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Ein Nachmittag mit Joe

 

 „Ein Gutschein für einen Nachmittag Entenfüttern im Park?“ Philipp drehte die Chipkarte in seiner Hand. Auf der Rückseite stand nicht: Das ist ein Scherz!

Jeremias grinste und sah dabei kein bisschen betreten aus. „Das ist das Neueste vom Neuen in Sachen Holo-Technik. Ohne Kopfhörer und 3D-Brille. Nur die Bank ist echt, auf der du sitzen wirst.“

„Warum sollte ich auf einer Bank sitzen und nicht existenten Enten beim sinnfreien Herumschwimmen zusehen wollen?“ Am Ende musste er sie auch noch füttern.

„Weil dir Erholung im Grünen guttun wird.“

„Da ist nichts Grünes. Das sieht nur so aus.“ Auf seinem Schreibtisch stapelte sich die Arbeit, die er wie immer mit nach Hause genommen hatte. War sie erledigt, würde er eine Pause einlegen.

Aber eine nach seinem Geschmack.

„Die Wahrheit?“ Jeremias plumpste auf die Ausziehcouch und schnappte sich die Fernbedienung für die Multimedia-Einheit. „Meine Mutter hat den Gutschein geschenkt bekommen, misstraut allerdings jeglicher Scheinwelt aus Prinzip, findet es jedoch schade, wenn der teure Gutschein verfällt. Und da musste ich an dich denken.“ Ohne um Erlaubnis zu fragen, wählte er eines der interaktiven Videos aus, die Philipp nur in extremen Momenten mit massivem Entspannungsbedarf brauchte, also beinahe jeden Abend.

„Ist das gut?“ Schon fasste der Vorspann in wenigen Sekunden das Thema des Clips zusammen.

Jeremias Mund klappte auf, dann zu. Das Schlucken kam verzögert, dafür beschleunigte sich die Atmung.

„Heilige Scheiße. Das ist unzensiert, oder? Wo hast du das her?“

„Keine Ahnung.“ Philipp schaltete den Beamer aus. Er war vierunddreißig. Vor wem sollte er sich rechtfertigen müssen?

„Du stehst auf …?“ Jeremias Brauen hoben sich in dem rundlichen Gesicht. „Das habe ich nicht gewusst.“

„Du weißt vieles nicht von mir.“ Zum Beispiel, dass er holografische Parks verabscheute.

„Das da …“ Sein Freund zeigte unsicher auf die Stelle an der Wand, wo mittlerweile nur noch schlichtes Weiß zu sehen war. „… sah echt aus. Keine Animationen. Das waren Menschen, oder?“

„Jep.“

„Echter Sex?“

„Unbedingt.“

„So mit Sabber und Schleim und duschen müssen danach?“

„… und richtigem Küssen.“ Das war das Wichtigste.

Es war verpönt, in den meisten Stadtbezirken verboten und öffentlich sprach niemand darüber.

Wer erwischt wurde, bekam eine Geldbuße und ein Online-Seminar zum Thema Gefährdung der Gesundheit durch den Austausch diverser sich im Speichel befindlicher Krankheitserreger.

Was erlaubt war: sauberer Sex ohne Berührung eines zweiten Körpers, dafür mithilfe von elektronischen Nervenstimulatoren. Hygienisch einwandfrei und bis zum Erbrechen frustrierend.

Dabei stießen im Durchschnitt alle 2.5 Sekunden fremde Körperteile an ihn.

Nicht, wenn er zu Hause auf der Ausziehcouch lag. Dort hätte er liebend gern fremde Körperteile an sich gespürt. In der Hoffnung, dass sie irgendwann nicht mehr fremd, sondern vertraut wären. Er hätte sie gerne gerochen, seine Lippen auf sie gedrückt und seine Zunge zwischen sie geschoben. Auch einfach im Arm halten, einen anderen Herzrhythmus als den eigenen fühlen, Atem auf seiner Haut spüren, der streichelte.

War es wert, Sanktionen für dieses unbeschreibliche, echte Erlebnis zu riskieren?

Unbedingt.

Stattdessen begannen die unumgänglichen Zwangsberührungen sofort, wenn er aus der fünf Quadratmeter großen Wohnzelle trat. Zuerst im Treppenhaus. Die Wohneinheit für achthundert Betriebsangestellte entleerte sich pünktlich um sechs Uhr dreißig. Ihr ausgespuckter Inhalt strömte in die Hochgeschwindigkeitszüge, wo er Nase an Hinterkopf zusammengepfercht stand, und verließ sie an der Zentralstation Verwaltungswesen.

