Endspiel
Es war wieder so weit. Zwei Jahre nach der Europameisterschaft, vier Jahre nach der letzten Weltmeisterschaft endlich das Endspiel.
Ich hatte 10 Freunde eingeladen zum Endspiel gucken. Vier Bierfässchen, Cola, Wasser Saft, Champagner zum Anstoßen. Für mich war klar: Wir werden Weltmeister. Und das musste nach dem Spiel natürlich gebührend gefeiert werden. Telefon und Internet waren bereits seit zwei Tagen ausgestellt, alles perfekt geplant.
Und nun das Essen. Seit zwei Tagen war ich küchenmäßig bei der Arbeit. Bouletten machen, Kartoffelsalat, Kanapees, Salat. Als Dessert einen riesigen Wackelpudding. Das besondere an diesen Gerichten zu diesem Anlass war selbstverständlich: Alles in schwarz-rot-gold. Lediglich der Kartoffelsalat war in der üblichen Kartoffelsalatfarbe.
Für den schwarzen Teil des Wackelpuddings hatte ich eine Woche geprobt. An der Kasse vom Supermarkt meines Vertrauens guckte man mich schon merkwürdig an, weil ich literweise dunkle Säfte und ebenso viele Tüten Gelatine und Agar-Agar dort raus schleppte. Die beste und schwarzeste Variante war schwarzer Johannisbeersaft mit einigen Tropfen Lebensmittelfarbe. Der rote Teil war einfach, den gab es fertig zu kaufen. Gold war gelber Vanillepudding mit Safranfädchen. Klar, dieser Riesenpudding brauchte zwei Tage, eh alles richtig fest war, aber dann stand da ein wackelnder, zappelnder Traum in schwarz-rot-gold, genau wie ich mir das vorgestellt hatte. Dass mein Körper mindestens vier Jahre brauchen würce, um den Gelatineschock zu verdauen, war nebensächlich. Nur das Ergebnis zählte.
Schwarz-rot-goldene Bouletten waren gar kein Problem. Auf die scharf angebratenen Bouletten kam eine Tomatenscheibe, auf diese eine gelbe Paprikascheibe. Das ganze zusammen gespießt mit, es ging nun einmal nicht anders, einer kleinen schwarz-rot-goldenen Papierfahne.
Auch die Kanapees bereiteten keinerlei Probleme. Rundes Schwarzbrot, Tomaten und rote Paprikascheiben und gelben Käse. Die Fähnchen duften auch nicht fehlen. Perfekt.
Zum banalen kartoffelfarbigen Kartoffelsalat ist nichts weiter zu sagen. Kartoffelsalat eben.
Der Salat war nicht wirklich schwarz-rot-gold, es gibt keinen schwarzen Salat. Die oberen Teile des Eichblattsalats in dunkelbraun kamen annähernd hin, Tomaten und rote Paprika, daneben gelbe Paprika, fertig. Selbstverständlich als Krönung die Fähnchen.
Ich wuselte und wirbelte für meinen schwarz-rot-goldenen Traum. Drapierte und stellte hin und um. Und dann war alles fertig. Meine Küche war schwarz-rot-gold geschmückt, himmlisch anzusehen.
Der Fernseher war mit schwarz-rot-goldenen Girladen geschmückt, der Rest meines Zimmers auch. Für einen kurzen Augenblick klärte sich mein Geist und eine skeptische Stimme in meinem Kopf fragte besorgt, ob es mir wirklich gut gehe. Dieser Augenblick war so schnell vorbei wie ein Wimpernschlag. Und ja, es ging mir gut.
Nun fehlte nur noch ich. Duschen, schminken, anziehen. Beide Wangen wurden natürlich mit schwarz-rot-goldenen Streifen beglückt, die Kleidung war nur schwarz-rot, das gold waren meine Haare. Alles fertig.
Es war inzwischen 19 Uhr. Noch war keiner da. Aufgeregt schaltete ich endlich wieder mein Handy ein. Noch einmal prüfen, welche Uhrzeit ich in der SMS angegeben hatte. Komisch, wo ist die SMS zu finden? Wild haute ich auf die Telefontasten. Und wurde fündig. Säuberlich abgelegt unter „Entwürfe“. Mein Herz stolperte kurz, aber da waren ja noch die Emails. Computer an, Ordner mit gesendeten Mails geöffnet. Und wieder nichts. Und wieder haute ich auf Tasten, diesmal war die Computertastatur an der Reihe. Und wieder wurde ich im Entwürfeordner fündig. Oh mein Gott! Ich hatte es versaut. So gründlich, mein schlimmster Albtraum wurde gerade wahr. Weder hatte ich eine SMS verschickt, noch eine Email. Alles zur nochmaligen Prüfung abgelegt in Entwürfe.
Nun musste Plan B zur Ausführung kommen. Plan B bedeute nichts weiter als jede Menge Telefongespräche führen.
Bevor ich dies tat, schaltete ich endlich den Fernseher ein. Und was ich dann sah, ich finde keine Worte, es war der Niedergang schlechthin. Ich traute meinen Augen und Ohren nicht. Nach 30 Sekunden hyperventilierte ich, nach weiteren 30 Sekunden war dieser Anfall vorbei. Meine schwarz-rot-gold geschminkten Wangen wurden mit schwarzen Streifen der Wimperntusche verziert. Ich konnte nicht anders, die Tränen quollen einfach so aus meinen Augen.
Das Fernsehbild wechselte, der Sprecher auch.
„Verehrte Zuschauer. Wir begrüßen Sie herzlich aus dem ausverkauften Soccer City Stadion in Johannesburg zum Endspiel der WM 2010. Gerade sehen Sie die Mannschaften einmarschieren. Voran die Landesfahnen Brasiliens und Argentiniens ….“
Tag der Veröffentlichung: 29.06.2010
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