Cover

Kapitel 1

Kapitel 1


Ich habe Angst. Werde ich paranoid?

Seid dem ich vom Krieg wiederkam, habe ich das Gefühl verfolgt zu werden. Werde ich jetzt gänzlich verrückt?
Nachts kommen die Albträume. Wird der Tag jetzt auch einer? Bilde ich mir alles nur ein?
Nein, ich kann mir das nicht einbilden. Jemand folgt mir, wie ein Schatten.
Ich habe mich so sehr danach gesehnt, wieder nach Hause zu kommen. In ein Leben ohne Angst. In ein Leben ohne Qual.
Soll es hier jetzt so weitergehen?
Was will der „Schattenmann“ von mir, so nenne ich ihn.

Ich war so froh, lebendig nach Hause zu kommen. Weg vom Krieg. Weg von dem Morden. Weg von dem unschuldigen Blut, das literweise vergossen wurde. Weg von der Mörderin in mir.
Im Krieg habe ich eine innere Grenze überschritten. Ich habe auf Kommando unschuldige Menschen getötet und es hat mir nichts ausgemacht. Ich habe Freunde sterben sehen und es hat mich nicht interessiert. Ich wollte nur eins! Selbst am Leben bleiben!
Jetzt zu Hause kommen die Albträume. Ich werde jede Nacht gequält.

Ich schreibe dieses Tagebuch, damit Menschen später nachempfinden können, was es heißt als Kind sein Leben für den Staat zu riskieren und eine so junge Soldatin zu sein. Sie sollen wissen, wie der Krieg auf ein Kind wirkt und wie weit Menschen im Krieg gehen um zu überleben.
Der Krieg verändert Menschen. Er zerfrisst sie von innen nach außen. Jeden Tag ein kleines Stück bis nichts mehr von ihnen übrig ist.
Wie gerne würde ich, wie alle Mädchen in meinem Alter, mir Gedanken über Jungs und die neue Mode machen.
Mich quälen, sobald ich die Augen schließe, das Rattern von Maschinengewehren und die Schreie der Getroffenen.

In der Schule merkt es mir niemand an. Niemand fragt, wo ich das Jahr war. Sie haben alle die Lüge erzählt bekommen, ich hätte ein vorgezogenes Auslandsjahr gemacht.
Meine Verletzungen stammen angeblich von einem Autounfall am Ende der Ferien. Warum sollte also auch jemand was bemerken?
Ich hatte mich auf den ersten Schultag gefreut. Nach all den schrecklichen Bildern, die ich gesehen habe und den Ereignissen, die ich erleben musste, war der erste Schultag nach den Sommerferien das schönste, das ich mir vorstellen konnte.
Ich will die Ereignisse vergessen! Ich will wieder ein normales Leben! Ich will nicht mehr in den Krieg!
Ich bin jetzt fünfzehn Jahre alt und man hat mir meine komplette Kindheit geraubt!
Ich bin ein Waisenkind. Meine Eltern kenne ich nicht. Sie sind tot. Ein Unfall hat ihnen und meinem Bruder das Leben gekostet. Ich hatte einen Schutzengel und es überlebt. Ich war erst ein Jahr alt. Am Anfang hörte es sich wirklich wie Glück an, dass ich überlebt habe, aber inzwischen bin ich mir da auch nicht mehr so sicher. Es wäre mir so viel erspart geblieben.

Da ich keine Eltern habe gehöre ich dem Staat. Der Staat kann mit mir machen was er will und das hat er auch getan.
Ich kam mit vier Jahren in ein Trainingslager. Dort hat meine militärische Ausbildung angefangen.
Meine Ausbildung ging über Jahre. Ich wurde schneller und stärker. Ich gehörte zu den Besten. Mit acht Jahren war ich zum ersten Mal im Krieg. Mit Acht!
Der Staat hatte sich aus lauter Vollwaisen seine eigene Kinderarmee geschaffen. Niemand außerhalb der Armee wusste von unserer Existenz. Es wäre nicht auszudenken, was passieren würde, wenn die Presse von unserer Existenz erfahren würde.
In meinem ersten Kriegsjahr hatten wir keine großen Aufgaben. Wir haben uns „nur“ um die Verletzten gekümmert. Aber es war traumatisierend genug.
Ich muss zugeben, dass ich mich an dieses Jahr nicht mehr erinnern kann. Ich habe die meisten Erlebnisse aus dieser Zeit verdrängt. Tief unter die Oberfläche und ich hoffe sie werden nie wieder auftauchen. Es sind die Erinnerungen eines achtjährigen Mädchens, dem Leute unter den Händen weggestorben sind, denen es nicht mehr helfen konnte. Es musste zu viele Menschen sterben sehen!
Aber an mein zweites Jahr kann ich mich noch etwas erinnern. Ich war zehn und ich hatte mich gerade von meinem letzten Jahr erholt. Nicht das Jahr im Krieg war schlimm. Viel schlimmer war es wieder zuhause zu sein. Im Krieg hatte das achtjährige Mädchen keine Zeit über die Geschehnisse nachzudenken. Aber als es im Heim in seinem kleinen Holzbett lag, da hatte es genug Zeit. Auf einen Schlag brechen alle Bilder und Geschehnisse auf es ein.
Ich war ein halbes Jahr abhängig von Beruhigungsmitteln und das mit acht Jahren!
In der Grundschule, die ich zwischenzeitlich besucht habe, müssen mich alle für geistesabwesend, wenn nicht sogar für gestört gehalten haben. Ich war immer abwesend, ruhig und hatte einen glasigen Blick. Alles nur wegen der Beruhigungsmittel, aber ohne sie wäre ich ein Fall für den Psychologen gewesen. Sie haben geholfen alles zu verdrängen.
In Kunst habe ich immer Bilder von sterbenden Leuten gemalt und in Deutsch Geschichten über den Krieg geschrieben.
Meine Deutschlehrerin war begeistert, wie gut ich schreiben konnte. Wie weit ich schon war und über die Vielfalt meines Wortschatzes. Nur die Themen haben ihr Sorgen bereitet. So kam es auch, dass sie meine Heimleiterin darauf angesprochen hat und meinte, mein Talent sollte man fördern.
Meine Heimleiterin wollte davon nichts wissen. Ich wurde aus der Grundschule genommen und wieder mit den anderen im Heim unterrichtet. Ich sollte keine große Autorin werden. Sie wollen mich für die Front, da nützte ich dem Staat mehr.
Mit zehn wurden wir dann wiedergebraucht. Diesmal an der Front.
Bei der ersten Schlacht hatte ich so große Angst, dass ich mich nicht getraut habe auch nur einen Schuss abzusetzen. Ich saß einfach zusammengekauert im Schützengraben die Augen geschlossen und habe gehofft, dass es bald aufhört.
Aber mit der Zeit gewöhnt man sich an die Angst. Man spürt sie nicht mehr. Nicht mehr auf diese Weise.
Im Krieg läuft es anders, anders als es uns in der Ausbildung beigebracht wurde.
Als ich zum ersten Mal einen Menschen getroffen hatte und sehen musste wie er zusammenklappte, habe ich mich ganz leer gefüllt. Erst nach und nach habe ich realisiert was ich gerade getan habe. Ich wollte es einfach nicht wahr haben. Ich wollte keine Mörderin sein.
Aber danach hat es mir nichts mehr ausgemacht. Ich habe gekämpft! Wir haben Städte eingenommen und die Terroristen vertrieben. Wir waren immer bei einer Einheit von erwachsenen Soldaten. Mit ihnen zusammen haben wir viel erreicht. Dieses Gefühl des Triumphes, wenn man wieder eine Stadt befreit hatte, war überwältigend. Es verdrängte das schlechte Gewissen, dass man Menschen umgebracht hatte. Man hat sich wie ein König gefühlt. Stark und unbesiegbar.
An eines kann ich mich noch sehr gut erinnern.
Wir hatten gerade ein Dorf eingenommen. In einem Haus fanden wir noch Terroristen. Sie waren verletzt. Man hat sie auf den kleinen Marktplatz geführt und die Frauen und Kinder, die noch in diesem Dorf wohnten, zu einer Versammlung gerufen.
Sie mussten mit ansehen wie wir… Wie ich ihre Männer und Väter hingerichtet habe. Ein Kommandant hat mich aus der Reihe gerufen. Er war nie freundlich zu uns gewesen. Sobald er konnte, hatte er unser Können auf die Probe gestellt.
Er hat mich vorgeführt und meinte, ich solle immer, wenn er bis drei gezählt hat, einen von den Terroristen töten. Er musste sich sicher gewesen sein, dass das kleine zehnjährige Mädchen kneifen würde. Nur war ich in dieser Zeit zu einer Killermaschine, zu einer Kriegerin, geworden. Ich habe alle umgebracht.
Im Krieg gibt es keine Regeln, auch wenn es das in den Medien immer heißt. Das wird den Menschen nur immer vorgesagt, damit sie den Krieg nicht mehr ganz so schlimm finden. Es ist doch viel schöner zu hören, dass es bei so etwas grausamen, wie dem Krieg, auch Regeln gibt. Aber es ist eine einzige Lüge. Der Krieg ist ein einziger Kampf ums Überleben, in dem alle möglichen moralischen und unmoralischen Mittel eingesetzt werden.

Nach diesem Kriegsjahr habe ich mich recht schnell erholt. Ich weiß nicht wie. Vermutlich weil ich in die Pubertät kam und alles nur noch blasse Erinnerungen wurden.
Ich kam mit elf aufs Gymnasium und hatte gehofft, nie wieder in den Krieg zu müssen.
Zu groß war die Angst davor, was der Krieg aus mir machte.
Ich war glücklich in meiner Klasse und ich schätze auch diese Jahre haben mir geholfen. Ich hatte meinen ersten Freund und eine Clique, in der sich jeder super verstand. Vergessen werde ich den Krieg niemals können. Nicht in fünfzig Jahren, nicht in hundert. Nicht weil der Staat mich immer wieder aus meinem Leben reißen wird.
Nein, weil ich von jedem Mal scheußliche Souvenirs mitgebacht habe. Narben. Mein ganzer Körper ist übersät von Narben. Zu oft wurde ich schon wieder zusammengeflickt.
Schlimmer als die physischen Narben, sind die psychischen. Sie reißen leicht wieder auf und dann wollen sie nicht aufhören zu bluten.
In der Schule lesen wir gerade ein Buch aus dem zweiten Weltkrieg. Ich halt es nicht aus!
In jeder Deutschstunde reißen meine Narben wiederauf. Ich muss mich beherrschen. Ich kann fühlen, wie die Menschen in diesem Buch leiden mussten. Ich habe die Qualen am eigenen Leib erlebt. Das können außenstehende nie begreifen. Man muss es erst erlebt haben, um es zu verstehen.

Meist schaue ich aus dem Fenster und erlebe Schlachten neu. Ich sehe sie, wie einen Film. Ich sehe mich und die anderen, als sei ich ein Zuschauer.
So ist mir auch der „Schattenmann“ zum ersten Mal aufgefallen. Ich hab abwesend aus dem Fenster gestarrt und ihn die ganze Zeit angeschaut. Besser gesagt seinen Schatten, mehr habe ich bisher noch nicht von ihm gesehen.
Irgendwann wurde mir klar, dass ich von dort unten beobachtet wurde. Er musste hinter der Hauswand des gegenüberliegenden Gebäudes gestanden haben. In der Pause wollte ich nachschauen, wer mich beobachtete, aber natürlich war er weg.
Seit dem habe ich das Gefühl, dass er mir folgt. Ich habe Angst. Ich weiß nicht, was er von mir will.
Im Krieg sieht man seinen Gegner oder man weiß zumindest immer mit wem man es zu tun hat. Aber bei dem „Schattenmann“ weiß ich gar nichts.
Ich verlasse die Wohnung nur noch bewaffnet. Niemanden habe ich davon erzählt, die würden mich doch sofort wieder in ein Heim oder in eine Klapse stecken.
Ich hab es gerade geschafft meine eigene Wohnung zu bekommen. Alleine zu sein und nicht mit den jungen Kindern, den es bald wie mir gehen wird, zusammen zu leben.
Alle zwei Tage kommt mein Betreuer Freddy vorbei, der checkt ob alles in Ordnung ist. Ansonsten bin ich auf mich selbst gestellt. Es hat aber auch seine Nachteile, wenn man jetzt mal an den „Schattenmann“ denkt… Trotzdem möchte ich dieses Privileg nicht verlieren. Ich brauche meine Ruhe, um über die Verluste des letzten Jahres wegzukommen. Es war das härteste Jahr bisher. Meine Einheit besteht nur noch aus sieben Leuten, von ursprünglich dreißig. Nicht alle sind gestorben. Manche sind auch „nur“ verletzt oder kriegsunfähig, aber es ist trotz alledem eine hohe Verlustzahl.

 

Das läuten der Türklingel störte mich beim Schreiben meines Tagebuchs oder meiner Memoiren oder wie man das nennt.
Träge hievte ich mich aus meinem Bett und schlürfte zur Tür. Ich trug eine leicht verdreckte Jogginghose und einen schwarzen, viel zu großen, Pullover. Außerdem war mein Gesicht verheult und ich am ganzen Körper verdreckt und verschwitzt. Wenn man mich so sah, könnte man meinen, ich wüsste nicht, was Wasser und Seife war.
>> Hallo. << Wie ich Türsprechanlagen hasste! Man konnte nicht sehen, wer da jetzt vor der Tür stand.
>> Hi, Freddy hier. Zieh dir was Ordentliches an und komm runter. <<
>> Was? Warum? <<
>> Komm einfach! Erklär ich dir gleich. <<
>> Ah ja. <<
Irritiert schlürfte ich zurück in mein Schlafzimmer und zog mir meine Jeans und einen frischen Pullover an. Schnell fuhr ich mir mit einem Waschlappen übers Gesicht und sprühte mich mit Deo ein. Zuletzt packte ich meinen Rucksack, denn egal wo ich hin ging, ich hatte immer meinen Rucksack mit. Eine Angewohnheit, die ich aus dem Krieg hatte.
Beim Rausgehen schnappte ich mir noch meinen Militärparka.
Unten erwartete mich Freddy mit einem düsteren Gesichtsausdruck.
>> Was ist dir den über die Leber gelaufen? <<
>> Ich soll dich ins Quartier bringen. Dein Typ ist gefragt. << Er drehte sich um und öffnete mir die Autotür.
>> Was ist passiert? << Ich schaute Freddy von der Seite an. Er ignorierte meine Frage einfach.
>> Hallo! Ich hab dir eine Frage gestellt! << Er ignorierte mich immer noch und startete den Motor.
>> Erde an Freddy! Wenn du mir nicht sagst, was los ist, steig ich wieder aus. <<
>> Zentralverriegelung . << Murmelte Freddy nur.
>> Arschloch! << Ich drehte mich von ihm weg und grübelte darüber nach, was geschehen sein könnte.
Die Landschaft flog an uns vorbei, Freddy nahm sein Fuß nicht einmal vom Gaspedal und überfuhr gleich drei rote Ampeln. Als er sich eine Kippe nehmen wollte, stieß er gegen meine Pistole, die ich am Gürtel trug.
>> Warum rennst du bewaffnet durch die Gegend? << Er schaute mich irritiert an.
>> Ich wüsste nicht, was dich das angeht. Außerdem, solltest du nicht vielleicht lieber auf die Straße schauen, wenn du schon wie der letzte Irre fährst. <<
>> Wir müssen uns halt beeilen. << Versuchte sich Freddy zu entschuldigen.

>> Das kann jeder sagen! << Ich drehte mich wieder zum Fenster und holte meinen Mp3player raus.
>> Also, warum rennst du bewaffnet rum? <<
Ich ignoriere ihn, warum sollte ich es ihm erzählen? Er erzählt mir ja auch nichts. Freddy zog meine Kopfhörer weg, nahm meinen Mp3player und schmiss ihn auf die Rückbank.
>> Also Fräulein, ich höre? <<
>> Leck dich. << Fauchte ich nur zurück. Ich drehte mich um und versuchte an meinen Mp3player zu kommen.
>> Warum rennst du mit ‘ner Knarre durch die Gegend? <<
>> Weil ich’s kann! <<
>> Fräulein nicht so frech! Wirst du bedroht? Ich muss das wissen! <<
>> Versuchst du etwa wieder autoritär zu wirken? Du bist für mich keine Autoritätsperson! Das solltest du langsam mal wissen! <<
>> Ich hab dir ne Frage gestellt! <<
>> Ich dir auch und meine habe ich zuerst gestellt! <<
>> Wenn du dich noch ne halbe Stunde gedulden kannst, bekommst du deine Antwort. Es bringt dir nichts, sie vorher zu erfahren. <<
>> Gib doch zu, dass du kein Bock hast mir ne schlechte Nachricht zu überbringen! << Inzwischen schrien wir beide uns an.
>> Ja, ich gebe zu das ich kein Bock hab dir eine beschissene Nachricht zu überbringen! Dir geht es schon schlecht genug. Ich versteh nicht, wieso sie dich nicht einfach in Frieden lassen können! Zufrieden? <<
>> Ja, sehr zufrieden! <<
>> Bekomme ich jetzt auch meine Antwort? <<
Wir sprachen wieder ruhiger miteinander. Ich seufzte. >> Das klingt jetzt sehr verrückt. Aber seitdem ich wieder hier bin, habe ich das Gefühl, dass mir jemand folgt. Ich habe ihn nie gesehen, immer nur einen Schatten und zwar immer denselben Schatten. Also mit denselben Umriss. <<
>> Wann hast du ihn zum ersten Mal bemerkt? << Freddy wirkte ernst, eigentlich hatte ich erwartet, dass er lachen und meinen würde, ich hätte einen Knall.
>> Vor drei Wochen in einer Deutschstunde, ich hab aus dem Fenster geschaut und da habe ich den Schatten bemerkt. So wie er fiel, musste die Person rauf zum Fenster des Klassenraums geschaut haben. Aber sie stand in einem, für sie passenden, Winkel zur Ecke, so dass ich den Besitzer des Schattens nicht sehen konnte. <<
>> Du meinst er stand so hinter der Ecke, dass er dich aber du ihn nicht sehen konntest? <<
>> Ja, genau. <<
>> Das hättest du mir erzählen müssen. Alles was dir komisch vorkommt, musst du sofort melden! <<

>> Ich war mir nicht sicher, ob ich es mir nicht nur einbilde. Außerdem habe ich gedacht, dass du lachen würdest! Ich mein, was soll es einem bringen mich zu beschatten? <<

>> Mit sowas musst du immer zu mir kommen! Da werde ich auch garantiert nicht lachen! Zora du lebst gefährlich! <<

>> Was will der Typ von mir? Wenn du dir solche Sorgen machst, weißt du doch mehr! <<

>> Naja, jetzt kann ich dir ja auch sagen, warum du ins Quartier sollst. <<

>> Ich höre? <<

>> Es wurde eine Einheit entführt. Die Entführer haben ziemlich viele Informationen aus denen herausbekommen. Sie wissen auch, dass du eine sehr hohe Stellung hier hast. Sie fordern die Auflösung der Armee, ansonsten sterben die Kinder. <<

>> Wie kann ich da bitte helfen? Und warum beschatten die mich? <<

>> Du bist die beste Taktikerin. Vermutlich wollen sie prüfen ob es einen Weg gibt die Kinder zu befreien. <<

>> Als ob die sich für das Leben der Kinder interessieren. Vermutlich wurde nur gedroht, alles an die Öffentlichkeit zu bringen und dann wäre der Staat in großer Erklärungsnot! <<

>> Ja, vermutlich. << Freddy wusste, wie sehr ich den Staat hasste. Er wusste, dass ich dem Staat vorwarf mir und den anderen das Recht auf Leben gestohlen und unsere Kindheit zerstört zu haben. Dass er uns wie Sklaven behandelt und dass er uns die Chance auf eine Zukunft, auf ein besseres Leben genommen hat. Diese Vorwürfe waren aber durchaus berechtigt! Der Grund weshalb Freddy das Thema hasste war, weil ich ihn immer wieder fragte, wie er nur für solche Barbaren arbeiten könne.
>> Was will der Typ von mir? Warum folgt er mir? <<

>> Es ist nicht gesagt, dass er zu den Entführern gehört. Vielleicht ist es auch nur ein Zufall. <<

>> Ich glaube nicht an Zufälle! Es gibt keine Zufälle, nicht im Krieg und nicht hier! Es wird nur Zufall genannt, weil die Leute es glauben wollen. Weil sie sich Hoffnung machen oder sich beruhigen wollen. <<

>> Du redest wie eine alte verbitterte Frau! <<

>> Ich bin verbittert! Du hast doch keine Ahnung! Du weißt nicht wie es ist, ein Leben zu leben, das komplett vorgeplant wurde! << Ich wurde wieder laut. Das war ein heikles Thema!

>> Ja, ich weiß und es ist schrecklich. Woher willst du aber wissen, wie es ist ein Leben zu leben, das nicht vorgeplant wurde? Vielleicht ist dieses Leben ja, das bessere für dich! <<

>> Du weißt gar nichts! Ich bekomme es doch mit, wie es ist sein Leben selbst planen zu dürfen! Eine Zukunft zu haben! Schon vergessen? Ich geh mit Leuten in meinem Alter zur Schule. Die haben alle Entscheidungsfreiheiten! Alle, nur ich nicht! Warum gehe ich da überhaupt hin? Meinen Beruf habe ich schon. Lesen, Rechnen und Schreiben kann ich auch! <<

>> Damit du sozialen Kontakt hast. Sie wollen dich wiedereingliedern. <<

>> Wozu? Damit sie mich, beim nächsten Auftrag, wieder aus meinem Leben reißen können, das ich mir bis dahin aufgebaut habe? <<

>> Vielleicht wird es kein nächstes Mal geben. Vielleicht hast du es endlich geschafft! <<

>> Als ob! Ich bin Fünfzehnjahre alt! Ich werde, bis ich einundzwanzig bin, für sie arbeiten müssen. Wenn ich nicht vorher durch einen Schuss erlöst werde! Ich werde wieder in den Krieg müssen! Sie werden mich nicht in den Innendienst rufen. Sie brauchen doch irgendeinen Trottel, der für sie da draußen die Arbeit macht! <<

>> Zora! Jetzt ist aber mal gut! <<

>> Gar nichts ist gut! Mein Leben ist im Arsch! Ich bin Fünfzehn! Weißt du was Mädchen normalerweise in meinem Alter machen? Sie tratschen über Jungs und lernen für die Schule. Oder sie gehen shoppen! Sie denken noch nicht an später! Ich aber habe schon duzende Menschen erschossen! Ich habe Freunde in den Tod geführt! Ich werde verfolgt! Nachts quälen mich Albträume! Ich bin Fünfzehn! <<

>> Ich hab es auch durch gemacht! Hast du schon vergessen, woher ich dieses schöne Souvenir habe? Ich lahme seither! Der Krieg ist nun mal ein einziger Überlebenskampf. Da heißt es töten oder getötet werden. Außerdem hast du diesen Krieg nicht begonnen! Die schwarze Armee ist schuld! Sie hat ihn begonnen. Ihre Westen sind von unschuldigem Blut beschmiert, nicht deine! Du hast auf der guten Seite gekämpft! <<

>> Es gibt keine gute oder böse Seite! Das kannst du mir nicht einreden! Wir alle, die im Krieg beteiligt sind, sind Mörder. Egal ob es die schwarze Armee ist, die angefangen hat oder ob wir es waren! Wir haben mit gemacht! Meine Weste ist genauso Blut verschmiert wie deren! <<

>> Wir sind da. << Freddy brach die Diskussion ab. Er wusste, dass ich Recht hatte. Er war ein schlechter Verlierer.

Freddy und ich betraten das Quartier. Drinnen ging es, wie immer, hektisch zu. Boten eilten hin und her. Soldatensaßen wartend auf dem Boden… Zum Glück wurden wir sofort empfangen.

>> Oberleutnant Zora, guten Tag. Hier entlang bitte. << Die Empfangsdame oder was sie auch war, führte uns in einen Konferenzraum. An einem riesigen Tisch saßen schon viele hochrangige Männer und zwei Frauen.
>> Hier bitte. << Die Dame zeigte auf zwei leere Plätze. Ich schaute mir die Männer an. Welcher war wohl für unsere Abteilung zuständig? Wer war der Arsch, der mein und das Leben vieler anderer Kinder zerstört hatte?

Freddy hatte recht! Ich hörte mich wirklich schon an, wie eine alte verbitterte Frau. Das musste aufhören! Ich hatte mir doch geschworen, das Beste aus meinem Leben zu machen.

Langsam kehrte Ruhe im Saal ein. An einer Wand leuchteten Bildschirme auf. Vermutlich wurde mit anderen Quartieren eine Videokonferenz gehalten. Dass so viele Gremien einberufen wurden, nur weil ein paar Kinder entführt worden waren, wunderte mich.

>> Lasst uns die Konferenz eröffnen. << Eine der zwei Frauen war aufgestanden. Ich wusste nicht welchen Rang sie hatte. Ich kannte mich damit nicht aus. Ich wusste nur, ich war Oberleutnant bei der Kinderarmee, was nochmal was anderes war als Oberleutnant bei sonst einer Abteilung. Ich wusste außerdem noch, dass niemand von den Kindern und Jugendlichen über mir im Rang stand , sondern nur Erwachsene. Viele bekleideten den gleichen Rang wie ich, aber keiner war höher. Ich hatte nie einen Sinn darin gesehen die Ränge auswendig zu lernen und ihre Bedeutungen, ihre Abzeichen…

>> Die Lage ist ernst. Ein Trupp aus der heranwachsenden Abteilung wurde entführt. Die Entführer gehören zu der Gruppe die schwarze Armee. Das ist eine Terrorgruppe, die für 90% aller Länderkonflikte auf der Welt verantwortlich ist. Ihr Ziel ist es, die Regierungen in schwachen und armen Ländern zu stürzen und zu übernehmen. Sie wollen eine neue Weltordnung erstellen. Sie hat hunderttausend, wenn nicht millionen Anhänger, auf der ganzen Welt verteilt. Sie ist die größte Terrorgruppierung. Wir helfen seit Jahren Ländern gegen diese Gruppe vorzugehen, doch sie ist sehr stark und schlägt sich wacker. Der Trupp von sechs Soldaten wurde an der Front von dem Rest der Einheit getrennt und ist den Entführern gerade in die Arme gelaufen. Sie sind zum Teil schwerverletzt. Die Entführer fordern, die Auflösung der Abteilung heranwachsender. Außerdem soll der Staat sich aus allen Kämpfen zurückziehen und er soll auch eine Waffenspende aufbringen. Wenn dies nicht geschieht, werden die Soldaten sterben und die Entführer an die Presse gehen. <<
Dachte ich es mir doch! Der Staat will bloß wieder seine eigene Haut retten.

Die Frau sprach weiter. >> Wir stehen in engen Kontakt zu den Kollegen vor Ort. Außerdem haben wir einen Spion in den Reihen der schwarzen Armee. Dieser hat uns berichtet, dass die Entführer vorhaben die Leichnamen der Soldaten an eine Zeitung zu schicken. Sie wollen nicht selbst hingehen und berichten. Außerdem hat der Spion erzählt, dass die Gefangen nicht sehr gut bewacht werden. Er selbst ist heute Nacht für die Wache verantwortlich. Der Grund unseres Zusammenkommens ist, dass wir uns eine Strategie ausdenken müssen, die Soldaten zu befreien. Wir haben einige Gäste, die ich vorerst vorstellen möchte. Aus der heranwachsenden Abteilung sitzt Oberleutnant Zora bei uns. Sie ist eine hervorragende Taktikerin und wird uns heute hoffentlich helfen können. << Alle applaudierten und schauten mich an. Normalerweise steht man als Gast auf und verbeugt sich. Ich war zu faul, außerdem stellte die Frau schon den nächsten Gast vor. Alle waren in Ausgehuniform gekleidet, vollgehängt von Orden. Freddy und ich waren die einzigen, die in Alltagskleidung am Tisch saßen. Ich besaß sehr wohl eine Ausgehuniform, aber ich hatte sie noch nie getragen und hatte es auch nicht vor. Normalerweise zog ich zu solchen Konferenzen meine Kriegsuniform an, aber Freddy hatte mir erst zu spät gesagt, dass ich einer Konferenz beisitzen musste, also konnte ich sie heute nicht provozieren.

Nachdem alle Gäste vorgestellt waren, wurden Ideen gesammelt wie man vorgehen könnte. Ich habe mich zwei Mal zu Wort melden wollen, wurde aber überhört, also dachte ich mir, ihr könnt mich mal, holte meinen Mp3player aus meiner Jackentasche und hielt mich aus der Konferenz raus. Irgendwann musste ich eingeschlafen sein, denn Freddy schüttete mir sein Wasser in den Nacken. Ich schreckte auf und er schaute mich böse an. Es war Zeit den Plan jetzt kundzugeben. Verschlafen versuchte ich der Frau zu zuhören und was ich hörte erschrak mich. >> Also klar ist, dass wir die Soldaten vermutlich nicht lebendig aus dem Gefängnis bekommen. Wichtig ist nur, dass die Leichname nicht der schwarzen Armee in die Hände fallen. Hier ist der Plan. Unser Spion versucht, während seiner Nachtwache, die Geiseln nach draußen zuführen. Draußen, nicht weit weg, wartet ein Truck mit Soldaten von uns. Entweder sie schaffen es lebend dahin oder ihre Leichen werden dorthin getragen. Wir stimmen ab! Wer ist dafür? << Ich konnte es nicht fassen! Der Plan war total bescheuert, als könnte der Spion einfach mal mit ein paar Geiseln das Gebäude verlassen! Da ist irgendwo ein Harken, so viel ist mal klar! Trotzdem gingen im Saal viele Hände hoch. >> Vierzehn sind dafür. Wer ist dagegen? << Auch diesmal gingen Hände hoch, allerdings weit weniger. Ich meldete mich natürlich auch. >> Zehn sind dagegen und wer enthält sich? << Diese Frage war sowas von überflüssig! Wenn dreißig Leute abstimmen, Vierzehn dafür und zehn dagegen sind, ist doch klar, dass sich sechs enthalten! Man, die Weisheit haben die hier echt nicht mit Löffeln gefressen.

>> Warum sind Sie zehn dagegen? << Die Frau schaute mich fragen an.

>> Warum die anderen neun dagegen sind, kann ich nicht beantworten. Ich unterstütze den Plan nicht, da es sicher nicht so leicht werden wird, wie Sie es sich vorstellen. Die Entführer werden die Geiseln ganz bestimmt nicht nur von einer Person bewachen lassen. Es wird noch andere Sicherheitsmaßnahmen geben. << Wie ich es hasste so höflich und geschwollen zu reden.

>> Sie glauben also, dass es den Anschein machen soll, dass die Geiseln nicht bewacht werden? Und der Plan schiefgehen wird? Erklären Sie es uns genau. <<

Schimpansenhirne!

>> Das habe ich doch schon! Die Entführer haben die ganze Entführung gut geplant und viele Vorkehrungen getroffen. Warum sollten sie dann bei der Bewachung der Gefangenen so schlampig vorgehen? Ich vermute sie wissen, dass der Staat versuchen wird die Geiseln zu befreien. Sie wissen auch wer unser Spion ist. In Wirklichkeit wollen sie nicht die Leichnamen an die Presse schicken sondern ein Video oder so etwas, wie die Soldaten versuchen werden die Geiseln zu befreien. Die Leichen allein sagen nämlich nichts aus. Die könnten ja auch irgendwelche Kinder in Uniform stecken und behaupten, dass es Kindersoldaten vom Staat wären. Ich schlage vor, gar nicht auf die Entführung und die Forderungen einzugehen. << Alle schauten mich überrascht an. War wirklich keinem dieser Hornochsen die Idee gekommen? Am anderen Ende des Tisches stand ein älterer Herr auf. Er gehörte auch zu den Gästen. >> Ich gebe der jungen Dame Recht und stimme ihrem Plan zu. Was sie sagt ist plausibel und er ist nicht so… << Er schien nach dem richtigen Wort zu suchen. >> Unprofessionell, um nicht hirnverbrannt, zu sagen. Eins steht fest! Die Geiseln sind verloren. Jetzt geht es noch um die Ehre des Staates, diese kann noch gerettet werden. Aber ganz bestimmt, nicht wenn ihr so vorgeht! Ich fordere eine neue Abstimmung und zwar für den Plan der jungen Dame. << Ein Applaus ertönte, der ältere Herr setzte sich wieder und lächelte mir freundlich zu.
>> Gut, dann stimmen wir wieder ab. Wer ist für den Plan von Oberleutnant Zora? << Alle Hände gingen nach oben. Es schien niemand dem älteren Herrn wiedersprechen zu wollen.

Warum hatte ich meinen Mund nicht halten können, dann hätten sie ihren hirnverbrannten Plan durchgeführt und alles wäre schiefgegangen. Dann wäre ich endlich frei gewesen, aber nein, ich musste mal wieder die Besserwisserin spielen und den Staat retten.

>> Das ist eindeutig! Dann werden wir nichts tun und auf die Reaktion der Entführer warten. Hiermit ist die Konferenz beendet. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag. << Stühle wurden weggeschoben und die Leute liefen zur Tür. Es gab wohl noch mehr außer mir, die es nicht erwarten konnten diesen Raum zu verlassen.
Jemand tippte mir von hinten auf die Schulter. Ich drehte mich um und der ältere Herr von eben stand vor mir.
>> Es ist erfreulich wenigstens einen schlauen Kopf in dieser Horde von Hornochsen zu haben. Ich habe Ihre Akte gelesen, Zora. Ich erwarte noch großes von Ihnen. Ich habe Sie von Anfang an beobachtet und ich tue es immer noch. Jeden Schritt den Sie machen, sehe ich. Ihr Vater wäre stolz auf Sie, das weiß ich ganz genau. Er hat immer gehofft, dass eines seiner Kinder erfolgreich wird und dem Vaterland hilft. So wie er es getan hatte. Ich hoffe Sie bald wiederzusehen. Bis dahin wünsche ich Ihnen einen schönen Tag, Zora. <<

>> Ich Ihnen auch, Herr… äh… <<
>> Froh, Herr Froh. Ich habe bemerkt, dass Sie kein großes Interesse an dieser Konferenz hatten. Aber ich hatte die Augen auch mal kurz zu. << Er zwinkerte mir zu und drehte sich um.

>> Schönen Tag, Herr Froh. <<
Leicht irritiert ging ich zu Freddy, der am Ausgang schon sehnsüchtig darauf wartete, das Gebäude zu verlassen.
>> Was wollte der Herr eben von dir? << Neugierig schaute er mich an. >> Der ist doch viel zu alt für dich. << Freddy hatte wieder sein allbekanntes Grinsen im Gesicht.

>> Haha! Sehr witzig! Lass uns hier rausgehen. Ich muss an die frische Luft! << Draußen atmete ich erstmal tief ein. Dort drinnen war mir auf einmal ganz eng geworden. Ich drehte mich zu Freddy um und sah ihm an, dass er immer noch neugierig war, was Herr Froh von mir wollte.

>> Also, was wollte er von dir? <<

>> Da bin ich mir nicht sicher. << Ich schaute in die Eingangshalle. Dort stand Herr Froh und schaute in meine Richtung. Nein, nicht nur in meine Richtung. Er starrte mich an! Er schaute mir in die Augen.
Die beiden Türflügel schlossen sich zwischen uns, wie ein Schutzschild.
>> Ich hab hunger. Lass uns Pizza essen gehen. << Ich stieg ins Auto ein.
>> Nichts wie weg! << Freddy startete den Motor. Mit jedem Meter, der zwischen uns und dem Quartier lag, fühlte ich mich besser. Diese unsichtbare Last fiel langsam von mir ab.
Bald grölte ich mit Freddy völlig falsch die Lieder, die im Radio liefen, mit.

 

Kapitel 2

Kapitel 2

 

Schon wieder bin ich schweißgebadet aufgewacht. Ich muss geweint haben, meine Augen sind ganz rot und verquollen. Im meinem Kopf tauchte immer wieder die Drohung auf, die vor zwei Tagen an die Hauswand geschmiert worden war. ICH WEISS WAS DU GETAN HAST! AUGE UM AUGE; ZAHN UM ZAHN! Mit roter Farbe stand es an der Wand. Inzwischen hat Freddy es abgewaschen, aber ich hab in den letzten Tagen keinen Fuß vor die Tür gesetzt.
Ich bin mir Hundertprozent sicher, dass diese Drohung vom „Schattenmann“ stammt. Was er damit meint, ist mir allerdings ein Rätsel. Wenn er tatsächlich einer von der schwarzen Armee ist, könnte es sein, dass ich im Krieg einen seiner Kameraden erschossen habe. Aber deshalb in den Staat zu kommen und mir zu drohen? Wenn ich alle meiner Kameraden rächen würde, hätte ich ziemlich viel zu tun. Nein. Es muss ein anderer Grund sein.
Wie ich es hasse, nicht zu wissen was Sache ist. Nur weil dieses feige Arschloch sich nicht traut, mir persönlich gegenüber zudrehten. Er droht mir lieber anonym und hält sich im Hintergrund. Eins steht fest! Ich werde mich nicht terrorisieren lassen! Ich habe mich schon viel zu lange verkrochen!

 

Ich war Anfang dieser Woche auf dem Friedhof. Es war ein Fehler! Ich wollte mich nur von meinen gefallenen Kameraden verabschieden. Es kam alles wiederhoch! Der Stress der Jahre, die Angst, die Verluste, die Trauer. Es hat mich alles überrannt. Ich lag irgendwann nur noch weinend im Gras. Ich konnte nicht mehr. Am liebsten würde ich dem ganzen ein Ende setzen. Aber ich werde es nicht tun! Ich werde nicht feige aufgeben. Ich werde kämpfen, so wie ich es schon oft getan habe! Suizid ist für einen Soldaten keine Lösung. Mit Suizid schmeißt man jeglichen Respekt und jegliche Ehre, die einem gebührt, in die Tonne.
Man darf sich die Verluste, die Angst und den Stress nicht zu nahe führen. Man muss Distanz gegen über seinen Opfern, aber auch gegen über seinen Verlusten bewahren. Nur so hält man es ansatzweise aus!

Nur so kann man morgens noch in den Spiegel sehen. Man darf nicht darüber nachdenken, was man getan hat.
Es hört sich jetzt hart an. Gefühlskalt. Ja, das ist es. Man muss gefühlskalt sein, anders überlebt man es nicht. Verdammt ist man schon mit dem ersten Schuss, den man abgibt. Hoffnung auf Erlösung oder den Himmel hat kein Soldat. Diese Sünde lässt sich nicht bereinigen. Wir alle werden im Fegefeuer schmoren!

Es ist erst fünf Uhr morgens die Schule geht in drei Stunden los und ich bin jetzt schon wach. Dabei brauche ich die zwei Stunden Schlaf dringend. Meine schulische Leistung ist im Keller. Die meiste Zeit habe ich irgendwelche Tagalbträume. Die Noten, die ich schreibe liegen im hinteren Bereich und mit meinen alten Freunden habe ich es mir auch verbockt.

Es ist meine Schuld. Ich wollte mich nicht mit ihnen streiten, aber vom Leben haben sie einfach keine Ahnung. Sie jammern rum, dass es ihnen scheiße gehe, da sie in die Schule müssen oder zu wenig geschlafen haben. Dabei gibt es echt schlimmeres! Da draußen sterben Kinder an Hungersnot, andere lassen im Krieg ihr Leben. Sie haben es gut, im Gegensatz zu denen. Sie sind eigentlich alle, verwöhnte Kinder. Sie müssen für ihr Essen nicht arbeiten und sie dürfen zur Schule gehen. Sie wissen gar nicht, wie entspannt ihr Leben ist. So viele Kinder wünschen sich, solch ein Leben. Und sie sitzen hier und jammern rum, obwohl es keinen wirklichen Grund zum rumjammern gibt. Ich glaube aber, es liegt in den Genen des Menschen, immer was Besseres zu fordern und zu wollen.
Bei einem Gespräch ist mir dann der Kragen geplatzt und jetzt bin ich eine Einzelgängerin. Meine Klassenlehrerin wollte mich schon zu unseren Sozialarbeitern schleppen, aber ich meinte, dass ich keine Hilfe bräuchte und sich dieser Streit schnell wieder legen würde.

Das letzte was ich brauchen kann, ist so ein Sozialfutzi, der mit mir über meine Probleme reden möchte. Die haben doch keine Ahnung von meinen Problemen!

So genug aufgeregt am Morgen, zu viel ist ungesund. Ich geh joggen. Fit bleiben ist besonders wichtig! Wir haben keine Zeit, wenn wir in den Krieg müssen, vorher wieder Fit zu werden. Wer nicht freiwillig zu hause trainiert, hat im Krieg schon verloren. Ich habe meinen ganz eigenen Parcours und einmal im Monat gehe ich im Schützenverein schießen.

 

Beim Joggen bekomme ich immer einen freien Kopf. Heute hatte ich mich entschieden die lange Strecke zu wählen. Ich würde zwar zu spät in die Schule kommen, aber es gibt sowieso keinen Grund, warum ich dahin sollte.
Im Wald war ich ganz alleine. Es war noch dunkel und der Nebel hatte sich in den Bäumen verfangen. Es gab allem einen düsteren, fast schon magischen, Hauch.

Irgendwo in der Ferne knackte ein Ast. Bestimmt war ein Reh oder ein Fuchs draufgetreten.

Hier im Wald fühlte ich mich wohl. Hier war ich frei.
Im Wald gab es keine Mauern und Zaune. Niemand würde mich verurteil für mein Aussehen und Handeln. Manchmal rannte mit mir ein Eichhörnchen oder ein Hase hoppelte neben mir. Wenn man sich leise verhält, kommen die Tiere auf einen zu. Wenn man ihnen zeigt, dass man nichts Böses will.
Die meisten Menschen stören, mit ihrem lauten Geplapper, die Tiere oder schrecken sie auf, in dem sie in Horden durch den Wald rennen.

Morgens und abends ist der Wald am schönsten, dann wirkt er unberührt und wild.
Es knackte wieder. Ich blieb stehen. Vielleicht folgte mir ein Hase? Ich drehte mich um und schaute nach. Da war kein Hase. Ich sah überhaupt kein Lebewesen. Seltsam! Na ja, vielleicht schliefen sie noch. Nichts ahnend rannte ich weiter.

Wenn ich im Wald jogge, höre ich keine Musik. Der Wald macht seine eigene Musik. Ich lausche dem Gesang der Vögel, dem schmatzen der Tiere und dem Rascheln der Blätter.
Dies ist die schönste Musik der Welt. Zugegeben Zuhause dröhne ich mir die Ohren auch mit Musik zu. Schön laut, so viel die Boxen bieten! Dann kann man seine eigenen Gedanken nicht mehr hören. Ich verfalle dann fast in einen Meditationstrance.

Im Wald gehört keine menschliche Musik. Heute hörte ich keine Waldmusik. Der Wald lag ruhig da. Keine Vögel sangen, keine Tiere schmatzten und keine Blätter raschelten. Er fühlte sich durch irgendwas gestört.
Nun knackte es wieder, diesmal direkt hinter mir. Ich fuhr herum und sah noch wie jemand hinter einem, der riesigen Bäume, verschwand. Ich sah nur noch seinen Schatten. Er war mir bis in den Wald gefolgt und diesmal folgte er mir nicht nur. Jetzt verstand ich, warum der Wald heute so leise war.
Ich rannte, so schnell ich konnte. Meine Ausdauer war in Topform, trotzdem konnte ich ihn nicht abhängen. Er rannte mir hinter her. Eine dunkle verhüllte Gestallt. Panik ergriff mich und ließ meine Beine schwer wie Blei werden.
Er musste meinen Tagesablauf studiert haben und daher wissen, dass ich, wenn ich joggen gehe, schutzlos war.

Während dem Rennen fischte ich mein Handy aus der Hosentasche. Ich musste versuchen Freddy, zu erreichen, aber ich hatte natürlich kein Netz! Warum musste es gerade jetzt passieren?
Meine Lunge fing an zu brennen und meine Oberschenkel schmerzen. Ich hörte ihn direkt hinter mir. Ich hörte ihn keuchen. Er holte auf. Ich überlegte, ob ich auf einen Baum klettern sollte, aber da säß ich in der Falle. Ich musste es aus dem Wald in die Stadt schaffen. Dort bestand die Hoffnung, dass er von mir ablassen würde. Zu viele Zeugen. Doch leichter gesagt als getan. Ich war gut zwei Kilometer von der Stadt entfernt und mit meiner Energie bald am Ende. Außerdem wusste ich nicht sicher in welche Richtung ich rennen musste. Die kalte Luft vereiste meine Lunge, mein Magen rebellierte und langsam wurde mir schwindelig. Mein Verfolger lies sich aber nicht abschütteln.
Eines musste man ihm lassen, er war gut trainiert! Ich fing an Harken zu schlagen und hoffte er würde stolpern. Es war schwierig, ich selbst durfte nicht stolpern. Hier im Wald gab es fiese Wurzeln. Man musste nicht mal Harken schlagen, um über sie zu fallen.

Plötzlich sah ich, wie mir etwas Schwarzes entgegenkam. Es rannte direkt auf mich zu. Das ich hier der Hase war, war eindeutig. Die Jagdsaison hatte begonnen! Die beiden mussten Treibjagden lieben!

Ich schlug einen Hacken, rutschte auf den nassen Blättern weg und fiel einen Abhang hinunter. Ich überschlug mich mehrfach. Etwas Hartes, kaltes knallte gegen mein Kopf. Ich wusste nicht mehr, wo oben oder unten war.

Am Ende angekommen, blieb ich ein paar Sekunden liegen. Langsam öffnete ich ein Auge, ich sah oben am Rand, des Abhanges meine Verfolger. Sie machten sich langsam daran den Abhang hinunter zu steigen, immer darauf bedacht nicht auch auszurutschen. Der eine grinse mich fies an und mir fuhr ein Schauer den Rücken hinunter.
Mühsam stand ich auf. Vor meinen Augen drehte sich alles. Als ich mir an den Kopf fasste, fühlte ich etwas Nasses. Blut. Ich musste mir an irgendeinen Stein, den Kopf aufgeschlagen haben. Super!

Meine Verfolger hatten den Abhang schon zur Hälfte gemeistert. Sie waren schnell! Ich wollte den Vorsprung nutzen, doch da durchfuhr mich ein messerscharfer Schmerz. Ich musste mir den Fuß verdreht haben. Dieser scheiß Abhang! Zähne zusammenbeißend rannte ich… humpelte ich weiter. Ich hatte keine Ahnung wo ich war. In diesem Teil des Waldes war ich noch nie gewesen. Meine einzige Chance war, dass meine Verfolger meine Spur verlieren würden. Leise versuchte ich voranzukommen, was dabei rauskam war die Geräuschkulisse einer Elefantenherde. So kam es mir zumindest vor. Ich trampelte wie ein Elefant durch die Büsche, jede Eleganz hatte ich mit dem Sturz verloren. Mein Knöchel schmerzte immer mehr. Ich konnte nicht mehr weiter! Ich musste mir wohl oder übel ein Versteck suchen und hoffen die Verfolger würden weiterrennen. Suchend sah ich mich um. Hier gab es außer Bäume nichts, was als Versteck dienen könnte. Ich humpelte weiter, nicht lange und ich brauchte mich nicht mehr verstecken. Meine Verfolger hatten den Abhang bestimmt schon überwunden.

Da, endlich! Unter einem Baum entdeckte ich eine, durch Fan verdeckte, Höhle. Sie lag zwischen den großen Wurzeln. Irgendwann bei einem starken Regen musste der Baum mal unterspült worden sein. Praktisch für mich. Kaum lag ich zusammengerollt in meiner Höhle, hörte ich auch schon meine Verfolger. Sie unterhielten sich und über das Thema freute ich mich gar nicht.

>> Wo ist das kleine Miststück? <<

>> Weit kann sie nicht sein. Sie humpelt. <<

>> Mhm, eigentlich müssten wir sie sehen. <<

>> Vielleicht ist ihr auch aufgefallen, dass sie so nicht entkommen kann und hat sich ein Versteck gesucht. <<

>> Meinst du, sie ist so intelligent? <<

>> Wenn sie wirklich so eine gute Taktikerin ist, wie alle sagen, dann ja. <<

>> Gut, dann suchen wir sie. Ich will endlich anfangen abzurechnen! <<

>> Tztztz, man vergreift sich nicht an kleinen Kindern. Hat deine Mami dir das nicht beigebracht? <<
Sie lachten ein hässliches Lachen. >> Bei der kleinen Göre kann man eine Ausnahme machen. Sie hat es verdient! <<
>> Das ist wahr! Komm, du suchst die linke Seite ab und ich die Rechte. Ich hab Lust einem kleinen Mädchen den Hintern zu verhauen! << Wieder lachten sie. Ich zog meine Beine noch enger an den Oberkörper. Das waren ganz miese Typen, soviel war mir klar! Mir lief es kalt den Rücken runter.

Ich lauschte ihren Schritten, sie kamen immer näher. Mein Körper begann zu zittern. Noch nie hatte ich mich so gefürchtet. Diese Situation gehörte bestimmt zu den Top Ten, der horrorvollsten Situationen.

Ein Blatt fiel mir vor die Nase und kitzelte mich. Ich versuchte die Luft anzuhalten. Bloß nicht niesen! >> Hatschi!!! <<

Ich lauschte, die Schritte verharrten, dann wurden sie auf einmal schneller. Der Farn wurde zurückgebogen und zwei Männer lächelten mich fies an. >> Gesundheit, kleines. <<

Sie packten mich an den Armen und zogen mich grob aus der Höhle. Hart schlug ich auf dem Boden auf, als sie mich losließen. Ich kauerte mich zusammen und musterte meine Verfolger. Sie waren gleichgroß und kräftig gebaut. Ihre Gesichter waren von Sturmhauben verdeckt.
>> Das ist also die liebe Oberleutnant Zora. Die beste Taktikerin ihrer Abteilung. << Der eine packte mich am Arm und zog mich hoch. Er schaute mich mit seinen asphaltgrauen Augen an.

>> Weißt du, wie es ist alles zu verlieren? Meine Familie ist wegen dir tot! Wegen dir, du kleine Schlampe. << Er ließ mich los und trat auf mich ein. Ich rollte mich reaktionsartig zusammen und versuchte mit den Händen mein Gesicht zu schützen.
>> Meine kleine Schwester hast du umgebracht! Mörderin! Sie war erst fünf! Sie wollte mit mir das Land verlassen. Ich war nur kurz weg, um den Verletzten zu helfen, da fallen du und deine Leute einfach in unser Haus ein und bringen alle um! << Er trat mich wieder. In seinen Stiefeln mussten Stahlkappen sein. Sie trafen mich hart und schwer. Schmerzen durchfuhren meinen Körper. Ich stöhnte auf.

>> Weißt du wie lange es gedauert hat herauszufinden, wer diese Einheit angeführt hat? Ich habe zu eurem Staat immer aufgesehen. Ich wollte mit meiner kleinen Schwester bei euch um Asyl bitten. Jetzt spucke ich auf euch! Ihr seid nicht besser als die schwarze Armee. Ich habe mich ihnen angeschlossen. Sie haben mir geholfen meine Rache zu planen. Sie sind keine verlogenen Politiker, wie eure Regierung. Euer Staat hat immer gesagt, er wolle der Bevölkerung helfen gegen die schwarze Armee vorzugehen. Er wolle das unschuldige Blut vergießen stoppen. Aber er vergießt selbst unschuldiges Blut. Die schwarze Armee sagt wenigstens die Wahrheit. Sie plant etwas Tolles. Etwas Großes und neues. <<

>> Sie… benutzt… euch nur. << Ich musste husten. Das Atmen fiel mir zunehmend schwerer.
>> Was sagst du da? Du wagst es aufmüpfig zu werden? Na warte! << Wieder hagelte es Tritte. Es viel mir schwer noch bei Bewusstsein zu bleiben. Mein Körper wurde von Schmerzen durchzogen. Ich konnte nicht mehr spüren, woher sie kamen. Mein ganzer Körper pulsierte gleichmäßig vor Schmerz. Blut floss über meine Lippen. Meine Sicht bestand nur noch aus Farbflecken.

>> Du wirst noch früh genug erfahren, wie es ist alles zu verlieren. Du sollst den gleichen Schmerz spüren wie ich. Pass auf. Ich beobachte dich! << Ein letztes Mal traten beide auf mich ein. Dann entfernten sich ihr Schritte schnell. Meine Sicht färbte sich gänzlich rot. Blut floss mir in die Augen. Auf einmal wurde sie ganz schwarz und ich verlor das Bewusstsein.

 

Etwas Nasses wischte über mein Gesicht. Vorsichtig öffnete ich die Augen. Vor mir stand ein brauner Labrador mit schiefgelegten Kopf. Er hob seine Pfote und klopfte auf meinen Kopf.

>> Ist ja gut mein kleiner. Ich bin wach. << Vorsichtig versuchte ich aufzustehen. Sofort war der Schmerz wieder da und ich fiel hart zurück auf den Boden. Der Hund schaute sich das Schauspiel an und rannte auf einmal weg.

>> Nein, bleib doch hier! << Ich versuchte ihn wieder her zu rufen. Vergebens, er rannte ins Dickicht. Niedergeschlagen vergrub ich meinen Kopf in den Blättern. Da fiel mir mein Handy ein. Schnell griff ich in meine Hosentasche, hoffentlich hatte es die Tritte überlebt. Das Display zeigte mir zwei ernüchternde Worte an. Kein Netz. Und jetzt? Sollte ich hier liegen bleiben und sterben? War das schon das Ende? So hatte ich es mir nicht vorgestellt!

Verzweifelt fing ich an um Hilfe zuschreien. Es war reine Zeitverschwendung! Wer geht so tief in den Wald?

Ich versuchte erneut mich aufzurichten, diesmal aber langsamer. Ich zog mich mit letzter Kraft am Baum hoch. Zusammengeduckt, einen Fuß vor den anderen setzend ging ich in die Richtung, in die der Hund gerannt ist.

>> Hallo? Ist hier jemand? Ich brauche Hilfe! <<
Ich bekam keine Antwort, von wem denn auch? Lang ging ich so langsam weiter. Ich hatte keine Ahnung, wo ich war. Ich hatte mich komplett verlaufen. Ich wusste nicht mal den Weg zurück zum Abhang, allerdings würde mir dieses Wissen auch nicht weiterhelfen. Hochklettern konnte ich ihn bestimmt nicht. Nicht in diesem Zustand!
Hinter mir raschelte es. Ich fuhr zusammen, kam die zwei Männer wieder? Ängstlich drehte ich mich um. Es raschelte wieder und der Hund brach aus dem Gebüsch. Nicht weit entfernt hörte ich seine Besitzer nach ihm rufen.

>> Hier! Hier! Hier ist ihr Hund. << Ich schrie so laut ich konnte.

>> Wer ist da? << Kam die Antwort durch den Wald zurück.
>> Ich brauche Hilfe! Ihr Hund ist bei mir. << Das Schreien kostete mich viel Kraft. Mein Körper kämpfte gegen die Verletzungen an. Ich versuchte die Schmerzen zu ignorieren, aber ich konnte es nicht. Er zerfraß mich gerade zu.
>> Wo sind Sie? <<
>> Hier! << Eine sehr hilfreiche Antwort, ich weiß. >> Wo ist dein Herrchen? Such! << Der Hund verstand, was ich von ihm wollte und rannte los. Ich rutschte entkräftet einen Baumstamm hinunter und schon wieder tanzten schwarze Punkte in meinem Sichtfeld. Es würde nicht lange dauern, dann würde ich erneut Bewusstlos werden. Ich nahm am Rande nur noch war, wie der Hundebesitzer mich fand. Ab da, kann ich mich an nichts mehr erinnern.

 

>> Die Diagnose lautet mehrere gebrochene Rippen. Aber keine Sorge, wir haben sie schon geklebt. Außerdem haben Sie eine gebrochene Hand, vermutlich durch einen Tritt. Um diese haben wir uns auch schon im OP gekümmert. Bei Ihrem Fuß haben Sie sich die Bänder überdehnt. Sie dürfen den Fuß ein paar Tage lang nicht belasten und müssen ihn danach noch schonen. Sie haben eine Platzwunde und mehrere Hämatome… <<

>> Na, dann ist ja alles klar. Wann kann ich nachhause? << Unterbrach ich das Geschwafel des Arztes.

>> Eigentlich könnte ich Sie jetzt schon entlassen. Ich würde Sie aber gerne noch eine Zeit zur Beobachtung hierbehalten. <<
>> Daraus wird nichts. Ich möchte so schnell wie möglich nachhause. <<

>> Ich werde noch mal mit Ihrem Vormund reden. Sie sind noch nicht Volljährig und daher darf ich auf Ihre Wünsche keinen großen Wert legen. <<

Stöhnend lies ich meinen Kopf auf das Kissen fallen.
>>Ich werde es klären. << Der Arzt ging zur Tür.

>> Tschau. <<

Es war dem Staat scheißegal ob ich Volljährig bin, wenn er mich in den Krieg schickt. Aber sobald ich früher nachhause wollte…

Es klopfte an der Tür. >> Komm rein. << Wenn Freddy jetzt hier war, konnte ich sicher bald gehen.

Die Tür ging auf, aber es kam nicht Freddy, nicht nur. Ihn begleiteten meine „Vorgesetzte“ und ein junger, sehr heißer Typ.
>> Zora, wie geht es dir? << Besorgt trat Freddy zu mir.
>> Herr Heil! << Schnell trat Freddy wieder zurück.
>> Was soll das? Ich bin nicht ansteckend! << Wie ich sie hasste. Diese hässliche Fratze!

>> Wer hat Sie überfallen? << Ihre grauen Augen durchschauten mich.
>> Keine Ahnung. Die waren maskiert. << Ich zuckte die Schultern.

>> Sie haben doch sicher eine Idee! << Sie zog die Augenbrauen hoch.

>> Was ist mit dem Kerl, der dich beobachtet hat? << Platzte es aus Freddy raus.

>> Herr Heil! << Frau Rau funkelte Freddy böse an. Nicht nur Frau Rau, sondern auch ich.

>> Das war ein Geheimnis! << Fauchte ich ihn an.
>> War es dieser Kerl? << Freddy ging nicht auf meine Anschuldigung ein.

>> Herr Heil, Sie gehen jetzt besser vor die Tür! << Frau Rau durchfuhr Freddy mit ihrem kalten Blick.

Freddy funkelte böse zurück, schaute mich nochmals besorgt an und stampfte vor die Tür, diese fiel laut krachend ins Schloss.

>> Sie wurden verfolgt? Habe ich das richtig verstanden? << Frau Raus Blicke waren wirklich sehr unangenehm. Ich hatte sie als kleines Kind schon gehasst. Sie war für mich eine alte Hexe, die jeden Sonntag ein Kind im Backofen briet. Ja, ich hatte sie mir als Kind immer wie die Hexe aus Hänsel und Gretel vorgestellt. Ich war Gretel, die sie in ihrem grauen Kostüm in den Ofen stieß.

>> Ja, eventuell. Es bestand der Verdacht. << Druckste ich rum. Ich wollte ihr die Wahrheit nicht sagen. Ich hatte Angst, dass sie mich wieder in ein Kinderheim stecken würde.

>> War er es? Ja oder nein? <<
>> Ja. << Ich schaute auf meine Decke, bloß nicht zu Frau Rau.

>> Er war es? Woher wissen Sie es? Sie spucken jetzt sofort aus was geschehen ist! << Frau Rau kam immer näher zu mir.

>> Ich sage Ihnen gar nichts! << Ich schaute zur Decke und verschränkte die Arme soweit es mit einer eingegipsten Hand geht.

>> Gut, dann können wir Sie nur schützen, indem Sie wieder in ein Kinderheim kommen. << Wie ich sie hasste! Frau Rau wusste genau wie sie mich erpressen konnte. Alte blöde Hexe! Kinderschreck!

Ich zog einen Schmollmund.
>> Also ich höre? << Frau Rau tippte unruhig mit dem Fuß auf den Boden.

>> Ja, er war es. Er und ein anderer. Sie haben mir beim Joggen im Wald aufgelauert. <<

>> Was wollten die von Ihnen? <<

>> Rache! Sie wollten Rache! << Ich spuckte die Worte geradezu aus. Erst beim Aussprechen wurde mir klar, in was für einer Situation ich mich befand. Ich wurde von Mitgliedern der schwarzen Armee bedroht. Diese hatten mich schon einmal Rücksichtslos zusammengeschlagen und ich war mir sicher sie würden es bestimmt auch ein zweites Mal tun.

>> Wofür wollten sie Rache? <<

>> Nicht wollten, sie wollen Rache. Sie sind noch nicht fertig. Sie sind Mitglieder der schwarzen Armee und rächen eine Familie. Eine von den Familien, die ich in eurem Namen umgebracht habe! <<

Zufrieden drehte sich Frau Rau um und ging zurück zur Tür.
>> Sie hätten uns erzählen müssen, dass Sie bedroht wurden. << Sie schüttelten den Kopf.
>> Ich war mir doch nicht sicher! Außerdem was hätten Sie dann gemacht? Mich in eines Ihrer gottlosen Heime gesteckt? <<

>> Nein. Sie in eine unserer Einrichtung zu stecken, würde zu viel Arbeit machen. Da hätten wir die Nummer, der örtlichen Polizei schon auf Kurzwahl. So oft wie Sie schon abgehauen sind… << Sie schüttelte den Kopf.

>> Was soll das heißen? << Ich traute ihr nicht, sie würde mir niemals etwas gönnen.

>> Sie bekommen einen… wie nennt man das umgangssprachlich? <<
>> Einen Bodyguard. << Der junge Mann, der mit Frau Rau und Freddy ins Zimmer kam, meldete sich auch mal zu Wort. Ich hatte ihn schon vergessen. Er hatte die ganze Zeit am Fenster gestanden und dem Gespräch gelauscht. Ich musterte ihn gründlich. Er hatte etwas längeres schwarzes Haar, das er auf der rechten Seite zu einem Side-Cut abrasiert hatte. Er hatte eisblaue mit Eyeliner schwarzumrandete Augen. Eisblau wie ein Gletschersee. Er war sportlich, aber auch sehr schmal gebaut, außerdem war er muskulös. Sein Aussehen wirkte aber trotz alledem sehr schmächtig. Sein Gesicht hatte hohe Wangenknochen. Sein rechter Arm war vom Handgelenk bis zur Schulter tätowiert. Ich schätzte ihn auf Zwanzig. Kurz um, er sah sehr heiß aus! Genau mein Typ!

>> Genau Bodyguard, das war das mir entfallende Wort. Sie bekommen einen Bodyguard, der Sie tagsüber begleitet, sobald Sie ihre Wohnung verlassen. So lange Sie in der Wohnung sind, können Sie an mehreren Stellen einen Alarm auslösen, wenn Sie angegriffen werden. Außerdem ist der gesamte Eingangsbereich videoüberwacht. Es wurden mehrere Kameras und Alarmanlagen installiert. Die Anlagen werden mit einem Password aktiviert. Genaueres erklärt Ihnen nachher Herr Heil. <<

>> Sie haben die komplette Wohnung verkabelt? << Fassungslos starrte ich sie an. Die waren einfach in meiner Wohnung gewesen und haben dort Kameras installiert. Eventuell sogar noch in meinen Sachen geschnüffelt!

>> Ja, alles nur zu Ihrem Schutz! <<

>> Ist klar und ich bin die Kaiserin! Sie haben doch nur einen Grund gefunden, meine Sachen zu durchsuchen! <<

>> Wir haben nur überprüft, ob etwas gestohlen wurde. << Frau Rau ließ sich nichts vorwerfen.

>> Warum sollte etwas gestohlen worden sein? Das ist die billigste und schlechteste Ausrede, die ich je gehört habe! <<

>> Paul Kneipp wird von nun an auf Sie aufpassen, bis die beiden Männer verhaftet wurden. <<

Der junge Mann trat vor um mich zu begrüßen, doch ich ließ ihn nicht zu Wort kommen.

>> Wie wollen Sie die Männer einbuchten, wenn Sie nicht einmal wissen, wie sie aussehen? <<

>> Herr Kneipp wird sich umschauen und die Männer, wenn sie auftauchen verhaften. <<

>> Aha, klar doch! Darf ich mal was fragen? <<

>> Natürlich dürfen Sie etwas fragen. <<

>> Warum machen Sie sich solche Mühe? Ich bin für den Staat doch auch nur ein Staubkorn. Nichts Besonderes. Trotzdem werde ich beschütz, als sei ich die Queen! <<

Frau Rau kniff die Augen zusammen und trat zu mir ans Kopfende meines Bettes.
>> Hör mir mal gut zu, Zora! Ich habe dein Tagebuch gelesen und du hast Recht mit dem, was du dort hinein schreibst. Du bist für den Staat nur ein Mittel, sich zu schützen. Jetzt wo dein großes strategisches Talent bekannt ist, wirst du dem Staat noch sehr viel weiterhelfen. Du glaubst doch nicht wirklich, dass du einen so hohen Rang bekommen hast, nur weil du so lange überlebt hast. Nein, du bist so hochgekommen um dein Können besser nutzen zu können. Merk es dir! Du bist nur ein Mittel für den Staat! Nichts Besonderes! Und ich werde dich das spüren lassen, denn ich kann mir dir machen, was ich will! << Laut sprach sie weiter. >> Sie dürfen die Klinik heute wiederverlassen, das ist doch Ihr Wunsch gewesen oder? <<
>> Ja, danke. << Mehr brachte ich nicht hinaus. Hatte sie mir gerade gedroht?
>> Gut, dann lasse ich Sie beide Mal alleine. Gute Besserung Oberleutnant Zora. << Die Tür ging auf und fiel wieder ins Schloss.

>> Endlich ist die Schreckschraube weg. << Ich schaute auf. Paul lehnte an der Wand und grinste mich an. Sein Grinsen war toll! Ich hatte das Gefühl zu schmelzen!
>> Ich bin Paul. Zwanzig Jahre alt und habe kein Bock für dich den Babysitter zu spielen. << Sein grinsen verschwand und er schaute mich genervt an.

>> Dies wird auch nicht nötig sein! Ich brauche keinen Babysitter! << Was ein blöder Arsch!
>> Das sehen die da oben aber ganz anders! Soll ich dir mal was sagen? Als ich mich bei der Armee angemeldet habe, wollte ich meinem Vaterland im Krieg dienen und nicht auf ein kleines Mädchen aufpassen, das sich für besonders toll hält, weil sie Oberleutnant ist. <<
>> Was fällt dir ein! Ich hab dich nicht darum gebeten, auf mich auf zu passen! Ich habe es mir nicht ausgesucht, bedroht zu werden. Glaubst du, es ist angenehmen zusammengeschlagen zu werden? <<

Paul rollte die Augen. >> Nein, du hast es dir nicht ausgesucht, aber die da oben! <<
Ich funkelte ihn böse an und sagte gar nichts mehr. Mir wäre so viel eingefallen, dass ich ihm an den Kopf werfen könnte, aber ohne es verhindern zu können, kullerten dicke Krokodils Tränen über mein Gesicht. Mist! Schnell rieb ich mir über die Augen. Warum heulte ich in letzter Zeit so oft?

>> Ist ja gut. Brauchst nicht anfangen zu heulen. Ich weiß, dass du es dir nicht ausgesucht hast. Nur in der Zeit, in der ich auf dich aufpassen muss, könnte ich im Krieg kämpfen. Das ist mein größter Wunsch! << Ich glaubte mich verhört zu haben! Der Affe wollte freiwillig in den Krieg? Was hatte der geraucht?

>> Ich heule doch nicht deshalb! Diese scheiß Schmerzen! <<

>> Ach so. << Paul zuckte nur mit den Schulter und schaute wieder unbeteiligt aus dem Fenster.
Ich seufzte. >> Ich bin Oberleutnant Zora. Aber lass bitte den Oberleutnant weg. <<

>> Zora, richtig? << Paul schaute mich verwundert an.

>> Ja, mein Name ist Zora. <<
>> Seltsamer Name. Wie kamen deine Eltern darauf ihn dir zu geben? <<

>> Meine Eltern haben ihn mir nicht gegeben. Ich kenne meine Eltern nicht. Sie sind gestorben. << Ich war diese Fragen gewohnt.

>> Meine auch. << Paul drehte sich bekümmert weg und beobachtete weiter die Welt außerhalb meines Zimmers.

>> Um auf deine Frage zu antworten, wie ich zu diesem Namen kam. Eine Erzieherin aus meinem ersten Heim, hatte, als sie noch ein junges Mädchen war, ein Buch gelesen. In diesem Buch ging es um ein junges Mädchen namens Zora, das in einem Krieg geboren wurde. Sie wuchs als Kriegerin auf. Als sie erwachsen war, war sie im Namen ihres Vaterlandes als Soldatin in den Krieg gezogen und dort gefallen. Ich hatte meine Erzieherin an diese Zora erinnert. Sie rief mich immer Zora, anstelle der Zahl, die ursprünglich mein Name war. Erst wenn man vier war durfte man sich einen Namen aussuchen. Für mich stand mein Name fest. Zora. <<

>> Wow, dein Leben scheint gewisse Parallelen zu dem von der Zora zu haben. Hoffentlich nimmt deine Geschichte nicht dasselbe Ende. <<

Ich zuckte nur mit den Schultern. Mir war es egal, wie das Ende meiner Geschichte war. Ich überließ es dem Schicksal, sich ein passendes auszusuchen.

>> Paul? Würdest du mir bitte einen Gefallen tun und Freddy reinholen? Ich möchte dieses Krankenhaus schnellstmöglich verlassen. Ich hasse Krankenhäuser! <<

>> Klar. << Paul verschwand aus dem Zimmer. Endlich war ich wieder alleine, leider nicht für lange. Der Chefarzt, Paul und Freddy kamen schnell wieder.
>> Sie haben Glück. Ich darf Sie heute schon entlassen. Ihr Vormund hat zugestimmt. <<
>> Natürlich hat er das! << Was hatte der Arzt erwartet?
>> Sie dürfen sich in den nächsten zwei Wochen nicht zu sehr bewegen. Wenn Sie doch mal längere Strecken laufen müssen, dann bitte nur auf Krücken. Ihr Termin zur Nachsorge ist in vier Tagen. Ich wünsche Ihnen eine gute Besserung. << Der Arzt verabschiedete sich und ging aus dem Zimmer.
>> Auf nimmer Wiedersehen. << Plärrte ich ihm noch nach.
>> Zora! << Freddy sah mich ermannend an.
>> Was denn? << Ich war doch die Unschuld vom Lande.
>> Komm, wir gehen nachhause. << Freddy reichte mir ein Paar rote Krücken.
>> Ich werde sicher nicht auf Krücken durch die Gegend laufen. Da laufe ich lieber gar nicht, sonst sehe ich ja aus wie der letzte Trottel. <<

>> Du hast doch gehört, was der Arzt gesagt hat, größer Strecken nur mit Krücken. <<
>> Ja, und da es der Arzt gesagt hat, ist es schon mal ein Grund, es nicht zu tun. << Ich hatte keine Lust weiter zu diskutieren. Ich würde niemals auf Krücken laufen. Da laufe ich lieber die nächsten Wochen gar nicht. Gibt sowieso keinen Grund es zu tun. Joggen ging ja nicht und auf Joggen war mir außerdem erstmal die Lust vergangen.
Ich ließ Freddy und Paul im Zimmer stehen und marschierte zum Ausgang des Krankenhauses.
Kurz bevor ich rausgehen konnte, kam Paul angerannt und prüfte erstmal ob die Luft rein war. Erst jetzt sah ich die Pistole und das Funkgerät an seinem Gürtel.
Auch wenn er keinen Bock auf seinen Job hatte, nahm er ihn ernst, das musste man zugeben. Ich konnte ihn trotzdem nicht leiden, gutes Aussehen hin oder her.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 3

Kapitel 3

Privatsphäre ist für den Staat auch ein unbekannter Begriff! Die haben als ich im Krankenhaus lag meine Wohnung durchsucht. Meine externe Festplatte, meine Memoiren und mein Notebook wurden mitgenommen. ( Ich musste Freddy losschicken, mir ein neues Notizbuch zu kaufen) Außerdem wette ich, dass sie nicht nur Kameras und Alarmanlagen installiert, sondern auch Wanzen gepflanzt haben.
Als nachhause kam, habe ich erstmal alles abgesucht, doch ich habe keine entdeckt. Inzwischen sind zwei Wochen vergangen. Ich bin immer noch krankgeschrieben. Sie wollen mich erst wieder in die Schule schicken, wenn die Gefahr vorüber ist.
Meine Wohnung ist jetzt nicht mehr meine Wohnung, sondern es kommt mir vor, als sei sie eine WG geworden. Paul und Freddy kleben mir die ganze Zeit auf der Backe. Es nervt!
Vor allem Paul! Er hört einfach nicht auf rumzumotzen! Er hat keine Ahnung, wie der Krieg ist. Er hat ein völlig falsches Bild!
Vermutlich hat er seine Illusionen aus Filmen! Er denkt, es bringt ihm Ehre und Ruhm ein, wenn er nach einem Kriegsjahr nachhause kommt. Er denkt, ihm würden dann alle zu Füßen liegen! Er hat keine Ahnung, was der Krieg aus einem macht. Er hat keine Ahnung, wie hart der Krieg ist. Ein einziger Kampf ums Überleben!

Ich habe ein paarmal überlegt ihm seinen Traum zu zerstören, aber so lange er noch träumen kann, soll er das ruhig. Auch wenn es mir lieber wäre, er würde es leise machen!
Jeden Abend verschwindet Paul und auch sonst bekommt er ständig seltsame Anrufe. Immer wenn ich ihn dann frage wer es war, sagt er, privat.
Seine Freundin ist es auf keinem Fall! Der ist Single hat er selbst zugegeben. Na ja, ich hab gelauscht als Freddy und er ein „Männergespräch“ geführt haben. Und ich habe viel zu viel erfahren! Zu viele Informationen!
Ich weiß daher aber auch, warum Paul Soldat werden will. Sein verunglückter Vater war bei der Armee und hat sich immer gewünscht, dass Paul auch ein Soldat wird. (Er muss seinen Sohn echt gehasst haben!) Nachdem Tod seiner Eltern vor vier Jahren, war Paul klar was er machen musste. Er wollte seinen Vater glücklich machen. Er wollte, dass sein Vater stolz auf ihn sein konnte. Auf seinen einzigen Sohn. Also hat er sich bei der Armee gemeldet.
Ich bin froh, dass ich keine Eltern habe, die ich glücklich machen muss. Gut, wenn ich noch Eltern hätte, würde mir das ganze Leid hier erspart geblieben. Aber was wäre dann aus mir geworden? Manchmal liege ich abends im Bett und überlege wie mein Leben wäre, wenn ich Eltern hätte.

So viele Situationen habe ich in Gedanken durchgespielt. Geburtstage, Weihnachten, Ostern…

Aber wirklich vorstellen, kann ich es mir nicht.

Ich würde gerne wissen, was meine Eltern waren. Freddy hat lange gesucht, aber dann hatte er im Archiv meine Geburtsurkunde gefunden und so den Lebenslauf meiner Eltern. Der braune Umschlag liegt immer noch in seinem Versteck unter dem Doppel Boden einer Schreibtischschublade. Ich habe mich nicht getraut ihn zu öffnen. Zu groß ist meine Angst, dass meine Träume zerstört werden, dass das Bild meiner Eltern zerstört wird. Sie sehen bestimmt ganz anders aus, wie ich sie mir vorgestellt habe.
Das Einzige, das ich über sie weiß, ist dass sie bei einem Autounfall starben. Unser Auto hatte sich auf glatter Straße mehrfach überschlagen und war erst fünfzig Meter im Acker zum liegen gekommen. Mein Vater und mein Bruder verstarben am Unfallsort und meine Mutter zwei Wochen später im Krankenhaus. Ich war die einzige, die überlebt hatte und das wie ein Wunder unverletzt. Ich war ein Jahr alt. Jetzt habe ich keinerlei Erinnerungen mehr an sie. Ich weiß nicht, wo wir gewohnt haben. Ob wir ein Haus oder eine Wohnung hatten. Ich weiß meinen wahren Namen oder meinen Nachnamen nicht… Ich könnte es herausfinden, dazu müsste ich aber den Umschlag öffnen…
Den haben sie mir zum Glück gelassen, aber wahrscheinlich nur, weil ich ihn versteckt habe. Ich dürfte diesen Umschlag gar nicht besitzen. Der Staat hat alles drangesetzt, dass ich nicht erfahre von wem ich abstamme und doch hat Freddy es geschafft diesen Umschlag zu ergaunern.

