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Leseprobe

Rot. Grün? Blind!

 

 

S.B. Sasori

 

 

 

1. Prolog

 

Wasserlachen auf der Straße. Verdammter Sturzregen. Aprilwetter vom Feinsten, dabei war es März.

Schwierig, die Maschine ruhig zu halten. In den Lachen nahm sie jedes bisschen übel. Bremsen, Lenken, Gas geben. Schon schlingerte sie unter seinem langsam feuchten Hintern.

Die Autos zogen an ihm vorbei, spritzen Tropfen auf das Visier des Helms.

Hannes wischte darüber, nur um im nächsten Moment erneut die Welt um ihn herum durch einen Nebelschleier zu sehen.

Die nasse Lederkombi drückte ihn schwer in den Sattel. Er fühlte sich unbeweglich wie ein zu stark aufgepustetes Michelin Männchen.

Er hätte auf Stefans Rat hören und erst morgen fahren sollen. Die Regenfront war angekündigt worden.

Stefan. Der kluge, stets auf Sicherheit spielende Kumpel aus der Schulzeit.

Früher war er in Hannes verliebt gewesen. Zweimal waren sie zusammen im Bett gelandet, in aller Freundschaft und wenig spektakulär.

Für mehr fehlte Hannes die Geduld und Stefan war kein Typ fürs wochenlange Reisen auf einem Motorradsattel.

Außerdem redete er zu viel.

Hannes liebte einsame Touren auf kaum befahrenen Straßen.

Ohne Nachdenken, ohne Sorgen oder Pläne.

Erreichte er einen Ort, wollte er an einen anderen.

Vom Morgenlicht zum Abendrot durch schwarze Nacht und von vorn.

Am liebsten auf seiner Kawasaki die ganze Welt bereisen.

Ihr dunkelroter Lack leuchtete als greller Farbklecks gegen die Eintönigkeit der regennassen Autobahn.

Sein motorisiertes Baby, ein Wurfzelt, Gaskocher und Schlafsack in den Satteltaschen. Das genügte.

Freiheit.

Abwechselnd war sie grau wie Asphalt, grün wie die Wälder in Schweden, manchmal silbrig wie der Nebel am Loch Lomond.

Was für ein geiles Leben!

Keine Absprachen treffen, keine fremden Wünsche erfüllen müssen.

Anhalten, wo es ihm gefiel.

Weiterfahren, wann es ihm passte.

Zwei Monate Irland warteten auf ihn.

Seine letzte große Reise, bevor ihn der Alltag am Genick packte.

Geldverdienen, Eintönigkeit, Small Talks.

Ein Korsett, das ihm früher oder später die Luft zum Atmen abschnüren würde.

Den Eltern weiterhin auf der Tasche liegen, ging ebenso wenig.

Mit vierundzwanzig Jahren plus abgeschlossenem Studium erwartete jeder von ihm, endlich eigenes Geld zu verdienen.

Vor dem Job in der Berliner Werbefirma graute ihm.

Nicht wegen der Arbeit an sich.

Auch nicht wegen der Firma.

Es lag an ihm.

Alltagsinkompatibel. Das traf es am ehesten.

Tägliches Einerlei.

Pünktlich aufstehen, geregelte Essenspausen, Urlaub in Häppchen.

Was bedeuteten ein, zwei Wochen am Stück?

Nichts.

In Länder einzutauchen, ihre Schönheit zu atmen, ihre Farben zu trinken, kostete Zeit.

Du drückst dich vor der Verantwortung.

Sein Vater hatte sich breitschultrig vor ihm aufgebaut.

Du kannst deine Jugend nicht tingelnd auf der Straße vergeuden und dein Erbe durchbringen.

Hannes schlängelte sich zwischen zwei einander überholenden Lkws hindurch.

Aus den geplanten Bahnen ausbrechen? Sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten?

Dann brauchte er sich zu Hause nicht mehr sehen lassen.

Die Vellers stachen durch Fleiß und Verlässlichkeit hervor. Sie heirateten früh, zeugten Kinder, strichen regelmäßig Gartenzäune und harkten das Laub aus der Einfahrt.

