben so perfekt widerspiegelten.
Ein einziger verdammter Scherbenhaufen.
Der einzige Grund wieso sie den Kampf noch nicht gänzlich aufgegeben hatte, war ihr Sohn.
Er war der einzige Lichtschimmer in diesem grauenvollen Loch.
Ein dunkles Gefühl breitete sich in ihrem Herzen aus.
Denn dennoch ... Dennoch fühlte sie sich so Leer, so unglaublich einsam und verletzt.
Violett stieg aus dem Bus aus und betrachtete die Gegend um sich, dann schaute sie auf ihr Handy das eine Karte anzeigte. Seufzend schaute sie sich wieder um.
Selbst mit einer Karte war sie, was Orientierung betraf, schlechter dran als ein Leib Brot.
Das Augenmerk auf die Karte gerichtet, setzte sie sich in Bewegung, bog um eine Ecke und lief direkt in einen älteren Herren hinein.
„Pass doch auf wo du hinläufst! Die Jugend von heute, kein Benehmen!"
„Tschuldigung." Stammelte Violett verlegen, doch der Mann ging schon weiter, ganz in seine Triaden über die furchtbare Jugend vertieft.
Augen rollend sagte sie zu sich selbst: „Wie kann der Abend auch besser verlaufen, als der Morgen. Wie ich mich freue..."
Sie blickte nach vorne und blieb erneut stehen, um mit offenem Mund das große Gebäude vor sich zu betrachten.
„Ok, die Karte hätte ich mir sparen können ... Verdammt! Sind Universitäten immer so gigantisch?" Natürlich war es eine rhetorische Frage gewesen und auch nur zu sich selbst.
Doch nachdem sie merkte, wie die vorbeilaufenden Passanten die junge Frau von der Seite anschauten, räusperte sie sich und setzte sich so schnell sie konnte in Richtung Universität in Gang.
Ernsthaft, sie musste unbedingt etwas gegen ihre ständigen Selbstgespräche unternehmen. Es war wirklich nicht angenehm, von anderen angeschaut zu werden, als hätte man nicht mehr alle Tassen im Schrank.
Sie hatte bald fünfzehn Minuten gebraucht um den Raum zu finden, in dem die Abendschule stattfinden sollte. Leicht außer Atem von diesen unmenschlich vielen Treppen lehnte sie sich an ein Fensterbrett.
Sie war ehrlich froh, dass sie diese ganzen Stufen nicht mehrmals täglich rauf und runter laufen musste. Andererseits hätte es ihrer Figur sicher nicht geschadet.
Bei diesem Gedanken schaute Violett an sich hinab und pikste sich in ihren kleinen 'Rettungsring', wie ihre Mutter es gerne nannte.
Just in diesem Moment merkte sie, dass eine Person auf sie zukam. Schnell hörte sie auf und blickte den Flur entlang. Ein Mann lief direkt auf die langhaarige Frau mit dem kleinen Rettungsring zu.
Er hatte schöne, fast goldene Haare die einen harmonischen Kontrast zu seiner leicht gebräunten Haut ergaben, bernsteinfarbene Augen mit einem leichten Goldstich, ein markantes Gesicht, aber dennoch weiche Züge die ihn sympathisch machten.
Der wirklich winzige Bauchansatz trug ebenfalls dazu bei. Violett hätte ihn Anfang bis Mitte dreißig geschätzt. Allerdings war sie auch nicht besonders gut im schätzen ...
Der Mann blieb vor ihr stehen und streckte ihr die Hand entgegen. Seine Augen strahlten eine unglaubliche Wärme aus, und gaben das leicht verschmitzte Lächeln auf seinem Gesicht wieder, als er sagt: „Sie müssen eine Teilnehmerin der Abendklasse sein. Ich freue mich dass Sie schon so früh da sind, und hoffe, die anderen werden ebenfalls bald eintreffen. Mein Name ist Leon Fearell."
Oh Gott, hatte sie ihn angestarrt? Mit Sicherheit hatte sie ihn die ganze Zeit wie eine Geisteskranke angestarrt. Oh verdammt, wie peinlich. Aber zum Teufel, wie konnte ein Lehrer so gut Aussehen?
Hastig ergriff sie seine immer noch ausgestreckte Hand. Im versuch, nicht gänzlich verrückt zu wirken, schüttelte sie ihm kurz die Hand und sagte: „J-Ja. Genau. I-Ich nehme Teil. An der Klasse, ähm, dem Kurs, also Sie wissen schon ... Ich bin Violett Ferrero."
Super gelaufen, perfekt die Situation gerettet ... Ehrlich, sie wollte wirklich nicht wissen was er jetzt von ihr halten mochte.
Oh oh, sein Blick, er schaute sie so ... Wieso lachte er jetzt? Oder nein, sie wollte es doch lieber nicht wissen. Herr im Himmel, konnte dieser Abend noch schlimmer werden?
„Ferrero? Etwa so wie die Pralinen? Wirklich?" Sie schloss kurz die Augen und lächelte ihn dann leicht verlegen an. „Ja, genau wie die. Allerdings ist Ferrero in erster Linie ein Italienischer Nachname."
Er lächelte sie sanft und mitfühlend an. „Es ist wohl nicht gerade einfach mit solch einem Namen, was? Tut mir Leid wenn ich Sie in Verlegenheit gebracht habe. Sie sind also Italienerin?"
„Schon in Ordnung. Ich habe mich schon lange daran gewöhnt. Und nein, eigentlich nicht, wie man an meiner hellen Haut wohl schnell erkennt. Die Wurzeln meiner Mutter liegen zwar in Italien, aber sowohl Sie, als auch mein Vater sind beide Deutsche. Sie hat lediglich ihren italienischen Familiennamen beibehalten."
Innerlich schüttelte Violett den Kopf und dachte sich nur; 'Die Kurzform hätte auch gereicht, ich brauche ihm doch nicht gleich meinen ganzen Lebenslauf auf die Nase zu binden, jesses.'
Es schien, als wolle er etwas erwidern, doch in diesem Moment kam eine kleine Gruppe von Leuten um die Ecke. Angeführt von einer jungen Frau mit strohblonden Haaren, die in ihrem kurzen Rock vor den anderen her tänzelte, als wäre sie die Königin höchstpersönlich.
Ok, sie gab es zu, Sie war Violett sofort unsympathisch. Leon trat neben Violett und schaute den vier Personen freundlich entgegen.
„Sie sind ebenfalls Teilnehmer des Abendkurses?"
Die Frau mit den definitiv zu kleinen Kleidungsstücken, hörte auf zu tänzeln - gerade noch rechtzeitig, sonst wäre Sie wohl in Herrn Fearell hinein gerannt – und drehte sich um.
Als Sie den Mann vor sich erblickte, teilten sich ihre übertrieben rot geschminkten Lippen, und entblößten ihre Zähne.
Violett nahm an dass es ein Lächeln darstellen sollte.
Ihre blauen Augen nahmen einen Ausdruck an, der jedem Raubtier auf der Jagd alle Ehre gemacht hätte.
„Oh ja, das bin ich." Klimpernde Augen, und eine Stimme die wie eine Mischung aus läufiger Hündin und Prostituierter klang.
Violett wollte wirklich die letzte sein, die einen anderen Menschen nach dem Aussehen beurteilte.
Aber diese Person machte es einem nicht gerade einfach.
Zudem war es nun einmal eine unumgängliche Tatsache, dass der erste Eindruck zählte.
Immer noch das freundliche Lächeln im Gesicht, erwiderte Leon: "In Ordnung. Ich würde sagen, dann gehen wir mal rein, damit wir anfangen können."
Daraufhin drehte er sich der Tür zu seiner linken zu, um diese aufzuschließen.
Blondie, wie Violett sie im Geiste getauft hatte, schien dass erste mal Notiz von ihr zu nehmen. Sie musterte Violett kurz von oben bis unten mit einem Ausdruck der sagte, sie sei es nicht Wert der Dreck unter ihren falschen Fingernägeln zu sein.
Dann ging Sie einfach durch die Tür und stieß Violett dabei etwas zur Seite.
Gefolgt von den Anderen; Zwei Jungs, und ein Mädchen. Letztere blieb kurz stehen, „Mach dir nichts draus, Sie denkt Sie wäre der Mittelpunkt der Erde." mit einem kurzen Augenrollen und einem darauf folgenden Zwinkern verschwand auch sie in den Saal.
Hatte sie sich vorhin wirklich gefragt ob der Abend noch schlimmer werden konnte?
Hier schien die Antwort, in Gestalt eines blonden Dämons.
Leon lehnte lässig an dem Pult, in der Hand ein Blatt Papier.
„Guten Abend, ich bin Leon Fearell. Ich hoffe, es stört niemanden wenn ich ihn duze, falls doch mögen mir diejenigen dies bitte mitteilen. Ich werde für die nächsten Monate also der Mann sein, der euch helfen möchte den Abschluss zu schaffen. Der Unterricht wird locker verlaufen, wir können zwischendurch auch gerne Raucherpausen einlegen. Ich werde nichts sagen, wenn jemand einmal fehlen sollte weil euch andere Dinge dazwischen kommen. Ihr seid schließlich erwachsene Leute. Allerdings solltet ihr im Hinterkopf behalten, dass dies für euren Abschluss ist. Mir ist es egal ob ihr ihn schafft oder nicht, ich bekomme mein Geld so oder so, aber ich werde denen, die es damit ernst meinen meine Hilfe versichern. Gut, damit hätten wir den ersten Teil schon einmal hinter uns gebracht.", Lächelnd zwinkerte er in die Runde.