Soll ich ihn öffnen, soll ich nicht? Ich glaube, ich soll nicht. Was bringt es mir, zu erfahren wer meine Eltern waren? Sie sind tot, gestorben bei einem Unfall. Ich würde nur noch mehr ein Leben vermissen, das ich nie wirklich geführt habe. Ich glaube, ich werde den Umschlag verbrennen. Damit wäre dann auch der letzte Rest meiner Vergangenheit ausgelöscht. Es wäre bestimmt besser so. Ich bin nicht mehr das Mädchen, das meine Eltern hatten. Ich trage nicht den Namen und meine Zukunft ist auch eine andere. Ich bin eine andere, als ich sonst geworden wäre.

Hier beim Schreiben fallen mir Herr Froh‘s Worte wieder ein. >> Ihr Vater wäre stolz auf Sie, das weiß ich ganz genau. Er hat immer gehofft, dass eines seiner Kinder erfolgreich wird und dem Vaterland hilft. So wie er es getan hatte. << Sollte das heißen, dass er meinen Vater gekannt hatte? Oder hatte er es sich nur ausgedacht? Dieser Mann war seltsam, was ist wenn er meinen Vater tatsächlich gekannt hatte? Sollte es heißen mein Vater war auch Soldat?
Wenn ich diesen Herrn Froh das nächstmal sehe, werde ich ihn auf meinen Vater ansprechen.

 

>> Tschau Zora. << Paul kam in mein Zimmer, um sich zu verabschieden.

>> Tschüss. Bis Morgen. << Schnell versuchte ich meine Memoiren zu verstecken.

>> Was hast du da? Zeig mal her. << Paul schnappte sich das Notizbuch und blätterte in ihm.
>> Du schreibst Tagebuch? Die große Zora schreibt Tagebuch? << Er lachte. >> Oh mein liebes Tagebuch, heute war ein ganz schlechter Tag… << Paul tat so, als würde er aus meinem Notizbuch vorlesen. Beim Versuch ihm das Notizbuch wegzunehmen, trat ich ihm in seine Kronjuwelen.

>> Ah Shit, die brauch ich noch. << Paul verzog sein Gesicht.
>> Die brauchst du nicht mehr. Du bekommst do eh nie eine Freundin! << Ich versuchte ihm mein Notizbuch wegzunehmen.

>> Woher willst du das wissen? Vielleicht habe ich ja eine Freundin. << Er hielt mein Notizbuch hoch. Nicht mal wenn ich sprang, kam ich dran.

>> Du hast keine Freundin. Ich hab das Gespräch zwischen dir und Freddy mitbekommen. <<

Paul wurde rot. >> Du hast gelauscht? Hat man dir nicht beigebracht, dass man nicht lauschen soll? Das ist sehr unhöflich! <<

>> Mir egal, was man soll und was nicht. Jetzt gib mein Notizbuch wieder her. <<
>> Was steht denn so interessantes drin, wenn ich es nicht lesen darf? <<
>> Das geht dich nichts an! <<
Paul blätterte ein wenig in dem Notizbuch. >> Du schreibst deine Erlebnisse aus dem Krieg auf? Willst du mal ein Buch schreiben? << Er lachte wieder.
>> Ich verarbeite das Erlebte. Mein Arzt hat es mir empfohlen! <<
>> Das Rezept will ich sehen. Ich verschriebe Ihnen, ein Tagebuch zu schreiben. << Paul flossen vor Lachen Tränen übers Gesicht.
>> Es soll gegen die Albträume helfen. << Ich fand das ganze überhaupt nicht komisch. Paul, der blöde Arsch, sollte mir mein Notizbuch wieder geben!
>> Was für Alpträume? Hast du heimlich Thriller geschaut? << Paul fand sich irrkomisch. Er bekam sich nicht mehr ein.
>> Vielleicht solltest du doch lesen, was ich in mein Notizbuch schreibe. Dann raffst du vielleicht mal endlich, dass du eine völlig falsche Vorstellung vom Krieg hast. <<

Paul hörte auf zu lachen. >> Du musst es ja wissen! <<

>> Ja und ich weiß es auch! Ich war, falls du es vergessen hast, dreimal im Krieg gewesen! <<

>> Wie war es? << Paul hatte sich auf mein Bett gesetzt. Er hatte mich noch nie gefragt, wie es ist im Krieg zu sein. Er hatte paarmal den Ansatz gemacht, es sich dann aber anders überlegt.

>> Es ist ein einziger Überlebenskampf. Im Krieg überschreitet man eine innere Grenze. Du bist nicht mehr du selbst. <<

>> Hat man große Angst? <<
>> Beim ersten Gefecht macht man sich fast in die Hosen vor Angst. Aber danach ist man, durch das Adrenalin in seinen Adern, so auf gepusht, das du an gar nichts mehr denkst. <<
>> Ist es schlimm seine Kameraden sterben zu sehen? Wenn sie verletzt auf dem Schlachtfeld liegen und man ihnen nicht helfen kann? <<

>> Im ersten Moment nicht. Oft bemerkt man es erst später. Aber ja, wenn es Freunde von dir sind, die dort liegen, fällt es einem schwer seine Position nicht zu verlassen. <<

>> Bist du nie aufgesprungen um einem zu helfen? <<
>> Doch, mehr als einmal. <<

Paul schwieg. Vielleicht hatte er endlich begriffen, dass der Krieg anders verlief, als in seinen Vorstellungen.

>> Ich will trotzdem Soldat werden. Es war der Wunsch meines Vaters. << Paul stand auf. Diese Kartoffel hatte gar nichts begriffen! Wozu habe ich mir den Mund fusselig geredet? Er warf mein Notizbuch aufs Bett und zog seine Jacke an. >> Ich muss los. Bin spät dran. <<
>> Mach‘ s gut. << Er sollte nicht im Krieg sterben. Warum war er so darauf fixiert, den Wunsch seines toten Vaters zu erfüllen? Er war vielleicht ein riesen Arsch, aber er hatte diese Qual nicht verdient, niemand hatte das.
Das Klingeln des Telefons riss mich aus meinen Gedanken. >> Hallo? <<

>> Hallo, sind Sie Zora? << Eine junge Mädchenstimme war am anderen Ende der Leitung.

>> Ja, mit wem spreche ich da? <<

>> Ich bin Clara. Ist Paul da? <<
>> Nein, Paul ist ebengerade los. Er wollte da. <<

>> Ach so, dann ist er ja gleich zu Hause. <<
>> Clara? <<

>> Ja? <<

>> Rufst du Paul manchmal bei der Arbeit an? <<

>> Ja. Er hat mir erlaubt, anzurufen wenn ich mich einsam fühle und natürlich wenn etwas passiert ist. <<

>> Wohnst du bei Paul? <<

>> Ja, ich bin doch seine kleine Schwester. <<

>> Ach so. Und wie alt bist du? <<

>> Ich bin sechs Jahre alt. <<

>> Du bist mit sechs Jahren schon den ganzen Tag allein zu Hause? Ist das nicht einsam? <<

>> Doch, aber manchmal bin ich bei einer Freundin. <<
>> Sag deinem Bruder doch, dass er dich gerne mit auf die Arbeit nehmen darf. Es stört mich nicht. Dann bist du nicht allein zu Hause und dein Bruder braucht sich keine Sorgen machen. <<

>> Ich darf mit? << Man hörte wie sich das kleine Mädchen freute.

>> Ich würde mich sogar sehr freuen, wenn du mitkommst. << Im Hintergrund hörte man einen Schlüssel im Schloss klacken.
>> Oh, da kommt Paul. Ich darf auf der Nummer eigentlich gar nicht anrufen. Nur im Notfall. <<

>> Gib mir deinen Bruder gleichmal, dann kläre ich das mit ihm. <<

>> Danke. << Im Hintergrund hörte ich Paul.

>> Clara, bin wieder da. Tut mir leid, dass es länger gedauert hat. Ich hab noch… Mit wem telefonierst du da? <<
>> Mit Zora. <<
>> Habe ich dir nicht gesagt, dass du nur im Notfall da anrufen sollst? <<

>> Ich habe mir Sorgen gemacht, weil du nicht kamst. Sie will mit dir reden. <<

>> Gib mir den Hörer. << Es raschelte kurz. >> Zora? Tut mir leid, dass meine kleine Schwester angerufen hat. Ich hätte ihr die Nummer nicht geben sollen...<<
>> Paul, ist doch kein Problem. Sie hat sich doch nur Sorgen um ihren großen Bruder gemacht. Warum hast du nie erzählt, dass du eine kleine Schwester hast? <<

>> Du hast nie gefragt. << Murmelte Paul.

>> Sie ist sechs oder? <<

>> Ja, fast sieben. <<

>> Du kannst sie doch nicht so oft, so lang alleine lassen. <<

>> Die Tagesmutter ist abgesprungen, weil Clara so viel älter ist, als die anderen Kinder bei ihr. << Redete Paul sich raus.

>> Und warum hast du nicht einfach gefragt, ob sie mitkommen darf? <<

>> Ich dachte, es würde dich stören. So ein sechs Jähriges Mädchen kann ganz schön aufgedreht sein. Du bist so schon ein Muffelkopf, wenn nur Freddy und ich da sind. Da wollte ich sie dir nicht zu muten. <<

>> Ich bin kein Muffelkopf! Na ja, egal. Ich habe das schon mit deiner kleinen Schwester geklärt. Sie darf gerne mitkommen. Dann ist sie nicht alleine und du brauchst dir keine Sorgen mehr um sie machen. <<

>> Ich müsste dann aber mittags kurz weg, um sie von der Schule abzuholen. <<

>> Na und? Dann verlasse ich in der Zeit halt nicht die Wohnung oder komme mit. <<
>> Ich wusste gar nicht, dass du so barmherzig sein kannst. << Ich konnte mir vorstellen wie Paul grinste.

>> Paul, ich kann dich nach wie vor nicht leiden. Ich mach das für deine Schwester. Sie wirkt nett. Ich mache das Angebot, aber sicher nicht für dich! <<

>> Jaja, ich weiß schon bescheid. Gib doch zu, dass du, wie jede Frau, meinem Charme nicht wiederstehen kannst. << Ich hörte Clara. >> Paul du hast keinen Charme! Du verekelst alle nur. Oder woran lag es, dass alle deine Freundinnen dich nicht lange ertragen konnten? Hat die letzte dich nicht als arroganten Arsch bezeichnet? << Wow. Die kleine ist clever und frech. Ich mochte sie jetzt schon.

>> Bist du leise Clara. <<

>> Deine Schwester ist echt nicht auf den Mund gefallen. Ich wusste gar nicht, dass eine Sechsjährige die Bedeutung von dem Wort Charme kennt. <<

>> Ja, das ist wahr. Es war auch ein Grund, weshalb ich sie nie mitgebracht habe. Manchmal kann sie ganzschön ungezogen sein. <<

>> In welche Klasse geht sie? <<

>> Sie geht in die zweite Klasse. <<

>> In die zweite Klasse? Dann wurde sie aber früh eingeschult. <<

>> Ja, sie ist auch schon weiter, als die aus ihrer Klasse. Sie liest fleißig Bücher, während die anderen das Lesen erst lernen. <<

>> Wow und das mit sechs. Da werde ich mich auf morgen freuen. Warst du auch so intelligent wie sie? <<

>> Nicht ganz so schlau. <<
>> Er war Klassenschlechtester! << Funkte Clara dazwischen.
>> Du bist ein arroganter Arsch, der nicht mal was im Köpfchen hat? Da hatte ich heute Mittag doch recht. Du wirst nie eine Familie aufbauen! <<

>> Wenn ich es mir genau überlege. Ihr zwei passt wirklich perfekt zusammen. Wie Pech und Schwefel! <<

>> Ach Paul, sei doch nicht gleich eingeschnappt, wie ein kleines Kind! <<

>> Bis Morgen. Schöne Alpträume. <<

>> Bis Morgen. Eine unangenehme Nacht wünsche ich dir. <<

Als ich aufgelegt hatte merkte ich, dass ich grinste. Freddy kam ins Zimmer.
>> Abendessen ist fertig. Warum grinst du so? <<

>> Ach, ich hatte nur einen sehr unterhaltsames Gespräch mit Paul und seiner kleinen Schwester. <<

>> Seiner kleinen Schwester? << Freddy schaute mich verwirrt an. >> Du hast mit Paul geredet? Gleich zwei Mal an einem Tag? Hast du Fieber? Geht es dir nicht gut? Wirst du krank? <<

>> Komm, ich erzähl es dir beim Essen. << Ich musste immer noch grinsen. Morgen würde es sehr lustig werden.

 

>> Woher hast du die Narbe? << Ich stand im Bad vorm Spiegel und föhnte mir meine Mähne. Clara lunzte durch die halbgeschlossene Badezimmertür.

>> Welche Narbe? << Ich schaltete den Föhn aus.

>> Na, die da! << Clara öffnete die Tür ganz und kam ins Badezimmer. Sie setzte sich auf den Klodeckel.
>> Meinst du die Narbe an meiner rechten Schulter? << Ich hockte mich neben Clara auf den Boden.

>> Ja, die lange. <<

>> Du bist doch ein schlaues Mädchen. Was meinst du, woher ich die Narbe haben könnte? <<

>> Paul hat mir erzählt, dass du im Krieg warst. Ich wollte ihm das nicht glauben, Paul erzählt nämlich viel Müll. Du bist doch noch nicht erwachsen. Paul hat gesagt, dass eigentlich nur Menschen, die über achtzehn sind, in den Krieg dürfen und du bist doch erst fünfzehn. << Clara schaute mich mit ihren großen Augen an. Sie sah ihrem Bruder gar nicht ähnlich. Im Gegensatz zu ihm hatte sie blondes langes Haar und smaragdgrüne Augen, mit denen sie neugierig alles erforschte.

>> Dein Bruder hat aber Recht. Ich war im Krieg, schon dreimal. <<

>> Aber warum? << Clara sah mich verständnislos an.

>> Ich bin ein Waisenkind, so wie du. Nur im Gegensatz zu dir, gehöre ich dem Staat. Bei dir hat Paul das Sorgerecht und bei mir hat es der Staat. Der Staat kann also theoretisch alles mit mir machen, was er will. Das hat er auch getan. Als ich vier Jahre alt war, wurde ich in einem Trainingscamp ausgebildet, das hat vier Jahre gedauert. Mit acht war ich dann zum ersten Mal im Krieg. Wir haben geholfen verletzte Soldaten gesundzupflegen. Ein ganzes Jahr lang waren wir da. Dann bin ich zur Schule gegangen, aber nur kurz. Meine Heimleiterin hat mich bald wieder mit den anderen Kindern im Heim unterrichten lassen. Ich bin in der Schule zu sehr aufgefallen. Mir ging es nicht gut. Clara, der Krieg ist ganz schlimm! Ich musste früh sehen, wie Menschen von anderen erschossen wurden. Dann mit zehn Jahren musste ich wieder in den Krieg. <<

>> Musstest du da auch verletzte Soldaten gesundpflegen? << Clara hörte mir gespannt zu. Sie hatte die Beine angezogen und den Kopf auf die Knie gelegt.

>> Nein, da musste ich nach einer Zeit selbst gesundgepflegt werden. Ich musste mit den vielen anderen Soldaten kämpfen. <<

>> Oh! <<

>> Ja, nach einem Jahr durfte ich wieder nachhause. Ich war verletzt und sollte im Staat operiert werden. Das war großes Glück, sonst hätte ich vielleicht noch länger dort bleiben müssen. <<

>> Und danach, was ist dann passiert? <<

>> Ich bin, wie alle in meinem Alter, zur Schule gegangen. Es hat Spaß gemacht! Ich hatte mich schnell wieder erholt. Dann vor eineinhalb Jahren bekam ich Post. Ein Brief von der Armee. <<

>> Was stand da drinnen? <<

>> Was soll da schon drinnen gestanden haben. Sie haben Zora mitgeteilt, dass sie kleinen Kindern keine Gruselgeschichten erzählen soll. << Paul stand wütend im Türrahmen.

>> Das sind keine Gruselgeschichten! Zora erzählt mir, wie es im Krieg war. Ich hab da schon bisschen was in meinen Büchern gelesen. Lass sie bitte weitererzählen. Paulchen, bitte! <<

>> Nein, ich lass sie nicht weitererzählen. Für diese Geschichten bist du noch nicht alt genug. Zora kann sie dir erzählen, wenn du älter bist. <<

>> Ich will nur wissen, wie es dir gehen wird! Du sagst doch immer, dass du Soldat werden willst! Dafür bin ich alt genug? Ich weiß schon jetzt, dass es gefährlich ist! Genau wie diese Arbeit. Ich mache mir Sorgen um dich. Ich mache mir Sorgen um Zora. Außerdem bin ich kein kleines Kind mehr. Ich werde morgen sieben Jahre alt! Du sagst selbst, dass ich weiter bin, als Kinder in meinem Alter normalerweise sind. << Clara hatte Tränen in den Augen.

>> Für diese Geschichten bist du aber noch nicht alt genug! << Paul wurde laut und Clara zuckte zusammen. Sie funkelte Paul kurz an, dann rannte sie weinend aus dem Bad.
>> Na super! Clara warte! So war das nicht gemeint. << Paul wollte Clara nach.

>> Lass sie. Sie beruhigt sich wieder. << Ich stand auf.

>> Das ist alles deine Schuld! << Paul funkelte mich böse an.

>> Warum ist es meine Schuld? <<

>> Du kannst doch einem sechsjährigem Mädchen keine Geschichten aus dem Krieg erzählen! <<

>> Ich hab doch kaum was zu den Ereignissen dort gesagt. Außerdem hat sie Recht. Sie ist weit genug es zu erfahren! Ich war vier als ich zum ersten Mal Geschichten aus dem Krieg gehört habe. <<

>> Ja, du. Clara ist aber nicht du! Du warst mit acht auch im Krieg, ich weiß! Clara ist ganz anders als du aufgewachsen! Du kannst sie nicht mit dir gleichsetzten! <<

>> Ich darf sie nicht aufklären, was im Krieg geschieht? Du willst sie in Unwissenheit über deine zukünftige Arbeit lassen? Du hast sie doch gehört, sie macht sich Sorgen um dich! Sie will nicht, dass du in den Krieg gehst! Sie will, dass du bei ihr bleibst! <<

>> Ich weiß, aber glaubst du, es ist hilfreich ihr dann auch noch zu erzählen wie gefährlich es ist? << Paul und ich standen uns gegenüber und es war schwer zu sagen, wer den anderen am wütendsten anfunkelte.

>> Vielleicht schafft sie es ja dann, dich zum hierbleiben zu überreden. Wenn ich dir sage, dass es Selbstmord ist in den Krieg zugehen, hörst du ja nicht. Vielleicht hörst du ja auf deine kleine Schwester, die sich Sorgen macht. Paul, sie hat schon ihre Eltern verloren! Wenn du gehst, hat sie niemanden mehr! <<

Getroffen schaute Paul mich an. Er hatte anscheinend nie daran gedacht, dass Clara dann ganz alleine wäre.

>> Aber mein Vater.. << Stammelte er rum.
>> Dein Vater ist tot und die Toten soll man ruhen lassen! <<

>> Er wäre aber so stolz auf mich. Du weißt doch gar nicht wie es ist, wenn sich ein Vater etwas von seinem Kind wünscht. Du hast keine Eltern! Du kannst dich nicht mal mehr an sie erinnern! <<

>> Ganz ehrlich, dein Vater muss dich gehasst haben, wenn es sein größter Wunsch war, dass du Soldat wirst. Da draußen werden Soldaten zu hunderten abgeschlachtet! Wenn es nach dem Wunsch deines Vaters gehen würde, würdest du zu ihnen gehören! Du hast Recht. Ich weiß nicht, wie es ist einen Vater zu haben und ihm seine Wünsche zu erfüllen. Soll ich dir mal was sagen? Wenn die Väter solche Wünsche an ihre Kinder haben, bin ich froh drum, dass ich keine Eltern habe! << Ich ging an ihm vorbei, aus dem Bad raus. Beim rausgehen knallte ich die Tür zu.
Paul kam erst eine Stunde später aus dem Bad raus. Er hatte rotumrandete ungeschminkte Augen, anscheinend hatte er geweint.

Ich suchte derweil Clara. Sie lag zusammengerollt in meinem Bett.

>> Mäuschen, du darfst es deinem Bruder nicht böse nehmen. Er macht sich nur Sorgen um dich. <<
Freddy saß bei ihr und versuchte sie zu trösten. Als ich ins Zimmer kam, schaute er mich an und schüttelte den Kopf. Er stand auf und flüsterte mir ins Ohr. >> Müsst ihr euch immer auf Claras kosten streiten? Reißt euch lieber für das Mädchen zusammen. Sie hat euren ganzen Streit gehört. Ihr ward nicht gerade leise. <<

>> Ich weiß. << Ich lies den Kopf hängen.

Freddy ging aus dem Zimmer und ließ mich mit Clara alleine.

>> Süße. << Ich streichelte ihr über den Kopf. Clara hob den Kopf und schaute mich vorwurfsvoll an.

>> Ich will nicht, dass ihr euch immer streitet. Ich hab euch beide lieb. << Sie schniefte.

>> Ich weiß, aber manchmal geraten Paul und ich halt aneinander. Wir sind nicht immer derselben Meinung. Aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Wenn Paul und ich uns streiten, ist es meistens nichts Ernstes. << Ich streichelte Clara durchs blonde Haar. Sie kuschelte sich an mich und legte ihren Kopf in meinen Schoß.
>> Warum müsst ihr euch denn dann streiten, wenn es nichts Ernstes ist? <<

>> Na ja, weil… Ich kann dir das nicht erklären. << Clara tat mir leid. Es war schlimm für mich zu sehen, wie sie unter Paul und mir leiden konnte. Ich schwor mir, mich zurückzuhalten wenn Clara da war.

>> Wenn du es nicht erklären kannst, dann ist es nicht wichtig und Dinge, die nicht Wichtig sind, kann man auch sein lassen. << Ich musste über Claras Worte lachen.

>> Ja, ich verspreche dir, dass ich mich mit Paul nur noch über wichtige Dinge streiten werde. <<

>> Indianerehrenwort? << Clara hielt mir die Hand hin.

>> Indianerehrenwort! << Ich schlug ein.

>> Ließ du mir was vor? <<

>> Du kannst doch selbst schon lesen. <<

>> Ich mag es aber, wenn du ließt oder Geschichten erzählst. Du kannst das viel besser als Paul. << Clara kicherte.

>> Ok, ich lese dir was vor. Hast du ein Buch mit? << Clara nickte und sprang auf. Sie holte ihren Schulranzen. Sie wühlte kurz in ihm und reichte mir dann ein ziemlich in Mitleidenschaft gezogenes Buch. Sie setzte sich auf meinen Schoß und schlug mir das Buch am Lesezeichen auf.

>> „Die geheime Benediktsgesellschaft“? Ich hab das Buch gelesen als ich neun war. << Ich schaute mir den zerfetzten Einband an.

>> Ja, es ist sehr spannend. Manches verstehe ich nicht so gut, dann frag ich immer Paul. Aber ich finde das Buch toll. Ich hab es schon zwei Mal durch gelesen. <<

>> Hast du auch Band zwei und drei? <<

>> Nein, leider nicht. Ich würde so gerne wissen, wie es weiter geht! <<

>> Mhm ok. << Ich schlug das Buch wieder auf und wollte anfangen.

>> Du, Zora? << Unterbrach mich Clara.

>> Ja? <<

>> Erzählst du mir deine Geschichte mal zu Ende? Paul muss es ja nicht erfahren, außerdem bin ich ab morgen sieben und damit älter. << Clara schaute mich bittend an.

>> Ist ja gut, aber du darfst Paul nichts erzählen! <<

>> Mach ich nicht, ich schwöre! << Clara schaute mich ernst an.

>> Indianerehrenwort? << Ich hielt ihr die Hand hin.

>> Indianerehrenwort! << Clara schlug ein.

 

>> Happy Birthday to you. Happy Birthday to you. Happy Birthday dear Clara. Happy

Birthday to you! << Paul, Freddy und ich sangen, nein plärrten das Lied. Clara saß auf dem Sofa und hielt sich die Ohren zu.

>> Seid ihr fertig? << Sie grinste uns frech an. Dabei zeigte sie Stolz ihre Zahnlücke. Ihr war heute Morgen der obere rechte Eckzahn ausgefallen.

>> Ja, sind wir. << Paul kitzelte sie durch. Clara konnte vor Lachen kaum sprechen. >> Ich singt schrecklich! <<

>> Ach, für einmal in Jahr ist das ganz ausreichend. << Freddy setzte sich in den Schaukelstuhl und grinste Clara an.

>> Die Geschenke. Die Geschenke. << Clara hüpfte aufgedreht durchs Wohnzimmer.

>> Was für Geschenke. << Ich schaute Paul verwundert an.

>> Ich weiß nichts, von Geschenken. Hast du eine Ahnung, von was Clara redet, Freddy? <<

>> Nee, Geschenke was ist das? Kann man das essen? << Er schaute mich fragend an.

>> Keine Ahnung, ich hab von sowas wie Geschenken noch nie gehört. <<

>> Ihr seid blöd. << Clara schlug auf Paul ein, der versuchte sie durch kitzeln davon abzuhalten.

>> Ok, ok, bevor du deinen Bruder noch kaputt machst, bekommst du deine Geschenke. << Ich zog die Decke vom Tisch. Darunter lag ein riesen Stapel unterschiedlich große Geschenke. Alle waren buntverpackt.

>> Oh, wow. << Clara schlug die Hand vorn Mund. >> So viele? <<

>> Mhm da muss ein Fehler sein. So viele hast du gar nicht verdient. Ich werde das richtigstellen. << Paul ging zum Tisch und nahm ein paar Geschenke runter. >> So, viel besser. <<

>> Gib sie wiederher. << Clara startete eine neue Attacke auf ihren Bruder. Während die beiden sich auf dem Boden rauften, gesellte ich mich zu Freddy.

>> Zehn auf die Kleine. << Freddy holte einen Zehner aus seiner Hosentasche.

>> Ich bin doch nicht so blöd und setzte auf Paul. Der hat bei der Kleinen keine Chance. << Wir lachten.

>> Oh Shit! << Freddy haut sich gegen die Stirn.

>> Was los? <<

>> Ich hab vergessen den Kuchen zu holen. <<

>> Oh, egal das hat sie nicht bemerkt. Wenn du jetzt schnell gehst, ist sie mit den Geschenkten beschäftigt und brauch ihn nicht. <<

>> Hast Recht, bis gleich. << Freddy schlich in den Flur und zog sich seine Jacke an. Clara schaute auf, als die Tür ins Schloss fiel. >> Wo ist Freddy hin? <<

>> Er muss nochmal was besorgen. Er kommt aber gleich wieder. <<

Paul warf Clara auf den Boden und hielt sie fest. >> Gewonnen! <<

>> Denkst aber auch nur du. << Clara trat Paul in seine Kronjuwelen. Paul lies von ihr ab und lag jammernd auf dem Boden. >> Warum immer dahin? Könnt ihr mir mal erklären, warum ihr Weiber immer dahin tretet? Das tut weh! <<

>> Hör auf rum zu jammern. Aus diesem Grund tippe ich niemals auf dich. Ich hätte heute sonst einen Zehner verloren. <<

>> Ihr wettet immer noch? Hat nicht schon genug Geld seinen Besitzer gewechselt? << Langsam stand Paul auf. Er verzog sein Gesicht.

>> Ich kann mich nicht beklagen, es war nicht mein Geld. <<

>> Kann ich jetzt meine Geschenke auspacken? << Clara wurde langsam ungeduldig.

>> Ja Clärchen, du kannst jetzt deine Geschenke auspacken. << Paul lies sich in den Schaukelstuhl fallen.

Nach und nach packte Clara jedes Geschenk aus. Zuerst die von Paul, dann meine und zuletzt Freddys. Unter meinen Geschenken waren zufällig auch die beiden, ihr fehlenden, „ Die geheime Benediktsgesellschaft“ Bände. Von Freddy bekam sie ein Armband und ein Freundebuch von Diddle.
Ich schenkte ihr außerdem noch eine neue Jacke, ein Ausmalbuch und ein neues Hörspiel.

Pauls Geschenk war das tollste. Er schenkte ihr die Ritterburg von Playmobil und das Zubehör, das sie sich so dringend gewünscht hatte. Natürlich mussten wir sie gleich aufbauen.

Ich schaute auf die Uhr. Freddy war jetzt schon eine halbe Stunde lang weg. Normalerweise dauerte es aber höchstens eine viertel Stunde zum Bäcker und wieder zurück. Paul las meine Gedanken und schaute auf die Uhr, auch er wirkte besorgt. Fünf Minuten später merkte es auch Clara.

>> Wo bleibt Freddy denn? Ich will Kuchen essen. Meint ihr er wäre böse, wenn wir ohne ihn anfangen? <<

>>Wir können nicht ohne ihn anfangen, weil Freddy gerade den Kuchen holt. << Paul grinste Clara unsicher an.

>> Ihr habt vergessen den Kuchen zu holen? Was seid ihr denn für Blödels? Na ja, dann spielen wir halt noch so lange, bis Freddy kommt. <<

>> Genau. << Paul spielte weiter mit Clara. Ich holte mein Handy raus und signalisierte Paul, dass ich telefonieren ginge. Ich wählte Freddys Nummer. Es tutete, nach einiger Zeit ging Freddys Sprachbox dran. Ich versuchte es noch ein zweites und drittes Mal. Wieder ging nur die Sprachbox dran.

Am Kühlschrank hing der Zettel, mit der Nummer des Bäckers. Ich rief dort an.

>> Guten Tag, hier spricht Frau Kneipp. Wir hatten bei Ihnen einen Kuchen bestellt. Wurde der schon abgeholt? <<

>> Nein, Frau Kneipp. Hatten Sie jemanden geschickt? <<

>> Ja, aber dann ist er noch nicht da. Ich danke Ihnen. Wir kommen den Kuchen gleich holen. <<

>> Tschüss. <<

>> Tschau. <<

>> Freddy ist nicht in der Bäckerei angekommen? << Ich fuhr herum. Paul stand hinter mir, er machte ein ernstes Gesicht und ich wusste, dass wir dasselbe dachten.

>> Clara. Ziehst du dir bitte deine Jacke und deine Schuhe an. <<

>> Du willst sie mitnehmen? <<

>> Ich lass sie an ihrem Geburtstag bestimmt nicht alleine. Und dich lasse ich nicht ohne Schutz. <<

Jetzt war Paul wieder in seiner Arbeit.
>> Ich komm gleich. << Schnell lief ich in mein Zimmer. Im obersten Fach von meinem Schrank lag meine Schutzweste, meine Pistole und mehrere Magazine zum nachladen. Ich zog die Weste unter meinen Pulli und befestigte die Pistole und die Magazine an meinem Gürtel. Mit ihnen kamen auch der Stress und die Angst wieder. Ich sah die alten Bilder. Schnell verdrängte ich sie. Ich brauchte jetzt einen freien Kopf. Hoffentlich war Freddy nichts passiert!

Als ich in den Flur kam, rüstete sich Paul gerade aus. Clara schaute mich und Paul verunsichert an.

>> Ist was passiert? <<

>> Nein, meine Maus. Wir machen nur einen Ausflug. << Paul kniete sich vor seine Schwester und zog ihren Reißverschluss bis oben zu.

>> Warum schaut ihr dann so ernst? <<

>> Es ist alles in Ordnung, Clara. Mach dir keine Sorgen. <<

Zusammen verließen wir die Wohnung. Paul und ich hielten je eine Hand von Clara. Wir liefen den Weg zum Bäcker und schauten in alle Gassen. Von Freddy fehlte jede Spur. Paul holte sein Handy raus und versuchte Normals Freddy zu erreichen.

>> Ist das nicht Freddys Klingelton? << Clara war stehen geblieben und lauschte.

Sie hatte Recht. Wenn man genau hin hörte, konnte man ganzleise seinen Klingelton hören.

>> Da lang! << Paul führte uns in die kleine Gasse direkt neben dem Bäcker. Der Klingelton wurde immer lauter. Instinktiv um fasste ich meine Pistole. Clara schaute mich ängstlich an. Sie wusste genau, dass etwas nicht stimmte.

Wir kamen an einer Ecke an. Freddys Handy musste genau hinter dieser Ecke liegen. Paul zückte seine Pistole und lunzte vorsichtig um die Ecke.

>> Scheiße! << Er rannte hinter die Ecke. Ich wollte Paul folgen, doch er hielt mich ab. >> Bring Clara hier weg! Eine Freundin von ihr wohnt über der Bäckerei. Wir treffen uns in fünf Minuten wieder hier. << Es raschelte und zwei Gestallten flitzten durch die Gasse. >> Stehen geblieben! << Paul rannte weg. Ich nahm Clara auf den Arm und lief so schnell ich konnte zur Bäckerei. Ich kam mir ohne Paul ausgeliefert vor.
>> Was ist denn passiert? << Clara klammerte sich an mich.
>> Du gehst für eine Stunde zu deiner Freundin. Paul und ich müssen noch was erledigen. << Mir brannten Tränen in den Augen. Einzeln liefen sie über mein Gesicht.

>> Nein! << Auch Clara weinte. >> Was ist passiert? Zora, bitte sag mir was mit Freddy ist. <<

Ich schüttelte nur den Kopf. Ich konnte nicht reden, meine Kehle war wie zugeschnürt.

Clara wusste auch ohne, dass ich was sagen musste, dass Freddy etwas zugestoßen war. Sie vergrub ihr Gesicht in meiner Schulter und weinte.
Vor der Bäckerei angekommen setzte ich Clara ab. Ich wischte ihr mit einem Taschentuch über die Augen.
>> Wenn wir dich in einer Stunde nicht abgeholt haben, rufst du Paul auf dem Handy an. Erst Paul und wenn er nicht rangeht, dann rufst du mich an. Wenn ich auch nicht rangehe, schläfst du heute Nacht bei deiner Freundin. Dann kommen wir dich ganz sicher morgen abholen. Hast du

verstanden? << Clara fing wieder an zu weinen, nickte aber. Ich nahm sie in den Arm und drückte sie ganz fest.

>> Ich will nicht, dass du weggehst. << Sie schluchzte.

>> Bis nachher. << Ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn und schickte sie rein.

 

>> Zora? << Ich traute mich nicht um die Ecke zuschauen.
>> Zora, bist du da? << Paul kam zu mir. >> Ist Clara in Sicherheit? <<

Ich nickte.
>> Ich habe die Kollegen verständigt. Die Täter konnte ich nicht mehr einholen. << Er führte mich um die Ecke. Dort lag Freddys Leichnam in einer Blutlache. Ich taumelte ein paar Schritte auf ihn zu und fiel auf die Knie. Freddys tote Augen starrten mich an. Ein Schrei bahnte sich in mir an. Paul kam und schloss Freddys Augen. Danach zog er mich in seine Arme hoch. Ich konnte das Weinen nicht mehr unterdrücken. Die Tränen flossen über mein Gesicht und landeten auf Pauls Jacke.

Plötzlich klingelte mein Handy. Das Display zeigte „Anruf von Unbekannt“ an.
>> Hallo? Wer ist da? <<
>> Na, wie fühlte es sich an jemanden zu verlieren? Ist dieser stechende Schmerz nicht schön? Denk dran, es ist alles deine Schuld. Das war nur Streich Nummer eins. Während du noch mit deinem Bodyguard kuschelst, wird Teil zwei schon geplant. << Der Anrufer legte auf. Ich schaute mich um. Sie mussten noch in der Nähe sein.
>> Wer war das? << Paul rüttelte mich.
>> Sie. << Ich sackte zusammen, schnell fing Paul mich auf. Ich konnte nicht mehr. Sie hatten Freddy umgebracht.

>> Was haben sie gesagt? <<
>> Sie meinten, dass dies erst Teil eins sei und dass Teil zwei gerade geplant würd. << Ich überlegte was damit gemeint sein könnte.
>> Clara! << Sprachen Paul und ich wie aus einem Mund.
>> Ich hätte sie nicht wegschicken sollen! << Paul war außer sich.

Wir rannten aus der Gasse. Nein, Paul rannte, ich schlich. Ich konnte nicht mehr. Mir kamen, als ich das Ende der Gasse erreichte, die Kollegen entgegen. Ich zeigte ihnen die Richtung in der Freddy lag.

Vor der Bäckerei stand Paul mit Clara auf dem Arm. Zum Glück ging es ihr gut. Sie so zu sehen schmerzte. Clara hatte ihren Bruder noch. Mir war meiner heute abermals genommen worden. Freddy war wie ein Bruder für mich. Egal wie oft wir uns gestritten hatten, er war immer für mich dagewesen. Auf einmal kam ich mir unendlich allein vor. Ich merkte, dass ich früher nie einsam war. Jetzt wo Freddy nicht mehr vorbeikommen wird, weiß ich was Einsamkeit ist. Es ist ein kalter Nebel, der dich umschleiert.

 

 

 

Kapitel 4

Kapitel 4

Morgen ist Freddys Beerdigung. Ich weiß noch nicht, ob ich hingehen soll. Ich habe seit seinem Tod, die Wohnung nicht einmal verlassen. Ich habe Angst! Es ist Psychoterror, was die beiden mit uns machen. Clara hat Angst. Sie hat nur noch Alpträume. In der Schule hat Clara Polizeischutz. Sie und Paul wohnen jetzt bei mir. Er sagt immer, wir müssen jetzt nur zusammenhalten dann wird alles wieder gut. Ich weiß aber, dass nichts mehr gut wird. Freddy ist erst seit einer Woche tot und ich bin ohne ihn total überfordert. Ich schließe mich in meinem Zimmer ein und heule die Nächte durch. In diese Woche habe ich fünf Kilogramm abgenommen. Ich bin ein Schatten meiner selbst.

Man merkt erst wenn ein Mensch weg ist, wie viel er einem doch bedeutet hat. Wie sehr er einem fehlen wird. Ich wusste nicht, wie angewiesen ich auf Freddy war.

Einen neuen Betreuer will ich nicht. Niemand wird Freddys Platz ersetzen können! Es gibt niemanden, der so gutmütig ist, wie Freddy es war. Egal wie viel Freddy durchgemacht hatte, er glaubte immer noch an das Gute im Menschen.

Frau Rau hat uns gestern besucht. Sie hat auch so einen hässlichen Blumenstrauß mitgebracht. Als Ausdruck der Trauer. Was soll ich damit? Die Blumen machen Freddy auch nicht wieder lebendig. Eins habe ich mir geschworen! Wenn ich die beiden in die Hände bekomme, werde ich mich für Freddy rächen. Koste es was es wolle. Sie hätten mich kalt machen können, aber dass sie Freddy in die Sache mit reinziehen mussten!

Nicht nur ich lebe in Angst, sondern Paul und Clara auch. Sie sollte ein schönes Leben haben. Clara hat schon so viel durchgemacht, da hätte sie ein bisschen Glück wohlverdient.

Sie trägt das Armband, das Freddy ihr zum Geburtstag geschenkt hatte, jeden Tag. Sie zieht es nie aus. Es ist ihre letzte Erinnerung an ihn. Sie ist ein tapferes Mädchen, tapferer als ich es bin. Sie steht jeden Tag auf Neues mit einem Lächeln auf. Egal wie schlimm die Alpträume in der Nacht waren. Ich wünschte, ich wäre auch so stark wie sie.

Es ist drei Uhr und ich kann immer noch nicht schlafen. Ich bin den ganzen Tag nicht aus meinem Zimmer gegangen. Ich weiß, dass Paul sich Sorgen macht, aber ich brauch Zeit für mich. Ich muss den Verlust erst verkraften, ob ich das jemals schaffe?

 

Ich lag alleine in meinem Bett und merkte, dass ich nicht mehr alleine sein wollte. Paul schlief auf der Couch im Wohnzimmer und Clara im Gästezimmer. Zwischen ihnen und mir lag zwar nur der kurze Flur, aber es kam mir vor als wären sie kilometerweitweg.
Leise öffnete ich meine Tür und schlich auf den Flur. Im Wohnzimmer brannte noch Licht.

>> Zora, du bist noch wach? << Paul saß auf dem Boden und las.

>> Kann nicht schlafen. << Müde stand ich in der Tür.

>> Na dann komm her. << Er klopfte neben sich.

Ich schlich wie ein Gespenst zu ihm. >> Wie geht es Clara? << Ich setzte mich mit großem Abstand zu ihm.
>> Sie hat Angst… <<
>> Verständlich, sie ist gefährdet. <<

>> Sie hat Angst um dich und um mich. Um sich macht sie sich keine Sorgen oder nur wenig. Sie fühlt sich sicher da ihr der Polizeischutz draußen au Schritt und Tritt folgt. << Sprach Paul weiter.

>> Ach so. Ok. Und wie ist es mit Freddy? Wie kommt sie mit seinem Tod klar? <<

>> Sie vermisst ihn sehr. Aber sie ist noch sehr jung und kommt über solch einen Verlust besser weg, als du. <<

>> Und du? Wie geht es dir? Du siehst schlimm aus! <<
>> Danke, das Kompliment kann ich nur erwidern. Ich schlafe sehr unruhig. Bei dem leisesten Geräusch schrecke ich auf und schau nach ob Clara noch da ist. <<

>> Tut mir leid. <<

>> Was tut dir leid? <<

>> Na dass ihr so in Angst leben müsst. Ihr habt was Besseres verdient, als bedroht zu werden, nur weil ihr für mich arbeitet. <<

>> Das ist doch nicht deine Schuld! Außerdem arbeite ich nicht für dich. Ich arbeite für den Staat. Mir war klar, dass es ein riskanter Job sein wird. <<

>> Aber ich habe den Fehler gemacht und wegen meines Verbrechens werde ich erpresst. Die Erpresser ziehen euch mit rein, weil ihr mir nahe steht. Ihr seid unschuldig! Freddy war auch unschuldig und hat wegen mir sein Leben verloren. <<

>> Zora, du bist nicht an Freddys Tod schuld. Die Entführer haben in umgebracht, nicht du! <<
Mir liefen Tränen übers Gesicht. >> Aber ich hätte ihn nicht so nah an mich ran lassen sollen. Dann würde er jetzt noch leben. Dann hätten sie ihn nicht umgebracht, weil es dann kaum ein Verlust für mich gewesen wäre! <<
Paul kam zu mir und nahm mich in den Arm. >> Rede dir nicht so einen Mist ein! Freddy würde das nicht wollen. Außerdem macht es ihn auch nicht lebendiger. Du darfst um seinen Tod nicht zu sehr trauern. Das hätte er nicht gewollt. Wie hast du es in dein Tagebuch geschrieben? Man muss gefühlskalt gegenüber seinen Opfern aber auch gegenüber seiner Verluste sein. <<

>> Ja, damit man im Krieg nicht zu Grunde geht. Aber ich bin hier nicht im Krieg! Ich bin Zuhause! <<
>> Ich finde man kann es schon als einen Krieg bezeichnen. Nur dass er nicht so große Ausmaße hat, wie die in denen du zuvor warst. <<

>> Dann ist es aber ein unfairer Krieg! Wir können der anderen Seite nicht schaden! << Sprach ich in Pauls T-Shirt.

>> Wann ist Krieg fair? Außerdem können wir das. Sie wollen dich leiden sehen, dann darfst du halt nicht leiden. Wenn sie merken, dass dich Freddys Tod kaum berührt, hat ihr Plan fehlgeschlagen. <<

>> Aber ich leide unter Freddys Tod! << Ich verstand nicht vorauf Paul hinauswollte.
>> Du darfst es aber nicht nach außen zeigen. Du musst so weitermachen wie vor Freddys Tod! <<

>> Und du glaubst das funktioniert? <<
>> Ich denke es wird sie verärgern. <<
Ich schaute Paul an, ich war mir nicht sicher, ob er es wirklich glaubte. In seinem Gesicht konnte ich sehen, dass er es glauben wollte. Paul wischte mit einem Finger meine letzten Tränen weg. >> Komm, lass uns schlafen gehen. Es ist schon spät. << Ich schaute Paul entsetzt an, Ich wollte nicht wieder alleine in meinem Bett liegen! Ich kam mir vor wie ein kleines Kind, aber so fühlte ich mich auch. Ich wünschte, ich wäre ein kleines Kind. Dann wäre die Welt noch so schön einfach und unkompliziert.

>> Ich glaube, dass es uns in dieser Zeit nicht gut tut allein zu sein. Willst du heute Nacht bei mir schlafen? << Paul konnte Gedanken lesen. Ich nickte nur und zusammen legten wir uns auf den Boden. Die Couch war für zwei Personen zu klein, Paul passte alleine schon kaum drauf.

 

>> Paul, ich muss zur Schule! << Die Arme in die Hüfte gestemmt, stand Clara in der Wohnzimmertür.
>> Mhm was? << Verschlafen öffnete Paul ein Auge und schielte zur Uhr. >> Oh, Mist! 11 Uhr schon! Warum kommst du erst jetzt? <<
>> Es hat mich niemand geweckt! <<

>> Was ist los? << Von der Unruhe wurde auch ich wach.

>> Zora, du bist aus deinem Zimmer gekommen. << Clara lief zu mir und fiel mir um den Hals.
>> Hi Clara, müsstest du nicht eigentlich in der Schule sein? <<
>> Ja, aber Paul der Blödian hat lieber mit dir gekuschelt, als mich zu wecken und fertig

zu machen! <<
Ich lief rot an, musste Clara immer so direkt sein? >> Na ja, dann schreibt Paul dir halt eine Entschuldigung und du bleibst heute mal zu Hause. Jetzt lohnt es sich sowieso nicht mehr zur Schule zu gehen. <<

>> Da hat Zora Recht. << Immer noch total verpennt schlürfte Paul in die Küche und machte sich einen Kaffee.

>> Ich darf zu Hause bleiben? << Clara schaute mich glücklich an.

>> Ausnahmsweise, morgen geht es dann wieder in die Schule! << Mischte sich Paul aus der Küche ein.
>> Spielst du mit mir Playmobil Ritter? << Clara zog mich am Arm.
>> Jetzt lass Zora doch erstmal aufstehen. << Paul kam mit zwei Kaffeetassen wieder und reichte mir eine. >> Ich möchte mit ihr noch etwas besprechen. <<

>> Das ist nicht fair! Du hattest sie schon die ganze Nacht! << Motzte Clara rum.

>> Clara! << Paul sah sie tadelnd an.

>> Ist doch war! Gib doch zu, dass du es genossen hast, sie im arm zu haben! Ich hab doch gehört, wie du damals zu Freddy gesagt hast, wie sehr du sie magst und das du dich eventuell verknallt

hast. <<

>> Clara! Jetzt ist aber mal gut! Du gehst jetzt auf dein Zimmer und hörst auf, so einen Blödsinn zu erzählen. << Es war Paul sichtlich peinlich, was Clara da ausplauderte.

>> Ich sag nur die Wahrheit. << Clara zuckte mit den Schultern und ging ohne ein Wiederwort auf ihr Zimmer. Sie hatte sich genug an ihrem Bruder gerächt. Ich konnte nicht aufhören zu Grinsen. Clara konnte so unverschämt sein. Ihr Alter spielte da keine Rolle.

>> Sie spinnt! Keine Ahnung woher sie den Schrott hat! << Mit knallrotem Gesicht versuchte Paul sich raus zu reden.
>> Schon gut. Kleine Kinder kommen manchmal auf dumme Ideen. << Ich zwinkerte ihm zu. Die Nacht in seinem Arm hatte mir gutgetan. Ich fühlte mich gestärkt und er hatte Recht, ich befand mich in einem kleinen Krieg. Also musste ich mich auch so verhalten, auch wenn es mir schwerfiel. Allein beim Gedanken an Freddy spürte ich neue Tränen im Auge. >> Worüber wolltest du sprechen? << Lenkte ich mich ab.

>> Ach so. Ich habe mir in den letzten Tagen so meine Gedanken gemacht. Das ist jetzt kein schönes Thema, aber ich habe mir überlegt, was mit Clara geschieht, wenn mir etwas zustößt. Ich möchte nicht, dass sie in ein Heim muss. Ich möchte, dass sie in ihrer gewohnten Umgebung weiterleben kann. Sie soll einen Ansprechpartner haben, der ihr vertraut ist. Ich habe mich erkundigt, auch Minderjährige können adoptieren. Sie würden später nur das geteilte Sorgerecht haben, bis sie volljährig sind. Trotzdem ist es eine gute Lösung, denke ich. Ich wollte fragen, ob du nicht Clara als Schwester adoptieren willst. <<

>> Wie stellst du dir das vor? Du weißt doch, dass das Risiko besteht, dass ich wieder in den Krieg muss. Was soll dann mit Clara geschehen. Außerdem, ich eine autoritäre Person? Ich bin ihre Freundin, nicht ihre Mutter. <<

>> Ich will nur, dass sie jemanden hat, wenn ich mal nicht mehr bin. Jemand, der ihr bei ihren Problemen hilft und sie durch ihr Leben steuert. <<

>> Bin ich ihre Therapeutin? Melde sie doch gleich in einer Selbsthilfegruppe an. << Ich lachte.
>> Zora, bleib bitte ernst. Würdest du es tun? << Paul lief nervös vor mir auf und ab.

>> Wenn du dich dann wieder beruhigst. <<

>> Ja, danke. Du hast mir einen riesen Stein vom Herzen genommen. <<

>> Von dem Herz, das laut Clara nur für mich schlägt? << Mit einem Mal wurde Paul wieder knall rot.

 

>> Paul, da steht ein Mann vor der Tür. << Clara lunzte auf Zehenspitzen durch das Fischauge.
>> Wer? << Paul lief aufgeregt in den Flur.

>> Ich kenne ihn nicht. << Clara zuckte mit den Schultern. Paul zückte seine Pistole.
>> Was ist den los? << Ich sah nach, wer vor der Tür stand. >> Paul, steck die Knarre weg! Das ist Herr Froh. << Ich drückte auf den Türsummer.
>> Guten Tag, Herr Froh. Was verschafft uns die Ehre? <<

>> Guten Tag, Zora. Ich habe von dem schrecklichen Vorfall gehört und wollte nachsehen, wie es Ihnen geht. << Mir gefror mein Lächeln im Gesicht.

>> Gut, wie denn sonst. << Ich musste fast spucken, um die Worte herauszubekommen.

>> Natürlich. Wollen wir nicht einen Kaffee zusammen trinken. Ich hatte das Gefühl, Sie hätten ein paar Fragen. <<

>> Ja, da haben Sie Recht. Hier lang, bitte. Clara, du gehst spielen. << Ich führte Herrn Froh in unserer Wohnzimmer.

>> Es geht um meinen Vater. <<
>> Das dachte ich mir schon. <<

>> Ich muss zugeben, dass ich einen Umschlag mit allen Informationen über meine Eltern habe. Aber.. <<

>> Aber Sie trauen sich nicht ihn zu öffnen. <<

>> Ja, genau so ist es. Was wissen Sie über meinen Vater? <<

>> Ich habe ihren Vater als jungen Mann kennen gelernt. Er hatte sich bei der Armee angemeldet, ich war zu diesem Zeitpunkt Ausbilder. Ihr Vater war gut. Er war schnell, ausdauernd und stark. Ihr strategisches Geschick haben Sie von ihm. Wie das Schicksal es wollte, dauerte es nicht lange bis Ihr Vater ins Ausland musste. Fünf Jahre lang war er weg. Nach fünf Jahren stand er dann auf einmal vor meiner Tür. Er hatte großartige Neuigkeiten. Ihr Vater wollte heiraten und würde Vater werden, doch kurz vor der Hochzeit hat er einen Brief erhalten, in dem er gebeten wurde ein letztes Mal dem Staat zu dienen. Für deinen Vater gab es nichts Besseres, als dem Staat zu dienen. Er ließ seine schwangere Verlobte zurück. Zusammen waren wir drei Jahre im Krieg. Während eines Gefechts wurde Ihr Vater schwerverletzt. Ich verließ meine Stellung um ihn zu retten. Im Lazarett konnte man ihm helfen. Als es ihm halbwegs gut ging, wollte er zurück an die Front. Ich habe es ihm ausgeredet und ihn nachhause geschickt. Niemand weiß, ob er das zweite Mal an der Front überlebt hätte. Drei Jahre später kam auch ich zurück. Ich lud Ihren Vater zum Essen ein. Ihr kamt, Sie waren damals noch ein winziges Bündel, niemand hätte sich vorstellen können, dass sie später mal so großrauskommen. Ihr großer Bruder hat Sie die ganze Zeit beschützt. Er wollte Sie niemand zeigen. Die ganze Zeit hatte er Sie auf dem Arm. Es sah sehr süß aus, wie der sechsjährige seine Schwester liebte. An diesem Abend habe ich Ihren Vater zum letzten Mal lebend gesehen. Es war glatt und euer Auto ist von der Straße gerutscht, aber das wissen Sie ja sicher. An diesem Abend hat mir Ihr Vater noch dafür gedankt, dass ich ihn damals nachhause geschickt hatte. Er wollte keine Sekunde Ihres Lebens verpassen. Zora Zita Aura, Ihr Vater wollte immer, dass Sie in seine Fußstapfen drehten. Er wollte, dass auch Sie dem Staat dienen. Ich habe seinen Wunsch, so gut es ging, versucht zu erfüllen. Ich weiß, Sie hassen Ihr Leben, Sie hassen den Staat, aber vielleicht denken Sie jetzt anders über Ihr Schicksal. Ich habe versucht Sie, soweit es ging, zu beschützen. Ich habe dafür gesorgt, dass Sie nie länger als ein Jahr wegblieben und dass es Ihnen an nichts fehlt. Es tut mir leid, in welcher Situation Sie sich jetzt befinden. <<

>> Mein wirklicher Name ist Zora Zita Aura? <<
>> Ja, Zora ist Ihr Vorname, Zita Ihr Zweitname und Aura Ihr Nachname. <<

>> Ich dachte, die Erzieherin hatte mich nur immer so genannt, weil sie dieses Buch gelesen hatte. <<

>> Nein, dieses Buch gab es nie. Ich hatte ihr gesagt, dass sie Sie immer Zora rufen sollte. Ich wollte nicht, dass alles von Ihrem wahren Leben verloren ging. Die Geschichte, die sie Ihnen erzählt hatte, habe ich mir ausgedacht. Erschreckend, wie viele Parallelen sie doch mit Ihrem Leben hat. Wofür ich mich nur entschuldigen kann. <<

>> Was bringt mir Ihre Entschuldigung? Die macht die Toten auch nicht lebendig, sie verhindert die Qualen nicht und sie macht Geschehenes nicht rückgängig. Sie ist nur ein Symbol, dass mir nichts bring! Wissen Sie, was für Qualen ich erleide, welche Vorwürfe ich mir mache. Freddy ist gestorben und ich bin Schuld. Nein, Sie sind Schuld! Sie haben das alles eingefädelt! Mein Leben ist zerstört! Soll ich es Ihnen in einem Wort zusammenfassen? Feuer! Mein Leben ist ein einziges Feuer! Wissen Sie wie tief ich schon gefallen bin und immer wieder habe ich mich aufgerappelt und bin weitergelaufen, doch bei jedem Mal wurde das Aufrappeln schwerer! Warum tun Sie mir das an? Was bringt es Ihnen den Wunsch meines toten Vaters zu erfüllen. Mein Vater hätte bestimmt nicht gewollt, dass mein Leben so aussieht! Es gibt auch andere Wege dem Staat zu dienen. Die Armee ist nur einer davon! <<

Tränen brannten in meinen Augen. Ich war aufgestanden, ich wollte nicht weiter mit diesem Mann auf einer Couch sitzen.

>> Bitte, beruhigen Sie sich. <<

>> Nein, ich werde mich nicht beruhigen! Ich werde nicht leise sein! Viel zu oft habe ich schon geschwiegen! <<

Die Tür knallte ins Schloss und ich vergrub mein Gesicht in einem Kissen.

 

Es klopfte. >> Alles in Ordnung mit dir? << Paul kam rein. >> Hey, ich hab ihn rausgeworfen. <<

Ich antwortete nicht. In einer Hand hielt mir den Umschlag, in der anderen ein Feuerzeug.

>> Willst du ihn wirklich verbrennen? <<
Ich nickte nur.

>> Aber nicht hier drinnen. Gib ihn mir, ich werde ihn morgen verbrennen. Draußen. <<

Er nahm mir den Umschlag ab. >> Bist du dir ganz sicher? <<

>> Wenn es stimmt, was Herr Froh erzählt hat, dann will ich nichts mit meiner Familie zu tun haben. Ich will keinen Vater haben, der wollte, dass ich im Krieg verrecke. <<

>> Zora, so darfst du es nicht sehen. <<

>> Nichts Zora. Es ist so! Geh bitte. Ich möchte alleine sein. <<

>> Willst du dich vor allem in deinem Zimmer verkriechen? Sehen wir dich jetzt wieder erst in drei Tagen wieder? << Paul drehte meinen Stuhl um, so dass ich ihn ansehen musste.

>> Was interessiert es dich? Deine Arbeit erleichtert es doch sicherlich, wenn ich nur in meinem Zimmer bin. <<

>> Hör auf in Selbstmitleid zu ertrinken! Natürlich interessiert es mich! <<

>> Du hast doch keine Ahnung. Was sollte es dich interessieren? <<

Paul kniete sich vor mich. >> Zora, du musst mal aus deinem inneren Gefängnis ausbrechen. Du bist ein hübsches, intelligentes Mädchen. Ich mag dich und ich werde nicht mit ansehen, wie mein Muffelkopf sich gänzlich zurückzieht. <<

>> Dein Muffelkopf? << Ich zog die Augenbrauen hoch. Was ging denn jetzt mit Paul ab?

Paul sagte gar nichts mehr. Er zog mich einfach hoch in seine starke Arme und küsste mich. Es war toll. Lange standen wir so da, bis Clara ins Zimmer gestürmt kam und als sie uns sah, lachen musste.

Es war der beste Kuss meines Lebens.

 

 

 

Kapitel 5

 

Kapitel 5

Schmerzen. Was sind Schmerzen überhaupt? Sind sie gut? Sind sie schlecht?

Ich glaube, sie sind weder gut, noch schlecht. Schmerzen können verletzten, aber sie können auch helfen. Wie kann etwas Schlechtes auch gut sein? Oder etwas Gutes auch schlecht? Und ist es dann überhaupt noch gut oder schlecht?
Ich glaube diese Frage lässt sich nicht für jeden beantworten, dass muss jeder mit sich selbst klären.
Ich habe es für mich geklärt. Negativ plus positiv gleich negativ. Wie in der Mathematik. Aber das würde auch heißen, dass negativ mal negativ gleich positiv wäre. Aber wie kann doppeltes negativ auf einmal positiv sein?

Ich werde es erst erleben müssen, um es zu verstehen.

Was für mich ganz klar negativ ist, ist Schmerz. Nicht irgendein Schmerz, sondern den Schmerz, den ich jeden Tag und jede Nacht erleide.

Die Qualen von Schmerzen zerstören den Menschen. Sie zerreißen ihn jeden Tag ein Stück von innen nach außen. Sie fressen seine Seele und seine positiven Gefühle auf. Irgendwann bleibt nichts mehr übrig. Manche Menschen werden dieses miese Gefühl nie erleben. Die Glücklichen. Aber die anderen wissen, wovon ich rede, wenn ich sage, dass es die Menschen verändert. Ob dies positiv oder negativ ist, ist eine sehr subjektive Meinung und kommt auf die Stellung des Betrachters an.

Was der Mensch ohne Schmerz wäre, kann man nicht sagen. Wie kann man wirklich glücklich sein, wenn man nicht weiß, wie es ist zu leiden? Ich glaube eine Welt ohne Schmerz wäre nicht unbedingt besser. Das negative kann nicht komplett verbannt werden. Wo es Glück gibt, gibt es auch Pech. Wo es den gibt, der etwas geschenkt bekommt, gibt es auch den, dem etwas genommen wird. Wenn man jetzt den streicht, dem etwas genommen wurde, kann es die Person, die etwas geschenkt bekommt, nicht geben und damit kein Glücksgefühl.

Meine Schmerzen brennen wie Feuer. Jede Nacht wird das Feuer stärker. Immer derselbe Film spielt sich in meinem Kopf ab, doch nie sehe ich das Ende. Vielleicht ist es ein Happy End, vielleicht ist es aber auch keins. Der Film besteht aus Ereignissen der Vergangenheit. Es sind äußerst unschöne Erlebnisse. Werden sie mich den Rest meines Lebens heimsuchen?

Freddy, ich kann ihn nicht vergessen. Jede Nacht denke ich an ihn. Immer wieder sehe ich seinen reglosen Körper mit den trüben toten Augen vor mir. Wie er da in der Gasse lag. Brutal aufgeschlitzt in einer Lache aus Blut.

Niemand kann mich vor den Schmerzen schützen. Nichts und niemand, auch nicht Pauls starke Arme. Nicht seine Küsse und nicht seine Gefühle.
Der Schmerz verbindet uns, aber schützen können wir uns nicht. Wie soll man etwas abwehren, das schon tief in einem ist?

Seit Freddys Tod ist etwas Zeit vergangen und nichts mehr geschehen. Ich habe Geburtstag, wir haben vor endlich mal etwas zusammen zu unternehmen. Erst ins Kino und dann noch Essen gehen zur Feier. Heute sind nämlich auch endlich die Bestätigungspapiere für die Adoption von Clara gekommen. Wenn dies klappt und es die nächsten zwei Wochen noch ruhig bleibt, werde ich auch wieder in die Schule gehen.

Zum ersten Mal seit Jahren bin ich wieder halbwegs Glücklich. Wir sind jetzt eine Familie. Aber die Angst verfolgt uns. Wie lange wird es halten?

 

>> Zora! Alles Gute! << Clara reißt die Schlafzimmertür auf. >> Oh, du bist schon wach? <<

Beleidigt drehte sie sich zu Paul um. >> Warum hast du sie geweckt? Ich wollte ihr zuerst gratulieren! Du bist blöd! <<

>> Der frühe Vogel fängt den Wurm. << Paul schiebt Clara zur Seite.

>> Was? Was soll das heißen? <<

>> Denk drüber nach. Jetzt gibt’s Frühstück. << Paul legte mir eine Hand auf die Augen und führte mich aus dem Zimmer. Reflexartig spannte ich alle Muskeln an. Ich mochte es nicht, die Augen verdeckt zu haben.

>> Alles gut. Entspann dich, Schatz. << Flüsterte mir Paul in Ohr. Sofort entspannten sich meine Muskeln wieder.

>> Ta da! << Ein ziemlich verunglückter Schokokuchen mit sechzehn Kerzen und drei Geschenken stand auf dem Küchentisch.

>> Ah. << Ich wusste nicht was ich sagen sollt. Es war süß, dass die zwei versucht hatten einen Kuchen zu backen, aber das Resultat sah sehr beängstigend aus. Der Kuchen war leicht angebrannt und mehrfach gebrochen. Die Schokoglasur war ungleichmäßig verteilt.

>> Ich sag doch der Kuchen sieht blöd aus. << Clara schaute Paul böse an.

>> Paul, du kannst echt nicht backen. Überlass es das nächste Mal mir. << Ich drehte mich zu ihm um und küsste ihn. >> Aber trotzdem danke. <<

>> Bäh! << Clara armte Würge Laute nach. >> Zuerst mein Geschenk! << Sie reichte mir ein selbstverpacktes Geschenk. Es war eine kleine Leinwand, auf die sie uns gemalt hatte.

>> Darauf sind wir alle eine Familie. Schau wir umarmen uns alle. <<

>> Und was ist das? <<

>> Der Hund, den wir irgendwann mal haben werden. Und weißt du, wie er heißen wird? <<

>> Nein, wie? <<

>> Freddy. Weil ein Freddy fehlt in unserer Familie. <<

Mir schossen Tränen in die Augen. Ich war gerührt von Claras Worten. >> Da hast du recht. Ein Freddy fehlt uns. <<

>> Jetzt Pauls Geschenke. Er wollte mir nicht sagen, was es ist. <<

>> Es sind ja auch nicht deine Geschenke. << Paul nahm Clara das Päckchen ab und reichte es mir.

In Ihm war eine wunderschöne Silberkette mit einem kleinen Médion. In dem Médion war ein Spiegel.

>> Ein Spiegel? << Ich schaute Paul fragend an.

>> Pack erstmal das andere Geschenk aus. <<

Das andere Geschenk war ein Silberring mit einem Onyx-Stein. In dem Ring war eine Gravur. Für immer und ewig, Paul.

Ich schaute Paul an.
>> Falls ich mal nicht mehr bin. Der Ring soll dich daran erinnern, dass ich immer auf dich aufpassen werde. <<

>> Und der Spiegel? <<

>> Der Spiegel soll dir dann helfen, immer du selbst zu sein und dich nicht unterzukriegen. <<

>> Danke. <<

>> Du wirst es noch verstehen. << Er trat hinter mich und legte mir die Kette um. >> Egal was passiert, ich werde für immer bei dir sein. Du wirst nie alleine sein, das verspreche ich dir! << Flüsterte er mir leise ins Ohr. Bevor ich antworten konnte, schaltete sich Clara ein.

>> Wann gehen wir ins Kino? << Clara hüpfte aufgeregt im Wohnzimmer rum. >> Das Kuchenessen können wir bei dem Kuchen ruhig überspringen. <<

>> Nicht so frech, meine kleine! << Paul jagte Clara durch die Wohnung. Die beiden waren so süß miteinander. Während die zwei sich rauften, räumte ich etwas die Wohnung auf, damit wir dann bald gehen konnten.

 

>> In welchen Film gehen wir? << Clara zog aufgeregt an meiner Hand.

>> Wir wollten jetzt eigentlich dich in einen Kinderfilm schicken… <<

>> Ihr seid gemein! Ich dachte wir wollten zusammen ins Kino gehen! << Clara drehte sich beleidigt weg.

>> Clara-Schatz, das war ein Scherz natürlich gehen wir zusammen ins Kino. Du gehst jetzt und suchst dir einen Film aus. <<

>> Ihr seid blöd. << Clara musste anfangen zu lachen.

>> Was hab ich den jetzt schon wieder gemacht? << Paul zog ein unschuldiges Gesicht.

>> Schatz, du bist der große Bruder. Du bist aus Prinzip immer Schuld. <<

>> Das ist gemein, blöde Weiber! <<

>> Nicht weinen, Schatz. << Wir küssten uns. Angeekelt drehte Clara sich weg. >>Ihhh! <<

>> Können wir Barbie schauen? << Paul starrte sie entgeistert an.

>> Barbie? Wir wollten uns einen Familienfilm ansehen. <<

>> Barbie ist für die ganze Familie. <<
>> Wollen wir uns nicht einen Film aussuchen, von dem Zora und ich auch was haben? <<

>> Von mir aus. << Clara verdrehte genervt die Augen.
>> Wie wäre es mit den Bärenbrüdern in 3D? <<

>> Bärenbrüder? << Clara schaute mich fragend an.

>> Kennst du den Film nicht? <<
>> Nein. <<
>> Paul, wir müssen ein ernstes Gespräch führen. Warum zeigst du deiner kleinen Schwester keine guten Filme? <<

>> Ich kenne den Film auch nicht. <<
>> Was! Dann ist es beschlossen! Wir schauen uns Bärenbrüder an. <<

 

>> Der Film war toll! << Strahlend verließ Clara das Kino.

>> Du hättest nicht jedes Mal, wenn es dir zu spannend wurde, dein Popcorn auf mir verteilen müssen. << Mürrisch zupfte Paul das restliche Popcorn von seiner Hose.

>> Hör auf zu jammern, Bruderherz. <<

>> Nicht so frech, kleine! << Mahnend hob Paul den Zeigefinger.

>> Ich zeig dir mal frech! << Claras restliche Popcorn landete in Pauls schwarzen Haaren.

Paul schloss die Augen, atmete einmal tief durch und ballte die Fäuste. >> Niemand ruiniert meine Frisur! <<

>> Sieht besser aus als vorher, lenkt von deinen schwarzen Augen ab. <<

>> Hör auf, auf meinem Aussehen rumzuhacken! << Ich half Paul das Popcorn aus den Haaren zu zupfen. Zu seinem Pech hatte Clara gezuckertes Popcorn gehabt. Ich hielt mich aus dem Gezanke der beiden raus. In der Hinsicht waren sie beide kleine Kinder. Das Verhalten, das zu Claras Alter passte, war bei Paul sehr sonderbar, aber er war nun mal der große Bruder und welcher große Bruder stritt sich nicht mit seiner kleinen Schwester?

>> Ich hacke nicht auf deinen Aussehen rum. Aber ist dir mal aufgefallen, dass du genauso lange im Bad brauchst wie Zora und ihr beide geschminkt seid? <<

>> Was willst du damit sagen? <<

>> Gar nichts. War nur eine Anmerkung. <<

>> Wenn ihr eure Differenzen dann geklärt hättet, könnten wir ja mal langsam in Richtung Restaurant gehen. Ich hab nämlich hunger. <<

>> Bin ich dir zu stark geschminkt? <<

>> Nein Paul, du siehst toll aus. Könnten wir dann mal gehen. <<

>> Du würdest mir doch sagen, wenn mein Aussehen dir nicht gefällt oder? <<

>> Ja, ich würde es dir sagen. Zufrieden? Dann könnten wir ja jetzt endlich gehen. <<

>> Erst will ich einen Kuss. << Schmollend wie ein kleines Kind, mit vor der Brust verschränkten Armen, stand Paul da. >> Wir können erst gehen wenn ich meinen Kuss hab. <<

>> Paul, du bist so ein keines Kind! << Er bekam seinen Kuss.

>> Lasst uns zum Restaurant gehen. << Endlich! Paul nahm mich und Clara an je eine Hand.

>> Eingegrenzt von zwei Frauen. Ist das toll! <<

>> Paul, man kann echt nicht glauben, dass du zwanzig bist. Du benimmst dich wie zwölf! <<

>> Lass mich! Es ist nun mal der Traum jedes Mannes von zwei Chicas begleitet zu werden. <<

>> Paul, neben dir läuft deine kleine Schwester und nicht irgendeine Schlampe aus dem nächsten Puff! <<

>> Ja und? Sie ist trotzdem weiblich. <<

>> Paul! Weißt du wie sich das anhört? <<

>> Ach man! So ist es doch nicht gemeint! <<

>> So hat es sich aber angehört! <<

>> Ich sag einfach gar nichts mehr. << Er setzte seine Kopfhörer auf.

>> Wie hat es sich denn an gehört? << Neugierig schaltete sich Clara ein.

>> Dafür bist du noch zu klein! <<

>> Für alles bin ich zu klein! << Schmollend schaute Clara weg.

>> Sei froh so lange du noch so klein bist. <<

>> Wieso? Das ist doof man darf gar nichts! <<

Ich kniete, ich vor Clara. >> Aber man kann dich auch nicht so leicht verletzten oder dir schaden. Clara, du bist im besten Alter! Glaub mir! <<

>> Mhm ok. << Sie wirkte nicht wirklich überzeugt.

>> So jetzt sind wir alle glücklich und die Musik wird abgeschaltet. Jetzt gibt’s Essen! << Ich zog Paul die Kopfhörer weg.

>> Was ist? <<

>> Paul, ich weiß genau, dass du gelauscht hast. <<

>> Stimmt nicht! Ich hab Musik gehört! <<

>> Warum hat man dann nichts gehört? Wenn du Musik an hast, lässt du immer dein ganzes Umfeld mithören. <<

>> Ich… <<

>> Versuch nicht dich rauszureden! Es gibt Essen. <<

>> Ja Mama. Es ist echt schlimm. Sobald ihr Frauen sechzehn werdet, meint ihr die Männer rumschubsen zu können, wie es euch passt. <<

>> Du hast einen Vogel! <<

>> Ich lass mich von dir nicht so bedrängen! <<

>> Ich bedäng dich, weil ich sage, dass es Essen gibt? <<

>> Ich durfte mir eine Bestellung nicht aussuchen! <<

>> Ich habe das Büffet für uns bestellt. <<

>> Ach so. << Schon war Paul leise.

>> Spinner! <<

 

>> Ab ins Bett mit dir, Clara. <<

>> Bin aber noch gar nicht müde! << Clara gähnte.

>> Und ich bin der Weihnachtsmann! Ab ins Bett! Es war ein aufregender Tag heute. <<

>> Aber ihr beide bringt mich ins Bett! <<

>> Bist du nicht alt genug alleine ins Bett zu gehen? <<

>> Aber wir sind doch eine Familie! Und in einer Familie bringen die Eltern immer

die Kinder ins Bett. <<

>> Wo hast du das denn her? <<

>> Aus dem Fernseher. <<

>> Wir sind aber nicht deine Eltern. Ich bin dein großer Bruder und Zora ist meine Freundin. <<

>> Aber wir sind trotzdem eine Familie. >>

>> Ab ins Bett mit dir. <<

>> Och man. Kannst denn nicht wenigstens du mich ins Bett bringen? <<

>> Nein. Ich muss mit Zora reden. Morgen bring ich dich ins Bett versprochen. <<

>> Ja? Liest du mir dann auch was vor? <<

>> Vielleicht. Jetzt geh ins Bett. Du hast morgen Schule. <<

>> Gute Nacht. <<

>> Gute Nacht, meine Maus. << Paul küsste Clara auf die Stirn.

 

>> Was schaust du da? <<

>> Nachrichten. Ist Clara im Bett? <<

>> Ja, aber ich musste ihr versprechen, sie morgen ins Bett zu bringen. <<

>> Sie tanzt dir ganz schön auf der Nase rum. <<

>> Ich weiß. <<

>> Eine Eilmeldung. In der Republik Rhodum kam es wieder zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen der Armee des Staates, die zu Unterstützung der rhodumischen Armee geschickt wurde, und der Terrorgruppierung „die schwarze Armee“. Die Terroristen stürmten ein Lager der Armee und hinterließen ein Blutbad. Diese Bilder wurden uns übermittelt. <<

Der Fernseher zeigte eine Wand, an die mit Blut eine Drohung geschrieben war. Wir hatten euch gewarnt. Jetzt werdet ihr ausradiert.

Es folgten noch Bilder von Sanitätern, welche vergeblich versuchten noch Lebende zu finden. Gerade als die Nachrichtensprecherin weitersprechen wollte, klingelte mein Handy.

>> Hallo. <<

>> Zora? <<

>> Ja, wer ist da? <<

>> Mike. Wir waren zusammen in Rhodum. Ich bin Leutnant und mir ist die Einheit Nummer neunundzwanzig unterteilt. <<

>> Ach Mike. Sorry ich stand kurz auf dem Schlauch. Was gibt’s? <<

>> Hast du die Nachrichten gesehen? <<

>> Ja, eben grade. << Im Hintergrund bei Mike hörte man Schüsse.

