Danke Vopo
Wir alle kannten sie. Die, die uns als Transitreisende nach Westberlin gefilzt haben, das Auto völlig auseinander genommen, mussten wir es dann wieder in mühevoller Kleinarbeit wieder zusammensetzen. Die uns auf der Autobahn angehalten haben. Wir fuhren 60 wo 80 erlaubt war, sie sagten: Sie sind 120 gefahren, das kostet, natürlich in DM. Und zähneknirschend zahlten wir. Chancen gegen sie zu gewinnen waren eh aussichtslos.
Aber es gab auch die anderen. Und von diesem einen erzähle ich hier.
Es war ein schöner Sommertag. Meine Fahrt mit meinem Sohn nach Ostberlin war beantragt. Der bei uns als „Eintrittsgeld“ benannte Zwangsumtausch von 25 DM war erfolgt. Wir konnten los. Von den 100 Mark Ost wusste keiner. Der Umtausch war in Westberlin völlig legal, für 7 DM bekam man 70 Ostmark.
Nicht legal war es, das Geld mit nach Ostberlin zu nehmen. Ich tat es trotzdem, wie eigentlich alle Westberliner. Geld war im BH versteckt, alles klappte.
Mein Sohn, er saß noch um Buggy zogen, wir los. Von der Friedrichstraße zum Naturkundemuseum. Dort steht ein Skelett eines Tyrannosaurus Rex, erzählte ich meinem Sohn, wir schauen uns den aber ein anderes Mal an.
Weiter ging es in Schallplattenläden. Ich war in einem wahren Kaufrausch. 2 Platten der Puhdys, eine von Karat, eine von City. Die bekam ich nur hier, im Westen waren die eher selten im Angebot.
Nach dem vielen Laufen, also ich gelaufen, Kind geschoben, hatten wir Hunger. Geld war in Unmengen vorhaben, also rein in das Kaufhaus am Alex. Oben war die Kantine. Wir stellten uns brav an.
Kind, was möchtest Du essen? Würstchen. Ok, Würstchen mit Schrippe. Gab es.
Da stand an der Tafel, als ich weiter vorgerückt war in der Schlange, ganze „Broiler“. Was um alles in der Welt sind „Broiler“???? Ich passte auf wie ein Wachhund, als der vor mir in der Schlange „Broiler“ verlangte. Was kriegt der jetzt? Meine Spannung stieg und ich musste etwas dämlich geschaut haben, als er ein Brathähnchen bekam.
Gut, ich kaufte mir also auch einen Broiler. War stolz auf mich, dass ich dieses Fremdwort so gut aussprechen konnte. Die Leute schauten mich trotzdem an, ich war nun mal nicht eine von ihnen, Levis 501 trug man im Osten eben nicht, auch wenn ich diesen Broiler ordnungsgemäß verlangt hatte und nicht Hähnchen sagte.
Der Broiler schmeckte, die Clubcola war ein Höllentrip. Tapfer trank ich sie trotzdem aus.
Es ging weiter. Mein Sohn machte sich in die Hose, neue mussten her. Die Unterhosen waren preiswert, ich kaufte gleich 3 Stück. Das war die beste Qualität, die ich jemals bekommen hatte. Sie waren unkaputtbar. Wo sind die nur nach 1990 mit dieser Produktion geblieben?
Noch jede Menge Zeichenblöcke gekauft, Schulhefte, dann ab zur Grenzübergangsstelle Friedrichstraße. Auf dem Weg dahin schnell noch ein Brot für 0,80 Ostmark und solche Cremetortenschokoladenzipfel. Die schmeckten himmlisch.
Wir kamen vollgepackt am Grenzübergang an. Mein Sohn war kaum zu sehen in seinem Buggy vor lauter Tüten.
Der Vopo schaute mich an, schaute die Tüten an, dann wieder mich. Es war wirklich nicht zu übersehen, dass in diesen Tüten weit mehr als 25 Mark steckten.
Er schaute in jede Tüte rein.
„Wo haben Sie das alles her?“ fragte er
„Gekauft natürlich.“ Was glaubt der denn, etwa geklaut?
„Sie haben das nicht von Ihren Verwandten als Geschenke bekommen?“
Was für eine Frage. „Natürlich nicht“.
Er stellte die Frage noch einmal mit genau denselben Worten. Sehr eindringlich diesmal.
Und da wurde ich stutzig. Meine Gedanken überschlugen sich. Siedendheiß fiel mir ein, dass ich ja eigentlich nur 25 Mark offiziell hatte. Devisenschmuggel heißt die Straftat. Die halten mich fest. Ich komme nach Bautzen. 20 Jahre Knast, 10 Jahre Zwangsarbeit in Sibirien. Meine Kinder sehe ich nie wieder. Mein Sohn bleibt gleich hier. Panik ohne Ende. Und das alles ging durch meinen Kopf in ungefähr 20 Sekunden.
Der Vopo schaute mich immer eindringlicher an. Ich hatte kapiert.
„Ja, das sind alles Geschenke von Verwandten“.
Er schaute mich an, ich sah die Erleichterung in seinen Augen, ich durfte gehen.
Mir zitterten die Knie immer noch, als wir zu Hause ankamen. Was hatte der alles riskiert, um mir zu helfen.
Ich habe nie wieder danach soviel eingekauft in Ostberlin.
Tag der Veröffentlichung: 10.05.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Danke dem unbekannten Vopo