„Nun wäre es hilfreich, wenn ihr so freundlich wärt mir kurz eure Namen zu sagen, damit ich abhaken kann wer alles anwesend ist. Eingeschrieben hatten sich laut Liste zwanzig Leute."
Er hatte den Satz noch nicht ganz beendet, da sprang Blondie auch schon auf um ihm ihre Brüste entgegen zu strecken.
„Ich bin Scarlett Star. Ich würde mich wirklich wahnsinnig über ihre Hilfe freuen Mr. Fearell." Violett verdrehte die Augen. Eindeutig läufige Hündin.
„Ralf Müller."
„Georg Mustermann"
„Sally Orwid"
„Violett Ferrero."
Wie zu erwarten gewesen war, prustete Scarlett los.
„Ernsthaft? Ist das dein richtiger Name, oder willst Du dich einfach nur lächerlich machen?"
"Scarlett, bitte! Wir sind doch wohl alle erwachsene Leute. Und ich kann dir versichern, dass Miss Violett's Name keines Wegs erfunden, noch lächerlich ist."
Miss? Ok?
Jedenfalls schien Blondie ganz und gar nicht begeistert, dass Leon sich für Violett eingesetzt hatte. Was ihr nur noch mehr Genugtuung bereitete.
Nicht dass sie schadenfroh wäre, nein, das war sie ganz gewiss nicht ... Ok, doch, sie war es. Auf höchstem Maße.
Die nächsten Stunden verbrachten sie mit Lernen. Wie Leon gesagt hatte, verlief der Unterricht sehr locker, und es machte richtiggehend Spaß.
Er hatte allen angeboten, ihn ebenfalls beim Vornamen anzusprechen, was Blondie natürlich sofort wieder ausgenutzt hatte.
Sally war genau so wie sie auch aussah, klein und süß. Ihre hellbraunen, leicht blonden Haare, das rundliche Gesicht und die großen Augen, ließen sie Aussehen wie eine kleine Puppe.
Sie erzählte Violett, dass Sie Scarlett von Kindertagen kannte, als sie in der selben Straße gewohnt hatten, und schon damals hätte sie sich aufgeführt als wäre sie die Prinzessin auf der Erbse.
Was sogar der Fall war, weil sie "Daddy's kleines Lieblingsprinzesschen" war, wie Sally es ausdrückte.
Ralf rannte Scarlett wohl schon seit der fünften Klasse hinterher, und erhoffe sich irgendetwas. Er sei sogar extra wegen ihr umgezogen.
„Armer Tropf, ich Wette sie ist eine böse Hexe, die ihn verzaubert hat, um vor anderen immer so dazustehen als wäre sie begehrt."
Violett fing an leise zu Lachen. „Klingt gar nicht mal so weit hergeholt."
Nach kurzem überlegen fragte sie: „Aber wenn ihr Vater so viel Geld hat, wieso ist sie dann hier und nicht, beispielsweise, auf einer Eliteschule oder so etwas ähnlichem?"
Sally grinste verschmitzt – was Violett ihr gar nicht zugetraut hätte, sie sah einfach zu süß dafür aus.
„Ihre Hochnäsigkeit ging irgendwann sogar ihrem eigenen Vater auf die Nerven, und somit wurde sie hierher verdonnert. Damit sie ein wenig Sozialer wird und sich mit "der unteren Schicht" anfreundet, sozusagen."
Violett ließ den Blick zu Scarlett schweifen, und konnte so beobachten wie diese gerade versuchte, Leon's volle Aufmerksamkeit für sich zu beanspruchen.
Sie musste sich eingestehen, dass Scarlett mit ihren reizen umzugehen wusste. Aber diese widerliche Überheblichkeit, die sie an den Tag legte, konnte selbst von ihrem Make-Up nicht überdeckt werden.
Leon hatte sich gerade Ralf zugewandt um ihm etwas zu erklären, als Scarlett's und Violett's Blicke sich trafen. Blondie verzog das Gesicht zu einer Grimasse und streckte Violett die Zunge heraus.
Perplex wegen dieser Geste, war sie nicht in der Lage zu reagieren, als Scarlett im nächsten Moment auch schon wieder um Leon's Hilfe bat.
Sehr erwachsen Blondie, wirklich ....
Die restliche Zeit verging wie im Fluge, und um einundzwanzig Uhr stand sie dann wieder an der Bushaltestelle und wartete.
Zuhause angekommen, war Violett mehr als müde. Nachdem sie ihre Tasche abgestellt hatte ging sie in das Schlafzimmer, und sah mit der gesamten Liebe und Zärtlichkeit einer Mutter auf ihren Sohn hinab.
Er war so süß, wie er da lag und schlief. Sie beugte sich zu ihm hinunter und hauchte ihm einen Kuss auf die Schläfe.
Dann ging sie in die Küche um sich noch einen Tee zu machen.
Dort traf sie auf ihre Mutter, die auf den kleinen aufgepasst hatte, da Kevin wohl mal wieder nicht vor hatte in der Wohnung zu übernachten.
Sie saß mit einer Tasse Kaffee am Tisch und lächelte Violett an. „Na mein Schatz, wie war der erste Tag?"
Die junge Frau ging zu ihrer Mutter und gab ihr einen Kuss zur Begrüßung.
„Ganz gut, der Lehrer ist echt nett und locker, so macht der Unterricht richtig Spaß. Und bis auf so 'ne Blonde Möchtegern Prinzessin, scheinen auch alle ganz nett zu sein."
Sie schaute sich in der Küche um, und seufzte kopfschüttelnd.
„Er hat sich nach heute Morgen also doch noch einmal hier her getraut. Wenigstens seinen Dreck hätte er wieder beseitigen können."
Manchmal fragte sich Violett, wieso sie mit ihrem Freund noch zusammen war.
In letzter Zeit war dieser ständig mit seinen Kumpels unterwegs, und überließ ihr die ganze Arbeit.
Es war nicht einmal mehr eine seltenheit, dass er Tagelang nicht auftauchte.
„Ich hätte ja ein wenig aufgeräumt, aber Nero hatte ziemliche Zahnschmerzen und hat angefangen zu schreien sobald ich ein paar Schritte weggegangen bin."
„Ohje, ich hoffe das ist bald vorbei, er ist so unleidlich wenn er Zahnt. Und Du musst hier nicht Aufräumen, dass habe ich dir jetzt schon oft genug gesagt Mama!" Die ältere der beiden Frauen stand auf und legte ihrer Tochter die Hand auf die Wange und schaute Sie liebevoll an.
"Und ich habe dir schon oft genug gesagt, dass Du meine Tochter bist, und ich dir helfe wenn Du Hilfe brauchst." Ein schmunzeln huschte über ihre Lippen. „Und ich möchte mal anmerken, dass Du auch ziemlich 'unleidlich' bist, wenn es dir nicht gut geht."
Zur Antwort bekam sie nur ein empörtes schnauben von Violett zu hören, bevor sie mit nun besorgter Miene weiter fuhr: „Was meintest Du damit dass er sich hergetraut hat? Was ist denn nun schon wieder passiert?"
'Oh shit .... Du kannst deine dämliche Klappe aber auch einfach nicht halten. Mund an Gehirnzellen! Kommt eurer Arbeit nach!'
Möglichst nonchalant tat sie die Frage mit einer wegwerfenden Handbewegung ab. „Ach, nichts weiter, wir hatten uns nur ein wenig gestritten weil er wieder mit einer seiner bescheuerten Ideen um die Ecke kam, nichts weltbewegendes."
Ihre Mutter sah sie noch einen Moment forschend an bevor sie seufzte, gab ihrer Tochter einen Kuss auf die Stirn und wandte sich zum gehen.
„Ich verstehe einfach nicht, wieso Du dich nicht endlich von diesem Kerl trennst. Du hast etwas besseres verdient. Er macht dir nur Schwierigkeiten und Probleme. Und diese Gestalten mit denen er zu tun hat machen mir auch Sorgen..."
"Mama, bitte, es ist spät und es war ein langer Tag. Ich habe mit Sicherheit keinerlei Ambitionen mit dir jetzt wieder über dieses leidige Thema zu diskutieren..."
"Schon ok mein Schatz. Schlaf gut."
"Du auch. Ich hab dich lieb."
"Ich dich auch mein Engel." Mit diesen Worten hatte sie die Tür hinter sich geschlossen.
Violett machte sich daran, einen Tee aufzukochen, räumte nebenbei ein wenig auf und dachte nach. Ihre Mutter machte sich wirklich große Sorgen, und sie verstand diese auch. Kevin war nicht gerade ein Vorzeigebild eines Freundes, und erst recht nicht eines Schwiegersohns.
Er war Bauarbeiter, wodurch er ein imposantes Kreuz besaß. Nach getaner Arbeit trank er gerne mal ein 'Feierabend Bier', wie er es nannte.
Es kam des öfteren vor dass er total betrunken nach hause kam.
Bisher hatte er zwar immer nur herumgeschrien und sich wie ein Prolet aufgeführt, doch Violett hatte das Gefühl, dass manchmal nicht mehr viel bis zum Schlag fehlte.
Dazu kam noch, dass er höchstwahrscheinlich in irgendwelche komischen Machenschaften verwickelt war. Aber dennoch liebte sie ihn irgendwo zu sehr um sich zu trennen.
Nicht wie ihre Mutter behauptete, dass es daran läge, dass Violett Angst vor ihrem Freund hätte.
