Der Aufzug
Ein Tag wie aus einem Albtraum war fast vorbei. Der Chef verbreitete übelste Laune, er hatte vom Vortag einen Kater in der Größe eines Säbelzahntigers. Sie war fest davon überzeugt, dass sich ein Säbelzahntiger nach einem mitternächtlichen Barbesuch so aufführen würde, unter der Voraussetzung, zu Lebzeiten der Säbelzahntiger gab es eine Bar, zu der auch Säbelzahntiger Zutritt hatten.
Sie nieste dreimal hintereinander, der Hals tat ihr weh, der Kopf nicht minder. Das Kind wartete im Kindergarten. Sie musste sich beeilen. Vorher war es dringend erforderlich, eine neue Bratpfanne zu kaufen. Ihr Superteil von Pfanne hatte sie am Abend zuvor ermordet. Also los. Raus aus dem Büro, rein ins Auto, ab ins Kaufhaus. Das Parkhaus war natürlich überfüllt, sie musste eine Ehrenrunde drehen. Endlich, ein Riesenauto fuhr aus einer Parklücke, ihr kleines Auto fand dort einen ruhigen Ort zum Abkühlen.
Mit wehendem Schal, schniefender Nase, wahrscheinlich tobte auch noch Fieber durch ihren Körper, rannte sie zum Aufzug. Wo gibt’s Bratpfannen? Da, in der 2. Etage. Warum fährt das Ding so langsam? Ich habs eilig … Endlich, nach ungefähr 50 Minuten, es waren noch nicht einmal 5 Minuten, aber mit dem Matschkopf geschehen seltsame Dinge. Und das war erst der Anfang.
Endlich, die 2. Etage. Sie verließ den Aufzug, rempelte auf ihrer Suche nach dem Ersatz für die ermordete Pfanne Leute an. Sorry, sorry, es sorryte nur so aus ihrem Mund. Sorr, sorr, man das zweite R gerade noch hören, war sie endlich an dem Ort angelangt, an dem es Pfannen in Hülle und Fülle gab. Natürlich gab es nicht die, die sie wollte. Also weiter ins nächste Kaufhaus. Vorher Kind holen, Nase putzen und dann neuer Kampf.
Sie ging zum Schalter für das Ausfahrticket. Endlich etwas, das klappte: sie hatte das entsprechende Kleingeld und bekam ihr Ausfahrticket. Nun fehlte nur noch der Aufzug. Während sie noch den Autoschlüssel suchte, hielt der selbige. Und um ihre Fassung war es geschehen. Es gibt schwarze Löcher im All. Es gibt den Sockenplaneten, der eine direkte Verbindung zu allen Waschmaschinen hat und mindestens einen Socken im Leben einer Waschmaschine aus ihr saugt und den Planeten mit Socken besiedelt. Mit Sicherheit gibt’s auch Santa Claus mit dem Rentierschlitten. Aber das, was sich im Aufzug befand, der sie eigentlich zu ihrem Auto bringen sollte, war nicht von dieser Welt:
Das, was vor ihr mit einladend geöffneten Türen hielt, war ein Badezimmer. Die Wände, die Decken und der Fußboden waren mit Fliesen belegt, rechts befand sich ein Waschbecken. Es fehlte lediglich der Spiegel. Die mit Wasser und Badeschaum gefüllte Badewanne stand gegenüber den Aufzugstüren, wir befinden uns ja noch immer im Kaufhaus, Standort Aufzüge zum Parkhaus. Und in dieser Badewanne saß ein fröhlich mit einem Quietschentchen spielender Mann, der sie noch fröhlicher angrinste.
Guten Tag. Ihr Mund stand offen, die Augen aufgerissen, irgendwelche Windungen ihres Gehirns signalisierten ihr die Logik des fehlenden Spiegels. Wahrscheinlich standen auch noch ihre Haare vom Kopf ab wie die eines perfekt gepflegten Punkers. Und wegen des fehlenden Spiegels konnte sie das alles nicht sehen.
Mühsam schloss sie ihre Augen in der verzweifelten Hoffnung, dass, wenn sie diese wieder öffnete, sie nach diesem kurzen Irrflug ins Nimmerland wieder vor dem Aufzug stand.
Weit gefehlt. Ihre wieder geöffneten Augen sahen immer noch das Badezimmer, den Mann in der Badewanne. Dieser war gerade dabei, sich mit einem Seifestück einzuseifen. Das wurde immer schlimmer. Und weit und breit kein Aufzug in Sicht, kein Mauseloch, immer noch Nimmerland. Der Mann grinste freundlich und fragte, ob sie bereit wäre, ihm den Rücken einzuseifen. Sie versuchte, ihren Kopf zu schütteln, nicht wissend, ob der Befehl von Gehirn auch wirklich beim Wackelmuskel ankam.
Und just in dem Moment fiel dem Badenden, er fing zu allem Überfluss auch noch an zu singen, das Seifestück aus der Hand. Fröhlich seinen Gesang unterbrechend fragte er sie, ob sie ihm denn die Seife geben können, wenn sie schon nicht in die Wanne möchte.
Sie hatte ihren Schock immer noch nicht überwunden und nickte blöd grinsend. Mit krächzender Stimme brachte sie ein tonloses Ja heraus. Und schon hatte sie das nächste Problem am Hals. Wie dem die Seife geben, ohne einen Schritt in das Badezimmer-im-Aufzug zu tun? Ihre Lösung war ganz einfach: Einen Fuß außerhalb des Aufzugs oder Badezimmer oder wie auch immer, den anderen vorsichtig auf die Fliesen setzend hob sie die Seife auf. Ihr Arm mit der Seife in der Hand schob sich teleskopartig nach vorn und sie gab ihm die Seife in die Hand. Der letzte Gedanke, bevor sie sich umdrehte, war der, dass sie den Aufzuggöttern dankte, dass sie (hoffentlich) kein Mensch gesehen hatte.
Manchmal bestehen Minuten im Leben nur aus Irrtümern, die jederzeit beseitigt werden können. In dem Moment, als sie sich umdrehte, trat ein Mann auf mit ausgestreckter Hand auf sie zu, lächelte und sagte die Worte: Guten Tag, ich bin Kurt Felix und wir haben Sie gerade … Das war es: Sie war auf „Vorsicht Kamera“ reingefallen. Klar doch, Kurt Felix, kennt ja jeder. Immer noch nicht ganz genau wissend, ob sie sich jetzt wirklich auf das verlassen kann, was ihre Augen dem Hirn sendeten, brachte sie nur ein Wort raus: Klasse.
Kurt Felix ließ sich von ihr die Persönlichkeitsrechte abtreten, falls diese Aufnahme gesendet wird. Sie unterschrieb, wortlos. Kurt Felix redete auf sie ein, zwei Kameraleute waren plötzlich da. Sie brachte nur noch den Satz heraus: Ich muss jetzt gehen.
Nie wieder hatte suchte sie danach vor einem Aufzug zum Parkhaus den Autoschlüssel, sie hatte den immer in der Hand. Und starrte die Aufzugtüren wie hypnotisiert an, wenn sie sich langsam öffneten. Man kann ja nie wissen, sich dahinter verbirgt …
Tag der Veröffentlichung: 26.06.2009
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