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Sunshine

In meinen Träumen rieche ich noch immer meine Mama. Ich fühle ihre sanfte Zunge auf meinem Fell, wie sie nach der Milchmahlzeit liebevoll mein Bäuchlein stimuliert und mich danach hingebungsvoll säubert. Ich höre noch immer das vertraute Fiepen meiner Geschwister und spüre die Wärme ihrer Körperchen. Ich schmecke noch immer die süße Muttermilch und denke an die kleinen Rangeleien um den besten Platz an Mamas Gesäuge. Und ich fühle noch immer all die Liebe, die uns umgab, als wir noch winzig kleine Welpen waren.

Dann kamen die Menschen und mit ihnen Schmerzen und Tod.

Fremde Männer hoben uns nacheinander mit groben Händen aus der warmen Kiste, in der wir geboren wurden.

"Der da schaut vielversprechend aus“, sagten sie über meinen Bruder Ronny. „Den sollten wir gut im Auge behalten.“

Ronny wurde wieder zurück in die Kiste gesetzt. Mama wirkte sehr verunsichert. Sie knurrte leise, als sie meinen Bruder Sammy griffen, doch einer der Männer gab ihr eine grobe Kopfnuss. „Halt´s Maul.“ Mama zuckte verängstigt zusammen und duckte sich über ihre drei verbliebenen Welpen.

"Der hier scheint sich auch gut zu entwickeln“, meinte eine andere Stimme. Ich beobachtete, wie ein Mann Sammy hin und her drehte und ihn mit dem dicken Zeigefinger ärgerte. Sammy schloss sein zahnloses Mäulchen um den Finger, was den Männern eine Lachsalve entlockte. „Sag ich ja, der ist ein Kämpfer.“

Jetzt war ich an der Reihe. Zwei grobschlächtige Kerle inspizierten mich genauestens. „Ich weiß nicht… der hat´s glaube ich nicht so drauf wie die anderen. Was meinst du?“

Der andere Mann hob mich am Nackenfell hoch, was ich mit einen erschrockenen Schmerzenslaut quittierte. Ich hörte meine Mama winseln. „Wir geben ihm noch ein paar Wochen, um zu sehen, wie er sich macht. Außerdem ist ja nichts verloren, er kann immer noch als Bait Dog verwendet werden.“

„Das einzig Schöne an ihm sind die Augen“, sagte ein Dritter abschätzig. Er nahm mich dem Mann ab, der mich immer noch so schmerzhaft festhielt. „Falls er doch zu was taugen sollte, werde ich ihn Blu nennen.“

„Und falls nicht?“

„Dann eben Pisser. Sein Fell ist doch wirklich so gelb wie Pisse.“ Schallendes Gelächter folgte den Beleidigungen, dann wurde ich achtlos wieder zurück in die Kiste gesetzt, wo Mama mich sofort mit ihrer warmen Zunge tröstete. Während ich ihre Liebesbezeugungen genoss, wurde meine einzige Schwester herausgehoben.

„Das Weibchen hier macht es wahrscheinlich nicht lange. Sie hat ihr Untergewicht noch immer nicht aufgeholt. Die ist bloß Zeitverschwendung.“

„Außerdem fehlt ihr am rechten Hinterlauf eine Zehe. So kann man sie nicht mal zur Zucht nehmen.Weg damit.“

Ich wartete vergeblich darauf, dass sie auch meine Schwester wieder zu uns zurücklegten. Mama bettelte um Erbarmen für ihr Töchterchen, während die Männer noch eine Weile diskutierten und sich schließlich entfernten, ohne Mamas Bitten Gehör zu schenken.

Ich habe mein Schwesterlein Minnie nie wieder gesehen.

