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Am Anfang

 

 

„Wie fühlen Sie sich heute, Miss Grace?“. Professor Lewis legt den Kopf in den Nacken und betrachtet Leah einfühlsam. Leah hingegen schaut noch immer an die Decke während sie mit einem Haarband in ihren kleinen Händen spielt. Ihre Beine hält sie kontinuierlich angewinkelt auf der Couch. Höflichkeit war nie ihre Stärke, denn sie selbst sieht es als eine Art Schwäche an.
Nach einer Weile atmet sie die dicke Luft im Zimmer ein, räuspert sich kurz und wendet ihren Kopf dann schließlich gen Professor, der seine Haltung noch immer beibehalten hat.
„Besser“.
„Inwiefern - besser?“
Sie beißt sich auf die Lippen, starrt dem Professor dabei direkt in die Augen und beobachtet wie sich die Pupillen langsam verkleinern.
„Sie mögen mich nicht besonders.“, wirft sie ein und lächelt zufrieden.
„Sie haben meine Frage nicht beantwortet, Miss Grace“.
Leah’s Lächeln wird größer und breiter. Sie beobachtet wie ihre Finger das Haargummi immer und immer wieder drehen und wenden.
„Sie haben meine Bemerkung missachtet, Professor“.
Professor Lewis schluckt, reißt sich dann aber zusammen und versucht verkrampft bestimmter zu werden: „Ich bin nicht dazu bestimmt sie zu mögen. Sie kamen zu mir, da sie um Hilfe ersuchten - das ist mein Job. Nicht aber um Sympathie für meine Patienten zu entwickeln. Das entspricht nicht meiner Vorstellung eines Therapeuten. Ihrer etwa?“.
Leah schüttelt mit dem Kopf.
„Nun zurück zu meiner Frage. Inwiefern fühlen sie sich besser?“.
Leah starrt nun wieder gen Decke und hat aufgehört mit dem Haargummi zu spielen.
„In meiner Welt.. In meinem Dasein, gibt es nicht sonderlich viele gute Tage, Professor. Aber heute, als ich auf dem Weg hier her war, sah ich ein kleines Mädchen unbeschwert auf einer Schaukel hin und her schwingen. Obwohl sich die Wolken zusammen zogen und der Himmel sich schwärzte, schien sie so ..“ Leah hält kurz inne, ehe sie fortfährt: „unschuldig“.
Professor Lewis nickt, dreht sich in seinem Stuhl und greift nach seiner Tasse Kaffee. Leah bemerkt seine Nervosität, da sie das Porzellan deutlich klimpern hören kann, während er unbemerkt versucht die Tasse in die Hand zu nehmen.
„Keine Sorge Professor, es ist keine Schande während der Arbeit zu trinken, ich selbst tue das ständig“.
Der Professor nippt kurz an seinem Kaffee, der mittlerweile kalt geworden ist. Diesmal geschickter, stellt er die Porzellantasse zurück auf den dazugehörigen Unterteller.
„Ich trinke keinen Alkohol, Miss Grace“.
„Ich schon“, erwidert Leah und grinst höhnisch.
„So weit es mir geläufig ist, Miss Grace, sind sie noch nicht Volljährig“.
Leah dreht sich zu ihrem Therapeuten um, stützt dabei ihren Kopf auf ihrer Hand ab.
„Ich denke die Sitzung ist für heute beendet, Professor“.
Leah steht auf, greift nach ihrer Lederjacke, doch Professor Lewis hält sie am Handgelenk fest. Grinsend blickt sie ihm in seine grünen Glasaugen, während er mit der anderen Hand nervös seine große Runde Brille zurecht rückt.
„Miss Grace, wir haben gerade erst angefangen“.
Leah reißt sich los, steht auf, öffnet die Tür und wirft dem Professor einen letzten Blick zu.
„Diesen Satz höre ich öfter. Nur das es für den, der ihn ausspricht, oft nicht gut endet“.
Grinsend läuft sie den Flur der Praxis entlang und wirft sich dabei verspielt die Jacke über die Schulter.