>> Hier geht der Punk ab. Die metzeln alles ab, was sich ihnen in den Weg stellt. Es ist schlimmer als sie es in den Nachrichten berichten. Ich brauch deine Hilfe. Wir sind müde und verletzt. Ich weiß nicht, wo meine Einheit sicher ist. Oder besser gesagt, dass was von meiner Einheit noch übrig ist. Wir haben keinen Kontakt mehr zum Staat, sie verweigern jegliche Hilfe. Du hast mal was von einem unterirdischen System erzählt, das unter der Hauptstadt von Rhodum liegt. Wo war der Eingang? <<

>> Bei der alten Kapelle. Hinter dem Altar ist eine Falltür. Schafft ihr es bis dorthin? <<

>> Die Kapelle ist nur zwei Häuser weiter. Zora, sei froh, dass du nicht hier sein musst. Es ist die Hölle auf Erden. Ich danke dir, für deine Hilfe. <<

>> Das ist selbstverständlich! Ich werde mich auch mit denen im Quartier in Verbindung setzen. Mike, ihr müsst durch halten. Da unten findet ihr noch Dosenfutter, dass sollte noch gut sein, außerdem sind dort auch Verbandszeug und Schlafsäcke. <<

>> Danke Zora. <<

>> Melde dich, sobald ihr unten seid. << Ich hörte einen Knall und danach nur noch Stille. Die Verbindung war aber nicht abgebrochen.

>> Mike! Mike, was ist passiert. <<

>> Hallo? <<

>> Mike? <<

>> Nein, ich bin John. Mike wurde angeschossen. <<

>> Was ist mit ihm? <<

>> Er ist bewusstlos. Zora, so heißen Sie doch? <<

>> Ja, so heiße ich. <<

>> Mike hat etwas von unterirdischen Gängen erzählt. <<

>> Ja, ihr müsst zu der Kapelle. Hinter dem Altar befindet sich eine Falltür. <<

>> Ok, verstanden. Ich melde mich, sobald wir es hingeschafft haben. <<

>> Danke, nehmt ihr Mike bitte mit. Ich kenne die Regeln, aber ich möchte nicht, dass er auf der Gosse liegen bleibt. <<

>> Selbstverständlich nehmen wir ihn mit. Er hat schon so vieles für uns getan, da lassen wir ihn hier nicht liegen. <<

>> Ich danke dir. Bis gleich. <<

>> Bis gleich. <<

 

>> Wer war das? << Paul setzte sich neben mich auf die Couch und nahm mich in den Arm.

>> Ein alter Freund aus Kriegstagen. Er und seine Einheit befinden sich in Rhodum und es ist schlimmer, als sie in den Nachrichten berichten. Die schwarze Armee metzelt jedes Lebewesen nieder. <<

>> Warum hat er dich angerufen? <<

>> Der Staat verweigert jegliche Hilfe und sie brauchten einen sicheren Unterschlupf, wenn sie überleben wollen. <<

>> Du warst schon auf Rhodum? <<

>> Ja, das letzte Mal. <<

>> Glaubst du, die schwarze Armee kann eine Bedrohung für den Staat werden? <<

>> Das ist sie schon längst geworden. << Ich schaltete den Fernseher ab. >> Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie ihre Drohungen in die Tat umsetzen. <<

>> Glaubst du, der Staat ist darauf gut vorbereitet? <<

>> Ich bezweifel es, wenn die anderen Länder uns unterstützen, könnten wir es schaffen, aber alleine sind wir zu wenig Soldaten. Die schwarze Armee bezieht ihr Soldaten aus allen Ländern der Welt. <<

>> Ich möchte dich etwas fragen… << Das Klingeln meines Handys unterbrach Paul.
>> John? <<

>> Ja, ich wollte Ihnen sagen, dass wir es erfolgreich und ohne weitere Verluste unbemerkt in die Gänge geschafft haben. <<

>> Habt ihr auch die Vorräte gefunden? <<

>> Ja, wir haben alles, was wir brauchen. Eine Woche sollten wir damit überleben. <<

>> Ich werde sofort im Quartier anrufen und dort Druck machen. Ihr müsst keine Woche mehr warten, das verspreche ich euch. <<

>> Ich danke Ihnen, Oberleutnant Zora. <<

>> Nicht so förmlich Zora reicht. <<

>> Ich danke dir, Zora. <<

Sofort wählte ich die Nummer von Herrn Froh.

>> Guten Abend Herr Froh. <<

>> Guten Abend Zora, was verschafft mir die Ehre Ihres Anrufs? <<

>> Mir ist unfassbares zu Ohren gekommen. Sie verweigern jegliche Hilfe gegenüber der Einheit neunundzwanzig von Leutnant Mike? <<

>> Ja, es ist zu riskant sie aus dem Krisengebiet zu holen. <<

>> Ich sag Ihnen jetzt mal was, kein Material ist Wertvoller als das Leben eines Menschen. Ich stehe mit dieser Einheit in Kontakt. Wenn ich mit meiner Einheit dort im Krisengebiet wäre, würden Sie doch eine Rettungsmission losschicken. Dann stellen Sie sich vor, ich wäre dort. Ich gebe Ihnen drei Tage, dann möchte ich Mike und John und den Rest der Einheit im Quartier sehen. Ich möchte außerdem eine Versammlung mit allen Leutnanten meiner Abteilung halten. Die schwarze Armee wird eine zu große Bedrohung und die hohen Tiere scheinen nicht vor zuhaben, etwas gegen diese Bedrohung zu unternehmen. Wenn Sie jetzt fragen, weshalb Sie dies tun sollten, dann erinnere ich Sie, an Ihren Besuch bei mir. Sie können Vergangenes nicht rückgängig machen, aber Sie können verhindern, dass Sie noch mehr Leben ruinieren. Haben Sie mich verstanden? <<

>> Klar und deutlich. Ich werde morgen eine Rettungsmission losschicken. <<

>> Nein, nicht morgen. Sie werden jetzt eine Rettungsmission losschicken. Morgen könnte es schon zu spät sein. Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Wir sind im Krieg und im Krieg ist Zeit teuer, aber das brauche ich Ihnen ja eigentlich nicht sagen! <<

>> Gut, ich werde jetzt eine Rettungsmission losschicken. Ich bin sowieso noch im Quartier. Die Einladungen für die Versammlung gebe ich dann auch gleich in Auftrag. <<

>> Danke, mehr wollte ich doch gar nicht. Einen schönen Abend wünsche ich Ihnen noch. <<

>> Schönen Abend, Oberleutnant Zora. <<

Ich legte auf. >> Sorry, dass ich unsere Unterhaltung unterbrochen habe, das musste ich jetzt nur klären. <<

>> Nicht schlimm. <<

>> Wo waren wir stehen geblieben? <<

>> Ich wollte dich was fragen. << Erst jetzt fiel mir der Umschlag auf, den Paul in seinen Händen drehte.

>> Was ist das für ein Brief. <<

>> Der ist heute Morgen auch mit der Post gekommen. << Paul legte den Umschlag vor uns auf den Wohnzimmertisch. Auf dem Umschlag war ein Dolch Abgebildet, das Symbol der Armee des Staates.

>> Was will die Armee von dir? <<

>> Der Staat ist mein Vorgesetzter. << Paul zuckte mit den Schultern.

>> Das beantwortet nicht meine Frage. <<

Paul schaute weg. >> Ich hatte mich, als ich bei der Armee angefangen habe, als Interessent für den Beruf als Soldat eingeschrieben. <<

>> Ja und? Was wollen sie jetzt von dir? <<

>> Sie bieten mir eine Stelle als Zeitsoldaten an. Wie du schon gesagt hast, suchen sie dringendst Personal. <<

>> Wollen sie dich zwingen oder ist es ein Angebot? <<

>> Ein Angebot. <<

>> Dann kannst du es ja ablehnen. Was wolltest du mich da fragen? <<

>> Ich hatte mir überlegt, es nicht abzulehnen. Erst wollte ich es ablehnen, aber dann habe ich mir den Brief genauer durch gelesen. Ich würde besser verdienen als jetzt und ich würde was für deine und Claras Sicherheit tun können. <<

>> Das ist ein Witz oder? <<

>> Nein, ich habe es mir ernsthaft überlegt. <<

>> Ach und in der Zeit in der du im Krieg um dein Leben kämpfst sollen Clara und ich hier ganz in Ruhe unserem Alltagsleben nachgehen? << Ich konnte es nicht fassen, dass Paul es ernst meinte.

>> Wenn die schwarze Armee den Staat angreifen sollte, dann möchte ich helfen. <<

>> Dir ist schon klar, dass wenn die schwarze Armee angreifen sollte, auch ich wieder an die Front muss und dann sitzt Clara allein im Kinderheim! <<

>> Ich weiß, aber wenn ich in den Krieg gehen würde, müsstest du nicht in den Krieg gehen. Du hast Clara adoptiert und damit, wenn ich nicht da bin, das Sorgerecht. Ich habe mich heute erkundigt und Herr Froh meinte, dass du in diesem Falle vom Kriegsdienst befreit wärst. <<

>> Willst du jetzt den großen Helden spielen und dich opfern, damit ich nicht in den Krieg muss? <<

>> Nein, so meine ich es nicht. <<

>> Wie dann? Wie meinst du es dann, Paul? << Ich war von der Couch aufgestanden und stand wütend vor ihm. >> Wir sind gerade eine Familie geworden. Wenn du zur Armee gehst machst du alles kaputt. Außerdem wer sagt, dass Clara und ich hier sicher sind. Hast du die zwei kranken Rächer vergessen? <<

>> Wer sagt, dass sie noch auf der Lauer liegen? Seit drei Monaten hat es kein Zeichen mehr von ihnen gegeben. <<

>> So leicht werden die nicht aufgeben! Aber verpiss du dich nur in den Krieg. Weißt du was, wenn du dich schon umbringen willst, würde ich dir empfehlen von der nächsten Brücke zu springen, das ist schmerzloser, als im Krieg zu Grunde zugehen! <<

>> Du sagst immer, dass es Selbstmord ist in den Krieg zu gehen, aber du bist jedes Mal lebend wieder Heim gekehrt. <<

>> So oft wie ich schon vor der Schwelle zum Tod war, ist es nur eine Frage der Zeit bis ich sie endgültig überschreite. So etwas versteht man aber erst, wenn man es erlebt hat. Du kannst es mir glauben, wenn ich dir sage, dass der Krieg dich von innen nach außen auffrisst. <<

>> Wenn dein Leben wirklich so schlimm wäre, wie du immer sagst, warum bist du dann noch hier? Warum bist du nicht abgehauen? Über die Grenze in einen anderen Staat oder im Krieg vom Schlachtfeld abgehauen? So schlimm kann dein Leben gar nicht sein, sonst hättest du es schon längst beendet! << Inzwischen standen wir voreinander und schrien uns an.

>> Du hast doch keine Ahnung! Was würde es bringen abzuhauen? Wer sagt, dass die Nachbarstaaten mich nicht ausliefern? <<

>> Es gibt auch andere Wege abzuhauen! Warum hast du dein Leben nicht einfach beendet, wenn es die ganze Zeit so scheiße ist, wie du immer sagst? <<

>> Mein Leben ist nicht scheiße! Bis eben war es, für eine kurze Zeit, perfekt! <<

>> Ach, auf einmal! Das mit dem Krieg steht fest! Ich werde Soldat ob es dir passt oder nicht! <<

>> Wetten es stand von Anfang an fest, dass du Soldat wirst und du wolltest mich nicht fragen ob es geht sondern mir sagen, dass du gehst! <<

>> Ich schlage so zwei Fliegen mit einer Klappe! Euch geht es gut und mein Vater bekommt seinen Wunsch erfüllt! <<

>> Ach, jetzt wird mir einiges klar! Dir geht es gar nicht um Clara und mich. Dir geht es alleine wieder um den beschissenen Wunsch deines scheiß Vaters! << Paul schaute mich böse an.

>> Aber weißt du was, mir doch scheiß egal, was du machst! Hau doch ab! Ich lass dann schon Mal das Grab, neben dem deines Vaters ausheben. Was möchtest du den für einen Spruch drauf stehen haben? Vor Dummheit qualvoll verreckt? <<

>> Du bist so verdammt verbittert! Mit dir kann man nicht reden! <<

>> Musst du jetzt auch nicht mehr! << Wütend rannte ich aus der Wohnung. Im Flur kam mir eine ängstliche Clara entgegen. Sie musste den ganzen Streit mit angehört haben.

Draußen rannte ich blind durch die Straßen. Regen peitschte mir ins Gesicht. Ich wusste nicht, wo ich hin sollte. Nach einiger Zeit kam ich müde am Feld an und setzte mich auf einen Stein. Ich konnte nicht sagen ob Regen oder Tränen von meiner Nase tropfte. Ich war durchnässt und alleine. Im Feld peitschte der Wind und der Regen fiel fast waagrecht. Ich saß lange dort, unbewegt wie der Stein. Nach einiger Zeit riss der Himmel auf und der schwache Lichtschein des Mondes erhellte das Feld. Ich schaute mich um. Weit und breit keine Menschenseele zu sehen.

>> Na schau an, wer da so allein auf einem Stein sitzt. << Erschrocken fuhr ich herum.

>> Müsstest du nicht schon längst im Bett sein? Es ist halb elf, darfst du da überhaupt noch alleine draußen sein? Was wenn die Polizei dich aufsammelt? <<

>> Sie ist doch jetzt sechzehn. Da darf sie zwei Stunden länger draußen sein. <<

Wie zwei Aasgeier umkreisten mich die kranken Rächer.

>> George, was meinst du? Sie sieht irgendwie geknickt aus. <<

>> Du hast Recht, Daniel. Ärger mit deinem Bodyguard gehabt? Vor drei Monaten habt ihr doch noch so süß mit einander geschmust. <<

>> Ja, oder heute Mittag mit der kleinen Clara. Ihr wirkten so glücklich! << Während sie über mich spottenden, wurde ihr Kries um mich immer kleiner.

>> Sie sagt gar nichts. Hat unser wunderschöner Anblick ihr die Sprache verschlagen. <<

>> Anscheinend! Wo ist denn dein möchte gern Bodyguard geblieben? Ich dachte, er soll dich beschützen? <<

>> Wenn wir nachher mit ihr fertig sind, hat er nichts mehr, das er beschützen kann. <<

>> Hast du mitbekommen, was unsere Kumpanen in Rhodum angerichtet haben? <<

>> Das blüht auch dir! <<

Inzwischen standen die beiden vor mir. Dass sie ihren Spaß hatten, war nicht schwer zu erraten. Der zweite, George, zog mich am Arm hoch. >> Bist ein hübsches Ding. Eigentlich schade, dass wir dich umbringen, aber Strafe muss sein. << Er grinste mich an und ich spuckte ihm ins Gesicht.

>> An deiner Stelle wäre ich nicht so frech. << Er warf mich auf die schlammige Wiese. Der andere, Daniel, zückte ein Springermesser.

>> So wollen wir der Prinzessin, doch endgültig die Stimme rauben. << Daniel beugte sich über mich, als plötzlich in Knall ertönte und er nach vorne kippte. Schnell rollte ich mich noch zur Seite. Hinter Daniel stand Paul. >> Zora, komm hinter mich! << Er richtete sein Pistole auf George, dieser richtete seine Pistole auf mich.

>> Bleib stehen wo du bist, Paul Kneipp. Oder dein Spielzeug ist Geschichte! <<

>> Waffe runter! Ihr habt verloren. Die Polizei ist alarmiert! <<
>> Hör auf zu bluffen. Du wusstest bis eben nicht einmal, dass deine kleine Freundin in Gefahr ist. <<

Während die beiden sich stritten, kroch ich langsam zu Paul. George war so auf die Waffe in Pauls Hand fixiert, dass er nicht bemerkte, wie sich sein Druckmittel verabschiedete.

>> Dein Kumpane ist schon Tod und du wirst es auch bald sein! <<

>> Sagt wer? << George grinste als Daniel versuchte sich mit letzter Kraft aufzurichten. Unter ihm breitete sich eine große Blutlache aus. Die Tatsache, dass Daniel nicht Tod war, lenkte Paul für einen kleinen Moment ab. Dieser Augenblick reichte George. Er richtete seine Waffe auf Paul und drückte ab.
>> Paul, Achtung! << Ich wollte Paul noch warnen. Vergeblich! Sein lebloser Köper schlug auf dem Boden auf. In dem Moment packte mich blinde Wut. Ich hob Daniels Messer auf und rannte auf George zu, dieser hatte mir den Rücken gekehrt und genoss seinen Sieg über Paul.

Er drehte sich erst um, als ich mit gezücktem Messer vor ihm stand. Mit einem gelungenen Schlag verlor er seine Pistole. George war noch immer so überrascht, von meinem plötzlichen Angriff. Mit einem Hieb war seine Halsschlagader durchtrennt. Blut floss ihm aus Mund und Hals über meine Hand. Er versuchte noch etwas zu sagen, sackte dann aber in sich zusammen.

Ich drehte mich zu Daniel um. Er lag immer noch am Boden. An seinen starren Augen erkannte ich, dass er inzwischen verblutet war.

Mit einem Mal verschwand die Wut genauso schnell, wie sie gekommen war und ich fiel vor Paul auf die Knie.

Tränen flossen über mein Gesicht. Ich bettete seinen Kopf auf meinen Schoss und streichelte ihn durchs nasse schwarze Haar. Hinter seinem rechten Ohr entdeckte ich ein, mir unbekanntes, Tattoo. Wie Blumenranken wuchsen Claras und mein Name hinter seinem Ohr. Ich spürte einen kalten, tiefen, stechenden Schmerz in mir.

Ich merkte nicht, wie die Polizeiautos kamen und ich hörte den Kommissar nicht, der versuchte das Geschehene zu erfassen. Ich saß einfach da und streichelte Paul durch die Haare.
Erst als sie Pauls Leiche wegtragen wollten, kam wieder etwas Leben in mich. Ich hielt Paul fest und dann wusste ich nicht mehr, was geschehen war.

 

 

Kapitel 6

 

 

Kapitel 6

Tod. Was ist der Tod? Was geschieht mit einem? Wie ist das Leben nachdem Tod? Gibt es überhaupt ein Leben danach?

Vordem Tod habe ich am meisten Angst. Es gibt nichts vordem ich größer Angst habe, da es nichts Ungewisseres gibt als den Tod, das jeden Menschen mal erwischt. Ob es wohl schmerzhaft ist?

Wird man wiedergeboren? Oder geistert man als vereinsamte Seele durch die Welt? So viele unbeantwortete Fragen!

Eins weiß ich aber, die Hinterbliebenen leiden, wenn du ihnen viel bedeutet hast. Es fehlt ein Teil aus dem Leben und man fragt sich, wie es weiter gehen soll. Ich glaube, dass Leben nachdem Tod existiert nur für die Hinterbliebenen. Es sind die Geschichten und die Erinnerungen an den Verstorbenen, die weitererzählt werde. Das ist das Leben nachdem Tod. Wer wird wohl meine Lebensgeschichte erzählen? Wer wird sich an meine letzte Verabschiedung erinnern?

 

Paul. Seit fünf Tagen ist er nicht mehr da. Es ist alles meine Schuld! Ich war so verdammt egoistisch und habe nur an mich gedacht. Ich habe nicht daran gedacht, dass auch er Gefühle und Wünsche hat. Nur wegen mir ist er tot. Ich hätte nicht weglaufen dürfen! Ich habe Clara ihren Bruder genommen. Nie wieder werde ich ihr in die Augen sehen können. Ich werde Pauls Wunsch erfüllen und mich um sie kümmern. Ich werde es versuchen.

Ich kann diese Schuld nicht ertragen! Paul fehlt mir so sehr. Seine liebevolle chaotische Art. Niemand würd ihn je ersetzen können.

Sein Tod hat ein großes Loch geschlagen. Ich werde mich nie ganz von ihm verabschieden können. Es würd keine Beerdigung geben. Sie wollen es nicht.

 

>> Zora? << Clara suchte mich in der Wohnung. >> Zora! Ach, hier bist du. <<

Ich schaute verheult auf. Seit Pauls Tod hatte ich mich nicht umgezogen. Ich trug immer noch die verdreckten Klamotten aus dem Feld. Meine Augen waren von dem vielen Weinen rotumrandet und meine Haut fleckig. Die Beine an die Brust gezogen, saß ich auf meinem Bett, Vor mir lag ein zerknittertes Bild von Paul.

>> Zora. << Clara setzte sich neben mich und nahm das Bild. >> Das ist Paul. << Ihr kullerte eine Träne übers Gesicht. Ich nickte nur. Mit großen, traurigen Kulleraugen schaute Clara mich an. >> Er hätte nicht gewollt, dass du dich so gehen lässt. <<

>> Es ist meine Schuld. << Murmelte ich.

>> Was hast du gesagt? <<
>> Es ist meine verdammte Schuld, dass er gestorben ist! << Wiederholte ich es laut.

>> Es ist nicht deine Schuld! Paul, würde nicht wollen, dass du dir die Schuld gibst. Ihr habt euch gestritten, woher hättest du wissen können, dass sie dich im Feld aufgreifen? <<

>> Ich hätte nicht weglaufen dürfen! <<

>> Ansonsten hättet ihr euch doch Zuhause nur noch mehr gestritten! <<

>> Lieber mehr Streit, als Pauls Tod! <<

>> Er wusste, welches Risiko sein Job mit sich bringt! Zora, entweder der Tod oder der im Krieg! Was wäre dir lieber gewesen? <<

>> Dass Paul noch lebt! <<

>> Damit er dann in den Krieg geht? Du hättest seine Meinung nicht ändern können! <<

>> Im Krieg wäre ich nicht daran Schuld gewesen. <<

>> Du hast auch jetzt keine Schuld! Er hat sich nicht ausgerüstet. Er hätte sich schützen können! <<

>> Er hat sich nicht geschützt, weil er sich Sorgen um mich gemacht hat! Weil ich so töricht war und einfach abgehauen bin. <<

>> Hör auf alles so zu drehen, dass du daran Schuld hast! <<

>> Clara! Wegen mir ist dein großer Bruder tot und du tust so als hätte ich nur den Hausschlüssel verloren. <<

>> Zora, er ist nicht wegen dir tot! <<

>> Wieso bist du nicht sauer auf mich? <<

>> Warum sollte ich? Ich weiß, dass mein Bruder immer für dich gestorben wäre. Er wollte, wenn er musste, für dich sterben. Zora, Paul hat dich geliebt und er würde wirklich nicht wollen, dass du dir die Schuld gibst! <<

>> Wie kommst du so gut mit dem Tod deines großen Bruders klar? << Ich schaute Clara an. Sie kam mir nicht vor wie eine Siebenjährige. Wenn man nach ihren Worten urteilen würde, hätte ich sie für sehr viel älter gehalten.

>> Ich habe mich für darauf eingestellt. Ich durfte mir schon lange anhören, dass Paul zur Armee will. Ich wusste, dass es gefährlich ist bei der Armee und ich wusste, dass es sein könnte, dass Paul stirbt. Ich wusste auch, dass dieser Job sehr gefährlich ist und nach Freddys Tod habe ich mir gesagt, dass es auch Paul treffen kann. Oft habe ich geträumt, wie es ist ohne großen Bruder. Es war schlimm, aber mit der Zeit habe ich mich daran gewöhnt. Für mich ist es nicht schwer damit klar zu kommen. Paul war früher oft mehrere Tage lang nicht da und ich musste alleine klarkommen. Gerade ist es genauso, nur das Paul nie wiederkommt. << Wieder kullerte ihr eine Träne übers Gesicht. Ich schaute Clara an und schaute nicht in das Gesicht einer weitentwickelten Siebenjährigen, sondern in das Gesicht einer sehr jungen Frau. Wie konnte ein so junges Mädchen schon so erwachsen sein? Sie musste schon so viel durchmachen!

>> Ich müsste mich schämen. Du bist die Kleinere von uns und ich sitz hier und weine, während du schon weiterleben kannst. <<

>> Trauer ist in Ordnung! Ich weine auch um Paul, jeden Abend. Man darf die Trauer nur nicht gewinnen lassen! Jeder Mensch braucht mal einen Moment, in dem er trauern kann und nicht hochgearbeitet werden möchte, nur darf dieser Moment den Menschen nicht zerstören. <<

>> Woher hast du das? Das hast du dir doch nicht selbsterschlossen? <<
>> Nein, ich habe es in einem deiner Schulbücher gelesen. <<

>> In einem meiner Schulbücher? <<

>> Ja, in deinem Ethikbuch. Ich mag Ethik, es scheint ein interessantes Fach zu sein. Ich freue mich, es später auch zu haben. <<

>> Verstehst du überhaupt, um was es in den Texten geht? <<

>> Ich erschließe mir vieles. Aber es sind interessante Denkansätze, die sie einem geben. <<

>> Du bist sieben! Du solltest nicht meine Ethikbücher lesen und über die Texte nachdenken, sondern Pferdesendungen schauen oder so. <<

>> Das interessiert mich aber nicht, sie sind langweilig. Sprechende Pferde, wo gibt es die denn bitte? Die wahre Welt ist viel interessanter, da brauch man keine Fantasiewelt. <<

>> Manchmal ist es aber auch mal ganz schön, in einer Fantasiewelt zu sein. <<

>> Ja klar, am besten mit regenbogenfressenden rosa Einhörnern, die Schmetterlinge pupsen! <<

Clara zog eine Grimasse und wir beide mussten lachen.

>> Ja! Ich hab es geschafft! Du lachst! Siehst du das Leben kann weitergehen! Man muss sich in der ersten Zeit nur genug ablenken. <<

Tapfer lächelte ich Clara zu. Sie war ein sehr tapferes Mädchen und ich wollte nicht, dass sie ihren Mut verlor. Man merkte ihrem Blick sehr wohl an, wie sehr sie Paul vermisste. Egal wie erwachsen sie manchmal schon war, sie blieb tief drinnen ein kleines Mädchen.

>> Spielst du mit mir? << Clara stand auf. Sie musste sich in den Kopf gesetzt haben mich abzulenken.

>> Ja, mit der Ritterburg? <<

>> Ja! <<

Ich folgte Clara in die Richtung ihres Zimmers. Im Flur lag ein Stapel mit Post. >> Ich hab sie dir reingelegt, als ich aus der Schule kam. Ich wollte dir helfen, während du mit Pauls Tod kämpfst. << Sie war so süß mir kamen schon wieder die Tränen. Sie musste in ihr einen ganzschönen Kampf haben, nicht ihre Trauer zu zeigen und ich wusste, das tat sie nur um mich aufzubauen.

>> Du warst heute in der Schule? <<

>> Ja, gestern und vorgestern auch. Ich hab doch gesagt, man muss sich ablenken. <<

Ich ging den Poststapel durch. Das meiste war nur Werbung. Die drei untersten Briefe erweckten jedoch mein Interesse. Der eine war vom Staat. In ihm stand, dass mir das geteilte Sorgerecht für Clara überschrieben wurde, aber ich größere Entscheidungen wie Schulwechsel, Umzug…. Mit Frau Rau absprechen musste, da ich nicht volljährig war. Ich schmiss den Brief zu den der Werbung in den Müll.

In dem anderen Brief ging es um die Konferenz mit den Oberleutnanten. Herr Froh hatte ihn mir geschrieben und teilte mir auch mit, dass die Einheit erfolgreich und ohne weitere Verluste gerettet werden konnte und nun im Staat sei. Sie würden auch morgen zur Konferenz erscheinen.

Der dritte Brief war von Claras Schule und an Paul adressiert. Es war eine Vorladung von Claras Klassenlehrerin. Sie bat um ein Gespräch über Claras Versetzung in eine höhere Klassenstufe. Clara habe einen aktuellen Test dieser Jahrgangsstufe, in allen Fächern, mit Bestnote bestanden.

>> Warum hast du nichts von dem Test erzählt? <<

>> Ich wusste nicht, ob ich ihn bestanden hatte. Gehst du an Pauls Stelle zu dem Gespräch? <<

>> Das ist ja in einer Stunde! <<

>> Der Brief ist ja auch von vor drei Tagen. Ich hab meiner Klassenlehrerin zugesagt, dass

du kommst. <<

>> Schau mich an. So kann ich unmöglich zu deiner Klassenlehrerin gehen! Wie kommt das den an? Ich bin völlig verheult und verdreckt! <<

>> Sie weiß, dass Paul gestorben ist und du mein neuer Vormund. <<

>> Trotzdem kann ich da nicht so auftauchen! << Ich las den Brief fertig. >> Du sollst auch mitkommen. Ich glaube wir beide könnten ein Bad mal ganz gut vertragen. Meinst du nicht auch? <<
>> Ja! <<

>> Dann lass mal das Wasser einlaufen. <<

 

>> Guten Tag, Frau Kneipp. << Claras Klassenlehrerin streckte mir ihre Hand hin.

>> Aura, Mein Nachname ist Aura. <<

>> Oh Verzeihung, ich dachte, Sie wären mit Herrn Kneipp liiert gewesen. <<

>> Nein, ich war nur seine Lebensgefährtin. <<

>> Wie kommt es dann, dass Sie das Sorgerecht für Clara haben? <<

>> Ich habe Clara adoptiert. <<

>> Ach so, verstehe. Der Grund weshalb ich Sie, oder Herrn Kneipp hergebeten habe, ist wie Sie meinem Brief schon entnehmen konnten, Claras Wissensstand. <<

>> Ja, ich habe schon in Ihrem Brief gelesen, dass Clara Tests mit Bestnoten bestanden hat. <<

>> Ach Clara, du hast nichts Zuhause erzählt? <<

>> Nein, es sollte eine Überraschung werden. <<

>> Ach so, ich möchte Clara hochstufen. Sie ist sehr intelligent und mit dem Stoff in ihrem Jahrgang unterfordert. Sie langweilt sich im Unterricht nur. <<

>> Das Schuljahr ist bald zu Ende und dann wäre Clara doch sowieso im Drittenschuljahr. <<

>> Würde sie jetzt hochgestuft werden, wäre Clara nächstes Schuljahr aber in der vierten Klasse. <<

>> Das würde aber auch heißen, dass sie mit acht Jahren auf die weiterführende Schule kommen würde, meinen Sie nicht, dass es etwas sehr jung ist? <<

>> Ich denke, dass es nach Claras Entwicklungsstand kein Problem ist. Möchten Sie sich die Tests mal ansehen? <<

>> Ja, sehr gerne. << Claras Lehrerin reichte mir eine Mappe. In dieser Mappe befanden sich die Tests, die Clara mit ordentlichster Schreibschrift ausgefüllt hatte. Ich blätterte die Tests durch und war von Claras Intelligenz begeistert. Trotz ihrer geringen Schreiberfahrung hatte sie nur ein zwei Rechtschreibfehler, aber auch die Ausdrucksweise und ihre Wortwahl war beeindruckend.

>> Die Tests haben mich überzeugt. Ich müsste nur mal mit meiner Vorgesetzten telefonieren und mir das Ok holen, dass ich ihnen die Erlaubnis geben darf, Clara in eine höhere Klasse zu stecken. <<

>> Sie sind noch nicht volljährig? <<

>> Nein, ich bin sechzehn. <<

>> Dann sind sie selbst noch Schülerin? <<

>> Ja, aber ich bin zurzeit vom Unterricht entbunden. <<

>>Aha, welche Schule besuchen Sie? << Die Lehrerin zog die Augenbrauen hoch.

>> Das örtliche Gymnasium. <<

>> Welche Jahrgangsstufe? <<

>> Die neunte. Ich würde dann gerade telefonieren gehen. <<

>> Ja, gerne. <<

 

>> Dann verabschiede ich mich, Clara du bekommst morgen deine neuen Bücher. Einen schönen Tag Ihnen. <<

>>Ich wünsche Ihnen auch einen schönen Tage noch. << Ich nahm Clara an die Hand und zusammen verließen wir das Schulgebäude.
>> Gehen wir ein Eis essen? << Bittend blickte Clara mich an.

>> Aber nur weil es was zum feiern gibt. << Ich zwinkerte ihr zu. Clara drehte sich um. >> Es ist so ungewohnt auf dem Schulhof zu sein, ohne dass der Polizeischutz in meiner Nähe ist. <<

>> Den brauchst du jetzt nicht mehr. << Traurig schaute ich weg.

>> Stimmt es, dass die Männer tot sind? <<
>> Ja, die tun dir nichts mehr. <<

Clara nahm wieder meine Hand. >> Dann lass uns nach vorne sehen und ein Eis essen. <<

>> Auf geht’s, meine kleine. <<

 

>> Da bist du ja endlich! <<
>> Ich wusste nicht, dass ich mich beeilen sollte. Ich hab noch mit meinen Klassenkameraden gequatscht. <<

>> Nicht schlimm, wir haben noch etwas Zeit. Geh und zieh dir was Ordentliches an. <<

>> So wie du? << Clara musste anfangen zu lachen. Zum allerersten Mal trug ich meine Ausgehuniform der Armee.
>> Ja, so wie ich. Zieh dir ein schönes Kleid an. <<

>> Wozu? Wo gehen wir hin? <<

>> Ich habe eine wichtige Konferenz und du kommst mit. <<

Schnell lief Clara in ihr Zimmer und zog sich um. >> Kannst du mir zwei Zöpfe flechten? <<

>> Aber sicher. <<

>> Was ist das für ein schwarzes Band um deinen Ärmel? <<

>> Das zeigt, dass ich in Trauer bin. <<

>> Warum ist das schwarz? <<

>> Weil die Leute früher, wenn sie trauerten immer in schwarz umherliefen. Da die Männer aber immer schwarz gekleidet waren, banden sie sich ein schwarzes Tuch um den Arm. Die Armee hat den Brauch übernommen. Meine Uniform ist schwarz, wie du siehst, also brauch ich das Band um es zu zeigen. <<<

>> Brauch ich auch so ein schwarzes Band? Ich trauere doch auch um Paul. <<

>> Nein, Du gehörst noch nicht zur Armee, da brauchst du es nicht. <<

>> Noch nicht? <<

>> Ja, vielleicht gehst du später mal zur Armee. <<

>> Ach so. Werden wir abgeholt? <<

>> Ja, noch kann ich nicht Auto fahren. <<

>> Um was geht die Konferenz? << Clara zupfte an ihrem Matrosenkleid rum bis es richtig saß, während dessen band ich ihr rote Schleifen um die Zöpfe.

>> Über den Krieg. << Es klingelte. >> Komm, das ist unser Taxi. << Wir verließen die Wohnung.

>> Hallo Zora, ich bin John. Wir hatten telefoniert. <<

>> Stimmt, wie geht es dir? <<

>> Ganz gut, seid dem wir daraus sind. Ich möchte mich nochmal bei dir bedanken. Ohne dich wären wir in Rhodum verrottet. <<

>> Nicht der Rede wert. Alles was ich getan habe, war selbstverständlich! <<

>> Du trauerst? << John zeigte auf mein Tuch. Ich nickte nur.

>> Sie trauert um meinen Bruder. << Clara übernahm für mich das Reden.

>> Um deinen Bruder? Und wer bist du? << John hockte sich vor Clara. Mit seinen fast zwei Metern war er sonst zu groß, um sie anzusehen.

>> Na Clara, Pauls kleine Schwester. <<

>> Natürlich du bist Clara! Ist dein Bruder der tapfere Bodyguard gewesen? <<

>> Ja, er hat sich für Zora geopfert. <<

>> Ja, davon habe ich gehört. Er ist ein ziemlich großer Held! << Es sah sehr süß aus, wie John mit Clara sprach. Sie schien ihn zu mögen.

>> Ja, das war er schon immer! <<

>> Natürlich! Helden werden geboren, nicht gemacht! <<

>> Kanntest du meinen Bruder? <<

>> Nein, leider nicht. <<

>> Ich werde nie so großartig, wie er! <<

>> Das kannst du jetzt doch noch nicht sagen. Ich wette, du hast auch deine Stärken. Ich hab gehört, du hilfst uns heute bei der Konferenz. <<

>> Tu ich das wirklich? <<

>> Ja, wir können deine Hilfe gut gebrauchen. <<

>> Dann will ich euch gerne helfen! <<

>> Na dann los, steig ein. << John stand auf und öffnete Clara die Autotür, als sei sie eine Prinzessin.

>> Alles klar bei dir? << Ich schaute John verwundert an. >> Du weinst. <<

>> Scheiße! << Ich hatte gar nicht bemerkt, dass mir die Tränen übers Gesicht liefen. >> Mist, meine Schminke! << Schnell tupfte ich die Tränen, mit einem Taschentuch trocken.

>> Du hast ihn sehr geliebt. << John stand etwas unschlüssig vor mir.

>> Ja, wir drei waren eine Familie. << Wieder liefen Tränen über mein Gesicht.

>> Hey, alles wird wieder gut. << John wollte mich umarmen, doch ich drehte mich weg.

>> Ich hab es gleich. Gib mir zwei Minuten. <<

>> Ja, klar. Ich steig schon mal ein. <<

>> Ja, mach das. <<

Gekränkt stieg John ein. Er sah nicht schlecht aus, dass musste man ihm lassen. Er hatte braune kurze Haare und grüne Augen. Sein Gesicht war sehr markant. Aber er sah ganz anders aus als Paul und er war nicht Paul! Er war auch so nicht mein Typ. Ich wollte niemand anderen als Paul. Ich hatte das Gefühl nie wieder einen anderen lieben zu können, dieser Teil war mit Paul gestorben.

Schnell stieg ich ins Auto ein, ich wollte nicht, dass die anderen auf mich warten mussten.

 

>> Wir haben uns heute hier eingefunden, um die Lage in Rhodum zu besprechen. Ihr habt es doch sicher in den Nachrichten mit verfolgt. Die schwarze Armee wird eine immer größere Bedrohung für uns. Wir müssen uns etwas einfallen lassen. Die hohen Tiere da oben scheinen nichts unternehmen zu wollen. Wir haben heute auch Gäste. Leutnant Mike und der übriggebliebene Teil seiner Einheit. <<

>> Und ich? << Clara schaute mich entrüstet an. Die Leutnante lachten.

>> Dann haben wir noch Clara Kneipp. Sie ist die kleine Schwester von Paul. Ihr habt bestimmt von dem Vorfall gehört. Ich würde vorschlagen, dass Mike und seine Einheit erstmal berichtet, was in Rhodum geschehen ist. <<

>> Danke Zora. Ich wollte mich nochmal bedanken, dass du uns geholfen hast aus Rhodum zu entkommen. Am Anfang, so vor drei Wochen, war es in Rhodum noch recht friedlich. Hin und wieder gab es ein paar Schusswechsel zwischen uns und der schwarzen Armee. Unser Lager lag genau im Stadtzentrum der Hauptstadt und wir haben eigentlich nichts gemacht, außer Karten spielen und zu schlafen. Dann haben wir die Meldung bekommen, dass das erste Lager brutal überfallen wurde. Ich schickte drei Soldaten los um zuschauen ob die Kollegen Hilfe brauchen. Marie, Jake und Finn kamen nicht wieder. Die schwarze Armee hat sich ein Lager nachdem anderen vorgeknöpft und ausgerottet. Sie zogen einen immer engeren Kreis um unser Lager. Mehrfach hatte ich Hilfe vom Staat gefordert, doch die wurde uns verweigert. Drei Tage lang belagerten sie uns. Wir kamen an kein Essen und hatten nur noch wenig Wasser. Am dritten Tag, nachts, griffen sie an. Wir waren müde und für sie ein leichtes getötet zu werden. Das war kein ehrenwerter Kampf. Sie haben um sich geballert. Mit Handgranaten wurde das ganze Gebäude in die Luft gejagt. Ich konnte mit wenigen Leuten entkommen. Mir sind sieben Leute geblieben. Zum Glück gibt es in Rhodums Hauptstadt ein Kanalsystem, in dem wir uns verstecken konnten. Dort hatten andere Soldaten schon mal Dosenfutter, Schlafsäcke und Verbandsmaterial runtergebracht. Diesen Brief habe ich auf der Straße gefunden. Wir rotten euren Staat aus, als besehe er aus stinkenden Kanalratten! Sie haben etwas geplant und sie sind viele. Wir könnten gegen sie ankommen, aber nur wenn wir Verstärkung von unseren Nachbarstaaten bekommen. Alleine sind wir so gut wie tot. <<

>> Danke Mike, ich sehe es genauso wie du. Wenn wir uns einig sind, würde ich das nach oben weiterreichen. <<

Alle Leutnante nickten. Einer meldete sich zu Wort. >> Es ist uns allen bekannt, dass der Staat zu wenig Soldaten hat. Eine gute Freundin von mir ist Protokollantin bei den Konferenzen von denen. << Er zeigte nach oben. >> Sie hat mir erzählt, dass sie planen noch mehr Kinder zu rekrutieren. <<

Alle sahen betreten zu Boden, noch mehr Kindersoldaten würde heißen, noch mehr tote Kinder auf dem Schlachtfeld. >> Dagegen werden wir leider nichts unternehmen können. <<

>> Ich wollte es auch nur mitteilen, dass jeder Bescheid weiß, es gibt bald großen Zuwachs in den Einheiten. <<

>> Vermutlich. Danke für die Information. Hat sonst noch jemand etwas Neues oder Wichtiges mitzuteilen? <<

>> Ich lege nächstes Wochenende mit meiner Einheit ein Trainingswochenende ein. Wir müssen alle in Form sein. Niemand weiß, wann die schwarze Armee ihre Drohungen wahr macht. << Meldete sich ein Leutnant.

>> Das ist eine sehr gute Idee! Ich werde mich auch mit meiner Einheit in Verbindung setzen. Dann war es wiedermal eine kurze Konferenz. Ihren Zweck euch zu informieren, hat sie aber, denke ich, gut erfüllt. Dann sehen wir uns sicher bald wieder. <<

Alle Leutnante standen auf und verabschiedeten sich. Noch ging niemand. Es wurde noch etwas mit anderen geplaudert.
>> Na Mike, wie geht es dir. <<

>> Gut, ich dachte erst, es ist schrecklich nur noch ein Bein zu haben, aber jetzt erkenne ich erst das Geschenk. Ich möchte ungerne mit euch tauschen! Ihr tut mir leid! Dieser Krieg wird schlimmer als alle vorher, ich sag es dir, Zora. <<

>> Da hast du vermutlich recht. << Ich schaute mich um, alle Leutnante waren zwischen vierzehn und zwanzig Jahre alt. Wie viele würde ich nach diesem Krieg wiedersehen?

>> Mir ist zu Ohren gekommen, dass du vom Kriegsdienst entbunden wurdest. <<

>> Ja, ich muss mich um Clara kümmern. Aber wenn es hart auf hart kommt, werde ich auch wieder an die Front müssen, das garantiere ich dir. <<

>> Pauls kleine Schwester. << Mike nickte nur und schaute zu Clara, die mal wieder im Mittelpunkt stand und mit den Leutnanten quatschte.

>> Du kanntest Paul? << Ich schaute Mike fragend an.

>> Ja, er war lange Zeit mein Nachbar. Ich habe manchmal auf Clara aufgepasst, wenn er sie wieder tagelang allein gelassen hatte. <<

>> Er hat versucht Geld zu verdienen. <<

>> Oh, das sollte kein Vorwurf sein. Ich mochte Paul. Auch wenn ich nichts für seinen Styl und seine Musik übrig hatte. <<

>> Paul war nun mal Punk. <<

>> Du Zora, wenn du Hilfe brauchst, sag bescheid. Ich passe gerne auf Clara auf. <<

>> Du hast ihr erzählt, wie es ist im Krieg zu sein, das hat sie nicht in Büchern gelesen. <<

>> Nein, das hat sie nicht. Sie wollte wissen, woher ich meine Narben habe. <<

>> Das hatte sie mich auch gefragt, als ich ihr es erzählen wollte, kam Paul dazwischen. << Bei den Gedanken an unseren Streit stiegen mir wieder Tränen in die Augen.

>> Mike!!! << Glücklich kam Clara angerannt. >> Mike, du bist wieder da. <<

>> Na Clara, du bist großgeworden. Bist du nicht schon sieben Jahre alt? <<

>> Ja, hast du meine Briefe bekommen? <<

>> Ja, sie sind alle angekommen, leider konnte ich dir nicht antworten. <<

>> Nicht schlimm. Kommst du uns mal besuchen? <<

>> Ich habe es eben schon mit Zora geklärt, ich werde wieder auf dich aufpassen. <<

>> Ja, danke Zora. << Clara umarmte mich. <<

>> Mike, wo wohnst du zurzeit? <<

>> Im fünften Stockwerk eines Hochhauses, in einer Einzimmerwohnung. <<

>> Mit dem Rollstuhl? <<

>> Ich bekomme eine Prothese. <<

>> Trotzdem. Wir haben wieder ein Zimmer frei. Wenn du möchtest, kannst du gerne bei uns einziehen. <<

>> Danke, ich werde mir das Angebot überlegen. <<

>> Clara, gehst du mal bitte zu John und sagst ihm, wir würden gerne Heim. << Schnell sauste Clara davon.

>> Mike, ich hätte noch eine Bitte. Würdest du dich um Clara kümmern, wenn ich weg in den Krieg muss? <<

>> Natürlich. <<

>> Danke, du bist ein Schatz. Dann sehen wir uns demnächst. Ich ruf dich an. <<

>> Tschüss, Zora. Du bist großartig. Wie du das alles meisterst. <<

>> Danke, aber das würde ich nicht ohne Clara schaffen. Tschüss. <<

Ich verabschiedete mich noch von den anderen und ging dann zu John und Clara.

 

Kapitel 7

 

Kapitel 7

Die Gefahr wird größer und größer! Ich verfolge es in den Nachrichten. Es ist schrecklich! Rhodums Regierung ist gestürmt. Wir haben uns mit den Nachbarstaaten alliiert. Es sieht nach Krieg aus, aber noch ist es so furchtbar leise.

Mike ist meiner Meinung, die schwarze Armee hat ihr Ziel schon erreicht, die Welt ist zerstört und es ist noch nicht vorbei.

Ich bin froh, dass Clara nicht mitbekommt wie weit der Krieg ist. Sie hat mich schon gefragt, ob sie auch kämpfen muss, weil so wenig Soldaten da sein.

Mike kümmert sich rührend um sie, während ich draußen wieder anfange zu trainieren. Ich möchte auf alles vorbereitet sein. Am Wochenende hatte ich ein Trainingswochenende mit meiner Einheit. Wenn sie in den Krieg gerufen wird, gehe ich mit. Ich lasse sie nicht alleine, wir haben immer alles zusammendurchgestanden. Mike würd dann auf Clara aufpassen. Eigentlich möchte ich sie nicht alleine lassen, aber mitnehmen kann ich sie nicht.

Seit fünf Monaten war ich nicht mehr in der Schule, befreit bin ich nicht mehr. Ich brauche die Schule nicht, in der Zeit kann ich mich hocharbeiten. Es interessiert doch eh keinen ob ich hingehe oder nicht.

Von Paul sind mir nur noch der Ring, die Kette und die Erinnerungen geblieben. Ich habe ihn in meinem Herzen eingesperrt.

Manchmal besucht uns auch John, aber ich hab das Gefühl, er kommt nur, um mich wieder anzubaggern. Mike hat ihm mehrfach gesagt, er solle es lassen, aber John gibt einfach nicht auf!

 

Es klingelte. Clara war bei Mike, ich hatte sie noch nicht abgeholt.

>> Hallo? <<

>> Hallo, sind Sie Zora? <<

>> Ja, wieso? <<

>> Polizei, bitte öffnen Sie die Tür! << Ich drückte auf den Türsummer. Was wollten denn die Bullen jetzt von mir?

>> Guten Tag. <<

>> Tag. <<

>> Zora, Sie sind seit drei Wochen dem Unterricht ferngeblieben. <<

>> Um genau zu sein, bin ich seit fünf Monaten dem Unterricht ferngeblieben. <<

>> Sie ziehen sich jetzt um und packen Ihr Schulmaterial. Wir bringen Sie in die Schule. <<

>> Muss das sein? << Ich rollte genervt die Augen.

>> Ja! <<

Ich schlürfte in mein Zimmer und zog mich um. Hatte die blöde Schulleitung mich doch tatsächlich bei der Polizei verpetzt.

Im Polizeiauto wurde ich zur Schule gebracht. Der eine Polizist schleppte mich bis zum Klassenraum. Es gab keine Möglichkeit zu entkommen. Ich klopfte an die Tür.

>> Herein. << Ich öffnete die Tür. >> Guten Morgen Zora, schön das man dich auch wiedersieht. << Meine Klassenlehrerin lächelte mir zu. Der Polizist drehte sich um und ging. >> Wir lesen gerade die Lektüre, Der Junge aus London. << Ich schlürfte durch den Klassenraum und setzte mich ganzhinten auf einen Platz. >> Möchtest du nicht weiterlesen? Ich habe hier noch ein Buch für dich. Wir sind auf Seite 120. << Konnte sie meinem Gesichtsausdruck nicht entnehmen, dass es mich nicht interessierte? Genervt schlug ich die Seite auf und fing an vorzulesen.
>> Du hast sehr schön gelesen, danke << Für wie alt hielt die mich? Lesen ist echt keine Kunst! Den Rest der Stunde sagte ich nichts mehr und kritzelte auf meinem Block rum. Ich wusste, warum ich Schule für unnötig hielt.

 

>> Wo warst du die ganze Zeit? << Umringt von meinen neugierigen Klassenkameraden saß ich in der Pausenhalle und wollte eigentlich nur in Ruhe Musik hören.

>> Ich wüsste nicht, was es euch an ginge, wo ich die letzten fünf Monate war. <<

>> Wir sind deine Freunde! <<

>> Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir Freunde waren. Als ich vor fünf Monaten ging, war ich eine Außenseiterin! Ihr hattet mich verstoßen! << Ich stand auf. >> Und es war mir sehr Recht, da hatte ich nämlich meine Ruhe! << Ohne auf die Antwort der anderen zu reagieren, verließ ich die Pausenhalle und machte mich auf den Weg zu unserem Unterrichtsraum. Mein Handy vibrierte. Mike hatte mir ein Bild geschickt, auf dem Clara zusehen war. Glücklich turnte sie in einem Indoorspielplatz. Hol Clara heute Abend bei mir ab. Ich mach ihr einen schönen Tag. Gib du dir mal in der Schule Mühe ;).

Mike war großartig. Er wusste genau was zu machen war. Ein Blick auf unseren Stundenplan verriet mir, dass wir gleich eine Doppelstunde Mathe und nach der Pause Sport hatten. Ich wollte hier weg!

Mathe war die Hölle! Meine Klasse wurde immer noch von demselben Lehrer unterrichtet. Zu meinem Pech konnte er mich nicht leiden und ließ es mich gehörig spüren. Mehrfach stellte er mich an der Tafel bloß. Was hatte er erwartet? Dass ich nach fünf Monaten immer noch auf dem aktuellen Stand der Dinge war was Mathe betrifft? Ich konnte damals schon keine Mathematik und das würde sich nie ändern. Die Klasse hatte diese Stunde einiges zum Lachen und er verbot es ihnen nicht mal.

Für ihn war klar, dass ich die letzten fünf Monate doch nur geschwänzt habe.

Er hatte keine Ahnung was wirklich ablief und er wird es nie erfahren, ist vielleicht auch besser so.

Was interessierte mich meine Mathematiknote? Ich würde das Schuljahr sowieso nicht schaffen.

>> Setz dich Zora, das hat keinen Sinn! In den fünf Monaten, in denen du auf der faulen Haut lagst, hättest du dich wenigstens erkundigen können, was wir in dieser Zeit für Themen durchgenommen haben. Aber man kann bei dir sowieso nicht von Versetzung sprechen. <<

>> Wenn Sie meinen. << Ich zuckte mit den Schultern.

>> Setz dich und werde nicht frech! <<

>> Ich hab nichts gesagt. << Genervt setzte ich mich. Sollte der Alte sich doch für Professor Allwissend halten, war mir egal. Ich würde ihn bald nicht mehr ertragen müssen.

>> Vielleicht übernehme ich nächstes Jahr eine der neunten Klassen. Sei dir sicher Zora, dass es deine Klasse sein würd. <<

>> Wenn Sie mich so doll lieb haben, werde ich dass wohl würdigen müssen. Sie scheinen nicht ohne mich klarzukommen. << Das Klingeln der Pausenglocke rettete mich vor seinem Wutanfall.

Schnell stürmte ich aus dem Klassenraum.

 

>> Zora, warte. << Im Flur blieb ich stehen und drehte mich um.

>> Ja? <<

>> Wenn du in Mathe Hilfe brauchst, melde dich bei mir. Ich fand es nicht richtig wie er dich behandelt hat. Du hattest bestimmt einen Grund, solange nicht in die Schule zu kommen. <<

Zacharias, ein guter Freund von mir, lächelte mir freundlich zu. Er hatte zu meiner alten Clique gehört.

>> Danke Zack, aber ich bezweifel, dass es sich lohnt jetzt anzufangen alles aufzuarbeiten. <<

>> Stimmt. <<

>> Trotzdem Danke, Zack. << Ich wollte weitergehen, doch Zack hielt mich nochmal zurück.

>> Zora, wegen den anderen mach dir keine Sorgen, die sind nur neugierig. Du warst lange weg und willst den Grund nicht verraten. Sie hoffen, durch ihr Verhalten, den Grund zu erfahren. <<

>> Ich weiß, aber manchmal sollte man die Gründe einfach nicht wissen. << Ich lächelte ihm zu.

>> Wen haben wir denn da! Na Zecke, schmeißt du dich gleich wieder an unsere schöne Zora ran. Denk dran, sie ist immer noch mein Eigentum. <<

>> Luke, halt dein Maul und verpiss dich. Du hast überhaupt keine Besitzansprüche auf mich! <<

Luke war der Klassentyrann, die Mädchen, aus der Clique, vergötterten ihn und die Jungs folgten ihm. Luke ist mein Ex-freund und kommt nicht damit klar, dass ich ihn abserviert habe.

>> Sie ist noch genauso bissig wie früher! Pass auf, Zecke, dass sie dich nicht beißt. << Luke kam zu mir und wollte mir einen Arm um die Schulter legen. So führte er seine Schlampen durch die Schule. Ich drehte mich weg, hackte mich bei Zack unter und ging mit ihm zur Sporthalle. Die wütende Luke ließ ich einfach stehen, sollte er doch selbst mit seinem gekränkten Ego klarkommen.

>> Das würd er dir nicht verzeihen. Du hast ihn vor allen bloßgestellt. <<

Ich zuckte mit den Schultern. >> Ihr rennt immer noch sobald er ruft. <<

>> Du warst früher diejenige, die am schnellsten gerannt ist. <<

>> Ja, aber es war falsch. <<

Wir kamen an der Sporthalle an und trennten uns an den Umkleiden.

In Sport hatten wir nichts Besseres zu tun, als Fußball zu spielen. Ich war ein sehr sportlicher Mensch, aber Fußball war nicht wirklich meine Stärke. Ich war ein verdammter Ballmagnet.

Mein Team spielte gegen das von Luke, der mich durchgehend wütend ansah.

Sein Team versuchte mit allen Mitteln zu gewinnen. Sie foulten bei jeder Gelegenheit, ohne Rücksicht ob sie die anderen verletzten. Wenn jemand am Boden lag wurde er ausgelacht. Wie ich es hasste, dass sie auf den schwächeren rumhackten. Langsam baute sich in mir Wut auf.

>> Zora, Achtung! << Ich drehte mich um und bekam mit voller Wucht den Ball ins Gesicht. Rückwärts fiel ich auf den Boden. Unfähig wie eine Schildkröte, die auf ihrem Panzer lag, zappelte ich am Boden mit Armen und Beinen. Meine Augen tränten und meine Nase blutete.

>> Zora, alles klar? Geht es dir gut? << Zack kam angerannt um mir hoch zu helfen. >> Oh Gott, du blutest ja. << Er half mir auf die Beine. >> Warte ich hol dir ein Tuch. <<

>> Geht schon, Zack. Das hört gleich wiederauf. << Versuchte ich ihn zu beruhigen.

>> Na, bist du auf dein zartes Näschen gefallen? << Hämisch Grinsend stand Luke vor mir.

>> Das hast du mit Absicht gemacht! << Fauchte ich ihn an.

>> Möglich. << Er zuckte mit den Schultern. >> Vielleicht hast du dich ja jetzt wieder erinnert, wie es hier läuft. War echt ein lustiges Bild, das du abgegeben hast. << Er äffte meinen Versuch wieder auf die Beine zukommen, nach und lachte. >> Ich rate dir eins, leg dich nicht nochmal mit mir an! <<

>> Soll ich jetzt Angst haben? Ich könnte dich zu Brei schlagen! <<

>> Sie ist und bleibt ein elendiges Mannsweib! Und Leute, sie sieht auch unter ihren Kleidern wie eines aus. << Grinsend drehte Luke sich weg. Ich wischte mir mit meinem Jackenärmel das Blut aus dem Gesicht.
>> Holland ist gegen sie ein Hochland. Das was sie hat, ist nur gepusht. << Machte Luke sich weiter über mich lustig.

>> Lass dich von ihm nicht provozieren! << Mahnend legte mir Zack eine Hand auf den Arm.

>> Es hat sich ein Gerücht rumgesprochen, weshalb unsere Zora solange nicht da war. Sie wollte mit irgendeinem Punk durchbrennen, dieser hat sich dann aber erschossen. Würde ich auch tun, wenn ich mit ihr mein Leben verbringen müsste. << Wieder lachten alle. Diese Aussage brachte mein inneres Fass zum überlaufen. Wenn er sich über mich lustig machte, war das noch einigermaßen akzeptabel, aber bei Paul hörte der Spaß dann auf.

>> Aber Punks sollen sowieso einen an der Klatsche haben. Sie sind auch nur eine Unterkategorie, der ritzenden Emos. << Luke hatte mir den Rücken zugedreht. Ich ging mit geballten Fäusten einen Schritt auf ihn zu, schon spürte ich Zacks feste Griffe an meinen Armen.

>> Wetten er hat sie gar nicht geliebt und sie hatte da nur etwas falsch verstanden. Wahrscheinlich war der ärmste so verzweifelt, weil sie ihn gestalkt hatte, dass er keinen anderen Ausweg gesehen hatte als Suizid. << Ich riss mich von Zack los und stürmte auf Luke zu. Dieser wurde von seinen hirnlosen Hofnarren gewarnt und drehte sich um. Trotzdem landete ein präziser Schlag auf seiner Nase. Unter meinen Fingern spürte ich wie sein Nasenbein knackte und knirschte. Vom Schlag benommen taumelte Luke ein paar Schritte zurück. Ich war aber noch nicht fertig mit ihm.

>> Zeig doch mal, was für ein großer Held du wirklich bist! Du wirst dich doch von einem Mädchen besiegen lassen! << Adrenalin strömte durch meine Adern. Luke hatte sich wieder etwas gefangen und stürmte auf mich zu. Wie ein Wollknäul rollten wir uns auf dem Boden. Ich konnte irgendwann nicht mehr sagen ob ich oben oder unten lag. Im Hintergrund nahm ich die panischen Schreie meiner Klassenkameradinnen war und die Anfeuerungen für Luke. Wir droschen auf einander ein, als gäbe es kein Morgen mehr. Irgendwann wurde Luks wiederstand schwächer und er lag unter mir auf dem Boden. Fast bewusstlos versuchte er noch sein Gesicht vor meinen Schlägen zu schützen.

>> Zora! Luke! Hört sofort auf. << Wütend kam mein Sportlehrer in die Turnhalle gestürmt. Er war nur kurz weggewesen und schon fand er zwei Schüler prügelnd am Boden vor.

Er packte mich an den Schultern und versuchte mich von Luke zu zerren, auf den ich immer noch in blinder Wut einschlug. Erst als Zack und ein anderer Klassenkamerad ihm zur Hilfe kamen, hörte ich auf.
Luke lag zusammengekrümmt am Boden und wimmerte vor Schmerz.

>> Zack, ruf den Schulsanitätsdienst! << Mein Sportlehrer packte mich am Kragen und verfrachtete mich auf eine Bank, bevor er sich wieder Luke zuwandte. Ich fuhr mir mit einer Hand durchs Gesicht und merkte, dass ich blutete. Erst als ich auf schaute, bemerkte ich die teils ängstlichen, teils bösen Blicke meiner Mitschüler.

Zack kam mit den vier diensthabenden Schulsanitätern zurück. Diese rannten zu erst zu Luke, aber Zack kam gleich zu mir und reichte mir ein Taschentuch für das Blut, währenddessen befragte mein Sportlehrer die anderen, was vorgefallen war.

>> Die werden Luke in Schutz nehmen. << Zack schaute zu ihnen und dann wieder zu mir. Er hatte recht, schon an ihren Blicken konnte ich sehen, dass sie gegen mich Aussagen werden.

>> Sollen sie doch. <<

>> Du weißt, dass du dafür von der Schule fliegen kannst. <<

>> Ich brauch die Schule nicht. Ich brauch keinen Abschluss. << Ich zuckte mit den Schultern.

>> Wie willst du dann Arbeit finden? <<

>> Ich hab meine Arbeit schon. <<

>> Hä? Wie das? <<

>> Erklär ich dir wann anders. <<

Wütend kam unser Sportlehr auf mich zu gestapft. >> Du kommst mit zur Schulleitung! <<

>> Wieso? <<

>> Das wagst du noch zu fragen? Du hast einen Schüler krankenhausreif geschlagen, weil er dir den Ball ausversehen an den Kopf geschossen hat! <<

>> Das hat er mit voller Absicht gemacht! Außerdem hat er mich danach verspottet! Er hat mich provoziert! <<

>> Und warum erzählt das kein anderer? Du lügst doch! <<

>> Nein, wirklich nicht. Zack kann es bezeugen! Und alle anderen auch, die haben doch alle über seine dummen Sprüche gelacht! <<

>> Sie haben aber von dummen Sprüchen nichts erwähnt! Sie waren sich alle einig, das Luke dir ausversehen den Ball an den Kopf geschossen hat und du sofort auf 180 warst und ihn zusammengeschlagen hast! <<

>> Ich schlag keine Leute ohne Grund zusammen! So gut sollten sie mich kennen! Sie haben diese Klasse seit drei Jahren! Haben sie nie bemerkt, dass Luke alle tyrannisiert? <<

>> Du warst lange weg! Die Klasse hat sich verändert und scheinbar auch du dich! Nein, ich glaube nicht, dass ich dich noch so gut kenne! << Ich konnte es nicht fassen, dass er mir nicht glaubte! Ich war keine Schlägerbraut!

>> Sie hat aber recht! <<

>> Lass gut sein, Zacharias. Ich versteh ja, dass du deiner Freundin helfen willst, aber nicht auf diese Weise! Lügen helfen nicht! <<

Unsere Diskussion wurde von einem Schulsanitäter unterbrochen, der sich um meine Verletzungen kümmern wollte. Er schickte unseren Sportlehrer weg.

>> Lange nicht gesehen, Zora. Wusste nicht, dass du wieder an der Schule bist. Du hattest heute Dienst. << Jonas grinste mich schräg an. Er war aus der Oberstufe und ich hatte mich ganz gut mit ihm verstanden.

>> Ich bin erst seit heute wieder da und habe bezweifelt, dass ich noch auf dem Dienstplan stehe. <<

>> Ja, jetzt wohl nicht mehr. Hast dem ordentlich eine Geklatscht. Der Krankentransporter darf ihn gleich abholen. Du weißt, dass du dafür fliegen wirst? <<

>> Und wenn schon. Ah! Das tat weh. <<

>> Deine Nase ist nicht gebrochen, aber du hast eine schöne Platzwunde an der Lippe und das könnte ein Veilchen werden. <<

>> Na toll! << Ich verzog das Gesicht.

>> Tja, man sollte sich immer zweimal überlegen, ob man sich prügelt! <<

>> Kann ich jetzt gehen? <<

>> Du willst abhauen? << Jonas zog skeptisch die Augenbrauen hoch.

>> Ja, solange der dahinten abgelenkt ist. << Ich deutete mit dem Kopf auf unseren Sportlehrer.

>> Wird man sich nochmal sehen? <<

>> Vermutlich nicht. <<

>> Dann wünsche ich dir alles Gute. << Er umarmte mich.

>> Danke, ich dir auch. <<

Zack stand neben uns und schüttelte den Kopf. >> Abhauen bringt es nicht. Das macht es nur noch schlimmer! <<

>> Schlimmer geht wohl kaum, oder? <<

>> So nimmst du doch nur die Schuld auf dich! << Zack versperrte mir den Weg.

>> Was macht es für einen Unterschied? Ich flieg so oder so! Ich hab die Schlägerei angefangen und Luke muss deshalb ins Krankenhaus. Da macht es keinen Unterschied, ob ich jetzt abhaue oder hier bleibe. <<

>> Ich habe mich so gefreut, dass du wieder hier bist! <<

>> Es war eine sehr kurze Zeit. << Ich zuckte mit den Schultern.

>> Verschwindest du jetzt wieder vom Erdboden? <<

>> Wahrscheinlich… <<

>> Zora, denk nicht dran abzuhauen. Du kommst jetzt mit zum Direktor. << Unsanft packte mich unser Sportlehrer von hinten an der Schulter und bugsierte mich in Richtung Büro der Schulleitung.

Zack hatte es doch tatsächlich geschafft, mich davon anzuhalten, wegzulaufen.

Der Direktor erwartete mich schon.

>> Zora. << Er schüttelte den Kopf. >> Was war das für eine Aktion? <<

>> Wieso fragen Sie? Sie wissen doch, was ich laut der anderen, gemacht habe! Ich bin doch die Schlägerbraut, die ohne Grund auf unschuldige kleine Mitschüler eindrischt! <<

>> Nicht frech werden! Das ist in deiner Situation nicht zu empfehlen. Deine Schilderung der Ereignisse war, dass Luke dich provoziert hat. Ich traue es Luke durch aus zu. Er war schon öfter wegen Mobbing hier. Leider sagen alle gegen dich aus. Ich würde deine Schilderung gerne glauben, aber für mich sprechen Fakten und nach denen muss ich dich leider von der Schule suspendieren. <<

>> Ich habe nichts anderes erwartet. <<

>> Du hast Glück, Lukes Eltern verzichtet auf eine Anklage wegen Körperverletzungen. Sie glauben deiner Schilderung mehr, als der seiner Freunde. Ich werde trotzdem mit deinem Vormund telefonieren müssen. <<

>>Tun ruhig Sie Ihre Plicht. << Ich zuckte mit den Schultern. >> Kann ich dann nach Hause gehen? <<

Der Direktor nickte. >> Auf Wiedersehen, Zora. << Er reichte mir die Hand.

>> Auf Widersehen, Herr Direktor. <<

Damit verließ ich endgültig die Schule.

 

>> Wie siehst du denn aus? << Entsetzt schaute Mike mich an. Ich nahm die Sonnenbrille ab.

>> Hi Mike, ich freu mich auch dich zu sehen. Wie die Schule war? Scheiße! <<

>> Komm rein. << Mike führte mich in sein Wohnzimmer. Er konnte mit seiner Prothese erstaunlich gut gehen.

>> Wo ist Clara? << Ich ließ mich auf seine Couch fallen.

>> Sie ist Eis kaufen. << Mike setzte sich neben mich. >> Was ist passiert? <<

>> Ich bin von der Schule geflogen. <<

>> Am ersten Schultag? Wie hast du das geschafft? <<

>> Ich hab jemanden krankenhausreif geschlagen. << Fassungslos schaute Mike mich an. Ich starrte stur auf den Boden.

>> Das wird der Rau gar nicht gefallen. <<
>> Na und. << Ich zuckte mit den Schultern.
>> Das sollte dir nicht egal sein. Sie hat schließlich auch das Sorgerecht für Clara. <<

>> Was willst du mir damit sagen? << Ich schaute Mike ernst an.

>> Sie kann dich und Clara wie Marionetten führen. Ihr könnt euch nicht wehren. Denk darüber mal nach, bevor du dich wieder mit jemand prügelst. <<

>> Ich bin keine Marionette! <<

>> Für Frau Rau schon. Ich weiß, das passt dir nicht… << Es klopfte an der Tür. Mike stand auf und öffnete sie.

>> Guten Tag Mike, ist Zora bei Ihnen? << Ich erkannte Frau Raus emotionslose Stimme und mir lief es kalt den Rücken runter.

>> Wieso suchen Sie hier Zora? << Mike versperrte Frau Rau den Eintritt.

>> Ich vermute nur, dass Zora hier ist, um ihre kleine Schwester ins spe abzuholen. Ich habe sie auf der Straße getroffen. <<

>> Ich sollte mitkommen. << Hörte ich Clara mit piepsiger Stimme sagen.

>> Ist Zora jetzt da? << Frau Rau wurde ungeduldig.

>> Ja, ich bin da. Wie kann ich Ihnen helfen? << Ich stellte mich neben Mike.

>> Sie können sich denken, dass ich von Ihrer Aktion in der Schule erfahren habe. Als Folge daraus werde ich Ihnen das Sorgerecht für Clara entziehen und Ihre Wohnung auflösen. Sie kommen wieder in eine unserer Einrichtungen. Dort habe ich Sie mehr im Blick. Clara werde ich in einem Ausbildungslager unterbringen lassen. << Entsetzt schrie Clara auf und wollte zum mir rennen, doch Frau Rau hielt sie an den Schultern fest. Ich starrte Frau Rau nur böse an.

>> Finden Sie es nicht etwas übertrieben? Zora hat niemanden umgebracht. <<

>> Sie hat einen Jungen ohne Grund brutal zusammengeschlagen. <<

>> Er hatte sie provoziert! <<

>> Und wenn schon, wer allein in einer Wohnung wohnen und das Sorgerecht für ein anderes Kind haben möchte, sollte erwachsen genug sein, sich von so etwas nicht provozieren zu lassen. <<

>> Aber…<<

>> Versuchen Sie es erst gar nicht, Mike. Sie können meine Entscheidung nicht ändern. Clara darf sich jetzt von Zora verabschieden und Zora würd in einer halben Stunde abgeholt. Sorgen Sie bitte dafür, dass sie dann noch hier ist. << Damit ließ Frau Rau Clara los. Weinend fiel Clara mir in die Arme. Ich hob sie hoch.

>> Ich will nicht von dir weg. << Clara schluchzte.

>> Du wirst sehen, so schlimm ist das nicht. Du findest da bestimmt neue Freunde! Spätestens in zwei Jahren bist du wieder bei mir! <<

>> Zwei Jahre dauern zu lange. Ich will nicht in den Krieg! Ich will nicht weg von dir! Ich will zur Schule gehen! << Clara schluchzte in meine Jacke.
>> Manchmal sind Veränderungen besser, als sie wirken. Außerdem sagt niemand, dass du in den Krieg musst. Deine Ausbildung dauert mindestens vier Jahre. Bis dahin bist du wieder bei mir. Ich verspreche es dir! Keine Sorge, du wirst nicht alleine sein. Ich werde dir schreiben und dich besuchen kommen! <<

>> Versprechen Sie nichts, dass Sie nicht halten können. << Frau Rau riss mir Clara aus den Armen. >> Genug rumgeheult. Wird Zeit, dass du Manieren beigebracht bekommst. <<

Frau Rau zerrte Clara hinter sich aus der Wohnung.

Konnte man mich noch härter bestrafen? Die alte Hexe wusste genau wie man mich traf! Wie eingefroren stand ich im Flur. Ich konnte es nicht fassen, mit einem Schlag wurde mir alles genommen, was mir wichtig war!

>> Davon habe ich vorhin gesprochen. << Mike stand neben mir und legte mir einen Arm um die Schulter. >> Sie wird es schon schaffen. Ich weiß, wo sie hin kommt. Dort bin ich als Sanitäter eingeteilt. Ab Anfang des nächsten Monats. Ich werde ihr helfen es zu durchstehen. <<

>> Woher willst du wissen in welches Lager sie kommt? <<

>> Es ist das nächste von hier, außerdem hing Frau Rau ein Anmeldeformular von dem Camp aus der Tasche. <<

>> Ah. << Mehr brachte ich nicht raus. Mein Kopf war leer. Um mich drehte sich alles nur im Kreis. Plötzlich war ich nicht mehr in Mikes Wohnung, sondern auf dem Schlachtfeld. In dem einen Schützengraben waren wir, uns gegenüber die schwarze Armee. Sie waren viel mehr als wir! Es prasselten die Schüsse nieder. Um mich herum fielen Soldaten, getroffen und erlöst. Auf einmal war ich alleine. Um mich nur noch Leichen. Auf der anderen Seite unser schlimmster Feind und zwischen ihm und mir lief plötzlich ein kleines Mädchen. Sie rannte ihrem Hund hinter her. >> Freddy, bleib stehen! << Rief sie. Sie drehte sich zu mir um und ich erkannte Clara. >> Achtung, Clara! << Ich sprang aus dem Schützengraben. Ich musste Clara retten! Auf der anderen Seite legte ein Soldat sein Gewehr an und zielte. Ein Schuss fiel und Clara, die gerade glücklich in meine Richtung gerannt war, taumelte. Blut floss aus ihrem Mund. Es lief auf ihr weißes Kleid. Mit den Lippen formte sie letzte Worte, die ich nicht verstehen konnte, dann fiel ihr Körper zu Boden. Ich hob ihren Leichnam auf und drehte mich zur schwarzen Armee um. Der Todesschütze nahm seine Maske ab und Frau Raus Gesicht erschien. Sie lachte ein heißeres, hohes Lachen. Der Himmel teilte sich und ein Engel schwebte hinab. Er war ganz in schwarz gekleidet und tätowiert. Seine schwarzen Haare glänzten im Sonnenlicht. Es war Paul. Er schwebte zu mir und nahm Claras Leichnam aus meinem Arm. Traurig schüttelte er den Kopf. >> Du hattest mir versprochen, sie zu beschützen und ihr, dass sie nicht in den Krieg muss. Du hast deine Versprechen nicht halten können. Dir bleibt der Himmel verweigert. Du musst in der Hölle der Wiedergeburt schmoren. Ich bin enttäuscht von dir. << Er drehte sich um und brachte Claras Leichnam in den Himmel. Auf einmal war um mich Wasser. Nein, es war kein Wasser. Es war Blut, mein Blut. Mit einem hämischen Grinsen stand Luke vor mir und schnitt meine Halsschlagader durch. Ich wollte um Hilfe rufen, aber es kam kein Laut aus meinem Mund. Schmerzen erschütterten meinen Körper. Ich drohte zu ertrinken. Mein Blut war zu einem roten Fluss geworden mit einer starken Strömung. Ich versuchte vergeblich an der Oberfläche zu bleiben. Der Kampf kostete mich alle Kräfte. Ich hatte Angst, panische Angst. Ich ertrank.

Freddys Gesicht erschien im Wasser. Traurig schüttelte er den Kopf und auf einmal war ich wieder auf dem Schlachtfeld und wieder stand Luke vor mir, der meine Halsschlagader aufschnitt. Sollte sich dieser Kampf immer wiederholen? Wollte Paul mich auf Ewig damit quälen? Ich konnte schon jetzt nicht mehr.

Mike rüttelte mich wach. Ich lag auf seinem Flur Teppich und rang nach Luft.

>> Zora, geht es dir gut? Du bist auf einmal Ohnmächtig geworden und hast dann nur noch geschrien. Nach Paul, nach Clara und nach Freddy. Du hast mir eine ganzschöne Angst eingejagt. <<

>> Clara! << Ich war verwirrt. Es war alles nur ein Traum gewesen?

>> In fünf Minuten wirst du abgeholt. << Mike setzte sich neben mich. >> Möchtest du erzählen, was du geträumt hast? <<

Ich schüttelte schwach den Kopf.

>> Kann ich dir noch was Gutes tun, bevor du los musst? <<

Wieder schüttelte ich den Kopf. Ich wollte gar nichts mehr. Ich gab auf.

>> Gibst du dich jetzt einfach geschlagen? <<

Ich nickte. Ich konnte Mike nicht ansehen, es war unangenehm einräumen zu müssen, dass man aufgab.