 

Einige Wochen später kamen die Männer wieder und nahmen mich und meine Brüder mit. Wir waren zu diesem Zeitpunkt knapp zweieinhalb Monate alt und noch gar nicht auf die Welt dort draußen vorbereitet. Wie sehr wir unsere Mama noch gebraucht hätten! Außer unserem dunklen und schmutzigen Verschlag kannten wir nichts, und die Welt, in die wir jetzt hineingestoßen wurden, machte uns eine Höllenangst.

Meine Brüder Ronny und Sammy bekamen eine andere Behandlung als ich, denn offensichtlich hatten sie sich so entwickelt, dass es den Männern im Lager gefiel. Ich sah, wie sie auf einen großen Platz geführt wurden, und entfernt voneinander neben großen, auf der Seite liegenden Ölfässern ankettet wurden. Die Halsbänder und Ketten waren aus Eisen und so schwer, dass sie meine Brüder förmlich niederdrückten und sie kaum ihren Kopf heben konnten. Vor anderen aufgeschnittenen Fässern lagen andere Hunde, es mussten mindestens zwei Dutzend sein. Einige waren noch halbe Welpen, auf der Schwelle zum adulten Hund, die meisten jedoch waren bereits erwachsen. Und sie alle gerieten in wütende Raserei angesichts der beiden Neuzugänge. Wären sie nicht angekettet gewesen, sie hätten sich im selben Moment auf die Neuzugänge gestürzt und sie zerrissen. Meine Brüder zitterten vor Angst und machten sich so klein wie möglich, während die Männer ihr Verhalten beobachteten und kommentierten. Einer machte die beiden anderen auf einen Rüden aufmerksam, der schwer atmend vor seiner Tonne lag. Sie gaben ihm einen Fußtritt, um ihn zum Aufstehen zu bewegen. Der Hund wimmerte leise und schlug schwach mit dem Schwanz auf den Boden. Seine Augen blickten hilfesuchend zu seinen Herren auf, und er versuchte, auf die Männer zuzurobben. Irgendetwas schien mit seinem Bauch nicht in Ordnung zu sein, denn als er sich unterwürfig auf den Rücken drehte, konnte ich eine seltsame weißliche Masse erkennen, die sich zu meinem Entsetzen bewegte.

„Scheiße Mann, das ist ja ekelhaft!“, rief einer der Männer aus, als er den starken Madenbefall am Bauch des armen Tieres sah. „Mit was habt ihr die Verletzung behandelt – mit der Scheiße aus euren verfickten Gehirnen?“

„Ich habe doch alles desinfiziert“, stammelte ein pickeliger junger Kerl, fast noch ein Teenager.

„Ja, das sehe ich! Hol meine Pistole, sofort.“

Der Junge rannte zu einem der Wohnwagen und verschwand im Inneren.

„Marius, das ist doch Riffle, einer unserer besten Hunde“, beschwor der Mann, der mich auf dem Arm trug, den anderen. „Wir sollten ihn zum Doc bringen, vielleicht kann man ihn retten.“

"Ach ja? Du glaubst, er wird wieder so werden wie früher? Vergiss es. Wenn ich eine Tierrettungsstation aufmachen möchte, werde ich es dich wissen lassen. Im Moment jedoch leben wir von diesen Kötern. Geld gibt’s nur, wenn sie kämpfen. Alles andere ist Zeitverschwendung.“

Er nahm die Waffe, die der Junge ihm reichte und schoss Riffle aus nächster Nähe in den Kopf. Riffle starb lautlos, doch der Schuss hallte weit über das Gelände. Die anderen Hunde jaulten auf und verkrochen sich in ihre Unterschlüpfe.