Die kleinen Einheiten dieser vorverdauten Masse sahen sich während der vierzigminütigen Fahrt nicht in die Augen.

Diskretion.

Intimsphäre.

Dabei gab es keine Intimität mehr. Außer über Kopfhörer und 3D-Brille.

Jeremias sah an sich hinunter und faltete die Hände vor dem Schritt. Der Videoclip war nicht spurlos an ihm vorübergegangen. „Viel Spaß im Park.“ Sein Lächeln war gezwungen und er nahm es schleunigst mit hinaus.

Sinnlose Stunden in einer vorgegaukelten Grünanlage mit holografischen Enten.

Ganz prima.

 

„Der Nachmittag im Park?“ Die Dame am Empfang des Holographic-Advanture-Towers schlug ihre fächergleichen Wimpern nach oben. „Normalerweise wird dieses Programm von Kunden in fortgeschrittenem Alter besucht. Konzipiert wurde es für die Achtzig- bis Hundertzehnjährigen. Wollen Sie es umtauschen?“ Ihre Finger wischten über das Display des Katalogs und verharrten kurz bei Sonnenuntergang am Karibikstrand plus, Hüttenfeuer mit Beinbruch und Krankenschwester, Museumsbesuch mit spontanem Aha-Erlebnis auf der Toilette und Jagd auf einen Serienkiller inklusive Nahtoderfahrung.

„Ich bleibe beim Entenfüttern.“ Gekniffen wurde nicht und nebenbei konnte er sich ausmalen, wie Jeremia die visuelle Inspiration verarbeitete.

Schulterzuckend und mitleidig lächelnd tippelte die Monster-Wimpern-Frau vor ihm her, bis sie eine Kabine am Ende des Ganges erreichten.

Der Raum war klein, dank der Metallplatten an den Wänden grau und in der Mitte stand eine Parkbank. Die grüne Farbe blätterte bereits ab, was ihr einen Hauch Natürlichkeit verlieh.

Sonst war der Raum bis auf eine Konsole neben der Tür leer.

„Mögen Sie Nieselregen?“ Die gigantischen Wimpern klimperten. „Oder die Kombination Ente plus Schwäne im Frühjahr? Dann wären noch ein paar Küken dabei. Ich kann Ihnen aber auch die Variante mit zufälliger Bekanntschaft laden. Sind Ihnen Männer oder Frauen lieber?“

„Sagten Sie nicht, das Programm ist für 80 plus?“ Dann wären die zufälligen Bekanntschaften auch 80 plus. Philipp schauderte.

„Dann Standard. Die Tüte mit altem Brot ist holografisch und wird auf der Bank erscheinen. Wenn etwas für Sie unangenehm sein sollte oder Sie vorzeitig abbrechen möchten, drücken Sie den Notschalter.“ Mit eleganter Geste wies sie auf einen roten Knopf neben der Konsole. „Nach dem Beginn des Programms finden Sie ihn in einem Vogelfutterhäuschen am Stamm einer Linde. Viel Vergnügen.“ Sie versenkte den Gutschein in einem Schlitz, doch bevor sie die Kabine verließ, wandte sie sich zu ihm um. „Ich hätte da eine Idee. Wenn sie mir ihre ID-Karte anvertrauen, kann ich ein Überraschungsmoment laden, der exakt auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist.“

Mit der ID-Karte war er gläsern. Downloads, Kommentare in Foren, Versicherungsnummern, Krankengeschichte. Alles steckte auf dem winzigen Chip.

„Ist nur ein Angebot.“ Ihr Lächeln wurde echt. „Das Programm hängt ohnehin ab und zu. Im Augenblick sind die Server überlastet. Da wäre ein kleines Bonbon doch eine gute Entschädigung.“

Philipp reichte ihr seine in Plastik gepresste Identität und sie zog sie durch denselben Schlitz, der eben seinen Gutschein gefressen hatte.

„Viel Spaß und erschrecken Sie nicht, wenn sich manches täuschend realistisch anfühlt. Die Subprogramme laufen oft geschmierter als das Hauptprogramm.“ Ein Zwinkern, und sie tippelte an ihm vorbei und ließ ihn allein.

Für einen Moment flackerte das Licht.

Philipp setzte sich und streckte die Beine aus. Zeitgleich mit See, Weiden und Enten tauchte aus dem Nichts eine Papiertüte mit Brotstückchen auf.

Schimmelstellen an den Krusten? Respekt. Die Firma legte Wert auf Authentizität.