>> Du lässt Frau Rau einfach gewinnen? Du kämpfst nicht gegen sie an? Wo ist die Zora, die sich von der Rau nichts sagen lassen hat, hin? Früher kam es für dich nie in Frage, ihr zu gehorchen und damit alles zu tun was indirekt der Staat wollte! Wo ist dein Kampfgeist hin? <<

>> Lass gut sein, Mike. Die alte Zora gibt es nicht mehr. <<

>> So willst du deiner Einheit gegenüber treten? Geschlagen und deprimiert willst du sie in den Krieg führen? <<

>> Mike, mir wurde alles genommen, das mir wichtig war! Was interessiert mich der Rest? Ich hab keine Kraft mehr! <<

>> Im Krieg wärst du jetzt ein toter Mensch! Dich interessieren deine Freunde nicht? Dir ist es egal, dass deine Einheit sterben kann? <<

>> Nein, natürlich sind mir meine Freunde nicht egal. Ich bin mir egal! <<

>> Warum gehst du dann nicht und springst von der nächsten Brücke? Soll ich dir sagen, warum du es nicht tust? Weil du an deinem Leben hängst. Du bist dir nämlich nicht egal. Dafür bist du viel zu selbstverliebt! <<

>> Mike…<<

>> Nichts da Mike! Ich will jetzt, dass du aufstehst und mir in die Augen siehst. Tanz Frau Rau weiter auf der Nase rum. Die würd es noch bereuen dir Clara weggenommen zu haben! Sprich mir nach, Sie wird es bereuen! <<

>> Sie wird es bereuen! <<

>> Lauter! <<

>> Sie wird es bereuen! <<

>> Noch lauter! <<

>> SIE WIRD ES BEREUEN! << Ich musste lachen, es war so idiotisch was Mike von mir verlangte.

>> Geht doch! So, und wenn du gleich ins Heim gehst, denk an meine Worte. Du willst doch noch in deinen Spiegel schauen können. Selbstmitleid steht dir nicht! <<

>> Danke Mike, sehen wir uns wieder? <<

>> Sicher! Ich schreibe dir Claras Erfolge. <<

>> Danke! << Wir umarmten uns, dann klingelte es und ich zog in meinen Krieg gegen Frau Rau. Die konnte was erleben! Mike hatte recht, ich durfte nicht aufgeben!

 

Kapitel 8

Kapitel 8

Ich hasse das Heim! Ich bin die Älteste unter lauter kleinen Kindern. Sie sind zwischen zwei Monaten und dreizehn Jahren alt. Zum Teil haben sie ihre Ausbildung hinter sich, zum Teil noch vor sich.

Es gibt eine Gruppe von Älteren, die schwer traumatisiert aus dem Krieg wiederkamen. Mit ihnen arbeiten Psychologen um das Trauma zu überwinden und sie bereit für ein neues Kriegsjahr zu machen. Sie sehen aus wie Leichen. Ihre Gesichter sind weiß und abgemagert. Dunkle Ringe liegen um die Augen. Ich habe noch keinen aus dieser Gruppe mit jemand anderen, als mit seinem Kuscheltier reden, hören. Sie sind wie Gespenster.

Dann gibt es hier noch eine Gruppe von verletzten Älteren. Sie haben im Krieg Arme oder Beine verloren und sind auf unsere Hilfe oder die der Pfleger angewiesen.

Die Jüngsten (bis vier Jahre) wohnen in einem eigenen Haus neben an. In meinem Haus leben die Älteren (ab acht Jahre) dazwischen gibt es kein Haus. Die Kinder in diesem Alter sind in Trainingscamp überall im Staat verteilt. Es hat sich einiges geändert. Sie wählen nicht mehr besonders robuste Kinder aus, sonder veranstalten eine Massenproduktion!

Ich fühle mich hier völlig deplatziert. Die Älteste, nach mir, ist gerade dreizehn geworden. Alle Waisenkinder in meinem Alter leben in Wohngemeinschaften oder in eigenen Wohnungen wenn sie nicht gerade im Krieg sein sollten.

Die jüngste Pflegerin hier im Heim ist achtzehn und damit nur zwei Jahre älter als ich. Sie kümmert sich um die Kinder bis vier Jahre und ich helfe ihr. Ich halte es in meinem Haus nicht aus. Die Schreie der Traumatisierten, der Anblick der Pflegebedürftigen und der anderen Kinder ist schrecklich. Sie alle haben grausame Dinge erlebt. Doch diese werden im Haus totgeschwiegen. Ich bin mir sicher, dass ein Teil der Kinder mit Beruhigungsmitteln betäubt wurde.

Ich will hieraus!

Meine Zimmergenossin ist zwölf und ein Emo. Sie hat einen echt coolen Styl. Ihre Zimmerseite ist schwarz gestrichen und überall hängen Poster von einer Punkrockband. Sie beschallt täglich das Zimmer mit Musik von verschiedenen Bands des Genres Metalchoir.
Ihre Haare hat sie sich schwarz gefärbt. Sie gehen bis zum Kinn und sind sehr fransig. Ein Pony verdeckt ihre rechte Gesichtshälfte. Ihre Lippen malt sie sich immer schwarz, genau wie ihre großen braunen Augen. Sie hat zwei
Snakebites und einen Nasenring. Ich mag sie. Sie ist eine leise Kameradin und gehört zu Mikes Einheit. Die meiste Zeit blättert sie in irgendwelchen Punkzeitschriften, oder malt sich Tattoos auf den Arm.

Gesprochen hat sie noch kein Wort. Ich kenne daher auch ihren Namen nicht. Das einzige was ich bis jetzt von ihr gehört habe, ist nachts ihr Weinen, wenn sie schläft.

Laut Mike geht es Clara nicht gut. Sie hat die ersten zwei Wochen auf der Krankenstation verbracht und nichts gegessen.

Inzwischen soll es ihr bessergehen. Ich mache mir trotzdem große Sorgen um sie!

Ich werde sie daraus holen und untertauchen. Heute Nacht haue ich ab! Ihr Lager ist eine Stunde Autofahrt von hier entfernt. Zusammen tauchen wir dann unter und fliehen in einen anderen Staat!

Ich hätte schon viel früher mit ihr abhauen sollen!

 

>> Nachtruhe! Alle auf eure Zimmer! << Die Erzieherinnen brüllten durch die Gänge des Wohnheims. >> In fünf Minuten ist Zimmerkontrolle! <<
Nachdem die Erzieher durch waren, kletterte ich wieder aus meinem Bett. Ich zog mir meine Soldatenuniform und meinen Militärparka an. Aus meinem Schrank nahm ich meinen Rucksack, den ich vorher schon gepackt hatte.

>> Was machst du da? << Erschrocken fuhr ich rum. Meine Zimmergenossin stand skeptisch hinter mir. >> Du willst abhauen? <<

>> Ja, ich muss hieraus und Clara holen. <<

>> Wer ist Clara. Ist sie deine Tochter? << Meine Zimmergenossin kramte in ihrem Schrank und holte ebenfalls einen gepackten Rucksack raus.

>> Nein, sie ist meine adoptierte Schwester. Man hat sie in ein Camp gesteckt. <<

>> Und dann? Wo willst du dann hin? << Sie zog wie ich ihre Soldatenuniform an und schnürte ihre Springerstiefel.

>> Weg aus dem Staat. Wohin genau weiß ich nicht. << Ich beobachtete sie.

>> Ich hab Freunde in einem Nachbarstaat, bei denen könnten wir bestimmt unterkommen. <<

>> Wir? << Ich zog fragend die Augenbrauen hoch.

>> Ich darf doch mitkommen oder? Ich halte es hier nicht mehr aus! <<

>> Klar, ich kann jede Hilfe gebrauchen! <<

Zusammen schlichen wir über den dunklen Flur zum Eingangsbereich. Es war kein Erzieher oder Pfleger zusehen. Vermutlich saßen sie im Wohnzimmer und schauten einen Film. An der Eingangstür mussten wir eine ernüchternde Feststellung machen. Abgeschlossen. Frustriert rüttelte ich an der Tür. Warum habe ich nicht daran gedacht? Mir hätte klar sein müssen, dass sie das Heim nachts absperrten.

>> Ich kenne ein Kellerfenster, das ist immer offen. << Meine Zimmerkameradin entflammte neue Hoffnung in mir. Sie führte mich in den Keller und tatsächlich war eines der Fenster offen. Es war großgenug, dass wir mit unseren Rucksäcken durch passten. Draußen rannten wir ganz schnell über das Grundstück. Mit vereinten Kräften überwanden wir den Zaun. Dahinter standen wir in einer dunklen Gosse, in der in einer Reihe lauter Autos parkten. Wie für mich gemacht!

>> Und jetzt? Wie wollen wir zu dem Lager kommen? << Meine Zimmergenossin sah mich fragend an.

>> Hast du schon mal ein Auto geknackt? <<

>> Nein, noch nie. <<

>> Dann zeig ich dir jetzt, wie es funktioniert. <<

Zusammen schafften wir es, dass Schloss eines alten Opel Corsa zu knacken. Ich setzte mich ans Steuer und schloss den Motor kurz.

>> Wie heißt du eigentlich? << Ich versuchte ein Gespräch mit meiner Zimmergenossin aufzubauen, wenn sie schon mitkam, wollte ich wenigstens wissen, mit wem ich es zu tun hatte.

>> Melanie, aber du kannst mich Meli nennen. Du heißt Zora, stimmts? <<

>> Ja, ich bin Zora. <<

>> Du hast unserer Einheit geholfen, aus Rhodum zu kommen. << Meli schaute leicht abwesend aus dem Fenster. Sie war wirklich keine gesprächige Gesellin.

>> Du bist bei Mike in der Einheit, stimmts? Ich habe das Abzeichen auf deiner Uniform gesehen. <<

>> Ja, Mike ist toll. Leider hat er sein Bein verloren. Jetzt wird John der Nichtsnutz die Einheit übernehmen. Er kann nichts anderes als Weiber anbaggern. << Sie schüttelte ihr schwarze Mähne und rollte mit den umrandeten Augen.

>> Das durfte ich auch schon erfahren. <<

Frech grinste sie mich an. >> Ich bin ihm anscheinend zu jung. Aber ist mir sowieso lieber. Er ist nicht gerade eine Schönheit! <<

>> Das ist nur eine Frage des Geschmacks, aber anscheinend haben wir in dieser Sache den gleichen. Schön ist er nicht. <<

>> Woher kennst du Clara? << Meli schnitt ein völlig anderes Thema an.

>> Sie ist die kleine Schwester meines verstorbenen Freundes. <<

>> Wie ist dein Freund gestorben? << Voll kommen ohne Taktgefühl quetschte Meli die Informationen aus mir heraus.

>> Er wurde erschossen. <<

>> Er war auch Soldat? << Dieses Thema schien Meli sehr zu interessieren. <<

>> Nein, er war mein Bodyguard und bevor du fragst, er wurde von zwei Rächern erschossen, die mich umbringen wollten, da ich im Krieg die Familie des einen erschossen habe. Ich hatte vorher Clara adoptiert und daher bis vorkurzem das geteilte Sorgerecht für sie. Dann hat Frau Rau es mir, wegen eines Fehlverhaltens meiner Seite, entzogen. Alle Fragen geklärt? <<

>> Was für ein Fehlverhalten? Und warum redest du so geschwollen? So spricht ja kein normaler Mensch! << Meli hatte kein Feingefühl bei Menschen und bemerkte nicht, dass ich das Thema so schnell wie möglich beenden wollte.

>> Ich habe einen ehemaligen Klassenkameraden krankenhausreif geschlagen, weil er mich provoziert hatte. <<

>> Du kannst auch normal reden! << Wie ein Weltwunder starrte Meli mich an. Zu der Geschichte, die sie erfragt hatte, sagte sie gar nichts mehr.

>> Erzähl doch zur Abwechslung mal was von dir! << Ich ignorierte ihre Bemerkung zu meinem Sprachstil. Sie hatte recht, normal spreche ich nicht so, nur bei Angehörigen der Armee habe ich mir diese geschwollene Sprache schon angewöhnt. Ich hasste es eigentlich so zu sprechen.

>> Kann ich Musik anmachen? Ich halte es nicht lange ohne aus. << Ohne auf meine Antwort zu warten, kramte sie in ihrem Rucksack und legte eine CD in den Spieler ein. Sie drehte die Musik auf volle Lautstärke und brach die Unterhaltung ab.

Ohne Probleme gelangten wir auf die Autobahn. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Ich rückte das Gaspedal etwas mehr durch. Je schneller wir bei Clara waren, desto schneller waren wir hier weg.

Nach einer halben Stunde Fahrt wurde ich langsam müde. Das Fahren strengte an und Melis Musik war so laut, dass ich Kopfschmerzen bekam. Als ich sie runter drehen wollte, entdeckte ich im Rückspiegel ein blauweißes Auto mit Blaulicht.

>> Scheiße! << Ich fluchte und ging vom Gas, um nicht aufzufallen. Schnell drehte ich die Musik runter und setzte meine Kapuze auf. Das Polizeiauto überholte uns und fuhr einfach weiter. Ich atmete aber erst zehn Minuten später auf, als der Name des Dorfes, das beim Camp lag, auf dem Ausfahrtsschild erschien. Ich war nur noch fünf Kilometer von Clara getrennt.

In der Ferne sahen wir weitere Blaulichter blinken. Auf der Anschlussstraße hatte es einen Auffahrunfall gegeben. Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienst arbeiteten auf Hochtouren. Die Feuerwehr zerschnitt die Autos, der Rettungsdienst versorgte die Verletzten und die Polizei leitete die Autofahrer um.

Langsam fuhren wir an der Unfallstelle entlang. Sie war über eine große Strecke verteilt. Überall lagen Scherben und Autoteile. Ein Wunder wenn diesen Unfall jemand überlebt hatte.

Die Polizei winkte ein Fahrzeug nach dem anderen weiter. Unbemerkt schafften wir es an dem ersten Polizisten vorbei. Am Ende winkte der zweite Polizist den Autofahrern freundlich lächelnd zu. Er wirkte noch recht jung. Als er in unser Auto sah verhärtete sich sein Gesichtsausdruck für einen kurzen Moment. Ich sah im in die Augen und mir lief es kalt den Rücken runter. Schnell fuhr ich weiter. Meli lachte neben mir triumphierend auf. Sie hatte den Gesichtsausdruck des Polizisten nicht bemerkt.
>> Das war ja einfach. << Grinsend drehte sie die Musik wieder auf. Ich nickte ihr nur freundlich zu.

Ich überlegte mir einen Plan, wie wir Clara aus dem Camp holen konnten. Ich kannte das Camp, da es auch mein Ausbildungslager gewesen war. Es wurde von einem hohen Stacheldrahtzaun um geben, an dem alle zwei Meter ein Flutlicht angebracht war. Der einzige Weg ins Innere war das Eingangstor. Dieses war aber mit einer Schranke verschlossen. In der Wachhütte saß garantiert ein Soldat. Vielleicht konnten wir an ihm vorbei, wenn ich einen Besuch vortäuschte. Vielleicht kannte ich den Soldat aber auch. Ich wusste, dass fünf Leute aus meiner Einheit in diesem Camp arbeiteten. Vielleicht hatte ja einer von ihnen Wachdienst.
Wir sollten aber nicht weitgenug kommen, um dies zu erfahren. Vor uns tat sich eine Polizeisperre auf. Vier Wagen versperrten blinkend die Straße. Vor ihnen lagen Nagelbretter und es hing ein Absperrband über der Fahrbahn. Langsam bremste ich ab. Vor uns standen fünf andere Autos, die von der Polizei kontrolliert wurden. Ich schaute mich um, ob es eine Wendemöglichkeit gab. Leider nicht, hinter uns standen schon zu viele Autos.

>> Was machen wir jetzt? << Panisch schaute Meli mich an. Ich musste nachdenken. Die Polizei war noch mit dem zweiten Auto beschäftigt.
>> Du nimmst jetzt deine Sachen und steigst aus. Du hast Essen und Trinken mit? <<

>> Ja, wieso? << Irritiert schaute Meli mich an.

>> Gut, nimm den Rucksack mit dem Zelt auch noch mit. Du wartest am Straßenrand was passiert. Wenn sie mich festnehmen, haust du ab. Vielleicht schaffst du es ja zu deinen Freunden. <<

>> Und was ist mit dir? Warum kommst du jetzt nicht einfach mit? <<

>> Weil ich hier nicht weg kann. Nicht solange Clara hier ist. <<

>> Wie soll ich es zu meinen Freunden schaffen? Soll ich laufen? <<

>> Ich hab dir gezeigt, wie man ein Auto klaut. <<

>> Aber ich kann doch nicht fahren! << Meli schaute mich entsetzt an. Ich beobachtete die Polizisten. Sie waren fast mit dem zweiten Auto fertig. Schnell wühlte ich in meinem Rucksack.

>> Hier in dem Adressbuch stehen die Nummern von Freunden von mir. Du kannst sie um Hilfe fragen. Sag ihnen einfach, dass ich dir das Buch zur Hilfe gegeben habe. Dann helfen sie dir auch ganz sicher. <<

>> Aber dann hast du die Nummern doch nicht mehr. <<

>> Du kannst mir das Buch wiedergeben, wenn Clara und ich nachkommen. Aber jetzt musst du wirklich aussteigen! Die Polizisten kommen immer näher. << Traurig sah Meli mich an.

>> Ich wünsche dir viel Glück, Zora. << Sie umarmte mich.

>> Ich wünsche dir auch viel Glück. Jetzt aber nichts wie weg. Wir sehen uns im Nachbarstaat garantiert wieder! <<

>> Versprochen? <<

>> Versprochen! << Wieder durchzog mich ein Schmerz, denn wieder hatte ich ein Versprechen gegeben, dass ich nicht halten konnte. Es wurde langsam zu einer schlechten Eigenschaft von mir. Ich sah wie Meli sich hinter einem Baum versteckte. Abwesend schweifte mein Blick ins das Grün des Waldes. Ich dachte an Clara. Wie weit ich zu ihr gekommen war. Gut, dass ich meine Flucht nicht bei ihr angekündigt hatte. Sie wäre enttäuscht und traurig gewesen. Ich sah ihr enttäuschtes Gesicht vor mir, wie sie mit den Tränen kämpfte. Wie oft konnte man einen Menschen enttäuschen bevor sich dessen Liebe zu einem in puren Hass verwandelte? Es wird keine unendliche Anzahl sein.

Ein Klopfen an der Scheibe holte mich zurück in die Realität, zurück in das gestohlene Auto.

Ich drehte mich zur Seite und der Polizist wies mich an, das Fenster runter zu fahren.

>> Fahrzeugpapiere und Führerschein bitte. << Ich biss in den sauren Apfel und redete erst gar nicht um den heißen Brei. >> Habe ich leider nicht. << Ich zuckte mit den Schultern.

Der Polizist zog die Augenbrauen hoch. >> Ich vermute mal, weil das Auto gestohlen ist? << Er zeigte auf die heraushängenden Kabel. >> Gute Arbeit. <<

>> Was wollen Sie jetzt hören? Eine Ausrede? Meine Fahrzeugpapiere und mein Führerschein sind in einen Gully gefallen. Außerdem ist mein Autoschlüssel gestohlen worden und ich wollte gerade eigentlich mitten in der Nacht zur Zulassungsstelle fahren und mir neue Fahrzeugpapiere holen? Wollen Sie so eine abstrakte, erlogene, unglaubwürdige Geschichte hören oder die Wahrheit? Ja, ich habe dieses Auto gestohlen. Ich bin ein ganz böser Mensch! <<

>> Du glaubst gar nicht, was für Geschichten ich mir schon anhören durfte. Es kommt selten vor, dass ich gleich die Wahrheit erfahre. Ich müsste dich jetzt bitten auszusteigen und mit mir zukommen. <<

Geschlagen folgte ich ihm zu einem der Polizeiautos. Es gelang mir einen letzten Blick auf Meli zu erhaschen, die deprimiert neben dem Baum stand und mir nachwinkte. Danach wurde ich in den Polizeibus verfrachtet. Der Polizist setzte sich hinten neben mich. Langsam wurde die Sperre aufgehoben, zwei weitere Polizisten stiegen vorne in das Auto ein und wir fuhren in Richtung Stadt. Ich konnte nicht hören, über was die Polizisten vorne redeten. Zwischen ihnen und mir war eine Wand mit einem kleinen verglasten Fenster. Niedergeschlagen starrte ich aus dem Fenster. An uns sausten die Bäume in Windeseile vorbei. Irgendwo da draußen waren Clara und Meli. Würde Meli es schaffen oder war es ein Fehler sie alleine loszuschicken? Sie hatte eine weite Strecke vor sich. Und ich habe sie alleine losgeschickt. Hoffentlich kam sie gut an. In meinem Kopf entwickelte sich ein Bild von einer Mädchenleiche, die man im Wald gefunden hatte. Es war Melis Leiche. Oh Gott, hoffentlich hatte ich keinen Fehler gemacht! Ich wollte ihr es nicht antun, dass sie die Strafen zu spüren bekommt. Ich wollte, dass sie sich ihren Wunsch erfüllen kann, aus diesem System zu entkommen und ein freies friedliches Leben zu führen.

>> Was hattest du vor? << Die Stimme des Beamten riss mich aus meinen Gedankenstrom.

>> Ich wollte abhauen. <<

>> Das ist mir schon klar gewesen, aber wovor wolltest du abhauen? <<

>> Vor meinem Leben. << Ich wollte mich nicht unterhalten.

>> Wie alt bist du? <<

>> Sechzehn. Wollen Sie meinen Personalausweis haben? <<

>> Nein, ich glaub dir. Ist das deine Uniform, die du an hast? <<

>> Ja, sehen Sie? Hier steht mein Name. <<

>> Da steht nur Zora, aber kein Nachname. <<

>> Ich habe keinen Nachnamen. << Mir wurde das Gespräch langsam zu blöd.

>> Jeder Mensch hat einen Nachnamen. <<
>> Nein, ich nicht. Wollen Sie immer noch nicht meinen Personalausweis sehen? Da steht, dass ich keinen Nachnamen habe! <<

>> Nein, ich glaube dir. Es ist nur sehr sonderbar. Ich dachte immer jeder Mensch habe einen Nachnamen. << Er schaute mich einen Moment lang nachdenklich an. >> Deiner Uniform nach bist du also bei der Armee und deine Abzeichen zeigen, dass du sogar Oberleutnant bist. Aber bist du dafür nicht noch viel zu jung? Wenn überhaupt müsstest du jetzt mit deiner Ausbildung erst angefangen haben! <<

>> Wenn Sie nur wüssten! << Ich seufzte. Es fing an zu regnen. Wie Tränen liefen die Tropfen an der Autoscheibe hinunter.

>> Was meinst du damit? Wenn ich was nur wüsste? << Harkte der Polizist nach.

>> Das darf ich ihnen nicht sagen. << Ich schaute aus dem Fenster den vorbeifliegenden Bäumen nach.

>> Warum nicht? <<

>> Weil ich es nicht darf! Ich kann und werde ihnen nichts sagen, außer dass der Staat nicht so brav ist, wie er vielleicht wirkt. << Der Polizist wollte etwas erwidern, aber ich schüttelte den Kopf. Erneutes Schweigen trat ein. Abwesend starrte ich aus dem Fenster und fing vor Langeweile an die Autoscheinwerfer zu zählen, die uns entgegen kamen. Die Stille fing an mich zu bedrücken. Es füllte sich an, als würde sich in mir ein unsichtbares Seil zu einem Knoten zusammenziehen.

>> Wo wolltest du hin? <<

Ich spürte, dass Tränen in meinen Augen brannten. Die Atmosphäre, war mir sehr unangenehm.

>> Wo wolltest du hin? <<

Ich drehte mich langsam zu dem Polizisten um und starrte ihn einen Augenblick abwesend an. Mir fiel auf, dass der Polizist noch recht jung war und erst einen blauen Stern auf seinen Abzeichen hatte. Seine Augen waren grün und er hatte sie leicht mit schwarzen Eyeliner umrandet. Er hatte sehr hohe Wangenknochen und einem drei Tage Bart. Außerdem hatte er schwarze kurze Haare mit und ein schrägem Pony, das ihm die ganze Zeit ins Gesicht fiel. Irgendwie machte er einen sehr bubenhaften Eindruck. Ich war von seinen Augen völlig gefangen. Sie waren leicht mandelförmig und einfach wunderschön. Hinten am Hals entdeckte ich ein Tattoo. Der junge Polizist räusperte sich und ich realisierte, dass die Frage mir galt.
>> Weg. << Flüsterte ich.

>> Wohin weg. <<

>> Zu Freunden ins Ausland. <<

>> Ach so. << Er notierte etwas auf einem Zettel, faltete und reichte ihn mir zusammen mit einem Stift.

>> Von wo kommst du? << Er deutete auf den Zettel und signalisierte mir, dass ich ihn lesen sollte.

>> Aus dem Kinderheim Happy Children. << Ich faltete den Zettel auf. Warum kannst du es mir nicht erzählen? Hat man es dir verboten?

>> Was ein scheußlicher Name für ein Kinderheim. Ich glaub, ich kann mir denken wieso du weg wolltest. <<

>> Das bezweifel ich. << Schnell kritzelte ich ein Ja auf den Zettel und gab ihm den Polizisten wieder.

>> Hat es etwas mit dem zu tun, dass du mir nicht sagen darfst? <<

Ich nickte nur. Er lass meine Antwort und schrieb noch etwas dazu. Unsere Zettelunterhaltung erinnerte mich an die Schule. In der Klasse sind immer hunderte Zettel auf Reise quer durch den Klassenraum gegangen.

Und was wenn ich es niemanden erzählen werde? Ich musste lächeln. Der junge Polizist war echt neugierig. Du würdest entsetzt sein und alles in Frage stellen, was du tun musst, wenn du mir überhaupt glaubst. Antwortete ich.

>> Wolltest du alleine abhauen? <<

>> Ja, wieso? << Hoffentlich hatte er Meli nicht bemerkt! Ich bekam den Zettel wieder.

>> Nur so. Meistens finden wir zwei oder mehr Kinder, die aus einem Heim abgehauen sind. <<

>> Ich finde alleine ist es unauffälliger. <<

>> Da hast du recht. <<

Was ist wenn ich jetzt schon alles in Frage stelle, was ich machen muss? Deiner Antwort nach hat es etwas mit dem Staat zu tun.

>> Dann hast du den falschen Beruf gewählt. <<

>> Ach, auf einmal kann die Madam doch darüber sprechen. << Er grinste mich an.

>> Nö, ich erzähle dir nicht weshalb ich abhauen wollte, aber du hast recht der Staat spielt eine große Rolle in der Geschichte. <<

>> Wieso kannst du es mir nicht gleich ganz erzählen? Du hast jetzt schon so viele kleine Details verraten. <<

>> Weil ich es nicht darf, aber vielleicht errätst du es ja an diesen kleinen Details. <<

Plötzlich öffnete sich das Fenster vor uns und der eine Polizist steckte seinen Kopf durch. >> Wo ist deine Freundin? << Er schaute mich böse an.

>> Welche Freundin? << Unschuldig warf ich einen Blick aus dem Fenster wir waren bald da.

>> Die Kollegen, die uns alarmiert haben, sprachen von zwei minderjährigen Mädchen. <<

>> Woher wollte ihr Kollege nach einem Blick wissen, dass ich minderjährig bin? <<

>> Also gibst du es zu, dass du nicht alleine warst? <<

>> Nein. <<

>> Woher weißt du denn, dass der Kollege ins Auto geschaut hat? <<

>> Weil ich, um zur Straßensperre zu kommen, an dem Unfall vorbei musste und ihr Kollege am Ende des Unfalls uns Autofahrern freundlich gewunken hat? <<

>> Wo ist deine Freundin? <<

>> Sag ich euch nicht. << Ich verschränkte trotzig die Arme vor der Brust, wie ein kleines Kind.

>> Also warst du nicht alleine! <<

>> Nö, war ich nicht. <<

>> Wo ist deine Freundin? Wir werden sie sowieso finden! Es macht keinen Unterschied, ob du jetzt schweigst oder nicht. <<

>> Wenn das so ist, werde ich nichts sagen. Dann könnt ihr länger verstecken spielen. << Der junge Polizist neben mir lachte leise.

>> Fräulein nicht so frech! <<

>> Das sollte ich zu ihnen sagen, werter Herr. Ich bin höher im Staat angesehen als Sie! Ein Oberleutnant ist was Besseres, als so ein schäbiger Straßenbulle! <<

>> Was bildest du dir eigentlich ein? Haben dir deine Eltern keine Manieren beigebracht? Und dann auch noch so zu lügen vor einer Staatsgewalt! <<

>> Doch ich wurde gut erzogen, das erste Jahr, danach konnten sie es schwer, vom Himmel aus. <<

>> Wie bitte? <<

>> Ihre Eltern sind gestorben, als sie ein Jahr alt war. Mensch, so schwer war das jetzt auch nicht zu verstehen! <<

>> Matze! So redest du nicht mit deinen Polizeidirektor! <<

>> Tschuldige! << Der junge Polizist zog den Kopf ein.

>> So jetzt zu dir! Ich weiß nicht, wie du auf die Idee gekommen bist, dass du Oberleutnant sein könntest, aber da muss ich dich enttäuschen. Da du eindeutig kein Oberleutnant bist, darf ich mit dir reden, wie ich es will! Und eins lass dir gesagt sein, ich werde mit deiner Zuständigen Jugendamtsarbeiterin sprechen und ihr sagen, dass du eine nette Bestraffung bekommen möchtest. Wegen Diebstahls, unerlaubten Fahren eines Kraftfahrzeuges und Beleidigung eines Beamten! << Der Polizist war vor Wut ganz rot im Gesicht.

>> Vielleicht werfen Sie erstmal hier einen Blick drauf und überlegen sich dann nochmal, ob Sie mich wirklich wegen Beamtenbeleidigung anschwärzen wollen. << Ich hielt ihm meinen Armeeausweis vor die Nase.

>> Das ist doch nicht möglich! << Er kniff die Augen zusammen und musterte den Ausweis genau.

>> Doch, Sie können ihn gerne überprüfen, der ist echt. << Das Polizeiauto hielt währenddessen auf dem Parkplatz vor der Wache.

>> Wie kann das sein? Du bist noch ein Kind! <<

>> Tja, dass fragt man sich! Ich möchte Sie bitten mich zu siezen. <<

Ich bekam keine Antwort mehr, aber meinen Ausweis. Mit einem fetten Grinsen auf dem Gesicht stieg ich aus dem Auto. Ich hatte meinen Spaß gehabt.

Der Stationsleiter stellte sich neben mich und wollte mich am Arm reinführen.

>> Ich kann auch gut alleine laufen. << Sofort lies er mich los und schaute mich an, als hätte ich ihn gebissen.

In der Polizeiwache wartete eine sehr wütende Frau Rau auf mich.

>> Ich möchte eine Vermisstenanzeige aufgeben. Uns sind zwei Mädchen aus dem Heim Happy Children abgehauen. <<

>> Oh nein! << Ich wollte wieder rückwärts durch die Tür gehen, doch der Polizeidirektor schubste mich nach vorne. >> Ich glaube, wir haben eines ihrer Mädchen gefunden. <<

Frau Rau drehte sich um und ich winkte ihr zaghaft zu.

>> Zora! << Wütend kam sie auf mich zugelaufen. >> Was sollte das? Hast du nicht schon genug angestellt? Jetzt erdreistest du dir auch noch abzuhauen? Was sollte das? <<

>> Zora hat ein Auto kurzgeschlossen und ist damit in Richtung Seesterdorf gefahren. Zwischen der Anschlussstraße und der Waldstraße muss sie das andere Mädchen raus gelassen haben. Meine Kollegen suchen das Gebiet großräumig ab. Keine Sorge, wir werden das zweite Mädchen auch bald finden. <<

>> Aha, du wolltest nach Seesterdorf. Jetzt weiß ich, woher der Wind weht. Du lässt Clara schön in Ruhe! Sie ist nicht mehr dein Schützling! <<

Ich kniff die Augen zusammen. >> Ich frage mich nur, wieso haben Sie mich nie lange festhalten können? Wieso bin ich Ihnen immer wieder abgehauen? Ach stimmt ja, weil es mich einen Dreck interessiert was Sie mir sagen! Sie können mir glauben, dass war nicht mein letzter Versuch Clara zu holen! <<

>> Ich weiß das zu verhindern! Du wartest hier bis ich die Formalitäten geklärt habe, dann bring ich dich zurück ins Heim. Du wirst ein abschließbares Einzelzimmer bekommen, da kannst du dir sicher sein! <<

>> Yey! << Ich hob mit gespielter Freude die Arme. Frau Rau wandte sich an den Polizeidirektor. >> Kann jemand in dieser Zeit auf das Mädchen aufpassen? Ich traue ihr alles zu, auch aus einer Polizeistation abzuhauen. <<

>> Danke, ich fülle mich geschmeichelt. << Ich verdrehte die Augen.

>> Ja, natürlich. Matthias wird auf sie aufpassen. Wir können die Formalitäten in meinem Büro klären, da ist es ruhiger. <<

Frau Rau drehte sich nochmals zu mir um. >> Denk nicht mal dran! <<

Zusammen mit dem Polizeidirektor verschwand sie in dessen Büro. Ich lies mich müde auf einen Stuhl fallen und Matze setzte sich neben mich.

>> Wer ist Clara? Oder darfst du mir das auch nicht sagen? <<

>> Warum so schnippisch? << Ich sah ihn müde an.

>> Du hast mich vorhin angelogen. <<

>> Natürlich, du bist ein Bulle. Warum sollte ich meine Freundin bei dir verpetzen? <<

>> Ich dachte, du vertraust mir wenigstens etwas. <<

>> Warum? Ich kenn dich seit einer Stunde. Woher soll ich wissen, ob ich dir vertrauen kann? Außerdem hättest du es deinen Kollegen erzählen müssen, dass ich doch nicht allein gewesen bin oder? <<

>> Ja, eigentlich schon. <<

>> Dann ist das Thema jetzt beendet, bevor du noch Ärger mit deinem Job bekommst. <<

>> Wer ist Clara denn jetzt? <<

>> Hat die Rau doch eben gesagt, mein Schützling. <<

>> Die Rau? <<

>> Die große grauhaarige Hexe, die mit deinem Chef in dessen Büro verschwunden ist, heißt mit Nachname Rau. <<

>> Passt ja. <<

>> Oh ja, das hier war für ihre Verhältnisse noch freundlich. <<

>> Sie ist deine Vorgesetzte, stimmts? <<

>> Ja, leider und dass schon seit fünfzehn Jahren. Ich würde mal vermuten, dass sie mich nicht sonderlich mag. <<

>> Es wirkte nicht so, nein. <<

>> Habt ihr Kaffee? Ich schlaf sonst gleich ein. <<

>> Warte ich hol dir eine Tasse… << Matze hielt in der Bewegung inne.

>> Was ist? << Ich schaute ihn fragend an.

>> Woher soll ich wissen, dass es kein Trick von dir ist und du dich in der Zeit, in der ich dir den Kaffee hole, aus dem Staub machst? <<

>> Ich dachte, du würdest mir wenigstens etwas vertrauen. <<

>> Warum sollte ich? Ich kenne dich erst seit einer Stunde. Woher soll ich wissen, dass ich dir vertrauen kann? <<

Wir mussten beide Lachen. >> Gut, dann halt keinen Kaffee, aber wenn ich einschlafe musst du mich wecken. <<

>> Warum? Schlaf ist gesund. <<

>> Albträume aber nicht. << Ich drehte mich von ihm weg. Auf einmal füllte ich mich richtig elendig. Es wirkte als würde von allen Seiten, meine Lügen und leeren Versprechungen auf mich eindrücken. Zusammen mit den Seelen, der Menschen, die ich auf dem Gewissen hatte. Tränen brannten in meinen Augen und liefen langsam über mein Gesicht.

>> Du hast ein ganz schönes Päckchen zu tragen. << Matze reichte mir ein Taschentuch.

Ich zuckte mit den Schultern und versuchte meine lässige Art wieder zu bekommen. >> Auch nicht mehr als andere Leute in meinem Alter. <<

>> Das glaube ich nicht. <<

>> Glauben heißt aber nicht wissen. <<

>> Du bist schon seit vielen Jahren bei der Armee oder? <<

Ich nickte.
>> Ich weiß, zwar noch nicht, wie das sein kann, aber ich werde es noch rausfinden. Du wolltest vor deinem Leben als Soldatin weglaufen oder? <<

>> Vor dem Leben als Soldatin, vor meinen Lügen und meinen Versprechungen, die ich nicht einhalten werden kann. Vor dem Krieg und meinen Verlusten. Kurz gesagt, ich laufe vor meinem ganzen Leben weg. <<

>> Aber wieso? Klar, du wirst viel Schlimmes erlebt haben, aber gabst es nichts Positives? <<

>> Das negative hat das bisschen positive in meinem Leben aufgefressen. Wie in der Mathematik. Negativ + positiv gleich negativ. <<

>> Das funktioniert aber nur, wenn die Anzahl an negativen Ereignissen größer ist, als die Anzahl positiver Ereignisse. <<

>> Das ist sie! Sie ist sehr viel größer. <<

>> Das glaub ich dir nicht. Damit redest du ja deine ganze Existenz schlecht. <<

>> Ich zähle es dir auf. Den Tod meiner Eltern und meines Bruders lasse ich mal raus, ich kann mich nicht mehr an sie erinnern. Also ich habe eine verdammt hohe Menge an Leben auf dem Gewissen, ich habe meinen besten Freund verloren und meinen Lebensgefährten, beides war meine Schuld. Dann habe ich wieder zwei Leute umgebracht. Ich habe einen Klassenkameraden krankenhausreif geschlagen und das Sorgerecht für die kleine Schwester meines Lebensgefährten verloren, weil ich mich nicht vorbildlich verhalten habe, dabei habe ich aber eigentlich meinem Freund versprochen gehabt, immer auf seine kleine Schwester aufzupassen. Jetzt habe ich ein Auto gestohlen und ein zwölf Jahre altes Mädchen in die Wildnis gejagt, in Hoffnung dass es einen Weg aus diesem System findet. <<

>> Du kannst mir nicht erzählen, dass dir der Autodiebstahl leid tut! <<

>> Gut, den kannst du aus der Aufzählung streichen, aber den Rest meine ich ernst! <<

>> Was kannst du dafür, wenn du in den Krieg geschickt wirst und Leute umbringst, um dein Leben zu schützen? <<

>> Ich hätte mich auch einfach umbringen können. <<

>> Wer sagt, dass die Soldaten dann weitergelebt hätten? Vielleicht hätte sie dann jemand anderes umgebracht? <<

>> Ich wäre es aber dann nicht gewesen! Außerdem waren es nicht nur feindliche Soldaten, sondern auch Familien und Soldaten aus meiner Einheit, die ich selbst durch falsches Handeln in den Tod geführt habe! <<

>> Ich finde dafür kannst du nichts. Für mich ist dieser Punkt von deiner schwarzen Liste gestrichen. Was ist mit deinem besten Freund passiert? Warum bist du an seinem Tod schuld? <<

>> Zwei Soldaten der Terrorgruppe gegen die wir kämpfen, wollten sich an mir rächen und haben ihn umgebracht. Mein Lebensgefährte ist auch von ihnen getötet worden. Er war mein Bodyguard. Wir hatten uns gestritten, ich bin abgehauen und er hat mich besorgt gesucht. Ich bin den Rächern in die Arme gelaufen. Er wollte mich retten und sie haben ihn umgebracht. Daraufhin habe ich sie umgebracht. <<

>> Aber dann kannst du für den Tod deines besten Freundes und für den deines Lebensgefährten auch nichts. Du hast sie nicht umgebracht. <<

>> Aber wegen meines Fehlverhaltens wurden sie getötet. <<

>> Wenn du das ganze so verdrehst, wirst du immer einen Weg finden, bei dem du daran Schuld bist. Und den Tod der beiden Mörder finde ich nicht schlimm. Sie haben Menschen umgebracht, die ihnen nichts getan hatten. <<

>> Dann würde ich es auch verdienen zu sterben. Ich habe auch Menschen umgebracht, die mir nichts getan haben. <<

Matze wollte etwas darauf erwidern, aber Frau Rau und sein Chef kamen aus dem Büro.

>> Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag. << Die beiden verabschiedeten sich von einander.
>> Zora, komm. Ich bring dich jetzt zurück. << Bevor ich zu Frau Rau gehen konnte, steckte mir Matze eine Visitenkarte zu.

Ich verabschiedete mich und trottete mit hängendem Kopf zu Frau Rau. Diese führte mich am Genick gepackt zur Tür, die plötzlich auf ging. Zwei Polizisten traten eilig ein. Schnell liefen sie zu dem Stationsleiter und flüsterten ihm aufgeregt etwas zu.

>> Sie haben das zweite Mädchen gefunden. << Er räusperte sich. >> Sie ist schwerverletzt. Als die Kollegen sie fanden, wollte sie fliehen, da sahen sie sich gezwungen das Mädchen anzuschießen. Der Schuss durchschoss die Hauptschlagader am Bein. Durch den großen Blutverlust ist sie bewusstlos geworden und liegt nun im Koma. Die Ärzte vermuten, dass sie bleibende Gehirnschäden davon tragen wird. Es tut mir sehr leid. <<

Ich starrte ihn entsetzt an. Der Stationsleiter musste Witze machen. Meli ging es bestimmt gut!

>> Das ist schrecklich. << Erwiderte Frau Rau mit ihrer emotionslosen Stimme darauf.

>> Die Ärzte werden sich sicher bald bei ihnen melden. Es tut mir leid, ihnen am Ende doch so eine entsetzliche Nachricht überbringen zu müssen. <<

>> Sie können dafür nichts. Die Schuld liegt bei jemand ganz anderem. << Frau rau schielte zu mir.

>> Danke, dass Sie mir wenigstens eins der Mädchen gesund wiedergebracht haben. Hoffentlich müssen Sie, Zora nicht allzuschnell wieder einsammeln. Einen schönen Tag ihnen. <<

Frau Rau schob mich zur Tür. Ich sah alles nur noch wie durch Nebelschwaden. Im Hintergrund bemerkte ich wie Matze traurig den Kopfschüttelte, ob er wohl dasselbe dachte wie Frau Rau? Sie hatte recht ich war an Melis Zustand schuld. Ich hätte sie nicht in den Wald schicken dürfen. Jede Bestrafung wäre angenehmer, als für immer ein Hilfsbedürftiger sein zu müssen.

Damit konnte ich einen neuen Eintrag auf meiner schwarzen Liste machen. Wie lang würde sie wohl noch werden? Zu Ende war sie leider noch nicht.
Den nächsten Tag habe ich komplett auf meinem neuen Einzelzimmer verbracht. Ich war nicht beim Frühstück, Mittag- oder Abendessen. Auch wenn zu dieser Zeit meine Tür aufgesperrt wurde. Ich hatte keinen Appetit. Die ganze Zeit lag ich weinend im Bett oder habe Melis Musik gehört, die ich mir aus unserem alten Zimmer mitgenommen habe. Wird sie die Musik jemals wieder hören können und wenn ja würd sie die Musik dann immer noch so lieben wie früher?

Ich glaube ich will die Antwort gar nicht wissen. Ich würde mir nur noch einen schweren Stein aufladen, den ich mit den hundert anderen mein Leben lang schleppen muss.

 

Kapitel 9

Kapitel 9

Jeder Mensch, den ich gemocht oder geliebt habe, ist von mir gegangen. Entweder sind sie gestorben oder verletzt worden, sowohl psychisch, als auch physisch. Anscheinend bin ich eine Gefahr für meine Mitmenschen. Es wirkt fast schon so, als würde ein Fluch auf mir liegen, der mich für all die Sünden, die ich begangen habe, bestrafen soll.

Wenn ich jetzt in den Spiegel schaue, sehe ich eine leere, kaputte körperliche Hülle, aus der jeglicher Lebensgeist entflohen ist. Ich bin abgemagert und sehnig. Meine langen Haare waren so kaputt, dass ich sie mir abgeschnitten habe. Jetzt sehe ich aus wie ein Junge, aber wen interessiert das schon?

Meine Augen liegen in tiefen schwarzen Höhlen und sind vom Weinen rot und verquollen.

Ich habe mein Zimmer seit drei Wochen nicht mehr verlassen. Das Essen bekomme ich gebracht, davon esse ich allerdings nur das nötigste. Obwohl meine Ausgangssperre aufgehoben wurde und ich mein Zimmer wieder verlassen darf, habe ich nicht das Bedürfnis dies zu tun. Eher im Gegenteil, ich möchte mich noch weiter verkriechen.

Gestern habe ich einen Zettel vor der Tür gefunden, auf dem Mörderin stand. Ich vermute, er ist von Melis Freundin gewesen.

Meli geht es besser. Sie ist aus dem Koma erwacht, aber die Ärzte hatten recht, sie hat schwere Schäden von dem hohen Blutverlust davon getragen. Durch die mangelnde Durchblutung sind Teile ihres Gehirns abgestorben. Sie hat ihr ganzes Gedächtnis verloren und weiß nicht mehr, wer sie ist. Ich Gedächtnis würd vermutlich nie wieder zurückkehren. Außerdem ist ihre Motorik sehr stark eingeschränkt. Sie kann ihre Arme und Hände nicht wirklich koordinieren. Laufen kann sie, aber mehr auch nicht. Das Sprechen bereitet ihr keine Probleme, aber es gibt nichts über das man sich mit ihr unterhalten kann.

Ich selbst habe sie noch nicht gesehen, aber ein Mädchen aus dem Heim hat es mir erzählt, als sie mir mein Essen brachte. Sie hat mir auch erzählt, dass Meli morgen zurück ins Heim kommt. Das werde ich nicht aushalten. Meine Hoffnung war immer noch, dass man Meli in ein anderes Heim stecken würde und ich nicht jeden Tag sehen muss, was ich einem jungen Menschen angetan habe.

Ich vermute Frau Rau steckt dahinter.

Ich werde von den anderen Heimbewohnern gemieden. Sie starren mich an als sei ich ein wildes Tier. Wenn ich auf die Gemeinschaftsduschen gehen will, verlassen sofort alle anderen den Raum, als hätte ich eine Seuche. Es ist verletzend so behandelt zu werden. Ich weiß den Grund nicht, weshalb sie mich ausstoßen. Woher einer Woche war ich noch die beliebteste Person im Heim gewesen und jetzt? Ich bin mal wieder ein Outsider.

Manchmal macht es mich richtig wütend, wenn ich die Blicke der anderen sehe. Sobald sie merken, dass ich wütend werde, weichen sie noch weiter zurück. Ängstlich starren sie dann in meine Richtung und trauen sich nicht auch nur einen Mucks zumachen.

Gestern wurde ich von jemand angespuckt, so weit geht der Hass von ihnen. Ich will hier nur noch raus.

 

I ruled the world with these hands,
I shook the heavens to the ground.
I laid the gods to rest.
I held the key to the kingdom lions,
Guarding castle walls.
Hail the king of death.
Then I lost it all, dead and broken.
My, back's against the wall.
Cut me open.
I'm just trying to breathe, just trying to figure it out.
Because I built these walls to watch them crumbling down.
I said, then I lost it all.
Who can save me now?
I stood above, another war.
Another jewel upon the crown
I was the fear of men.
But I was blind I couldn't see,
The world there right in front of me.
But now, I can.
Because I've lost it all, dead and broken.
My, back's against the wall.
Cut me open.
I'm just trying to breathe, just trying to figure it out.
Because I built these walls to watch them crumbling down.
I said, then I lost it all.
Who can save me now?
I believe that we all fall down sometimes.
Can't you see that we all fall down sometimes?
I believe that we all fall down sometimes.

Can't you see that we all fall down sometimes?
I believe that we all fall down sometimes.
...

 

Schallte es durch mein Zimmer. Ich hatte wieder eine von Melis CDs eingelegt und das Lied passte gewisser Weise zu meiner Situation. Viele von den Liedern trafen auf mich zu. Manchmal wirkt es, als wären sie für mich geschrieben worden. Es waren viele traurige Lieder. Langsam konnte ich Meli verstehen, weshalb sie diese Musik so geliebt hatte.

>> Zora? << Ängstlich lunzte ein kleines Mädchen in mein Zimmer.

>> Ja. << Erwiderte ich laut und schroff. Das Mädchen zuckte ängstlich zusammen.

Es schluckte schwer. >> Du sollst ins Wohnzimmer kommen. Wir warten alle auf die Ankunft von Melanie. Die Erzieher haben mich geschickt dich zu holen. <<

>> Ich dachte Meli kommt erst morgen? << Ich kniff finster die Augen zusammen.

>> Ähm… nein, sie haben Melanie heute schon entlassen. << Nervös hüpfte das kleine Mädchen von einem Bein auf das andere.

>> Und warum soll ich runter ins Wohnzimmer kommen? Ich dachte, Meli kann sich sowieso an nichts mehr erinnern. << Langsam richtete ich mich auf. Das Mädchen wich einen Schritt zurück in die Tür.

>> Weil die Erzieher es so möchten. << Ihre Stimme war nur noch ein Piepsen und es wirkte als würde sie sich vor Angst gleich in die Hose machen.

>> Wie kommen die auf die Idee, dass ich auf sie höre? Du kannst dich jetzt schön wieder nach unten verkrümeln und denen sagen, dass ich nicht vor habe zu erscheinen. <<

Das kleine Mädchen nickte eilig und rannte davon. Ich schüttelte nur den Kopf. Sowas feiges nennt sich Soldatin?

Ich legte mich wieder auf mein Bett und Blätterte weiter in den Tattoovorlagen. Ich wollte mir etwas auf den Oberarm tätowieren lassen.

>> Warum kommst du nicht wie die anderen runter. << Hatte man heute gar keine Ruhe? Ich schielte über meine Zeitschrift. Im Türrahmen stand einer der Erzieher.

>> Warum sollte ich? <<

>> Weil du zu dieser Gemeinschaft gehörst und wir alle zusammenhalten. Dazu gehört auch, ein verletztes Mitglied zu begrüßen. <<

>> Hör mir bitte mit deinem Sozialgequatsche auf! Ich wurde gegen meinen Willen in dieses Heim gesteckt und zähle mich daher nicht zu dieser „Gemeinschaft“. << Ich betonte das Wort Gemeinschaft extra abfällig.

>> Du kommst doch nur nicht, weil du Angst hast. Aber du musst zu deinen… ähm << Der Erzieher druckste rum.

>> Zu meinen Taten stehen? Wolltest du das sagen? Was interessiert es dich, ob ich tu meinen Taten stehe! <<

>> Nein, ich wollte nicht Taten sagen. Ist jetzt auch egal, du kommst jetzt mit runter. <<

>> Und wenn nicht? Was ist dann? Wollt ihr mich wieder hier im Zimmer einsperren? Macht nur! Es stört mich nicht, dann habe ich wenigstens meine Ruhe! <<

>> Wenn du jetzt nicht mit kommst, werde ich dein Verhalten Frau Rau melden. << Der Erzieher wurde langsam ungeduldig, aber er war auch nervös. Er war es nicht gewöhnt, dass man ihm wiedersprach und sich seinen Befehlen wiedersetzte.

>> Mach nur. Kommt bestimmt super an. Sie wird begeistert sein, wenn sie hört, dass ihr mich nicht im Griff habt. <<

Er kniff die Augen zusammen, wollte noch etwas sagen, ließ es dann aber doch sein und ging.
>> Tür zu! << Brüllte ich ihm nach, aber er kam nicht nochmal zurück. Genervt stand ich auf und schloss meine Tür selbst. Dabei kam ich an meinem Spiegel vorbei. Ich hatte ihn mir einem schwarzen Bettlaken verhängt. Ich konnte meinen Anblick nicht ertragen. Vorsichtig lunzte ich hinter das Tuch. Ein sehr männliches Gespenst starrte mich an. Es war abgemagert aber muskulös. Auf meine Form hatte ich die letzten drei Wochen geachtet. Das Gespenst standen die chaotisch geschnittenen Haare wild vom Kopf ab. Ich versuchte zu lächeln. Der Anblick von meinem lächelnden Spiegelbild machte mich wütend. Ich schlug auf den Spiegel. An der Stelle, an der ich mit meinem Ring traf, zog sich ein Gitter aus Rissen über die Oberfläche. Schnell lies ich das schwarze Tuch wieder sinken.

Auf meinem Weg zurück zum Bett ging ich zur Anlage und drehte sie voll auf. Dann schmiss ich mich aufs Bett und schrie in meine Matratze. Ich schrie solange bis mein Hals brannte wie Feuer und ich erschöpft einschlief. Ich bekam Melis Ankunft nicht mit.

 

Am Abend klopfte es an meiner Tür. Ich hatte inzwischen die Anlage etwas leiser gestellt.

>> Wer will den jetzt etwas von mir? << Schrie ich genervt. Es dauerte einen Moment bis die Tür aufging.

>> Hallo, ich wollte nur wissen, wer in diesem Zimmer hier wohnt. Ich bin neu hier und kenne mich noch nicht so wirklich aus. <<

>> Meli. << Entfuhr es mir. Tatsache Meli stand bei mir im Zimmer. Sie wirkte etwas verunsichert und ihre Arme und Hände bewegten sich auf verstörende Weise. Ansonsten sah sie relativ gut aus. Es war ungewohnt sie ohne Schminke zu sehen. Sie wirkte um einiges jünger.

>> Woher kennst du meinen Namen? <<

>> Setz dich. Hier auf dem Bett ist noch Platz. << Meli drehte sich um und versuchte die Tür zuschließen. >> Warte ich mach das, setz du dich nur hin. <<
>> Ich schaff das auch alleine. << Meli ließ sich nicht helfen. Es sah ziemlich traurig aus, wie sie versuchte ihre Arme und Hände zu koordinieren. Es musste sie viel Konzentration kosten.

>> Geschafft. << Zufrieden lächelte sie mich an und schlürfte zu meinem Bett. >> Wie heißt du? <<

>> Zora. << Ich schaute an Meli vorbei. Ich schaffte es nicht, sie länger anzuschauen. Wie zwei gleiche Magnetpole stieß ihr Anblick meine Augen ab.

>> Du kommst mir irgendwoher bekannt vor. Warst du auch unten bei der Begrüßung? <<

>> Nein, ich war hier oben und habe geschlafen. << Ich starrte vor mich auf die Decke. Ich schämte mich für mein Verhalten gegenüber Meli. Eigentlich sollte ich nicht so kühl und abweisend sein. Außerdem sollte mich ihr Anblick nicht so abstoßen. Sie konnte nichts dafür es war schließlich meine Schuld gewesen.

>> Ich mag die Musik, die du hörst. Wo hast du die CDs her? <<

>> Von einer jungen Freundin. << Ich hielt den Blick immer noch gesenkt.

>> Sie hatte einen guten Geschmack. Darf ich mir mal eine CD ausleihen? <<

>> Sie gehören dir. <<

>> Wie sie gehören mir? Du willst sie mir schenken? <<

>> Nein, es sind deine CDs. Ich habe sie aus unserem Zimmer! << Meli zuckte erschrocken zusammen, als ich laut wurde. Ich sah Angst in ihren Augen und ich hätte mich Ohrfeigen können. Wie konnte ich nur so mit ihr reden, wo sie sich doch an nichts aus ihrem früheren Leben erinnern konnte.

>> Entschuldige, ich habe vergessen, dass du dich an nichts mehr erinnern kannst. <<

>> An was nicht erinnern kannst? << Meli legte fragend den Kopf schief, genau wie vor dem Unfall. Sie war wie ihr früheres Ich, aber gleichzeitig auch ganz anders.

>> An dein Leben. An das vor heute. <<

>> Du meinst an das, vor meinem Autounfall? Nein, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. <<

>> Du kannst dir jede CD ausleihen, die du willst. << Ich drehte mich traurig weg. Man hatte sie belogen. Man hatte ihr nicht den wahren Ursprung ihrer Verletzung erzählt. Obwohl sie ein gutes Recht darauf hatte.

>> Danke, aber ich würde morgen lieber wieder zu dir kommen und mit dir die Musik hören. Außerdem würde ich gerne von meinem vorigen Leben erzählt bekommen. Ich würde zu gerne wissen, wer ich vor einer Woche noch war. <<

>> Ich habe dich vor deinem Unfall kaum gekannt. <<

>> Erzähl mir bitte alles, was du über mich weißt. Ich möchte es so gerne hören. Am liebsten schon heute, aber ich bin zu müde. Der Tag war sehr anstrengend. Darf ich morgen wiederkommen? <<

>> Ja, wenn du unbedingt alles erzählt bekommen möchtest, aber es sind nicht nur schöne Sachen, die ich zu erzählen habe. <<

>> Tschüss. << Sie versuchte mir zu winken. Mir schossen die Tränen in die Augen, als ich sah wie sie mit dieser leichten Aufgabe kämpfte.

>> Tschüss. << Ich stand auf und öffnete ihr die Tür. Dieses Mal protestierte sie nicht, sondern humpelte einfach hinaus. Ich lies mich auf mein Bett fallen und schlug um mich vor Wut. Vor Wut auf mich, mein Verhalten und vor Wut auf die, die Meli angelogen hatten. Was wenn sie jetzt in mir eine Freundin sah? Alles nur weil sie nicht wusste, wem sie ihr jetziges Dasein zu verdanken hatte? Ich würde sie morgen aufklären. So viel stand fest. Ich würde nicht die liebe Freundin spielen und sie wie die anderen belügen. Ich war ihr die Wahrheit schuldig!

 

Ausnahmsweise ging ich zum Frühstück wieder ins Esszimmer. Als ich kam saßen die anderen Kinder schon beim Essen. Munter und vergnügt quatschten sie miteinander. Ich betrat das Zimmer und die Gespräche hörten sofort auf. Alle starrten mich an als sei ich ein Geist.

Nur Meli lächelte mich an. >> Guten Morgen, Zora. <<

>> Guten Morgen, Meli. << Ich winkte ihr freundlich zu und setzte mich an das andere Ende des Tisches. Sofort rückten die Kinder, die mir am nächsten saßen, weg. Ich verdrehte die Augen.

>> Könnte ich bitte mal die Butter haben? << Niemand reagierte auf meine Frage. >> Könnte mir bitte mal jemand die Butter reichen? << Wieder reagierte niemand, alle starrten nur auf ihre Teller. Verunsichert schaute Meli die anderen an, dann stand sie auf, nahm mit großer Konzentration die Butter in die Hände und brachte sie mir mit einem Lächeln. Man sah ihr an, wie glücklich sie war, als sie die Butter vor mir abstellen konnte, ohne dass sie ihr auf dem Weg runtergefallen war.
>> Danke. << Ich lächelte ihr freundlich zu. Munter lief Meli zurück zu ihrem Platz.

Ein Zettel landete auf meinem Teller. Elendige Heuchlerin! Lass Meli in Ruhe! Du hast ihr schon genug angetan!

Ich schaute in die Richtung, aus der er geflogen kam. Dort starrten mich zwei böse Augenpaare an.

Das reichte mir. Warum sollte ich mit Leuten essen, die mich so hassten? Ich stand auf und ging auf mein Zimmer, dann gab es heute halt kein Frühstück.

 

Nachmittags klopfte es an meiner Zimmertür.
>> Ja? Wer möchte etwas von mir? << Ich stand auf und ging zur Tür.

>> Ich bin es, Meli. Darf ich reinkommen? Wir hatten uns gestern doch verabredet. << Ich öffnete Meli die Tür.

>> Natürlich darfst du reinkommen. << Glücklich strahlte Meli mich an. Wie lange würde sie noch so strahlen, wenn ich ihr die ganze Geschichte erzählt hatte?

Meli setzte sich auf mein Bett und starrte mich gespannt an.

>> Hab ich Farbe im Gesicht? Oder warum schaust du so? <<

Meli fing an zu kichern. >> Nein, ich warte nur darauf, dass du anfängst zu erzählen. <<

>> Ach so. Ich hatte um ehrlich zu sein gehofft, du hättest es dir nochmal anders überlegt. <<

>> Wieso? War ich früher so ein schlimmer Mensch? << Neugierig schaute Meli mich an.

>> Nein, du nicht, aber ich habe in der Geschichte zu deinem Unfall eine große unschöne Rolle. <<

>> Bitte, erzähl mir alles, dass du weißt. Ich bin es leid nicht zu wissen, was geschehen ist. Es wirkt als wolle mich jeder vor meiner Vergangenheit schützen. <<

>> Gut ich erzähl es dir. Du und ich waren Zimmerkameradinnen, seit ca. zwei Wochen. Ich kannte dich kaum, du hattest nie mit mir geredet. Ich wusste nur, dass du zu der Einheit eines Freundes von mir gehörst. Du weißt doch, dass alle hier in diesem Heim Soldaten sind oder? <<

>> Ja, dass wurde mir erzählt. << Meli nickte aufgeregt.

>> Du warst sehr traurig hier und hast jede Nacht geweint. Sonst hast du meistens in irgendwelchen Punk und Emo Zeitschriften geblättert und Musik gehört. In einer Nacht hatte ich beschlossen von hier abzuhauen, da auch ich hier nicht glücklich bin. Als ich loswollte, wolltest du mitkommen. Du hast etwas von Freunden im Ausland erzählt, bei denen wir wohnen könnten. Zusammen haben wir dann ein Auto geknackt und sind losgefahren. Erstmal in Richtung Seesterdorf um meine adoptierte kleine Schwester zu holen, die wir mitnehmen wollten. Auf der Anschlussstraße nach der Autobahn wurden wir von einem Polizisten entdeckt, aber er hatte uns nicht angehalten. Ein paar Kilometer weiter hatten Kollegen von ihm eine Straßensperre errichtet. Wir konnten nicht mehr wenden, also habe ich dich mit unserem Proviant und unserem Zelt in den Wald geschickt. Ich war mir sicher, dass die Polizisten mich festnehmen und mich zurück ins Heim bringen würden. Ich wollte dir die Bestrafung ersparen. Du solltest die Möglichkeit haben, es aus diesem System zu schaffen und glücklich zu werden. Ich hatte dir extra mein Adressbuch mitgegeben falls du mal Hilfe brauchen solltest. Während ich nun zur Polizeistation gebracht wurde, hat man dich im Wald gesucht und irgendwann auch gefunden. Du bist vor den Polizisten abgehauen und einer von ihnen hat dir ins Bein geschossen, durch den hohen Blutverlust konnte dein Gehirn nicht mehr durchblutet werden und du bist ins Koma gefallen. Meli, das ganze tut mir so schrecklich leid! Ich hätte mich umbringen können, als ich erfuhr, was mit dir geschehen ist. Ich habe mich so gehasst, dass ich dich alleine in den Wald geschickt habe. Ich vermute, deshalb hassen mich auch die anderen hier im Heim. <<

Meli saß mit Tränen in den Augen neben mir. >> Es war kein Autounfall? Du lügst mich nicht an? <<

>> Nein, ich wünschte, ich könnte dir etwas anderes erzählen, aber es ist die Wahrheit. <<

Meli stand ohne eine Antwort auf und rannte aus meinem Zimmer. Was hatte mir auch anderes erwartet? Garantiert nicht, dass sie mir freudig um den Hals gefallen würde.

Müde stand ich auf und ging zu meinem Kleiderschrank. Ich musste hier weg! Ich würde mir nicht weiter ansehen, wie Meli unter mir litt. Schnell stopfte ich ein paar Kleidungsstück, etwas Essen und Melis CDs in meinen Rucksack, zog mich um und verließ mein Zimmer. Auf dem Weg zum Ausgang kam ich an Melis Zimmer vorbei. Hinter der Tür hörte ich jemanden weinen. Ich zögerte, klopfte dann aber doch an.

>> Was willst du denn hier? << Melis beste Freundin öffnete mir die Tür. >> Hast du nicht schon genug Schaden angerichtet? <<

>> Ich will zu Meli. <<

>> Meli ist für dich nicht ansprechbar! << Der Dreikäsehoch verschränkte di Arme vor der Brust.

>> Als ob ich mich von dir Zwerg aufhalten lasse! Wie alt bist du? Zehn? << Sachte schubste ich Melis Freundin zur Seite und trat ins Zimmer. Meli lag weinend auf ihrem Bett und hob nur kurz den Kopf.

>> Ich wollte mich nur nochmals entschuldigen. Ich weiß, dass hilft dir auch nicht weiter, aber ich habe es nicht gewollt. Ich wollte nur das Beste für dich. <<

>> Pah, das Beste. Zum Krüppel hast du sie gemacht. << Wütend drehte ich mich zu ihrer kleinen Freundin um. >> Wer hat dich eigentlich nach deiner Meinung gefragt! Pass bloß auf, sonst bist du der nächste Krüppel in diesem Haus! << Erschrocken riss die Freundin die Augen auf und verkroch sich in ihr Bett.
>> Ich wollte dir nur noch sagen, dass ich jetzt gehe. Du wirst mich vermutlich nicht wiedersehen müssen. Tschüss. << Ich wartete noch einen Moment verunsichert, aber Meli antwortete mir nicht. Also drehte ich mich um und verließ ihr Zimmer. Als ich auf dem Flur war, rief mir die Freundin noch etwas nach. >> Verpiss dich nur, dann sind wir dich endlich los! Es will dich hier keiner haben! << Als ich stehen blieb und mich langsam umdrehte, sah ich wie die Tür schnell zugeschlagen wurde. Traurig ging ich zum Ausgang. Noch nie hatte ich so viel Hass erleben müssen, der auf mich gerichtet war.

Am Ausgang war kein Erzieher zu sehen, als marschierte ich einfach ins Freie.

 

Eine Zeit lang irrte ich einfach nur in der Stadt rum, bis ich hungrig und durstig wurde. In der Nähe gab es einen Supermarkt, also beschloss ich mir etwas zu kaufen und meine Vorräte aufzusparen.

Im Supermarkt waren alkoholische Getränke gerade im Sonderangebot und ich griff ordentlich zu.

Draußen suchte ich mir dann ein ruhiges Plätzchen in einer Seitengasse auf zwei Mülltonnen und öffnete die erste Flasche. Ich war es nicht gewohnt Alkohol zu trinken, da ich nie einen Sinn darin gesehen hatte, mir mit Alkohol die Birne wegzusaufen, aber gerade schien es wie ein Geschenk des Himmels.

Die ersten kleinen Schlucke schmeckten widerlich, aber dann hatte ich mich an den Geschmack gewöhnt. Schluck für Schluck fühlte ich mich freier. Nach einer Zeit schaute ein Passant in die Seitengasse und kam zu mir.

>> Alkohol ist gefährlich und nichts für Kinder! Komm gib die Flaschen mir. <<

>> Was wollen Sie eigentlich? Was geht Sie es an, ob ich Alkohol trinke oder nicht? Sind Sie mein Vater? <<

>> Nein, ich bin nicht dein Vater, aber ich habe schon öfter gesehen, wie Jugendliche ihren Kummer in Alkohol ertrinken und ich möchte dir helfen. Es gibt auch einen anderen Weg mit deinem Kummer fertig zu werden. <<

>> Verschwinden Sie! Sofort! Sonst können Sie was erleben! Halten Sie sich aus meinen Angelegenheiten raus! << Wütend sprang ich von meiner Mülltonne. Was fiel diesem Kerl ein? Als hätte der eine Ahnung von meinem Kummer.

>> Ist gut! Ich geh ja schon! Aber ich rate dir, lieber über deine Probleme zu sprechen, als sie zu ertränken. <<

Drohend ging ich auf ihn zu. Aber er lief aus der Gasse bevor ich ihn nochmals anschnauzen konnte.

In Ruhe zog ich mich auf meine Mülltonnen zurück. Hier konnte ich ewig sitzen. Momentan war es für mich der schönste Platz der Welt. Niemand konnte mir mehr etwas anhaben. Das war jetzt mein Reich!

 

Ich hatte bestimmt eine halbe Ewigkeit auf dieser Mülltonne gesessen. Die Flasche war aber noch nicht mal Anfangsweise leer. Ich konnte mich einfach nicht auf dumm besaufen, trotzdem half es mir. Ich dachte ausnahmsweise über nichts mehr nach.

Auf einmal betraten zwei Gestalten die Seitengasse und kamen auf mich zu. Als ich sie bemerkte, umklammerte ich instinktiv meinen Rucksack.

>> Zora? Bist das wirklich du? << Ich schaute auf. Vor mir standen Matze und ein Kollege von ihm, den ich nicht kannte. >> Was ist mit deinen Haaren passiert? Was ist mit dir passiert? <<

>> Du kennst das Mädchen? << Der Kollege schaute Matze verwundert an. Er wirkte noch jung und unerfahren.

>> Ja, das letzte Mal als ich sie gesehen habe, saß sie in einem gestohlenen Auto. <<

Der Kollege musterte mich von oben bis unten. >> Aha. <<

>> Zora, was machst du hier? <<

>> Wo nach sieht es denn aus? Ich sitze hier. <<Ich hielt meinen Rucksack immer noch festumklammert.

>> Und betrinkst dich. Gib den Rucksack und die Flasche her, dafür bist du noch zu jung! << Grob entriss Matze mir die beiden Sachen. >> Hast ja schon sehr viel getrunken. Wie viele Schlucke waren das? Zwei? Alkohol ist nichts für dich, kleine! << Er öffnete meinen Rucksack und fand die anderen drei Flaschen. >> Du wolltest dich wirklich betrinken! Bei den Mengen an Alkohol, die du bei dir hast, hättest du dich ins Koma gesoffen. << Er schüttelte den Kopf. >> Was ist nur los mit dir? <<

>> Was geht dich das an. <<

>> Eine ganze Menge! Lass mich raten, du bist außerdem mal wieder abgehauen! <<

Ich zuckte mit den Schultern. >> Möglich. <<

Matze schüttelte den Kopf. >> Na ja, du kommst jetzt erstmal mit uns auf die Wache, dann sehen wir weiter. << Er wollte mich am Arm packen, aber ich riss mich los. >> Ich will aber nicht auf die Wache! Ich will hier bleiben! <<

>> Und was tun? In Selbstmitleid ertrinken? Das bist doch nicht du! <<

>> Doch das bin ich! << Ich verschränkte die Arme vor der Brust und starrte Matze durch zusammengekniffene Augen an.

>> Kannst du eigentlich noch in den Spiegel sehen? Du müsstest deinen Anblick mal sehen. Du würdest dich erschrecken! << Er wühlte in seiner Jackentasche.

>> Ich hab selbst einen Spiegel! << Ich öffnete mein Médion, dabei fiel mir mein Ring ein. Ich streifte ihn vom Finger und las die Gravur. Für immer und ewig, Paul. Mir schossen Tränen in die Augen und sie kullerten über mein Gesicht. Traurig schloss ich den Ring in meiner Hand weg. Ich unterdrückte ein Schluchzen und drehte mich von Matze weg. Ich dachte an Paul. An sein bildhübsches Gesicht. An unsere gemeinsame Zeit. An den Abend kurz nach Freddys Tod, als ich bei ihm auf dem Boden geschlafen habe und Clara uns am Morgen weckte. Ich dachte an unseren letzten gemeinsamen Tag. Wie glücklich ich an meinem Geburtstag gewesen war. Ich dachte an Paul Versprechen, als er mir die Kette anlegte. Egal was passiert, ich werde für immer bei dir sein. Du wirst nie alleine sein, das verspreche ich dir. Auf einmal entflammte in mir eine Wut. >> Du hast gelogen, du bist nicht für immer und ewig bei mir. Du hast mich allein gelassen. << Flüsterte ich wütend und riss mir die Kette vom als. Zusammen mit dem Ring warf ich sie auf den Boden.

>> Was war das denn jetzt? << Irritiert schaute Matze mich an.
>>Das geht dich nichts an! Er hat mich im Stich gelassen! << Weinend drehte ich mich von Matze weg.
>> Wenn du meinst. Du kommst jetzt trotzdem mit auf die Wache. << Er packte mich erneut am Arm. Einen Augenblick überlegte ich mich zu wehren, sah dann aber ein, dass es keinen Sinn machte. Mit hängendem Kopf folgte ich den beiden weinend zum Auto.

>> Fährst du? Dann kann ich mich zu unserer jungen Kummerbacke setzten. <<

>> Klar. << Matze warf seinem Kollegen die Autoschlüssel zu und setzte sich neben mich.
>> So und du erzählst jetzt mal, was los ist. <<

>> Warum willst du das wissen? << Ich zog die Beine an und legte meinen Kopf auf die Knie.

>> Weil ich dich mag und dir helfen möchte. <<

>> Ich dachte, du wärst enttäuscht von mir. << Ich schaute Matze nicht an. Ich wollte die Antwort gar nicht wissen.

>> Warum sollte ich? Weil du dich betrinken wolltest? Da kannst nur du enttäuscht von dir sein. Ich nicht. << Er wollte mir einen Arm um legen, aber ich rückte von ihm weg. >> Gut, dann eben nicht. <<

>> Wegen Meli. Ich hab doch gesehen, wie du den Kopf geschüttelt hast. << Matze schaute mich kurz nachdenklich an. >> Ach so! Das galt nicht dir, sondern meinen Kollegen. Ich konnte es nicht fassen, wie sie es doch geschafft haben, die Schuld von ihnen auf dich zu übertragen… <<

>> Das sagst du doch jetzt nur so. <<

>> Nein, tue ich nicht. Wenn ich wirklich enttäuscht von dir wäre, würde ich es dir nicht verheimlichen. In meiner Sicht hast du keine Schuld an Melanies Zustand, sondern meine Kollegen. Sie hätten nie auf Meli schießen dürfen! <<

>> Aha. << Ich wollte nicht mehr reden. Ich wollte nur noch alleine sein.

>> Sagst du mir jetzt auch was los ist? << Ich schüttelte den Kopf. Zum sprechen fehlte mir die Kraft, ich hatte Angst wieder einen Heulkrampf zu bekommen.

>> Ich möchte dir aber helfen. <<

>> Dann lass mich jetzt raus und bring mich nicht auf die Wache. Ich will nicht zurück in dieses Heim und die dort wollen mich auch nicht zurück. Sie hassen mich! Alle! Auch die Kleinen! Sie fürchten und hassen mich! Sie geben mir die Schuld an Melis Zustand. Deshalb bin ich abgehauen und weil ich Meli erzählt habe, was wirklich geschehen ist. Sie will mich nicht mehr sehen! <<

>> Oh. <<

>> Ja oh! Kannst du mich jetzt raus lassen? <<

>> Nein, das kann ich nicht. Außerdem sind wir eh gleich da. Gibt es denn eine Person, die ich kontaktieren soll, an Stelle von Frau Rau. Eine Person, die gewissermaßen auch für dich zuständig ist und dich zur Abwechslung mal mag? <<

>> Hast heute Morgen wohl einen Clown gefrühstückt! Aber wenn du schon so fragst, wäre es mir lieber du würdest Herrn Froh kontaktieren. <<

>> Der hört sich vom Namen schon mal netter an als Frau Rau. Hast du eine Nummer von ihm, unter der ich ihn erreichen kann? <<

>> Hier. << Ich reichte Matze mein Handy.

>> Du hast fünfzig neue Nachrichten. << Er schaute mich überrascht an. >> Davon sind dreißig von einem Mike, fünfzehn von einem Zacharias und fünf von einem John. <<

>> Na und. Ich hab keine Lust zu Antworten. <<

Matze öffnete die Nachrichten und überflog sie. >> Mike macht sich Sorgen um dich. Er fragt was mit Meli ist und wie es dir geht. Außerdem schreibt er, dass Clara große Fortschritte macht. Am Ende fragt er, warum du ihm nicht antwortest. Ob etwas passiert ist und ob es dir gut geht. << Matze schaute mich erwartungsvoll an.

>> Er weiß doch was los ist, warum soll ich ihm da antworten? <<

>> Und warum antwortest du Zacharias nicht? Der macht sich auch Sorgen um dich und möchte dich gerne mal sehen. Wenn du Hilfe brauchst kannst du dich immer bei ihm melden. <<

>> Das ist nett, aber seine Hilfe wird mir nichts bringen. Wolltest du nicht Herrn Froh anrufen? <<

>> Ok, warum du John nicht antwortest verstehe ich. Der baggert dich ja voll an. <<

>> Hast du meine Nachrichten jetzt fertig gelesen? << Ich war genervt. Warum musste Matze meine Nachrichten lesen. Hatte der noch nichts von Privatsphäre gehört?

>> Ja, wo finde ich Herrn Froh’s Nummer? <<

>> Im Adressbuch unter Herr Froh. <<

Matze schrieb sich die Nummer auf und reichte mir mein Handy wieder. Gerade als ich es ausschalten wollte, rief mich Mike an.
>> Willst du nicht rangehen? << Matze schaute auf meinen Display.
>> Jetzt nicht. << Ich drückte Mike weg und schaltete mein Handy aus. Matze schaute mich nur kopfschüttelt an.