Natürlich nahm sie sich etwas in acht, wenn er in seinem Rausch war.
Doch war nicht dies der Grund, wieso sie noch ein Paar waren.
Sondern etwas viel beänstigenderes.
Nach getaner Arbeit, setzte Violett sich noch für einen Moment auf den Balkon um die Sterne zu betrachten.
Dabei überfiel sie einmal mehr, ein furchtbar kaltes Gefühl der Einsamkeit. Obwohl es mitten im Sommer war rieb sie sich fröstelnd die Arme.
Etwas seidiges strich um ihre Beine und kurz darauf wurde sie von einem paar grün-gelber Augen angestarrt.
„Na Enbel. Du bist das einzige männliche Wesen das wirklich zu mir hält ..."
Sie gab ihrem Nebelungen Kater einen Kuss auf seine kleine Nase und fing an über seinen Kopf zu streicheln. Seufzend schaute Violett wieder gen Himmel.
Sie fühlte sich so furchtbar fehl am Platz, als wäre sie in einem falschen Jahrhundert geboren, oder gehöre schlicht und ergreifend einfach nicht hier her. Außer ihrer Familie hatte sie niemanden.
Natürlich kannte sie Leute, doch diese waren im Grunde nichts weiter als Bekanntschaften, reinste Oberflächlichkeiten, nichts anderes.
„Es bringt ja doch nichts, sich darüber den Kopf zu Zerbrechen."
Leicht den Kopf schüttelnd, um die trüben Gedanken zu verjagen, nahm sie ihren Kater, der sich gerade auf ihrem Schoß eingerollt hatte, auf den Arm und machte sich mit einer inneren Leere auf den Weg ins Bett.
Als Violett bei dem Saal ankam, der der Abendschule zur Verfügung gestellt wurde, war es viertel vor sechs.
Der Busfahrer hatte heute wahrscheinlich einen Rekord aufgestellt, und viele Leute würden nun an den Haltestellen warten und sich wundern, wo der verdammte Bus blieb, nicht ahnend dass dieser viel zu früh an den Haltestellen gewesen war.
Aber Violett sollte es nur recht sein.
So hatte sie noch Zeit in ihrem Buch zu lesen.
Sie liebte das Lesen über alle maßen.
Sich von begabten Autoren in eine andere, manchmal bessere, manchmal schlechtere Welt mitziehen zu lassen, das was die Charaktere empfanden, ebenfalls zu empfinden, mit ihnen mitfühlen zu können.
Für Violett gab es nichts schöneres, als sich von einem guten Buch fesseln zu lassen, bei dem sich Raum und Zeit förmlich aufzulösen schienen.
Weswegen sie sich auf den breiten Fenstersims vor der Tür schwang und ihr Buch aufschlug, um in der Welt der Nalini Singh zu versinken.
„Hallo."
Mit einem ersticktem Aufschrei zuckte Violett vor Schreck zusammen, hätte dabei beinahe ihr Buch weggeschmissen und wäre fast hinterher gefallen.
Sich die Hand auf die Brust pressend schaute sie mit großen Augen zu dem Sprecher und versuchte ihr rasendes Herz wieder zu beruhigen.
Dieser schaute entschuldigend zurück. „Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken." Sie schätzte ihn ungefähr in ihrem Alter, und mit seinem Goldbraunem Haar und den sanften Gesichtszügen, ähnelte er sehr Leon.
Doch seine Augen ... seine Augen waren etwas besonderes.
Eine wunderschöne meeresblaue Farbe, mit hellblauen streifen, und kleinen rot aussehenden Punkten rund um die Iris.
Leicht den Kopf schüttelnd, um wieder zur Besinnung zu kommen, erwiderte Violett: „E-ehm, schon okay. Ich war so in das Buch vertieft, dass ich gar nicht mitbekommen habe, dass jemand gekommen ist."
Das Lächeln welches auf seinem Gesicht erschien, ließ ihn noch unwirklicher Aussehen, als er es so schon tat. „Ok. Ich dachte schon, ich würde so schlimm Aussehen."
„Nein! Nein. überhaupt nicht, eher das Gegenteil. Also .. ich meine ..." So manches mal, da hasste Violett sich wirklich selbst.
Wie in diesem Moment zum Beispiel.
Nicht nur dass sie sich erschrocken hatte, als hätte sie etwas verbrochen, nein, dann sprach sie auch noch wie ein kleines Schulmädchen.
Wieso konnte sie nicht einfach so taff wie andere sein und mit coolen Sprüchen glänzen, oder mit Intelligenz, oder Souveränität?
Manchmal wünschte sich Violett ein anderer Mensch zu sein, nicht so ein tollpatschiges Häufchen Elend.
Scheinbar fand ihr Gegenüber dies alles sehr amüsant, denn er konnte sein leises Lachen nicht verbergen. „Das freut mich. Gehörst Du zufällig zu dem Abendkurs von Leon Fearell?"
„Mh, ja, das tue ich. Wieso?"
„Das ist gut, ich bin nämlich auf der Suche nach ihm. Er war noch nicht hier?"
„Äh, nein. Aber ich denke dass er gleich kommen müsste. Gehörst Du etwa auch zu dem Abendkurs?" hakte Violett verwundert nach.
„Oh, nein, nein. Ich muss ihm nur etwas bringen. Aber vielleicht überlege ich's mir ja nochmal für dich." Antwortete er augenzwinkernd.
Sein Lächeln war einfach bezaubernd .. Moment, hatte er sie gerade angeflirtet?
Bei diesem Gedanken hätte sie beinahe angefangen laut loszuprusten, wenn sie sich nicht vorher auf die Innenwand ihrer Wange gebissen hätte.
Manchmal wunderte Violett sich über ihre eigene Arroganz.
Wie konnte man gleichzeitig so voller Selbstzweifel sein, und dennoch arrogant genug, um auch nur für einen Moment anzunehmen, dass jemand wie er sich für jemanden wie sie interessieren könnte.
Und dann auch noch diese lächerliche Annahme, er würde zu dem Abendkurs gehören. Gut aussehende Typen gehörten nie zu irgendwelchen Abendkursen! Dummes Ding.
„Und, wie findest Du Leon's Kurs bisher?"
Plötzlich aus ihren Gedanken gerissen, musste Violett ein paar mal blinzeln bevor sie antworten konnte, wobei sie tunlichst vermied daran zu denken, dass sie ihn gerade ignoriert hatte.
„Oh, äh, gut. Er ist ein wirklich toller Lehrer. Er ist locker und macht einem keinen Druck, dadurch fällt dass Lernen viel leichter. Außerdem ist er eine wirklich sehr Sympathische Person." Hoffentlich hatte sie diesen Jungen bei ihrem Gedankengang nicht die ganze Zeit angestarrt ..
„Ja das stimmt. Er ist eine echt nette Persönlichkeit. Allerdings auch sehr bescheiden, der arme tut mir regelrecht Leid."
Violett verstand nicht ganz, wieso Leon ihm leid tat, überging dies dann aber einfach. „Seid ihr zwei Verwandt?"
Das Lächeln ihres Gesprächspartners nahm einen seltsamen Ausdruck an. „Hm, könnte man wohl so sagen, ja."
„Damian! Was tust Du hier?" Beide sahen in die Richtung der Stimme.
Es war Leon der da gerade auf sie zugelaufen kam, und nicht all zu glücklich schien.
„Hi Leon. Ich müsste mit dir sprechen, es dauert auch nicht lange. Aber da Du nicht zugegen warst, habe ich mich mit deiner bezaubernden Schülerin unterhalten. "
Leon schaute von dem Mann namens Damian zu Violett, wo sein Blick einen Augenblick verharrte, wobei sie hoffte, dass ihr Gesicht nicht rot angelaufen war. Dann schloss er seufzend seine Augen während er sich zur Saaltür wandte.
„In Ordnung... Geh doch schon einmal rein Violett, die anderen kommen sicher auch gleich."
Mit diesen Worten entfernten die beiden Männer sich, um ungestört zu reden.
Im selben Moment kamen auch schon die anderen Teilnehmer. Entgegen Violett's Hoffnungen war Blondie mit von der Partie.
Am Türrahmen stehend, meinte Sie: „Wer ist das? Ist das etwa sein Sohn?? Oh mein Gott, die beiden sehen sooo gut aus!"
Wahrscheinlich sprach Scarlett nicht einmal zu jemand bestimmtem, sondern einfach, damit jeder hören konnte was sie für einen Überdruss von sich gab.
Violett rollte seufzend mit den Augen. Die Frau ging ihr echt an die Substanz. Andererseits musste sie innerlich ein wenig grinsen.
Was Blondie wohl dazu gesagt hätte, wenn Sie gewusst hätte, dass dieser Damian mit ihr gesprochen hatte?
Violett würde es wohl nie erfahren, aber dafür standen ihr so genug Szenarien zur Auswahl, die sie im Kopf durchspielen konnte.
„Hi Violett!" Elegant lies Sally sich auf den Stuhl neben der angesprochenen fallen. Augenblicklich hob sich ihre Stimmung wieder und lächelnd erwiderte sie die Begrüßung. „Hi Sally."
Sie mochte das Mädchen wirklich, auch wenn sie es nicht wagte, die Hoffnung auf eine tiefere Freundschaft zu hegen.
Das was für andere eine Selbstverständlichkeit war, war ihr bisher nie wirklich vergönnt gewesen. Was wohl auch daran lag dass sie sich, durch ihre abweisende Art, selbst zum Außenseiter machte.