Hinter der Bank lagen Werbeflyer von Pizzerien und ein zerknülltes Papiertaschentuch. Das Ambiente war ein wenig retro aber nett.

Ein lauer Wind wehte über den See und spielte in den Blättern der Bäume. Philipp atmete tief ein. Die Luft roch nach schlecht gewarteter Klimaanlage. Dafür klang das Rauschen des Laubes so echt wie in den alten Filmen, die er ab und an schaute.

Alle paar Sekunden blieben die über den See schwimmenden Enten hängen und die Weidenblätter gefroren mitten in der Bewegung.

Kein Problem.

Philipp suchte die weniger gammeligen Stücke aus der Tüte und schnippte sie den digital erschaffenen Wasservögeln zu.

Sie fraßen das Brot in den Momenten, in denen sie funktionierten. Jedenfalls sah es danach aus.

Plötzlich flimmerte der See, dann verschwand er mitsamt Enten und Schilf. Statt Wasser erstreckte sich blanke Erde vor der Bank, die braungrau und trocken dem Programm einen trostlosen Touch gab.

Auch nach minutenlangem Warten blieb der See verschwunden.

Wie war das mit dem Notschalter?

Das Vogelfutterhäuschen war aufklappbar und Philipp drückte auf den roten Knopf. Aus zwei Mikrofonschlitzen fragte eine Computerstimme nach der Art des Problems.

„Kein See, dafür langweiliges Braun.“

„Verstehe“, knarrte die Stimme. „Wir schicken einen Techniker zu Ihnen. Einen Moment Geduld.“

Dass der Fehler sicher nicht in der Konsole zu suchen war, sondern im Programm direkt, behielt Philipp für sich. Die Leute hier wussten schon, was sie taten.

Nach weiteren fünf Minuten, in denen auch die Weide mit dem Vogelfutterhäuschen verschwand, klopfte es und der Mann vom Service betrat die Kabine.

Blauer Overall, Werkzeugtasche samt breitem Gürtel um die schmale Hüfte geschlungen, braune Haare, die verwuschelt aus der Stirn gegelt waren. Und ein Gesicht …

Philipp fehlten die Worte.

Der Mann schrammte höchstens die Zwanzig. Ein wenig jung, aber unfassbar lecker.

Lecker?

Für wen?

Für ihn!

Die ID-Karte! Das hier war kein Fehler im Programm, das hier war das Bonus-Häppchen. Daher die Werkzeugtasche, die kein Programmierer jemals brauchen würde, es sei denn, er wollte die Konsole kurz und klein schlagen.

Der Mann nickte ihm mit einem schüchternen Lächeln zu und machte sich mit einem Schraubenzieher tatsächlich an der Schalteinheit zu schaffen. „Geht gleich weiter“, sagte er über die Schulter. Sein Blick glitt über Philipp und ein Hauch Rot färbte seine Wangen.

Philipp wusste nicht wohin mit seinem Grinsen. Was für eine gute Idee. Die Rolle des Verführers war ihm zugedacht und der Holo-Junge gab das jungfräuliche Opfer.

Mitspielen?

Sicher. Wenn er schon einmal hier war.

Wie näherte er sich am sinnvollsten einem Hologramm? Da es programmiert war, seinen Träumen zu entsprechen, einfach frontal.

Tief einatmen, die Haare zurechtschütteln und los.

Konnten Hologramme duften? Aus dem weich aussehenden Haar strömte ihm der feine Geruch eines Shampoos entgegen. Philipp ließ die Finger durch die Strähnen gleiten.

Seidig. Warm. Wie echt.

Aber die Frau am Empfang hatte ihm ja gesagt, dass die Unterprogramme qualitativ hochwertiger waren.

Dem Hologramm fiel der Schraubenzieher aus der Hand. Verwirrt blickte es sich zu ihm um. „Kann ich Ihnen helfen?“

Was für ein neckisches, kaum wahrnehmbares Zittern in der Stimme.

Joe. Er würde den Holo-Jungen während dieses Abenteuers Joe nennen. Das kam noch authentischer und vielleicht konnte er sich, bevor es ernst wurde, einreden, einen Menschen aus Fleisch und Blut zu verführen.

„Lass den Schraubenzieher liegen“, wisperte er und küsste dabei Joes ausrasierten Nacken. Der Duft des Shampoos mischte sich mit einem frischen Aftershave. Köstlich.

Joe keuchte. „Tut mir leid, dass das Programm hängt, aber wenn Sie mich weiterarbeiten ließen, könnten Sie …“

Süß, wie er sein Ding durchzog. Aber wie sollte er es auch ändern? Er war programmiert.