Ihr Blick schweift noch einige Male über die Auszeichnungen und Bilder die an der Wand hängen. Auch die Dame hinter dem Tresen fällt ihr auf, doch Leah ignoriert ihre verwunderten Blicke und geht geradewegs aus der Glastür hinaus. Die Ruhe der Praxis hat sie hinter sich gelassen und befindet sich nun auf den Straßen des chaotischen Los Angeles. Könnte schlimmer sein, denkt sie. Die Jacke noch immer fest an die Schulter geklammert, obwohl der kühle Herbstwind ihr Gänsehaut bereitet, kramt sie in einer ihrer Hosentaschen nach ihrem Smartphone. Nach einigen Minuten findet sie es und starrt neugierig auf die Nachrichten. Na mal sehen, wer heute auf die Herdplatte gepackt hat. Hastig wischt sie den Zeigefinger von unten nach oben und überfliegt die unwichtigen Nachrichten, die ihre Welt erschüttern. Nach einer Weile gibt sie schließlich auf, legt den Kopf in den Nacken und seufzt vor sich her. Schließlich bemerkt sie, wie Professor Lewis sie heimlich aus dem Fenster heraus beobachtet. Als er sie jedoch bemerkt, zieht er augenblicklich die Gardinen zu. Leah kneift beide Augenbrauen zusammen. Freak.
„Ich glaub’s nicht. Leah? Leah Grace? Das ich dich noch mal wieder sehe“.
Leah wendet ihren Kopf gen Stimme. Langsam aber sicher breitet sich ein Grinsen auf ihrem Gesicht aus.
Der große Kerl, mit dem lustigen Gang und offenen Armen bewegt sich schnell aber bewusst auf sie zu.
„Zach. Was zur Hölle machst du hier?“
Zach nimmt Leah in den Arm, doch sie erwidert die Umarmung nicht, sondern wartet einfach den Moment ab, bis ihre Lunge wieder Platz zum atmen findet. Als er schließlich von ihr ablässt holt sie einmal tief Luft.
Der große Kerl schaut mit strahlenden blauen Augen zu ihr hinunter, als erwarte er, dass Leah ihm von der Entdeckung eines neuen Kontinenten erzähle.
Als Leah noch immer nicht antwortet, verschränkt er die Arme vor der Brust und schaut durch die Gegend.
„Stillschweigend wie immer, Leah Grace. Du hast dich wirklich kein Stück verändert“.
„Es ist erst drei Jahre her, seit ich die Highschool geschmissen habe“.
„Ich bin mir nicht einmal sicher ob du die Highschool je von innen gesehen hast“.
„Auf Bildern“.
Zach’s Grinsen kehrt zurück und entwickelt sich zu einem schüchternen Lachen.
„Also, Zachy, was machst du hier?“
„Die selbe Frage könnte ich dir stellen“.
Leah nickt verlegen und verschränkt nun auch die Arme. Ihr Kopf liegt noch immer leicht in ihrem Nacken, um Zach überhaupt in die Augen sehen zu können. Trotzt der dunklen Wolken muss sie ihre Augen zukneifen, um nicht von der Sonne geblendet zu werden.
„Ich…“, Leah zögert noch ein wenig und richtet ihren Blick auf den Boden, um sich besser auf ihre Worte konzentrieren zu können. „Ich bin auf der Suche nach jemandem. Jemandem, oder … etwas“.
Zach gibt ihr einen Rück mit dem Ellbogen, doch sie bewegt sich nicht.
„Komm Schon Grace. Gehen wir einen Kaffee trinken. Ich hab’ gehört ein paar Straßen weiter soll es ein ruhiges Café geben“.
Leah nickt und folgt dem zufriedenen Zach schließlich - wie ein Schaf seiner Herde.
Während Zach sie durch mehrere Straßen und Gassen führt und hunderte von Menschen sie anrempeln, ist Leah voll in Gedanken. Sie hatte schon lange keinen mehr aus ihrer Zeit getroffen, der sie an das normale Leben erinnern konnte. Dieses Leben voller Angst und Trauer um derer, denen man nahe steht, Wut und Verzweiflung, die die Ungerechtigkeiten mit sich bringen. Aber auch Empathie für all’ diejenigen, die nicht dazu in der Lage sind, sich selbst zu helfen.
Leah waren all’ diese Begriffe bereits fremd geworden. In ihrem Job gab es keinen Platz für Emotionen oder Gefühle und schon gar nicht für andere Menschen. Sie hatte sich diesen Job nicht ausgesucht, sie wurde dort hinein geboren.
„Hier ist es - Angels’ Hell. Das schönste, gruselige Café auf Los Angeles’ Straßen“.
Zach reißt Leah aus ihren Gedanken. Er hat beide Arme weit ausgebreitet, als wolle er gleich los fliegen, oder irgendeinem Wertschätzer etwas verkaufen.