Sie konnte nichts dafür, es war einfach so dass sie andere Menschen lieber mied, ja sogar regelrecht hasste. Sie fand keinen Draht zu ihnen und war lieber stille Beobachterin.
Doch es war ok, sie wollte keine tieferen Freundschaften, keine Verpflichtungen gegenüber anderen.
„Schau mal! Ist das nicht süß?" Über das ganze Gesicht strahlend hielt Sally ihr einen Anhänger so dicht vor die Nase, dass sie beinahe angefangen hätte zu schielen.
Den Kopf etwas zurück lehnend, um das gezeigte Objekt besser betrachten zu können, schaute sie verwundert auf die rosa Flauschkugel.
„Öhm ... Sieht .. flauschig aus ..."
„Jaaa, nicht wahr? " Immer noch strahlend hielt sie es vor sich in die Höhe.
Den Kopf leicht schief gelegt schaute Violett ihre Sitznachbarin einen Moment lang an, dann jedoch fing sie ebenfalls an breit zu grinsen.
„Ich mag dich Sally, Du scheinst genauso durchgeknallt zu sein wie ich."
Sally wollte gerade etwas erwidern, doch beider Aufmerksamkeit wurde durch ein Zischen, welches von der Tür erklang, abgelenkt.
„Verdammt Ralf, halt doch jetzt endlich mal deine dämliche Klappe! Ich versuche gerade herauszufinden, wieso Leon und der Typ sich streiten!"
Ralf sah sichtlich enttäuscht aus, gab aber scheinbar noch nicht auf, unruhig von einen auf den anderen Fuß tretend setzte er erneut an: „Aber Scarlett ... Ich wollte dich fragen .. Würdest Du Morgen mit mir ein Eis essen gehen?"
Violett schaute ihn mit großen Augen an. Hatte er das eben wirklich gesagt? Nein, das konnte er doch wohl nicht ernst meinen ...
Sie kämpfte gerade innerlich darum, ob sie einfach nur Lachen, oder Mitleid mit ihm haben sollte.
Doch als Scarlett sich langsam zu ihm umdrehte, mit einem mehr als vernichtendem Blick und zischender Stimme, überwog eindeutig das Mitgefühl.
„Ralf ... Du kleiner Pisser, hör endlich auf mir auf die Nerven zu gehen mit so einer Kinderkacke! Sehe ich aus wie 4?", Ralf wollte gerade etwas sagen, doch Scarlett ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. „Nein! Tue ich nicht! Ich erwarte in ein teures Restaurant ausgeführt zu werden, eine Diamanthalskette und ein edles Kleid! Solange Du dir nicht mal eins davon leisten kannst, brauchst Du mich gar nicht erst anzusprechen! Auf ein Eis, also ich bitte dich. Tze ..."
Nun sah Ralf wirklich niedergeschlagen und verletzt aus.
Als Violett sich fragte ob Scarlett bewusst war, dass es sich nicht schickte als angeblich feine Dame so zu reden, beobachtete sie Ralf der sich beschämt auf sein Platz begab.
„Also, ich hätte jetzt nichts gegen ein Eis einzuwenden."
Leon ging in die Mitte des Saales während er noch hinzufügte; „Aber da hier keine Eisbällchen vorbei fliegen, solltet ihr euch jetzt auf eure Plätze begeben."
Scarlett stapfte gerade zu ihrem Stuhl, als ein lautes, dumpfes Geräusch vom Fenster erklang und alle zusammenzucken ließ.
Ein großer Rabe thronte vor der Fensterscheibe.
Es sah aus als würde er die Personen im Raum begutachten, und als sein Blick auf Violett fiel, verweilte dieser dort einen Augenblick länger.
In dem Raum war es totenstill geworden, es schien, als hätten sämtliche Anwesenden den Atem angehalten.
Was Violett einen zusätzlichen Schauer über den Rücken laufen ließ, doch am schlimmsten war dieses schwarze Auge mit dem der Rabe sie ansah, dass so düster und geheimnisvoll zugleich war.
Eine eiskalte Hand legte sich um ihren Nacken, woraufhin sich eine Gänsehaut über ihre Arme zog und ein erneutes Schaudern ihren Körper durchlief, dennoch war sie nicht im Stande den Blickkontakt zu lösen.
Langsam schlich eine merkwürdige Angst ihren Brustkorb hinauf.
Es kam ihr vor als würde das Tier versuchen in ihre Seele zu Blicken, in ihr tiefstes inneres.
Nach einer gefühlten Ewigkeit brach er endlich den Kontakt und sein Blick glitt weiter zu Leon, wo er ebenfalls für einen kurzen Moment verweilte, und dann war er weg.
So, als wäre er nie dagewesen.
Eine Weile starrten sie noch auf den Punkt vor dem Fenster.
So, als wäre das Tier weiterhin präsent, wenn auch nicht körperlich.
„Also dann … Lasst uns endlich mit dem Unterricht beginnen."
Seine Worte bewirkten, dass sämtliche entgeisterte Blicke auf Leon gerichtet waren.
„Hast Du das eben nicht gesehen? Das war doch nicht normal!“ Entgegnete Scarlett mit leicht hysterischer Stimme.
„Ein Rabe, dem die Dunkelheit scheinbar nicht recht bekommen ist. Wenn Morgen eine schwarze Katze unseren Weg kreuzt, sollen wir dann alle ins Kloster rennen?“
Er sprach total gelassen, doch Violett wurde das Gefühl nicht los, dass es die reinste Hypokrisie war.
Scarlett ließ sich davon keineswegs beirren, immer noch um Fassung ringend, hob sie ihren Zeigefinger und richtete diesen auf Violett. „Ihr habt es alle gesehen! Wie dieses ... Vieh, Sie angeschaut hatte!!“
Automatisch versuchte sie, auf ihrem Stuhl eine Etage tiefer zu gelangen, da sie nun von der Klasse fixiert wurde, die scheinbar eine Erklärung erwartete.
Glücklicherweise ergriff Leon erneut das Wort und rettete Violett damit vor noch mehr Schikane: „Scarlett, ich bitte dich jetzt ein letztes Mal, dich auf deinen Platz zu begeben. Ansonsten sehe ich mich gezwungen, dich für heute des Unterrichts zu verweisen.“
Sie kam sich langsam wie bei einem Tennisspiel vor, denn nun glitten die Augenpaare voller Erwartung zwischen Scarlett und Leon hin und her.
Eben jene schien alles andere als angetan davon, wie mit ihr gesprochen wurde, scheinbar focht sie gerade einen innerlichen Kampf aus, ob sie explodieren sollte, oder nicht.
Letztendlich entschied sie sich offensichtlich dagegen, mit einem „Hmf“, hob sie ihre Nase noch ein Stück höher als sie es sonst schon tat, und stöckelte zu ihrem Platz.
Die beklemmende Stimmung hielt sich auch die restlichen Stunden weiterhin hartnäckig im Raum, wodurch es einem vorkam, als wäre die Zeit eine zähflüssige Masse, die sich nur schwerlich voran trieb.
Umso erleichterter fühlte Violett sich, als endlich Schluss war, denn nicht einmal die sonst so lebendige Sally hatte großartig gesprochen.
Seufzend strich sie sich durch ihr Haar, während sie auf dem Weg zur Bushaltestelle war.
Es wurde langsam früher dunkel, bald würde es wohl auch wieder kälter werden. Eigentlich wurde es Zeit sich nach einem Auto umzusehen, denn im Winter in der Eiseskälte herumstehen? Daran hatte sie nicht wirkliches Interesse ... Wenn das alles nur nicht so furchtbar geldverzehrend wäre.
Als sie ihr Ziel erreichte, ließ sie sich auf einer Bank nieder die an einer Mauer stand.
Da es noch etwas dauerte, bis der Bus kam, holte sie ihr Buch heraus um sich die Zeit ein wenig zu versüßen.
„Hey Kleine, haste mal Feuer?“
Die Angesprochene schaute kurz auf und erblickte zwei bullige Gestalten, woraufhin sich ein mulmiges Gefühl in ihr ausbreitete.
Mit einem Nuschelndem „Natürlich.“ legte sie ihr Buch zur Seite, um in ihrer Handtasche nach dem gewünschten Objekt zu suchen.
Nachdem sie es endlich gefunden hatte, reichte sie es dem Typen, der es lächeln entgegen nahm.
Was ihn auch nicht Sympathischer aussehen ließ.
Dabei fiel ihr auf, dass er eine Glatze hatte. Seine Wange zierte eine schlimmaussehende Narbe, die unter seinem linken Auge begann und sich fast bis zu seinem Hals zog.
Sie versuchte die beiden möglichst nicht anzusehen, weshalb sie den zweiten Mann nicht näher betrachtete. Lediglich für einen Bruchteil einer Sekunde glitt ihr Blick über ihn.
Wobei sie erkannte, dass er zwar etwas kleiner als sein Kumpel war, aber nicht weniger massig.
Sie hoffte, dass diese komischen Typen schnell weitergingen und sie in ruhe ließen.
Aus dem Augenwinkel bekam sie mit, dass der Glatzkopf sich ein Stück zu ihr vorbeugte, weswegen sie den Kopf hob.
Er reichte ihr lächelnd das Feuerzeug. „Danke.“
Violett mühte sich ein kleines Lächeln ab, als sie es entgegen nahm, und nickte kurz.
Ihre Hoffnung, dass diese Gestalten nun weiterziehen würden, bestand weiterhin als sie das Feuerzeug wieder wegsteckte.