Philipp schlang von hinten die Arme um ihn. Seine Finger wanderten zum Reißverschluss des Overalls und befreiten eine frisch rasierte Brust.

So weiche Haut. So feste Muskeln, dabei war der Kleine ein schlankes Kerlchen. Seine Fingerspitzen streichelten über ein hart schlagendes Herz. Fantastisch. Wie echt. Und es schlug schneller, wenn Philipp die unter seinen Fingern hart werdenden Brustwarzen neckte.

Hervorragende Arbeit. Er würde sich nach Beendigung des Programms für den Tipp mit dem Bonus bedanken.

Der Duft, der von Joes Nacken aufstieg, wurde intensiver, die Haut schimmerte feucht. Philipp küsste sich bis unter den Kragen des Overalls.

Schweiß.

Tatsächlich. Auf seiner Zunge lag ein feiner Salzgeschmack.

Joe stützte sich mit den Händen rechts und links an der Konsole ab. Sein Atem ging keuchend. Nach dem ersten zärtlichen Biss in den Hals ließ er den Kopf nach vorn fallen. Es gefiel ihm.

Wie interaktiv mochte Joe sein?

Philipp drehte ihn zu sich und lehnte ihn mit dem Rücken an die Wand. Joes Blick flackerte, seine Wangen waren definitiv gerötet, nur das Sprechen schien er aufgegeben zu haben.

Grüne Augen.

Bei den Wimpern und Brauen war jedes Härchen zu sehen.

Wann hatte er das letzte Mal einen Menschen auf diese Weise berührt? Es war Jahre her. Im Hinterzimmer irgendeines Klubs und der Kerl von damals hatte sich kein Stück echter angefühlt als Joe.

Philipps Herzschlag passte sich dem anderen an. Programmierte Lust? Seine war real. Sie krallte sich in seine Lenden und schrie ihm zu, auf den Punkt zu kommen.

Nicht zu schnell.

Das hier war ein Geschenk und er wollte es genießen.

Joe war wundervoll. Hologramm oder nicht.

Mit dem Daumen fuhr Philipp über weiche, warme Lippen. Sein Mund folgte. Joe stöhnte, suchte hinter sich Halt, doch da war nur die glatte Wand.

Die Lippen fühlten sich verdammt echt an. Auch die Wangen, die immer heißer wurden, das seidige Haar und erst die samtige Zunge.

Nach dem zweiten Plünderversuch gab sie ihren Widerstand auf und ließ Philipp dahin, wo er hinwollte. In die warme, feuchte Mundhöhle, die köstlich nach Kaffee schmeckte.

Ganz eindeutig.

Philipp stockte der Atem.

Shampoo-Duft? Eventuell.

Schweiß? Vielleicht.

Aber ein Kaffeearoma im Mund?

Gott, Joe war echt. Verdammt, er war dabei, einen Angestellten zu verführen, der anscheinend gerade seine Kaffeepause beendet hatte.

„Was siehst du mich so an?“ Joe fasste ihn im Nacken und zog ihn zu sich hinunter. „Du hast hiermit angefangen. Jetzt hör nicht auf.“

„Ich dachte, du wärst …“ Nein, das konnte er unmöglich sagen. Joe würde ihn für bescheuert halten.

Weiche Lippen suchten seine, schlossen sich erst zögernd, dann gierig darum.

Wenn der Kleine nur nicht so verdammt lecker wäre.

„Ich küsse sonst nicht“, hauchte Joe gegen Philipps Kinn. „Alle sagen, es sei unanständig.“

Und das Ding mit den Elektroden am Schwanz nicht?

Dreck noch mal.

Was er im Arm hielt, war reine Verführung. Echt, menschlich, schwitzend, in absehbarer Zeit ejakulierend. Es roch nach allem, was Philipp schmecken wollte.

Er zerrte den Overall von Joes Schultern. Jedes frisch befreite Stückchen Haut küsste er lange und ausgiebig.

Brust, Achseln, was für ein Aroma. Philipp wurde schwindelig. Joe offenbar auch. Er klammerte sich an ihn und wurde blass um die Nase.

