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Elon


Ich möchte etwas niederschreiben. Etwas, das niemals niedergeschrieben werden sollte. Etwas, woran ich mich nicht erinnern will, nicht kann, weil mein Geist sich vor einer solch grauenhaften Erinnerung aufs Heftigste verschließt.
Vor ein paar Monaten, es war Frühjahr, war ich, ein treuer Seemann, als Walfänger auf dem großen Meer unterwegs. Es gab auch keine Probleme, bis auf eines, doch dieses war so grauenvoll, dass ich wohl der einzige Überlebende bin.
Wir segelten also auf dem großen Meer als uns plötzlich ein dichter Nebel umgab. Ich höre die Schreckensschreie der Matrosen noch heute in meinen Träumen, so tief haben sie sich in meinen Verstand eingegraben. Nach ein paar Sekunden der Windstille fing eine steife Brise an zu wehen, die an Stärke stetig zunahm. Das gesamte Schiff vibrierte und wackelte, bis es zusammenbrach. Ich konnte mich in das einzige Beiboot retten, aber alle anderen wurden von der schäumenden See gefressen. Einige Leichen schwammen schon nach einigen Sekunden an meinem kleinen Boot vorbei.
Ich muss wohl eingeschlafen sein, zumindest habe ich keinerlei Erinnerung an weiteres, denn am nächsten Morgen oder auch viele Jahrhunderte später, ich kann es nicht sicher sagen, wachte ich in einer bestialisch stinkenden Wüste aus getrockneten Fischkadavern auf. Es waren vielerlei Fischarten dabei, vom blauen Riesen bis hin zu unzähligen winzigen Krabben.
Ich beschloss, da ich weder Proviant noch Unterschlupf, mein Boot war zertrümmert, hatte, loszuziehen und nach normalem Land Ausschau zu halten. Die Sonne brannte so heiß wie nie zuvor in meinem Leben und ich bekam schon bald einen alles in den Schatten stellenden Durst.
Nach einigen Stunden brach ich erschöpft zusammen. Als ich wieder aufwachte, war meine Haut verbrannt und löste sich in Striemen. Wenigstens war es Nacht. Tiefste Nacht. Also lief ich weiter. Viel weiter. Bei Morgengrauen sah ich eine enorme Formation aus mir völlig unbekannten Fischkadavern. Es sah aus wie eines dieser gefürchteten Seeungeheuer, hunderte Meter lang mit unzähligen bezahnten Tentakeln.
Am Fuße der Formation angekommen, die Sonne brannte wieder, sah ich eine Öffnung, wahrscheinlich früher einmal das Auge des Monsters, die in den monströsen Kopf führte. Mit der Hoffnung auf erfrischende Kühle ging ich hinein.
Ich stolperte über etwas Verwesendes und rutschte einen steilen Hang hinunter. Als ich aufkam, musste ich mich fast übergeben, da überall um mich herum verwesende Kadaver in Magensäure schwammen. Mit mir. In Panik strampelte ich um mich und traf anscheinend eine morsche Stelle der Magenwand. Sie riss und spülte alles in einen großen Raum. Es stank so bestialisch, dass ich fürchtete, ich würde den Geruch nie wieder aus meinem Fleisch hinauswaschen.
Der Raum in dem ich mich befand hatte immense Ausmaße. Sicherlich einige hundert Meter im Quadrat. Ein wisperndes Lachen drang tief aus der Dunkelheit hervor. Wer da sei rief ich und plötzlich war alles in den selben Nebel gehüllt, der auch schon mein Schiff umhüllte und versenkte.
„Du Narr“, drang es aus ihm hervor. „Knie hernieder vor deinem Meister!“
Auf die erneute Frage, wer er sei, lachte er und sagte seinen Namen. Elon. Als er ihn aussprach durchfuhr den Raum eine Welle der Macht, einer Macht, die nur zur Huldigung Elons existiert.
Dann endlich trat er aus dem Nebel hervor. Er war mindestens fünf Ellen hoch und dürrer als ein Kind in der Dürre. Seine Augen stachen schwarz von seiner sonst leichenfarbenen Gestalt heraus. Soweit ich es sehen konnte, hatte er sonst sehr menschliche Züge. Je zwei Beine und Arme, einen Kopf auf den Schultern eines aufrechten Körpers und ein Gesicht, wobei dieses die meisten Alpträume an Grässlichkeit bei weitem übersteigt.
Elon, ich bin mutig genug, seinen Namen niederzuschreiben, grinste in einer abstrakten Art, als er meine furchtbedeckten Augen sah und erhob sich zu seiner vollen Größe. Er rief einige mir bis heute unbekannte und unbegreifliche Laute und all die toten Fische erwachten zum Leben. Es war ein Umherschwirren von verwester Materie, unfähig, sich beisammen zu halten.
Wasser brach ein. Schwarz vor Blut und Fleischresten. Ich schwamm so schnell ich nur konnte gen Oberfläche und als ich aus dem Meer ausbrach musste ich sehen, dass es kilometerweit keinen festen Halt gab. Nicht einmal Treibholz.
Nach Tagen des Hungerns und Durstens fischten mich einige Walfänger aus dem Wasser. Es waren die Leute, bei denen ich als Walfänger engagiert gewesen war und es war auch dasselbe Schiff. Die Frage, ob sie mich kannten, verneinten sie.
An Land angekommen, suchte ich meine Familie, ich hatte Frau und Kind, doch ich fand sie nicht. Niemand sonst kannte sie, dabei war die Stadt, in der ich mich befand, ganz sicher meine Heimatstadt.
Ich fürchte mich noch heute vor Elon, ich glaube, er verfolgt mich.


Nebel! Er ist hier! Er wird mich holen. Ins Meer ziehen, ertränken und wieder zum Leben erwecken. Schritte. Der Geruch von verwesendem Fisch. Sein keuchender Atem. Ich muss weg! Wo? WO? Das Fenster! DAS FENSTER!


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 27.06.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle Vergessenen

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