Ihr Unbehagen wuchs jedoch, als sie merkte, dass sie immer noch an derselben Stelle standen, weswegen sie es mit Ignoranz versuchte und sich erneut ihrem Buch widmete.
Womöglich warteten diese beiden einfach ebenfalls auf den Bus, und führten nichts böses im Schilde.
„Is ziemlich gefährlich. So ganz alleine hier. Kommen nich viel Leute lang um die Zeit.“ Leicht nervös hob sie den Blick und sah, wie er gerade den Rauch seiner Zigarette ausstieß.
'Jetzt bloß die Ruhe bewahren ....''
In dem Versuch den Kloß, der sich langsam aber sicher in ihrem Hals bildete loszuwerden, schluckte sie mehrmals, bevor sie freundlich antwortete: „Der Bus kommt jeden Moment, keine Sorge.“
„Na wenn das so ist, dann sollten wir das Ganze ein wenig beschleunigen.“
Dieses Mal hatte der schmächtigere von beiden das Wort ergriffen und war dabei aus den Schatten getreten, so dass sie ihn nun genauer betrachtete.
Er hatte Millimeter kurzes Haar. Im Gegensatz zu seinem Kumpan, der eine tiefe rauchige Stimme hatte, war seine widerlich piepsig, was ihn allerdings nicht minder gefährlicher erscheinen ließ.
Irgendwie hatte Violett das Gefühl, dass sie sich vor ihm eher in acht nehmen musste als vor seinem großen Begleiter.
„Bist Du die Freundin von Kevin Schuhster?“
Die Frage war wie ein Schlag ins Gesicht für sie.
Kevin? Was wollten diese Typen von ihm? Was hatten er mit ihnen zu schaffen?
Ihr Hirn lief auf Hochtouren, doch gleichzeitig herrschte vollkommene Leere.
Ein Teil suggerierte ihr vehement, endlich die Flucht zu ergreifen.
Während die andere Hälfte vorschlug, einfach starr sitzen zu bleiben bis sie gingen.
Noch bevor die einzelnen Optionen wie Flucht, oder Kampf, sich manifestieren konnten, wurden sie schon verworfen.
„Nein.“ Kam es stattdessen aus ihr herausgeschossen.
Erst sahen beide einen Moment irritiert drein, dann aber wurde sie grob von Narbe am Oberarm gepackt und auf die Füße gezerrt.
„Verarsch uns nich.“ Grollte er.
Panik ergriff Besitz von ihr, verzweifelt versuchte sie ihren Arm zu befreien. „Lass mich los! Ich habe nichts mit ihm zu tun!“
„Also kennst Du ihn doch.“ Stellte die Ratte mit einem gefährlichen Funkeln in den Augen fest.
Ihr Atem stockte.
Ein dünner Schweißfilm legte sich über ihren Körper und ließ ihn erzittern.
Erneut versuchte sie es mit einem Zittrigen: „Nein.“ Selbst in ihren Ohren klang es nicht gerade überzeugend.
Ratte, wie sie den kleineren der beiden im Geiste nannte, zog etwas Silbernes aus seinem Hosenbund und spielte damit.
„Weißt Du, Kevin, ist, da in etwas hineingerate, dessen er nicht gewachsen ist … Er hat unseren Boss abgezockt. Was dieser natürlich gar nicht schätzt. Er will Vergeltung. Weswegen er Kevin‘s kleines Toy will.“
Er kam ihrem Gesicht näher und hielt ihr das silberne Etwas unter ihr Kinn, so dass sich die Spitze des Messers in ihre Haut bohrte.
„Dich.“ Beendete er bedrohlich flüsternd seinen Satz.
Violett wäre am liebsten vor ihm und seinem Mundgeruch, zurückgewichen.
Doch der immer noch eiserne Griff Narbe’s, und die Bank in ihren Kniekehlen verhinderten dies.
Entgeistert schaute sie ihren Gegenüber an, nicht im Stande etwas darauf zu erwidern.
Wenn das stimmte, dann würde sie sterben.
Sie musste heftig schlucken, um die aufsteigende Übelkeit und die Tränen zu unterdrücken.
Ihr Sohn!
Sie würde ihn nie wieder lachen hören.
Nie wieder das Strahlen in seinen Augen sehen.
Ihr Brustkorb fühlte sich plötzlich wie eingeschnürt an, und nahm ihr die Luft zum Atmen.
Verzweifelt blinzelte sie gegen die Tränen an, doch es half nichts, sie standen ihr bereits in den Augen.
„Bitte ..“ Brachte sie mit erstickter Stimme hervor.
Was ihr nur ein Süffisantes grinsen von Ratte einbrachte.
Nie wieder würde sie die liebenden Augen ihrer Mutter sehen.
„Keine Sorge Kleines, der Boss wird bestimmt ganz lieb sein.“ Über seine eigenen Worte amüsiert brach er in Gelächter aus.
Ein neues Gefühl gesellte sich zu den anderen.
Wut.
Auf Kevin, der sie erst in diese schreckliche Situation gebracht hatte.
Aber auch auf diese zwei Idioten, die sie für etwas büßen lassen wollten, mit dem sie nichts zu tun hatte.
In einem letzten verzweifelten Versuch sich zu befreien, trat sie aus und traf Narbe's Schienbein.
Dessen Gesicht verzog sich zwar schmerzvoll, doch sein Griff wurde davon nicht lockerer.
Sie schlug um sich und schrie, doch es brachte nichts.
„Sei endlich ruhig Du kleine Schlampe!“ Zischte Ratte und holte zum Schlag aus.
„Ihr seid mir zwei Helden. Seid ihr wirklich so erbärmlich, dass ihr euch zu zweit auf ein armes Mädchen stürzen müsst?“
Alle drei hielten inne um sich zu der Stimme zu wenden, woraufhin Violett große Augen bekam.
Lässig an die Mauer gelehnt, die Hände in den Hosentaschen, stand dort Damian.
„Kümmer dich um deinen eigenen Scheiß kleiner.“
Langsam wanderten seine Augen von Violett zu Ratte und ein Lächeln, dass nichts als gespielte Fröhlichkeit zeigte, umspielte seine Lippen. „Das kann ich nicht, solange ihr meine Freundin belästigt.“
Die zwei Typen sahen sich etwas verdutzt an, um dann auf Violett hinab zu schauen.
Glatze war der erste, der seine Stimme wieder fand und fragte: „Ist der Typ da dein Freund?“
Noch bevor sie groß darüber nachdenken konnte, schoss ein: „Ja.“, aus ihrem Mund.
„Lass dich doch nicht verarschen Du Vollidiot! Wir haben doch das Foto von ihr gesehen!“
Violett's Blick schnellte zu Damian. Wenn die beiden die Wahrheit wussten, dann war nun auch er in Gefahr.
Doch entgegen ihren Erwartungen schien er das Spiel weiter spielen zu wollen.
„Ich weiß ja nicht was ihr glaubt gesehen zu haben, aber das Mädchen ist definitiv meine Freundin, und ich schätze es gar nicht wenn man sie anfasst. Also entweder, ihr lasst sie jetzt los, oder ich werde dafür Sorge tragen dass ihr es tut.“
Wie er das sagte, jagte Violett eine Gänsehaut über den Rücken.
Todernst und mit einem Blick, bei dem die beiden eigentlich schon hätten umfallen müssen.
Der kleinere der beiden Männer schien nun doch etwas verunsichert, oder er hatte wirklich Angst.
Was auch immer es war, etwas ließ ihn Zögern.
Doch er schien sich schnell wieder gefangen zu haben, denn mit einem Ruck streckte er den Rücken durch und sein Blick wurde entschlossen.
„Wir werden die Kleine mitnehmen, egal was Du sagst. Also verzieh dich bevor wir dir weh tun müssen.“
Gespielt seufzend schüttelte Damian nur mit dem Kopf, und im nächsten Moment war er schon losgestürmt.
Violett konnte gar nicht so schnell schauen, da gab es einen Luftzug vor ihrem Gesicht, und ein Knacken gefolgt von einem stöhnen, erfüllten die Stille.
Sie konnte gerade noch so sehen, wie Glatze sich die Hände vors Gesicht hielt, sobald Damian's Fuß wieder den Boden berührte, und er rückwärts taumelte, als sich auch schon Ratte mit seinem Messer, auf Damian zustürmte.
Dieser hatte dies schon registriert, ehe sie überhuapt daran denken konnte ihn zu warnen.
Denn in einer einzigen geschmeidigen Bewegung wich er zur Seite, drehte seinen Oberkörper ein wenig, und ließ Ratte somit in seinen Ellenbogen stürzen.
Sie sah noch wie er, sich das Auge haltend, auf den Boden stürzte, bevor Damian's Rücken ihr auch schon die Sicht versperrten.
„Fuck, der Bastard hat mir die Nase gebrochen!"
Violett lehnte sich ein Stück zur Seite, um an dem Kerl vor ihr vorbeischauen zu können.
Er war nicht so ein Schrank wie die beiden Typen, aber dennoch überragte er sie mindestens um einen Kopf, sein Körper strahlte eine Atlehtische Kraft aus, die weitaus graziöser und schöner anmutete, als die der beiden Steroidmissbrauchten Schwachmaten.
Sie erblickte Narbe, der sich immernoch die Hände vor die Nase hielt, und stark blutete, da sich langsam eine kleine Pfütze vor ihm zu bilden begann.
„Hör auf zu jammern und schnapp dir die beiden, verdammt noch mal! Aaarh, mein Auge!"
Wäre die Situation nicht so furchtbar ernst gewesen, hätte sie sich wahrscheinlich über diese beiden Idioten schlapp gelacht.