„Ich muss mich setzen“, japste er zwischen zwei Küssen. „Meine Beine sind weg.“

Der Junge rutschte an der Wand hinunter und Philipp fing ihn auf. „Du kannst wirklich nicht mehr stehen?“

„Sag ich doch.“ Joe kämpfte sich aus Philipps Umarmung und schwankte zur Bank. Mit einem schweren Seufzen fiel er auf die grünen Holzleisten, stützte die Ellbogen auf die Knie und ließ den Kopf hängen. „Für das hier werde ich gefeuert.“

„Dann sag es keinem.“ Ein Nachmittag im Park dauerte logischerweise einen Nachmittag lang. Sie hatten Zeit, waren ungestört.

„Wie weit darf ich bei dir gehen?“ Die Frage löste ungebremstes Herzrasen bei ihm aus. Dabei hatte er sie gestellt. Das hier war kein Video, kein Holo-Programm, sondern das Leben. Im Moment fühlte er es vor allem im Schritt und im Herz.

Joe biss sich auf die Lippe und schürte dadurch das Gefühlschaos in Philipp noch mehr.

„Was weiß ich denn? Bis eben war mir nicht einmal klar, dass ich auf Männer stehe.“

Philipp kniete sich zwischen Joes Beine und legte den Kopf auf dessen Oberschenkel. „Ich glaube, dich verführt nur die Körperlichkeit der Situation.“ Himmel, was konnte er klug schwafeln. „Wäre ich eine Frau und ginge dir an die Wäsche, wärst du auch weggeschmolzen.“

Eine Hand fuhr durch sein Haar. „Mach das mit mir.“

Philipps Herz setzte aus. „Was soll ich mit dir machen?“ Blöde, Zeit schindende Frage. Was wohl? Das, was er sich in seinen Videos reinzog.

Plötzlich fühlte er sich wie der erste Mensch.

„Lass mich wegschmelzen.“ Joes Stimme war nah, sein Atem legte sich sanft auf Philipps Nacken.

Himmel. Angst vor der eigenen Courage?

Und ob!

Das Räuspern brachte wenigstens seinen Stimmbändern etwas Selbstvertrauen. „Obwohl wir uns nicht kennen?“

Joe lachte leise. „Die Mädels in den Videoclips kenne ich auch nicht und lasse sie trotzdem an mich ran.“

Nur ein Blick in seine grünen Augen, und der letzte Skrupel löste sich in den ruckelnden Enten auf, die seltsamerweise wieder aufgetaucht und nun über die bröselige Erde schwammen.

Sein Hemd, Joes Overall, Socken, Schuhe, Jeans.

Weg!

Haut. Duft. Schweiß und Joes hilfloses Keuchen.

Gott, er musste ihn verschlingen.

Genügte nicht. Kein bisschen.

Dann eintauchen. Überall, wo Joe ihn ließ.

Besser. Viel besser.

Enge? Dann langsamer.

Joes Keuchen brachte ihn um den Verstand. Seine Lust, Joes Schmerz, der hoffentlich auch lustvoll für ihn war, Enten und Parkbank, alles verschmolz um ihn herum.

Ein einziger Rausch. Ein Traum ohne Technik, eine Illusion ohne jegliche Animation.

Der süßeste nach Kaffee und Joe schmeckende Mund bettelte um Küsse und nicht nur er.

Die Holzleisten der Bank bohrten sich abwechselnd in ihre Rücken.

Egal.

Der stinkende Wind aus der Klimaanlage, der künstliche Nieselregen.

Egal.

Nur nicht Joe.

Nur nicht das Ziehen im Leib, nicht das Zittern vor Lust.

Nicht das Mehr-wollen und Noch-mehr-bekommen.

Sie rollten von der Bank, umschlangen sich keuchend. Irgendwann liefen Joe Tränen über die Wangen.

Vor Schmerz? Oder einfach nur, weil die Gefühle zu viel waren, um sie trocken schlucken zu können?

Philipp presste ihn an sich, küsste seinen Nacken und verlor sich im selben Moment in dieser vor Technik strotzenden Welt, in der nur die Hitze ihrer Körper und grüne Parkbänke echt waren.

Ihre Bank war nach hinten gekippt.

Nach einer Ewigkeit in seinem Arm setzte sich Joe vorsichtig auf. Er wischte sich über die Augen, lächelte dann. Auch wenn es etwas verwackelt aussah. „Wie heißt du?“ Seine Stimme passte zum Lächeln, unsicher aber süß. „Nur, falls ich auf die Idee kommen sollte, mich für das hier bei dir zu rächen.“

„Philipp.“ Er hielt Joe die Hand hin. „Ich würde mich über eine Revanche aufrichtig freuen.“

„Echt?“ Joe ergriff sie grinsend. „Freut mich, Philipp. Ich heiße Joe.“

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Tag der Veröffentlichung: 14.11.2018

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