Viel zu lange hatten wir uns nicht mehr gesehen, meine beste Freundin Vau und ich. Endlich habe ich es mal wieder geschafft, mich in das Restaurant zu schleppen, das sie und ihr Mann betreiben.
Weil Vau mir viel von der russischen Lebensart beigebracht hat, tranken wir erstmal einen Begrüßungscognac nach russischer Art. Ist eigentlich ganz einfach, nach deutscher Art wäre das ein dreifacher Cognac.
Warum mir im Laufe unserer Quatscherei ausgerechnet das Folgende einfiel, weiß ich natürlich nicht. Aber diese Satz setzte einiges in Gang:
Vau, weißt Du eigentlich, dass ich nächstes Jahr 60 werde?
Ihre Augen blitzen, als sie lediglich zwei Worte aussprach: Na und?
Ich fragte sie, wo ich denn in der Zeit war, als das geschah, was allgemein hin als alt werden bezeichnet wird. Diese Frage konnte ich mir schnell selber beantworten: Wahrscheinlich Pizza holen, die über einer Kerze gebacken wurde.
Nach weiteren 2 Cognac nach russischer Art begab ich mich, auch ganz nach russischer Art, fröhlich in Richtung U-Bahn.
Der nächste Tag begann etwas schwerfällig. Eben ganz nach russischer Art. Aber auch dies ging vorbei und im Laufe des Tages klärte sich mein Blick. Zeit für eine Bestandsaufnahme. Diese wurde mit Hilfe eines Spiegels in Angriff genommen. Vor selbigem baute ich mich in voller Größe auf. Und los gings.
Fangen wir am besten ganz unten an, mit den Füßen. Diese waren ordnungsgemäß verpackt in Original Chucks von Converse. In diesen fühlen sich meine Füße wohl. Wie nackig auf einer Wiese. Ich werde eine Kerze in einer Kirche anzünden, dass das so bleibt.
Weiter höher, die Beine. Sind noch ganz passabel, keine Cellulite. Dass mir das bisher erspart blieb, keine versteckten Orangen unter der Haut, lässt mich ganz verliebt meine Beine betrachten.
Mühevoll reiße ich meine Blicke von meinen Beinen. Ich nähere mich einem Problem. Wo um alles in der Welt kommt die viele Haut im Bereich meines Bauches her? Es scheint so zu sein, dass sich mit dem alt werden die Haut vermehrt. Wie macht sie das bloß und warum sagte mir das keiner? Vielleicht hilft ja ein wenig Training, so einmal die Woche, fünf Minuten. Mal schauen. Notfalls auch ein Mieder, sind eh nie aus der Mode gekommen.
Weiter geht’s zu höheren Regionen, zum Busen. Dem bereitet die Erdanziehung etwas Probleme. Vielleicht hätte ich doch öfter mal zum BH greifen sollen, also zu früheren Zeiten, als der Boden der Pizza noch aufgehen musste. Wieso erfindet niemand einen Tacker mit unsichtbaren Klammern? So für die Frau oder auch den Mann von heute, der sich den Chirurgen sparen will. Sozusagen ein Hautspanntacker. Gut, gibt’s nicht, ein Push Up muss Abhilfe schaffen. Und der schafft das ganz gut, wofür er auf diese Welt kam.
Dekollete und Hals mit Lupe betrachten. Ich bekomme wieder meinen verliebten Blick. Auch die Lupe findet keine nennenswerten Falten. Alles im grünen Bereich also.
Ich bin bei meinem Gesicht angelangt. Bevor ich mich mit diesem näher beschäftige, erstmal einen Tee trinken. Hilft immer. Zur Entspannung Musik, einer meiner Lieblingssongs der Toten Hosen. Ich singe lauthals mit:
Wann hatt ich meinen letzten Fick?
Ich bin ganz ehrlich, ich weiß es nicht.
Es ist alles nicht mehr, wie es früher einmal war,
höchste Zeit das einzusehn. ……
Campino trällert weiter den Song der alten Punks, mir trüben sich die Augen. Es wird offensichtlicher, ich brauche diesen Tacker. Vielleicht tuts auch ein Weichzeichner für die Handtasche. Jederzeit einsetzbar. Aber auch hier Fehlanzeige, keiner hat solch ein Teil erfunden. Wahrscheinlich hemmen Chirurgen diese Erfindung, die wären arbeitslos. Man sollte jedoch darüber nachdenken, dass man die Qualzüchtung vieler kleiner Botoxe beenden könnte. Ich sollte mich auf die Suche nach einem Weichzeichnererfinder machen.
Ein gutes Antigesichtsfaltenmittel ist ganz einfach, kostet nichts, soll effektiv sein: Nicht mehr Lachen. Bei dem Gedanken daran spüre ich es aus den Tiefen meines Bauches aufsteigen. Es bahnt sich seinen Weg nach oben und platzt aus meinem Mund: Ein lautes Lachen übertönt Campinos Gesang. Mein Lachen. Ich liebe dieses Gefühl, dieses Aufsteigen purer Freude aus dem Bauch. Dieses Antigesichtsfaltenmittel ist somit für mich gestorben
Man siehts meinem Gesicht an, dass da ein Zeitzahn ein wenig genagt hat. Gut, es gibt Make Up mit Antifalteneffekt, mit Fülleffekt, mit Lichtreflexeffekt, mit allen möglichen und unmöglichen Effekten. Doch das Zeug muss auch immer fein abgewischt werden. Dafür bin ich abends einfach zu faul, ich verzichte auf Effekte aller Art. Geht noch so, eine kleine Weile.
Nun bin ich bei meinen Augen angelangt. Jetzt kommen wirklich echte Probleme. Für die Augenringe und Tränensäcke, das Grauen hat einen Namen, gibt es zum Glück ein wirksames Mittel. Die meisten Leute schmieren sich das in eine Körperöffnung, um dort lästige, juckende Teile zu entfernen. Ich schmiers mir unter die Augen: Hämorrhoidensalbe. Hat abschwellende Wirkung. Stimmt. Die etwas gelbliche Farbe ist gewöhnungsbedürftig, da hilft ein Abdeckstift. Am besten wird es sein, ich suche mir eine Hämorrhoidensalbenfabrik, damit mir diese edle Salbe niemals ausgeht.
Wunderbar erfrischend und gegen Falten sind Zitrusfrüchte. Dünne Scheiben ins Gesicht und alles ist gut. Also brauche ich auch noch eine eine Zitrusfruchtplantage.
Allmählich wird mir dieses Rendezvous mit Spiegel zu anstrengend, ich brauche eine Pause und echt was zur Belohnung. Ich rufe also meinen Stecher an. Nana, wer denkt denn an SOWAS? Der soll mir lediglich ein neues Tattoo stechen. Das Motiv habe ich, den Platz auch:
Dalis Uhr. Der Platz für dieses Tattoo steht fest. Über dem rechten Busen. Ich denke, dieser Ort ist genau richtig für die Uhr, die mich, und nicht nur mich, daran erinnert, wie schnell die Zeit fließt.
Tag der Veröffentlichung: 28.05.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für meine beste Freundin Vau.
Danke für die schönste Zeit meines Lebens.