Doch spätestens, bei dem Anblick von Damian's Augen, wäre ihr jegliches Lachen im Halse stecken geblieben. Jene hatten ein eisfarbenes Blau angenommen, welches eine tödliche Kälte ausstrahlte, dass ihr Blut gefrieren ließ.
Sie hoffte inständig, diesen Blick niemals auf sich gerichtet zu wissen.
„Ich würde vorschlagen, dass ihr jetzt lieber verschwindet, und euch nicht mehr blicken lasst.“
Ratte drehte sich derweil langsam zu seinem Peiniger um, und schaute ihn aus seinem Hasserfülltem Auge an, während er das andere immer noch durch seine Hand verdeckt hielt.
Sichtlich mit sich selbst ringend, starrte er eine Weile Damian an, bis sein Augenmerk langsam zu Violett weiter wanderte und er drohend seinen hässlich krummen Zeigefinger auf sie richtete.
Woraufhin sie sich veranlasst sah, vorsichtshalber wieder ein Stück in Deckung zu gehen.
Sicher war sicher.
"Richte diesem Bastard aus, dass er die Bezahlung liefern soll ! Wir werden nicht länger warten!"
Mit diesen Worten erhob er sich etwas ungeschickt und ging.
Während Narbe noch einen Moment, scheinbar unschlüssig, hin und her schaute, bis er seinem Kollegen folgte.
Wobei er Violett dabei irgendwie an einen getretenen Hund erinnerte.
Erst als die beiden außer Sichtweite waren, bemerkte sie, dass sie von Damian beobachtet wurde.
Nun wieder mit diesem warmen Meeresblau und den hellblauen streifen, so als wäre es nie anders gewesen.
"Du solltest dich besser setzten."
Irritiert wandte sie ihm ihr Gesicht zu. "Wieso?"
Mit einem Nicken auf ihren Körper erwiederte er: "Weil Du zitterst."
Verwundert Blickte sie an sich herab, um festzustellen dass er recht hatte.
Jetzt erst wurde ihr bewusst, wie sehr die ganze Szene sie eigentlich mitgenommen hatte.
Nun, wo das Adrenalin langsam abflaute, die Emotionen die Oberhand gewannen und ihr erstmals richtig bewusst wurde, was da eben geschehen war, gewann der Schwindel an Nachdrücklichkeit.
Wäre Damian nicht so geistesgegenwärtig gewesen und hätte sie an der Hüfte gepackt, um sie sanft auf die Bank zu drücken, würde sie nun wohl dem Boden 'Hallo' sagen.
Zittrig sog sie die Luft ein, darum bemüht eine möglichst gleichmäßige Atmung zustande zu bekommen, um der Übelkeit, und den aufsteigenden Tränen einhalt zu gebieten.
'Nicht heulen. Fang jetzt bloß nicht an zu heulen .. Verdammt, ich habe mir doch geschworen es nie wieder zu tun ... Tief einatmen und beruhigen, die beiden sind weg, also ist alles wieder in Ordnung. Es ist nichts passiert ..... Du bist stark, reiß dich zusammen.
Nicht. Heulen!'
Völlig in ihrem geistigem Mantra, und dem verzweifeltem versuch ihren Puls zu beruhigen, vertieft, bemerkte sie nicht sofort dass Damian vor ihr hockte, und sie aus sorgenvollen Augen beobachtete.
„Violett? Geht es dir gut? Soll ich einen Arzt rufen?"
Als seine Hand sacht über ihre Wange strich, weiteten sich ihre Augen für einen kurzen Moment, bevor sie vor der Berührung zurück schrack als hätte er sie geschlagen, um dann heftig mit dem Kopfzuschütteln.
Sie sah die leichte Kränkung und die nun noch größere Sorge in seinen wunderschönen Augen.
Es tat ihr ehrlich Leid, weil sie ihn gewiss nicht verletzten wollte, doch konnte sie jetzt keine Nähe ertragen, es würde ihr letztes bisschen Selbstbeherrschung zunichte machen.
Was zur Folge hätte, dass sie in nicht enden wollendes Schluchzen ausbrechen würde, und diese Blöße wollte und konnte sie sich einfach nicht geben.
Sie hatte vor jahren das letzte Mal richtig geweint, seitdem hatten ihre Augen vielleicht eine Träne vergossen, und manchmal glaubte sie dass sie es wirklich 'verlernt' hatte.
Doch sie wollte es gewiss nicht darauf ankommen lassen, weswegen sie sich auf die Unterlippe biss und Damian mit einem Entschuldigendem Blick bedachte, bei dem sie hoffte dass er verstand.
Dem schien so, denn er legte lediglich seine Hand auf ihr Knie, um dieses zu drücken.
„Bist Du dir sicher dass ich keinen Arzt rufen soll?"
Zur Antwort bekam er lediglich ein Nicken.
Natürlich ging es ihr nicht gerade bestens, doch das unkontrollierbare Zittern war zu einem leichten Schütteln abgeflaut und ihr Atem ging auch nicht mehr so stockend.
Violett starrte immer noch auf den Boden zwischen ihren Füßen, als ihr bewusst wurde dass Damian angefangen hatte, ihr Bein auf und ab zu streichen.
„Danke." Es war nicht mehr als ein leises krächzen gewesen, wodurch ihr erstmals auffiel, wie trocken ihre Kehle eigentlich war.
„Wer waren diese Kerle? Was hast Du mit ihnen zu schaffen?"
Ratlos konnte sie nur den Kopf schütteln. „Ich weiß nicht wer die waren ... Ich habe sie vorher noch nie gesehen ..."
Doch da fiel ihr etwas ein, flüsternd wiederholte sie den Namen der gefallen war: „Kevin."
Ihr gegenüber sah sie fragend an. „Kevin? Dein Freund?"
Violett konnte nur Nicken, ihr schwirrte der Kopf von den ganzen Gedanken die ihre Bahnen zogen.
Was hatte Kevin angestellt, dass solche Typen hinter ihm her waren? Wollte er deswegen Geld von ihr? Wie weit würden diese Gestalten noch gehen wenn sie nicht bekamen was sie wollten?
Damian schien noch etwas zu sagen, doch sie registrierte es nicht, denn ein flaues Gefühl in ihrer Magengegend forderte ihre Aufmerksamkeit. Es zog sich wie ein Virus durch den Körper und ließ sie erschaudern.
Panisch sprang sie von der Bank auf, wobei sie Damian umriss, und schaute sich mit Schreckgeweiteten Augen nach diesem verdammten Bus um.
Nero!
Der Bus kam in Sicht, doch Violett kam es so vor, als würde er sich eher entfernen, statt endlich bei ihr anzukommen.
Ungeduldig wippte sie von einem Fuß auf den anderen, den Bus mit einem bösen Blick fixierend, so als wäre er der Schuldige allen Übels.
Erst als etwas sie am Oberarm packte und halb zu sich drehte, fiel ihr wieder ein dass Damian auch noch da war. „Violett! Was ist denn los?"
Nach Worten ringend, sah sie ihn einen Moment an, bevor sie mit zitternder Stimme hauchte: „Mein Sohn."
Er blinzelte einen Moment, ob nun wegen der Tatsache, dass sie einen Sohn hatte, oder er ihn ebenfalls in Gefahr sah, wusste sie nicht zu sagen.
Doch war es ihr herzlich egal, denn sie hörte ein Brummen heran nahen und wirbelte herum.
Als sich die Türen endlich dazu bequemten, quälend langsam aufzugehen, hätte Violett am liebsten mit den händen nachgeholfen.
Stattdessen zwängte sie ihren Körper hindurch, bevor diese gänzlich geöffnet waren.
Den seltsamen Blick des Fahrers ignorierend, hielt sie ihm kurz ihr Ticket unter die Nase, bevor sie nach hinten durchstürmte und sich förmlich auf einen der Sitze warf.
Was ihr Steiß alles andere als guthieß, und ihr dies in Form von Schmerzen verdeutlichte.
Mit leicht schmerzverzerrtem Gesicht, schaute sie nach vorne und erblickte Damian, der geradewegs auf sie zuhielt und neben ihr stehen blieb.
„Kann ich mich dazusetzten?" Violett konnte nur fragend zurück schauen, während der Bus endlich losfuhr.
Da eine Antwort ihrerseits auch weiterhin ausblieb, nahm er Platz und erklärte: „Ich dachte mir, dass wenn die Typen wirklich dort sein sollten, es wohl besser wäre, wenn Du nicht alleine bist."
Langsam nickend, stimmte sie ihm zu.
Es wäre wohl wirklich nicht ratsam, alleine zu sein falls ihre größte Angst sich bewahrheiten sollte.
'Alleine .... alleine ..... Mum!'
Hastig versuchte sie ihr Handy aus der Hosentasche zu fischen.
Vor sich hin fluchend, darüber dass die Hose so eng war, und sie nicht gleich daran gedacht hatte, schaffte sie es endlich das dumme Ding zu befreien und wählte die Nummer ihrer Mutter.
Ewig langes Tuten folgte, bis eine Frauenstimme ihr mitteilte, dass der Teilnehmer zur Zeit nicht erreichbar sei.
„Nein! Nein, nein, nein, nein!" Mit zitternden Fingern versuchte sie es erneut.
Diesmal wurde auch sogleich abgenommen und ihre Mutter meinte: „Sorry Kind, ich war gerade im Bad. Was gibts?"
Erleichtert ließ Violett die Luft aus ihren Lungen entweichen, die sie unbewusst angehalten hatte.