 

Auf der Polizeistation kontaktierte Matze Herrn Froh, während ich zusammen gesunken auf seinem Schreibtisch saß. Vor mir lag eine unberührte Packung Taschentücher, die Matze mir gegeben hatte. Auf der Wache war nichts los. Ein paar Polizisten saßen an ihren Schreibtischen und quatschten, ansonsten war niemand da. Ich zog die Beine auf den Stuhl und umklammerte sie. Mir war kalt und ich zitterte. Immer noch liefen Tränen über mein Gesicht.

>> So, Herr Froh kommt vorbei. << Matze hockte sich vor mich und fasste mich an den Händen an. >> Ist dir kalt? Du zitterst ja! << Ohne auf eine Antwort zu warten, hängte er mir seine Jacke um die Schultern.

>> Danke. << Matze reichte mir ein Taschentuch für die Tränen, aber ich zerknüllte es nur in der Hand.

>> Willst du wirklich nicht reden? << Ich schüttelte den Kopf. Sofort liefen noch mehr Tränen über mein Gesicht und ich begann zu schluchzen. Ich hatte das Gefühl, dass mein Leben in einem einzigen Scherbenhaufen vor mir lag und ich mich an den Scherben tief ins Fleisch geschnitten hatte. Ich sah Pauls Gesicht wieder vor mir. Seine schwarzumrandeten eisblauen Augen. Die hohen Wangenknochen und seinen weiblichen Mund mit dem Piercing. Die schwarzen Haare mit dem Side-Cut. Ich sah ihn genau vor mir. Er stand da und breitete die Arme aus. Unter seinem weißen T-Shirt sah man seine Muskeln. Ich sah die Tattoos auf seinem rechten Arm und das Batman-Zeichen auf seinem linken Unterarm. Ich wollte in seine Arme. Ich wollte, dass er mich mitnimmt, dahin wo er jetzt ist. Meine Wut war wie verflogen. Ich wollte einfach nur noch zu ihm. Seine Wärme und Nähe spüren und nicht mehr alleine sein.

>> Hey Zora nicht einschlafen. << Matze rüttelte an mir.

>> Was ist? << Verpeilt öffnete ich die Augen und sofort verschwand Paul wieder. Ich hob schlaff den Arm um ihn festzuhalten, aber er verschwand einfach. Ich war wieder alleine. Erst als ich die Augen ganz öffnete merkte ich, dass ich nicht mehr auf Matze´s Stuhl saß, sondern auf dem Boden in seinem Arm lag.

>> Du bist auf einmal eingenickt und hast etwas von Paul gefaselt. << Matze strich mir sachte über den Kopf.

>> Ich hab ihn gesehen. Er war hier, aber jetzt ist er wieder verschwunden. Er wollte mich mit nehmen. << Ich war immer noch nicht ganz bei mir.

>> Zora, du hast nur geträumt. Paul war nicht hier. Du bist eingeschlafen und beinahe vom Stuhl gefallen. <<

Traurig vergrub ich mein Gesicht in Matze´s Pullover. Ich wollte aber, dass Paul da gewesen war. Ich wollte denken, dass er noch immer bei mir war und mich beschützte. >> Hier, ich glaube, du kannst es doch noch ganz gut gebrauchen. << Matze holte etwas aus seiner Hosentasche und legte es mir in die Hand. Es waren der Ring und die Kette.

>> Du hast sie aufgehoben? << Dankbar schaute ich zu Matze hoch.

>> Der Verschluss der Kette ist etwas verbogen, aber das sollte man wieder hinbekommen. <<

>> Danke. << Ich ließ mich zurück in Matze´s Arme fallen. Lange saßen wir so eng zusammen. Ich döste immer wieder ein und Matze strich mir beruhigend über den Kopf. Meine kurzen Träume drehten sich alle um Paul. Jedes Mal wieder wenn ich aufwachte, hatte ich das Gefühl, Paul wäre wirklich bei uns gewesen. Aber jedes Mal waren es nur Matze´s Arme in denen ich lag, nicht Pauls.

Nach zwei Stunden traf dann auch endlich Herr Froh ein.

>> Guten Tag, Sie müssen Herr Froh sein. << Matze reichte Herrn Froh die Hand.

>> Da liegen Sie richtig. Wo ist denn unser Sorgenkind? <<

>> Kommen Sie grade durch. Sie sitzt in meinem Büro. Dort können wir auch ungestört reden. <<

Matze führt Herrn Froh zu mir. Ich saß wieder auf Matze´s Schreibtischstuhl in seine Jacke gehüllt und döste. Wach zu bleiben, fiel mir von Sekunde zu Sekunde schwerer.

>> Guten Tag, Zora. << Herr Froh lächelte mich freundlich an. >> Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, aber ich musste noch etwas klären. <<

>> Nicht schlimm. << Nuschelte ich müde.
>> Du siehst schrecklich aus, wenn ich dir das mal so direkt sagen darf. << Ich zuckte nur mit den Schultern. Mir war es gleich wie ich aussah.

>> Wird Zora zurück ins Heim müssen? << Schaltete sich jetzt Matze ins Gespräch ein, wenn diesen Wortwechsel so nennen konnte. Herr Froh schaute mich noch einen Moment an und antwortete dann Matze auf seine Frage. >> Nein, nachdem Frau Rau es geschafft hat das ganze Heim gegen Zora aufzuhetzen, wegen einem Ereignis wofür sie nichts konnte, habe ich beschlossen, dass sie nicht zurück muss. Dies ist auch der Grund für meine Verspätung. Ich hatte ein langes Gespräch mit Frau Rau und ihr das Sorgerecht für Zora entzogen, da sie es Schamlos ausgenutzt hat um Zora zu schaden. <<

>> Das hört sich doch schon mal erfreulich an oder Zora? << Matze lächelte mir aufmunternd zu.

>> Und wo soll ich jetzt hin? << Flüsterte ich mit heißerer Stimme.

>> Da komme ich jetzt zu dem etwas unschönen Teil. Du darfst nicht zurück in deine Wohnung. Ich habe es nicht geschafft von oben, das Einverständnis dafür zu bekommen, aber ich denke, es tut dir gut unter Menschen zu sein, statt dich so zurückzuziehen. Die ganz oben möchten, dass du dem Staat von Nutzen bist und haben vorgeschlagen, du könntest Ausbilderin in einem Camp werden, denn diese werden dringend gesucht. Das nächste Camp von hier wäre Seesterdorf. Der Nachteil der ganzen Sache ist, dass dort, wie du sicher weißt, auch Clara ausgebildet wird. Glaubst du, dass du es schaffst Clara gleich mit den anderen Kindern zu behandeln? <<

>> Ich soll Kinder ausbilden, die später auf dem Schlachtfeld fallen werden? Gibt es nicht noch eine andere Möglichkeit? <<

>> Leider nein. Die anderen Heime sind ziemlich voll, außerdem würdest du dann wieder unter Frau Raus Obhut liegen und das würdest du nicht lange durchhalten. Wenn ich dich jetzt schon so sehe, will ich gar nicht wissen, was du durchgemacht hast. Seesterdorf oder Krieg. <<

>> Dann bleibt mir wohl keine Wahl. Wann fange ich an? <<

>> Heute Abend bringe ich dich hin und morgen wirst du anfangen. <<
Entkräftet ließ ich meinen Kopf auf die Tischplatte fallen.

>> Sieh es positiv, Zora. Du musst in kein Heim mehr. Du bekommst keine Ausgangssperren mehr. Du bist freier. << Aufmunternd klopfte Matze mir auf die Schulter.

>> Ich werde Kinder ausbilden, die sterben werden. Was ist daran positiv? << Entgeistert starrte ich ihn an.

>> Dass du auch immer gleich alles so negativ sehen musst. Elendige Pessimistin. <<

>> Es ist doch wahr. Was ist an dieser Aufgabe positiv? Nenne mir drei Punkte und ich höre auf so pessimistisch zu denken. <<

>> Diese Diskussion wollen wir jetzt nicht vertiefen. Es bleibt dir nichts anderes übrig. << Herr Froh stand auf. >> Wir müssten dann auch gleich fahren. Herr Heller dieses Gespräch ist natürlich streng vertraulich, wenn sie über den Inhalt gegenüber einer außenstehenden Person auch nur ein Wort verlieren, hat das schlimme Konsequenzen für sie. <<

>> Selbstverständlich. <<

Müde erhob ich mich und gab Matze seine Jacke wieder. >> Danke für alles. <<

>> Nicht der Rede wert, das ist mein Job. << Er grinste mich breit an. >> Darf man dich besuchen kommen? <<

>> Wenn du mich unbedingt sehen musst, darf man mich auch besuchen kommen. <<

>> Denk dran auf die Nachrichten zu antworten. << Er zwinkerte mir zu. Ich drehte mich um, um Herrn Froh aus dem Büro zu folgen. >> Hey, bekomme ich keine Verabschiedung? Jetzt wo ich dich nicht mehr auf der Straße einsammeln werde? << Ich drehte mich zu ihm um und umarmte ihn. Für einen Augenblick waren unsere Gesichter ganz nah bei einander und Matze nutzte die Chance. Der Kuss war kurz und ich konnte ihn nicht genießen, sofort hatte ich ein Bild von Paul im Kopf, der mich wütend anschaute.

>> Würdest du für mich nochmal lächeln? Ich will dich lächelnd in Erinnerung haben. << Gequält versuchte ich ein Lächeln hinzubekommen, was von meinen Tränen schnell wieder runtergespült wurde.
>> Es wird mir fehlen nach dir Ausschau zu halten. Aber es ist ja nicht für immer. Ich versprech dir dich zu besuchen. <<

Ich versuchte die Tränen zu stoppen. Wie verwunderlich es doch war. Ich kannte Matze noch nicht lange und doch war er mir so wichtig geworden. Ich spürte ein ziehen in der Brust und wieder verlor ich jemand, der mich nah war. Auch wenn dieser Verlust, der Angenehmste bisher war, da er nicht für immer war.

>> Wir sehen uns. << Ich lächelte ihn nochmal gequält an, nahm mein Rucksack und ging aus dem Büro. Draußen vor der Polizeistation wartete Herr Froh auf mich.

>> Ich habe deine Sachen im Heim abgeholt. Hier in dem Ordner steht alles drin, was du fürs erste wissen musst. << Herr Froh reichte mir einen riesigen schwarzen Ordner.

>> Welche Position werde ich im Camp haben? <<
>> Du wirst das Camp leiten, aber auch gleichzeitig mit ausbilden. Der jetzige Leiter fliegt in zwei Tagen mit seiner Einheit ins Kriegsgebiet. << Er starrte den Motor.

>> Ich soll das Camp leiten? Wie stellen Sie sich das vor? Ich habe noch nie in so einem Camp gearbeitet. <<

>> Aber du hast sechs Jahre deines Lebens in einem verbracht. Es hat sich nicht viel geändert. Die anderen Ausbilder werden dich unterstützen. Sie sind alle zwischen 16 und 18 Jahre alt. Ich denke es wird kein Problem für dich werden, dort zu Recht zu kommen. <<

>> Wenn Sie das meinen. << Ich schlug den Ordner auf. Er enthielt Namenslisten, Tages- und Lehrpläne. Jetzt würde ich sie mir nicht alle durchlesen. Ich war viel zu müde dafür. Ich lehnte mich an die Autotür und schlief die Fahrzeit zum Lager.

 

Kapitel 10

 

 

Kapitel 10

Ich die Leiterin eines Ausbildungscamp welch Ironie. Ich hab eine eigene Wohnung und ein Büro hier auf dem Gelände. Besichtigt habe ich mein Büro noch nicht, ich bin einfach zu müde, aber ich kann nicht schlafen. Irgendwo hier in den Häusern liegt Clara und schläft, genau wie Mike. Endlich bin ich ihnen wieder nahe.

Ich glaube, Paul ist wütend auf mich, wegen dem Kuss mit Matze. Immer wenn ich die Augen schließe, sehe ich ihn vor mir. Er starrt mich genauso böse an, wie während unserem Streit im Badezimmer.

Bin ich eine Verräterin? Eine Heuchlerin? Ich habe Paul für einen Moment einfach ausgetauscht. Das darf mir nicht noch einmal passieren. Paul wird für immer mein Herzbube bleiben.

Wie würd der morgige Tag wohl werden? Wie muss es für Clara sein? Ich werde sie nicht anders behandeln, als die anderen Kinder. Ich darf für sie nicht die große Schwester spielen. Wird sie damit klarkommen?

Morgen muss ich auch Mike ins Gesicht sehen und ihm erklären warum ich nicht geantwortet habe, vielleicht will er sogar über Meli sprechen. Ich schaff das nicht!

 

Ein Klopfen an der Tür weckte mich am frühen Morgen.

>> Herein. << Verschlafen stand ich auf.

>> Hallo, ich bin Isabel. << In der Tür stand ein Mädchen in meinem Alter. Sie hatte blonde lange Haare und blaue frech blitzende Augen.

>> Guten Morgen. <<

>> Sie müssen Oberleutnant Zora sein. << Isabel streckte mir die Hand hin.
>> Du brauchst mich nicht zu siezen. Ich bin Zora. <<

>> Darf ich reinkommen? << Isabel stand nach wie vor auf dem Flur. Ich hatte ganz vergessen, dass im Lager auf Befehl reagiert wird.

>> Natürlich du kannst dich auch gerne setzen. <<
>> Danke. Ich habe gestern deine Ankunft gar nicht mitbekommen. <<

>> Ich war recht spät. <<

>> Na ja egal, ich wollte dir nur anbieten, dass, falls du Hilfe brauchst, du immer zu mir kommen kannst. Ich habe die letzten zwei Wochen vorübergehend das Lager geleitet. <<

>> Ah danke. Welchen Rang hast du? <<

>> Ich bin eine einfache Unteroffizierin, aber vielleicht werde ich bald befördert. <<

>> Gehörst du einer Einheit an? <<

>> Nein, meine Einheit wurde aufgelöst. Es hieß, dass ich vielleicht mit meiner Beförderung eine Einheit unterteilt bekomme. <<

>> Möchtest du denn Einheitsleiterin werden? <<

Isabel schüttelte den Kopf. >> Eigentlich ist es mir eine zu große Verantwortung. Ich würde lieber weiter hier die Kleinen ausbilden. << Isabels Uhr piepte. >> Oh, ich muss los. Meine Gruppe wecken und antreten lassen. Man hat mir gesagt, dass du dich hier auskennst. Du weißt, wo der große Platz ist? <<

>> Ja, ich weiß das noch. <<

>> Gut, du wirst dort in zehn Minuten begrüßt. << Mit diesen Worten rannte Isabel los. Sie war komisch. Sympathisch aber komisch.

Schnell zog ich mir meine Uniform an. Ein kurzer Blick in den Spiegel und ich wäre beinah in Ohnmacht gefallen. So konnte ich unmöglich da raus gehen. Ich war immer noch verheult und meine alte Schminke klebte mir verlaufen im Gesicht. Schnell wusch ich mir das Gesicht und kämmte meine Haare.

 

Auf dem Platz standen schon Reihen von Kindern. Alle in Kriegsuniform und Stiefeln. Stramm standen sie nach Größe gestaffelt da.

Ihnen gegenüber standen die Ausbilder. Es waren mehr Jungs als Mädchen und tatsächlich sie wirkten, als wären sie alle meines Alters.

Rechts von den Kindern waren Sanitäter angetreten. Hinter ihnen standen die Soldaten, die sich um die Bewachung und Verpflegung des Lagers kümmerten.

In der Mitte dieses Aufgebots stand Isabel auf einen Podest und begrüßte alle.

Ich reihte mich in die Reihe der Ausbilder ein.

>> Einen Guten Morgen euch allen. Heute beginnen wir mit der Ausbildung etwas später, weil ich euch jemanden vorstellen möchte. Ab sofort bin ich nicht mehr die Leiterin dieses Camps, sondern wir haben einen großartigen Zuwachs erhalten. Gestern traf mit etwas Verspätung unsere neue Leiterin ein. Oberleutnant Zora, ich bitte Sie zu mir. <<

Ich marschierte mit erhobenem Kopf zu Isabel auf das Podest und schaute in die Menge. Vielleicht konnte ich ja Clara erkennen.

>> Oberleutnant Zora, wird die Ausbildungstruppe von Oberleutnant Lars übernehmen. Ich hoffe euch allen ist klar, welch eine Ehre es ist, sie als Lagerleiterin begrüßen zu dürfen! << Damit drehte Isabel sich zu mir um. >> Damit überlasse ich Ihnen das Wort. << Ich nickte ihr zu und trat nach vorne.

>> Ihr seid die Zukunft des Staates! Seid euch dessen bewusst! Denkt an die Ehre, die euch zuteil wird! Ihr wurdet auserwählt den Staat zu schützen. Noch seid ihr in eurer Ausbildung, aber später werdet ihr Oberleutnante und Einheitsleiter werden, wenn ihr euch bemüht und die Regel beachtet. Ich denke, wir werden es schaffen, aus euch anständige und ehrenwürdige Soldaten zu machen. Wenn ihre Hilfe braucht oder mit etwas nicht zurechtkommt, steht die Tür meines Büros für euch offen. Auf eine gute zusammen Arbeit! Tretet nun in euren Gruppen zusammen. Die Versammlung ist beendet. Meine Truppe bleibt bitte noch einen Moment angetreten. << Wie konnte ich nur eine Rede halten, von der ich die Hälfte selbst nicht glaubte? Denkt an die Ehre, die euch zuteil wird. Welche Ehre ist es in den Tod geschickt zu werden?

Die Truppen sammelten sich und marschierten vom Platz. Zum Glück hatte ich mir gestern noch den Trainingsplan von Lars angesehen und wusste was er heute eigentlich vor hatte.

Bevor ich mit meiner Truppe abmarschieren würde, musste ich aber noch mit Mike sprechen, dieser wartete schon auf mich.

>> So sieht man sich wieder. << Er umarmte mich.

>> Hi. <<

>> Du bist also unsere neue Lagerleiterin. Bist der Frau Rau wohl auf die Nerven gegangen, dass sie dich nach fünf Wochen schon wieder loswerden will. <<

>> Du kennst die Geschichte doch schon. <<

>> Ich hätte sie aber lieber von dir erfahren. Warum hast du nicht mehr geantwortet? <<

>> Mir ging es nicht so gut. <<

>> Aha. Ich soll dir von jemand liebe Grüße ausrichten. <<

>> Und der wäre? <<

>> Meli. << Ich starrte Mike fassungslos an. Wenn das ein Witz sein sollte war es ein ziemlich schlechter.

>> Sehr witzig, Mike. Wirklich sehr witzig! <<

>> Sie hat mich gestern angeschrieben. Sie wollte wissen, was ich ihr über sie erzählen kann und sie wollte vieles über dich wissen. <<

>> Aha und wie kam sie an deine Nummer? <<

>> Sie hat immer noch dein Adressbuch. << Ich starrte vor mich auf den Boden.

>> Du Mike, lass es uns nachher klären meine Truppe wartet auf mich. <<

Ohne auf seine Antwort zu warten, drehte ich mich um und marschierte weg.

 

>> Wir werden heute schießen gehen. << Ich stand vor meiner Truppe. Es waren genau dreißig Kinder im Alter von sechs Jahren und unter ihnen war Clara. Wie das Schicksal es wollte musste es natürlich ihre Truppe sein, die ich übernahm.

>> Aber vorher gibt es etwas Theorie und zwar zu dem Thema Strategie. Antreten, zwei nebeneinander und mir folgen. <<

Ich führte sie in die Unterrichtsgebäude.

>> Also wer kann mir erstmal sagen, gegen wen der Staat zurzeit kämpft? << Wie in der Schule saßen die Kleinen vor mir und meldeten sich.

>> Ja, Rekrutin Kneipp. <<

>> Die schwarze Armee. << Clara hatte sich in den fünf Wochen ganz schön verändert. Das Kindliche war aus ihrem Gesicht gewichen. Sie war schlanker und muskulöser als früher. Wenn ich ihr Alter nicht wüsste, hätte ich sie für eine kleinwüchsige Zwölfjährige gehalten.

>> Richtig und in welchem Land ist gerade der zentrale Konflikt? <<

>> In Rhodum. Die schwarze Armee hat die Armee des Staates fast ganz aus Rhodum vertrieben. Nur noch zwei Einheiten sind dort vor Ort und werden die nächsten Tage vermutlich auch abgezogen, da ein längerer Aufenthalt für sie alle dort tödlich enden könnte. Außerdem rückt die schwarze Armee immer näher an die Staatsgrenze vor. Deshalb haben wir uns mit unseren Nachbarstaaten alliiert. Noch ist es ein kalter Krieg, aber niemand kann sagen, wie lang dieser dauert und wann die schwarze Armee vorhat anzugreifen. << Ich war erstaunt über Claras Wissensstand. Sie war fast besser informiert als ich.

>> Sehr richtig, Rekrutin Kneip. An alle, was würdet ihr tun, wenn ihr der Staat wärt, um aus dieser Lage rauszukommen. Ihr habt zehn Minuten zeit, es mit eurem Partner zu besprechen. Es ist natürlich rein hypothetisch, da niemand weiß wie die schwarze Armee reagieren würde. Aber gebt euch mal Mühe. Ich bin gespannt was ihr vorschlagt. <<

Der Rest des Unterrichts bestand aus einer Diskussionsrunde, über die verschiedenen Strategien, die vorgeschlagen wurden. Es war bewundernswert was für Vorschläge kamen. Von manchen könnten sich die da oben eine Scheibe abschneiden.

>> Das war es dann für heute an Theorie jetzt geht’s auf den Schießplatz. In zwei Reihen angetreten. Mir folgen. <<

Zusammen marschierten wir zum Schießplatz. Dort trainierte auch Isabels Truppe.

>> Wir gehen zum Hindernissparkur. Ihr könnt schon mal vorgehen und dort antreten. <<

>> Und wie läuft es? << Isabel kam zu mir.

>> Gut, es ist eine sehr intelligente Truppe. <<

>> Es war Lars Elitetruppe. Sie sind die besten, auch wenn sie zum Teil noch nicht lange dabei sind. Er hat sie sich extra zusammen gestellt. Nächsten Monat gehen die drei achtjährigen aus der Truppe und es werden wieder Prüfungen für Nachfolger durchgeführt. <<

>> Wie lange sind die drei schon dabei? <<

>> Seit vier Jahren. Sie kommen in Johns Einheit. <<

>> Meinst du John Fass? <<

>> Ja, er hat von Mike die Einheit übernommen. <<

>> Ich weiß. Was machst du mit deiner Truppe nach dem Mittagessen? <<

>> Weiß noch nicht. Wie wäre es wenn unsere Truppen ein Geländespiel gegeneinander spielen? Dann können wir auch noch etwas quatschen. <<

>> Gut, dann treffen wir uns um halb zwei wieder hier. <<

>> Bis dann. << Isabel winkte mir nach und gab ihrer Truppe dann wieder Kommandos. Meine Trupp war vorbildlich vor dem Hindernissparkur angetreten und wartete auf ihr Kommando.

>> Ihr teilt euch in zwei Gruppen auf. Gruppe A nimmt den Hindernissparkur 1 und Gruppe B die 2. Nachdem Mittagessen werden wir ein Geländespiel gegen die Truppe von Unteroffizierin Isabel spielen. Zeigt warum ihr die Elite seid! Los geht’s! <<

Die Gruppe teilte sich auf und marschierte zu den Anfängen.

Immer wieder hetzte ich sie über die Strecke. Jedes Mal hatte ich etwas zu kritisieren. Ich kannte kein Erbarmen.

>> Ihr dürft eine Pause machen, wenn ihr es einmal ordentlich und schnell über die Strecke geschafft habt. Vorher macht hier keiner eine Pause. Weiter geht’s. <<

Kurz vor der Mittagspause hatten sie es geschafft, mich zufrieden zu stimmen. Müde und erschöpft schleppten sie sich in die Mensa. Alle außer Clara, sie war beim Hindernisparkur geblieben und lief die Strecke nochmal und nochmal.

>> Rekrutin Kneipp, Sie können zum Mittagessen gehen. <<

>> Hier ist weit und breit niemand der dich hört. Du musst nicht weiter so förmlich tun. << Clara bleib vor mir stehen.
>> Ich behandele dich, wie die anderen Rekruten. Alleine schon, weil es sonst unfair wäre. <<

>> Soll das heißen, ich bin nicht mehr deine kleine Schwester? <<

>> Doch, aber nicht innerhalb dieses Lagers. Warum gehst du nicht zum Mittagessen? <<

>> Mittagessen gibt es um zwölf, bis dahin habe ich noch eine halbe Stunde zum Trainieren. Warum sollte ich diese Zeit verschwenden? <<

>> Überanstreng dich nicht. Du wirst deine Kraft nachher noch brauchen. << Ich erkannte in Clara mich selbst von vor vielen Jahren wieder. Ich war genau so ehrgeizig wie sie gewesen.

>> Ich bin nicht in der Elite, weil ich nichts tue. Nur weil ich es hier rein geschafft habe, heißt es nicht, dass ich nicht mehr trainieren muss! <<

>> Du hast dich ganz schön verändert. Du bist nicht mehr das sieben jährige Mädchen, das ich vor fünf Wochen weggeben musste. Du bist älter, stärker und reifer. <<

>> Du hast dich auch verändert. Du bist mager, kalt und unbarmherzig. Früher hättest du uns nicht so gnadenlos über die Strecke gehetzt. << Ich sah Clara fassungslos an. Was war aus dem kleinen frechen Mädchen geworden. Wie konnte man mit sieben Jahren so ernst sein. Schon jetzt spürte ich wie der Krieg Menschen veränderte. Allein die Ausbildung hatte Clara erwachsener gemacht und das nach wenigen Wochen. Im Krieg waren Kinder nichts anderes als kleine Erwachsene. Sie hatten sonst keine Chance es zu überstehen.

>> Die Zeit verändert Menschen. << Ich erwiderte ihren durchdringenden Blick.

>> Der Mensch verändert sich selbst. Die Zeit spielt dabei eine geringe Rolle. Viel mehr das Umfeld, die Geschehnisse und die Reaktionen des Menschen, sind die drei großen Rollen, die zu der Veränderung des Charakters beitragen. <<

>> Wow. Woher hast du das? << Ich schaute Clara fassungslos an. Wie kam ein siebenjähriges Mädchen auf solch eine Erklärung.

>> Logisches Denken. Wenn du mich dann bitte weitertrainieren lässt? << Sie wirkte genervt und ich hatte das Gefühl, sie würde mich hassen. So kalt war sie mir noch nie gegenüber gewesen.

>> Bin ich für dich nicht mehr deine große Schwester? <<

>> Doch, aber nur außerhalb dieses Lagers. Hier drin bist du nur meine harte Ausbilderin. <<

>> Du bist sauer auf mich. Hab ich recht? <<

>> Du hast dich in den letzten fünf Wochen nicht einmal bei Mike gemeldet. Ich hatte das Gefühl, dass ich, jetzt wo ich von dir weg bin, dir nicht mehr wichtig war. Das du mich einfach vergessen hast. Genau wie Paul und Freddy. Ja, ich bin sauer. Erst meldest du dich nicht und dann tauchst du hier auf einmal auf und willst, dass alles wieder wie früher ist. Du warst in der schwersten Zeit meines Lebens nicht ansatzweise für mich da! << Jetzt sah ich blanke Wut in Claras Augen.

>> Wie kommst du auf die Idee. Ich hätte Paul und Freddy vergessen? Wie soll ich deinen Bruder vergessen? Er war der wichtigste Teil in meinem Leben. << Meine Augen füllten sich mit Tränen. Ich wollte vor Clara nicht anfangen zu weinen, aber ihr Hass entsetzte und verletzte mich.

>> Du trägst seine Kette nicht mehr und den Ring hast du auch nicht an. <<

>> Ich habe den Ring nicht an, damit er während dem Training nicht kaputt geht. Bei der Kette ist der Verschluss verbogen und ich kam noch nicht dazu ihn zu reparieren. Hör zu Clara. Ich werde deinen Bruder niemals vergessen. Es tut mir leid, dass ich mich nicht bei dir gemeldet habe, aber auch für mich war es eine schwere Zeit. Was du nicht weißt, vor drei Wochen habe ich mit einer Freundin ein Auto geknackt und wir sind hierher gefahren. Wir wollten dich holen und dann zusammen ins Ausland. Aber wir kamen nicht ganz bis hier. Auf der Waldstraße gerieten wir in eine Straßensperre und meine Freundin wurde schwer verletzt. Ich habe seither die Schuld an ihrer Behinderung gegeben. Ich hatte dich nicht vergessen. Ich hatte einen Weg gesucht dich zu holen, aber seit dem Fluchtversuch lag mein Leben in einem Scherbenhaufen vor mir. <<

>> Das sagst du doch jetzt nur, damit ich nicht mehr wütend will. Wieso sollte ich dir glauben, dass du wirklich mit mir hier weg wolltest? << Ein Hoffnungsschimmer glitt über Claras Gesicht.

>> Weil du mich kennt und wissen solltest, dass ich dich nicht anlüge? Aber wenn dir dieses Vertrauen nicht reicht, kannst du Mike fragen, das Mädchen, das so schwer verletzt wurde, gehörte seiner Einheit an. Er kennt die Geschichte. <<

>> Das werde ich tun wenn ich ihn wieder sehe. Ich würde dann gerne noch fünfzehn Minuten trainieren. << Damit drehte sie sich um und lief die Strecke weiter. Sie war wirklich gut.

Traurig und allein ging ich zurück zum Hauptgebäude des Lagers. Claras Blick verfolgte mich den ganzen Weg. Wie hatte ich es nur geschafft, dass sie mich so hasste und jegliches Vertrauen verschwunden war. Sie war wirklich enttäuscht von mir.

Mit den Nerven am Ende setzte ich mich auf die große Treppe vor der Mensa und atmete ein paar Mal tief durch.

>> Was ist den bei dir los? << Mike setzte sich neben mich. >> Ist deine Truppe so anstrengend? <<

>> Nein, sie sind nur etwas faul. <<

>> Dann hast du wohl gerade mit Clara geredet. << Ich drehte mich von ihm weg.

>> Du hast gewusst, dass sie mich hasst. Warum hast du mich heute Morgen nicht gewarnt? Ich bin voll ins offene Messer gelaufen! <<

>> Du bist einfach gegangen. Wann hätte ich dich warnen sollen? Außerdem hasst sie dich nicht. Sie ist nur enttäuscht und wütend. <<

>> Toll, das ist auch nicht besser. <<
>> Du hast dich nicht bei ihr gemeldet. Was hast du erwartet. Du hattest ihr versprochen, dass du ihr schreiben und sie besuchen würdest, aber du hast nichts der gleichen getan. <<

>> Du weißt, dass ich sie hierrausholen wollte. Ich wollte es ihr vorher nicht schreiben, weil ich mir nicht sicher war, ob es klappen würde. Wenn ich ihr geschrieben hätte, wäre sie enttäuscht gewesen, weil ich nicht bei ihr ankam. <<

>> Sie hätte aber gewusst, dass du alles versuchst um zu ihr zu kommen. So wusste sie gar nichts und hat sich verlassen gefühlt. Schlimm wurde es erst, als sie merkte, dass du auch mir nicht mehr geantwortet hast. Ich hab es am Anfang überspielt und ihr immer gesagt, dass du dich über ihre Fortschritte freust, aber als sie in die Elitegruppe kam, wollte sie es dir unbedingt selbstschreiben und hat mein Handy genommen und gesehen, dass du seit zwei Wochen nicht mehr geantwortet hast. Seit dem hat sie ihre Freizeit mit trainieren verbracht um besser zu werden. <<

>> Ich hatte sie wirklich eine Zeit lang vergessen. In dieser Zeit habe ich an niemanden gedacht außer an mich. Ich habe mich gehasst. << Ich malte mit einem Stock Zeichen in den Staub.

>> Du bist an Melis Verletzungen nicht Schuld. Der Polizist hätte nicht… <<

>> Jaja, ich weiß, er hätte nicht schießen dürfen, aber er hat es getan und ich habe Meli in den Wald gejagt, also bin ich mit Schuld. Ich hätte auch einfach mit ihr gehen können. <<

>> Hör auf, dir die Schuld an Melis Zustand zuzuschreiben. Das hilft ihr auch nicht weiter. Komm wir gehen erstmal etwas essen. <<

Zusammen betraten Mike und ich die Mensa. An dem einen Tisch saß eine Gruppe von Soldaten, die aus meiner Einheit waren. Sie winkten mir freudig zu und zeigten auf einen leeren Stuhl.

>> Sorry Mike, meine Einheit möchte etwas von mir. Wir können doch beim Abendessen zusammen sitzen. <<

>> Kein Problem, ich weiß ja selbst wie wichtig die eigene Einheit ist. Ich schau mal nach Clara. <<

 

>> Hey Zora. << Ich setzte mich zu den Chaoten an den Tisch.

>> Na ihr, wie geht’s euch? <<

>> Gut, ist doch ein toller Job hier. << Die sechs Grinsten mich an. >> Wir sind alle zusammen und müssen nichts machen, außer hin und wieder unser Kartenspiel nach draußen zu verlegen. <<

>> Hört sich wirklich spannend an. <<

>> Es ist eine nette Abwechslung zum Krieg. Wie ist dein Job als Ausbilderin? <<

>> Kommt doch nach dem Mittagessen mit, dann könnt ihr sehen wie mein Job ist. Meine Truppe macht ein Geländespiel gegen die Truppe von Isabel. Wir können Aufpasser gut gebrauchen. <<

>> Nur wenn du heute Abend mit uns pokerst. << Während Sascha noch sprach. Teilte Jake schon eine neue Runde Karten aus.

>> Ihr seid so süchtig nach Poker, das ist doch nicht mehr normal! Spielt ihr immer noch mit Geld oder seid ihr endlich auf Chips umgestiegen? <<

>> Wir sind auf Chips umgestiegen. << Jake gab mir einen Stapel.

>> Mit Geld wurde es uns langsam zu teuer. << Sascha schaute mich fragend an. >> Also was ist jetzt, spielst du heute Abend mit uns? <<

>> Ich komme ja nicht drum rum oder? <<

>> Nö. << Grölten alle sechs im Chor. Ich nahm meine zwei Karten auf die Hand. >> Spielt ihr immer noch Texas Holden? <<

>> Ja, in den anderen sind wir nicht gut. << Pascal grinste mich an. >> Jetzt da wir eine weibliche Mitspielerin haben, könnten wir auf Strippoker umsteigen. <<

>> Pasi, sicher nicht! Ich spiele nicht mit euch sechs Strippoker. <<

>> Och man, wieso denn nicht? <<

>> Weil ich nur die ganze Zeit verlieren würde. << Ich schaute mir meine Karten an. Doppel Buben. Karo und Kreuz. Um uns füllte sich die Mensa langsam. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es fünf vor zwölf war. Ich konnte es nicht glauben, ich als Lagerleiterin saß mit Sascha, Jake, Pascal, Leonard, Julien und Andrew, den größten Chaoten die es gab, in der Mensa und pokerte. Ich war ein super Vorbild.

Wir setzten unsere Einsätze und die ersten Karten wurden aufgedeckt. Herzbube, Kreuzkönig und Karo zehn. Das sah für mich doch gar nicht schlecht aus.

>> Check. << Julien wartete ungeduldig auf die Züge der anderen. Er war ein schlechter Pokerspieler. Man sah ihm sofort an wenn er gute Karten hatte.

>> Check. << Andy saß ganz still mit nichtssagendem Gesicht da.

>> Ich erhöhe um 50. << Leo knallt seine Chips in die Mitte.

>> Ich gehe mit. << Auch ich schob meine Chips in die Mitte.

>> Ach ihr seid blöd. Ich steig aus. << Pascal legte seine Karten auf den Tisch. ‚
>> Das wäre beim Strippoker ein Kleidungsstück von dir. << Ich streckte ihm die Zunge raus.

>> Ich bin mal gespannt wie viele du heute Abend ausziehen musst. << Er grinste mich an.

>> Ich hab doch gesagt, dass ich garantiert kein Strippoker mit euch spielen werde! <<

>> Na und, wir leben hier in einem demokratischen Staat hier entscheidet die Mehrheit. Jungs, wer ist dafür, dass heute Abend Strippoker gespielt wird? << Fünf Hände gingen in die Höhe. >> Komm schon, Andy. << Andy musterte mich kurz und grinste dann. >> Könnte interessant sein, wie es unter deiner Kleidung aussieht. << Er hob seine Hand auch.

>> Damit ist es entschieden. Heute Abend gibt es Strippoker. <<

>> Dann spiel ich heute Abend nicht mit. <<

>> Du bist so eine Spießerin! Aber du kannst nicht mehr aussteigen. << Pascal grinste mich an.

>> Warum nicht? <<
>> Wir leben hier in einer Diktatur und ich bin der Diktator und gegen den Diktator rebelliert man nicht. <<

>> Haben wir nicht eben noch in einer Demokratie gelebt. <<

>> Ja, bevor ich, der Diktator, die Demokratie gestürzt habe. <<

>> Pasi, du hast einen Knall! << Ich schnipste ihm einen Chip ins Gesicht.

>> Au. <<

>> Können wir mal weiterspielen? << Aufgeregt zappelte Julien auf seinem Platz rum.

>> Julien, wann verstehst du endlich, was ein Pokerface ist. << Jake schüttelte den Kopf und deckte die nächste Karte auf. Herz Zehn. Sehr schön damit hatte ich so gut wie gewonnen. Full House war eine schöne Sache.

>> Check. << Juliens Gesichtsausdruck war nur noch ernüchtern. Anscheinend hatte sein Blatt gerade an Wert verloren.

>> Ich bin raus. << Andy legte seine Karten auf den Tisch.

>> Ich auch. << Jake lies die Schultern hängen.

>> Was meint ihr. Wie lange wird es dauern bis wir an der Front pokern dürfen? Ich setzt 100. << Sascha schob seine Chips zu den anderen.

>> An der Front werdet ihr bitte nicht pokern, da brauch ich euch. Ich geh mit. << Langsam sammelte sich ein Chipberg in der Mitte des Tisches.

>> Ich vermute es dauert noch so zwei bis drei Wochen. Mehr nicht. Die schwarze Armee rüstet sich gerade bloß nach. Sobald sie genug Soldaten an der Grenze haben, greifen sie an. << Leo rollte seine Chips zu den anderen.

>> Ich steig aus. Hoffentlich habe mir heute Abend bessere Karten. << Julien lunzte unter sein T-Shirt. >> Obwohl ich bin gut durchtrainiert. So sexy wie ich ist einfach keiner. <<

>> Julien, du hast da einen Fleck. << Leo deute auf Juliens T-Shirt.

>> Wo? << Bam, Leo hatte Julien eine geklatscht. >> Du bist allesandere als sexy. <<

>> Woher weißt du das denn so genau? << Ich grinste Leo an.

>> Weil wir in einer Drei-Zimmer-Wohnung wohnen und ich mir mit ihm das Zimmer teilen muss. <<

>> Mein Beileid. <<

Jake deckte die letzte Karte auf. Kreuz Acht.

>> Ich setz fünfzig drauf. << Ich schnickte die Chips nacheinander in die Mitte. Einer rutschte leicht daneben und traf Julien.
>> Au, man was habt ihr heute alle mit mir. << Er lachte.

>> Sorry, der sollte eigentlich in der Mitte liegen bleiben. <<

>> Ich erhöhe um hundertfünfzig. << Leo schob einen Stapel von sich weg.

>> Ich steig aus, das ist mir zu heikel. << Sascha legte die Karten weg.

>> Ich geh mit. << Wieder wanderten Chips von mir in die Mitte. Mein Vorrat war stark gesunken. Noch so eine Runde würde ich nicht überstehen.

>> Dann deckt auf. << Jake musterte unsere Karten. >>Klarer Fall. Zora hat gewonnen. Full House schlägt doppel Pärchen. <<

>> Tja Jungs, sicher dass ihr heute Abend Strippoker spielen wollt? << Ich zog die Chips zu mir und sortierte sie nach Nummer.

>> Aber sicher, du hattest eben einfach nur Glück. << Pascal grinste.

>> Neue Runde? << Jake hatte die Karten schon wiedergemischt.

>> Nee lass mal, erstmal was essen. << Zusammen standen wir auf und reihten uns in der Essenschlange ein. Auf was hatte ich mich nur eingelassen. Das würde garantiert der Schlimmste Abend meines Lebens werden. Pascal und Leo waren beide gerade sechszehn geworden. Andy, Sascha und Jake sind neunzehn und Julien fünfzehn. Das heißt ich würde mit einer Gruppe von postpubertierender Jungen Strippoker spielen, die alle nur kichernd auf dem Boden liegen werden, sobald der erste sein Kleidungsstück ausziehen muss. Jake, Sascha und Andy waren vielleicht schon etwas reifer aber Julien, Pasi und Leo… Ich wollte mir den Abend gar nicht ausmalen.

 

>> Und was genau sollen wir jetzt machen? << Die Jungs trotteten hinter mir her.

>> Jungs wie lange ist es her, dass ihr eure Ausbildung hattet? Erinnert ihr euch nicht mehr an die Gelände spiele, die wir gespielt haben? Ihr wart doch in meiner Gruppe! <<

>> Werden immer noch die gleichen Spiele gespielt? << Sascha schaute mich entsetzt an. >> Dann müssen wir ja arbeiten. Wieso hast du uns nicht gesagt, dass wir denen durch den Wald folgen müssen und das auch noch unauffällig! <<

>> Ich hab gesagt, dass wir ein Geländespiel spielen und wir noch Aufpasser benötigen, also euch. <<

>> Ich kann mich nicht mehr an die Regeln erinnern. << Mischte Julien sich ein.

>> Du bist der jüngste hier und kannst dich nicht mehr an die Regeln erinnern? Was kannst du überhaupt? << Andy überragte Julien ein ganzes Stück und schaute auf ihn runter.

>> Ich hab es neun Jahre lang nicht mehr gespielt, warum sollte ich mir da die Regeln merken? <<

>> Ist gut Jungs! Die Regeln werden allen gleich nochmal erklärt. <<

Auf dem Schießplatz waren beide Truppen schon angetreten. Isabel wartete auf.

>> Entschuldige die Verspätung, aber ich hab uns noch ein paar Aufpasser mitgebracht. <<

>> Nicht schlimm. Wir sind eben erst angetreten. << Isabel wandte sich wieder der Gruppe zu. >> Ihr werdet jetzt ein Geländespiel spielen. Die Elite gegen die Neulinge. Ihr werdet gleich mit Pick-ups in verschiedene Waldabschnitte gebracht. Dies sind eure Territorien. In jedem Territorium gibt es eine Fahne, die dort auf dem Gebiet gut versteckt ist. Die Fahne der Elite ist blau und die der Neulinge rot. Euer Ziel soll es sein, die Fahne des anderen Teams zu bekommen. Hört sich leichter an als es ist. Der Wald hier draußen ist riesig und man verläuft sich leicht. Außerdem gibt es Hindernisse wie zum Beispiel einen Fluss, oder einen See. Es gibt ein künstlich angelegtes Moor und eine offene Wiese. Dies sind nur Hindernisse der Natur, die ihr auch im Kriegsgebiet finden werdet. Zu diesen natürlichen Hindernissen kommen Minen. Natürlich keine echten, aber es würd euch ordentlich was um die Ohren fliegen, wenn ihr eine aktiviert. Es gibt auch alle möglichen Arten von Fallen und es gibt euch. Ihr bekommt natürlich Waffen, allerdings sind diese nur Attrappen. Als erstes, bevor ihr zu eurem Territorium gebracht werdet, müsst ihr euch ausrüsten. Dazu gehören ein Peilsender, eine Lebensanzeige, das ist dieser Apparat hier. Wenn ihr von einer Mine getroffen werdet oder von einem Schuss, verfärbt er sich rot, je nachdem wie schwer die Verletzung ist. Seid ihr tot wird er schwarz und ihr müsst an der Stelle warten bis einer der Aufpasser euch abholt. Eure Waffen sind dann automatisch ausgeschaltet. Jeder von euch bekommt einen Rucksack, in dem ist Essen und Trinken, Verbandszeug, falls ihr euch wirklich verletzt und ein Zelt. Dann bekommt jeder von euch seine Waffen mit einer bestimmten Menge an Munition, also nicht wahllos rumballern und ein Funkgerät. Ihr könnt den Funk des anderen Teams nicht hören, aber wenn ihr auf den roten Knopf drück, könnt ihr mit uns spreche, dies ist für einen Notfall, wenn sich einer von euch wirklich schwer verletzt hat. Jedes Team bekommt ein GPS Gerät um die Fahne des anderen Teams zu orten und fünf Karten und Kompasse. Dieses Spiel dauert solange bis eine Fahne in der Hütte des anderen Teams liegt. Egal ob es über Tage geht und egal ob das andere Team „tot“ ist. Wenn das Spiel länger als ein Tag dauert, werden im Wald Essensrationen versteckt, damit ihr nicht verhungert. Teilt euch trotzdem euer Essen und Trinken gut ein! Ach so, dass hatte ich vergessen, passt auf Scharfschützen auf, diese verstecken sich gerne in Bäumen, denn auch von uns könnt ihr umgebracht werden. Es sei denn wir sind da um euch zu helfen. Eure Uniform habt ihr an, dann dürft ihr euch jetzt ausrüsten und tarnen. Die Elite geht in die rechte Hütte und die Neulinge in die linke. Wenn ihr fertig seid, einfach durch die Tür auf der anderen Seite des Raumes gehen, dort warten die Pick-ups auf euch. Viel Glück und gutes Gelingen. << Die Truppen marschierten in die Häuser.

>> Sind die Teams nicht bisschen unfair aufgeteilt? << Julien schaute den Neulingen nach. Sie waren alle zwischen sechs und acht Jahren.

>> Vom Alter passen die Truppen zusammen. Fies wäre es wenn wir die vierjährigen gegen die Elite rausgeschickt hätten, diese sind aber sowieso noch zu jung um bei solch einem hin und wieder brutalen Spiel mit zu spielen. << Isabel führte uns in die dritte Hütte.

>> Eigentlich sind alle Kinder zu jung dafür. << Bekümmert scharte Julien mit seinen Schuhen im Dreck.

>> Das sind sie auch für den Krieg und sie müssen trotzdem hin. Dieses Spiel ist zu den Situationen in Rhodum noch harmlos, aber dass wisst ihr ja. Wie wollen wir uns aufteilen? Wir sind acht Leute. Zweier Gruppen wären doch perfekt. <<

>> Gute Idee, aber nur solange ich nicht mit Julien in eine Gruppe muss. Ich brauch Urlaub von ihm. Ich würde mit Andy in eine Gruppe gehen. << Leo stellte sich sofort zu Andy, er hatte wirklich Angst mit Julien daraus geschickt zu werden.

>> Ich nehm Julien, das ist kein Problem. << Isabel lächelte Julien freundlich zu.

>> Jake und ich bilden Team drei. << Pascal grinste Sascha an. >> Obwohl eine Dame ist eine nettere Begleitung. <<

>> Ich bin aber nicht irgendeine Dame, sondern deine Vorgesetzte. <<

>> Ok, Sascha du darfst sie haben. <<

Wir rüsteten uns aus. Jedes Team bekam ein Peilgerät und ein GPS Gerät und jeder von uns, einen Peilsender, ein Funkgerät, ein vollgepackten Rucksack, ein Fernglas, ein Nachtsichtgerät, Waffenattrappen, ein Messer und eine Karte mit einem Kompass.

>> Wie verteilen wir uns? << Ich schaute auf die große Karte auf dem Tisch.

>> Wir sind vier Teams, ich würd sagen eins jeweils in die Territorien und die anderen verteilen sich hier im Gelände dazwischen. << Isabel deute auf alte Markierungen von vorherigen Gruppen.

>> Team 1 geht ins blau Territorium. Team 2 ins rote. Drei und vier verteilen sich im Mittelraum. Weiß jeder welche Nummer er hat. << Ich schaute die Jungs an, diese schüttelten die Köpfe.

>> Julien, du hast mit Isabel die Nummer 1. Andy und Leo ihr habt die 2. Pascal und Jake, ihr habt die 3 und Sascha, wir haben die 4. Dann würde ich sagen auf geht’s. <<

>> Warte wir haben vergessen zu wetten. << Isabel hielt mich zurück. >> Was meint ihr, wie lange brauchen sie? <<

>> Zwei Tage. << Pascal und Jake nickten sich zu.

>> Eine Woche. <<

>> Heute Abend sind die fertig. << Julien grinste mich an.

>> Wieso bist du dir da so sicher? << Ich schaute ihn fragend an.

>> Weil ich meine Pokerrunde ungerne verschieben möchte. << Ich ignorierte Juliens Antwort und drehte mich zu Sascha. >> Was meinst du, wie lange brauchen sie? <<

>> Ich schätze auch so zwei bis drei Tage. <<

>> Dann sind die Wetten jetzt gesetzt. << Isabel grinste uns an.

>> Was ist der Wetteinsatz? << Ich schaute sie skeptisch an.
>> Das Team, das am weitesten von der gebrauchten Zeit weg liegt, darf den Wald abgehen, die Fallen wiederaufbauen und die Minen wieder scharf stellen etc. In der Zeit sind die anderen in der Stadt und lassen es sich gut gehen. <<

>> Na super. Dann lass mal hoffen, sie brauchen wirklich zwei bis drei Tage. <<

Sascha stand entsetzt hinter mir. >> Ich hab keine Lust die ganzen Fallen zu überprüfen, das dauert Stunden! <<

>> Los geht’s, unsere Chauffeure warten schon. <<

Zusammen verließen wir die Hütte und machten es uns auf der Ladefläche, der Pick-ups gemütlich.

>> Erinnerst du dich noch an unser erstes Geländespiel? <<

>> Du meinst, als wir noch Neulinge waren und die Elite besiegt haben, nach einer Woche. <<

Sascha nickte. Es war ein hartes Spiel gewesen und unsere Mannschaft war außer uns beiden gestorben. Die Elite hatte weniger Verluste und doch haben Sascha und ich es geschafft zu gewinnen. Dafür waren wir dann auch in der Elitetruppe.

Der Pick-up fuhr durch den Wald, die beiden Gruppen dürften auch so langsam in den Hütten in ihrem Territorium ankommen. Noch hatten sie Zeit sich einen Plan auszudenken. Erst wenn Isabel den Startschuss gab, würden die Lebensanzeigen aktiviert werden.

>> Wer, glaubst du, gewinnt? <<

Sascha überlegte kurz. >> Tendenziell würde ich auf die Elite tippen, aber wenn ich mich an unser Geländespiel erinnere. Vielleicht haben die Neulinge doch eine Chance. <<

>> Ich glaube auch, dass die Elite eine größere Chance hat zu gewinnen. Ich habe die Neulinge heute beim Training gesehen und da steht Isabel noch eine Menge Arbeit bevor die hochzuarbeiten. Einfachste Sachen sind für die schon eine große Herausforderung. <<

Inzwischen waren wir an unserem Standpunkt angekommen. Eine Lichtung mitten in dem verhängnisvollen Wald. Nicht weit von uns entfernt lag das Minenfeld und recht von uns erstreckte sich das Moor. Außerdem gab es hier viele Fallen. Sascha und ich würden bestimmt nicht lange alleine sein, denn dieses Waldstück mussten beide Teams überwinden um in das andere Territorium zu kommen.

>> Irgendwo hier muss eine Leiter liegen. << Sascha suchte den Rand des Moores ab. Im Schilf entdeckte er sie dann. >> Dass sie immer noch dieselben Verstecke benutzen und das nach zehn Jahren ist schon verwunderlich. Kreativ sind die hier alle nicht. <<

>> Wir können uns ja mal irgendwann zusammen hinsetzten und diesen Wald um planen. << Ich grinste ihn an.

>> Hilfst du mir mal grade? Das Moor spuckt die Leiter nicht aus. << Zusammen zogen wir die elend lange Leiter aus dem Moor und stellten sie an einen Baum.

>> Auf diesem war doch die Plattform oder? << Ich schaute Sascha fragend an. Der Baum war riesig und hatte ein dichtes Gestrüpp.

>> Ja, ich bin mir ziemlich sicher, dieser Baum war es. Kletterst du die Leiter hoch oder willst du die Leiter wieder verstecken und das Seil nehmen? <<

>> Ich nehm die Leiter. << Schnell kletterte ich die nassen und glitschigen Sprossen hoch. Die Leiter endete am Anfang vom Gestrüpp. Jetzt musste ich mich von Ast zu Ast ziehen. Je dichter der Baum wurde desto schwerer war es an die dicken Äste zu kommen. Aber Sascha hatte den richtigen Baum ausgesucht. Mitten in seiner Baumkrone wurde das Gestrüpp wieder lichter und eine Plattform kam zum Vorschein. Von hier hoben konnte man das Waldgebiet um die Lichtung gut überblicken. Man konnte sogar auf das Minenfeld und die Grasebene sehen. Aber man selbst konnte nicht gesehen werden. Es war herrlich. Beinahe hätte ich Sascha vergessen, der unten am Baum darauf wartete, dass ich ihm das Seil zu warf.

Schnell wie ein Affe kletterte er durch die Äste zu mir. Wir befestigten die Zeltplane auf der einen Seite im Baum. So hatten wir falls es regnen sollte einen Unterschlupf. Unsere Schlafsäcke rollten wir unter der Plane aus und unsere Rucksäcke packten wir auch noch darunter.

Nun saßen wir am Rand der Plattform und warteten auf das Startsignal.

>> Ich wünsche beiden Seiten viel Spaß und eine Menge Erfahrung. Hier mit startet das Spiel. << Isabels Stimme tönte aus unseren Funkgeräten. Ich schaltete unser Peilgerät ein und beobachtete die Punkte auf dem Bildschirm. Team Blau hatte sich aufgeteilt. Ein Teil der Gruppe war bei der Hütte geblieben, der andere Teil, der aus zwanzig Leuten bestand, die sich in kleinere Gruppen von fünf Personen aufgeteilt hatten, lief durch das Territorium Richtung Grenze. Auch Team Rot hatte sich aufgeteilt sie waren fünf Gruppen, mit jeweils sechs Personen. Bei Team Rot verließen aber alle Gruppen das Territorium.

>> Team Blau hat eindeutig die bessere Taktik. Team Rot spielt auf einem zu großen Risiko. <<

Sascha schüttelt den Kopf. >> Da wird Isabel mal eine Theoriestunde zum Thema Strategie einsetzen müssen. <<

>> Die hatte Team Blau heute Morgen bei mir. <<

>> Was macht Team Blau da? << Sascha schaute irritiert auf den Bildschirm.

>> Ich glaub, ich weiß ihren Plan. Es sind vier Gruppen. Die Eine Gruppe baut ein Lager am Rand des Territoriums auf. Gruppe 2, 3 und 4 gehen weiter, dann baut Gruppe 2 nach einer bestimmten Strecke ihr Lager auf. Gruppe 3 und 4 gehen weiter. Am Ende ist nur noch Gruppe 4 übrig. Diese versucht dann im Territorium an die Fahne zukommen. Schafft sie es, gehen sie denselben Weg zurück und sammeln die anderen Gruppen wieder ein. Schafft Gruppe 4 es nicht, weil sie zum Beispiel getötet werden, geht Gruppe 3 weiter und versucht an die Fahne zu kommen. Sollte Gruppe 1 es am Ende auch nicht schaffen die Fahne zu erobern, geht der Ersatztrupp los und dieser versucht es dann mit einer größeren Gruppe. Eigentlich keine schlechte Idee. <<

>> Woher willst du wissen, dass sie es so machen? <<
>> Mein Funkgerät war während der Fahrt auf ihren Kanal gestellt und ich habe es mitgehört. <<

Ich grinste Sascha an. >> Es hatte mich mal interessiert, wie meine Gruppe vorgehen möchte. <<

>> Du hast ihnen aber nicht geholfen! << Er zog die Augenbrauen hoch.

>> Wie denn? Wenn ich auf ihren Kanal schalte, kann ich doch nur hören und nicht sprechen. <<

>> Dann sind sie wirklich schlau. Man merkt, dass sie die beste Taktikerin als Ausbilderin haben. <<

>> Du alter Schleimer! <<

Wir lachten beide. Noch war es hier nicht wirklich spannend. Die Gruppen würden noch etwas Zeit brauen um hier aufzutauchen.

 

Erst am späten Abend tauchte die erste Gruppe in unserem Sichtfeld auf. Sascha und ich haben uns in der Zeit bis dahin mit Kartenspielen und reden vor dem Langeweiletod gerettet. Sascha hatte mir erzählt, dass er nur so lange hier arbeiten wollte bis er genug Geld zusammen hatte, um mit seiner Freundin in eine Wohnung zuziehen. Zumindest war dies sein Plan bevor die schwarze Armee den Staat bedroht hatte, jetzt fürchtete er wieder in den Krieg zu müssen, dabei sollte er in einem Monat doch Vater werden. Seine Freundin war im achten Monat schwanger. Ein eineiiges Zwillingspärchen. Zwei Jungen, genau wie bei ihm und seinem Bruder Jake. Er wollte, dass seine Söhne in einer friedlichen Welt aufwachsen, aber daraus würde wohl nichts werden. Man merkte Sascha nach außen gar nicht an, wie angespannt und krank vor Sorge er in Wirklichkeit war. Sein größter Wunsch war es mit seiner Familie an der Küste leben zu dürfen. Irgendwann wollte er dann das Thema wechseln und wissen, wie es mir in dem Jahr nach dem Krieg ergangen war. Zum Glück fiel mir die Gruppe auf, die sich auf das Minenfeld zu bewegten. Ich hatte keine Lust alles noch einmal erzählen zu müssen.

>> Was meinst du wie viele dürfen gleich wieder nachhause gehen? << Er zählte die Punkte.

>> Von den sechs bestimmt vier. Die sind so unvorsichtig. Pass auf das wird gleich ein riesen Spaß! << Wir beide griffen zu unseren Ferngläsern und beobachteten die Gruppe. Sie standen vor dem Zaun, der sie vor Minen warnte und keiner von ihnen traute sich wirklich über ihn zu klettern. Ein kleiner Junge machte den Anfang. Vorsichtig landete er auf der anderen Seite vom Zaun. Als die anderen sahen, dass nichts passierte folgten sie ihm. In einer Reihe liefen sie über das Feld und es war ein Wunder, dass sie keine Mine auslösten. Erst kurz vorm Ende des Feldes, als die Vorsicht schwand und das sichere Grün zu greifen nah war, machte es klick und eine Mine ging in die Luft. Dämpfe schossen aus dem Boden und spritzen Steine und Dreck weg. Eine Fontäne von Erde prasselte auf die sechs nieder. Um sie herum leuchteten feuerrote Lichter auf und es gab einen ohrenbetäubenden Knall. Es war wirklich realistisch nachgestellt nur das die höllisch starke Kraft fehlte, die in ihrem Umfeld alles auseinander riss. Ich war bei einem Gelände spiel auch schon auf eine Mine getreten und wusste wie sich die da unten fühlen mussten. Unser Bildschirm zeigte vier schwarze Punkte an und Sascha und ich machten uns auf den Weg.

>> Du warst gut. Es sind genau vier tot. << Lässig schlenderte Sascha durch den Wald.

>> Es ist doch immer wieder schön dabei zuzusehen. Weißt du noch als wir bei den Geländespielen der jüngeren die Aufpasser waren? Jedesmal wenn jemand das Minenfeld überquerte ging eine Mine hoch. Aber wir haben es damals ohne Explosion geschafft. <<

>> Stimmt, wir waren aber auch verdammt gut, dafür hatte Franz gesorgt. <<

Bei der Erinnerung an unseren Ausbilder in der Truppe der Neulinge lief es mir kalt den Rücken runter. Damals wurden die Rekruten noch von erwachsenen ausgebildet und unser Ausbilder setzte Kinder mit jungen Welpen gleich, die er zu Kampfhunden aus bilden wollte. Gnadenlos war mit uns gewesen. Wer nicht mitkam oder eine unerlaubte Pause machte, hatte die Peitsche zu spüren bekommen.

In der Elitegruppe wurde es besser. Unser Ausbilder Eric konnte hin und wieder auch gnadenlos sein, aber bestrafte einen nicht mit der Peitsche.

Inzwischen waren wir bei der Truppe angekommen. Vor Schock gelähmt saßen sie mitten auf dem Feld. Den jüngeren liefen die Tränen übers Gesicht.

>> Die zwei Glücklichen, die diese Mine überlebt haben, müssen jetzt weitergehen. Nehmt eure Sachen mit und von den „Toten“ die Sachen, die ihr gebrauchen könnt und verschwindet. << Sascha holte sein Funkgerät aus der Hosentasche und gab einem Pick-up die Koordinaten durch, wo die Kinder abgeholt werden sollten.

>> Ist einer von euch verletzt? << Ich musterte die Kleinen. Ich kannte keinen von ihnen. Die vier schauten an sich runter, bewegten Arme, Kopf und Beine. Keiner von ihnen hatte sich ernsthafte Verletzungen geholt. Zwei hatten ein paar Kratzer von den Steinen im Gesicht, aber mehr war auch nicht.

>> Wisst ihr, was ihr falschgemacht habt? << Sascha kam wieder. Alle vier schüttelten die Köpfe.

>> Ihr ward viel zu unvorsichtig, hattet ihr das Thema Minen schon? << Die vier schüttelten wieder synchron die Köpfe. >> Gut, dann könnt ihr vieles noch nicht wissen, aber merkt euch schon mal. Nur weil ihr das sichere Grün vor Augen habt, heißt es nicht, dass ihr in Sicherheit seid. Erst wenn ihr alle wirklich hinter den ersten Bäumen gewesen wird, hättet ihr aufatmen dürfen! Habt ihr das fürs nächste Mal verinnerlicht? <<

Sie nickten.

>> Gut, dann kommt ihr jetzt mit. << Ich lief vorne weg und Sascha am Ende. Zwischen uns die vier Kleinen. Wir führten sie etwas in den Wald. Hier im Dickicht müssten sie dann auf den Pick-up warten.

>> Hier wartet ihr. In Zehn Minuten werdet ihr von einem Pick-up abgeholt. Ihr bewegt euch nicht von der Stelle. Wir sehen euch auf dem Peilgerät. Nur weil ihr tot seid, heißt es nicht, dass eure Peilsender nicht mehr funktionieren. << Sascha und ich drehten uns um, um wieder zurück zu unserem Baum zu gehen.

>> Ich will hier nicht alleine bleiben. << Der kleinste von ihnen fing an zu weinen. >> Könnt ihr nicht hier warten? Ich hab Angst! << Er schluchzte.

>> Erstens bist du nicht alleine. Zweitens können wir das nicht, wir müssen auf unseren Posten zurück und selbst wenn wir es nicht müssten, würden wir nicht bei euch bleiben. Was meint ihr, wie gruselig es im Krieg ist? Jetzt könnt ihr früh genug lernen mit eurer Angst umzugehen. << Mit diesen Worten drehte ich mich um und marschierte zurück zum Baum. Sascha folgte mir.

>> War das eben nicht etwas zu streng? Die Kleinen stehen unter Schock. Ich kann verstehen, dass sie nicht alleine sein wollen. <<

>> Glaubst du, Franz wäre bei ihnen gewesen und hätte mit ihnen gewartet? Der kleine Junge hätte schon bei seiner Frage die Peitsche zu spüren bekommen. <<

>> Ja, aber die Methoden von Franz waren auch nicht die besten. <<

>> Er war gnadenlos und er hat uns zu anständigen Soldaten gemacht. Das kannst du nicht leugnen! Was glaubst du wäre aus uns geworden wenn Franz statt der Peitsche immer Kekse dabei gehabt hätte? <<

>> Gut, seine Methoden haben geholfen, aber man kann auch auf andere Wege aus den Kleinen anständige Soldaten machen. Ich glaube mehr, dass das Problem darin liegt, dass nicht mehr die stärksten und schnellsten hier ausgebildet werden, sondern alle Kinder, die in letzter Zeit Waise werden und das sind bekanntlich nicht wenige. An der einen Grenze steht die schwarze Armee und im unteren Teil vom Staat schlagen sich die Bürger selbst die Köpfe ein. Außerdem werden heute doppelt so viele Babys in Babyklappen abgegeben, wie vor einem Jahr. Und alle diese Kinder werden wie in einer Fabrik zu Soldaten gemacht. Egal ob sie dafür taugen oder nicht. <<

>> Das ist mir auch schon aufgefallen. Früher gab es in diesem Camp, als wir angefangen haben, drei Ausbildungsgruppen, als wir hier fertig waren, gab es schon sechs und inzwischen sind es zehn. Wenn das in allen drei Ausbildungslagern im Staat so ist, komme ich auf dreißig Ausbildungsgruppen. <<

>> Im Norden sind es weniger dort gibt es „nur“ vier Gruppen. Ich war bis vorkurzem noch im Nordlager, dort lebt meine Freundin. Seit ich nach hier ins Seesterdorf-Lager versetzt wurde sehe ich sie nur noch selten. Im Süd-Lager soll es sechs Gruppen geben. Die meisten Kinder werden hierher gebracht, da hier das beste Lager ist. Aber trotzdem eine erschreckende Feststellung, wie viele Kinder Soldaten sind. <<

>> Eine schlimmer Feststellung ist, wie viele von ihnen nicht mal dreizehn Jahre alt werden. Zwei Drittel aller ausgebildeten Kinder sterben bevor sie dreizehn Jahre alt werden. Daher ist es kein Wunder, dass der Staat so viele Kinder rekrutiert. Die Frage ist nur, vorher nimmt er die ganzen Kinder? Gut, im Staat wird heutzutage jedes vierte Kind direkt nach der Geburt weggeben, aber das reicht doch nicht, um sich so eine Armee aufzubauen! <<

>> Bei der Geburtenrate, die der Staat hat, bekommt im Durchschnitt eine Frau in ihrem Leben vier Kinder und davon behält sie drei. Das reicht schon, wenn du es jetzt mal hochrechnest. <<

 

Wir saßen wieder auf unserer Plattform. Das Peilgerät verriet uns, dass die drei Gruppen des blauen Teams nicht mehr weitentfernt vom Moor waren.

>> Du hast deine Truppe heute Morgen ganzschön über die Hindernisstrecke gejagt. << Sascha schaute der Gruppe zu, die das Moor absuchten.

>> Ja, na und. Es hat doch geklappt. Sie haben sich Mühe gegeben. <<

>> Weißt du noch was wir über Franz gesagt haben? Dass er nicht daran denkt, dass wir noch Kinder sind und dass er uns mit kleinen Welpen verwechselt, die er zu Kampfhunden ausbilden soll und das mit allen Mitteln macht, die ihm einfallen? <<

>> Ja, auf den Vergleich mit den Kampfhunden kam damals sogar ich. << Ich konnte mir so langsam denken worauf Sascha hinauswollte.

>> Dein Training heute Morgen war dem von Franz sehr ähnlich. Gut, du standest nicht mit der Peitsche da, aber du hast auch kein Erbarmen gezeigt und die Kinder immer wieder die Strecke laufenlassen. Es sah fast aus als würden manche von ihnen bald zusammenklappen. <<

>> Es ist aber keine zusammengeklappt! Sie haben sich keine Mühe gegeben, also durften sie so oft laufen, bis sie es ordentlich und schnell gelaufen sind. <<

>> Ja, aber es wirkte als hättest du genau wie Franz vergessen, dass du da Kinder vor dir hast, im Alter von sechs Jahren. Normalerweise wären diese Kinder gerade eingeschult worden. Stattdessen hetzt du sie über einen Hindernissparkur, der es echt in sich hat und das solange bis sie es alle komplett ohne den kleinsten Fehler in einer Zeit, die dir gepasst hat, geschafft haben. <<

>> Wenn es der einzige Weg ist, aus allen von ihnen anständige Soldaten zumachen. Dann werde ich es auch noch öfter so machen. Sie sollen nicht denken, dass ich nicht durchgreife und sie sich nicht anstrengen müssen. <<

>> Du willst es nicht verstehen oder? << Sascha sah mich fassungslos an.

>> Du willst es nicht verstehen. Franz Methoden waren gar nicht so falsch! Die Peitsche war übertrieben, aber ansonsten hatte er vollkommen recht mit seinen Methoden. Schau uns an! Wir sind anständige Soldaten, die mehr als einmal lebend aus dem Krieg zurückgekehrt. <<

>>Vielleicht haben wir unser können aber auch Eric zu verdanken. <<

>> Vielleicht, wir werden es nicht herausfinden, aber ich lass mir von dir nicht sagen, wie ich meine Truppe auszubilden habe! Das Thema ist jetzt beendet. <<

Wir schauten zurück aufs Moor. Dort hatte das blaue Team angefangen eine Art Brücke zu bauen, um das Moor gefahrlos überqueren zu können. Es sah beeindruckend aus, dafür dass da unten sechs bis achtjährige arbeiteten. Sascha pfiff neben mir anerkennend durch die Zähne. >> Auf die Idee sind wir nicht gekommen. Wir sind einfach durchgewatet. <<

>> Das hat aber auch ganz schön Kraft gekostet. Wir lagen danach bestimmt eine Stunde am Ufer im Gestrüpp und haben nach Luft gerungen. <<

Die Gruppe hatte es geschafft das Moor zu überqueren und machte sich langsam in Richtung Minenfeld, vorsichtig durchstreiften sie den Wald. Unter ihnen war auch Clara. Sie führte die Truppe an. Um den Kopf trug sie einen Verband, durch den schon langsam das Blut durchweichte. Ihr Helm hing an ihrem Rucksack.

Am Minenfeld angekommen, sammelten sich alle und überlegten wie sie es gefahrlos überqueren können. Clara ging zu erst los. Langsam und unter voller Konzentration überquerte sie das Feld und kletterte auf der anderen Seite über den Zaun.

Nach und nach überquerten die anderen das Feld. Keiner von ihnen löste eine Mine aus.

An diesem Tag hatten Sascha und ich nichts mehr zu tun. Auf der Plattform herrschte großes Schweigen. Wir hatten uns nicht mehr zu sagen.

 

Kapitel 11

 

Kapitel 11

Wie erwartet hatte Team Blau gewonnen. Sie hatten einen Tag gebraucht, um die Fahne zu erobern und in ihre Hütte zu bringen. Dabei hatten sie eine Person verloren.

Team Rot hatte von dreißig Leuten am Ende nur noch zehn, diese hatten sich im Wald verlaufen.

Am nächsten Tag durften Leo und Andy das Gelände wieder für eine neue Runde bereit machen, während wir in der Stadt waren.

Clara weicht mir nach wie vor die ganze Zeit aus. Wenn ich sie anspreche, bekomme ich nur knappe Antworten und böse Blicke. Sie hat Mike noch nicht gefragt, ob es stimmt, dass ich sie hier rausholen wollte.

Seit zwei Wochen bin ich jetzt hier und verstehe mich super mit allen. (Ausnahme: Clara) Das Lager ist eine eigene Welt. Wir leben hier abgeschottet von der Außenwelt und kommen der Zivilisation nur einmal in der Woche nahe, wenn wir Ausflüge in die Stadt machen.

Zack und Matze wollen mich heute besuchen kommen, deshalb habe ich meiner Truppe frei gegeben. Sie trainieren wirklich ordentlich und jammern auch nicht mehr rum, wenn sie nicht mehr können. Sie haben anscheinend verstanden, dass sie es damit nicht besser machen. Die drei Ältesten werden morgen verabschiedet. Johns Einheit wird vorbei kommen und sie aufnehmen. Mike hat mir erzählt, dass Johns Einheit an der Grenze positioniert wird. Für den Fall, dass die schwarze Armee angreifen sollte.

Die Nachfolger stehen schon fest. Ich hoffe, sie leben sich schnell in die Truppe ein.

Seit den ersten Tagen im Lager hat Paul mich verlassen, er taucht in keinem Traum mehr auf. Ich kralle mich an den Erinnerungen von ihm fest. Warum sehe ich ihn nicht mehr?

Ist er enttäuscht wegen Clara oder ist er wütend? So gerne würde ich ihn wieder bei mir haben. Ich würde alles dafür tun, nachts von ihm träumen zu können. Diese traumlosen Nächte sind schlimm. Am Morgen bin ich erschöpfter, als am Abend zu vor.

 

>> Darf ich reinkommen? << Zack stand in der Tür.

>> Na du, ich hatte dich noch gar nicht so früh erwartet. Hast du gut hergefunden? << Ich umarmte ihn.

>> Klar, die sind hier ja alle ganz freundlich. <<

>> Komm wir gehen raus. << Eine Zeit lang liefen wir stumm neben einander her.

>> Das ist also das große Geheimnis, weshalb du immer in der Schule gefehlt hast. Ich hab mir ja schon schlimmes zusammen gereimt, als ich die Schweigepflicht unterschreiben musste, aber darauf wäre ich nie gekommen. <<

>> Deine Vorstellungen können nicht schlimmer als die Wahrheit gewesen sein. <<

>> So schlimm sieht es hier gar nicht aus. << Zack schaute sich um.

>> Ja, hier ist es ganz erträglich, aber das ist nur ein kleiner Teil von meinem Leben als Soldatin. <<

>> Musstest du wirklich schon einmal in den Krieg? << Zack blieb stehen.

>> Ja, mehr als einmal. Ich war inzwischen schon dreimal im Krieg. <<

>> Krass, man hat es dir nie angemerkt. <<

Wieder schwiegen wir. Inzwischen waren wir am Wald angekommen und ich sah meine Truppe. An ihrem freien Tag hatten sie sich getroffen, um selbständig zu trainieren.

>> Angetreten. << Sofort hörten sie auf und stellten sich in einer Reihe auf.

>> Ihr trainiert an eurem freien Tag? << Ich stellte mich vor die Truppe.

>> Was ist dagegen einzuwenden? << Clara starrte mich böse an.

>> Ich habe nicht gesagt, dass ich etwas einzuwenden habe. Das nächste Mal sprechen Sie bitte erst nach Aufforderung, Rekrutin Kneipp. Der Grund weshalb ich euch antreten lassen habe, ist dass ich euch loben wollte. Ihr seid wirklich eine Elitetruppe und ich weiß es zu schätzen, dass ihr eure Ausbildung so ernst nehmt. << Die Gesichter entspannten sich und fingen an zu lächeln. >> Aber denkt nicht, nur weil ich euch gelobt habe, dass ihr euch nicht weiter anstrengen müsst! Ich werde weiter Druck machen und euch rum jagen. Denk dran, es geht um eure Ausbildung, nicht um meine. Mir bringt es wenig, außer etwas Spaß, euch hier umherzujagen. Es geht allein um eure Ausbildung. Denn je besser diese ist, desto bessere Chancen habt ihr den Krieg zu überleben! Ihr könnt wegtreten. <<

Mit diesen Worten drehte ich mich wieder zu Zack um.

>> Stimmt es, dass je besser die Ausbildung ist, desto größer die Chancen sind ein Kriegsjahr zu überleben? << Zack zog fragend die Augenbrauen hoch.

>> Ich habe nicht gesagt, dass sie dann ein Kriegsjahr überleben, sie haben nur schon mal besser Chancen, als jemand, der gar nichts kann. Was sie außerdem brauchen ist eine Menge Glück. <<

>> Das hattest du anscheinend. << Wir liefen wieder zurück zum Hauptgebäude.

>> Darüber lässt sich streiten. <<

>> Du hörst dich nicht sehr glücklich an. << Zack blieb stehen und stellte sich vor mich.

>> Ich bin auch nicht glücklich. <<

>> Wenn du mal Zuflucht brauchst, kannst du jeder Zeit zu mir kommen. << Er nahm mich an den Händen. >> Zora, pass bitte auf dich auf. Wenn du irgendwie Hilfe brauchst, oder jemanden zum Reden, melde dich bei mir. Egal wann. <<

>> Danke, ich werde bestimmt auf dein Angebot zurückkommen. Musst du jetzt gehen? <<

>> Ja, meine Eltern warten auf mich. Sorry, dass es nur ein kurzer Besuch war, aber ich werde wiederkommen. <<

>> Danke. << Wir umarmten uns und Zack ging zum Ausgang. Am Tor drehte er sich nochmal um und winkte mir. Es tat gut, dass er dagewesen war. Er war ein Teil meiner Vergangenheit und gab mir Kraft. Endlich füllte ich mich nicht mehr allein.