Leah versucht ein Lächeln über die Lippen zu bringen, während sie sich auf den Holzstuhl setzt, auf den Zach schon seit einigen Minuten auffordernd gezeigt hatte.
Auch er setzt sich schließlich, legt beide Hände gefaltet auf dem Tisch ab und schaut Leah direkt in die Augen. Diese spielt mal wieder mit dem Haargummi in ihrer Hand herum und versucht seinem Blick auszuweichen.
„Na schön, Leah. Wie kann ich Ihnen helfen?“
„Du klingst fast schon wie mein Therapeut - dieser Freak“.
Zachs’ Lächeln verschwindet und er richtet sich wieder auf.
„Freak?“
„Der Typ stand an seinem Fenster und hat mich beobachtet, nachdem ich seine Praxis fluchtartig verlassen hatte“.
„Freak“.
Leah nickt zustimmend. Sie holt kurz Luft, während sie die Gedanken in ihrem Kopf zu ordnen versucht, bevor sie weiterspricht.
„Ist schön einen alten Freund zu sehen, Zach“
„Das sehe ich genauso“.
Zach schluckt kurz und fährt sich durchs schwarze Haar.
„Sag mal, fühlst du dich unwohl oder so?“
„Nein gar nicht. Alles bestens“, murmelt Leah vor sich her während ihr Kopf stetig von links nach rechts schweift.
„Nun ja, du benimmst dich aber nicht so. Eher so, als würde dich jemand verfolgen“.
„Möglicherweise ist das so“.
Zach schüttelt den Kopf und versucht Leah’s Blicke zu fangen, doch sie beachtet ihn kaum.
„Langsam verstehe ich, warum du ausgerechnet vor der Praxis eines Therapeutin standest, der dich vom Fenster aus beobachtet hat“.
„Er weiß gar nichts“.
„Wow“, sagt Zach etwas lauter und reißt beide Augenbrauen in die Höhe.
„Langsam wird das echt gruselig. Kannst du bitte mal auf den Punkt kommen?“
Zach schmiegt seinen Rücken wieder an den Stuhl und versucht herauszufinden wonach Leah Ausschau hält, doch sie scheint wie verloren und besessen zu gleich.
„Erzähl doch mal was. Was hast du nach der Highschool - oder besser gesagt, naja du weißt schon - gemacht?“
Leah schenkt ihm schließlich endlich einen flüchtigen Blick und flüstert: „Gejagt“.
Zach lacht laut auf, haut leicht auf den Tisch und beugt sich zu ihr hinunter.
„Wie oft genau sagtest du, gehst du zum Therapeuten?“
Leah verdreht die Augen, antwortet ihm aber lächelnd: „Wenn es nötig ist“.
Zach grinst während er die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Im nächsten Moment sieht Leah auf, da sie Geschirr zu Boden fallen hören kann. Zach hatte mit seinem Ellbogen eine Kellnerin getroffen, die darauf hin alles Geschirr fallen lässt.
„Du jämmerlicher Trottel“, flucht sie, während sie nervös die Glassplitter vom Boden aufsammelt.
„Tut mir echt…“
„Wiederhole das“, wirft Leah ein, bevor Zach zu Ende sprechen kann und wirft der Kellnerin einen schnippischen Blick zu.
Leah hat bereits ihre Fäuste zusammen geballt und ist drauf und dran der Kellnerin für ihre Bemerkung eine Lektion zu erteilen.
„Komm schon, Leah. Sie hat es nicht so gemeint“.
„Wenn ich eines gelernt habe, Zachariah, dann dass Menschen genau meinen, was aus ihrem Mund herauskommt“.
Die Kellnerin richtet sich langsam wieder auf und schaut Leah verängstigt an. Sie hält das Tablet noch immer kerzengerade auf ihrem Unterarm.
Mittlerweile haben sich mehrere Gäste nach Leah umgedreht und starren sie neugierig an.
„Kommen Sie, ich helfe ihnen, Miss“.
Zach hat bereits einige Glassplitter aufgehoben und vorsichtig auf das Tablett gelegt, um sein Missgeschick wieder gut zu machen.
Die Kellnerin jedoch starrt noch immer in Leah’s Augen, als hätte sie einen Geist gesehen.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 15.08.2017

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
- folgt -

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