„Geht es euch gut? Ist alles in Ordnung? War jemand da?"
Ihre Gesprächspartnerin stutze einen Moment, bevor sie antwortete: „Nein. Uns geht es gut und es war auch niemand hier. Wieso? Ist etwas passiert?"
Seufzend glitt sie in ihren Sitz zurück und entgegnete nun ruhiger:
„Das erkläre ich dir später, mach einfach keinem auf! Bis gleich." Dem Bombardement an Fragen entgehen wollend, hatte sie einfach aufgelegt und ihrer Mutter somit keinen Raum für erwiederungen gegeben.
Den Kopf zurück lehnend, schloss sie ihre Augen und atmete einmal kräftig durch, bis ihr erneut etwas einfiel und sie zur Seite schauen.
Augen, tiefer als Ozeane, blickten sie mit einer inneren Ruhe an, und es war, als würde jene welche sich auf sie übertragen und in ihrem Körper ausbreiten, mit jedem weiteren Moment den sie sich ansahen.
Alles um sie herum schien nichtig zu werden, es hatte den Anschein als wolle selbst die Zeit sich eine Pause gönnen.
Weswegen sie auch nur am Rande registrierte, dass ihre Haltestelle gerade aufgesagt wurde.
Mit größter Anstregung schaute sie weg und betätigte den Halteknopf, während sie etwas heißer sagte: „Hier muss ich raus."
Ohne ein weiteres Wort stand Damian auf um zu den Türen zu gehen, während Violett ihm verlegen einen kleinen Vorsprung ließ, damit sie sich leise räuspern konnte, bevor sie ihm folgte.
Sie kam sich mit ihrem Verhalten wirklich mehr als dämlich vor, weshalb sie vermied ihn direkt anzusehen, und sich lieber auf den Weg konzentrierte.
'Nachher renn ich noch gegen 'ne Laterne ... Zuzutrauen wäre es mir ...'
Geradeaus starrend, kämpfte sie mit dem Zwang, stetig zurück blicken zu wollen um sich zu vergewissern dass ihnen niemand auf den Fersen war.
Sie war nicht gerade erpicht darauf von Damian für Paranoid gehalten zu werden, auch wenn sie, ihrer Meinung nach, guten Grund dazu hatte.
In ihrer Wohnung angekommen, erwartete ihre Mutter sie schon ungeduldig und überfiel sie regelrecht, als sie die Küche betraten.
Einen skeptischen Blick auf den fremden werfend, packte sie ihre Tochter bei den Armen und besah sie sich von oben bis unten.
„Gott, Kind, Du siehst furchtbar aus! Was ist bloß passiert? Nach deinem Anruf habe ich mir solche Sorgen gemacht, Du kannst doch nicht so kryptisch reden und dann einfach auflegen! Ich habe fast Furchen in die Küche gelaufen! Siehst Du? Da."
Schuldbewusst dreinschauend erwiederte sie: „'Tschuldigung Ma."
Nachdem alle mit Kaffee versorgt waren, begann Violett ihrer Mutter zu berichten was ihr zugestoßen war.
Mit Entsetzen vernahm diese was geschehen war, um vor Wut schäumend zu sagen: „Wenn ich den Kerl in die Finger bekomme mache ich Kleinholz aus ihm! Ich habe es dir gesagt, ich habe die ganze Zeit gesagt dass er nicht gut für dich ist und dir nur Ärger einhandeln wird!"
„Mama, jetzt beruhige dich doch bitte, Du weckst sonst noch den kleinen auf. Außerdem musst du Kevin dann schon vor mir in die Finger bekommen, denn wenn ich ihn sehe, werde ich ihm die Eier abreißen und ihn den Fischen zum fraß vorwerfen."
Mit einem verlegenem Seitenblick wurde ihr in Erinnerung gerufen, dass ein für sie völlig fremder neben ihr saß, auch wenn er ihr das Leben gerettet hatte.
Es war seltsam, denn normalerweise brachte sie kaum ein Wort vor Leuten heraus die sie nicht kannte, und bei ihm vergaß sie sich völlig.
'Wahrscheinlich ist die Wut und das Adrenalin dafür verantwortlich ...'
Die ältere der beiden Frauen gab ein grimmiges Schnauben von sich, während sie ihre Tasse an die Lippen setzte um einen kräftigen Schluck zu sich zu nehmen.
Diese kurze Pause nutzte Damian, der bisher geschwiegen hatte, um das Wort zu ergreifen: „Auf jeden Fall solltet ihr schnellstmöglich die Polizei verständigen."
Violett verzog ihr Gesicht zu einer abschätzigen Maske.
Als würde die Polizei großartig helfen können.
Auch ihre Mutter schüttelte kaum merklich den Kopf, was ihre Schulterlangen Haare zum schauckeln brachte, und die vereinzelten grauen Strähnen im blonden Schopf aufblitzen ließ.
„Ich werde Onkel Antonio anrufen und ihn bitten, uns für eine Weile bei sich aufzunehmen. Sein Haus ist groß genug um uns allen Platz zu bieten, und ich bin mir sicher dass er sich freuen würde uns mal wieder zu sehen."
Der eben noch abschätzige Ausdruck auf Violett's Gesicht wurde nun gequält, da sie sich nicht sicher war, was das schlimmere Übel war; Männer, die sich um ihr Geld betrogen fühlten.
Oder ein Mann, der mit allen mitteln versuchen würde, sie mit seinem Sohn zu vermählen.
Schon vor 3 Jahren, als beide zu Besuch waren, hatte er krampfhaft versucht sie für Vincent zu begeistern.
Das Problem daran war nur, dass Onkel Antonio der Meinung war, man könne alles und jeden mit Geld kaufen, und wenn nicht, dann wurde er eben gewaltsam überzeugt.
Zu ihrem Glück, waren sie und Kevin zu diesem Zeitpunkt frisch zusammen gezogen. Somit hatte sie sich dort verstecken können bis die beiden wieder abgereist waren.
Sie hatte ihrer Mutter gegenüber nie ein Wort darüber verloren, und hatte auch nicht vor, dies in naher Zukunft zu ändern.
Seufzend stand Violett auf und entgegnete auf die fragenden Blicke: "ich brauch ne kippe.", bevor sie durch die Wohnzimmertür verschwand.
Sie hasste das Stadtleben, die dreckige Luft, die ihre Nasenschleimhäute fast regelmäßig wegzuätzen versuchte, der Lärm, und das ausschlaggebendste; die unglaublichen Massen an humanoidem Unrat.
Es war wie es war.
Weswegen sie innerlich einen Freudentanz vollführt hatte, als sie wenigstens diese Wohnung, in einer eher ruhigeren Gegend, mit diesem wundervoll großen Balkon ergattern konnte.
Auf diesen bequem ein kleiner Tisch samt zwei Stühle passten, ohne gleich von Platzangst heimgesucht zu werden.
Doch nun stand alles Kopf, ihr komplettes Leben, und das ihrer Familie, waren von einem Moment auf den anderen in Gefahr.
Wie sollte es weiter gehen?
Sie konnte doch nicht einfach die Schule schmeißen und nach Padua flüchten.
Zumal da immer noch die Sache mit Antonio war.
Stöhnend rieb sie sich mit den Händen über das Gesicht und ließ sie in ihren braunen Haaren stoppen.
Auf den Tisch starrend, bekam sie am Rande mit, wie sich etwas in der Tür bewegte, woraufhin sie den Kopf hob. Da sie ihren Blick allerdings nicht sofort aus der Ferne gerichtet bekam, dauerte es einen Moment bis sie fragen konnte was es gab.
„Ich wollte schauen ob es dir gut geht.“ An den Rahmen gelehnt stand er mit vor der Brust verschränkten Armen da und bedachte Violett mit einem besorgtem Ausdruck.
„Oh ja, blendend, mir ging es nie besser.“ War ihre sarkastische Antwort darauf, während sie ungläubig seinen Blick erwiderte.
Lächelnd setzte er sich ihr gegenüber und sah in den Himmel.
Violett musste sich eingestehen, dass er wirklich gut aussah, doch da war noch etwas anderes was ihr jetzt erst langsam auffiel.
Trotz dass er für sie ein völlig Fremder war, hatte sie absolut keine Probleme damit dass er hier war, im Gegenteil, sie mochte seine Gegenwart.
'Ob es daran liegt dass er mich gerettet hat?'
Doch andererseits, auch wenn sie andere Menschen in der Regel mied, gab es auch jene mit denen sie sich auf Anhieb verstand.
Sie konnte sich nicht helfen, doch irgendwie fühlte es sich bei ihm anders an.
„Natürlich ist die Situation scheiße, aber nachdem deine Mutter deinen Onkel erwähnt hatte, warst Du irgendwie angespannt.“
Plötzlich aus ihren Gedanken gerissen, musste sie kurz Blinzeln bevor sie etwas erwidern konnte. „Unwichtig. Es ist sowieso keine Option, ich meine, sie hat ihre Arbeit und ich meine Schule, die wir nicht einfach so schmeißen können.“
„Ihr solltet auf jeden Fall zur Polizei gehen.“ Eine kurze Pause trat ein, in der er zu überlegen schien, bevor er weiter fuhr: „Wie wäre es damit; Wir gehen zur Polizei und melden den Vorfall, und ich werde mal schauen was sich einrichten lässt, damit ihr nicht weiterhin Angst haben braucht.“
Ungläubig hob sie eine Augenbraue und fragte amüsiert: „Was? Willst Du dich auf dein Ross schwingen und den großen bösen Drachen erlegen?“ Sie wusste selbst nicht, wie sie gerade auf diesen mehr oder minder dämlichen Vergleich kam, es war einfach das erstbeste was ihr eingefallen war.