Eigenheim, Vorstadt, samstägliches Autowaschen, Grillabende mit den Nachbarn, am Wochenende eine Partie Tennis.

Hannes Veller. Der einzige graue Fleck auf der sauberen Weste der Familientradition.

Heirat?

Seine Eltern traf der Schlag, sollte er jemals einem smarten Kerl in weißem Anzug einen Ring anstecken.

Davon abgesehen war er kein Beziehungsmensch.

Ab und zu ein Fick für die Hormone.

Der Belgier unterm Sternenhimmel der Provence.

Der Spanier in der Nachtkälte des Geirangerfjords.

Am Strand von Lacanau-Océan war er bis zur Grenze seiner Belastbarkeit geliebt worden.

Trotz der Nässe rann es ihm wohlig über den Rücken. Marcel war fantastisch gewesen.

Vielleicht lag es auch an den Sandkörnern, die sich in unbefugtes Gebiet verirrt hatten.

Die Weiterfahrt musste Hannes damals verschieben. Sein Hintern brauchte eine Pause von mehreren Tagen.

Flüchtige Momente voll Sinnlichkeit und Leidenschaft.

Er vergaß sie niemals. Auch nicht als alter Tattergreis.

Warum leuchtende Augenblicke durch Wiederholungen ausbleichen?

Beziehungs-Alltagstrott.

Job-Alltagstrott.

Gift für sein Leben.

Verdammt!

In zwei Monaten begann die Tretmühle und katapultierte ihn aus grellem Bunt direkt hinein in stumpfes Mausgrau.

Es war ein Fehler.

Hannes spürte ihn wie ein Dorn in der Seele.

Den Job absagen?

Einfach auf die Maschine setzen und wegfahren?

Grit würde ihn eventuell verstehen. Seine ältere Schwester kannte seinen Lebenswandel und akzeptierte die Tatsache, dass ein schwuler Bruder zum Neffen- und Nichtenproduzieren schlecht geeignet war.

Sie riet ihm von einem unbedachten Outing den Eltern gegenüber allerdings ab. Wenn er irgendwann fest im Sattel säße - ob er diesen Zustand hasste oder nicht - und auf das Geld ihres Vaters nicht mehr angewiesen wäre, bliebe noch Zeit genug dafür.

Fest im Sattel. Saß er doch! In diesem Moment. Er grinste gegen die Wangenpolsterung des Helms an.

Schluss mit dem Grübeln. Die nächsten Wochen gehörten ...

Der Wagen schräg vor ihm scherte aus.

Was ging mit dem Fahrer ab?

Sah er ihn nicht?

Ausweichen.

Zu knapp.

Scheiße!

Ein Stoß.

Ziehen im Bauch.

Rot. Grau. Schwarz. Wieder grau. Rot.

Dunkelheit.

 

2. Rot. Grün? Blind!

 

»Arschficker!« Eddies Stimmbruchtimbre scholl vom Bürgersteig über die Balkonbrüstung.

Finn erstickte seinen genervten Seufzer mit einem Schluck Kaffee.

Kinder waren was Feines.

Vor allem Eddie. Er toppte sämtliche Albträume, die ein schwuler zwanzigjähriger Single von diesen halbhohen Zumutungen bekommen konnte.

Der Kerl erfreute Finn regelmäßig mit wenig intelligenten Beleidigungen und nervte bei jeder Gelegenheit mit seiner auf purem Schwachsinn beruhender Meinung.

Eddie war die Pest.

»Nugatstecher!«

Jep, das war mit Abstand sein Lieblingsschimpfwort.

Finn trennte sich geistig von den potenziellen Bildern zu seinem Referat. Sie waren ohnehin zu grün.

Der Bodybuilder vor der Almlandschaft, der Marathonläufer zwischen Wald und glitzerndem See.

Der Turner auf der olivfarbenen Matte, der Gewichtheber mit der Sporthose in einem Ton, der eindeutig an frische Lindenblätter erinnerte.

Zu vital für die düstere Botschaft, die er den Zuhörern vermitteln wollte: Missbrauch von Anabolika im Leistungssport.

Nichts gegen Grün an sich.