Die Uhr auf dem Hof zeigte, dass es kurz vor Zwölf war und ich ging zu den anderen in die Mensa.

>> Wer war denn der Milchbubi da eben? << Die Chaoten besetzten mal wieder ihren Standarttisch.

>> Ein guter Freund von mir. Wieso fragst du? Eifersüchtig? << Ich setzte mich zu ihnen.

>> Warum sollte ich? Der ist doch keine Konkurrenz! << Pascal grinste mich an.

>> Warum müsst ihr euch eigentlich immer wie Teenager verhalten? << Sascha war sehr eisig seit unserem Gespräch auf der Plattform. Er mied mich und wenn ich bei den anderen in der Gruppe saß, sagte er so gut wie gar nichts.

>> Was ist eigentlich mit dir los? Seit ihr von dem Geländespiel wiederkamt, bist du so pissig! Was ist da zwischen euch beiden passiert? Hat sie dich abblitzen lassen? << Die anderen fingen an zu lachen.

>> Dass du nicht mal bei einer Frage ernst bleiben kannst! Du bist so ein Kindskopf! << Sascha nahm sein Tablett und setzte sich an einen anderen Tisch.

>> Autsch. << Jake zog scharf die Luft ein. >> Zora, was ist passiert? <<

>> Nein, ich habe ihn nicht abblitzen lassen! Wir hatten eine kleine Diskussion, die ich irgendwann beendet habe, weil es mir zu blöd wurde mit ihm über das Thema zu streiten. <<

>> Worum ging es? << Auf einmal waren alle wieder ernst. Niemand grinste mehr.

>> Darum wie ich mit den Rekruten umgehe. Er meinte, ich wäre zu hart und würde vergessen, dass es noch Kinder sind. Er wollte mir vorschreiben, wie ich meine Truppe auszubilden habe und hat mich mit Franz verglichen. <<

>> Das darfst du ihm nicht übelnehmen. So Diskussionen hatten wir mit ihm in letzter Zeit auch schon öfter. Ich glaub es liegt daran, dass er bald Vater wird. Das verträgt er nicht so ganz. Das ist auch verständlich, damit ist ein Teil seiner männlichen Freiheit flöten gegangen. << Jetzt fingen sie wieder an zu grinsen, aber Jake war noch nicht fertig. >> Wenn er jetzt Bräute aufreißen gehen will, wird es schwerer, wer will einen Mann mit Kindern? Die meisten Frauen wollen doch wenn nur eigene Kinder. <<

>> Es gibt auch Frauen die finden Väter besser, da diese eine Reife besitzen, die ihr nie bekommen werdet. <<

>> Das ist aber nur ein sehr geringer Anteil. Wer will bitte einen Spießer als Freund, der bei dem kleinsten Scherz eingeschnappt ist? << Zum ersten Mal seit ich im Lager war, hatte ich mitbekommen wie Andrew sich an einem Gesprächsthema beteiligte. Normalerweise hielt er sich aus allem raus und gab wenn nur knappe Antworten.

>> Ok, null zu eins für euch. << Auf einmal schalteten sich die Fernseher in der Mensa ein. Ein Live Bericht wurde gesendet. Die Reporterin stand an einem Grenzwall und hinter ihr sah man nicht weitentfernt ein riesen Lager. Tausende Soldaten der schwarzen Armee hatten ihre Zelte aufgebaut. Die Kamera schwenkte um und man sah einen riesigen Krater direkt hinter dem Grenzwall.
>> Es ist ein Wunder, dass niemand verletzt wurde. In den Morgenstunden ging an der Stelle dieses Kraters eine Bombe hoch. Die Terrorgruppe, die schwarze Arme, hatte sie auf ein Lager von der Armee des Staates geworfen und dieses nur knapp verfehlt. Ich selbst konnte mit einigen Soldaten reden. Kurz bevor die Bombe in die Luft ging, patrouillierte dort eine Einheit von sechs Soldaten.

Mit diesem Bombenwurf befinden wir uns jetzt im Krieg mit der schwarzen Armee. Die Regierung hat es bestätigt. Es sind Soldatenaufrufe gestartet worden um neue Truppen aufbauen zu können, außerdem können alle Soldaten sicher sein, dass sie in nächster Zeit einen Brief erhalten, indem sie zum Kriegsdienst gerufen werden. Ich bitte sie, alle Reisen in dieses Gebiet hier abzusagen. Dies war ein kurzer Bericht von Juliane Klein. Ich wünsche ihnen einen schönen Tag. <<

Die Fernseher gingen wieder aus. Es herrschte eine Totenstille und alle Augen wanderten zu mir. Ich stand auf, irgendwas musste ich zu diesem Bericht sagen, aber was? Ich war selbst zu geschockt von dem Gesehenen.

>> Hier habt den Bericht gesehen. Wir befinden uns jetzt offiziell im Krieg. Dieser Zustand war zu erwarten. Bitte geratet jetzt nicht in Panik, noch steht nicht fest, was für große Ausmaße dieser Krieg annehmen wird. Vielleicht betrifft es euch gar nicht, zu mindestens nicht alle. Ich würde euch gerne die Angst nehmen, aber das kann ich nicht. Ich müsste lügen, um euch zu beruhigen und das möchte ich nicht. Ich möchte, dass ihre euch im Klaren über die aktuelle Situation seid. Glaubt mir, mir geht es bei dem Gedanken auch nicht gut, dass jetzt an den Grenzen gekämpft wird, denn auch ich kann eingezogen werden. Euch kann ich nur empfehlen ruhig zu bleiben und weiter zu trainieren. Wenn ihr es überleben wollt, braucht ihr eine gute Ausbildung, nur damit habt ihr eine Chance. Auf diesen Schock gebe ich allen Truppen den Nachmittag frei. Nutzt die freie Zeit aber bitte sinnvoll! Morgen geht es dann normal weiter. Wir werden uns nicht von dem Zustand da draußen beeinflussen lassen! Zusammen stehen wir es durch! << Ich setzte mich wieder und auf einmal ertönte ein Applaus. Alle Kinder applaudierten mir.

>> Eine gute Rede. << Die Jungs nickten mir zu. Ich schaute zu Sascha, der immer noch alleine an seinem Tisch saß. Er war mit seinem Telefon am schaffen, stand plötzlich auf und lief aus der Halle.

>> Oh, ich schau mal nach, was mit ihm los ist. << Schnell lief ich Sascha nach, der aufgeregt telefonierte. Ich wartete mit Abstand zu ihm, bis er fertig damit fertig war.

>> Was ist los? << Langsam ging ich zu ihm.

>> Was geht dich das an? << Wütend funkelte er mich an.

>> Du bist ein alter Freund. Ich möchte dir helfen. <<

>> Dann gib mir zwei Tage frei. Ich muss weg. << Damit drehte er sich um und lief zum Parkplatz.

Ich sah ihm nach wie er vom Hof fuhr und ging dann in mein Büro.

Auf meinem Schreibtisch lagen haufenweise ungeöffnete Briefe. Nach und nach öffnete und sortierte ich sie. Es war nichts Spannendes. Das meiste war nur Werbung. Nur der letzte Brief erweckte meine Neugierde. Er war von Herrn Froh an alle drei Ausbildungsleiter des Staates geschickt worden. In dem Brief wurde uns mitgeteilt, dass morgen alle Kinder, die drei Jahre und länger in unserem Lager sind abgeholt werden. Außerdem würden neue Kinder kommen, denen wir in einem Crashkurs-Verfahren das wichtigste bei bringen sollten. Die anderen Kinder, die schon länger in Ausbildung oder in der Elitetruppe sind, sollen sich auch bereit halten. Es würde jeder gebraucht.

Ich griff zu Telefon und rief Isabel an.

>> Isabel? <<

>> Ja? Was gibt’s? <<

>> Ruf bitte um fünf Uhr eine Versammlung auf dem großen Platz ein und komm vorher um vier mit allen Ausbildern zu mir. Es gibt Neuigkeiten. <<

>> Was ist passiert? <<

>> Morgen werden nicht nur die drei Elitekinder abgeholt, sondern alle, die seit drei Jahren hier sind. Außerdem werden wir neue Kinder bekommen, denen wir schnellstmöglich das Nötigste beibringen sollen. <<

>> Wie soll das gehen? <<

>> Das werden wir nachher besprechen. Sagst du den anderen bescheid? Wir treffen uns um vier im Konferenzsaal. <<

>> Ok, bis um vier. <<

Ich legte auf und wählte gleich Herr Froh´s Nummer.

>> Guten Tag, Herr Froh. <<

>> Hallo Zora, was kann ich für dich tun? <<

>> Es geht um den Brief, denn Sie an uns drei Lagerleiter verschickt haben. <<

>> Ja, ich höre? <<

>> Wie viele neue Kinder werden wir bekommen? Ich sehe in dem Brief nur eine Liste von den Kindern, die wir abgeben werden mit dem Namen des Einheitsführers dahinter. Ich habe eine Konferenz einberufen, um mit meinen Ausbildern zu besprechen, wie wir da vorgehen, aber dazu müssten wir wissen, wie viele Kinder neu kommen. <<

>> Ich suche die Liste, einen Moment bitte. << Man hörte es wie Herr Froh kramte. >> Hier habe ich sie. Ihr bekommt 35 neue Kinder. Soll ich dir die Liste gerade rüber faxen? <<

>> Ja, das wäre nett. <<

>> Gut, kann ich sonst noch etwas für dich tun? <<

>> Ja, eine Bitte hätte ich noch, könnten Sie mir einen täglichen Bericht über die Geschehnisse an der Front schicken. Es wäre doch wichtig zu erfahren, wie es dort zu geht. <<

>> Natürlich, ich kann dir jeden Morgen ein Fax mit dem Protokoll des vergangenen Tages zuschicken. <<

>> Ok, danke das wär es auch schon. <<

>> Dann wünsche ich dir noch einen schönen Tag. <<

>> Ich Ihnen auch. <<

Ich legte auf und holte einmal tief Luft. Das waren eine Menge toller Nachrichten an einem Tag. Ich konnte es immer noch kaum glauben, dass wir uns wirklich im Krieg befanden. Es war zwar abzusehen gewesen, aber trotzdem kam es mir so unwirklich und unrealistisch vor. Der Staat kam mir wie der sicherste Teil der Welt vor und jetzt wurde dieser sicherste Teil angegriffen und bedroht. Mir war klar, von nun an würde das Leben hier im Lager lange nicht mehr so ruhig und geregelt zu gehen. Ich begann schon jetzt diese Zeit zu vermissen.

>> Wieso komme ich immer in den Augenblicken, in denen dir etwas auf dem Herzen liegt? Wieso kann ich dich nicht einmal glücklich sehen? << Ich blickte auf und sah Matze, der lässig in der Tür stand. Augenblicklich musste ich grinsen.

>> Geht doch. << Auch Matze grinste.

>> Na, alles klar bei dir? << Ich stand auf um ihn zu begrüßen.

>> Na immer doch! Bei dir sieht es nicht so aus. << Wir umarmten uns. Es tat gut, dass Matze da war. Ich mochte es in seinen Armen zu sein. Doch als ich die Augen schloss, sah ich Paul vor mir. Seid langen war er wieder da. Traurig stand er vor mir und schüttelte nur langsam und enttäuscht den Kopf. Als er aufschaute kullerten ihm Tränen aus den Augen. Erschrocken über dieses Bild öffnete ich schnell meine Augen. Hinter Matze stand Clara in der Tür. Sofort löste ich mich aus Matze´s Armen und schaute beschämt zu Boden.

>> Dir geht es also schlecht. Das sah aber eben ganz anders aus. Ich fasse es nicht, dass du Paul so verraten kannst. << Wütend starrte Clara mich an. Sie hatte Tränen in den Augen. >> Ich war eigentlich gekommen, um mich zu entschuldigen. Ich wusste nicht, dass du dich wirklich bemüht hast, mir zu helfen. Ich habe Mike gefragt. Aber anscheinend komme ich ungelegen. << Inzwischen liefen ihr die Tränen übers Gesicht.

>> Clara, ich kann es dir erklären. Es ist nicht so wie es aussieht. Matze ist nur ein Freund von mir. Ich würde deinen Bruder niemals übergehen, oder vergessen. Das musst du mir glauben! <<

>> Ich weiß nicht, ob ich dir überhaupt noch was glauben kann. << Sie schluchzte. Ich wollte sie in den Arm nehmen, aber sie drehte sich um und rannte weg. >> Clara, bleib doch bitte hier. << Ich wollte ihr nach, aber Matze hielt mich zurück.

>> Renn ihr nicht nach, das kommt bei den anderen nicht gut an. << Er starrte vor mich auf den Boden. >> Ich werde sie suchen gehen und es aufklären, es war schließlich mein Fehler, dass ich, nur als Freund, dich so in Beschlag genommen habe. << Matze schob mich zur Seite und ging. Im ersten Moment verstand ich nicht, was er hatte, bis mir einfiel, dass ich ihn einen einfachen Freund genannt hatte. Natürlich war er gekränkt. Ich rutschte langsam auf den Boden und atmete tief durch. Erst als ich mich wieder gefangen hatte, stand ich auf und marschierte mit gleichgültigen Gesichtsausdruck über den Hof, auf der Suche nach Clara.

Ich fand beide in Claras Zimmer. Sie lag in ihrem Bett und Matze saß bei ihr und versuchte sie zu beruhigen. Die anderen Zimmergenossen von Clara musste er rausgeschickt haben. Das Bild der beiden erinnerte mich daran, wie nach einem Streit zwischen mir und Paul, Clara weinend in meinem Bett lag und Freddy versucht hatte, sie zu beruhigen und ich am Ende Clara versprechen musste, mich mit Paul nur noch über wichtige Dinge zu streiten. Jetzt lag sie wieder wegen mir weinend in einem Bett und musste getröstet werden. Unbeholfen stand ich in der Tür. Weder Clara noch Matze hatten mich bemerkt. Ich räusperte mich und klopfte an den Türrahmen. Beide schauten auf. Der eine schaute mich gekränkt an und die andere fassungslos und wütend.

>> Was willst du hier? << Ihr Unterton ließ heraushören, dass sie mich nicht sehen wollte.

>> Das heißt erstens immer noch, was möchten Sie bitte hier und zweitens möchte ich dir etwas erklären. <<

>> Und was ist, wenn ich Ihre Erklärung nicht hören möchte? << Clara drehte sich von mir weg.

>> Das ist war kein Angebot. Wenn Sie dann bitte draußen warten würden. << Ich schaute Matze an. Dieser zog unglaubwürdig die Augenbrauen hoch. Ich konnte ihn verstehen. Erst umarmte ich ihn innig, dann nannte ich ihn einen einfachen Freund und jetzt sprach ich ihn vollkommen unpersönlich an und erteilte ihm Befehle. Ich käme mir an seiner Stelle auch dumm vor.

>> Natürlich. << Er stand auf und verließ den Raum. Dabei raunte er mir im vorbeigehen noch etwas zu. >> Auf deine Erklärung für das ganze bin ich gespannt. << Erst als die Tür ins Schloss fiel, setzte ich mich zu Clara auf ihr Bett.

>> Ich kann mich nicht daran erinnern, Ihnen erlaubt zu haben sich auf mein Bett zu setzten. << Sie rückte von mir weg.

>> Clara, ich kann es dir erklären. Ich habe deinen Bruder nicht ersetzt. <<

>> Das sah gerade aber ganz anderes aus. << Böse funkelte sie mich an. Ich versuchte ihr etwas näher zu kommen, aber sie rückte noch weiter in die Ecke.

>> Zwischen mir und Matze läuft nichts. Er ist für mich nur ein guter Freund. <<

>> Das sah er aber ganz anders. <<

>> Ich weiß, ich werde mit ihm reden müssen, aber du musst mir glauben, ich hatte wirklich nie vor deinen Bruder zu ersetzen! <<

>> Das kann jeder behaupten! Woher soll ich denn jetzt wissen, ob du mich anlügst oder nicht? <<

>> Wann habe ich dich bitte angelogen? <<

>> Du hast deine Versprechen gebrochen und damit auch mein Vertrauen. <<

>> Es tut mir leid. << Ich schaute auf ihre Decke.

>> Was tut dir leid? Dass du meinen Bruder einfach vergisst oder dass du die Versprechen gebrochen hast? <<

>> Ich wollte die Versprechungen wirklich einhalten, aber es war nicht möglich. <<

>> Dann hättest du sie nicht versprechen sollen! <<

>> Ich weiß, es war mein Fehler. Ich wollte dich nur trösten… <<

>> Und da versprichst du einfachmal etwas, das du nicht einhalten kannst. <<

>> Ja. <<

>> Große Hilfe! <<

>> Ich weiß. << Niedergeschlagen schaute ich zu Boden.

>> Ich will alleine sein! <<

>> Es tut mir leid! << Ich stand auf und verließ das Zimmer. Vor der Tür wartete Matze auf mich.

>> Ich… << Ich konnte nicht mehr. Tränen füllten meine Augen. Der Streit mit Clara hatte mich eine Menge Kraft gekostet. Ich hatte Angst Clara zu verlieren.

>> Schon gut. Vielleicht war ich auch einfach zu aufdringlich. <<

>> Nein, es ist meine Schuld. Ich.. Ich hätte dir sagen müssen, dass ich Paul nicht loslassen kann. Ich… Ich habe dir falsche Hoffnungen gemacht. <<

>> Ich werde warten. << Matze kam einen Schritt auf mich zu und strich mir tröstend über den Arm.

>> Worauf willst du warten? <<

>> Ich werde warten, bis du dich von Paul lösen kannst. <<

>> Ich weiß nicht, wie lange das dauert. Paul ist mein Leben! <<

>> Mir egal wie lange es dauert. Du bist alle Zeit der Welt wert. <<

Bevor ich darauf etwas antworten konnte, kam Isabel angelaufen.

>> Zora, wir warten alle auf dich. Es ist vier Uhr! <<

Schnell wischte ich mir über die Augen. >> Gut ich komme gleich. <<

Isabel schaute zwischen mir und Matze hin und her. Auf ihrem Gesicht breitete sich ein wohlwissendes Grinsen aus. Ich würde mich nachher einigen unangenehmen Fragen stellen müssen.

>> Ist sonst noch etwas, Isabel? << Ich ließ sie aus meinem Unterton heraushören, dass sie verschwinden sollte.

>> Nein, ich bin dann im Konferenzsaal. << Winkend lief sie fort.

>> Ich muss dann jetzt gehen. <<

>> Kein Problem, ich schau nochmal nach Clara und fahr dann auch nachhause. <<

>> Kommst du uns wieder besuchen? << Ich hatte Angst Matze vergrault zu haben. Es war angenehm wenn er da war, selbst heute nach dem Streit.

>> Natürlich, sobald ich Urlaub habe, komme ich wieder vorbei. << Wir nickten uns beide schüchtern zu und ich machte mich auf den Weg zum Konferenzsaal. >> Bis bald. <<

 

Im Konferenzsaal warteten schon alle auf mich. Als ich eintrat, verstummten sofort die Gespräche und lauter neugierige Augenpaare schauten mich an. Ich setzte mich an das Kopfende des Tisches und stand gleich wieder auf.

>> Ich habe euch hergebeten, da wir einiges zu besprechen haben. Jeder von euch hat mitbekommen, dass wir uns im Krieg befinden. Aus diesem Grund werden morgen nicht nur die drei achtjährigen abgeholt, sondern alle Rekruten, die drei Jahre lang in dieser Ausbildungseinrichtung gelebt und gelernt haben. Außerdem kommen morgen fünfunddreißig neue Rekruten, denen wir in einer Art Crashkurs das wichtigste beibringen sollen. << Ich setzte mich. Einen Moment schwiegen alle, dann brach ein Sturm von Gesprächen und Diskussionen aus. Ich gab ihnen fünf Minuten bevor ich die Gespräche verstummen ließ.

>> Es wird schwer den Rekruten in so kurzer Zeit, so viel beizubringen. Am besten wäre es, wenn wir die zerrissenen Gruppen, zu Gruppen von dreißig Rekruten zusammenschließen. So würden wir zwei Ausbilder übrig haben. Außerdem könnte ich parallel zu meiner Gruppe noch eine kleine Gruppe Neulinge trainieren. Füllt sich noch jemand von euch in der Lage, zwei Gruppen zu trainieren? <<

Ich sah die Runde. Viele schüttelten den Kopf, da stand Isabel auf. >> Ich würde auch eine kleine Gruppe trainieren. <<

>> Gut, dann würden wir die fünfunddreißig Rekruten in vier Gruppen aufteilen. Drei Gruppen mit neuen Rekruten und eine Gruppe mit acht Rekruten. Die zwei Ausbilder ohne Gruppe übernehmen je eine große Gruppe und Isabel, du auch. Ich übernehme die kleine Gruppe von acht Rekruten. Sind alle damit einverstanden? <<

Alle nickten. Niemand brachte einen Einwand oder einen Verbesserungsvorschlag vor.

>> Wir werden alle Gruppen auf den Krieg vorbereiten müssen. Ich kann euch nicht sagen, wann die nächsten abgeholt werden. Das heißt, ihr wiederholt die Überlebens-, Tarn- und Kampftechniken. Wenn diese gut sitzen, wiederholt ihr die Themen Minen und Scharfschützen. Zuletzt kommt die medizinische Ausbildung. Damit ist die Besprechung beendet. Bitte ruft eure Truppen auf den großen Platz zu einer Versammlung ein. << Alle erhoben sich und verließen eilig den Konferenzsaal.

Ich blieb sitzen und ging die Rekrutenliste durch. Hinter den Namen der Kinder, die morgen gehen mussten, machte ich einen Haken. Jemand räusperte sich und ich schaute von meinen Unterlagen auf.

>> Wer war denn der Junge vorhin? << Grinsend stand Isabel vor mir.

>> Ein guter Freund von mir. << Ich ging weiter die Liste durch.

>> Aha ein Freund. << Isabel nickte wissend.

>> Ja, ein Freund. <<

>> Der mag dich. << Isabel kicherte wie ein Grundschulmädchen.

>> Das hoffe ich doch, sonst wären wir keine Freunde. <<

>> Er mag dich mehr als nur freundschaftlich. <<

>> Und das willst du woher wissen? << Ich schaute sie mit hochgezogen Augenbrauen fragend an.

>> Man konnte es an seinem Blick sehen, Der war voller Gefühle und Sehnsucht. <<

>> Aha. Natürlich. << Der sarkastische Unterton in meiner Stimme war nicht zu überhören. Kopfschüttelnd packte ich meine Unterlagen ein.

>> Wirklich, ich merke so etwas! <<

>> Ja ist klar. Du bist die neue Venus und ich werde demnächst den Job des Weihnachtsmannes übernehmen. << Zusammen gingen wir zum großen Platz.

>> Wie findest du Julien? << Isabel blieb vor mir stehen. Ich war von dieser Frage völlig überrumpelt.

>> Du kennst ihn doch schon länger. Ich mein, er ist in deiner Einheit und ihr ward eine Zeitlang im selben Trainingslager, da muss man sich doch näher kennengelernt haben! << Erwartungsvoll schaute Isabel mich an.

>> Ähm ja, er ist ganz nett. << Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.

>> Nett ist der kleine Bruder von scheiße. << Isabel ließ die Schulter hängen.

>> Nein, so war das nicht gemeint. Ich hab nur nie über Julien nachgedacht. Wieso fragst du überhaupt? <<

>> Ach nur so. Es war lustig mit ihm während dem Geländespiel. <<

>> Aha. << So langsam wurde mir klar, in welche Richtung Isabel das Gespräch lenken wollte und ich hatte auf dieses „Mädchengespräch“ zurzeit keine Lust. Es gab wichtigeres zu besprechen, als Isabels Gefühle für Julien. Zum Glück erreichten wir den großen Platz, bevor sie das Gespräch weiterführen konnte. Ohne ein weiteres Wort lief ich zu dem Podest. Alle waren angetreten und schauten gebannt in meine Richtung. Wehmut ergriff mich. Ich wollte ihnen diese schlachte Nachricht nicht überbringen. Kurz schaute ich nochmal in die Gesichter der Kinder, dann räusperte ich mich.

>> Ich habe euch antreten lassen, da ich euch eine schlechte Nachricht mitteilen muss. Ihr alle habt die Nachrichten gesehen. Die Befürchtungen sind leider wahr geworden. Der Staat befindet sich im Krieg. Deshalb werden morgen nicht nur die drei Eliterekruten abgeholt, sondern, und jetzt komme ich zur schlechten Nachricht, auch alle Rekruten, die seit drei Jahren dieses Lager bewohnen. << Ein Aufschrei ging durch die Reihen der Kinder. Geschockte Gesichter starrten mich an. Bei einigen kullerten die Tränen aus dem Augen.

>> Dies ist kein Grund zur Verzweiflung. Ihr seid alle hervorragend ausgebildet worden und werdet das ganze sicherlich gut meistern. Ich lese euch nun die Liste der Rekruten vor. <<

Als ich fertig war, konnten die Kinder kaum noch strammstehen. Sie waren zum Teil kurz vorm Zusammenbrechen, so geschockt hatte sie die Nachricht.

>> Für die anderen gibt es auch ein paar Veränderungen. Die Ausbildungsgruppen werden neu zusammengesetzt. Außerdem werdet ihr morgen neue Zimmergenossen bekommen. Fünfunddreißig neue Rekruten werden in diesem Lager untergebracht. Morgen früh treffen wir uns vor dem Training um sechs Uhr angetreten hier. Die neuen Gruppenpläne hängen nachdem Abendessen im Aufenthaltsraum aus. Auf ihnen werden auch die drei Nachrücker in die Elitegruppe eingetragen sein. Ihr habt jetzt Zeit euch zu verabschieden und zu packen. Das Abendessen wurde auf acht Uhr verschoben. << Ich drehte mich um und verließ das Podest. Hinter mir brach ein Tumult aus. Alle Kinder redeten durcheinander oder weinten. Ich drehte mich nicht um. Ich wollte den Anblick, der niedergeschlagenen Kinder nicht sehen.

 

 

Erschöpft lief ich zu meiner Wohnung. Ich brauchte meine Ruhe. Ich musste selbst mit den Konsequenzen des Krieges klarkommen. Ich schloss die Augen und sah ein Schlachtfeld vor mir. Überall flog Schotter durch die Gegend, aufgewühlt von landenden Geschossen. Um mich rumprasselte es Schüsse nieder. Es gab keine Deckung.

Schnell öffnete ich die Augen wieder.

Im Flur lagen drei Zettel auf dem Boden. Es war ein Fax von Herrn Froh. Er hatte mir heute Abend schon eine Zusammenfassung der Ereignisse der letzten Tage geschickt. Wie die Zettel in den Flur kamen war mir ein Rätsel. Vielleicht hatte Isabel sie mir gebracht.

Ich ließ mich im Wohnzimmer auf die Couch fallen und überflog die Zettel.

Es hatte mehrere Anschläge auf verschiedene Lager an der Front gegeben. Keine Tote aber zwei Verletzte. Einen Gegenangriff wurde nicht geplant.

Ansonsten stand nichts wirklich Spannendes da. Ich heftete das Fax in einen Ordner ab. Das würde mein Kriegstagebuch werden.

Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es gleich Abendessen geben würde, aber ich hatte keinen Hunger. Ich wollte nicht bei den Kindern sitzen.

Was würde ich doch für etwas Ruhe geben, aber mit der Ruhe war es fürs erste vorbei. Ich sollte die letzten leisen Minuten nutzen und entspannen solange ich es noch konnte.

Als ich die Augen schloss war ich sofort wieder auf dem Schlachtfeld. Diesmal sah ich vor mir eine Horde schwarz gekleideter Soldaten. Sie alle waren bis unter die Zähne bewaffnet. Neben mir kniete meine Einheit, bereit das Feuer auf mein Kommando zu eröffnen. Der Anführer der schwarzen Armee grinste mich an und hinter unserem Schützengraben gab es eine Reihe von Explosionen. Ich viel auf den Boden. Mein Kopf dröhnte und ich konnte nichts mehr sehen. Staub verschleierte mir die Sicht. In der Staubwolke hörte ich die Schreie der Verletzten. Als der Staub sich legte, sah ich, dass wir umzingelt waren. Hinter uns die schwarze Armee, vor uns die schwarze Armee. Wir saßen in der Falle. Um mich herum lagen verletzte und tote Soldaten. Ich sah Jake und Andy, beide lagen in einer immer größer werdenden Blutlache. Vor mir lag Pascal, der schreiend sein Bein hielt oder was davon übrig geblieben war.

Wieder grinste der Anführer mich an. Wir hatten diese Schlacht verloren bevor sie angefangen hatte. Jemand drückte mich auf die Knie und ein Gewehr wurde mir an den Kopf gehalten.

>> Schöne Träume, Oberleutnant Zora. << Ich hörte einen Knall und wachte auf.

Ich war von der Couch gefallen. Müde schleppte ich mich in mein Zimmer. Als ich die Tür öffnen wollte, hörte ich ein Schluchzen. Langsam öffnete ich die Tür.
Auf meinem Bett saß Clara. Sie hielt das Bild, das sie mir zum Geburtstag geschenkt hatte, in den Händen.

>> Clara, was machst du hier? <<

Erschrocken blickte Clara auf. Schnell wischte sie sich übers Gesicht. >> Ich… Ich … Ich habe dich gesucht, aber du warst nicht da, deshalb wollte ich hier auf dich warten. <<

>> Wann war das? << Ich blieb in der Tür stehen.

>> Um fünf. <<

>> Dann warst du gar nicht bei der Versammlung dabei? <<

Clara schüttelte den Kopf. >> Ich wollte hier auf dich warten. <<

>> Was willst du denn von mir? << Ich setzte mich neben sie aufs Bett. Um sie zu tadeln, weil sie nicht bei der Versammlung war fehlte mir die Kraft, außerdem sah sie mitgenommen genug aus.

>> Ich wollte mich entschuldigen. << Clara liefen wieder Tränen über das Gesicht.

>> Wofür? <<

>> Für mein Verhalten dir gegenüber. Es war nicht richtig von mir. Du wolltest mir helfen und du hast Paul nicht vergessen. Ich hätte es dir nicht vorwerfen dürfen. <<

Clara schaute mich verweint an, aber ich konnte ihren Blick nicht lange erwidern. Stumm schaute ich zu Boden. Wenn sie wüsste, wie Recht sie mit ihren Vorwürfen doch hatte, würde sie nie wieder ein Wort mit mir wechseln. Als Clara merkte, dass ich dazu nichts sagen wollte sprach sie weiter.

>> Ich hatte Angst, dass ich in den Krieg muss. Angst, dass du mich doch nicht zu dir holst. Ich glaube, die Angst hat mich fertig gemacht. Als ich dich auf dem Podest gesehen habe, habe ich mich gefreut. Du warst nicht mehr weit weg von mir. Aber auf einmal war da eine Wut. Ich glaube, eigentlich war ich nur wütend auf mich. << Wieder schaute Clara mich an, aber ich sagte immer noch nichts. Ich konnte nicht. Ich hatte Angst, dass die Wahrheit aus mir raus platzen würde.

>> Bist du mir böse? <<

>> Nein. << Ich bekam dieses einfache Wort kaum über die Lippen.

>> Sind wir noch eine Familie? Wie hier auf dem Bild? Wir zwei gegen den Rest der Welt? << Clara schaute mich mit ihren großen grünen Augen an. Ich konnte die Angst in ihren Augen sehen. Ich sah wie diese schon jetzt an ihr nagte. Ich wusste, wie sie sich fühlen musste. Mir kamen die Tränen. Ich hatte immer gewollt, dass es Clara gut geht und nun geht es ihr wie mir. Hätte ich mich damals besser unter Kontrolle gehabt, würde sie jetzt hier nicht sitzen. Oder doch? Hätte der Staat sie hierher geschickt. Wäre sie eine der neuen Rekruten? Darüber wollte ich gar nicht nachdenken. Es war besser so. Jetzt hatte ich sie immerhin bei mir und konnte sie schützen. Egal was passieren sollte.

>> Natürlich sind wir noch eine Familie. Ich werde immer deine große Schwester sein! <<

>> Indianerehrenwort? <<

>> Indianerehrenwort! << Sofort fiel Clara mir in die Arme. Ich drückte sie an mich. Sie war der letzte Teil von Paul, der mir geblieben war. Als ich die Augen wieder öffnete stand Paul im Zimmer. Er lehnte lässig in der Tür, so wie er es früher viele Male gemacht hatte. Sein Gesicht lag im Schatten, so konnte ich nicht sagen, ob er lächelte oder weinte. Langsam schritt Paul durch den Raum bis er vor meinem Bett stand. Jetzt konnte ich das liebevolle Lächeln auf seinem Gesicht erkennen. Er setzte sich auf das Bett und schaute uns an. Ich hätte schwören können, sein Parfüm gerochen zu haben, aber da setzte Clara sich wieder gerade hin und Paul löste sich auf, als hätte ihn eine Windböe davon getragen.

>> Ich geh schlafen. Wann ist morgen Trainingsbeginn? << Müde sah Clara mich an.

>> Um sechs Uhr angetreten auf dem großen Platz. Informiere dich bitte bei deinen Zimmergenossen, was ich bei der Versammlung erzählt habe. << Auch wenn ich jetzt wieder ihre Ausbilderin war, lächelte Clara mich an. >> Verstanden. Dann bis morgen um sechs. << Clara drehte sich um und marschierte zur Tür.

>> Clara! <<

>> Ja? <<

>> Schlaf gut. << Ich warf ihr eine Kusshand zu. Sie lächelte noch mehr und warf auch mir eine zu.

Nachdem die Wohnungstür ins Schloss fiel, legte auch ich mich schlafen. Es war eine unruhige Nacht. Immer wieder wurde ich von Albträumen heimgesucht, bis mich in den frühen Morgenstunden mein Wecker weckte.

 

 

Kapitel 12

 

Kapitel 12

Die neuen Rekruten entwickeln sich gut. Sie lernen fleißig und schnell. Als die alten Rekruten abgeholt wurden, weinten alle, auch die, die nicht gehen mussten. Mir hatte es die Sprache verschlagen. Ich habe mich richtig elendig gefühlt. Ansonsten herrscht im Lager eine bedrückende Stimmung. Jeden Morgen lese ich beim Frühstück die Kriegsprotokolle vor. Sie sind wenig aufmunternd. Die Lage an der Front spitzt sich zu. Mehrere Einheiten sind in wenigen Tagen gefallen. Sie wurden einfach niedergemetzelt, als seien sie keine Menschen sondern irgendwelche Insekten. Inzwischen sind auch die Armeen unserer Nachbarstaaten an der Front eingetroffen, aber die Lage verbessert sich nicht.

Die Medien reden diesen Krieg klein und nennen ihn eine harmlose Auseinandersetzung. Immer wieder werden in den Nachrichten gutgelaunte Soldaten gezeigt, die in ihren Zelten sitzen und Karten spielen. Niemand aus der Bevölkerung weiß, wie es da draußen wirklich aussieht. Niemand weiß, dass diese Bilder aus einem Studio stammen. Aber vielleicht ist es besser so, eine Massenpanik wäre das letzte, was der Staat brauchte.

Wie weit wird dieser Krieg gehen? Wie lange wird er dauern und wie viele Opfer wird er fordern? Ich glaube, ich will die Antworten gar nicht wissen. Mich interessiert mehr, wie es nach diesem Krieg weitergehen wird. Wer gewinnt und wie würde es unser Leben verändern? Mehrfach habe ich mir verschiedene Möglichkeiten überlegt, aber keine hat mir gefallen.

Eins klar, es würde nichts werden wie es vorher war.

Müde quäle ich mich durch den Tag. Ich kann nur noch schlafen, wenn ich vorher Tabletten genommen habe. Immer wieder suchen mich Alpträume heim. Es ist immer diese eine Schlacht und jedes Mal verliert meine Einheit. Jedes Mal auf eine andere Art.

 

>> Nicht schlapp machen. Die Neulinge sind ja ausdauernder als ihr! << Ich hetzte meine Elitetruppe zum Aufwärmen über eine Hindernisstrecke. Neben mir saßen keuchend die acht Neulinge, die zuvor diese Strecke laufen durften. Ich trainierte beide Gruppen zusammen. So konnte ich mich auf beide konzentrieren und musste nicht zwischen zwei Trainingsorten pendeln.

Müde fielen meine Rekruten vor mir auf die Knie. >> Ihr ward auch mal schneller! Was ist los, dass ihr heute so fertig seid? << Beschämt schauten sie zu Boden und stocherten im Sand.

>> Bekomme ich keine Antwort? <<
Vorsichtig lunzte Clara nach oben. >> Wir haben gestern noch gepokert. <<

>> Ihr seid noch viel zu jung zum Pokern. Woher hattet ihr die Karten? <<

>> Von Pascal. << Schnell schaute Clara wieder zu Boden.

>> Aha. Pascal hat euch also eine Pokerstunde gegeben. Wann seid ihr schlafen gegangen? <<

>> Um drei. <<

>> Kein Wunder, dass ihr so müde seid! Euer Pech! Ihr müsst sehen, wie ihr das Programm heute durchsteht! Auf, antreten und mir folgen. <<

Müde erhoben sich Rekruten und stellten sich in zwei Reihen. Zusammen marschierten wir durch den Wald. Mein Ziel war das Mienenfeld. Dort warteten Pascal, Andy, Leo und Jake schon auf mich. Julien half heute Isabel mit ihren Gruppen. Die letzte Zeit sah man die beiden nur noch zusammen.

Von Sascha hatten wir nichts mehr gehört. Keiner von uns, auch Jake nicht.

Ich wollte mit meiner Truppe eine Schlacht um ein Minenfeld trainieren. Pascal, Andy, Leo, Jake und ich bildeten das gegnerische Team.

>> Angetreten! << Sofort standen alle stramm in einer Reihe. >> Heute trainiert ihr eine Schlacht auf und bei einem Minenfeld. Das heißt, die gegnerische Armee ausschalten, ohne selbst drauf zu gehen. Ihr habt gelernt wie man mit Minen umgehen muss. Heute könnt ihr zeigen, dass ihr es auch verstanden habt. Erst wenn wir alle fünf tot sind, habt ihr es geschafft. Das hört sich leicht an. Ihr seid achtunddreißig und für nur fünf, aber wir haben das besser drauf als ihr. Es werden drei Runden gespielt und wenn ihr heute Abend nicht auch noch den großen Platz kehren wollt, solltet ihr mindestens zwei Runden gewinnen! Auf geht’s, dahinten liegt alles was ihr braucht. <<

Die Rekruten drehten sich um, um sich auszurüsten. Die Chaoten-Gruppe saß schon ausgerüstet mit meiner Ausrüstung in unserem Schützengraben.

Schnell zog ich mich um und setzte mich zu ihnen.

>> Pascal, ich glaube wir müssen ein ernstes Wörtchen reden. << Pascal wusste sofort, um was es ging.
>> Die haben mich dazu überredet! << Er versuchte schnell alle Schuld von sich zu weisen.

>> Klar, du kommst auch nicht gegen dreißig siebenjährige an. Die sind ja so stark und brutal. Das nächste Mal fragst du mich bitte einfach vorher. << Damit war meine Standpauke, die keine wirklich Standpauke gewesen war, beendet. Ich lugte über den Rand des Grabens und startete das Feuer. Sofort waren die ersten Rekruten ausgeschieden.

>> Die passen schlecht auf. << Jake schüttelte den Kopf. >> Das wird ein leichtes Spiel! <<

Sofort musste er sich auf den Boden schmeißen, denn die anderen erwiderten das Feuer. Um uns herum prasselten die Übungspatronen nieder. Es hörte sich an, als wären wir wirklich in einer Schlacht. Sofort war auch der Adrenalin-Kick wieder da.

Als das Prasseln aufhörte, schossen wir fünf gleichzeitig zurück. Wir waren ein perfekt eingespieltes Team. Bei diesem Training saß bei uns jeder Handgriff und jeder wusste, was zu tun war. Dieses Gefühl von Kameradschaft war beeindruckend. Bald mussten wir nachladen und die Rekruten nutzten die Chance näher an uns ran zu kommen. Die erste Gruppe schaffte es über einen Teil des Minenfeldes in einen anderen Schützengraben zu kommen. Aber bei der zweiten Gruppe wurde eine Mine aktiviert. Überall flogen Erde und Steine durch die Gegend. Ein Stein traf mich unterhalb meines Helmes, der nur lose auf meinem Kopf lag, an der Stirn. Auf einmal tanzten nur noch schwarze Punkte vor meinen Augen.

Als ich die Augen wieder öffnete, lag ich in einem staubigen Lazarett, das nach Blut stank. Der eisenhaltige Geruch hatte sich in den Stoffen der Zelte verfangen. Als ich aufstand, war mir kurz schwindelig, aber dann konnte ich das Zelt besser in Augenschein nehmen. Ich teilte es mir mit zehn weiteren verletzten Soldaten. Stöhnend lagen sie da. Manche litten unter Fieber, andere wurden von den Schmerzen fast in die Irre getrieben.

Schnell verließ ich das Zelt. Draußen brannte die Sonne. Ich erkannte die wüstenartige Gegend von Rhodium, unserem einen Nachbarstaat.
Im Lazarett herrschte ein reges Treiben. Krankenschwestern und Sanitäter rannten von einem Zelt zum nächten. Ihre Schürzen waren genau wie ihre Hände Blut verschmiert.

Neben dem Lazarett war das Lager der Soldaten aufgeschlagen worden. Die sandfarbenen Zelte unterschieden sich stark von den weißroten des Lazaretts.

Mühsam suchte ich mir meinen Weg vorbei an den Zelten. Ich wusste nicht, was ich hier sollte und wo ich hin musste. Auf einmal heulten Sirenen und Flugzeuge tauchten am Himmel auf. Mehrere Bomben fielen auf uns hinab. Von der Wucht der Explosionen wurde ich zu Boden geworfen. Die Druckwelle ließ mein Trommelfell platzen. Steine und Erde folgen auf. Als der Staub sich legte, sah ich, wie das Lazarett in Flammen stand. Man hörte die Schreie der Verletzten, die verzweifelt und hoffnungslos gegen die Flammen kämpften. Die Krankenschwestern versuchten zu den Patienten zu kommen, aber die Zelte und Häuser, die nicht von der Explosion niedergerissen worden waren, standen lichterloh in Flammen. Ich wollte aufspringen und ihnen helfen. Ich war schockiert! Ich war wütend! Es war ein Verbrechen ein Lazarett zu bombardieren! Als ich es geschafft hatte aufzustehen, breitete sich ein stechender Schmerz in meinem Kopf aus und ich wurde Ohnmächtig. Das letzte was ich sah, waren gelbe Flammen, die alles und jeden auffraßen. Die Schreie der verbrennenden klingelten noch in meinen Ohren.

>> Zora! Hey Zora, kannst du mich hören? <<

Ich blinzelte mühsam und schaute in Pascals besorgte Augen. >> Da bist du ja wieder! Hat dich ganz schön stark getroffen. <<

Ich versuchte mich aufzusetzen, aber mir wurde sofort wieder schwindelig.
>> Bleib liegen. Hast bestimmt eine gehörige Gehirnerschütterung! << Pascal bette meinen Kopf auf seinen Schoß. Ich sah Leo, Jake und Andy, die weiterhin die Stellung hielten und auf die Rekruten feuerten.

Als ich zu Pascal sah, sah ich dass seine Lebensanzeige schwarz war.
>> Clara hat mich getroffen, als ich dich aufgefangen habe. << Er grinste mich an.

>> Danke. << Mehr brachte ich nicht raus. Mein Schädel brummte wie ein Schwarm Bienen.

>> Hast du Durst? << Pascal reichte mir seine Feldflasche. Das Wasser aus Feldflaschen schmeckte immer etwas nach Eisen und erinnerte mich sofort wieder an meinen Traum.

>> Du hast ein ganz schönes Horn auf der Stirn! << Wieder grinste Pascal. >> Das kommt davon, wenn man den Helm nie richtig aufzieht! <<

Ich fühlte benommen über meine Stirn, als ich den Hubbel berührte breitete sich wieder dieser stechende Schmerz aus und ich stöhnte auf.

>> Ich glaub, wir brechen das Training heute erstmal nach dieser Runde ab und bringen dich zu den Sanitätern. Es wäre mir lieber, wenn sich das jemand mit Fachwissen anschauen würde. <<

>> Das geht nicht! Die Rekruten müssen weiter ausgebildet werden! Sie machen noch viel zu viele Fehler. << Ich wollte aufstehen. >> Mir geht es super. Wirklich! << Ich zog mich an der Wand des Grabens hoch. Als ich dann den ersten Schritt machen wollte fiel ich unkontrolliert zu Boden. Diesmal war es Andy, der mich auffangen musste.

>> Pascal hat ausnahmsweise mal recht. Du musst zu den Sanitätern! Du kannst nicht einmal freistehen. <<

>> Aber was ist mit den Rekruten? << Das Dröhnen in meinem Kopf ähnelte inzwischen mehr einem Presslufthammer, der versuchte mir die Schädeldecke zu spalten.

>> Um die Kinder kümmern wir uns. Wir schaffen das schon. Nach dieser Runde brauchen die erst einmal eine Pause und in der Zeit bringen wir dich weg. Hältst du es so lange noch aus? <<

Ich nickte und Andy legte mich zurück auf Pascals Schoß, dieser drückte mir ein kühles nasses Tuch auf die Stirn. Ich zuckte zusammen, als es die Beule berührte.

>> Möchtest du noch etwas trinken? << Ich schüttelte den Kopf. Mir war auf einmal speiübel.

Während ich benommen im Graben lag, hatte es eine Gruppe der Rekruten über das ganze Minenfeld geschafft und stürmte nun den Schützengraben. Leo, Jake und Andy hatten keine große Chance. Nachdem sich die Gruppe über ihren ersten Sieg gefreut hatte, ließ Andy die ganze Bagage antreten.

>> Oberleutnant Zora, geht es nicht besonders gut, deshalb machen wir jetzt eine Pause. In dieser Zeit bringen wir Zora zu den Sanitätern und ihr überlegt euch eine gute Taktik bei der mehr Leute überleben. Die Taktik der Siegergruppe war schon nicht schlecht. Nach der Pause spielen wir die Schlacht noch einmal und denkt dran, wenn ihr verlieren solltet, dürft ihr den Platz kehren. Ihr könnt wegtreten. <<

Andy drehte sich um und kam zurück zu Jake und Pascal, die mich auf einer Trage trugen. Andy würde hier bleiben und die Rekruten beaufsichtigen.

>> Andy, schon mal darüber nachgedacht Ausbilder zu werden? << Ich nickte ihm anerkennend zu.

>> Nee, das ist mir zu viel Arbeit und eine zu große Verantwortung! <<

Zusammen trugen sie mich zurück zum Haupttrakt. Es fiel mir schwer wach zu bleiben. Mein Schädel hämmerte und es wirkte so erholsam, einfach die Augen zu schließen.

Auf der Krankenstation wurde ich umgebettet und sofort erschien ein Sanitäter, der sich meine Beule anschaute. >> Was ist passiert? << Fragend blickte er zu Pascal und Leo.

>> Ich habe bei einer Minenübung einen Stein gegen die Stirn bekommen. << Der Sanitäter schaute mich leicht verlegen an. Es war ihm sichtlich peinlich, dass er nicht sofort mich gefragt hatte.

>> Warst du bewusstlos? <<

Ich nickte. Sofort spürte ich die verhängnisvolle Hitze des Feuers wieder.

Er maß noch meinen Blutdruck und prüfte meinen Puls. >> Du scheinst eine leichte Gehirnerschütterung zu haben, aber es ist nichts Ernstes. Du solltest dich die nächsten zwei Tage ruhig verhalten und heute behalten wir dich nochmal hier. <<

>> Das sah aber nach etwas ernstem aus. Sie konnte nicht mal laufen! << Besorgt trat Jake näher.

>> Es wirkt für außenstehende meist schlimmer als es ist. << Damit drehte sich der Sanitäter um und marschierte weg.

>> Nichtskönner! << Brüllte Jake ihm nach.

>> Jake, lass gut sein. Mir geht es schon besser. <<
>> Brauchst du irgendetwas? <<

>> Nee, ansonsten schicke ich einen Sanitäter. Geht ihr mal zurück zu Andy. <<

Die drei wünschten mir eine gute Besserung und versprachen heute Abend wiederzukommen.

Schnell wurde mir langweilig. Hier gab es nichts, was man hätte machen können. Es gab keinen Fernseher, keine Bücher… nur lauter weitere Betten, die alle leer waren. Ich holte mein Handy aus der Hosentasche und rief Isabel an.

>> Hey Isabel, könntest du mir einen Gefallen tun? <<

>> Aber klar! Was gibt’s? Wie geht es dir? Ich habe gerade Leo und Co getroffen. <<

>> Könntest du mir mein Netbook, die Post von heute und den großen schwarzen Ordner auf die Krankenstation bringen? Wenn ich hier schon den ganzen Tag hier verbringen muss, kann ich wenigstens die Zeit für Büroarbeit nutzen. <<

>> Klar, ich bin gleich da. <<

>> Nur die Ruhe. <<

Der Sanitäter kam mit meinem Mittagessen wieder.
>> An den Luxus könnte ich mich gewöhnen, aber das ist auch das einzig Gute. <<

>> Ich dachte mir, dass du Hunger haben könntest. <<

>> Jetzt wo ich das Essen sehe schon. Vorher war mir speiübel. <<

>> Das ist normal bei einer Gehirnerschütterung. Schlafen soll übrigens helfen. Arbeiten ist nicht die richtige Medizin. <<

>> In meinem Fall hilft arbeiten mehr als schlafen. <<

>> Wenn du meinst. << Der Sanitäter zuckte die Schultern. Es war merkwürdig, dass er mir vorher nie aufgefallen war, aber eigentlich kannte ich von den Sanitätern auch nur Mike.

>> Wo ist Offizier Mike? << Ich hatte keinen anderen Sanitäter bisher gesehen. Wahrscheinlich waren sie beim Essen.

>> Er unterrichtet eine Gruppe Rekruten im Thema medizinische Versorgung. <<

Der Sanitäter wandte sich ohne ein Wort ab und verließ wieder den Raum. Mit ihm ging auch mein Appetit. Ich schob das Tablett auf den Nachttisch. In diesem Moment schneite eine vollgepackte Isabel übermotiviert in den Raum.
>> Wo sollen die Unterlagen hin? <<
>> Leg sie einfach auf den Boden. <<
>> Wie geht es dir? << Isabel setzte sich schwungvoll zu mir aufs Bett.

>> Eigentlich ganz gut. <<

>> Das du aber auch immer den Helm nicht richtig aufhast! << Mit strengen Blick schaute Isabel mich an.

>> Woher hast du das denn? <<
>> Julien hat mir erzählt, dass du zeitweise im Krieg sogar ohne Helm durch die Gegend läufst. <<

>> Wann hat er es dir erzählt? <<
>> Ebengerade als ich meinte, dass ich dir etwas in die Krankenstation bringen muss und ihn gebeten hatte auf meine zwei Gruppen aufzupassen. <<

>> Julien passt auf neununddreißig Kinder auf? << Entsetzt schaute ich Isabel an.

>> Klar! Er macht das wirklich gut. Er ist generell so knuffig. Es ist toll mit ihm zu arbeiten. <<

>> Aha. << Ich rollte die Augen.

>> Ist das dein Essen? << Sehnsüchtig starrte Isabel auf das Tablett.

>> Du kannst es gerne haben. Ich habe keinen Hunger. << Eilig griff sie zu. Isabel aß wie ein Schwein. Essensmanieren hatte man ihr wohl nie beigebracht.

Ihrem Schmatzen entnahm ich, dass es ihr schmeckte.

Mein Handy piepte. Hast du heute schon in die Post geschaut? Pascal. Schnell tippte ich die Antwort. Nein, wieso fragst du? Sofort kam die Antwort. Lass es lieber. Schau morgen rein. Wir haben unsere gerade abgeholt… Ich verstand nicht worauf Pascal hinaus wollte. Was ist los?
Tu dir einmal einen gefallen und schau nicht in die Post! Ein einziges Mal!

>> Was ist los? << Isabel lunzte auf mein Handy.
>> Pascal meinte, ich solle nicht die Post durchschauen, sondern es auf morgen verschieben. <<

>> Und wieso sollst du es auf morgen verschieben? <<
>> Keine Ahnung, aber die anderen habe diesen Brief auch erhalten. <<

Isabel lunzte weiter auf mein Handy. >> Oh verdammt! Ich wollte Julien nicht so lange alleine lassen! Brauchst du noch etwas? <<
>> Nein, geh du nur und grüß die alte Petze Julien von mir. << Grinsend stürmte Isabel aus dem Raum.

Ich lass Pascals Nachricht noch einmal, aber ich wusste immer noch nicht, worauf er hinauswollte.

Neben mir auf dem Boden lag die Post. Eigentlich brauchte ich mich nur hinunter zu beugen und die Post durchzusehen, dann würde ich wissen, was Pascal meinte. Doch ich zögerte. Pascal würde mir diese Nachricht nicht einfach so schicken, vielleicht sollte ich doch bis morgen warten. Aber etwas vor sich hinschieben, machte die Sache auch nicht besser.

Ich beugte mich nach vorne und hob die Post auf. Zwei Briefe waren von den anderen Ausbildungsleitern und einer von Sascha. Die Berichte der beiden Ausbilder legte ich zurück und öffnete den Brief von Sascha. Es war ein kurzer Brief, in dem Sascha sich für sein Verhalten mir gegenüber entschuldigte und um eine weitere Woche Urlaub bat. Mehr hatte er nicht geschrieben. Davor wollte Pascal mich sicher nicht warnen. Auf dem Boden lag noch ein Briefumschlag und auf ihm war klar und deutlich das Symbol der Armee abgebildet. Ich starrte den Dolch an. Auf einmal war ich mir nicht mehr so sicher, ob ich wirklich wissen wollte, was in dem Brief stand. Der Dolch hatte noch nie etwas Gutes bedeutet. Er war auf den Umschlägen meiner Einberufungsbefehle und auf Pauls Brief gewesen. Jeder dieser Briefe hatte schreckliche Ereignisse mitgebracht. Mit zittrigen Händen hob ich den Brief auf und öffnete ihn. Der erste Satz brachte mich vollkommen aus der Fassung. Einberufungsbefehl für Oberleutnant Zora. Ich spürte weder das Hämmern in meinem Kopf, noch sonst irgendwas. Es fühlte sich an, als würde ich in ein tiefes Loch fallen ohne jemals unten aufzuschlagen. Vor meinen Augen kreiste dieser eine Satz ununterbrochen. Ich versuchte die Buchstaben mit der Hand wegzuwischen, aber sie verschwanden nicht. Es kam mir vor, als hätte man mir mit diesem einen Satz den Boden unter den Füßen weggezogen. Panik stieg in mir auf. Was sollte ich jetzt machen? Ich fing an zu hyperventilieren. Ich sah immer wieder Kriegsszenen vor mir. Sie blitzen auf, wie eine Warnblinkanlage. Der riesige Raum kam mir nur noch winzig vor und ich musste hier raus. Schnell stand ich auf. Ich war immer noch sehr wacklig auf den Beinen. Stolpernd verließ ich den Raum, aber wo sollte ich hin? Wie ein Geist stolperte ich durch die Flure, bis ich eine Tür fand, die nicht abgeschlossen war. Sie führte ins Treppenhaus. Mühsam schlich ich die Treppen hinauf. Bei keiner Etage machte ich stopp. Erst als ich am Ende der Treppe ankam und die Tür aufstieß, ging es mir besser. Ich war auf dem Dach der Krankenstation. Hier oben füllte ich mich frei. Hier waren keine Mauern, die mich einzäunten, nur der Himmel. Ich setzte mich an den Rand des Daches und lehnte mich an den einen Schornstein. Sobald ich saß, liefen mir die Tränen über mein Gesicht. Wann sollte dieser Spuck denn endlich enden? Wie lange sollte ich noch so gestraft werden? Welches Verbrechen war so schlimm, dass diese Strafe angemessen war? Müde sackte ich an den Schornstein gelehnt zusammen und schlief ein.

 

>> Zora! << Ich wachte immer noch erschöpft auf. >> Zora, da bist du ja! << Ich drehte mich langsam um. Mike kam auf mich zu gelaufen. >> Was machst du da an der Kante? Komm da sofort weg! Das ist gefährlich! << Mike zog mich unsanft, wie einen Sack Kartoffeln, von der Kante weg. >> Wir haben dich die ganze Zeit gesucht! << Ich zuckte nur mit den Schultern und starrte auf die untergehende Sonne.

>> Was ist los? <<

>> Als ob du das nicht wüsstest. <<

>> Also ist es nur der Einberufungsbefehl. <<
Böse schaute ich Mike an. >> Nur? Es ist nur der Einberufungsbefehl. <<

>> So war das doch nicht gemeint. <<
>> Ach und wie dann? << Ich wandte mich von Mike ab.
>> Ich dachte, es wäre noch etwas passiert, dass du hier oben bist. <<

>> Weil ein Einberufungsbefehl auch nicht Grund genug ist, hier oben zu sitzen! <<
>> Um ehrlich zu sein, ist es auch nicht Grund genug hier oben zu sitzen! Du bist doch keine blutige Anfängerin mehr! Zora, du hast schon drei Jahre überstanden, sollte es nicht langsam zur Rutine für dich werden? <<

>> Erstens ist Rutine die Gefahr der Gewohnheit und wer sich an etwas gewöhnt, wird unvorsichtig. Zweitens wird ein Kriegsjahr nie zur Rutine und drittens hast du gut reden! Du wirst nicht in den Krieg müssen! Du wirst hier im Camp bleiben können und dich um die Rekruten kümmern. Du musst nicht auf einem Schlachtfeld stehen und deine Kameraden sterben sehen! <<

>> Jetzt wirst du unfair, Zora! Ich habe mir den Verlust meines Beines garantiert nicht ausgesucht! Ich kann nichts dafür, dass ich kriegsuntauglich bin! Bau nicht an mir deine Wut ab! Ich wäre jetzt lieber bei meiner Einheit, anstatt als Kriegsunfähiger den Krieg in diesem Camp zu verbringen! <<

Ich kniff die Augen zu zwei Schlitze zusammen und funkelte Mike böse an. >> Weißt du was, du kannst mich mal! << Ich wollte an ihm vorbei runter vom Dach. Meine Freiheit hier oben war mit Mikes Auftauchen verschwunden.

>> Wo willst du hin? << Mike hielt mich fest.

>> In meine Wohnung. <<

>> Du willst dich einfach verkriechen? Davon gewinnt man keinen Krieg. Wie willst du deine Einheit gegenübertreten? Wie willst du sie in den Krieg führen, wenn du dich einfach in deiner Wohnung versteckst? <<

>> Was willst du? Du hast mir nicht zu sagen, was ich tun oder lassen soll! <<

>> Ich würde mich an deiner Stelle mit den Chaoten treffen und mit ihnen die Kriegsprotokolle und die Zuwachsliste durchgehen. Damit hast du schon mal eine Vorbereitung für die Einsatzbesprechung. <<

>> Ich brauch keine Vorbereitung, da ich sowieso nicht vor habe zu dieser Besprechung zu gehen! <<

>> Wo ist nur die alte Zora? Früher hättest du dich nicht so unterkriegen lassen. <<

>> Die alte Zora gibt es nicht mehr! Seit Früher ist viel passiert! <<

>> Das glaube ich nicht. Ich glaube, sie versteckt sich nur. Das bist nicht du. Du wärst früher nie so mit den Rekruten umgegangen. Du wärst Lebensfroher und nicht so ernst gewesen. Und vor allem wärst du nicht so in Selbstmitleid ertrunken, wie du es jetzt tust. Man möchte sich glatt fremdschämen für dein Verhalten. Als würde dieser Einberufungsbefehl nur dich betreffen. Wie du schon sagtest, da draußen kämpfen schon Soldaten, die ihre Kameraden sterben sehen müssen. Die ertrinken auch nicht in Selbstmitleid. Die kämpfen! <<

Ich starrte Mike fassungslos an. So hatte er noch nie mit mir gesprochen und er war noch nicht fertig. >> Wenn du noch etwas von dem Respekt und der Ehre haben willst, die dir einst gebührte, dann gib dir einen inneren Ruck und hör auf dich hinter dieser Fassade zu verstecken. Früher… <<

Mir platzte der Kragen. Mike hatte mir gar nichts zu sagen. Er war nur ein billiger Leutnant und damit unter mir im Rang.

>> Hör mir auf mit deinem Früher! Früher war die Welt besser… Du hörst dich an wie ein Greis! Soll ich dir mal sagen, was dein Problem ist. Du kommst mit der Gegenwart nicht klar und deshalb bleibst du in der Vergangenheit hängen, aber das hilft dir auch nicht zu entkommen! Finde dich endlich damit ab, dass es deine alte Zora nicht mehr gibt! Entweder du kommst damit klar oder du lässt es sein! Aber ich lasse mich von dir garantiert nicht so anschnauzen! Du hast mir nicht zu sagen, was ich mache oder wie ich mich verhalten soll. Du musst nicht in den Krieg! Du bist kein Einheitsführer! Dein Dasein als Krüppel hat dir das Leben gerettet. Jetzt lass mich einfach in Ruhe. Deine Moralpredigen kotzen mich an! << Ich riss mich von ihm los und verließ das Dach. Es war mir so egal, ob ich ihn mit meinen Worten verletzt hatte. Lange würde ich ihn sowieso nicht mehr sehen. Mike folgte mir nicht. Er rief mir auch nichts nach. Er blieb einfach wie angewurzelt stehen und tat gar nichts.

 

Ich marschierte in mein Krankenzimmer und packte mein Zeug zusammen. Erst wollte ich in meine Wohnung gehen und mich hinlegen, aber ich musste Mike in einem Punkt rechtgeben. Es wäre sinnvoller sich mit den Chaoten zusammen zu setzten und schon mal die bevorstehenden Ereignisse besprechen. Ich seufzte und lief dann in den Soldatentrakt zu der Wohnung der fünf.

Zaghaft klopfte ich an. Sofort ging die Tür auf und Jake stand vor mir.
>> Oha du siehst ja schei… <<

>> Hallo Jake, das Kompliment kann ich nur erwidern. <<

>> Was will man machen. << Jake zuckte mit den Schultern. >> Komm doch rein. <<

In der Wohnung hing dichter Zigarettenqualm. Sie hatten die Rollläden runtergelassen. Das eine Zimmer wurde nur von einer Schreibtischlampe erleuchtet. >> Seid wann raucht ihr wieder? <<

>> Seit heute. << Von dem einen Bett in der hintersten Ecke des abgedunkelten Raums kam Andys Stimme. Von wegen den anderen ging es besser. Aus dem Nachbarraum hörte man ein Fluchen und kurz danach flog etwas gegen die Wand.
>> Pascal versucht sich mit Ego-Shootern abzuregen. << Jake brachte mir einen Stuhl.

>> Funktioniert ja super. Pass auf, sonst macht er den Kontroller kaputt. << Ich setzte mich an den Tisch.

>> Wäre nicht der erste. Pascal rastet immer aus wenn er verliert. Heute ist es aber besonders schlimm. <<

>> Wo sind Leo und Julien? <<

Jake zündet sich eine Zigarette an. >> In ihrem Zimmer. Leo versucht Julien zu trösten. Er hat sich, nachdem er den Brief gelesen hat, auf sein Zimmer verzogen und angefangen zu weinen. <<

>> Es ist doch verwunderlich, wie stark diese Nachricht uns trifft, obwohl wir alle wussten, dass der Brief kommen würde. <<

>> Ich habe aber nicht damit gerechnet, dass er so bald kommen würde. Vor drei Wochen ging er erst los und schon setzt der Staat alle Mittel ein, die ihm zur Verfügung stehen. Ist es nicht ein Zeichen, dass wir verlieren werden? Ich meine, war es bei anderen Ländern, die gegen die schwarze Armee kämpften, nicht auch so. Am Anfang halfen sie gegen die Armee vorzugehen, wenn sie aber dann direkt von ihr angegriffen wurden, verloren sie in kurzer Zeit eine große Anzahl an Truppen und verspielten ihre Stärken bis es für die schwarze Armee ein leichtes war, in das Land einzuwandern. Wird es bei uns genau so gehen? <<

>> Das habe ich mich auch schon gefragt, aber wir sind im Gegensatz zu den anderen nicht alleine. Wir haben Alliierte. <<

>> Die hauen doch auch sofort ab, wenn die Verluste zu groß werden. << Andy schaltete sich aus seiner Zimmerecke in das Gespräch ein.

>> Die Antworten werden wir nur mit der Zeit bekommen. Ich wollte eigentlich mit euch die Liste von neuen Soldaten durchgehen. Und den Rest, der mir als Einheitsführer geschickt wurde. <<

>> Wollen wir damit nicht warten, wenn auch der Rest der Truppe da ist? << Pascal kam zu uns. Und griff sich die Zigarettenpackung. Er hatte rotgeränderte Augen und war sonst ganz blass.

>> Auf wen wollen wir groß warten. Du weißt, dass wir das letzte Mal die Hälfte der Einheit verloren haben. Josh, Jasmin, Aric, Felix, die kleine Lina, George, Celine, Manuela, Julian… <<

>> Ja, es war nur aus Gewohnheit. Du brauchst die Liste nicht weiteraufzuzählen! Ich weiß, wen wir verloren haben! Ich war dabei! << Wenn Pascal etwas bedrückte, wurde er schnell laut und Aggressiv, dass durfte man ihm nicht übel nehmen. >> Ich weiß auch, dass Bennie, Bene, Constantin, Daniel, Robin, Seppel, Pia und Jenny aus dem Kriegsdienst genommen wurden und jetzt in der Klapse festhocken und da so schnell nicht rauskommen. <<

>> Das letzte Jahr war aber auch hart! Erst wurden wir in unserem Lager angegriffen und dann in die Wüste gejagt, in der wir fast alle verhungert wären. Dann die Gefangennahme von den acht und die Flucht in die Katakomben der Hauptstadt. Das war kein fairer Krieg. Aber wann gibt es so einen schon? <<

Wir schwiegen alle einen Moment.

>> Ich hole Leo und Julien. << Andy stand auf und kam vor zu uns ins Licht. Erst jetzt sah ich, dass er nur in Jogginghose gekleidet war. Andys Oberkörper war an manchen Stellen böse vernarbt. An den Stellen, an den er keine Narben hatte, wanderten Tattoos über seine Haut. Er war sehr gut durchtrainiert. Er schlürfte weiter auf den Flur und man hörte nur noch drei laute Schläge gegen eine Tür. >> Kommt raus! Einsatzbesprechung! <<

Die Tür wurde geöffnet und Leo kam über den Flur geschlürft, aber Julien diskutierte leise mit Andy. Ich konnte nicht verstehen, was er sagte. Das einzige, das ich verstehen konnte, waren Andys barsche Antworten.

>> Julien, hör auf rum zu heulen und verhalte dich endlich wie ein Mann! Du bist doch kein Baby mehr! <<

Andy und Julien, der von Andy am Kragen gepackt worden war und mehr gezogen werden musste, als das er freiwillig lief, kamen zu uns. Sie setzten, oder besser Andy setzte sich und Julien zu uns.

>> Viel sagen, brauche ich ja nicht mehr. Ihr alle wisst, was auf uns zu kommt. Ich wollte mit euch nur die Liste der neuen Soldaten durchgehen und die Kriegsprotokolle lesen. <<

>> Schieß los. << Jake zündete sich jetzt schon seine dritte Zigarette in den zehn Minuten an, in denen ich in der Wohnung der Jungen saß.
>> Für übermorgen wurde ich und mein Stellvertreter Jake zu der Einsatzbesprechung eingeladen. Sie findet um 12 Uhr im Quartier statt. Wenn wir nicht erscheinen, bekommen wir die Pläne per Kurier zugesendet <<

>> Momentmal! Seit wann bin ich stellvertretender Einheitsführer? Das war doch Sascha! << Mir fiel der Fehler erst auf, als Jake Einspruch erhob. Ich hatte einfach den Text überflogen und zusammengefasst wiedergegeben und nicht auf die Aussagen geachtet. Andy nahm sich die Listen aus dem Briefumschlag und überflog sie schnell.

>> Sascha steht hier nicht drauf. Ich habe alle von uns gefunden. Alle außer Sascha! Nach Jake kommt ein Rekrut, den ich nicht kenne. << Er gab mir die Liste und ich schaute auch nochmal nach, aber Andy hatte recht, Saschas Name war auf der Liste nicht zu finden.

Ich nahm mir die zweite Liste vor, auf ihr waren alle ehemaligen Soldaten meiner Einheit aufgelistet, die nach dem letzten Kriegsjahr nicht mehr in meiner Einheit waren. Dort fand ich an unterster Stelle Sascha.

>> Tatsache, Sascha ist nicht mehr in unserer Einheit. Er wurde vom Kriegsdienst befreit. <<

Neben mir haute Jake wütend auf den Tisch. >> Auf die Erklären bin ich gespannt. << Er nahm sein Handy aus der Hosentasche und stand auf. Nachdem er den Raum verlassen hatte, herrschte ein betretendes Schweigen. Jeder wusste wie unzertrennlich die beiden eigentlich waren.

>> Soviel zum Thema, Zwilling haben untereinander keine Geheimnisse. << Andy brach das Schweigen. >> Wie denn auch sei, das müssen die beiden untereinander klären. Wenn bekommen wir alles in die Einheit? <<

Ich schob Andy die Liste zu. Eigentlich wollte ich jetzt nicht einfach weitermachen. Jake wirkte ziemlich enttäuscht, als er den Raum verlassen hatte. Was für ein Gefühl musste es sein, von seinem eigenen Zwillingsbruder verlassen worden zu sein. Die beiden hatten sich geschworen, alles zusammen durchzustehen und jetzt würde einer alleine in den Krieg müssen. Hoffentlich würde es nicht die starke Bindung der beiden zerstören. Ich merkte, dass Andy aufgehört hatte vorzulesen. Leo tippte mich an. >> Clara Kneipp ist doch deine adoptierte Schwester oder? <<

>> Ja, wieso? <<

>> Sie ist bei uns in der Einheit. <<

>> Das kann nicht sein. Clara ist erst seit vier Monaten im Lager. Das muss ein Fehler sein. <<

>> Nein, das ist kein Fehler. Die besten aus deiner Elitegruppe sind bei uns in der Einheit. <<

Ich nahm Andy die Liste ab. Leo hatte recht. Zehn meiner Leute standen auf der Liste und drei aus Isabels Gruppe. Außerdem stand Isabel selbst auch auf der Liste.

>> Isabel ist auch bei uns in der Einheit. <<
Wir alle schauten zu Julien. Auf dessen Gesicht spiegelte sich eine Mischung aus Entsetzten und Freude wieder.

Bevor Julien etwas dazu sagen konnte, betrat ein fuchsteufelswilder Jake den Raum. Er schmiss mit voller Kraft sein Handy gegen die Wand, das daraufhin in mehrere Stücke zerbrach.

>> Und so etwas nennt sich Zwillingsbruder! << Jake kam zu uns an den Tisch und krallte sich die Zigarettenpackung. Ich hatte Jake noch nie so wütend erlebt. Er war, mit Ausnahme von Leo, der immer ein Pokerface hatte, der ruhigste und geduldigste von allen. Es war schwer ihn aus seiner inneren Ruhe zu bringen. Dieser Wutanfall würde mehr zu Pascal oder Andy passen. Es zeigte wie sehr er von seinem Zwillingsbruder enttäuscht war.

>> Hey Jake, komm runter! << Andy legte ihm von hinten eine Hand auf die Schulter. Jake fuhr herum und schaute Andy tief in die Augen. Einen Augenblick lang dachte ich, Jake würde Andy eine Klatschen, doch er senkte den Kopf und lehnte sich an Andys Schulter. Andy nahm seinen Freund in den Arm und redete ihm gut zu. Es war schon ein komisches Bild die beiden so zu sehen. Jake, der still weinte und Andy, der ihm etwas zu flüsterte und ihm über den Rücken strich.

>> Jake, was hat Sascha gesagt? << Pascal stand auf.

Leicht gedämpft hörte man Jake in Andys Schulter sprechen. >> Er hat gar nichts gesagt. Er hat mich zwei Mal weggedrückt. Erst beim dritten Anruf ist er ranggegangen und als ich ihn dann gefragt habe, was das soll, meinte er nur es wäre besser so. Wir könnten nicht immer zusammen sein und ich solle meinen eigenen Weg gehen und die Abmachung vergessen. Daraufhin hat er aufgelegt. <<

>> Was ein Kameradenschwein! << Andy schüttelte frustriert den Kopf. >> Das hätte ich Sascha nicht zu getraut! <<

Ich fühlte mich fehl am Platz. Die Jungs standen alle beieinander und ich saß abseits am Tisch.
>> Ich muss das erstmal verdauen. Kommt jemand mit, ich lauf die Hindernisstrecke. << Jake ging zur Tür. Die anderen vier nickten. Jake schaute zu mir. >> Kommst du auch mit? <<

Ich schüttelte den Kopf. >> Nein, ich bin müde, außerdem darf ich noch keinen Sport machen. << Ich deutete auf meinen Kopf.

>> Ach das hatte ich ganz vergessen. <<

Zusammen mit den Jungs verließ ich das Gebäude. Sie begleiteten mich ein Stück zu meiner Wohnung, mussten aber dann einen anderen Weg nehmen.

>> Gute Nacht. << Ich winkte ihnen zu. Sie winkten zurück und joggten fort.

Ich ließ mich in meinem Heim sofort ins Bett fallen, doch sobald ich lag, war jegliche Müdigkeit von vorhin verschwunden. Ich musste an Clara denken. Wie konnte man ein so junges Mädchen in den Krieg schicken? Wie viel konnte Clara ertragen? Würde Clara mich hassen? Ich hatte ihr doch versprochen, dass sie nicht in den Krieg musste.

Ich konnte nicht weiter in meinem Bett liegen bleiben. Ich musste Clara sehen!

Leise schlich ich durch die Korridore des Rekrutenhauses. Hoffentlich schliefen alle in Claras Zimmer schon. Meine Hoffnung wurde nicht erhört. Man konnte sehen, dass in ihrem Zimmer Licht brannte. Der Türschlitz verriet sie. Erst wollte ich umdrehen, doch dann wurde mir klar, dass ich diese Chance nutzen musste und Clara die Nachricht persönlich überbringen sollte. Ich klopfte an. Ein zierliches Mädchen öffnete mir. Sie hieß Annabell, war vorkurzem erst sieben geworden und auch wenn man es ihr nicht zu trauen würde, in meiner Elitegruppe und wenn ich mich richtig erinnerte, jetzt auch in meiner Einheit.

>> Hallo Annabell, darf ich reinkommen? <<
>> Natürlich, Oberleutnant Zora. << Sie machte mir Platz.

>> Nicht so förmlich. Ich bin zurzeit ausnahmsweise mal nicht eure Ausbilderin. <<

>> Sondern? << Benedikt, einer der frechen aus meiner Gruppe, grinste mich an. Ihm fehlten die beiden oberen Schneidezähne und die neuen waren noch nicht nachgewachsen, zusammen mit seinen Sommersprossen ähnelte er Michel aus Lönneberger. Er war einer der ältesten mit seinen acht Jahren. Er hatte Glück gehabt, dass er erst nach dem Abholtermin acht wurde und erst eineinhalb Jahre in diesem Lager war.

>> Das muss ich euch jetzt erklären, darf ich mich setzten? <<

Benedikt machte einen nachdenklichen Gesichtsausdruck, als ich dann mahnend die Augenbraue hochzog, zuckte er mit der Schulter und klopfte neben sich auf sein Bett.