„Steck ihn in eine Tüte und wirf ihn in die Grube“, befahl der Hundemörder dem Teenager. „Danach bereitest du die Arena vor und bringst ein paar Trainigsdummies. Joy und Terence müssen trainieren, damit sie morgen Abend fit sind.“

Mit diesen Worten drehte er sich um und stapfte zwischen den angeketteten Hunden hindurch zu seinem Caravan. „Apropos Trainigsdummies“, rief er dem Jungen zu. „Nimm am besten gleich die Mutter von den Neuen hier. Die ist zu alt zum werfen, also eignet sie sich bloß noch als Bait Dog.“

„Okay, Marius“, sagte der Junge und packte mich fester. „Was soll ich mit dem da machen?“

„Bring ihn zu den anderen Dummies neben den Schuppen.. Da kann er gleich mal sehen, wie seine Zukunft aussieht. Und vergiss nicht, der Alten das Maul zu verkleben und die Läufe zusammenzubinden. Ich will nicht, dass Terence und Joy verletzt werden, hast du verstanden?“

Und so geschah es. Ich wurde in einen Käfig in der Nähe der Schuppen gesteckt und musste miterleben, wie Mama aus ihrem Verschlag gezerrt wurde, wie man ihr das Maul und die Vorderpfoten mit Klebeband umwickelte und sie dann hilflos ins Innere des Gebäudes schleifte. Ich wusste, dass mindestens ein Pitbull darauf wartete, sie bei lebendigem Leib zu zerfleischn. Ich hörte entsetzliche Geräusche aus dem Inneren und versuchte verzweifelt, meine Ohren mit den Pfoten zu bedecken. Nach einer Weile wurde der mit dem Blut meiner wehrlosen Mama besudelte Rüde namens Terence aus dem Schuppen geführt. Mit stolz geschwellter Brust lief er neben dem Mann namens Marius her. Das war das Schlimmste für mich. Dass er einen wehrlosen Artgenossen getötet hatte, um seinem Besitzer zu gefallen. Um Aufmerksamkeit heischend sah er zu seinem Herrn auf, der ihm zur Belohnung für die Tötung meiner Mutter den muskulösen Schädel tätschelte.

Ich war in der Hölle gelandet. Nie bekam ich ein freundliches Wort zu hören, und Streicheleinheiten bestanden aus Schlägen mit oder ohne Gegenstände. Pisser wurde ich wegen meiner Fellfarbe von den Menschen genannt. Sie ließen mich hungern, Durst leiden und frieren. Sie verachteten mich, weil ich ihnen kein Geld einbrachte und ließen es mich mit jeder Minute, mit jeder Geste spüren. Tag für Tag musste ich mit ansehen, wie Kaninchen, Katzen und wehrlos gemachte Hunde auf das Grundstück geschafft und zu den auf Kämpfe dressierten Pitbulls in die Arena geworfen wurden. Die Schreie der armen Kreaturen waren unbeschreiblich, jenseits aller Vorstellungskraft. Anfangs hasste ich meine Artgenossen ebenso sehr wie die Männer. Doch dann erkannte ich, dass die Hunde genauso Opfer waren wie diejenigen, sie sie im Ring, dem sogenannten Pit, zerreißen mussten. Nein, sie traf keine Schuld. Die Schuldigen waren die Menschen, die sich mit unserem Leid eine goldene Nase verdienten. Damit ein Hund zum Kampfhund wird, muss er einen langen Leidensweg durchlaufen. Ein Pitbull, der als Kampfmaschine herhalten muss, wird bereits als Welpe von seinem „Herrn“ brutal misshandelt, mit bloßen Händen oder Eisenstangen geschlagen, leidet Hunger, muss Steroide oder andere Drogen schlucken und auf Laufbändern bis zur völligen Erschöpfung rennen. Er muss Bäume hochklettern und sich in die Stämme verbeissen. Er bekommt einen Autoreifen um den Hals mit einer Kette daran. Die Kette wird an einem ausgeschlachteten Auto befestigt, in dem der Trainer sitzt und bremst. Wenn der Hund zu schwach ist zum Ziehen, gibt es Tritte. Vor einem Kampf wird der Hund tagelang ohne Futter in ein Verlies gesperrt, damit er so richtig schön aggressiv wird. Und trotz allem ist jeder einzelne von ihnen bereit, für seinen Menschen zu sterben. Alles was sie wollen ist die Aufmerksamkeit der Männer, die sie anbeten. Bis zum Tod kämpfen sie gegeneinander, um ihre Besitzer zufriedenzustellen. Doch diese interessieren sich einen Dreck für die Schmerzen und das Leid ihrer Hunde. Sie interessieren sich einzig und allein für die bunten Papierschnipsel, die sie Kohle nennen und die ihnen ein schönes Leben ermöglichen.