Frühling, Leben, Hoffnung, Gesundheit, Frösche, Strickpullover, Joggingschuhe, das geilste Motorrad der Welt.

Eine perfekte Farbe. Sie passte bloß nicht zu dem Inhalt seines Textes.

Abgabetermin: Donnerstag.

Finn hinkte dem Zeitplan hinterher.

Bei dem fantastischen Wetter rutschte die Arbeitsmotivation bei jedem Vogelzwitschern in den Keller.

»Hey! Hörst du nicht?« Eddies Stimme kippte gefährlich. Wenn er noch ein wenig schriller brüllte, rissen hoffentlich die überstrapazierten Stimmbänder.

Statt einer Antwort zeigte Finn den Kröten auf dem Bürgersteig seinen Mittelfinger.

Eddie, der kleine Kugelfisch, verschränkte die speckigen Arme vor der Brust. »Mein Vater hat gesagt, Schwule seien ...«

»Stopp!« Der Kerl verschwendete Finns Lebenszeit. Dem setzte er jetzt ein Ende.

Finn räusperte sich eine Tonlage tiefer und lehnte sich über die Balkonbrüstung.

»Soll ich den alten Ruprecht dezent zur Seite nehmen und ihm verraten, wer die Schmierereien an die Haustür gekliert hat?« Seit gestern standen quer über dem Eingang die Buchstaben E.M. - Eddie Müller - in lila Schnörkelschrift.

Es war bloß eine Frage der Zeit, wann der Hausmeister auf diesen naheliegenden Zusammenhang von ganz allein kam.

Eddies hämisches Lachen fiel ihm vom feisten Gesicht.

Ein denkwürdiger Anblick.

»Wenn du meinst, dein Revier markieren zu müssen, piss an die Hauswand aber kleistere nicht deine Initialen an die Tür, hinter der du wohnst.

Tags dienen der Anonymisierung, du Depp. Warum hast du deinen Namen nicht gleich ausgeschrieben?«

Hier wohnt Eddie Müller. Hirnlos aber glücklich.

Finn sah den Schriftzug deutlich vor sich.

»Was ’n für Inti ...« Eddie blickte Hilfe suchend zu seinem Freund. Der zuckte die Schultern. Schon wandte sich das volle Antlitz erneut in Finns Richtung. »Du hast keine Beweise, Schwanzlutscher.«

Lohnte es sich, auf den Klassiker Schwuchtel zu warten?

Wenig originell, aber das Kerlchen war ja erst um die dreizehn. Also gerade noch lernfähig.

Es holte tief Luft. »Tausend Leute haben Namen, die mit E anfangen. Und Müller heißen auch ganz viele, du Schwuchtel!«

Bingo.

Gelassen griff Finn zum Smartphone und winkte damit. Im Leben würde es ihm nicht einfallen, diese Dumpfnasen bei was auch immer zu filmen, aber das wusste Eddie ja nicht.

Von seinem Balkon aus hatte Finn die Haustür im Blick. Theoretisch war es durchaus möglich, die Jungen während einer Zigarettenpause beim Schwachsinnanstellen zu erwischen.

»Ein Fünf-Minutenvideo. Lust, es dir mit deinen Freunden auf Facebook zu teilen? Warte, ich lade es auf Youtube hoch.«

Eddie biss sich auf die Lippen und sah dabei aus wie ein Hängebauchschwein mit Überbiss. »Können wir darüber reden, Herr Themme?«

Eben war Finn noch der Schwanzlutscher gewesen.

»Eventuell. Halte in Zukunft den Mund, wenn du mich siehst. Ich will kein Wort mehr von dir hören.« Sein minderjähriger Widersacher hing am Haken. Dort ließ er ihn zappeln, bis er Moos ansetzte.

Eddies Wangen wechselten von Rot nach Weiß. Dann stieß er seinen Kumpel an

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: S.B. Sasori; https://sbnachtgeschichten.com
Bildmaterialien: Fotolia.com/ID/49683523_L
Cover: S.B. Sasori
Lektorat: Sabine Müller
Tag der Veröffentlichung: 14.11.2018
ISBN: 978-3-7438-8642-1

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