Ihr Gegenüber fing an zu Lachen. „Nicht ganz, aber ich habe da schon einen Plan.“
Welcher, zu Violett's Leidwesens, darin bestand dass sie auf die nächste Polizeiwache geschleppt wurde um eine Anzeige zu erstatten.
Wäre Damian nicht bei ihr gewesen, hätte sie höchstwahrscheinlich schon in den ersten fünf Minuten des Wartens wieder die Flucht ergriffen.
Stattdessen starrte sie entnervt auf die Wand vor ihr, bis sich endlich jemand dazu herabließ sich ihrer anzunehmen.
Der Mann vor ihnen war vielleicht Mitte 30, und entgegen ihrer Erwartungen war er weder Glatzköpfig, noch dickbäuchig.
Nachdem sie ihm den Vorfall genauestens geschildert hatte, er sich sowohl Damian's als auch Kevin's Namen und Adressen notiert hatte, bat er sie noch ein Täterprofil mit seinem Kollegen zu erstellen.
Danach wurden die Unterlagen zur weiteren Bearbeitung zur Seite gelegt, woraufhin der Beamte einen kritischen Blick kassierte.
Lächelnd erklärte er, dass diese am Morgen an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet werden würden.
'Dämliche Bürokratenkacke.' Dachte sie sich seufzend, während ihnen bedauernd erläutert wurde, dass die Polizei zu diesem Zeitpunkt leider nicht mehr unternehmen könne, sie aber sofort anrufen sollten wenn so etwas noch einmal vorkommen sollte.
Kurz darauf stampfte sie auch schon wütend aus dem Gebäude.
„Beruhige dich erst mal.“
Sofort blieb sie stehen und wirbelte herum. „Ich habs dir doch gesagt! Das war totale Zeitverschwendung. Wenn du falsch nen Furz lässt, dann sind sie da und verknacken dich für Jahre. Aber wenn wirklich was ist, dann gucken se nur dumm.“
„Zumindest haben sie nun die Anzeige und Phantombilder, und da die Typen schon bekannt waren, sind sie weg vom Fenster, wenn sie erwischt werden.“
Sie konnte nicht verstehen wie er da so ruhig stehen konnte und das alles einfach so hinnahm, während sie an die Decke gehen könnte.
Von Anfang an hatte sie gewusst, dass die nichts machen würden und das alles für die Katz war.
„Wenn sie erwischt werden. Genau das ist auch der Knackpunkt.“ Meinte sie frustriert und ging kopfschüttelnd weiter.
Am Auto wartete bereits ungeduldig ihre Mutter, derer sie berichtete was ihnen gesagt wurde, während Damian sich entschuldigte um kurz telefonieren zu gehen.
„Ich habe Antonio erreicht. Er meinte, dass wir jeder Zeit herzlichst Willkommen sind und er alles arrangieren würde um uns zu schützen.“
Innerlichen aufseufzend über dieses, ihrer Ansicht nach, unnötige Thema, warf sie einen kurzen Blick durch die hintere Scheibe, wo ihr kleiner Schatz seelenruhig vor sich hin schlummerte, bevor sie an den Kofferraum trat um sich eine Flasche Eistee heraus zu holen.
„Kind, ich versteh dich einfach nicht. Willst Du lieber warten bis-“ Mit einer wirschen Handbewegung wurde sie von Violett unterbrochen.
„Ich will verdammt noch mal mein Leben auf die Reihe bekommen! Ich … ach man, ich will einfach nicht zu Onkel Antonio, ok?!“ Genervt starrte sie auf die Sporttasche, die sie vor ihrer Abfahrt noch schnell gepackt hatte.
Da keiner wusste ob diese Idioten nicht eventuell doch noch bei ihr zuhause auftauchten, hatten sie es für sinnvoller empfunden, sofort ein paar Sachen mitzunehmen und die Wohnung zu verlassen.
Wovon Violett anfangs alles andere als begeistert gewesen war, weil sie Enbel einfach nicht hatte finden können.
Er war einfach so verschwunden!
Gut, an sich wäre dies wahrscheinlich nichts Weltbewegendes ... wenn er nicht eine reine Hauskatze wäre.
Sie hatte keine Erklärung dafür gefunden, die Fenster waren verschlossen und sofern er nicht gelernt hatte abgeschlossene Türen zu öffnen, war auch dies keine Option.
Doch alles Kopfzerbrechen half ja jetzt doch nichts, weswegen sie ein Murmelndes: „Dann sollen seine Leute uns doch hier beschützen.“ in den immer noch anhaltenden Redefluss ihrer Mutter warf, dem sie seit eben nicht mehr zugehört hatte.
„Wie stellst Du dir das bitte vor? Seine Leute sind in Padua, er kann sie wohl schlecht extra hier her schicken, nur weil Du meinst die Prinzessin auf der Erbse zu mimen.“
Empört nach Luft schnappend, und einer schlagkräftigen Antwort suchend, sah sie wie Damian gerade wieder zu ihnen heran trat.
„Ich habe mit einer Freundin telefoniert, und sie wäre bereit euch für eine Weile aufzunehmen.“
Ihre Mutter war natürlich weder erfreut, noch überzeugt und sprach sich vehement gegen diesen Vorschlag aus.
Selbst als ihr versichert wurde dass diese Frau imstande war, für ihre Sicherheit zu Sorgen da sie eine Kampfausbildung hatte, wollte sie auch weiterhin zu ihrem Bruder gehen.
Geschlagene zwanzig Minuten brachten sie damit zu, darüber zu diskutieren, oder eher zu streiten, wo sie hingehen sollten.
Bis es Violett irgendwann zu Bunt wurde, sich immer und immer wieder zu wiederholen, und sie wutschnaubend zu ihrem Sohn auf die Rückbank rutschte.
Bevor sie die Augen schloss, um sich zu beruhigen, sah sie noch, wie Damian weiterhin ruhig auf ihre Mutter einredete.
Respekt.
An seiner stelle, wäre sie schon längst abgedampft und hätte sich diesen ganzen scheiß gar nicht länger gegeben.
Wenn sie so darüber nachdachte, dann war es sowieso ein Phänomen für sich, dass er hier war und scheinbar mit allen Mitteln versuchte ihnen zu helfen.
Jeder andere hätte wahrscheinlich schon bei Ratte und Narbe weggesehen und sie ihrem Schicksal überlassen.
So etwas wie Zivilcourage wurde zwar immer hoch gehandelt, doch wenn dann mal etwas passierte, traute sich niemand einzugreifen.
Als sie die Autotüren aufgehen hörte, öffnete sie ihre Augen und beobachtete wie Damian hinter dem Steuer platz nahm.
Ihre Mutter stellte einen mehr als verbissenen Gesichtsausdruck zur schau und ihre blauen Augen waren starr nach vorne gerichtet.
Fast war sie versucht zu glauben, dass ein Wunder geschehen war und er es tatsächlich geschafft haben sollte, sie zu überzeugen.
Doch um nicht in falschen Hoffnungen zu schwelgen fragte sie: „Wo fahren wir hin?“
Wie erwartet bekam sie von Seiten der Beifahrerin keinerlei Reaktion, dafür wenigstens vom Fahrer: „Ich setze dich und deinen kleinen jetzt bei meiner bekannten ab und werde deine Mutter dann zum Flughafen bringen.“
„Was?!“ Entgeistert blickte Violett zwischen den beiden hin und her. „Du bleibst nicht hier?“
„Nein. Wenn Du zur Vernunft gekommen bist, kannst Du gerne nachkommen. Antonio wird dir die Reise bezahlen.“
Sie war eindeutig mehr als nur ein wenig Sauer. Sie war richtiggehend angefressen und wohl auch enttäuscht.
Irgendwie war es, trotz dem dass sie es sich hätte denken können, ein kleiner Schlag dass ihre Mutter ging.
Das positive daran war, dass Violett sich damit keine Sorgen um sie machen müsste, denn sie bezweifelte keinen Moment dass Onkel Antonio für die Sicherheit seiner Schwester sorgen würde.
Doch dies hieße ebenso, dass ihre größte Stütze, beste Freundin und geliebte Mutter sie verlassen würde.
Sie hätte niemanden mehr mit dem sie reden, ihre Fragen stellen und einfach nur Blödsinn machen könnte.
Zweifel bahnten sich mit rasender Geschwindigkeit ihren Weg, und sie fragte sich ob es wirklich klug war hier bleiben zu wollen.
Nein, es war ganz und gar nicht klug, im Gegenteil, es war sogar eine sau dämliche Idee.
Nur weil sie schlecht mit Veränderungen klar kam, ging sie ein nicht zu verantwortendes Risiko ein.
Dabei veränderte sich bereits alles, sie konnte nicht mehr in ihre Wohnung zurück, müsste bei einer ihr Fremden Person wohnen, ständig Angst haben dass hinter der nächsten Hausecke jemand lauerte und sie wusste nicht einmal, ob sie Enbel jemals wiedersehen würde …
Oh Himmel, das alles war doch ein riesengroßer Scheißhaufen mit extra Sahne oben drauf.
Gerade als sie versucht war ihre Meinungsänderung kund zu tun hielt der Wagen an und Violett blickte sich Irritiert um.
Texte: Lucia B.
Bildmaterialien: BlackAssassina
Tag der Veröffentlichung: 26.07.2013
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