>> So mal Spaß beiseite. Mein später Besuch hat einen ernsten Hintergrund. Ich möchte euch die Nachricht gerne selbst überbringen, bevor ich sie morgen allen sage. <<

>> Was ist los. << Clara erkannte sofort, dass etwas nicht stimmte.

>> Der Krieg verläuft nicht so, wie der Staat es sich erhofft hatte. Viele Einheiten sind geschwächt. Aus diesem Grund werde ich in drei Tagen mit meiner Einheit aus dem Lager abrücken und an die Front gehen. Wir wurden einberufen. <<

Geschockt starrten die die fünf mich an. Annabell hatte Tränen in den Augen und die Geschwister Chris und Lars fragten wie aus einem Mund. >> Wer leitet dann das Lager und trainiert uns? <<

>> Wer das Lager leitet, weiß ich noch nicht, aber ich weiß, dass ihr nicht mehr trainiert werdet. <<

Lars schaute mich fragend an, doch seine Schwester Chris hatte verstanden, was ich meinte und stieß einen heiseren Schrei aus. >> Wir kommen mit? << Mit großen ängstlichen Augen schaute sie zu mir. Ich konnte nicht antworten. Das Entsetzen auf den Gesichtern der Kinder schnürte mir die Kehle zu. Ich hatte ihnen ihren Traum zerstört. Langsam nickte ich. Die beiden Geschwister fielen sich weinend in die Arme und Annabell kroch mit Tränen in den Augen zu Benedikt, der ihr über den Kopf streichelte. Ihm selbst liefen die Tränen auch übers Gesicht. Die einzige, die ruhig blieb, war Clara. Sie stand von ihrem Bett auf und setzte sich zu den anderen. >> Seht es positiv, wir sind bei Zora in der Einheit. Sie weiß was wir können und wird uns nicht überfordern. Außerdem weiß ich, dass sie das Beste tun wird, um uns zu schützen. Wir haben echt Glück, wir hätten auch bei irgendeinem anderen in der Einheit landen können, der uns nicht kennt. <<

>> Oder wir hätten einfach nicht in den Krieg gemusst. << Lars, der seine zehn Monate jüngere Schwester im Arm hatte, schaute zu Clara auf.
>> Du weißt, dass wir in den Krieg gemusst hätten, sonst wären wir nicht hier in diesem Lager. Vielleicht hätten wir es irgendwie geschafft, diesen Krieg zu überspringen, aber irgendwo auf der Welt gibt es immer Krieg. Sicher ist unser Leben einfach nicht! <<

Ich war erstaunt über Claras Reaktion, aber sie hatte recht. Vielleicht war es sogar gut, dass sie bei mir in der Einheit war, dann konnte ich sie beschützen. Natürlich wäre es mir lieber gewesen, wenn sie gar nicht in den Krieg muss, aber diese Möglichkeit stand nicht zur Wahl.

 

Kapitel 13

 

Kapitel 13

Der Tag ist gekommen. Morgen rücken wir aus dem Lager ab. Die letzten Tage hat meine Einheit separat trainiert. Die, die nicht in meine Einheit gekommen sind, wurden in andere Gruppen aufgeteilt. Ich habe trotz meiner Gehirnerschütterung mit trainiert. Die Kleinen haben sich tapfer geschlagen und sich gut in das Team eingelebt. Natürlich können sie nicht die gleichen Leistungen vollbringen wie wir. Eine Annabell wird niemals mit einem Andy mithalten können. Aber für ihr Alter hätten sie kaum bessere Ergebnisse erzielen können. Trotzdem bleibt die Frage offen, ob diese Leistung für den Krieg reicht. Immerhin kämpfen wir gegen ausgebildete, erwachsene Soldaten, die auch vor einem Kind nicht zurückschrecken. Es sind ausgebildete Killermaschinen, die nur einen Befehl kennen TÖTEN. Für uns ältere ist das Problem geringer. Wir sind alle in dem Alter, in dem im Normalfall Soldaten ausgebildet werden. Wir alle haben eine jahrelange Ausbildung genossen und schon Erfahrung. Wir sind vielleicht nicht besser als die Soldaten der schwarzen Armee, aber wir sind ihnen zu mindestens gleichgestellt. Wer kann schon behaupten länger als ein Jahrzehnt ausgebildet geworden zu sein? Und das mit sechzehn? Andy und Jake sind neunzehn. Sie hatten noch drei Jährchen länger als ich. Sie wurden fünfzehn Jahre lang ausgebildet, das ist die halbe Lebenszeit eines Durchschnittssoldaten in der schwarzen Armee. Das soll ihnen erstmal einer nachmachen.

Die Kleinen haben aber nur eine Ausbildung von vier Monaten bis eineinhalb Jahre, das ist verdammt wenig. In dieser Zeit macht man seine Grundausbildung als erwachsener. Gut, sie sind weiter als die Grundausbildung, viel weiter. Aber reicht diese kurze Zeit alles so zu festigen, dass es im Ernstfall auch immer noch gelingt? Und wie ist es mit der fehlenden Erfahrung? Wie sollen sie diesen Teil ausgleichen. Sie kennen den Krieg nur aus Erzählungen, Büchern und Filmen, aber es ist etwas ganz anderes ihn selbst zu erleben. Wie viel halten sie aus? Sie sind Kinder im Alter von sieben bis acht Jahren. Normalerweise würden sie jetzt die zweite und dritte Klasse besuchen und mit ihren Freunden Räuber und Gendarm oder Jungs-fangen-die-Mädchen spielen, stattdessen laufen sie in Kriegsuniform durch die Gegend und bereiten sich wie kleine Erwachsene auf ihr erstes Kriegsjahr vor.

Können diese Kinder eine Geiselnahme überleben oder einen Monat im Schützengraben? Was ist wenn wir von der schwarzen Armee gejagt werden und fliehen müssen? Werden sie diese Flucht durchhalten? Wie viele Verluste können sie ertragen? Und wie viele von ihnen werde ich verlieren? Wen werde ich verlieren?

All diese Fragen schwirrten in den letzten Tagen, vierundzwanzig Stunden lang durch meinen Kopf.

Im Lager wurden die Kleinen respektvoll von den anderen behandelt. Für sie waren sie keine Rekruten mehr, sondern große Soldaten.

Generell veränderte sich viel im Lager. Das Lazarett wurde vergrößert, um dort auch Kriegsverletzte behandeln zu können. Das schlimmste war, dass immer noch nicht feststand, wer neuer Leiter werden sollte. Niemand aus dem Quartier wollte mir etwas dazu sagen und auch so gab es keine öffentliche Nachricht. Diese Ungewissheit nagte an der Laune aller. Ein Lager ohne Leiter würde nicht funktionieren, außerdem brauchten wir dringend neue Ausbilder. Ich hatte schon viele E-Mails und Faxe in den letzten drei Tagen an das Quartier geschickt, doch kam nie eine Antwort.

 

Ich saß zusammen mit meiner Einheit auf einem Stück Wiese hinter dem Lazarett. Wir erholten uns gerade in der Sonne von einer Trainingstour, als Mike an uns vorbei kam. Langsam steuerte er auf uns zu. Seit unserem Streit auf dem Dach hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Ich hatte es aber auch nicht für nötig gehalten mich bei ihm zu entschuldigen. Ich war immer noch sauer auf ihn. Zugegebenermaßen war ich etwas unfreundlich zu ihm gewesen.

>> Zora? <<

>> Was willst du? <<

>> Mit dir sprechen. <<

>> Was gibt es den so wichtiges. <<

>> Das würde ich dir gerne privat sagen. << Ungeduldig kaute Mike auf seiner Unterlippe rum.

>> Du siehst doch, dass ich nicht kann. <<

>> Stimmt, du siehst wirklich sehr beschäftigt aus! Aber vielleicht könntest du doch etwas von deiner kostbaren Zeit opfern und für zwei Minuten mit dem Krüppel kommen. << Bittere Sarkasmus schnitt aus Mikes Stimme. Clara pikste mir in die Seite und signalisierte mir mit einem Kopfnicken, dass ich gehen sollte. Mit einem genervten Stöhnen stand ich auf. >> Aber wirklich nur für zwei Minuten! Mehr Zeit habe ich nicht. <<

>> Wie gütig von dir. << Mike rollte mit den Augen. Ich folgte ihm um die Ecke des Hauses.

>> Also was gibt es so wichtiges, dass du mir nicht vor meiner Einheit sagen kannst? <<

Mike stand einfach nur kopfschüttelnd vor mir.

>> Hallo! Ich rede mit dir! Erde an Mike, bitte melden. Ihre zwei Minuten sind gleich vorbei. <<

>> Spielst du jetzt die High-School-Zicke? <<

>> Wieso? <<

>> Weil…Ach egal, ich möchte die Dame nicht mit meinem ewigen Früher nerven. <<

>> Warum sollte ich kommen? <<

>> Weil ich dich fragen wollte, ob du dich von Matze und Zacharias verabschiedet hast. <<

>> Was geht dich das an? Aber falls es dich beruhig. Ich habe beiden einen Brief geschrieben, dieser wird allerdings erst ankommen, wenn ich bereits abgereist bin. <<

>> Du verabschiedest dich nicht persönlich? <<

>> Nein, warum sollte ich? << Ich verschränkte die Arme vor der Brust.

>> Weil sie deine Freunde sind. <<

>> Na und, ich bin nicht der Typ von schnulzigen Verabschiedungen mit viel Tränen. Auf so etwas habe ich keinen Bock. <<

>> Da erinnere ich mich an etwas ganz anderes. <<

>> Dann tu das, aber ich sag dir eins, Menschen verändern sich mit der Zeit! Ich habe mich verändert! Ich habe vieles durchgemacht in den letzten Monaten und ich werde in den nächsten Monaten noch vieles durchmachen müssen. Ich habe mich verändert und wenn es dir nicht passt, dann renn mir nicht hinter her. Ich bin ich und ich verstecke mich nicht hinter irgendeiner Fassade! <<

>> Das habe ich alles eben überhaupt nicht behauptet! <<

>> Eben nicht, aber auf dem Dach schon. <<

>> Soll ich dir mal was sagen, jetzt machst du auf hart und cool, aber sobald du durch ein Ereignis getroffen wurdest, wirst du wieder in Selbstmitleid ertrinken. Du bist nämlich doch nicht so hart und cool. Im inneren bist du durch Clara und deine Freunde verdammt verletzlich und damit ein gutes Ziel. <<

>> Du hast keine Ahnung, wie es in meine inneren ist! Hast du sonst noch etwas Wichtiges? Ich würde nämlich jetzt gerne zurück zu meiner Einheit gehen! <<

>> Tu das. <<

Daraufhin drehte ich mich um und marschierte zurück. Doch meine Einheit saß nicht mehr träge in der Sonne, sondern stand am Zaun zum Parkplatz. Als ich hinter sie trat sah ich den Grund dafür. Auf dem Parkplatz standen sich Jake und Sascha gegenüber. Neben Sascha standen zwei Maxicosi auf dem Boden. Wütend stand Jake vor seinem Bruder. Etwas weiter hinter Jake stand Andy und noch ein Stück weiter dahinter standen Leo, Pascal, Julien und Isabel. Julien umarmte Isabel von hinten. Die beiden waren wirklich ein süßes Paar, auch wenn ich mich noch daran gewöhnen musste. Seit zwei Tagen waren sie offiziell zusammen, aber jeder wusste, dass da vorher schon etwas gelaufen war.

Schnell lief ich zu Jake und Sascha auf den Parkplatz. So angespannt wie Jake dastand, wusste ich nicht, zu was er vor Wut fähig war.

>> Was erdreistest du dich, hier wieder aufzutauchen? <<

>> Jake, ich kann verstehen, dass du sauer auf mich bist. Bruderherz ich kann dir das erklären. <<

>> Du bist nicht mehr mein Bruder. Du hast unseren Packt gebrochen und mich im Stich gelassen, dass wird dir noch leid tun! <<

>> Sind wir jetzt im Kindergarten angekommen? Komm runter, Jake. << Sascha wollte Jake eine Hand auf die Schulter legen, doch dieser wich zurück.

>> Fass mich nicht an! << Jake fauchte diese Worte schon fasst und auch Sascha merkte jetzt, dass sein Bruder so leicht nicht zu besänftigen war.

>> Jake, bitte! <<

>> Was hast du erwartet? Dass ich dir freudig um den Hals falle? Ich wurde noch nie so enttäuscht! Ich dachte wir hätten keine Geheimnisse vor einander! Da habe ich mich ganz schön getäuscht! Was willst du hier? Warum bist du nicht im Norden geblieben und hast mich in Ruhe gelassen? Du wolltest doch schon immer mit deiner Familie am Meer wohnen. Hier unten kannst du das Meer lange suchen. Verschwinde dahin, wo du hergekommen bist! Es will dich niemand hier sehen. Du bist so ein Kameradenschwein! Gehst ohne ein Wort aus der Einheit und lässt uns alle hängen! <<

Jetzt war es Zeit dazwischen zugehen, bevor Jake völlig ausrastete.

>> Jake, das reicht. Lass deinen Bruder erstmal erklären, was er hier möchte. <<

>> Danke Zora. Ich bin hier, weil ich die Leitung des Lagers übernehmen soll, solange Zora im Krieg ist. <<

>> Aha, ein Lager leiten kannst du, aber für den Krieg bist du dir als Vater zu fein! << Ich stellte mich zwischen die beiden und schob Jake langsam weg. Andy kam zu uns und umarmte seinen Freund von hinten und hielt ihn so davon ab, auf Sascha loszugehen.

>> Nadja hat die Geburt von Jake und Christian nicht überlebt. Ich bin alleinerziehender Vater und wurde deshalb vom Kriegsdienst befreit. <<

>> Das tut mir leid, Sascha. Das erklärt natürlich einiges. <<

>> Es erklärt aber nicht, wie du den Packt brechen konntest. <<

>> Ich wollte Jake und Christian nicht in ein Heim geben. Dort wäre es ihnen genau so gegangen wie uns. Ich wollte nicht denselben Fehler machen wie unser Vater. <<

>> Was war an diesem Fehler so schlimm? Wie hatten immer noch uns! <<

>> Hat dir nie ein Vater oder eine Mutter gefehlt? <<

>> Nein, was ich nicht kannte, brauchte ich nicht. Ich hatte dich und das war alles was ich brauchte. Ich füllte mich so eng mit dir verbunden, dass da kein Platz für eine Mutter oder einen Vater gewesen wäre. <<

>> Ich möchte das Jake und Christian einen Vater und einen Onkel haben. << Sascha kam langsam auf Jake zu.

>> Warum Jake? Warum hast du deinen Sohn Jake genannt? Als Erinnerung an mich, weil du davon ausgehst, dass ich den Krieg nicht überlebe? Oder warum? <<

>> Weil ich dir zeigen wollte, wie wichtig du mir bist. <<

>> In dem du deinen Sohn den gleichen Namen wie seinem Onkel gibst? Toller Beweis! Das arme Kind ist sein Leben lang gestraft. Wer möchte schon der Ersatz für seinen Onkel sein. <<

>> Warum Ersatz? <<

>> Weil ich nach dem Krieg nicht mit dir deine Söhne aufziehen werde! Ich werde nicht bei dir wohnen und den lieben Onkel Jake spielen! Ich mach das, was du wolltest. Ich gehe meinen eigenen Weg und der führt mich so weit wie möglich von dir weg! Am besten fange ich gleich damit an! Tu mir einen Gefallen und halt dich von mir fern. Ich habe keine Lust, dich bis morgen öfter als nötig zu sehen. << Damit drehte Jake sich um und marschierte vom Platz, die anderen folgten ihm.

>> Ich habe die ganze Einheit gegen mich aufgebracht. << Traurig schüttelte Sascha den Kopf.

>> Du hättest dich nicht so abkapseln dürfen. Für sie bist du jetzt ein Kameradenschwein und das wirst du leider auch bleiben. <<

Sascha seufzte und hob die beiden Maxicosi hoch. >> Wo soll ich bis morgen wohnen? <<

>> Du kannst schon jetzt in die Wohnung. Ich hatte sie schon vor zwei Tagen geräumt, falls der neue Leiter genau so kurzfristig kommt, wie ich damals. <<

>> Und wo wohnst du? <<

>> Bei Jake und Co. <<

>> Ach so. << Sascha war wirklich traurig über das Wiedersehen mit seinem Bruder. Ich wusste nicht wie stark es Jake verletzt hatte. Ich hatte wirklich gedacht, dass wenn die beiden sich wiedersehen sollten, er nicht lange beleidigt sein würde, aber da hatte ich mich gewaltig getäuscht.

>> Kann ich dir irgendwie helfen? <<

>> Nee du, lass mal. Ich komme schon zurecht. Geh du zur Truppe. << Damit marschierte Sascha einfach weg.

 

Ich fand meine Einheit auf der Hindernisstrecke. >> Wir wollten heute doch einen ruhigen Tag machen. Ich kann es nicht gebrauchen, dass sich heute noch jemand die Knochen bricht! <<

>> Was sollen wir dann machen? Ich kann nicht die ganze Zeit rumsitzen und nichts tun! <<

Jake blieb auf der Sprossenwand sitzen.

>> Wir könnten im Lazarett helfen oder schon mal die Trucks beladen, dann kommen wir morgen schneller weg. <<

>> Ok, dann los. << Jake sprang von der Wand runter und lief in Richtung Lagerhütten. Die Kleinen rannten ihm nach. Sie schauten zu Jake auf und egal was er machte sie folgten ihm. Es war wirklich putzig Jake mit seiner Anhängerschaft zu sehen. Seine Groupies, wie er sie nannte.

Andy lief neben mir. >> Stehen die Trucks auf dem Parkplatz oder schon vor den Hütten? <<

>> Ich muss dich leider enttäuschen. Sie stehen schon vor den Hütten. Du brauchst sie nicht holen. <<

>> Ach Mano, Truck fahren macht Spaß. <<

>> Der frühe Vogel fängt den Wurm. << Ich schubste Andy spielerisch.

>> Der frühe Vogel kann mich mal. << Andy schubste mich zurück. Wir fingen an uns aus Spaß zu kabbeln.

>> Andy, wenn du gegen Zora verlierst, wäre das echt eine Blamage! << Endlich sah ich Jake wieder grinsen.
>> Andy hat gegen Zora keine Chance, die ist flink wie ein Fuchs. << Pascal stellte sich zu Jake und den Kleinen, die einen Kreis um Andy und mich gebildet hatten.

>> Leo, was hältst du von einer schönen Wette? << Pascal lachte.

>> Gut, zwanzig auf Zora. <<

>> Ich bin für Andy. Nichts gegen Frauen, aber zum kämpfen taugen sie nicht. <<

Andy und ich mussten grinsen. Das Gespräch der anderen, während wir uns über den Boden rollten, war wirklich amüsant. Ich schaffte es mich endlich unter Andy zu befreien, was wirklich eine Meisterleistung war. Andy war mindestens zwei Köpfe größer als ich und gefühlte zwanzig Kilogramm Muskelmasse schwerer.

>> Ich zähl bis drei und dann ziehen wir Pascal die Füße weg und halten ihn am Boden, ok? <<

Ich musste grinsen Andy war wirklich genial. Unmerklich nickte ich.

>> 1…2…3! << Und Pascal lag am Boden. Alle lachten. Andy und ich standen auf und wurden von den Kleinen umjubelt.

>> Pascal, ich hätte dann bitte meinen Zwanziger! << Fordernd stand Leo vor dem am bodenliegenden Pascal. >> Wieso? Zora hat nicht gewonnen! <<

>> Nee, aber du hast verloren. Du liegst am Boden. <<

>> Ach man, ihr seid fies! << Pascal wühlte in seiner Hosentasche und drückte Leo den Zwanziger in die Hand.

>> Komm Pascal, ich helfe dir hoch. << Andy streckte Pascal die Hand zu und zog ihn halb hoch, dann ließ er los und Pascal fiel zurück auf den Boden. >> Ups, das tut mir aber leid. << Alle lachten und Pascal stand schnell von selbst auf. Diese Zirkuseinlage hatte die Stimmung in der Einheit wieder aufgelockert. Auch wenn es morgen ernst werden würde, oder weil es ab morgen ernst werden würde, sollten die Kleinen heute nochmal was zum Lachen haben.

>> Es ist schön zu sehen, dass hier eine so gute Stimmung vor dem Aufbruch herrscht. << Alle fuhren herum und hinter uns stand Sascha. Sofort fing er sich böse Blicke von Andy, Leo, Julien, Pascal und natürlich auch von Jake ein.
>> Was willst du hier? << Die gute Stimmung legte sich wieder. >> Ich hatte doch gesagt, du sollst dich von uns fernhalten. <<

>> Ich wollte nochmal mit dir reden, Jake. Ich will nicht, dass wenn du morgen abreist, wir immer noch zerstritten sind. Wir sind doch alle eine große Familie. <<

>> Ich will nicht mit dir reden und wir sind auch keine große Familie! Du wurdest aus dieser Familie verband! Es möchte dich keiner hier haben, merkst du nicht wie unwillkommen du bist? Du tauchst auf und unsere gute Laune ist weg! Geh zu deinen Kindern oder halte eine Versammlung ab, aber lass uns in Ruhe! Ich will dich nicht mehr sehen! Für mich bist du gestorben! <<

>> Ist das dein letztes Wort? <<

>> Ja, das ist mein letztes Wort! <<

Einen Moment lang schaute Sascha seinen Zwillingsbruder an und auf einmal wirkten sie nicht mehr wie Zwillinge. Sie waren nicht mehr im Einklang, sondern sie waren jetzt zwei völlig unterschiedliche Menschen. Vielleicht sahen sie äußerlich noch wie Zwillinge aus, aber wenn man sie so voreinander stehen sah, wusste man, dass es zwischen ihnen keine Zwillingsbindung mehr gab. Sie hatten sich von einander gelöst.

Sascha drehte sich auf dem Absatz um und ging. Ich sah ihn an diesem Tag nicht wieder.

Wir anderen fingen an unsere Waffen, Zelte, Vorräte und generell unsere Ausrüstung auf einen der beiden Trucks zu laden. Die Kleinen machten große Augen, als sie zum ersten Mal ein echtes Maschinengewehr in den Händen hielten.

>> Damit werden Menschen umgebracht. Ich bezweifele, dass dieses Gewehr eure Bewunderung verdient. << Jake nahm Benedikt das Gewehr ab und legte es zu den anderen.

>> Bewunderung vielleicht nicht, aber Respekt ist sehr wichtig beim Umgang mit diesen Waffen. << Ich warf Leo einen Sack Kartoffeln zu.

Nach einer Stunde war es geschafft. Alles was an die Front in die Lager musste, hatten wir verstaut und dazu auch noch unsere Ausrüstung.

 

Kapitel 14

 

Kapitel 14

An Schlaf ist nicht zu denken. Zu viel schwirrt in meinem Kopf umher. Nur noch wenige Stunden bis wir losfahren. Jetzt liege ich hier in meinem Bett und es schwirren die alten Fragen durch den Kopf.

Den anderen geht es nicht anders. Aus Andy und Jakes Zimmer höre ich Getuschel und Pascal, dessen Bett gegenüber von meinem stand, liegt mit dem Rücken zu mir, aber der Lichtschein seines Handys ist klar zu erkennen.

Ob Clara schläft oder auch wach lag, weiß ich nicht. Sie liegt in ihrem Zimmer zwei Gebäudeblöcke von mir entfernt. Vorhin musste ich die ganze Zeit an Paul denken. Wird er auf seine kleine Schwester aufpassen? Ich will nicht noch jemanden verlieren. Am liebsten würde ich mit meiner Einheit einfach abhauen, aber weit würden wir nicht kommen.

Hoffentlich war es das letzte Kriegsjahr, dann könnte ich Clara zu mir holen und sie vor dem Staat beschützen. Ich hatte ihren Pass sicherheitshalber eingepackt. Wenn es an der Front zu gefährlich würd, werde ich sie und die anderen Kleinen wegschicken. Ich habe schon alles organisiert. Clara wird zu Zack kommen, wenn sie es soweit schafft.
Wirklich unpassend fällt mir jetzt die
Lyrics von einem Lied ein, dass Meli immer gerne gehört hatte.

In the end
As we fade into the night (woah oh oh)
Who will tell the story of your life
In the end
As my soul's laid to rest
What is left of my body
Or am I just a shell
And I have fought
And with flesh and blood I commanded an army
Through it all I have given my heart for a moment of glory
In the end
As we fade into the night (woah oh)
Who will tell the story of your life (woah oh)
And who will remember your last goodbye (woah oh)
Cause it's the end and I'm not afraid
I'm not afraid to die.
Not afraid, I'm not afraid to die
Born a saint
But with every sin I still wanna be holy
I will live again
Who we are
Isn't how we live we are more than our bodies
If I fall I will rise back up and relive my glory
In the end
As we fade into the night (woah oh)
Who will tell the story of your life (woah oh)
And who will remember your last goodbye (woah oh oh)
Cause it's the end and I'm not afraid
I'm not afraid to die
In the end
As we fade into the night (woah oh oh)
Who will tell the story of your life (woah)
And who will remember your last goodbye (woah oh)
Cause it's the end and I'm not afraid
I'm not afraid to die
Who will remember this last goodbye (woah oh oh)
Cause it's the end and I'm not afraid
I'm not afraid to die
Not afraid
I'm not afraid to die
Not afraid
I'm not afraid to die!

Ich stimme dem Text zu. Wann auch immer das Ende ist, zurzeit habe ich keine Angst zu sterben. Ich werde nicht aufgeben, aber wenn mein Ende kommt werde ich für es bereit sein.

Matze und Zack hatte ich einen Brief geschrieben, in dem ich mich von ihnen verabschiedete. Bei Zack stand außerdem noch drinnen, dass er damit rechnen musste, dass vielleicht bald ein kleines siebenjähriges Mädchen bei ihm vor der Tür steht.

 

>> Wie lange werden wir noch fahren? << Unser Truck fuhr über die Landstraße. Ich saß mit meiner Einheit hinten auf der Ladefläche. Wir alle waren bis unter die Zähne bewaffnet. Alle, außer mir, hatten ihre Helme auf. Die Jungs vertrieben sich die Fahrtzeit mit Kartenspielen. Die Kleinen saßen unruhig auf ihren Plätzen und fragten alle zwei Minuten, wann wir da sein würden.

>> Noch ca. zwei Stunden. <<

Sie saßen in dem Teil, der von einer Plane überdacht war. Sie durften nicht zu uns großen rauskommen, da man sie eindeutig als Kinder erkennen würde. Es passte ihnen nicht alleine unter der dunklen Plane sitzen zu müssen. Sie hatten kein Fenster oder sonst etwas, wo mit sie sich ablenken konnten.

>> Zora, spielst du eine Runde mit? <<

>> Was spielt ihr? <<

>> Skat. <<

>> Nee, dann spiel ich nicht mit. << Ich überprüfte nochmal, ob alles saß und ob auch alles griffbereit lag, falls wir angegriffen werden sollten.

>> Wieso nicht? <<

>> Weil ich nicht gut bin in Skat und jetzt keine Nerven dafür habe mich auf ein Kartenspiel zu konzentrieren. <<

>> Du solltest dich ablenken. Die Sachen werden nicht einfach verschwinden. Du brauchst sie nicht alle drei Minuten zu kontrollieren. << Pascal kam zu mir.

>> Ich will nur sicher sein, dass wir im Ernstfall schnell handeln können und dass alle sicher sind. <<

>> Dann tu uns allen einen Gefallen und setz deinen Helm auf. <<

>> Du weißt, dass ich Helme hasse. <<

>> Willst du wieder an der Front ohne Helm rumlaufen und am zweiten Tag eine Beulen-Fresse sein? Du kannst von Glück reden, dass du nie am Kopf getroffen wurdest. Du wärst sofort tot gewesen. <<

>> Gut, dann setzt ich den Helm halt auf, wenn es dich glücklich macht. <<

>> Danke. << Pascal lächelte mich an, aber ich war schon wieder mit unserer Ausrüstung beschäftigt. >> Warum bist du so nervös? Das war doch die letzten Male auch nicht so! <<

>> Das letzte Mal bestand unsere Einheit auch nicht zu 70% aus Kindern im Alter von sieben Jahren. Wir waren mit ein paar Ausnahmen immer älter. <<

>> Ich wollte dich gerade an die kleine Lina erinnern. <<

>> Ja, das letzte Jahr war ihr erstes und letztes Kriegsjahr. Siehst du, sie war sieben und hat es nicht überlebt! Ich frage mich einfach, wen von den Kleinen wir alles verlieren werden. <<

>> Du denkst dabei an Clara oder? <<

>> Nein, ich diesmal meine ich es auf alle bezogen. Pascal, ich hab die Kleinen ausgebildet. Ich hab ihre Entwicklung mit verfolgt. Sie sind mir ans Herz gewachsen. Ich möchte keinen von ihnen verlieren. <<

>> Glaubst du wir werden es alle überleben? Bisher hat die Gruppe alles durchgestanden, aber es fühlt sich seltsam an ohne Sascha. Er hat eine Lücke in die Gruppe gerissen. Ich möchte keinen von euch verlieren. <<

>> Ich habe nie wirklich daran gedacht, dass es auch einen von uns erwischen kann. Meine Sorge galt in den letzten Tagen den Kleinen. Sie wirken neben uns so zerbrechlich. <<

>> Aber wir sind es genauso wie sie. <<

Ich erwiderte darauf nichts mehr. Wir schwiegen und schauten uns die Landschaft an.

Bald veränderte sich das ganze Bild. Wir passierten eine Militärabsperrung und von dort sah man alle paar Meter Militärs, die Patroulierten. Wir waren an der Grenze angekommen. Nicht weit von hier fand eine Schlacht zwischen uns und der schwarzen Armee statt. Wir fuhren durch verlassene Dörfer und es hatte etwas düsteres Trostloses. Eine schwarze Katze saß auf einer Mauer. Vermutlich war sie von ihren Besitzern vergessen worden, als es schnell darum ging das Gebiet zu räumen.

Die Trucks fuhren uns in ein großes Lager. In diesem Lager hatten schon viele Einheiten ihre Zelte aufgeschlagen, aber dort sollten wir nicht bleiben. Wir bekamen einen Plan auf dem unser Lager eingezeichnet wurde. Es lag näher an der Front und nicht weit von unserem Lager lag das von Einheit neunundzwanzig (Johns Einheit). Ich gab die Karte unserem Fahrer weiter.

Unser Platz grenzte an ein Waldstück, das einem guten Rückenschutz bot, falls man sich verstecken musste. Man hatte einen kilometerlangen Schützengraben gegraben, in dem wir geschützt an die Front kamen. Die Karte verriet mir, dass das Lazarett in Johns Lager untergebracht war.

Wir stiegen von dem Truck ab und begannen damit abzuladen. Andy und Jake passten auf, das sich niemand näherte. Weit in der Ferne hörte man das Prasseln von Schüssen.

Nachdem alles abgeladen war, fuhren die Trucks zurück in das Hauptlager. Sie würden uns täglich Nahrung bringen. Wir kommunizierten mit dem Lager über ein separates Funkgerät.

Sobald alles abgeladen war, machten wir uns ans Aufbauen der Zelte. Morgen würde noch eine Einheit zu uns stoßen. Wir bauten auch gleich für sie die Zelte auf. Es dauerte fünf Stunden bis alles stand und eingeräumt war. Am Ende waren es dreißig Wohn-, zwei Lager- und ein Besprechungszelt. Die Jungs suchten im Wald nach Holz für ein Feuer und ich baute mit Clara und Annabell die Feuerstelle auf. Zum Abendessen gab es lauwarme Konserven. Alle schlangen ihre Schüssel schnell hinunter. Der Tag war noch lange nicht vorbei.

>> Pascal, Clara und Annabell, ihr kommt mit mir. Wir besuchen das Lager von John. Ich möchte mit ihm etwas besprechen. Ihr anderen schützt das Lager in der Zeit. Die Großen wissen, was ich damit meine. << Ich hängte mir mein Gewehr um und zog den Helm auf.
Nacheinander stiegen wir in den Graben hinunter. Ich ging voran und Pascal zu letzt. Zwischen uns drängten wir Clara und Annabell. Wir kamen den Schüssen immer näher und ich sah aus dem Augenwinkel wie Annabell bei jedem leicht zusammenzuckte. Es dauerte eine halbe Stunde bis wir Johns Lager erreichten. Sofort wurden wir von einer Patrouille aufgegriffen.

>> Wer seid Ihr? << Die drei Soldaten standen misstrauisch vor uns.

>> Oberleutnant Zora, dies sind Soldaten meiner Einheit. Wir sind gekommen um etwas mit Leutnant John zu besprechen. <<

>> Zeigen Sie bitte ihre Ausweise vor. << Ich reichte dem Soldaten meine Papiere. Die andern beiden waren eindeutig noch jünger. Sie klammerten sich an ihre Gewehre und trauten sich kaum hinter dem Rücken des vorderen Soldaten vorzuschauen. >> In Ordnung ich führe euch zu John. <<

Er signalisierte den kleinen sich hinter Pascal einzureihen. Pascal murmelte leise. >> Als ob die ein Hindernis für mich wären. Das ist eine Beleidigung. <<

Wie Verbrecher wurden wir durch das Lager geführt. Es war mindestens dreifach so groß wie unseres, das Lazarett nicht mit einbezogen. Überall saßen müde und verstaubte Soldaten rum. Manche von ihnen waren verletzt. Von wegen glücklichen Soldaten, die Karten spielen. Hier sah es ganz anders aus! Endlich hatten wir John gefunden, dieser freute sich mich zu sehen.

>> Hallo Zora, bist du gut angekommen? << Er führte mich in eines der Besprechungszelte. Als seien sie meine Leibgarde folgten mir meine Soldaten. >> Ja, soweit ist alles gut bei uns. Ich wollte nur mal fragen, wie es aussieht. <<

>> Bist du das Clara? << John ignorierte meine Frage und hockte sich vor Clara. >> Du bist groß geworden. Hast dich ganz schön verändert. Du siehst ja aus wie eine richtige kleine Lady. <<

Clara schaute ihn ernst an. >> Das bezweifel ich. Als ob man in dieser Kleidung aussehen könne wie eine Dame. <<

>> Wenn es einer kann, dann du. << John streichelte ihr über den Helm. Clara rückte näher zu Pascal.

>> Wie wär‘s wenn ich dir mal das Lager zeige? Etwas hast du doch noch nicht gesehen. <<
>> Möchtest du die Frage von Zora nicht beantworten? << Pascal stellte sich schützend vor Clara.

>> Guten Tag Pascal, lange nicht mehr gesehen. <<

>> Leider nicht lang genug. Seid wann stehst du auf siebenjährige Mädchen? Ist meine Schwester dir zu alt geworden? <<

>> Wie kommst du auf den Müll? Ich liebe deine Schwester! <<

>> Deshalb baggerst du Schwein auch eine siebenjährige an. Pass auf! Wenn ich dich nochmal dabei erwische, wie du dich an eine junge Rekrutin ranmachst, wünscht du dir nie geboren zu sein. Das gilt auch wenn du meiner Schwester das Herz brichst! Ich hab dich im Blick. John Fass. << Pascal spuckte den Namen gerade zu aus. Clara, die sich hinter Pascal versteckt hielt, klammerte sich ängstlich an seine Hand. Es war ihr sichtlich unangenehm, wie John mit ihr geredet hatte. Auch wenn sie nicht alles verstehen konnte, was Pascal John im Unterton mitgeteilt hatte, musste sie doch merken, dass John sich ihr gegenüber widerlich verhalten hat. Ich hielt mich da raus. Noch war Jon Clara nicht zu nahe gekommen, sollte es noch einmal passieren würde ich aber auch dazwischen gehen.

>> Zora, möchtest du deinen Soldaten nicht etwas Freizeit geben. Ich denke, du bist in unserem Lager mehr als sicher. <<

>> Pascal, ihr könnt gehen. Helft im Lazarett oder wo auch immer Hilfe gebraucht wird. Ich lass nach euch rufen, wenn wir zurückgehen. <<
Pascal schaute John noch einmal finster an, schob dann aber Annabell und Clara aus dem Zelt. >> Komm wir helfen im Lazarett, dort wird immer Hilfe gebraucht. <<

Nachdem sie weg waren, wiederholte ich meine Frage. >> Wie sieht’s aus? <<

>> Wir halten die Verteidigung der Grenze. Nachts ist auf beiden Seiten Waffenruhe, trotzdem habe ich meine Soldaten im Schützengraben. Es gibt immer zwei Tages und Nachtschichten. Danach wird getauscht. In diesen Schichten waren bisher immer dreißig Leute, also immer eine Einheit. Es wäre gut wenn du mit deiner Einheit einen Teil ab morgen übernehmen könntest. Wir würden euch den Teil der Grenze übergeben, der am nächsten an euer Lager grenzt. Dort und im Osten sind die Knackpunkte an denen sie versuchen unsere Front zu brechen. Ihr wisst, dass zwischen uns und dem Staat ein riesiges Minenfeld liegt, von dem wir eingeschlossen sind. Denn vor den Schützengräben und Mauern die wir aufgebaut haben, verläuft nochmal ein schmaler Teildieses Minenfelds. Er ist zwei Kilometer breit. Zwischen diesem Streifen und dem Graben sind dann nochmal fünfhundert Meter. Diese Strecke ist mit Stacheldraht durchzogen und auch noch vereinzelten Minen. Es gibt nur eine Straße in den Staat, die Minen frei ist. Wir dürfen die schwarze Armee nicht an die Mauer rankommen lassen, dann haben wir verloren. Sie setzen schon jetzt viele Geschosse ein, trotzdem sind sie leicht in Schacht zu halten. Klar, ich habe Verluste erlitten, aber im Vergleich zu denen von der Armee, sind sie sehr gering. Ich bezweifele aber, dass es ihre volle Stärke ist, die sie gegen uns einsetzen. Vermutlich wollen sie uns ausbluten lassen und dann einfach eindringen. Das darf natürlich nicht verlieren. Sie haben mehrere große Lager entlang der Grenze aufgebaut, aber diese hier ist das größte. <<

>> Na dann ist doch alles klar. <<

>> Ich schicke jeden Tag einen Trupp Soldaten zu euch. Denen kannst du Briefe an mich weitergeben. Wir können leider noch nicht über Funk miteinander reden, da die Geräte fehlen und das Mobilnetz hat man lahm gelegt. <<

>> Ok gut. Dann löse ich morgen deinen Teil der Soldaten vorne ab, nur es gibt ein Problem noch sind wir alleine. Morgen soll noch eine kleine Einheit nachkommen, aber ich weiß nicht ob es reicht. Könnten wir uns mit den Schichten an diesem Stück abwechseln? <<

>> Zwei Nächte und Tage du und zwei ich? Natürlich. Dann haben auch meine Soldaten mal eine Pause. <<

>> Gut, dann mach ich mich wieder los. Es wird auch bald dunkel und vorher möchte ich gerne in meinem Lager sein. Man weiß nicht, was hier nachts durch die Wälder strolcht. <<

>> Soll ich euch eine Eskorte mitschicken? <<

>> Nein, geht schon. Wir schaffen das auch selbst. Ich geh dann mal meine Soldaten holen. <<

Damit verschwand ich aus dem Zelt. Ich wollte nicht länger als notwendig mit John alleine sein und ich wollte garantiert nicht in seiner Schuld stehen. Ich fand es schon seltsam, wie er mit Clara gesprochen hatte. Im Lazarett musste ich meine Leute finden. Überall eilten hektisch Sanitäter und Krankenschwestern durch die Gegend. John hatte maßlos untertrieben, als er von seinen Verlusten

Gesprochen hatte. Die Zelte waren rammel voll von Verletzten. Überall stank es nach Blut. Dieser Anblick war erschreckend. Wie konnten in drei Wochen so viele Soldaten verletzt werden? Ich schritt durch die Betten, da hielt mich jemand an der Hose fest.

>> Oberleutnant Zora, du bist hier. << Mit fiebrigen Augen schaute mich Jace an. Er war einer der drei Achtjährigen gewesen, die ich an Johns Einheit übergeben hatte.

>> Jace, du siehst schlimm aus. Was ist passiert? <<

>> Sie haben uns aus der Luft angegriffen. Die andern sind tot. <<

>> Was ist mit dir? Du siehst schrecklich aus. << Ich kniete mich zu ihm. Sein Bett war mit Blutflecken überzogen und sein Körper steckte fast vollständig in weißen Tüchern, durch die langsam das Blut sickerte. Ich streichelte ihm über die verkrusteten Haare.

>> Sie wollen mich beim nächsten Krankentransport zurück in den Staat bringen. Ich soll dort operiert werden. << Ein Hustenanfall durchzog ihn. Der kleine gebrechliche Körper wurde durchgerüttelt. Er war völlig abgemagert und seine Stirn glühte vom Fieber. Es sah wirklich schlecht für ihn aus. >> Vorausgesetzt ich überlebe die Zeit bis dahin. Die Schwestern verzweifeln es. << Jace Augen füllten sich mit Tränen, diese ergossen sich über das verkrustete Gesicht. >> Ich weiß gar nicht mehr, ob ich noch leben möchte. Der Tod kommt mir auf einmal wie ein Geschenk vor. Ich kann nicht mehr, Oberleutnant. Ich will nicht mehr. Nicht mehr nach all dem was ich sehen und tun musste. << Jace krächzte nur noch und ständig fielen ihm die Augen zu. Der kleine Körper hatte keine Kraft mehr. Woher auch? Es war schrecklich solche Worte von einem achtjährigen Jungen hören zu müssen.

>> Du schaffst das. Du musst überleben! << Jace Körper fing an zu zittern, dann wurde er auf einmal ruhig. >> Jace! Jace, machen die Augen auf. Bleib bei mir, Jace! Bitte bleib bei mir! <<

Noch einmal hörte ich den kleinen Jungen etwas murmeln es hörte sich an, als würde er Mama sagen, dann erlosch der Lebensgeist endgültig in ihm.

Ich hatte nicht bemerkt, dass mir die Tränen über mein Gesicht flossen. Jemand zog mich von seinem Bett hoch. Es war Pascal. Er nahm mich in den Arm. >> Er ist tot. Du kannst ihm nicht mehr helfen. Komm, wir gehen ins Lager zurück. << Stumm folgte ich Pascal. John hatte unrecht. Der Verlust eines Menschenlebens war nie gering.

Am Schützengraben warteten Clara und Annabell auf uns. >> Es ist furchtbar im Lazarett. Ich habe noch nie so viele leidende Menschen gesehen. Und Jace… Er ist schwer verletzt! Ich will so etwas nicht nochmal sehen müssen! << Clara schaute mich mit feuchten Augen an.
>> Du darfst das nicht so nah an dich ranlassen! Komm, wir gehen zurück zu unserem Lager. << Ich ging an ihr vorbei in den Schützengraben.
>> Ist gut. Nimm es ihr nicht übel. << Pascal flüsterte mit den Kleinen, während er sie in den Schützengaben bugsierte. Ich atmete einmal tief durch, dabei kamen mir Mikes Worte in den Sinn. Soll ich dir mal was sagen, jetzt machst du auf hart und cool, aber sobald du durch ein Ereignis getroffen wurdest, wirst du wieder in Selbstmitleid ertrinken. Du bist nämlich doch nicht so hart und cool. Ich durfte mich nicht von Jace Tod, so beeinflussen lassen. Die letzten Male hat es mich doch auch nicht so getroffen, wenn jemand starb! Ich musste wieder in die alte Professionalität kommen, ansonsten würde ich es hier nicht lange durchhalten. Ich drehte mich zu den anderen um. >> Es tut mir leid, dass ich gerade so barsch war, aber es ist wirklich besser, wenn ihr diese Eindrücke nicht zu nah an euch ranlasst. Es belastet euch nur unnötig. Jetzt lasst uns schnell zurückgehen, bevor es dunkel wird. << Eilig nickten Clara und Annabell. Auf Pascals Gesicht breitete sich ein Lächeln aus.
>> Die kannte ich doch. War das nicht Zora, die Einheitsführerin? <<Ich schaute ihn verwundert an.

>> Der Krieg bringt unsere alte Zora wieder zurück. <<
>> Jetzt fang du nicht auch noch damit an, dass ich mich verändert habe! << Ich schaute Pascal grimmig an.
>> Das habe ich so nicht gemeint. Ich wollte damit nur sagen, dass du jetzt deine Spur gefunden zu haben scheinst und wieder die selbstbewusste Einheitsführerin bist und nicht das nervöse sechzehnjährige Mädchen, das du vorhin auf dem Truck warst. <<

>> Ach, so meinst du das. <<

 

Das Lager hatte sich verändert. Die Jungs hatten eine zwei Meter hohe Sandsackmauer errichtet. Der Eingang zum Schützengraben war mit einem Zelt versperrt, durch das man gehen musste um das Lager zu betreten, bzw. um es zu verlassen. Der große Haupteingang am Ende der Straße war mit einem Gatter versperrt. Am Eingang zum Schützengraben hielt Leo wache.

>> Hey Leo, woher habt ihr die Sandsäcke? <<

>> Aus dem Hauptlager. Die kamen vorhin mit sechzig Mann und haben bis eben geholfen die Mauer zu errichten. <<

>> Das ist nett. Wann kamen sie? <<

>> Kurz nachdem ihr gegangen ward, aber jetzt kommt doch erstmal rein. << Wir betraten das Zelt. In ihm lagen noch mehr Sandsäcke. >> Jake und Andy ziehen gerade den Stacheldraht über die Sandsackmauer. <<

>> Warum lasst ihr das Jake machen? Der hat sich das letzte Jahr fast die Hand mit dem Draht abgeschnitten, wäre Andy nicht dagewesen! <<

Leo und Pascal mussten sich das Lachen verkneifen. Mit einem fetten Grinsen auf dem Gesicht meinte Pascal. >> Na siehst du, diesmal ist Andy doch auch dabei. <<

>> Warum grinst ihr beiden da so? <<

>> Ach, es bestätigt nur ein Stück weit unsere Theorie. << Pascal sah Leo mahnend an, aber zu spät, jetzt wollte ich alles wissen.

>> Ihr beide verlasst das Zelt erst, wenn ihr mir sagt, was das für eine Theorie ist. <<

>> Nur wenn die zwei kleinen gehen. << Annabell und Clara hatten dem Gespräch gespannt gelauscht. Ich trat zur Seite und die beiden verließen mit hängenden Köpfen das Zelt. Ich drehte mich zu Pascal und Leo um und zog fragend eine Augenbraue hoch.

>> Ist dir aufgefallen, dass Jake und Andy alles zusammen machen und dass es immer Andy ist, der Jake tröstet oder für ihn da ist. Und als Sascha weg war, wer zog sofort zusammen in ein Zimmer? <<

>> Ihr glaubt, dass die beiden schwul sind? << Leo nickte. >> Kann das nicht einfach auch eine beste Freundschaft sein? <<

>> Ist doch offensichtlich! Da ist mehr als nur Freundschaft zwischen den beiden. <<

>> Habt ihr die zwei darauf mal angesprochen? <<

>> Nein, es sind nur Vermutungen, aber Zora, du musst zugeben es ist doch auffällig. <<

>> Ja gut, da habt ihr recht, Leo, aber trotzdem bleibt es nur eine Vermutung. Bis die beiden diese Vermutung bestätigen, bleibt es bitte unter uns. Ich weiß gar nicht, was ihr habt. Die beiden wären wirklich ein süßes Paar. <<

>> Wir haben nichts dagegen…<<Wir verstummten, da Andy und Jake das Zelt betraten. >> Hey Zora, Clara hat gesagt, dass wir dich hier finden. Wir wollten nur Bescheid geben, dass wir mit dem Draht fertig sind. << Ich nickte Andy zu und schaute dann Jake fragend an, der sich gespielt hinter Andys Rücken versteckte. >> Sind die Hände noch dran? <<

>> Ja, aber ich hab mir die Handfläche etwas aufgerissen. << Aus Spaß zog Jake schützend die Schultern hoch.

>> Du bist so ein Tollpatsch! << Ich schüttelte den Kopf. >> Na ja, kommt wir gehen ans Feuer. Ich will allen sagen, was ich mit John besprochen habe und dann gehen wir alle, außer die vier, die Wache halten, schlafen. <<

 

Die Waffenruhe ging noch zehn Minuten, dann würde die schwarze Armee erneut versuchen die Grenze anzugreifen. Ich hockte mit Clara, Annabell, Jake und Andy in einem Teil des Schützengrabens. In Abständen von zweihundert Metern waren im Schützengraben kleine Überdachungen. Unter einer solchen Überdachung saßen wir. Pascal, Leo, Julien und Isabel hatten jeder eine kleine Gruppe Neulinge, mit denen sie in regelmäßigen Abständen im Graben bei einer Überdachung hockten. Die ganze Einheit, außer die zwei, die im Lager wache hielten, war hier.

>> Noch fünf Minuten. << Krächzte Pascals Stimme aus dem Funkgerät. Wir hatten Johns Truppe vor einer halben Stunde abgelöst. Nun würden wir die nächsten achtundvierzig Stunden in diesem Graben hocken. Inzwischen tat sich etwas auf der anderen Seite hinter dem Minenfeld. Ich schnappte mein Fernglas und schaute mir die Sache genauer an. Mindestens zehn Einheiten hatten sich am Rande des Minenfeldes versammelt. Jede Einheit war in Abständen von geschätzten hundertdreißig Metern aufgestellt. Sie waren alle bis unter die Zähne bewaffnet und geschützt. Ich suchte instinktiv den fies grinsenden Führer aus meinen Alpträumen, aber natürlich fand ich ihn nicht. Jede Gruppe von uns hatte zwei Gruppen von der schwarzen Armee gegenüber. Bei den Einheiten, waren immer fünf Minenexperten, die sich daran machten die Minen aufzuspüren, man konnte sie an den weißen Anzügen gut erkennen. Sie hatten einen winzigen Teil des Feldes schon entschärft. Trotzdem lagen noch gute zwei Kilometer vor ihnen. Es war erstaunlich, dass die schwarze Armee sich an die Waffenruhe hielt und erst um Punkt fünf anfing, weiter Minen aufzuspüren.

>> Das gefällt mir gar nicht. Die Kollegen haben nicht erwähnt, dass die Minenentschärfer zehn Einheiten als Rückendeckung haben. Das sind zweihundertvierzig gegen achtundzwanzig. << Trotz der Verzerrung durch das Funkgerät konnte ich die Furcht in Leos Stimme hören. Er hatte recht, es war schwer gegen diese Menge anzukommen. Schwer, aber nicht unmöglich. Wir waren im Schützengraben und hatten Deckung, die auf der offenen Fläche hatten nichts außer ihren Waffen. Sie waren auf der ebenen Fläche völlig schutzlos. Da half ihnen nicht mal ihre Stärke.

>> Ich bin der Meinung, die hatten jetzt langgenug den Rücken frei. << Jake setzte sein Maschinengewehr an und feuerte auf die Horde. Andy tat es ihm gleich und auch von den anderen Gruppen hörte ich Schüsse. Annabell und Clara lagen zusammen gerollt auf dem Boden. Ich tippte ihnen auf die Schulter. >> So wird das nichts. Ihr müsst auch was machen. << Clara richtete sich auf, schaute mich ängstlich an und hockte sich dann aber doch neben Jake. Annabell blieb liegen. Ich hatte keine Zeit mich um sie zu kümmern, denn die Soldaten hatten sich von dem Überraschungsangriff erholt, so weit sie nicht getroffen worden waren. Um uns prasselten die Schüsse nieder. Wir drückten uns an die Wände und zogen uns zusammen, um eine möglichst geringe Angriffsfläche zu bieten. Annabell erwachte aus ihrer Schockstarre und kroch zu mir. Es dauerte ewig bis die Schüsse für kurze Zeit auf hörten. Sofort fuhren Jake, Andy, ich und zu meiner Überraschung auch Clara, herum und erwiderten die Schüsse. Ich beobachtete Clara so weit es ging aus dem Augenwinkel, während ich selbst zielte und einen nach dem anderen niederschoss. Ich sah, wie Clara kurz aufhörte zu schießen und Jake sie schnell am Kragen packte und wieder runterzog. Ich wusste, wie es ihr gehen musste. Es war schlimm, den ersten Menschen umzubringen. Clara schaute entsetzt zu mir und ich nickte ihr aufmunternd zu, doch Clara kam nicht mehr dazu weiter zuschießen, denn schon wieder prasselten die Schüsse nieder.

>> Fuck. Haben die ihre Rekruten vorgeschickt? Die zielen ja gar nicht. Die ballern nur dumm um sich. Wo ist da die Taktik? << Pascals Stimme ertönte aus dem Funkgerät.
>> Ich weiß es nicht, aber versucht die Mienenexperten umzulegen, dann könnten wir eine Pause bekommen. << Anders würde es keinen Sinn machen. Bis wir die zweihundertvierzig Soldaten wirklich umgebracht hatten, würden die Minenexperten schön vorangeschritten sein. Außerdem musste nicht zu viel Blut vergossen werden.

>> Verstanden. << Ertönten die Stimmen der anderen aus dem Funkgerät. Noch hatten wir keine Verluste. Wie lange würde das anhalten?

Auch wenn wir unter Beschuss standen, lugten wir über den Rand. Pascal hatte recht, die Soldaten machten alles außer zu zielen. Ich legte mein Gewehr an zielte und tötete den einen Experten mit einer Salve von Schüssen. Dafür wurden die Gewehrmündungen jetzt gezielt in unsere Richtung gerichtet, aber niemand drückte ab. Neben mir nutze Andy die Zeit, um den nächsten Experten zu killen.

Auf einmal flogen größere Geschosse auf uns zu. Es gab eine Reihe von Explosionen. Ich schmiss mich geistesgegenwärtig über Clara, um sie zu schützen. Dreck verschleierte mir die Sicht. In der Nähe hörte ich Schreie, dann übertönten neue Explosionen alle Geräusche. Ich wusste nicht, wie lang dieser Angriff ging. In der Staub und Dreckwolke verlor ich jegliches Zeitgefühl. Unter mir hörte ich Clara leise vor Angst weinen. Über mir das Rattern der Maschinengewehre und das Knallen der Explosionen. Ich wagte es erst auf zu schauen, als sich die Wolke legte. Neben mir lagen Jake und Andy und unter den beiden kroch Annabell hervor. Alle wirkten in Ordnung, außer das ihnen der Schock ins Gesicht geschrieben stand. Auch der Graben hatte nichts abbekommen, zu mindestens an unserer Stelle nicht. Ich schaute vorsichtig über den Rand. Vor uns glich es einem kleinen Kratermeer. Selbst mit den Granatenwerfern hatten sie nicht gezielt. Ich wurde aus dieser Taktik nicht schlau, aber vielleicht war es auch gar keine Taktik, sondern sie konnten es einfach wirklich nicht. Ich befreite neben mir den Eisenkoffer vom Staub und öffnete ihn. Was die konnten, konnten wir schon lange. In dem großen Eisenkoffer lagen drei Granatenwerfer und zehn kleine Granaten. Andy und Jake nahmen sich jeder auch einen Werfer und zusammen feuerten wir auf die Horde. Das sollte uns fürs erste eine Pause beschaffen. Andy hatte die Truppe der Experten getroffen und Jake und ich hatten mitten in die Horde der Soldaten. Langsam merkte ich wieder, was der Krieg aus mir machte Es war mir egal, dass ich eben mit einem Schuss mehrere Menschenleben vernichtet hatte. Es kam kein Schuldgefühl in mir hoch, das einzige was ich spürte, war das pure Adrenalin, das durch meine Adern floss. Ich war die Ruhe in Person. Ich war mein Leben lang auf den Krieg vorbereitet worden. Ich merkte, dass der Krieg ein Teil von mir war. Er gehörte zu mir. Er war der Sinn meines Lebens. Nie hatte ich eine andere Bestimmung als zu kämpfen. Ich wollte es nur nie wahr haben.

Mir fiel erst auf, nachdem wir die Werfer wieder zurückgepackt hatten, dass sich niemand der anderen Gruppen gemeldet hatte. >> Leute? Lagebericht, wie sieht es bei euch aus? Wir sind nicht getroffen worden, aber was ist mit euch? << Niemand antwortete. Ich versuchte es nochmal. >> Ich brauche einen Lagebricht! << Wieder hörte ich nur Rauschen.
>> Da stimmt etwas nicht. << Andy versuchte mit seinem Fernglas die anderen zu sehen. >> Nichts. Keine Lebenszeichen aus dem ersten Lager. Ein Teil des Grabens zwischen uns und ihnen ist eingebrochen, aber von Pascals Gruppe ist nichts zusehen. Hoffentlich geht es ihnen gut und sie sitzen alle unter der Überdachung. <<

>> Wenn wir jetzt die Stellung verlassen, könnte es ein großer Fehler sein. Wer weiß, wie lange die da drüben noch brauchen, um sich von unserer Antwort zu erholen. Wenn wir jetzt aber nicht gehen, könnte es sein, dass wir den Rest der Einheit verlieren. << Mir gefiel die Situation gar nicht. Ich hasste es solche Entscheidungen treffen zu müssen. Egal für was ich mich entschied, es konnte schlimme Folgen haben.

>> Wie wäre es, wenn Andy und ich hier bleiben und du mit den kleinen gehst? << Es war mir unangenehm Jake und Andy hier allein zu lassen, aber sie waren gut ausgebildet. Sicher würden sie einem Angriff stand halten.

>>Ok gut, wir gehen und ihr haltet hier die Stellung, sobald ihr Verstärkung braucht, funkt ihr mich an! In der Kiste liegt noch ein zweites Funkgerät. Aber funkt auch wirklich, wenn ihr Hilfe braucht. Keine Heldentaten! Ihr seid so schon meine größten Helden. <<

Zusammen mit den beiden kleinen machte ich mich auf den Weg durch den Schützengraben.

Gebückt liefen wir schnell in die Richtung, in der die anderen sein mussten. Andy hatte recht, an einigen Stellen war die Wand des Grabens von einer Granate zerstört worden. Wie auf ein stilles Kommando fingen unserer Gegner wieder an, auf uns zu feuern, als wir gerade an einer ungeschützten Stelle vorbei mussten. Schnell zog ich die kleinen auf den Boden. Ein Geschoss pfiff knapp an meinem Ohr vorbei. Neben mir hörte ich Annabell auf Schreien. Ein Ruck ging durch ihren kleinen Körper, dann verkrampfte sie sich. Ich packte sie am Kragen und drückte sie auf den Boden. Annabell bäumte sich unter meinem festen Griff vor Schmerz auf. Nur drei Meter von uns entfernt fing die hohe, heile Wand wieder an. Davor mussten wir aber an einem großen Loch vorbei. Ich wartete einen Moment, bis die Schüsse weniger wurden und stand auf. Mit mir zog ich die beiden anderen hoch. Schnell schleifte ich sie mit mir mit hinter die sichere Wand. Dabei gerieten wir unter massiven Beschuss von einem Soldaten, der uns und unsere Schutzlosigkeit entdeckt hatte. Nochmals schrie Annabell auf, dann hing sie nur noch schlapp unter meinem Griff. Ich schmiss sie und Clara zu Boden, legte mein Gewehr an und töte den Schützen, der uns unter Beschuss genommen hatte.

>> Zora, Annabell blutet. << Clara zog an meiner Hose. Ich zielte gerade auf einen Granatenhaufen. Die Schüsse gingen daneben.
>> Verdammt Clara, was ist denn? Ich versuch uns hier gerade den Rücken freizuhalten! <<

>> Annabell hat das Bewusstsein verloren. Sie hört nicht auf zu bluten. << Erst jetzt fiel mir wieder ein, wie Annabell geschrien hatte, als auf uns geschossen wurde. Schnell kniete ich mich zu Clara und drehte Annabell auf den Rücken. An ihrem rechten Arme färbte sich ihre Uniform rot. Ein Streifschuss musste die Hauptschlagader getroffen haben. Schnell wickelte ich meinen Schall um die Wunde und knotete ihn fest zu.
>> Hier blutet sie auch. << Clara zeigte auf Annabells Hüfte. Ihre Jacke und ihre Hose waren voll Blut. Leise stöhnte sie auf, als ich sie abtastete. Eindeutig, die Leber hatte etwas abbekommen. Es sah wirklich schlecht für Annabell aus. Sie war an zwei kritischen Stellen getroffen worden und hatte schon jetzt viel Blut verloren und Schäden an den inneren Organen. Viel würden wir für sie nicht mehr tun können, trotzdem verarztete ich sie. Sollte sie noch am Leben sein, wenn ich mit Clara zurückkomme, würde ich sie ins Lazarett bringen, aber das würde nicht der Fall sein. Annabell war schon von dem hohen Blutverlust bewusstlos, bald würde sie schlafend von dieser Welt gehen.

Nachdem wir Annabell soweit verarztet hatten, wie wir konnten, stand ich auf.

>> Wo willst du hin? << Clara sah mich fragend an. Sie hatte Annabell Kopf auf ihrem Schoß gebettet und wischte ihr die Schweißtropfen von der Stirn.

>> Wir müssen zu den anderen. Sie haben sich immer noch nicht gemeldet. <<

>> Und was ist mit Annabell? <<
>> Annabell bleibt ihr liegen. Sie behindert uns nur unnötig. <<

>> Dann stirbt sie! Ich lass sie nicht alleine! << Fassungslos starrte Clara mich an. Ich hatte jetzt keine Zeit mit ihr zu diskutieren, also packte ich sie einfach grob am Kragen und zog sie mit mir. >> Annabell ist jetzt schon so gut wie tot. Sie würde es nicht bis zum Lazarett überleben, aber der Rest der Einheit braucht jetzt unsere Hilfe, von ihnen können vielleicht noch welche gerettet werden! Wenn wir sie jetzt wegbringen, könnten dafür zwei oder mehr von den anderen sterben! << Das letzte Stück zur ersten Gruppe konnten wir problemlos überwinden. Zu meiner Freude hockte Pascals Gruppe unter der Überdachung. Auf dem ersten Blick wirkten sie alle unverletzt. Mit großen Augen schauten sie uns an, als seien wir Gespenster.

>> Zora? <<

>> Pascal, was ist passiert? Warum meldet ihr euch nicht über Funk? <<

>> Unser Funkgerät ist kaputt, die haben Störsender mit den Granaten hergeworfen und das Handynetz funktioniert doch auch nicht. <<

>> Seid ihr ok? << Wir hockten uns zu ihnen.

>> Ja, wir sind ok, aber Isabels Trupp hat etwas abbekommen. Zwei Tote und vier Verletzte. Ich wollte gerade los und ihnen helfen. Den anderen Gruppen geht es gut. <<

>> Woher weißt du dass? <<

>> Julien war eben hier und hat gefragt, ob wir noch Funkkontakt hätten, weil er dich nach Hilfe fragen wollte. Seine Truppe ist am weitesten entfernt und er musste vorher an allen Gruppen vorbei. Die anderen haben auch alle keinen Empfang über Funk. << Pascal nahm sich den Erste-Hilfekoffer. >> Wir müssen uns beeilen! <<

>> Clara du bleibst hier und gehst zurück zu Jake und Andy, wenn sie über Funk nach Hilfe fragen. << Ich gab ihr mein Funkgerät.

>> Wie soll ich da alleine hinkommen? Du hast doch gesehen, was mit Annabell passiert ist. Was ist wenn sie mich auch treffen? << Betreten schaute Clara zu Boden. Ich hatte keine Zeit mich um sie zu kümmern. >> Du schaffst das, alleine ist man sicherer. Man wird nicht leicht gesehen und du bist so flink, dass die dich nicht treffen können. << Ich zwinkerte ihr aufmunternd zu.
>> Ihr schießt nur, wenn die schwarze Armee euch angreift oder wenn sie es schaffen ein Stück näher ranzukommen. Ansonsten bleibt ihr hier brav sitzen und tut so, als wärt ihr nicht da. Habt ihr mich verstanden? << Die kleinen nickten und Pascal drehte sich zufrieden um. Zusammen liefen wir zu Isabel Gruppe.

Es war wirklich schrecklich. Der ganze Graben war an dieser Stelle eingestürzt. Als wir ankamen, waren Julien und Leo auch schon da, und versorgten die Verletzten. Isabel saß in Julien Arm, der sich um die Platzwunde an ihrem Kopf kümmerte und immer wieder versuchte sie zu beruhigen. Isabel war außer sich. Sie gab sich die Schuld daran, dass ihre Gruppe getroffen wurde. Auch Juliens Küsse konnten sie nicht überzeugen.
Pascal und ich kümmerten uns um die fünf schwer Verletzten. Sie mussten dringend ins Lazarett. Viel Zeit hatten sie nicht mehr. Wie wimmernde Würmer rollten sie vor Schmerz auf dem Boden rum. Einer von ihnen hatte seinen Arm verloren. Wir hatten die Wunde schnell versorgt, aber der Körper hatte mit diesem Verlust schwer zu kämpfen. Noch war der kleine Junge bei Bewusstsein, aber das konnte sich noch ändern. Die anderen hatten große Wunden am ganzen Körper und manche auch den ein oder anderen gebrochenen Knochen. Die Granaten mussten voll ins Schwarze getroffen haben. Wir mussten die Verletzten so schnell wie möglich wegbringen, aber dazu brauchten wir die Hilfe aller aus Isabels Gruppe, da wir Großen nicht alle gehen konnten. Wir konnten den Großteil der Grenze nicht von unerfahrenen Rekruten bewachen lassen. Wenn es am ersten Tag schon solche Verluste gab, wie würde dann der zweite ausgehen.

Ein stand fest, diese Nacht würden wir wenig Schlaf bekommen. Wir mussten den Graben wieder aufbauen.

Beim Wachwechsel schickte ich Chris und Clara weg. Ich wollte die beiden in Sicherheit wissen, wenn man einsam ein Lager bewachen sicher nennen konnte. Mit Chris war nach dem Tod ihres Bruders Lars eh nicht mehr viel anzufangen. Sie brauchte eine Pause und Clara sollte aus der Gefahrenzone. Ich wollte nicht, dass sie die nächste war, die wir begraben mussten.

 

Kapitel 15

 

 

Kapitel 15

Lagebricht: 23.06.22. (Tag 7) Seid einer Woche sind wir jetzt an der Front. Wir haben zwei Schichten hinter uns und drei Leute verloren. Annabell, Benedikt und Lars. Sie haben die erste Schicht nicht überlebt. Außerdem haben wir fünf Verletzte, die im Lazarett behandelt werden müssen. Die zweite Einheit traf mit zwei Tagen Verspätung ein. Sie zählt zehn Mann, alle im Alter von siebzehn Jahren. Sie haben viel Erfahrung und integrieren sich gut in der Gruppe. Die Einheit besteht nur aus Jungs. Sie haben keinen Einheitsführer und waren noch nie in dieser Zusammensetzung im Krieg. Sie wurden allein als Verstärkung für unsere Einheit ausgesucht und zusammen gewürfelt.

Die schwarze Armee hat sich die letzten Tage kaum an der Grenze blicken lassen. Bei unserer zweiten Schicht hatten wir nichts zu tun und es wurde keine Patrone verschossen. Zwar stand eine Einheit Soldaten am Rand des Minenfeldes, aber sie haben nichts getan, außer uns zu beobachten. Ich weiß nicht, was die schwarze Armee plant, aber aufgegeben hat sie sicher nicht.

In den Tagen an denen wir keine Schicht hatten, haben wir im Lazarett ausgeholfen.

Unsere Lagerbestände sind gut erhalten. Noch haben wir genug Munition, Waffen, Nahrung, Verbandmaterial… Das Hauptlager beliefert uns täglich mit allem, was wir brauchen.

Fazit:

Große Verluste am zweiten Tag. Gute und kräftige Verstärkung. Genügend Lebensmittel und keine Ahnung was der Feind plant. Entweder wir überleben noch lang oder wir sind morgen alle tot. Was eine tolle Gewissheit für ein angenehmes Miteinander.

 

Stumm saßen wir ums Lagerfeuer. Niemand hatte ein Thema, über das man hätte sprechen können. Ein Teil der kleinen lag im Zelt.

Chris kam über den Verlust ihres Bruders nur schwer weg. Sie ist einfach eine leere Hülle ohne jegliches Leben. Und Clara hat in Chris einen neuen Trauerpartner gefunden und damit einen Grund, weshalb sie sich nicht von Annabells Tod erholen konnte.

Das Feuer flackerte und beschien die düsteren Gesichter. Leo saß, da und spielte die ganze Zeit mit den Pokerkarten rum. Er ließ sie von einer Hand in die andere springen. Pascal stocherte mit einem Stock im Boden rum, Julien kuschelte ganz verliebt mit Isabel (die beiden sahen alles durch die rosarote Brille der Liebe. Das konnte manchmal wirklich nervig werden) und wo Andy und Jake waren, wusste ich nicht. Die Ersatzeinheit saß zum Teil bei uns und schwieg einfach mit. Ich hielt die Stille nicht mehr aus. Sie hatte etwas drückendes, ja fast schon etwas erstickendes. Ich stand von meinem Baumstamm auf. >> Ihr seid ja so gesprächig. Hier passiert nichts Spannendes. Ich geh Jake und Andy suchen, vielleicht haben die eine Idee, wie wir die Zeit totschlagen können. Einfach hier dumm rum sitzen, ist nicht wirklich prickelnd. <<

Die anderen nickten mir nur zu und ich entfernte mich vom Feuer. Mit jeden Meter, der zwischen mir und dem Feuer lag, wurde es kühl und ich beschloss mir erst eine Jacke zu holen, bevor ich die beiden suchte. Ich schlich in mein und Pascals Zelt und kramte meine dicke Feldjacke aus meinem Wäscheberg hervor. Gerade als ich sie anziehen wollte, hörte ich hinter meinem Zelt Getuschel und man konnte ganz leicht die Schatten von zwei Personen auf der Zeltplane erkennen. Leise schlich ich aus dem Zelt, um nachzusehen wer das war. Meine Hand lag auf meiner Pistole, die ich immer bei mir trug. Vielleicht waren es Eindringlinge von der schwarzen Armee. Ich stellte mich an die Ecke von meinem Zelt und lugte vorsichtig nach hinten.

Hinter meinem Zelt standen eng umschlungen Andy und Jake. Andy hielt Jake im Arm und sie küssten sich. Langsam ging ich einen Schritt nachdem anderen zurück. Es war mir wirklich unangenehm die beiden bei so etwas Intimen zu stören. Ich war an der Ecke angekommen, da öffnete Andy die Augen. Sofort ließ er Jake los und schaute peinlich berührt in meine Richtung. Auch wenn es im dunklen kaum zu erkennen war, sah ich, dass er rot anlief vor Scharm.

Jake, der nach dem Grund sehen wollte, weshalb Andy den Kuss so schnell beendet hatte, drehte sich um. Erst starrte er mich entsetzt an, dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck schnell. Panik kroch sichtbar in ihm hoch.

>> Es tut mir leid Jungs, ich wollte euch nicht stören. Ich wollte nur nachsehen, wer hinter meinem Zelt ist. << Verlegen kratze ich mich am Hinterkopf.

Andy räusperte sich. >> Nicht schlimm. Wir hätten damit rechnen müssen. Ist hier nicht der geeignetste Ort dafür. << Jake nickte eilig.

>> Äh ja. << Ich wusste nicht was, ich sagen sollte. Vermutlich hätte ich einfach gehen sollen, aber ich hoffte noch auf eine Erklärung, auch wenn es unlogisch war. Für das Gesehene brauchte ich keine Erklärung. Pascal und Leo hatten recht, die beiden waren schwul.

>> Was passiert jetzt? << Jake schaute mich an, als hätte ich sie bei einem Mord erwischt.

>> Was soll jetzt passieren? <<

>> Na, wirst du es den anderen erzählen? << Unruhig lehnte er sich von einem Bein auf das andere.

>> Nein, das ist eure Sache. Ich würde es euch empfehlen, dann braucht ihr euch nicht immer hinter einem Zelt verstecken, aber ich werde ihnen nichts sagen. <<

>> Wir hätten es euch ja schön längst erzählt, aber wir hatten Angst vor eurer Reaktion. <<

Beschämt schaute Andy zu Boden.

>> Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert und nicht im Mittelalter. Es ist kein Tabu mehr homosexuell zu sein. <<

>> Aber man wird trotzdem seltsam von der Seite angeschaut, wenn man sich als Homo-Pärchen in der Öffentlichkeit küsste. <<

>> Aber nur von irgendwelchen Spießern oder streng gläubigen. Außerdem vermuten Pascal und Leo schon die ganze Zeit, dass ihr ein Pärchen seid, da könnt ihr es ihnen auch sagen. Die werden euch garantiert nicht verstoßen. Gut, so wie ich Pascal kenne, werdet ihr ein paar dumme Sprüche zu hören bekommen, weil er sich für besonders witzig hält, aber das war es dann auch. <<

>> Ja, du hast wahrscheinlich recht. Nur hatten wir Angst, nicht mehr von euch als Soldaten akzeptiert, sondern mit irgendwelchen transsexuellen Männern gleichgestellt zu werden. <<
Jake fuhr sich durch sein blondes Haar.

>> Das ist doch Blödsinn. Ihr seid die stärksten und männlichsten aus der Einheit. Da macht euch mal keine Sorge, wenn es irgendjemand nicht tolerieren sollte, darf er die Einheit wechseln. Und jetzt kommt mit ans Feuer. <<

>> Wir sollen es ihnen jetzt sagen? << Erschrocken schaute Andy mich an. Er wollte sich vermutlich etwas länger mit dem Gespräch im Vorhinein beschäftigen.

>> Jetzt wäre es eine gute Gelegenheit, besser als im Graben, aber ihr müsst natürlich nicht. <<

>> Doch, doch du hast ja recht. Lasst uns zum Feuer gehen. << Jake schaute Andy mit großen erstaunten Augen an.

>> Andy, bist du dir sicher, dass wir das jetzt durchziehen können? <<

>> Wir schieben es schon zu lange vor uns her. << Jake nickte nur und schaute abwesend ins Gras. Ihm war der Gedanke nicht wirklich willkommen. Anscheinend fehlte ihm nach Sascha Abgang das Vertrauen in uns.

 

>> Wusste ich es doch! << Pascal stand auf. >> Kommt her ihr zwei Süßen. << Er umarmte das verdutzte Paar.

>> Pascal, lass die zwei am Leben! << Leo lachte und klopfte Andy aufmunternd auf die Schulter. >> Ihr hättet es uns ruhig früher erzählen können. <<

>> Ähm ja, wir waren uns nicht sicher…<< Murmelte Jake zum Boden.

>> Lasst die beiden sich doch erst einmal hinsetzen! << Isabel kam dem Paar zur Hilfe und hielt Leo und Pascal zurück. Dankbar ließen sich Jake und Andy auf einen großen Baumstamm fallen.

>> Leo, wir machen irgendetwas falsch. Julien hat eine Freundin, Jake und Andy sind ein Paar und was ist mit uns? <

>> Wir sind beide allein, da müssen wir etwas machen! <<

>> Ja Leo Schatz, da hast du recht. << Pascal stand auf und stellte sich vor Leo. >> Mein Schatz, wir werden das Problem ändern. << Er drehte sich um und nahm meine Hand. >> Und ich fange gleich damit an. Komm Zora, wir gehen mal ins Zelt. <<

Ich musste lachen. >> Nein Pascal, so löst du das Problem nicht. Ich stehe nicht zur Wahl. Nimm doch Leo, ihr passt so gut zusammen. <<

>> Aber du bist doch eine attraktive junge Frau! <<

>> Schleimer! Außerdem bin ich deine Vorgesetzte. <<

>> Na und, es gibt viele Beziehungen, zwischen Vorgesetzte und Angestellter. <<

>> Vergiss es Pascal! Leo ist auch eine attraktive junge…<<

>> Ich bin keine Frau! << Leo spielte ein trotziges Kind nach.

>> … Person. << Beendete ich meinen Satz.