Ich kam mehrmals mit einigen der besonders beliebten Kämpfer in Berührung. Terence, den Mörder meiner Mutter, habe ich im Alter von fünf Monaten kennengelernt. Ich verstand gar nicht, was mit mir geschah, als ich auch schon in eine Arena geworfen wurde und er wie ein Berserker auf mich losging. Es ist nicht so, dass ich mich kampflos zusammenbeißen ließ. Ich habe mein möglichstes getan. Hätte ich Reißzähne gehabt, hätte ich mich durchaus gewehrt, doch diese wurden mit eine Woche vorher bis auf kleine Stummel abgeschliffen. Ich sollte wehrlos sein, damit andere Hunde an mir ihren Kampfgeist und ihren Beissinstinkt schärfen konnten. Terence hatte mit mir leichtes Spiel. Dabei war er selbst nicht mehr als ein Häufchen Elend. Sie gaben ihm mich als Gegner, um sein Selbstbewusstsein wieder aufzubauen. Terence hatte bei seinem letzten offiziellen Kampf ein Ohr und einen Teil seiner Wange eingebüßt und hatte weitere schwere Bissverletzungen am ganzen Körper. Er schien sich kaum auf den Beinen halten zu können, doch trotzdem ging er auf mich los wie eine Rakete. Er war vollgepumpt mit Drogen. Mein Gott, wie stark er war. Wenn der selbsternannte Ringrichter nicht dazwischen gegangen wäre, hätte er mich ohne große Anstrengung ins Jenseits befördert.

Ich wurde in meinen Verschlag zurückgebracht und notdürftig kuriert. Ein sogenannter Tierarzt hatte mich zusammengeflickt und Anweisungen zu meiner Pflege gegeben. Da mir meine Schmerzmittel allerdings nur unregelmäßig gegeben wurden und nach zwei Tagen überhaupt nicht mehr, gestaltete sich meine Genesung sehr sehr schmerzhaft. Terence sah ich übrigens nie wieder. Zufällig erfuhr ich eine Woche später, dass er seinen nächsten offiziellen Kampf verloren hatte und von Marius noch in der Arena mit einem Kopfschuss hingerichtet wurde.

Die nächsten Zeit verbrachte ich entweder im provisorischen Ring als Bait Dog oder in der noch provisorischeren Krankenstation. Ich wusste bis dahin nicht, dass man sich an seine Qualen gewöhnen kann. Mein Körper bestand nur aus Schmerz, und irgendetwas war mit meinem linken Auge passiert, als eine Hündin namens Storm mich attackierte. Ich war bis auf die Knochen abgemagert und konnte mich kaum auf den Beinen halten. Der Tierarzt kam ab und zu vorbei und besah sich meine Wunden. Er schien wütend auf Marius zu sein, und einmal gerieten sie in heftigen Streit. Kurz darauf beobachtete ich, wie einige grüne Geldscheine den Besitzer wechselten, und der Veterinär zog von dannen.

 

In einer kalten Novembernacht veränderte sich alles. Engel wurden vom Himmel gesandt und nahmen sich unserer

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Alexa Innocenti - alle Geschichten bis auf eine wurden in Anthologien aufgenommen. "Holly, eine wahre Geschichte " wurde bei PETA veröffentlicht.
Bildmaterialien: Pixabay.com und Alexa Innocenti
Cover: Pixabay.com
Tag der Veröffentlichung: 10.03.2018
ISBN: 978-3-7438-6058-2

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