>> Pascal, soll ich dir mal sagen, wo dein Problem liegt, weshalb du keine Freundin hast. Du bist viel zu wählerisch. Du musst nehmen, was du bekommen kannst und zurzeit ist Leo der einzige, den du bekommen kannst, wenn man mal von den ganzen kleinen Rekrutinnen absieht, aber die stehen auch nicht zur Wahl. << Andy grinste frech in Pascals Richtung und Isabel musste sich zusammenreißen, um nicht in Tränen auszubrechen vor lachen. Pascal streckte Andy die Zunge raus und setzte sich wieder auf seinen Platz. >> Ihr wisst gar nicht, wie ernst dieses Problem ist! Ich bin sechzehn Jahre alt und habe keine Freundin! Jeder normale Junge in meinem Alter hat ne Freundin. Selbst Julien hat eine! <<
>> Hey, was willst du damit sagen. << Endlich schaltete sich auch Julien in das witzige und nicht wirklich ernstgemeinte Streitgespräch ein.

>> Gar nichts Julien. Deine Freundin ist wirklich toll, auch wenn ich sie nicht verstehe, wie sie... << Julien schmiss spielerisch einen Stein nach Pascal.

Es war nett so rumzualbern und für einen kleinen Moment die ernste Lage, in der wir uns befanden, zu vergessen. Wir saßen noch länger lachend am Lagerfeuer und vergaßen an diesem einen Abend die Zeit. Im Morgengrauen machten wir uns dann hundemüde, aber gut gelaunt auf den Weg, Johns Soldaten abzulösen.

 

>> Das gefällt mir nicht! Wieso kommt da keiner? << Krächzte Isabels Stimme aus dem Funkgerät. Wir hatten unsere Taktik geändert. Jetzt saßen wir, in Trupps von zwei Mann, in einer langen Reihe im Schützengraben. Zwischen jedem Trupp lagen fünfzig Meter und jeder Trupp besaß ein Funkgerät. Inzwischen war es acht Uhr morgens und die Sonne stach auf uns herunter, aber am Minenfeld war niemand zu sehen.

>> Da stimmt doch etwas nicht! <<

Mir gefiel die Situation genau so wenig, wie den anderen. Ich hatte nach dem letzten Dienst fast den Eindruck gehabt, ihre Taktik durchschaut zu haben. Jetzt konnte ich nicht mehr sagen was sie vor hatten. Was machte es für einen Sinn, einen ganzen Tag zu vergeuden?

>> Jetzt gewittert es auch noch. Habt ihr das donnern gehört? << Isabel war genervt. Die gute Laune von heute Morgen verflüchtigte sich langsam. Nicht aus Langeweile, sondern aus Angst. Es gab nichts Schlimmeres, als nicht zu wissen, was der Feind plant.

>> Das hört ja gar nicht mehr auf zu donnern. << Jake hatte recht. Langsam ununterbrochen wurde das donnern lauter, aber es machte keine Pause. Ich schaute den Himmel ab. Nirgendwo am Horizont konnte ich schwarze Wolken sehen, aber dafür etwas anderes unerfreuliches.

>> Scheiße, die greifen aus der Luft an! Auf drei Uhr kommen Bomber. << Ich schrie mein Funkgerät geradezu an. Es gab nichts Schlimmeres als Bomber, wenn man im Schützengraben saß. Die Bomben konnten einen Gnadenlos platt machen.

>> Ich habe es gerade gesehen. Alle runter, zum Rückzug ist es zu spät. Legt euch flach auf den Boden. << Jake versuchte verzweifelt Anweisungen über Funk zu geben. Aber man konnte ihn kaum noch verstehen. Die Jets waren durch ihre hohe Geschwindigkeit so laut, dass sie alles übertönten. Ich riss Clara zu Boden und schmiss mich über sie. Alles was folgte, glich einem Weltuntergang. Minen waren gar nichts im Vergleich zu der Kraft der Sprengkörper, die von oben auf uns runter regneten. Überall flogen Erde und Steine hoch und prasselten mit einer ungehörigen Wucht auf einen nieder. Es war als würde die Erde beben. Ich verlor die Orientierung und jegliches Zeitgefühl. Ich wusste nicht mehr, ob ich noch auf dem Boden lag und wo oben oder unten war. Ich wusste nicht ob Clara noch unter mir lag und ich wusste auch nicht, wie lange die Bomben schon auf uns niederregneten. Ich merkte nur, dass ich schrie. Ich hatte Angst! Ich hatte aus Angst angefangen zu schreien. Immer wieder durchfuhren mich die mächtigen Kräfte der Explosionen. Mein ganzer Körper wurde durchgeschüttelt, aber ich füllte keine Schmerzen. Ich spürte gar nichts außer diese riesen große Angst in mir, die drohte mich zu ersticken. Sie zerdrückte mich, ich bekam keine Luft mehr.

Panisch fing ich an, um mich zu schlagen. Ich traf auf Erde. Ich öffnete vorsichtig ein Auge, da landete wieder eine Bombe und wieder wurde ich durchgerüttelt. Ich war lebendig begraben worden. Die Erde, die von den Explosionen aufgewühlt worden war, lag wie ein LKW auf mir. Schnell ruderte ich mit den Armen und versuchte aus diesem Grab rauszukommen.

Mein Kopf drohte zu zerplatzen und meine Lunge zog sich zusammen, aber ich füllte keine Schmerzen. Langsam fingen schwarze Punkte an, vor meinen Augen zu tanzen.

Gerade als ich dachte, ich breche zusammen, hörte die Erde auf und meine Lunge füllte sich mit der langersehnten Luft.

Erschöpft ließ ich mich auf die aufgewühlte Erde fallen, fuhr aber sofort wieder hoch. Clara lag noch irgendwo unter der Erde. Schnell schob ich die aufgewühlte Erde weg, aber ich konnte Clara in dem Loch nicht finden. Sie lag doch vor dem Angriff unter mir. Wo konnte sie nur sein? Ich grub an einer anderen Stelle nach ihr. Meine Hände waren versteinert von Erde und Blut, aber ich konnte Clara immer noch nicht finden. Sie war unter der Erde begraben und ich wusste nicht wo. Wie lange würde sie es noch überleben? Wie viel Zeit hatte ich noch, sie zu finden.

Gerade als ich niedergeschlagen aufhören wollte, spürte ich den rauen Stoff von Claras Uniform unter meinen Fingern. Neue Hoffnung glimmt in mir auf. Schnell schaufelte ich die Erde mit meinen Händen weg. Als ich den Stoff gut greifen konnte, krallte ich mich in ihn und zog Clara mit letzter Kraft aus dem Erdloch. Erschöpft fiel ich neben ihr auf den Boden. Clara lag auf den Buch und schnappte nach Luft. Sie öffnete entkräftet die Augen und schaute mich ängstlich an. Ich lächelte ihr nur mit letzter Kraft zu.

Ich hatte es geschafft uns beide lebendig aus unserem Grab zu befreien. Mehr wollte ich nicht. Mein Körper schrie nur noch nach Schlaf. Dieser Überlebenskampf hatte mich alle Kraftreserven gekostet. Ich war nicht mal mehr in der Lage meinen kleinen Finger zu bewegen. Ich konnte gar nichts mehr. Immer wieder fielen mir die Augen zu, aber ich kämpfte gegen dieses Verlangen nach Schlaf an. Wer konnte mir garantieren, dass wenn ich hier einschlief auch wieder aufwachte.

 

Clara und ich lagen mindestens eine Stunde ruhig nebeneinander. Keiner von uns hatte Kraft zu sprechen oder ein anderes Lebenszeichen von sich zu begeben.

Langsam versuchte ich mich aufzurichten. Jetzt, wo sich die Erschöpfung und die Angst sich wieder etwas gelegt hatten, spürte ich die Schmerzen. Mein ganzer Körper alarmierte, als ich mich bewegte. Ich spürte jeden Knochen und jeden Muskel, aber was viel Schlimmer war, war das was ich jetzt zu sehen bekam. Im ersten Moment wusste ich nicht, wo ich war. Der komplette Schützengraben war zerbombt. Von den anderen fehlte jede Spur. Das Minenfeld war zum Großteil zerstört… Einfach alles hatten sie mit ihren Bomben platt gemacht. Neben mir stand Clara zögerlich auf und schaute sich um. Sie war kreidebleich im Gesicht und konnte sich kaum auf den Beinen halten, aber ansonsten wirkte sie äußerlich nicht verletzt.

Langsam stolperten wir in Richtung Lager. Wir mussten diesen Angriff schnellstens melden, wenn er von John nicht auch so schon bemerkt worden war. Unser Funkgerät lag noch in dem Erdloch. Es hatte die Bombenattacke nicht überlebt.

Wir kamen nur mühsam voran und mussten immer wieder um riesige Krater klettern.

>> Zora! Clara! << Wir fuhren herum. Hinter uns stand Pascal. Er sah ziemlich mitgenommen aus. Am Kopf hatte er eine Platzwunde, aus der langsam das Blut über sein dreckverkrustetes Gesicht floss.

>> Ist alles klar, Pascal? << Pascal antwortete nicht sondern kam auf uns zu und nahm uns beide in den Arm. Er drückte uns an sich und ich bekam Angst zerquetscht zu werden.

>> Zum Glück ist euch nichts passiert. Ich wollte gerade los und euch suchen. << Mühsam schaffte ich es mich aus Pascals Umarmung zu befreien.

>> Pascal, wo ist Leo? Ihr ward doch zusammen in einem Trupp. <<

Langsam dreht Pascal sich mit hängendem Kopf um und schaute in den Krater hinter sich. Ich trat neben Pascal an den Rand des Kraters und wäre vor Schock beinah hinunter gestürzt.

Unten im Krater lag Leo. Er lag auf dem Bauch und sein Gesicht war zur Seite gedreht. Es sah aus, als würde er nur ganz friedlich schlafen. Seine Arme und Beine verrieten aber seinen wahren Zustand. Sie waren auf unnormale Weise abgeknickt und hatten mehr Gelenke als gewöhnlich. Außerdem konnte man erkennen, wenn man genau hinsah, dass sein Kopf auch in einem falschen Winkel lag. Unter Leo war die Erde von seinem versickerten Blut rot gefärbt.

Ich riss mich von dem schaurigen Anblick los und schaute zu Pascal. Ihm kullerten vereinzelte Tränen übers Gesicht.

>> Können wir ihn beerdigen? << Er schaute mich bittend an.

>> Nachher, wenn wir die anderen gefunden haben, beerdigen wir ihn im Lager. <<

Pascal nickte stumm. Neben mir schluchzte Clara jämmerlich. Wir standen noch einen Moment schweigend da und schauten auf Leos Leichnam.

>> Wir müssen die andren finden. << Pascal wandte sich von dem Krater ab und wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht. Ich folgte Pascal, aber Clara ließ sich einfach auf den Boden sinken.

>> Clara, komm. Wir müssen weiter. <<

>> Ich kann nicht mehr! Ich bleibe hier bei Leo. <<

>> Wir können dich hier nicht einfach zurücklassen. << Pascal ging zurück zu Clara. >> Komm kleine, ich nehm dich huckepack. <<

 

>> Sechzehn Jahre sind zu früh zum sterben. << Pascal strömten die Tränen aus den Augen. Leo war nicht der einzige, der bei diesem Bombenangriff getötet worden war. Insgesamt waren es sechs Soldaten, sieben weitere lagen schwerverletzt im Lazarett. Meine Einheit bestand nur noch aus neun Leuten. Sieben große und zwei kleine Rekruten. Die Ersatzeinheit hatte auch schwer unter dem Angriff zu leiden. Sie war nur noch halb so groß wie vorher.

Leos Beerdigung war die letzte und die schmerzhafteste Beerdigung. Sein Tod hatte uns alle sehr getroffen. Wir hatten nicht damit gerechnet, einen von uns großen zu verlieren. Natürlich war es ein unlogischer Gedanke, nur weil wir es die vorherigen Male alle überlebt hatten, hieß es nicht, dass es diesmal auch so sein würde.

Jetzt standen wir alle vor dem ausgehobenen Loch, in dem Leo, in einer Plane eingewickelt, lag. Nur sein Gesicht war noch nicht verdeckt. Pascal stand vor uns anderen und versuchte eine kleine Rede zu halten und Leo ansatzweise die Ehre und den Respekt entgegen zu bringen, die ihm gebührte.

>> Ich kann das nicht! Diese schäbige Beerdigung hat er nicht verdient! Ein Staatsbegräbnis wäre für ihn angemessener! << Pascal schmiss seine Notizen für die Rede ins Grab.

>> Es ist kein schäbiges Begräbnis. Es ist viel persönlicher als ein Staatsbegräbnis! Du musst einfach nur aussprechen, was dir durch den Kopf geht und was du fühlst. Du brauchst keine großartige Rede halten. Mach es einfach nur persönlich, das passt besser zu Leo. << Pascal nickte mir stumm zu und schluckte schwer, dann drehte er sich wieder zum Grab um.

>> Wir wollten unsere einundzwanzigsten Geburtstage zusammen feiern. Wir wollten mit einundzwanzig zusammen ins Ausland gehen und einen neuanfang wagen. Wir hatten so viele Pläne, wenn wir einundzwanzig sind, wenn wir endlich selbständig sind. Du warst mein bester Freund und jetzt bist du einfach ohne mich von dieser Welt gegangen. Wir sind zusammen aufgewachsen, du warst immer da. Wir sind beste Freunde seit wir sprechen können. Du warst wie ein Bruder für mich! Was soll ich jetzt ohne dich machen? Warum hast du mich allein gelassen? Warum musste es dich treffen? Leo, wieso dich? Wieso nicht uns? … << Pascal konnte nicht mehr. Müde und ausgelaugt fiel er auf die Knie und bleib mit hängendem Kopf sitzen. Im tropften die Tränen vom Kinn auf die Hose.

Es herrschte angespanntes Schweigen, bis Andy den ersten Schritt machte und seine Blume in Leos Grab fallen ließ. >> Mach es gut. Kleiner. Du wirst uns fehlen! << Mehr konnte er nicht sagen, jetzt liefen auch ihm die Tränen und er wandte sich ab.

Nach und nach legten wir jeder eine Blume in das Grab und sprechen ein paar letzte Worte für Leo.

Zuletzt war ich an der Reihe. Ich stand vor Leos Grab mit der Feldblume in der Hand, aber ich konnte nichts sagen. Meine Kehle war wie zu geschnürt. Zwischen zusammengebissenen Zähnen schaffte ich es, ein paar Worte herauszubringen ohne, dass ich anfangen musste zu weinen.

>> Tschüss Leo. Ich wünsche dir da oben, alles Gute und eine gute Pokerrunde. <<

Damit war das Begräbnis beendet. Ich verdeckte Leos Gesicht und half Jake dabei ihn zu begraben. Pascal saß die ganze Zeit stumm da und starrte auf das Grab, das sich langsam mit Erde füllte.

 

>> Könnt ihr noch einen Grenzschutz gewährleisen? Oder soll ich euch ein paar von meinen Soldaten schicken? << John schaute mich ernst an. Ich war nach den Begräbnissen sofort mit zwei Soldaten aus meiner Einheit zu ihm geeilt, um mit ihm die Lage zu besprechen.

>> Wir könnten Verstärkung gut gebrauchen. Vor allem beim Aufbau eines neuen Grenzwalles. <<

>> Das ist kein Problem, daran arbeiten gerade zwei Einheiten. Ihr werdet sehen, morgen habt ihr wieder Schutz und jetzt ist ja erstmal Waffenruhe. <<

>> Wenn sie sich daran halten. <<

>> Das werden sie bestimmt. Sie sind faire Kämpfer. <<

>> Wenn man einen Bombenangriff auf ungeschützte Kindersoldaten fair nennen kann, dann sind sie die fairsten Kämpfer, die ich kenne. <<

>> Ich weiß, du bist wütend und du hast schwere Verluste zu verkraften, aber sieh es doch mal aus deren Sicht. Sie müssen auch irgendwie voran kommen, ansonsten bekommen sie Probleme von ihrem Anführer. <<

Ich schaute John fassungslos an. >> Ich soll Mitleid mit einem Haufen Mörder haben? Die haben sich das doch ausgesucht! Die müssen nicht gegen uns Kämpfen! Aber sie wollen und sie haben kein Problem damit, minderjährige abzuschlachten! <<

>> Mensch Zora, ich dachte, du wärst professioneller! <<

>> Ich bin professionell! Und professionell heißt nicht, dass man alles gut redet, was der Feind macht! Professionell ist man, wenn man sich nicht unterkriegen lässt und weiter kämpft! Diesen Krieg gewinnst du nicht mit ethischen Gesprächen! Schon klar, Gewalt ist keine Lösung. In diesen Fall, ist Keine Gewalt, auch keine Lösung! << Ich schnappte mir meinen Helm und marschierte aus dem Zelt. John hatte einen Knall!

>> Zora, warte ich muss dir noch etwas erzählen! << John kam hinter mir her gerannt.

>> Was! << Ich fuhr herum.

>> Der Staat verhandelt zurzeit über einen Waffenstillstand mit der schwarzen Armee. Es sieht gut aus, dass sie sich durchsetzen. Die schwarze Armee willigt dem Waffenstillstand ein, wenn der Staat sich aus allen Kriegsgebieten auf der Welt zurückzieht. Mit etwas Glück, haben wir ab übermorgen erst mal Ruhe. <<

>> Und wenn wir Pech haben, sind wir, bis es zu diesem Waffenstillstand kommt, alle tot! Du glaubst doch nicht wirklich, dass die schwarze Armee sich daran hält! << Für mich war das Gespräch beendet. Ich lief zum Schützengraben und mit Clara und Isabel zurück ins Lager.

Im Lager saßen alle in einem stillen Chor des Weinens um das Lagerfeuer. Alle außer Pascal. Er saß immer noch vor Leos Grab, vor dem inzwischen auch ein Kreuz mit seinem Namen stand.

Ich teilte den anderen am Lagerfeuer die Mitteilung über den Waffenstillstand mit, aber niemand nahm sie wirklich auf. Sie alle starrten nur abwesend auf das flackernde Feuer.

 

>> Clara, Julien und Jake. Ihr kommt mit mir mit. Ich möchte nachschauen gehen, wie weit Johns Leute mit dem Wiederaufbau des Schutzwalles sind. Ihr anderen ruht euch aus. Wir haben erst in zwei Tagen wieder Frontdienst, wenn es bis dahin keinen Waffenstillstand gibt. Ihr könnt auch im Lazarett helfen, aber nur wenn ihr euch wirklich sicher seid, dass ihr dazu mental in der Lage seid. <<

>> Kann ich statt Clara mitkommen? Es ist zu gefährlich für sie da draußen. << Pascal saß mit verquollenen Augen vor mir.
>> Nein, du bleibst hier und legst dich nochmal schlafen. Ich nehme Clara mit. Es herrscht Waffenruhe. Wir sind in einer Stunde wieder da. <<

Ich atmete noch einmal tief durch und wies dann die drei an mir zu folgen. Dieses Kriegsjahr war anderes. Wir mussten nicht ununterbrochen kämpfen, sondern hatten auch Freizeit zwischen drin, aber ob dies besser war? Jetzt hatte man Zeit darüber nachzudenken, was in den letzten Tagen passiert ist. Man hatte auf jeden Fall die bessere Rolle, wenn man als dritte Armee in einen Krieg kommt und nur hilft die Gegner Armee zu vertreiben, als wenn man seine eigenen Grenzen verteidigen musste. Vielleicht waren es nicht vierundzwanzig Stunden Action an sieben Tagen in der Woche, aber es waren nervenaufbrauchende achtundvierzig Stunden, in denen bisher mehr passiert war, als in den actionreichen sieben Tagen.

Der Grenzwall sah fast wieder aus wie neu. Es war kein Graben mehr, sondern eine Mauer aus Sandsäcken, die uns vor den Gegnern halbwegs schützen sollte. Gerade waren Johns Soldaten damit fertig, das Minenfeld mit neuen Minen zu bestücken. Diese Arbeit war anstrengen und gefährlich. Ich war froh, dass meine Einheit nicht helfen musste. Keiner von ihnen hatte heute die Nerven, eine Mine zu legen.

>> Was macht ihr denn hier? Ihr habt doch heute frei. << Ein Offizier steuerte auf mich zu.

>> Wir wollten mal nachschauen, wie weit ihr gekommen seid. <<

>> Wir haben alles ohne Problem geschafft. Die eine Einheit ist grade am Abrücken. Mein Beileid übrigens. Es ist schrecklich, was gestern passiert ist. Ich habe den Graben gestern nicht mehr wieder erkannt. Ihr hattet Glück, dass nicht alle getroffen wurden. <<

>> Ja, da hast du recht. << Ich hörte dem jungen Offizier nur mit halben Ohr zu. Meine Konzentration wurde für etwas anderes beansprucht. Für etwas, dass eben am anderen Ende vom Minenfeld aufgetaucht war. Ein kleiner, grüner, flacher, Fleck, der sich bewegte.

>> Zora, was ist los? << Julien schaute besorgt in meine Richtung.

>> Was ist los? <<

>> Ich hab dich nur gefragt, ob ihr heute Abend nicht im großen Lager essen wollt, anstatt allein in eurem. << Der Offizier lächelte mir zu.

Ich schaute in die Runde und sofort viel mir auf, dass Clara keinen Helm auf hatte. Ich drehte mich wieder zu dem Fleck um. >> Was ist das da? <<

Ich ignorierte die Frage vom Offizier und deutete auf den Fleck. Der Offizier schaute durch sein Fernglas. Irgendwo piepste eine Uhr fünfmal.

>> Achtung, das ist ein… << Weiter kam der Offizier nicht. Schon prasselten die Schüsse auf uns nieder. Wir ließen uns alle auf den Boden fallen, ich zog Clara mit mir hinunter, dabei spürte ich an meinem Arm, mit dem ich ihren Kopf schütze ein stechenden und danach einen brennenden Schmerz. Die anderen Soldaten hinter der Mauer feuerten inzwischen alle gleichzeitig auf den Schützen am Boden. Als das Prasseln der Schüsse aufhörte, standen neben mir Jake und Julien auf. >> Zora! << Jake rüttelte an mir. Ich lag immer noch etwas benommen am Boden. Ein dumpfer Schmerz pochte im Hintergrund in meinem Kopf. >> Zora, du blutest! Hey, hörst du mich? <<

Langsam fasste ich mir an den linken Arm. Das Blut floss über meine Hand und färbte sie rot. >> Verdammt. << Schnell sprang ich auf und alles drehte sich um mich. Der Schütze hatte mich getroffen.

>> Halt still! << Julien drückte mir seinen Schal auf die Wunde und Jake band seinen um meinen Arm. >> Du musst sofort ins Lazarett! << Nervös packte Jake mich am Arm um mich für den Notfall stützen zu können. Die zwei führten mich den Weg von der Mauer weg und Clara trottete vor uns her. Sie hatte ihren Helm wieder aufgesetzt. Hätte ich meinen Arm nicht um sie gelegt, wäre Clara vermutlich tot. Ein Schaudern ging durch mich und ich stolperte. Julien und Jake fingen mich auf.

>> Wir müssen uns beeilen, aber wir kommen heute Abend gerne bei euch vorbei. << Jake verabschiedete sich in meinem Namen von dem Offizier.

Der Weg war länger als ich ihn in Erinnerung hatte. Zwischendurch mussten wir kurz anhalten und meinen Verband wechseln.

 

Kapitel 16

 

Kapitel 16

Lagebericht: 14.07.22 (Tag 21)

Seit einer Woche haben wir Urlaub, wenn man das so nennen kann. Die schwarze Armee hat dem Waffenstillstand zugestimmt und wir haben nicht mehr zu tun, als regelmäßig an der Grenze zu patroulieren.

Wir sind noch neun Leute plus fünf aus der Ersatzeinheit. Die Verlustzahl ist etwas höher. Drei Tote nach der ersten Woche, plus acht Tote nach der zweiten Woche. Dazu kommen noch fünf Schwerverletzte aus der ersten Woche und zehn Schwerverletzte aus der zweiten Woche. Das macht zusammen sechsundzwanzig verlorene Soldaten von vierzig. Das ist die höchste Verlustzahl, die ich bisher nach zwei Wochen hatte. Mein Arm hat sich so weit wieder erholt. Die Wunde war genäht worden und verheilt gut. Ich habe Glück, dass es nur ein Streifschuss war.

Wir haben im Lager noch genug Lebensmittel, Waffen, Munition, etc. und bekommen auch täglich aus dem Hauptlager Lieferungen.

Die Stimmung im Lager ist mehr als schlecht. Pascal sitzt den ganzen Tag nur vor Leos Grab und wir anderen haben nichts anderes zu tun, als vorm Feuer zu sitzen und hin und wieder Karten zu spielen.

Ich wüsste auch nicht, was wir stattdessen tun könnten. Im Lazarett wird keine Hilfe mehr benötigt, alle akuten Fälle wurden entweder in den Staat gebracht oder sind gestorben und die paar Verletzten, die jetzt noch dort sind, schaffen die Krankenschwestern alleine. Es gibt nichts für meine Einheit zu tun.

 

>> Morgen übernehmen Clara und ich die erste Patrouille um vier. Jake und Andy, ihr nehmt die zweite um zehn. Pascal und Chris, ihr nehmt die dritte um sechzehn Uhr und Julien und Isabel, ihr nehmt die letzte um zweiundzwanzig Uhr. Jetzt beschäftigt euch den Abend selbst. Chris und Clara ihr bringt den Müll vom Abendessen weg. << Pascal stand auf. >> Pascal, du wartest bitte mal kurz auf mich. Ich muss mal mit dir reden. << Ich konnte nicht weiter mit ansehen, wie Pascal so litt, das hätte auch Leo nicht gewollt. >> Komm, wir gehen ein Stück. << Pascal folgte mir zögerlich, als wir außer Hörweite der anderen waren, setzte ich mich auf den Waldboden.

>> Pascal, so kann das mit dir nicht weitergehen. Du machst dich so nur kaputt. Ich weiß, Leo fehlt dir, aber das hätte er nicht gewollt. Du bist eine leere Hülle. Wo ist der lustige und freche Pascal geblieben? <<

>> Ohne Leo fehlt etwas. Ich hab das Gefühl, dass ich nie wieder so sein kann wie früher. <<

>> Du musst loslassen, anders kannst du dir nicht helfen. <<

Pascal schabte mit einem Stock über den Boden. >> Das sagst du so leicht. <<

>> Ja, aber es ist wahr. Ich erzähl dir mal etwas. Ich habe Clara durch ihren Bruder kennen gelernt. Ich war mit Paul zusammen. Wir waren verliebt und alles stimmte. Ich glaube, ich war noch nie so glücklich gewesen in meinem Leben, wie in der Zeit. Dann habe ich mich mit Paul gestritten und bin abgehauen. Ich weiß nicht, ob du es mit bekommen hast, dass ich zu dieser Zeit, von zwei Soldaten aus der schwarzen Armee bedroht worden war. Diese fanden mich im Feld und wollten ihre Drohung war machen und mich umbringen. Paul fand mich rechtzeitig und musste dafür mit seinem Leben bezahlen. George hat Paul erschossen, nachdem Paul seinen Kumpanen Daniel umgebracht hatte. Ich wusste nicht, wie es nach Pauls Tod weitergehen soll. Clara, Paul und ich waren eine Familie und diese Familie war jetzt zerstört. Das schlimmste war, ich habe und ich mache mir immer noch Vorwürfe, dass ich an Pauls Tod schuld bin und trotzdem habe ich es Geschafft darüber hinweg zukommen. Erst mal ist es mir nicht mal aufgefallen. Ich hatte viele andere Sachen zu tun. Ich war im Heim und wollte Clara zu mir holen und so weiter, da habe ich nicht mehr so oft an ihn gedacht. Jetzt kann ich ohne Problem mit dir über seinen Tod reden. Natürlich fehlt Paul mir immer noch und ich bin auch immer noch traurig wenn ich an ihn denke. Er wird noch lange, der einzige Mann sein, den ich in meinem Leben haben möchte, aber ich lasse mich einfach nicht mehr so von seinem Tod beeinflussen. << Ich holte einmal tief Luft und schaute zu Pascal.

>> Deshalb standest du bei unseren Scherzen nie zur Wahl und ich dachte schon, ich würde dich nicht interessieren. << Pascal versuchte mich halbherzig anzugrinsen.

>> Nein, die Versuchung war da. << Ich musste lächeln.

>> Leo und ich haben immer überlegt, wieso du nie zur Wahl stehst. Leo… Leo fehlt mir. << Pascal lehnte sich an meine Schulter.

>> Er fehlt uns allen. Es hilft dir trotzdem nicht, wenn du jeden Tag an seinem Grab sitzt. Du musst wieder deine Rutine finden, dann kommst du gleich viel schnell über den Verlust hinweg. <<

>> Hat dir eigentlich schon mal jemand gesagt, was für ein starkes und tapferes Mädchen du bist. Egal welches Hindernis man dir in den Weg legt, du überwindest es. Du musstest schon so viel durchstehen und trotzdem bist du noch du. << Pascal schaute mich bewundernd an.

>> Wir alle müssen viel durchstehen. Und das mit dem, ich bin immer noch ich stimmt auch nicht ganz. Ich war lange nicht mehr ich selbst, aber auch das habe ich erst begriffen, als ich hier war. Es ist doch sehr verwunderlich, was der Krieg aus einem macht. <<

>> Wirst du mit der Armee aufhören, wenn du einundzwanzig bist? <<

>> Ich wollte immer so schnell wie möglich raus aus der Armee, aber inzwischen weiß ich nicht, ob ich wirklich austreten werde. Ich habe zwölf Jahre meines Lebens mit der Armee verbracht, es ist ein Teil von mir und diesen Teil kann ich nicht einfach abtrennen. Ich wurde mein ganzes Leben lang für den Krieg ausgebildet. Ich habe keine Ahnung, was ich statt der Armee machen soll. << Ich legte meinen Kopf auf Pascals.

>> Geht mir genauso. Ich wollte immer mit Leo raus aus dem Staat, egal wohin Hauptsache weg, aber jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher. Ich habe nie wirklich darüber nachgedacht, was wir dann machen sollen. Es waren einfach nur unüberlegte Pläne von zwei Jungen. Leo wollte unbedingt weg von der Armee, aber ich weiß es nicht. Ich glaube, sie gehört einfach zu meinem Leben und wenn ich jetzt gehen würde, würde etwas Gewaltiges fehlen. Vielleicht ist es auch besser, wenn ich mir einen eigenen neuen Weg suche, jetzt wo Leo tot ist. << Pascal legte sich mit dem Kopf auf meinen Schoss.

>> Ich weiß, was du meinst, ich habe immer auf die Armee geschimpft. Ich habe auf den Staat geschimpft, aber jetzt weiß ich nicht, ob ich immer noch derselben Meinung bin wie früher. Mir ist auch erst klar geworden, als ich hier war, wie sehr mir das gefehlt hat. Der Krieg. So schrecklich sich das anhört. Aber ich kann ohne den Krieg nicht leben. Ich habe das Gefühl, ich gehe kaputt. Es ist wie, wenn man einem sechzehnjährigen Mädchen, dem man seit dem es vier ist Drogen gespritzt hat, diese auf einmal entzieht. So fühle ich mich, wenn ich daran denke, mit der Armee aufzuhören. Sie ist ein Bestandteil meines Lebens, auf den ich nicht verzichten kann. <<

Pascal nickte nur und schaute mir tief in die Augen. Ich erwiderte seinen Blick.

>> Weißt du, was ich schon seit langen einfach mal machen wollte? << Pascal setzte sich auf.

>> Nein, was? << Ich schaute ihn fragend an.

>> Das. << Pascal küsste mich. Erst nur ganz vorsichtig, dann aber leidenschaftlicher. >> Stehen wir das zusammen durch? <<

>> Ja. << Wir standen auf und gingen zurück zu den anderen. Kurz bevor wir bei den anderen waren, hielt Pascal mich noch einmal fest. >> Wir sind jetzt aber nicht zusammen oder? <<

>> Nein, wieso? <<

>> Puh, gut. Das heißt ich darf noch mit anderen Mädchen rummachen. << Pascal grinste mich schwach an. Er gab sich wirklich Mühe, wieder der alte zu sein. Ich schüttelte nur den Kopf.

>> Typisch Mann! <<

Die anderen saßen am Feuer und ihre Laune besserte sich gleich, als Pascal sich nicht wieder zu Leos Grab verzog. Isabel saß bei Julien auf dem Schoss und bemalte ihn mit Asche. Andy und Jake lagen neben einander auf einem Baumstamm und küssten sich. Clara und Chris spielten am Rande vom Lager mit Holzfiguren, die Andy und Jake ihnen geschnitzt hatten. Langsam kehrte wieder Normalität in das Lager ein. Zufrieden setzte ich mich zu den beiden Pärchen ans Lagerfeuer. Pascal setzte sich neben mich. >> Hat einer von euch Lust zu pokern? << Erstaunt schauten Andy und Jake auf.
>> Wer bist du und was hast du mit Pascal gemacht? << Andy schaute mich fragend an.

>> Ihn wieder geholt. Mit der trostlosen Gestallt konnte man ja nichts anfangen. <<

Wir lachten und Jake teilte die erste Runde Karten aus.

 

>> Clara, aufwachen wir müssen los. << Ich weckte um kurz vor vier Clara. Total verschlafen kroch sie aus ihrem Bett und zog sich an. Fertig ausgerüstet folgte sie mir. Gemütlich liefen wir in Richtung Grenze.

>> Was hast du gestern mit Pascal beredet? <<

>> Ich habe ihn aufgemuntert. <<

>> Ach so und warum hast du ihn geküsst? << Clara blieb stehen. Ich zog scharf die Luft ein. Sie hatte gesehen, wie wir uns geküsst haben.

>> Pascal brauchte etwas Aufmunterung. << Stotterte ich vor mich hin.

>> Ich bin dir nicht böse. Ich habe gehört, was du Pascal erzählt hast. Warum hast du es mir nie so erzählt? Dann wäre ich bestimmt nicht so wütend gewesen. <<

>> Ich war mir nicht sicher, ob du es verstehen würdest. <<

Wir liefen den Grenzwall entlang und überprüften, ob die Sandsäcke verrutscht oder heruntergefallen waren.

>> Muss ich auch bei der Armee bleiben? << Clara zog einen Sandsack wieder an den richtigen Platz.

>> Nein, wenn ich achtzehn bin, hole ich dich zu mir. Dann kannst du wieder zur Schule gehen. << Ich half ihr mit den Sandsack, dann gingen wir weiter und leuchteten die Wand ab.

>> Und was ist wenn du in den Krieg musst? <<

>> Dann wohnst du so lange bei Mike. <<

>> Ich mache mir aber Sorgen, wenn du im Krieg bist. Was ist wenn dir etwas passiert? <<

>> Das brauchst du nicht! Unkraut vergeht nicht. << Ich hielt meine Taschenlampe unter mein Kinn, so dass sie mein Gesicht anstrahlte und schnitt Grimassen.

An einer Stelle war ein ganzer Teil der Wand eingestürzt. Schnell machten wir uns dran, die Sandsäcke wieder aufzustapeln. Nach einer Weile taten mir langsam die Arme weh. Besonders der Linke mit der verheilenden Schusswunde. Als wir fertig waren, ließ ich mich erstmal auf den Boden fallen und holte meine Thermokanne aus meinem Rucksack. Ich schenkte Clara und mir etwas von den Tee ein, den ich heute Morgen extra noch gekocht hatte.

>> Hast du auch was zu essen? Ich glaub, ich sterbe gleich vor Hunger. << Clara schaute mich gierig an. Seit wir im Krieg waren, war sie noch magerer geworden, als vorher, dabei gab es wirklich genug Essen. Ich reichte ihr ein Stück Brot und eine Hand voll Kekse. Wir ließen uns unser karges Frühstück schmecken.

>> Bist du jetzt mit Pascal zusammen? << Clara schlürfte an ihrem Tee.

>> Nein, wir sind kein Paar. Wir sind einfach gute Freunde. <<

>> Aber ihr habt euch doch geküsst, ist man dann nicht automatisch ein Paar? <<

Ich musste Lachen. Claras Frage war wirklich süß. Woher sollte sie es auch anders wissen? In den Liebesromanen, die sie las, war es immer so, dass wenn sich ein Junge und ein Mädchen küssten, sie zusammen waren. Selbst bei Paul und mir hatte sie es nicht anders gesehen.

>> Nein, wenn man mit jemanden zusammen ist, dann ist es so, weil man ihn liebt. Dann will man seinen Freund nie wieder verlieren, aber ich bin nicht mit Pascal zusammen. Ich will ihn zwar auch nicht verlieren, aber ich liebe ihn nicht. Er ist einfach nur ein guter Freund. <<

>> Das ist ganz schön kompliziert, aber vermutlich bin ich einfach nur wieder zu jung, um es zu verstehen. <<

>> Nein, für Liebe ist man nie alt genug. Liebe wird nicht einfacher. <<

>> Das ist ja blöd. << Clara schnitt eine Grimasse. Ich packte unsere Becher wieder ein und wir machten uns weiter.

>> Jake und Andy sind doch auch ein Paar oder? Die lieben sich doch. Ich hab gesehen, wie sie sich geküsst haben. <<

>> Ja, Jake und Andy sind zusammen. <<

>> Aber das sind doch zwei Männer. << Das Thema schien Clara sehr zu interessieren, aber sie interessierte ja alles, was man nicht sofort verstehen konnte.

>> Auch zwei Männer können zusammen sein. Genau wie zwei Frauen. <<

>> Aha. Liebe ist wirklich viel zu kompliziert! Damit lasse ich mir noch Zeit! <<

Wir waren die Grenze weiterabgegangen, als wir überhaupt hätten gemusst. Clara drehte sich in Richtung Lager um und ich checkte nochmal die Gegend hinter dem Minenfeld.

>> Zora? <<

>> Ja? <<

>> Woher kommt der Rauch da hinten? <<

Ich drehte mich zu Clara um und schaute in den Himmel. Über dem Wald stieg eine riesige Rauchwolke auf. Genau in der Richtung, in der unser Lager liegen musste.

>> Nein. << Hauchte ich leise. Ich starrte zum Himmel. Wie konnte das nur passieren. Wo kam das Feuer her? >> Scheiße! << Ein Waldbrand, war das letzte, was wir gebrauchen konnten. Hoffentlich waren die anderen rechtzeitig wachgeworden.

Ich lief so schnell ich konnte die Grenze entlang, zurück zu unserem Lager. Clara versuchte mit mir mitzuhalten, fiel aber immer weiter zurück. Der Rauch über den Bäumen wurde dichter, je näher ich dem Lager kam. Jetzt konnte man auch erkennen, dass es zwei Rauchsäulen waren. Die eine stieg genau über unserer Lichtung auf und die andere etwas weiter entfernt, in der Nähe von Johns Lager. Ich kam ins Stolpern. Das war kein Waldbrand! Die Rauchsäulen kamen nicht von verbrennenden Bäumen, sie kamen von den Lagern!

Clara holte mich ein. >> Was ist los? Warum bist du stehen geblieben? <<

>> Die haben die Lager angesteckt. << Antwortete ich völlig monoton, während ich immer noch fassungslos auf die Rauchsäulen starrte.

>> Wer hat das Lager angsteckt? << Clara schaute mich ängstlich an.

>> Wer wohl! Die feigen Schweine der schwarzen Armee! War doch klar, dass sie sich nicht an den Waffenstillstand halten! << Ich hatte mich wiedergefangen und rannte weiter quer durch den Wald.

Kurz vor unserer Lichtung fiel ich über einen reglosen Körper. Schnell rappelte ich mich auf und drehte den Körper um. Schon an der Größe wusste ich, um wen es sich handeln musste. Chris. Sie musste weggelaufen sein, als die Soldaten kamen, aber es hatte ihr nichts genützt. Man hatte sie von hinten erschossen. Blut klebte ihr an Kinn und Mund.

>> Clara, du wartest hier. Versteck dich hinter den Bäumen. Egal was mit mir passiert, du bleibst hier und versteckst dich! << Clara stand einige Meter erschöpft hinter mir.

>> Warum darf ich nicht mitkommen? Ich hab Angst allein. <<

>> Weil ich nicht weiß, was uns im Lager erwartet. << Ich schloss Chris Augen und stand auf. >> Du bleibst hier. <<

 

Mit dem Finger am Abzug des Maschinengewehrs betrat ich vorsichtig die Lichtung. Der Rauch der verbrennenden Zelte schränkte mein Sichtfeld stark ein, außerdem brannte er in Augen und Hals.

Das Lager war komplett zerstört. Die Zelte, die nicht in Flammen standen, waren zerschlitzt oder zerschossen. Unsere Sandsackmauer hatten sie einfach eingerissen. Überall lag der Sand verteilt.

In dem Sand konnte man deutlich Blutspuren erkennen. Das dunkle Rot leuchtete frisch auf dem hellen Sand. Ich schritt durch die Reihen der brennenden Zelte. Kein Lebenszeichen war zu sehen. Immer wieder kam ich an erschossenen Soldaten der schwarzen Armee vorbei. Wir hatten uns gewehrt. Sie waren wach geworden, hoffentlich rechtzeitig.

Dann blieb ich vor zwei Leichen stehen. Sie lagen auf einander. Vielleicht waren unsere Gegenangriffe doch vergebens gewesen und sie waren alle umgebracht worden. Wir waren eindeutig in der Minderzahl gewesen. Was wenn wir einfach überrannt worden waren? Julien musste sich noch schützend über Isabel geworfen haben, aber es hatte nichts gebracht. Sie waren beide ums Leben gekommen. Ich konnte immer noch nicht begreifen, was hier vorgefallen war. Ich war mit Clara höchstens eine Stunde weggewesen. Wir hatten davon nichts mitbekommen. Es musste sehr schnell gegangen sein. Gut, dass ich Clara im Wald gelassen hatte, dass sollte sie nicht sehen.

Ich zog Julien vorsichtig seine Jacke aus und verdeckte mit ihr die Köpfe der beiden. Für eine Beerdigung hatte ich keine Zeit, auch wenn sie eigentlich eine verdient hatten.

Langsam lief ich weiter. Nirgends gab es ein Lebenszeichen. Nicht von der schwarzen Arme und auch nicht von meiner Einheit. Das ganze Lager war ausgestorben.

Ich entdeckte eine blutige Schleifspur auf der Wiese. Sie führte hinter unser Vorratszelt. Was ich hinter dem Zelt zu sehen bekam, war wie ein Schlag vors Gesicht. Ich bekam keine Luft mehr und stolperte. Entsetzt sank ich auf die Knie. Tränen brannten wie Feuer in meinen Augen. Ein unglaublicher Schmerz breitete sich in mir aus. Es fühlte sich an, als würde ich von innen nach außen zerrissen werden. Ich schrie. Ich schrie so laut ich konnte den Schmerz hinaus. Wie konnte man so grausam sein? Ich schloss die Augen, mein Hals brannte und meine Stimme versagte. Kraftlos fiel ich auf den blutigen Boden. Wie ein wimmernder Wurm rollte ich mich hin und her.

Wieso? Hallte es in meinem Kopf. Wie konnte man so etwas nur tun? Umgebracht und aufgeknüpft. Wie pervers war das denn? Wie respektlos konnte man mit einem Menschen umgehen?

>> Zora? Zora, wo bist du? Was ist passiert? <<

>> Clara, bleib weg. << Schnell rappelte ich mich auf. Clara durfte das nicht sehen. Davon würde sie sich nie erholen.
>> Was ist lo… << Clara starrte entsetzt auf die hängenden Leichen. Sie wankte und fing an zu taumeln. Ich konnte sie gerade noch auffangen.

>> Schau nicht hin, Clara. Es ist brutal, was die schwarze Armee gemacht hat. Du darfst nicht hinschauen. <<

Langsam richtete Clara sich wieder auf. >> Wir müssen sie da runter holen. Wir können sie doch nicht einfach da hängen lassen! <<

>> Und dann? Wir haben keine Zeit sie zu beerdigen. Wer weiß, wann die schwarze Armee wieder kommt? Sollen wir sie einfach hier auf den Boden legen? <<

Clara holte ihr Messer aus der Jackentasche und kletterte auf einen Sandsackberg. >> Das ist immer noch würdevoller, als sie hängen zu lassen. << Langsam stand ich auf und ging zu Clara. Sie fing an, das erste Seil durchzuschneiden. Ich half ihr, in dem ich Jakes Körper festhielt. Als das Seil durchtrennt war, wäre ich beinah mit Jakes Körper umgefallen, so schwer war sein lebloser Leib. Neben Jake legte ich Andy und deckte sie zusammen mit einer Plane aus dem Vorratszelt zu. Als letztes schnitt Clara Pascal los. Ich hatte das Gefühl, dass sein Körper besonders schwer war. Mein kleiner Pascal, den ich gestern noch aufgemuntert hatte. Jetzt war er wieder mit seinem besten Freund vereint. Wie er schon gesagt hatte, sechzehn Jahre waren zu früh zum sterben. Das würde ich den miesen Schweinen heimzahlen! Langsam kochte in mir ein Gefühl der Rache hoch. Jeden Soldaten der schwarzen Armee, der mir über den Weg laufen würde, würde ich gnadenlos töten.

>> Clara, schau du mal nach, ob du im Lager noch etwas Brauchbares findest. Essen, Trinke, Waffen. Du weißt bescheid. Sammel alles ein, was du finden kannst und such ein Funkgerät. <<

>> Und was machst du? <<

>> Ich bringe das hier zu Ende. << Wir marschierten in zwei verschiedene Richtungen. Ich holte erst Julien, dann Isabel und zuletzt Chris. Alle drei legte ich zu dem Rest meiner Einheit. Ich nahm jeden von den zwölf, ihre Erkennungsmarken ab und packte sie in meinen Rucksack.
Im Vorratszelt fand ich noch einen Kanister mit Benzin. Großzügig verschüttete ich das ganze Benzin über den Leichen. In einer riesigen Stichflamme gingen die Leichen in Flammen auf. >> Was tust du da? << Geschockt schaute Clara mich an. Mit vollen Armen stand sie hinter mir.

>> Ich verbrenne sie. <<

>> Aber warum? <<

>> Willst du, dass sie hier liegen und von Würmern zerfressen werden? Sie werden nicht abgeholt und wo anders begraben! Der Staat hat andere Sorgen, als sich um ein paar Leichen zu kümmern. <<

>> Ach so. Willst du die anderen Leichen auch verbrennen? << Clara legte ihre gesammelten Sachen auf einen Stapel und ich schaute sie durch.

>> Nein, sie gehören nicht zu uns. Von mir aus können sie zerfressen werden und verwesen. Sie haben meine Freunde umgebracht. Sollen ihre Leute sich doch um sie kümmern. <<

Clara hatte etwas Brot, zwei Packungen Kekse und zwei Packungen Trockenfleisch gefunden, dann noch zwei volle Wasserflaschen und eine volle Thermokanne mit Tee, außerdem ein Funkgerät, zwei volle Pistolen Magazine und drei Patronenketten für unsere Gewehre. Eine ziemlich rare Ausbeute, aber besser als nichts.

>> Was machen wir jetzt? << Clara lief vor mir auf und ab. Ich hatte das Gefühl, sie wollte nicht zur Ruhe kommen, um nicht über den Überfall nachdenken zu müssen.

>> Erstmal setzte ich einen Notruf ab. << Ich stellte das Funkgerät auf den richtigen Kanal ein. >> Oberleutnant Zora hier. Kann mich jemand hören? <<

>> Zora? Hier spricht Herr Froh. Was ist los? <<

>> Die schwarze Armee hat die Lager meiner und Johns Einheit überfallen und ist jetzt unterwegs in Richtung Hauptlager. <<

>> Was! Wie konnte das passieren? Es herrscht Waffenstillstand. <<

>> Sie haben doch nicht wirklich daran geglaubt, dass die schwarze Armee sich daran hält! <<

>> Doch ich war überzeugt davon, dass sie faire Kämpfer seien. <<

>> Warum hält sie jeder für fair? Sie starten Luftangriffe auf ungeschützte Kinder. Sie metzeln, während dem Waffenstillstand, Lager nieder und hängen die getöteten Soldaten in die Bäume! <<

>> Wie hoch sind die Verluste? <<

>> Aus meiner Einheit haben nur zwei Soldaten überlebt. Clara und ich waren auf Patrouille, als die Schweine hier eingedrungen sind. Herr Froh, wir brauchen Hilfe. Unser Essen reicht höchstens für zwei Tage. Holen sie uns hier raus, sonst verhungern wir, wenn wir nicht vorher von der schwarzen Armee umgelegt werden! <<

>> So gerne ich dir eine Rettungsmission schicken würde. Ich kann nicht. Die Sicherung des Staates ist wichtiger als euer Leben. Dafür brauche ich alle mir zu Verfügung stehenden Kräfte. Es tut mir leid, Zora. Hoffentlich schaffst du es alleine lebend zurück. Ich kann dir nicht helfen. << Der Funkkontakt zu Herr Froh brach ab. >> Herr Froh? Hallo Herr Froh! Arschloch! << Wütend schmiss ich das Funkgerät weg.

>> Und jetzt? << Clara liefen die Tränen übers Gesicht. >> Müssen wir jetzt auch, wie Chris und die anderen, sterben? <<

Ich atmete erstmal tief durch und rieb mir übers Gesicht bevor ich Clara antwortete. Es war nicht gerade schön zuhören, dass das eigene Leben für den Staat wertlos war. >> Nein, wir werden nicht sterben. Wir packen jetzt das ganze Essen in unsere Rucksäcke und laufen zurück zum Staat. <<

>> Wie weit ist das? << Clara half mir die Sachen zu verstauen.

>> Zehn bis zwanzig Kilometer. Das sollten wir allerspätestens morgen Abend geschafft haben. <<

>> Weißt du, wo wir lang müssen? <<

>> Immer der Hauptstraße nach. Komm nichts wie weg. << Ich nahm Clara an die Hand. Ich wollte sie ganz nah bei mir haben. Clara hob noch etwas vom Boden auf. Eine Holzfigur. Sie packte die Figur in ihren Rucksack und nickte mir zu.
>> Setzen wir dem Spuck ein Ende. <<

Auf dem Hügel hinter dem Lager drehten wir uns noch einmal um. Das Feuer der brennenden Leichen war fast erloschen. Ich merkte, wie mir die Tränen übers Gesicht liefen. Schnell drehte ich mich um. Ich durfte nicht begreifen, was heute passiert war. Ich durfte es mir nicht klar machen. Noch nicht. Noch waren wir nicht in Sicherheit. Noch war keine Zeit für Trauer.

 

Nach drei Stunden laufen erreichten wir das Hauptlager. Wie befürchtet war es von der schwarzen Armee besetzt worden. Einen Teil der Soldaten hatten umgebracht, den anderen hielten sie gefangen. Clara und ich versteckten uns im Wald außer Sichtweite der Patrouillen. Wir hatten ein Problem. Das Lager war um die Hauptstraße errichtet worden. Wer in den Staat oder aus dem Staat wollte, musste das Lager passieren. Wir konnten aber nicht einfach da durch spazieren. Frustriert drehte ich mich um und schlich durch den Wald zurück. Es wäre auch zu leicht gewesen, wenn wir den direkten Weg in den Staat hätten nehmen können. Jetzt musste ich einen anderen Weg weiträumig um das Lager herum finden.

Wir folgten einem kleinen Graben aus dem Wald. Er führte uns zu einem riesigen Grabensystem. Von ihm gab es lauter Abgabelungen, die in verschiedene Richtungen führten. Ich entschied mich geradeaus weiter zu gehen. Es war bestimmt besser, einen großen Abstand zwischen uns und die schwarzen Armee zu bringen.

An der nächsten Weggabelung wandte ich mich nach rechts. Müde und erschöpft folgte mir Clara leise. In den Händen hielt sie die Holzfigur, die ihr Andy geschnitzt hatte und Tränen kullerten ihr über das Gesicht.

Wir kamen wieder an eine Weggabelung und ich musste mir eingestehen, dass ich keine Ahnung hatte, wo wir waren und wo wir hin mussten. Wir hatten uns verlaufen. Ich ließ mich in den Sand fallen und vergrub den Kopf in den Knien. Wenn wir weiterliefen würden wir uns nur noch mehr verlaufen. Wir mussten warten bis es Nacht wurde, dann konnte ich mich an den Sternen orientieren. Hoffentlich zogen keine Wolken auf.

>> Warum warten wir hier? << Clara schniefte.

>> Nachts ist es sicherer. Wir sind zu nah am Lager der schwarzen Armee. Wenn wir nachts gehen, bemerken sie uns nicht so schnell wie am Tag. << Ich wollte Clara nicht anlügen, aber ich konnte ihr nicht die Wahrheit sagen. Sie würde sich nur noch mehr Sorgen machen.

>> Was machen wir jetzt, bis es Nacht ist? <<

>> Wie wäre es damit, du legst dich jetzt hin und schläfst ein bisschen und ich passe auf, dass niemand kommt. Wir müssen heute Nacht noch eine ganzschön lange Strecke laufen, da kannst du jede Kraft brauchen. <<

>> Wo soll ich mich denn hier hinlegen. Hier ist doch alles voller Sand und Blut. << Clara starrte Abwesend auf den Boden. Ihr fielen die Augen zu und sie sackte in sich zusammen. Ich fing sie, bevor sie auf dem Boden aufschlug. Sie war die ganze Zeit in einem Tagtraum gewesen. Sie konnte nicht mehr jetzt von vorher unterscheiden und muss gedacht haben, sie solle sich auf den sandigen Boden im Lager legen.

Sie schlief den Tag durch. Alpträume plagten sie. Immer wieder weinte oder schrie sie, aber sie wachte nicht auf. Erst als ich hier etwas kaltes Wasser überschüttete.

An den Sternen konnte ich mich leichter orientieren und wir fanden schnell den richtigen Weg.

 

 

 

Kapitel 17

 

Kapitel 17

Lagebericht: Warum schreibe ich überhaupt noch einen Lagebericht. Es gibt keine Einheit dreiundzwanzig mehr. Alles was von ihr übrig geblieben ist, sind zwei Personen. Clara und ich. Der Rest wurde vollkommen eliminiert. Den Angriff der schwarzen Armee hat keiner überlebt. Unsere Vorräte sind knapp und reichen nur noch für einen Tag. Wir zwei sind übermüdet. Wir befinden uns nicht weit von der Grenze entfernt. Zwischen uns und dem sicheren Staat liegen nur noch sieben Kilometer Minenfeld. Wir haben es so gut wie geschafft. Bald hat das alles hier ein Ende.

 

>> Bist du bereit? << Ich schaute Clara fragend an. Wir standen vor dem riesigen Zaun der das Minenfeld abgrenzte. Der Staat war schon zu greifen nah. Heute Abend würden wir bei Zack sein. Eigentlich hätte ich lieber vor dem Minenfeld auf Hilfe gewartet, aber uns saß die schwarze Armee im Nacken. Sie rückte langsam jeden Tag weiter vor und unser Essen ging auch zur Neige. Wir hatten keine Zeit zum Warten.

>> Packen wir es an. << Clara nickte mir zu und wollte anfangen den Zaun hochzuklettern, aber ich hielt sie fest. >> Ich kletter zu erst rüber. Halt Abstand zum Zaun. Vielleicht liegt hinter ihm gleich ein Sprengkörper. Eigentlich sollte da keiner liegen, aber vielleicht haben sie vor dem Krieg das Feld noch mehr aufgerüstet. <<

>> Du kennst das Minenfeld? <<

>> Würde ich es sonst ohne Minenschutzausrüstung passieren, das wäre doch Selbstmord! Wir haben dieses Feld vor zwei Jahren gebaut, als der Krieg in Rhodum stärker wurde. Es wurde als Schutz für den Staat an dieser Seite der Grenze angelegt. Ich weiß noch ungefähr, wo die Minen liegen. Jake weiß es bestimmt noch ge… Er wusste es bestimmt noch genau. << Ein Knoten bildete sich in meinem Hals.

>> Wieso wusste er es noch genau? <<

>> Weil er den Plan entworfen hatte. >> Ich musste das Thema abschließen, bevor alles in mir hoch kam, als kletterte ich schnell den Stacheldrahtzaun hinauf. Clara warte, bis ich mich auf der anderen Seite vorsichtig auf den Boden fallen lassen hatte, bevor sie mir folgte. Während sie an derselben Stelle über den Zaun kletterte, schaute ich mich um. Hier musste es irgendwo einen Pfad aus flachen runden Steinen geben, auf dem man das Feld gefahrlos passieren konnte. Ich musste nur die Markierungen finden. Die Flachen Steine lagen unauffällig wie die anderen Steine auf dem Feld verteilt. Ein Außenstehender, der nichts von dem Pfad wusste, würde nie auf die Idee kommen, dass sie eine Bedeutung hatten.

>> Siehst du die grauen flachen Steine hier. Auf denen überqueren wir das Feld. Du darfst nur auf die flachen Steine Treten und du musst ganz leise sein. Wenn du ein „Klicken“ unter dir hörst oder spürst, musst du stehen bleiben. Auf keinen Fall darfst du panisch weiterlaufen, denn das Klicken bedeutet, dass eine Mine aktiviert wurde. Diese Minen funktionieren etwas anders, als im Ausbildungslager. Sie haben eingebaute Sensoren, die merken, wenn sich das Gewicht auf der Mine schlagartig verändert. Sobald das Gewicht wieder weniger ist, geht sie hoch. Du musst dir das wie einen Druckknopf vorstellen. Dein zusätzliches Gewicht auf der Mine drückt den Knopf rein und sobald du weiter gehst, schnellt er wieder raus und die Mine explodiert. Hast du das Prinzip verstanden? <<

>> Ja, aber kannst du bitte vorgehen? Ich hab Angst auf die falschen Steine zu treten. << Man konnte Clara ansehen, dass sie große Angst hatte, dieses Feld zu überqueren, aber es gab keinen anderen Weg. Alle Straßen in den Staat waren von der schwarzen Armee oder vom Staat abgeriegelt. Niemand würde durchgelassen werden.

>> Clara, keine Sorge! Wir haben es bald geschafft. Du wirst sehen, alles wird wieder gut werden. Heute Abend liegst du wieder in einem richtigen Bett, dann hat der Spuck hier ein Ende. << Ich kniete mich vor sie. >> Das Verspreche ich dir! << Wie oft hatte ich Clara schon etwas versprochen und am Ende war es dann doch anderes gekommen? Dieses Mal war ich mir sicher, dass ich dieses Versprechen halten würde. Koste es, was es wolle.

Es war anstrengend über die Steine zu laufen ohne abzurutschen. Um uns herum herrschte eine angespannte Stille, als würde die ganze Welt, wie wir die Luft anhalten und auf ein „Klick“ lauschen. Immer wieder blieb ich wie angewurzelt stehen, weil ich mir eingebildet hatte, etwas gehört zu haben. Doch zum Glück war es nur eine Täuschung gewesen. Wir machten an jedem Graben den wir erreichten fünf Minuten Rast. Mit neuem Mut ging es dann weiter.

Wir hatten ungefähr die Hälfte des Minenfeldes überquert und meine Laune besserte sich. Ich sah schon das kleine Grenztor vor mir, durch das wir den Staat betreten würden.

Plötzlich tauchte Sascha in meinen Gedanken auf. Er wusste wahrscheinlich nicht, dass sein Bruder und der Rest seiner Freunde umgebracht wurden. Ihre Erkennungsmarken waren noch nicht im Staat und damit waren sie noch nicht für tot erklärt worden. Hoffentlich musste nicht ich ihm die grausame Nachricht überbringen. Er würd sich solche Vorwürfe machen, dass er nicht mitgekommen war. Jetzt war sein Bruder endgültig von ihm gegangen und würde auch nicht wieder zurückkehren. Der kleine Jake würde niemals seinen Onkel kennen lernen, in dessen große Fußstapfen er treten musste.

Wie würde es jetzt weitergehen im Staat. Würde er mich wirklich in Ruhe lassen? Wollte ich in Ruhe gelassen werden? Ich glaubte, ich würde für ein par Tage bei Zacharias unterschlüpfen und dann im Ausbildungslager wieder die Leitung übernehmen. Ich konnte ja doch nicht ohne den Staat. So sehr ich ihn und seine Armee auch hasste, brauchte ich ihn und die Armee doch, ansonsten hätte mein Leben keinen Sinn mehr. Ich wollte keinen Neustart machen und mich hocharbeiten. Ich wollte bei den Leuten bleiben, die mich seit klein auf kannte. Egal, ob sie mich hassten oder nicht. Ich war nicht Zora Zita Aura, ich war Oberleutnant Zora, oberste Soldatin in der Abteilung der Heranwachsenden. Das war mein Platz und den würde ich auf keinen Fall aufgeben, auch wenn es für mich vor einem Jahr noch nichts Besseres gegeben hätte, als aus der Armee auszutreten.

Klick.

Ich blieb wie angewurzelt stehen und schaute nach unten. Ich war in meiner Grübelei auf einen falschen Stein getreten. Vorsichtig drehte ich den Kopf um und schaute Clara an. Sie stand mit kreidebleichem Gesicht hinter mir und schüttelte nur langsam den Kopf. Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Jetzt bloß nicht panisch werden.

>> Clara, komm neben mich. << Ich zitterte am ganzen Körper vor Angst. >> So und jetzt nimmst du mir gleich vorsichtig meinen Rucksack ab und gehst weiter. Da vorne ist ein Schützengraben. In ihm bist du sicher. Egal was hinter dir passiert, du drehst dich nicht um! In der Seitentasche sind die Erkennungsmarken von den anderen. Du musst sie und meine im Staat Herrn Froh bringen. Hast du alles verstanden? <<

Clara starrte mich entsetzt an. >> Und was ist mit dir. <<

>> Das spielt jetzt keine Rolle. Du befolgst einfach eine Anweisungen. Am Ende von diesem Feld befindet sich ein Tor. Du sagst dem Soldaten, wer du bist und das du zu Herrn Froh möchtest. Herr Froh weiß Bescheid, wo du hin sollst. Er bringt dich dann zu Zacharias. <<

>> Ich lass dich hier nicht allein. << Clara fing an zu weinen. >> Ich lass dich hier nicht sterben, du bist doch meine große Schwester. <<

Ich musste mich zusammenreißen, um nicht auch zu weinen. Vorsichtig nahm ich meine Erkennungsmarken ab und steckte sie in den Rucksack. Mit zittrigen Armen reichte ich ihn Clara. >> Du musst jetzt los. Ich warte bis du im Schützengraben ist. Du gehst dann einfach weiter, versprech mir das! Du kommst nicht zurück, sondern gehst stur weiter. <<

>> Nein, ich verspreche dir das nicht. Warum musst du von der Mine runter gehen? Ich beeile mich einfach und hole Hilfe. Du musst nur durchhalten. Ich kann Hilfe holen! Ich kann das! << Panisch schaute Clara mich an.

>> Clara Maus, man kann mir nicht mehr helfen. Man kann nur dir noch helfen, deshalb gehst du jetzt. <<

>> Zora, ich will dich nicht verlieren, dann hab ich doch niemanden mehr. Erst Paul und jetzt dich. Ich will nicht gehen. Ich bleibe hier bei dir. <<

>> Ich kann aber nicht mehr lange so stehen bleiben, sobald ich mein Gewicht verlagere geht die Mine hoch. <<

>> Na und, dann erwischt sie halt uns beide. Ich will nicht allein sein. Ich schaff das nicht ohne dich. Ich kann das nicht. <<

>> Doch Clara du kannst das! Ich weiß, dass du das kannst. Tu es für mich und Paul. Du bist noch so jung. Du hast es verdient zu leben. Du sollst nicht für den Staat sterben. <<

>> Du bist doch auch erst sechzehn! Du bist doch auch noch jung! <<

>> Ich aber habe im Gegensatz zu dir, nie ein anderes Leben als dieses gekannt. Mein Leben hat ohne meine Einheit, ohne die Armee keinen Sinn mehr. Ich bin Soldatin, Clara. Einen Soldaten ist eine Ehre, für sein Land zu sterben. Du bist aber keine Soldatin. Du bist alles, aber nicht das. Nutz die Chance und fang ein neues Leben an. Hier, das brauchst du jetzt besser als ich. << Ich reichte ihr Pauls Ring und die Kette. >> Und jetzt gehst du. Keine Wiederworte mehr. Du gehst jetzt. << Ich schrie Clara fast an. Die Panik wurde immer gewaltiger in mir. Clara schaute mich mit großen Augen an. Sie wollte noch etwas erwähnen, drehte sich dann aber um und lief auf den Steinen schnell zum Graben. Sobald sie sich umgedreht hatte, konnte ich die Tränen nicht mehr halten. Ich wollte noch nicht sterben. Nicht so und nicht jetzt. Ich hatte mir das Ende meiner Geschichte immer ganz anderes vorgestellt. Nicht so plötzlich und schmerzlich. Es war in meiner Version immer der erlösende Schuss und keine Landmine.

Clara war im Graben angekommen. Ich atmete tief ein, dies würde der schwerste Schritt in meinem Leben sein. Ich zitterte und fing an zu hyperventilieren. Ich wollte das nicht! Langsam fing ich an von zehn rückwärts zu zählen. Zehn, neun… eins. Ich hielt die Luft an und machte einen Schritt zur Seite. Feuer. Hitze. Eine unbändige Kraft zerriss mich. Mein Körper fiel auf den Boden. Dumpf hörte ich, ein Schrei. Wer schrie denn da, war Clara doch umgekehrt? Nein, ich schrie. Mein Körper verkrampfte sich, aber das spürte ich schon kaum noch. Vorsichtig öffnete ich die Augen. Um mich war alles rot. Rot von meinem Blut.

>> Zora. << Vor mir stand eine mir wohlbekannte Person.

>> Paul. << Ich hatte meinen Körper nicht mehr unter Kontrolle.

>> Komm Zora, komm mit mir. Ich möchte dir etwas zeigen. << Er reichte mir seine Hand. Seine freundlichen Augen lächelten mich an. Er war immer noch der Paul, der von uns gegangen war.

Ich reichte ihm meine Hand. Mein Körper bewegte sich kein Stück. Erzog mich zu sich auf und ich drehte mich um. Hinter mir lag mein zerfetzter Körper. Clara kniete vor ihm und versuchte mich noch zu retten, aber es war zu spät. Zu viel von meinem Blut war im Boden versickert. Sie weinte jämmerlich und rüttelte an.

>> Komm, Zora. Ich zeig dir unser neues Zuhause. << Ich drehte Clara und meinem Körper den Rücken zu und folgte Paul.

 

Epilog

 

(…) Was ist Glück? Ist es positiv oder negativ? Viele würden jetzt behaupten, dass es eines der positivsten Gefühle der Welt ist, wenn man es so nennen darf, ein Gefühl. Was genau Glück ist, ist schwer zu sagen, aber ich bin mir sicher, dass es nicht nur positiv ist. Es hat immer negative Effekte, die von den ganzen positiven Gefühlen nur überdeckt werden, bis sich das Blatt wendet und man Pech hat. Es ist um genau zu sein, ein ewiger Kreislauf. Erst hat man Glück, dann wieder Pech. Das mögen jetzt manche anderes sehen, es ist schließlich nur meine Meinung.

Ich habe immer noch keine Antwort darauf, was Glück genau ist. Vermutlich ist es eine Reihenfolge positiver Erlebnisse oder Ereignisse die vom Hirn mit Hormonen verstärkt werden. Demnach geht das Glück allein von uns aus. Wenn wir das Richtige machen, haben wir glückliche Momente und unser Hirn belohnt uns mit einer gehörigen Portion Belohnungshormone. Wenn wir jetzt aber Pech haben, da wir etwas mit schlimmen Folgen getan haben, wie zum Beispiel Mutters teure Vase beim Spielen zerbrochen, dann sind wir traurig, weil wir ärger von der Mutter bekommen. Das Pech ist also negativ. Wir sind traurig oder niedergeschlagen.

Wenn man jetzt aber mal überlegt, was vor dem Zerbrechen der Vase passiert ist, findet man schnell raus, wie nahe sich Glück und Pech doch stehen. Man kommt glücklich nachhause, weil man eine eins geschrieben hat und tanzt übermütig im Wohnzimmer herum und stößt dabei gegen die Vase, die dann vom Schrank fällt und auf dem Boden zerbricht. So sind beide Ereignisse miteinander verbunden. Durch das Glück kam man zum Pech und man ist selbst daran schuld, da man hätte besser aufpassen können.

Auch ein gutes Beispiel für die enge Verbundenheit von Glück und Pech ist der Lottogewinn. Man ist glücklich, weil man viel Geld gewonnen hat und kauft sich erstmal alles was man sich gewünscht hat. Ein neues Auto, ein neues Haus, Schmuck für die Frau, neue Fahrräder für die Kinder… Aber man vergisst ganz, dass das Geld irgendwann aufgebraucht ist, weil man vorher nie so viel Geld hatte und nie gelernt hat, mit solchen Mengen umzugehen. Dann kommt der Schock, viele Lottomillionäre bleiben nicht lange reich, sondern sitzen bald wieder in einer engen muffigen Wohnung und da man den tollen Luxus von einer Million schon einmal erleben durfte, füllt man sich noch schlechter, aber auch an dieser Situation ist man wieder selbst Schuld. Wäre man vernünftig mit dem Geld umgegangen, hätte man viel länger etwas davon gehabt.

Ich habe mich von meinem Glück auch blenden lassen und bin tief im Pech hängen geblieben. Ich habe Paul verloren und meine Freunde. Mein Leben ist ein einziger Scherbenhaufen. Wie groß die Rolle von Glück darin war, ist schwer festzulegen, aber mitgespielt hat sie.

Kann man jetzt noch sagen, dass Glück wirklich positiv ist? ( …)“

 

Clara schlug das Buch zu und atmete einmal tief durch. Jedesmal wieder wenn sie Auszüge aus ihrem Roman Till The Last Light – Die Geschichte einer jungen Soldatin vorlas kam alles aus ihren Kindheitstagen wiederhoch. Ihr Buch lag nun seit vier Wochen auf dem ersten Platz der Bestellerliste des Staates. Sie hatte viel zu tun. Seit einem Monat reiste sie von Stadt zu Stadt und hielt ihre Vorlesungen. Viel Zeit für ihre Familie blieb ihr da nicht. Ihr Mann Zacharias musste sich die meiste Zeit alleine um ihre gemeinsame zweijährige Tochter Zora kümmern. Genau wie Claras Psychologie-Studium. Eigentlich hatte sie es nicht nötig zu studieren. Mit ihren zwanzig Jahren gehörte Clara zu den wohlhabenderen Frauen im Staat, aber es kam für Clara nicht in Frage, sich nach dem großen Erfolgs ihres Buches einfach auf die faule Haut zu legen.

Sie hatte es geschafft, die Leute wach zu rütteln! Sie hatte es geschafft, die fiesen Machenschaften des Staates aufzudecken und zu beenden und sie wollte, dass sie auch beendet blieben. Sie wollte, dass ihre kleine Tochter in einer Welt aufwachsen konnte, in der es keine Armee aus minderjährigen gab. Sie wollte nicht, dass ihre Tochter dasselbe durchleben musste, wie sie als kleines Mädchen.

>> Gab es Zora wirklich, oder haben sie sich die Protagonistin in ihrem Roman nur ausgedacht? << Zum wievielten Mal musste sie diese Frage beantworten? Aber es störte Clara nicht, lieber einmal zu viel, als einmal zu wenig. Die Leute konnten es einfach nicht begreifen, was hinter ihrem Rücken die ganzen Jahre abgelaufen war, selbst nach dem Krieg noch, der nur knapp gewonnen war.

Sie selbst hatte noch ein weiteres Mal an der Front gestanden, aber das war nun endgültig vorbei.

>> Ja, Zora Zita Aura gab es wirklich und sie ist in Wirklichkeit auch im Alter von sechzehn Jahren gestorben. Sie und ich waren, wie im Buch auch von der Einheit getrennt worden und Zora wurde von der Explosion einer Mine schwer Verletzt. Sie ist damals an ihren Verletzungen und an dem hohen Blutverlust gestorben. <<

>> Hat man sie jemals beerdigt? <<

>> Nein, ihr Leichnam wurde nicht gefunden, aber wie für die anderen gefallenen Soldaten, gibt es auch für sie ein Kreuz auf dem Hauptmilitärfriedhof. <<

Clara selbst besuchte das Kreuz oft und pflanzte Blumen. Es stand genau neben dem von Paul, denn so waren auch ihre Kreuze vereinigt. Clara war sich sicher, dass die beiden wieder zusammen waren. Sie vermisste Zora oft. In der Zeit, in der sie zum zweiten Mal im Krieg war, oder als sie das Buch geschrieben hatte, hätte sie Zora gerne wieder bei sich gehabt. Nachts träumte sie von ihrer großen Schwester. Sie wusste, dass Paul und Zora immer bei ihr waren. Trotzdem wäre es schöner wenn sie ihrer kleinen Tochter eine Tante und einen Onkel geben könnte. So würde sie ihre Verwandten nur durch Geschichten kennen lernen. Vor allem, weil ihre kleine Tochter sie schon jetzt mit ihren jungen zwei Jahren, an Zora erinnerte. Sie war fast ein direkter Abklatsch ihrer Tante. Sie hatte dasselbe Temperament, auch von ihren Reaktionen und ihrem Verhalten war sie Zora.

>> Mama. << Ihre Tochter kam auf die Bühne gelaufen. Sofort füllte Clara sich besser, wie immer wen ihre Tochter dabei war. Sie hat das kleine Mädchen hoch und setze sie auf ihren Schoss.

>> Wie haben Sie es als siebenjähriges Mädchen alleine zurück in den Staat geschafft? <<

>> Ich war nicht weit weg vom Staat, als Zora starb. Wir waren gerade dabei, dass letzte Stück von dem großen Mienenfeld zu überwinden, als es passierte. Ich war praktisch schon in Sicherheit. Nach Zoras Tod bin ich allein über das große Feld zur Grenze gelaufen, dort hat mich der wachende Soldat sofort zu unserem Vorgesetzten geführt. Ich bin bei Zacharias und seinen Eltern untergekommen. <<

>> Und mit dreizehn sind sie noch einmal in den Krieg. Warum? <<

>> Weil ich gebraucht wurde. Nach dem Krieg gegen die damalige Terrorgruppe die schwarze Armee, war der Staat geschwächt und hatte keine Truppen mehr. Er wollte aber mithelfen, die Terrorgruppe endgültig auszulöschen. Vielleicht war es der Wunsch nach Rache, der mich dazu verleitet hat, das Angebot anzunehmen wieder für den Staat zu kämpfen. Ich kann es ihnen heute nicht mehr genau sagen. <<

>> Wie kam es danach zur Auflösung der Abteilung? <<

>> Sie wurde nie wirklich aufgelöst. Sie wurde nur stillgelegt. Rein theoretisch könnte der Staat in diesem Moment wieder anfangen Kindersoldaten auszubilden. Das ist der Grund, weshalb ich mein Buch geschrieben habe, weil nur das Volk ihn davon abhalten kann, aber um auf Ihre Frage zu antworten. Es ist etwas an die Öffentlichkeit durchgesickert. Jemand hat wichtige Dokumente an die Presse weitergegeben. <<

>> Was wünschen Sie sich für die Zukunft ihres Kindes? <<

>> Das es nicht dasselbe erleben muss, wie ich damals. Auch wenn ich meine Kindheit nicht verfluchen kann, da sie auch viele positive Momente hatte, möchte ich trotzdem nicht, dass sie genauso aufwachsen muss. Das wünsche ich mir übrigens für alle Kinder auf der Welt, auch wenn es nicht möglich ist, diesen Wunsch durchzusetzen. <<

Die Vorlesung war beendet und Clara stand zusammen mit ihrer kleinen Tochter auf dem Arm auf und verließ die Bühne. Hinter der Bühne wartete ihr acht Jahre älterer Mann Zacharias auf sie.
>> Bereit auf zwei Wochen Urlaub? << Er lächelte ihr freundlich zu.

>> Mehr als du dir vorstellen kannst. << Zusammen verließen sie die Stadthalle.

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 20.07.2018

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /