Cover

Kapitel 1



Ich stehe vor dem Spiegel. Große, grüne Augen mustern mich ganz genau. Sie wandern runter, von meiner kleine Nase über meine roten Lippen. Meine schwarzen, langen Haare, die mir bis zu meinen Hüften kommen, umschließen meinen wohlgeformten Körper.
Ohne eingebildet zu klingen – ich mag mich und mein Aussehen. Es gibt nur ein Problem.
Ich muss eine Niqab tragen. Nicht freiwillig, sondern weil meine Eltern es so möchten und auch meine zahlreichen Versuche, sie zu überreden, sind jedes Mal gescheitert.
Keiner der Leute in der Schule weiß, wie ich aussehe. Sie sehen nur meinen verschleierten Körper, wenn sie nicht damit beschäftigt sind, mich vollkommen zu ignorieren. Ja, wir leben in einem freien Land und es ist nicht verboten sich zu verschleiern, aber nach meinen zahlreichen Erfahrungen kann ich sagen : Diskriminierung gehört ebenfalls dazu. Zumindest bei mir.
Ich bin die einzigste auf meiner Schule die so etwas trägt und ja, ich falle auf.
Egal ob auf der Straße, in der Bahn oder überhaupt zwischen hundert Personen. Ich falle auf – aber nicht so wie ich es gerne hätte. In Deutschland aufgewachsen habe ich meine eigene Meinung gebildet und ich bin der Überzeugung, keine Niqab zu gebrauchen. Doch genauso bin ich im Hause meiner Eltern aufgewachsen, sie haben mir alles gegeben. Liebe, ein sorgenfreies Leben & alles was mein Herz begehrt. Und deshalb bringe ich es einfach nicht übers Herz es abzunehmen.
Obwohl es doch um mich geht. Nein, bei uns hieß es, man solle Respekt vor den Eltern haben und ihnen nicht widersprechen. Daran halte ich mich eben – so gut es geht.
Gerne würde ich durch meine religiöse Überzeugung meine Niqab anziehen – aber alles in mir spricht dagegen. Ich möchte auch gefragt werden, ob ich mit jemanden ausgehnen will, möchte auch mal zur Abwechslung Komplimente hören, denn, wer will das nicht? Wir Menschen sind doch so eingestellt. Ich höre oft Komplimente, von Familienmitgliedern, wie hübsch ich doch sei.
Aber wann sehe ich Familie? Alle zwei Wochen ein Mal? Und in der Schule, nun ja.
Wie man möglicherweise ahnen kann – habe ich keine Freunde. Es traut sich keiner in die Nähe einer Terroristin. Sogar im Unterricht werde ich nicht dran genommen. Naja, in den letzten Jahren habe ich es mit dem Strecken sowieso aufgegeben. Anfangs habe ich mich bemüht mitzumachen, wurde aber nie aufgerufen. Meine mündlichen Noten waren aber trotzdem immer sehr gut. Ich bekam mündlich immer die gleiche Note wie ich sie im schriftlichen auch hatte. Wenigstens in dem Punkt konnte ich nicht so sehr meckern. Trotzdem.
Kurzum gesagt : Es ist anstrengend und ich möchte es nicht mehr.
Aber ich bringe den Mut nicht auf, gegen den Willen meiner Eltern frei rumzulaufen.
Meine langen Haare im Wind wehen zu lassen und in schönen Kleidern Spaziergänge zu unternehmen.

Kapitel 2





Gelangweilt sitze ich im Unterricht und muss mir anhören, wie die dumme blonde Tusse aus meiner Klasse – Jennifer – die Aufgabe jetzt schon zum 10. Mal falsch macht. Warum in Gottes Namen gibt sich unser Mathelehrer so viel Mühe bei dieser frechen Göre? Genervt verdrehe ich meine Augen und beobachte ausgiebig, was meine geliebten Klassenkameraden tun.
Immerhin sitze ich hinten in der letzten Reihe, ich habe alle perfekt in Sicht.
Ganz vorne ergeht es den, ich nenne sie mal „Streber“(obwohl ich definitiv bessere Noten als sie habe – das weiß nur keiner), wie mir. Sie können wohl auch nicht nachvollziehen, wie hohl ein Mensch tatsächlich sein kann. Ein Wunder, dass unsere Jenny den Weg zur Schule findet.
Eine Reihe weiter sehe ich die kichernden Mädchen, die mit den Jungen, die ihnen gegenüber sitzen, Zettelchen schreiben. Ungestörrt flirten. Leise atme ich durch. Insgeheim wünsche ich mir das auch. Aber ich wette, die Leute in meiner Klasse würden als allerletztes von mir erwarten, dass ich solche Gedanken hege. Noch eine Reihe weiter hinten, sitzt unsere IQ Prinzessin und ihre dusseligen Anhänger. Wenn ich die mir so anschaue, fällt mir nur eins dazu ein : Barbie ist explodiert. Und in der letzten Reihe sitzen die Goldstücke der Klasse. Unsere feinen Herren. Zwei davon sind sogar voll okay, würde ich aus dem Bauch raus sagen. Ich kenne sie nicht persönlich, okay ich kenne niemanden hier wirklich persönlich, aber wenn ich sie sprechen oder im Unterricht argumentieren höre, bin ich manchmal sogar wirklich erstaunt, was für pfiffige Einwände aus deren Münder kommen. Vor allem aus dem von John. John. Mit meinem Scannerblick mustere ich ihn genau. Nicht nur, dass er wirklich was in der Birne zu haben scheint und von seinem Aussehen möchte ich nicht anfangen,er besitzt meines Wissens nach sogar Niveau. Er geht ab und zu mit Mädchen aus, was ja im Allgemeinen vollkommen in Ordnung ist, schließlich haben Jungs so ihre Bedürfnisse, jedoch erzählt er nicht wie manch anderer, wie er 'ne Olle fett geknallt hat. Im Moment fährt er sich durch seine dreckblonden Haare, wobei er seine Arme anspannt und ich genüsslich seine Muskeln im Visier habe.

Die Pausenglocke ertönt und mit der Verkündung in der nächsten Stunde eine Wiederholungsarbeit zu schreiben, verlässt der Grauhaarige Mann den Klassenraum.
Ich weiß was die Pausenglocke für mich bedeutet – Schule aus. Die anderen können sich auf zwei weitere Stunden Sport freuen, vom dem ich befreit bin. Jaja, meine Verschleierung scheint auch sein gutes mitzutragen. Obwohl ich es nicht einmal schlimm finden würde, Sport zu treiben. Ich mag Sport und trainiere in unserem Fittnesskeller. Meinem Körper sieht man an, dass er gut durchtrainiert ist – aber unter diesem großen Hauch von Stoff könnte sich ebenso gut ein dicker Klumpen bewegen. Keiner sieht es.
Langsam schlendere ich die Treppen herunter und könnte all denen, die mich so abschätzig anschauen, die Augen auskratzen. Habt ihr kein eigenes Leben oder was? Wirklich.. ein Mal starren ist ja okay, aber ich gehe hier seit 3 Jahren auf die Schule. Als ob ich ein Außerirdischer wäre.
Man, wenn die so interessiert sind, warum fragen sie nicht? Ich werde nicht gleich ihr Haus bombadieren.
Hinter dem Schulgebäude steht mein Auto und ich setze mich vorsichtig rein, ehe ich losfahre. Wenigstens kann ich zu Hause in Ruhe rumlaufen, ohne von geweiteten Augenpaaren verfolgt zu werden.

„Ma, ich bin wieder da“, rufe ich im großen Haus und mache mich auf den Weg in mein Zimmer.
Während ich mich aus meiner Niqab schäle, kommt meine Mutter ins Zimmer. „Na meine Süße, alles in Ordnung?“, frägt sie mich und gibt mir einen Kuss auf den Scheitel. „Alles bestens“, teile ich ihr mit und setze mich zu ihr. „Ich wollte noch etwas mit dir besprechen“, mit hochgezogenen Augenbrauen bin ich gespannt, was sie zu sagen hat. „Dein Vater und ich müssen für zwei Wochen nach Arabien und dein Vater wollte eigentlich das du mitkommst. Aber ich habe ihn überreden können, dich hier zu lassen, immerhin hast du Schule“. In meinem Kopf male ich mir die schönsten zwei Wochen meines Lebens aus, während meine Mutter fortfährt. „Du kannst hierbleiben, aber natürlich nicht alleine. Deine Tante kommt für die Zeit hierher“. „Welche?“, frage ich schnell. Bitte lass es Layla sein, bitte lass es Layla sein, bitte lass es Layla sein. „Dein Vater hat darauf bestanden, dass Dilara kommt, aber sie kann leider nicht und deshalb bleibt nur noch Layla übrig“. Innerlich bin ich vor Glück am explodieren. Ich liebe meine Tante Layla, was nicht zuletzt daran liegt, dass sie nur 8 Jahre älter als ich ist.

Mittlerweile ist es Abend und ich stehe vor der Haustüre. Mein Vater und meine Mutter kontrollieren noch ein Mal alles. „Und Soraya. Meine Liebe, ich vertraue dir. Egal, was dir deine Tante einreden will, du weißt was du zu tun hast“, meint mein Vater ernst. Oh ja, ich weiß ganz genau auf was er hinaus will. „Natürlich. Ich weiß, wie ich mich zu benehmen habe“, versuche ich ihn zu beruhigen. Mit einer letzten Umarmung verabschiede ich mich und lasse mich mit einem Grinsen auf die Couch fallen.
Eine halbe Stunde später kommt meine Tante Layla und sie scheint genauso gut gelaunt zu sein wie ich. Insgeheim bewundere ich diese Frau. Sie hat geheiratet, läuft draußen aber ohne Verschleierung rum. Ich kann mich noch an die ganzen Streitereien zwischen ihr und meinem Vater erinnern, aber sie hat sich durchgesetzt und läuft heute ganz frei herum. Ob ich das auch mal schaffe?
„So, auf uns warten zwei wundervolle Wochen“, sagt meine Lieblingstante und lächelt breit.
„Muss ich mir irgendwie Sorgen machen, dass du was böses vorhast?“, frage ich mit gerunzelter Stirn. „Böses? Schätzchen. Ich freue mich nur, Zeit mit dir verbringen zu können, erzähl mal, wie läufts in der Schule?“. Ich verdrehe meine Augen. „Wenn du wüsstest. Manchmal frage ich mich, ob die wissen, dass ich auch ein Mensch bin. In der letzten Zeit zweifle ich daran“. „Nimm es ab, wenn du es nicht tragen willst“,meint sie. „Damit mich mein Vater auseinander nimmt und meine zerstückelte Leiche in einen Gulli wirft? Lieber nicht“. Das Lachen meiner Tante füllt den Raum.„Als ob. Du bist seine einzige Tochter, sein ein und alles.. Außerdem..“, sie zieht eine Schnute und fährt mir über meine Haare, „soll ruhig jeder Arsch in deiner Schule sehen können, was für ein hübsches Mädchen du bist, die würden Augen machen“. Ach ja, diese Szenarien bin ich auch schon tausende Male in meinem Kopf durchgegangen. „Ich würde gerne“, flüstere ich und hoffe im nächsten Moment, dass mein Gegenüber nichts gehört hat. „Endlich sagst du das mal. Im Ernst, dein Vater hat dir eine Gehirnwäsche unterzogen. Ich liebe meinen Bruder zwar, aber mir gefällt nicht,wie er dich erzieht. Am Anfang hast du dich doch auch dagegen gestellt, warum bist du jetzt so ruhig? Wenn du so tust, als ob es dir nichts ausmacht, klar das du das Teil niemals los wirst“.
Nachdenklich schaue ich meine Tante an. „Man, ich bins Leid“, meine ich genervt und verschrenke die Arme. Moment, was hatte ich meinem Vater vor einer Stunde noch versprochen? „Sag mal, wie siehts mit Jungs aus?“, fragt meine Tante sichtlich interessiert und wackelt dabei mit den Augenbrauen. „Was soll sein?“ „Ach komm, sag mir nicht, es gibt keinen Jungen auf den du stehst?“ Ich kneife meine Augen zusammen und versuche gedanklich herauszufinden, was sie vorhat. Nachdem ich zu keinem richtigen Ergebnis komme, zucke ich mit den Schultern. „Ja, da gibt’s schon einen“, versuche ich es so beiläufig wie möglich klingen zu lassen. „Wer?“, schockiert stellt sich meine Tante dicht vor mich und mit einem Male fühle ich mich ziemlich eingeengt zwischen ihr und der Couch. „Kennst du doch eh nicht“. „Trotzdem!!!Erzähl mir von ihm“.
Neugierig lässt sie mich nicht aus den Augen. „Oh man.Okay, also. Ich hab' nen Klassenkameraden und der sieht nicht nur aus wie ein Gott, er ist auch noch intelligent und besitzt Niveau“.
Meine Tante pfeift amüsiert und ein lächeln schleicht sich über ihr Gesicht. „Hat er eine Freundin?“
„Weiß doch ich nicht. Ich hab noch nie ein Wort mit ihm gewechselt. Ne, besser gesagt, er mit mir“.
„Du bist aber nicht irgendwie schüchtern oder so in der Schule, oder etwa doch?“
„Ne, mein loses Mundwerk ist überall gleich, okay bis auf vor meinem Vater. Aber keiner scheint an mir interessiert zu sein oder sie denken, sie werden umgebracht sobald sie ein Wort mit mir wechseln, deshalb spreche ich genauso niemanden an“. „Glaubst du, dass dieser Typ nicht mit dir redet, liegt nur an der Niqab?“ „Ich weiß nicht, aber .. wenn er mich ein Mal ohne sehen würde und mich trotzdem ignorieren würde, wüsste ich wenigstens, dass ich so oder so keine Chance hätte und es nicht an der Tatsache liegt, dass er nicht mal weiß, wer unter dem Sack voll Stoff sitzt“.
„Dann zeig dich ihm ein Mal ohne“, meinte meine Tante und ich kann mir schon vorstellen, dass in ihrem Kopf volles Kino läuft. „Ne, lass mal, ich geh schlafen. Muss Morgen schließlich noch in die Schule“. Nachdem ich aufgestanden bin und meiner Tante den Rücken gekehrt habe, verpasst sie mir einen Klapser auf den Popo. „Glaub mir, nachdem der Typ deinen Prachtarsch gesehen hat, wird er dich nie wieder ignorieren“. „Such dir mal nen Psychologen“, meine ich lächelnd und verziehe mich nach oben.



Kapitel 3



Müde stehe ich auf und mache mich fertig für die Schule. Eigentlich bräuchte ich meine Haare und den Rest nicht machen – es sieht doch sowieso keiner. Aber trotzdem bringe ich es nicht übers Herz, „schlampig“ in die Schule zu laufen. Wie jeden Morgen spiele ich mit dem Gedanken, die anderen zu überraschen und locker, ohne irgendwelche Tücher in die Schule zu spazieren. Und wie jeden Morgen lege ich den Gedanken bei Seite.
Langsam laufe ich die Treppen runter und sehe meine Tante am Esstisch. Mit einem erstaunten Blick setze ich mich neben sie. „Sag mal, seit wann bist du denn so eine fleißige Biene. Ich wusste gar nicht, dass du so toll Tisch decken kannst“. „Ich hab' so einige versteckte Talente“, meint sie ausgelassen und widmet sich wieder ihrem Kaffee. „Uuuuund?“, fragt sie mich. „Was und?“
„Wie gehst du heute in die Schule?“, will sie neugierig wissen. „Ich weiß worauf du hinaus willst, aber ich gehe wie immer in die Schule“. „Soraaaya“, verständnislos schüttelt meine Tante ihren Kopf. „Da hast du einmal die Gelegenheit dazu und nützt es nicht aus“. Kurz seufze ich und bedecke mein Brot mit Käse, ohne auf ihren Kommentar einzugehen. „Ich werde nicht darüber diskutieren“, meine ich bestimmt und gehe wieder hoch in mein Zimmer, um meine Niqab anzuziehen.
Vor der Schule parke ich mein Auto und laufe erhobenen Hauptes ins Gebäude.
Ich kann es mir nicht verkneifen, meine Augen zu verdrehen, als ich die dümmlichen Blicke meiner Mitschüler sehe – so wie jeden Morgen. Würde ich in einem islamisch geprägten Land leben, müsste ich mich um all das hier nicht aufregen. Was hat meinen Vater nur dazu getrieben, hier her zu kommen? An Arabien war doch nichts auszusetzen, okay vielleicht ein wenig zu heiß, aber daran gewöhnt man sich doch. In Gedanken versunken bemerke ich erst nicht, dass jemand auf mich geschubst wird und binnen zwei Sekunden macht mein Hintern Bekanntschaft mit dem Boden.
Wer der mutige war und mich wohl angerempelt hat,frage ich mich und blicke dabei in das Gesicht von John. Ich ziehe meine Augenbrauen hoch und warte darauf, dass er von mir aufsteht.
Wenn mein Vater das jetzt sehen würde.
Letztendlich steht er doch auf und zieht mich gleich mit hoch. Wow, er hat mich angefasst. Ich scheine doch nicht ansteckend zu sein. „Tut mir Leid“, meint er nachdem er mich mit seinen braunen Augen ganz intensiv fixiert hat. „Passiert, ist schon in Ordnung“, sage ich und kann die Verwunderung in seinen Augen aufblitzen sehen. Oh ja, ich spreche die gleiche Sprache wie du.
Verwirrt dreht er sich um und läuft in das Klassenzimmer, gefolgt von seinen Freunden, die, ebenso wie weitere Schüler der Schule, das Szenario mitbekommen haben.
Was ist bei denen schief gelaufen? Genervt trete auch ich meinen Weg weiter und setze mich wie üblich in meine geliebte Ecke, ganz weit abgeschweift von den liebenswürdigen Menschen meiner großartigen Klasse.

Und wie jeden Morgen, schaue ich mit sehnsüchtigen Blicken, was die Mädchen tragen und wünsche mir, es auch tragen zu können. Ronja zum Beispiel, hat so einen schönen Kleidungsstil. Ich habe viele Sachen die sie besitzt, ebenfalls in meinem Schrank. Nur bin ich meist die einzige, die das zu Sehen bekommt.

Der Unterricht zieht sich, so wie immer, in unendliche Länge und jedes Mal muss ich mir imaginär auf die Stirn klatschen, wenn ich die dummen Antworten der IQ Prinzessin zu hören bekomme.
Aber irgendwann hat alles glücklicherweise ein Ende – so auch der Unterricht und das Wochenende kann starten. Schnell packe ich meine Sachen zusammen und flitze die Treppen runter, einfach weg von dieser nervtötenden Schule.

Zu Hause angekommen wartet meine Tante schon im Zimmer auf mich und beobachtet mich kritisch, wie ich mich aus meiner Niqab schäle. „Wird dir das nicht zu lästig?“, fragt sie mich.
„Man Tante Layla. Du wirst mich in keinster Weise beeinflussen“. „Das will ich auch gar nicht. Ich würde es in Ordnung finden, wenn du es anziehst, weil du es möchtest und nicht wegen deinem Vater“. Nachdenklich schaue ich auf dem Boden, trotzdem finde ich keine Worte um mich zu wehren. Schließlich hat sie Recht, mit dem was sie sagt.
„Lass uns nur für eine Stunde raus gehen. Und du ziehst dich an, wie jeder normale Jugendliche auch,okay? Und wenn es dir nach einer Stunde nicht gefällt, kommen wir wieder nach Hause. Du hast das Gefühl der Freiheit vergessen!“ „Aber, wenn mich einer von unseren Leuten sieht? Die petzen meinem Vater doch alles“, meine ich und möchte gar nicht an das ganze Theater denken, dass stattfinden würde. „No Risk, No Fun“, meint meine Tante lediglich und grinst mich herausfordernd an. „Eine Stunde“, wiederhole ich ihre Worte. „Nur eine einzige und wenn es dir gefällt, dann eine weitere“. „Warum nicht?“, überlege ich nachdenkend. Verdammt, da hab ich mich von meiner Tante weichkochen lassen.. Aber es klingt einfach zu verlockend. „Gut. Lass uns nach dem Essen gehen“.

Zwei Stunden später sitze ich zum ersten Mal nach sechs Jahren ohne Verschleierung oder etwas der Art im Auto. Irgendwie komme ich mir nackt vor. Dabei habe ich eine lange, graue Röhrenjeans an und ein stinknormales schwarzes T-Shirt. Es hat weder Ausschnitt noch ist es besonders körperbetonend. Aber ich will alles langsam angehen. Meine langen Haare habe ich zu einem hohen Zopf zusammengebunden, trotzdem reichen sie mir bis zu meinem Rücken. Geschminkt bin ich auch nicht. „Du hättest dich auch schicker anziehen können“, höre ich meine Tante neben mir sagen. „Nein. Das reicht für's erste“, antworte ich ihr und blicke aus dem Fenster. Für jeden anderen wäre das eine ganz normale Autofahrt. Für die Mädchen vielleicht sogar eine unangenehme, weil sie nicht herausgeputzt sind. Aber für mich ist es so etwas besonderes, dass ich mein laut hämmerndes Herz nicht unter Kontrolle kriege. Glücklicherweise scheint meine Tante davon nichts mitzubekommen. „Wohin fahren wir?“, frage ich und schaue sie skeptisch an. „Zum Eis essen“. Na dann.
Bevor ich aus dem Auto steige, versichere ich mir, nichts falsches zu tun.
Ohne nach links oder rechts zu schauen, laufe ich hinter meiner Tante her. Wo war auf einmal mein ganzer Mut hin? Dutzende Male hatte ich mir ausgemalt, die Leute zu beobachten, wenn sie mich und nicht meinen schwarzen Kartoffelsack sehen. Aber im Moment ist das einzige was ich sehe, die braunen Haare meiner Tante. Irgendwie komm ich mir hilflos vor.

Als wir dann im Café sitzen, verschwindet meine Tante auf der Toilette. >Okay, Soraya. Atme tief aus und dann verhalte dich wie ein normales Mädchen, dass ihre Umgebung betrachtet. Stell dich nicht so an

Kapitel 4



Eine Weile später haben wir uns entschieden, uns in den Park zu setzen. Ich weiß, wir haben so viele Möglichkeiten, aber ich will einfach nur meine Freiheit genießen, auch wenn es nur im Stadtpark ist. „Lass uns hier bleiben. Die Sonne strahlt perfekt auf den Platz“, hörte ich die Stimme meiner Tante sagen. „Klar, wenn du willst“, meine ich gleichgültig und lies mich neben sie auf das Gras plumsen. Genüsslich strecke ich mein Gesicht Richtung Sonne. Man, ich hätte nie gedacht, dass mich das so glücklich stimmen würde. „Und, ist doch besser als mit einem tücherbedekten Gesicht, nicht wahr?“, meint sie und ich weiß, was sie hören will. Aber ich werde es nicht laut aussprechen. „Ist okay“, versuche ich so unbeeindruckt wie möglich zu klingen.
Die Augen meiner Tante verengen sich plötzlich und sie scannt mich durchgehend.
„Tu nicht so als ob es dir nicht gefällt. Ich weiß, dass es das tut. Und jetzt, sei eine liebe Nichte und hol hinten vom Wagen meine Sonnenbrille, du weißt ja wie empfindlich meine Augen sind“. Ihr Blick verändert sich schlagartig und sie grinst mich breit an. Ohne Widerrede stehe ich auf und schlendere Richtung Auto. „Im Sonnenlicht sieht dein Arsch sogar noch besser aus“, ruft sie mir hinterher und ich drehe mich um, um ihr meine Zunge rauszustrecken. „Sei nicht neidisch“, scherze ich und ernte dafür ein ehrliches Lächeln meiner Tante.
Summend spaziere ich zum Auto und sauge alle Eindrücke in mich auf.
Für einen kurzen Moment habe ich die Augen geschlossen und atme tief ein – und in dem Moment schlägt etwas hartes auf mein Kopf. Ich knirsche meine Zähne zusammen und kneife reflexartig meine Augen zusammen.
Aua, was war denn das.
Ich fasse mir an den Kopf und öffne vorsichtig meine Augen. Erst einige Sekunden später registriere ich die schwarzen Nike Schuhe die vor meinen stehen. Langsam schaue ich hoch, wem diese Schuhe gehören und mir stockt der Atem. John? „Alles in Ordnung?“, fragt er besorgt. „Alles bestens“, gebe ich ironisch von mir. „Tut mir Leid, ich hab dich nicht gesehen“, entschuldigt er sich. Ich drücke gegen meine Schläfe und schaue in sein viel zu hübsches Gesicht. Die braunen Augen fixieren mich – ein Déjà-vu. Hatten wir sowas ähnliches nicht auch heute Morgen? Aber er weiß nicht, dass ich es bin. „Passiert“, meine ich und stelle mich wieder ganz aufrecht. „Em, vielleicht solltest du dich lieber hinsetzen, nicht, dass es nachher doch was ernstes ist“, versucht er mich zu überreden. „Nein, danke. Ist schon in Ordnung. Ich muss weiter“. Man, immer hab ich davon geträumt in seiner Nähe zu sein, aber diese verschreckt mich im Moment. Er macht mich nervös, ich hoffe nur, dass er das nicht bemerkt.
„Keine Diskussion“, sagt er bestimmt und nimmt mich an der Hand, nur um mich im nächsten Augenblick auf eine freie Bank abzusetzen. „Du kannst ruhig weiter Fußball spielen. Nur, pass auf, dass du nicht hilflose Mädchen triffst, sondern eher das Tor“. Ein leises lachen seinerseits lässt mein Herz höher schlagen. „Wieso Fußball spielen, wenn ein so schönes Mädchen neben mir sitzt?“, höre ich ihn sagen und augenblicklich drehe ich mich in seine Richtung. „Im Ernst? Das ist deine Masche?“, frage ich genervt und ziehe eine Augenbraue hoch. Hatte ich ihn doch falsch eingeschätzt? „Wieso Masche? Ich treff normalerweise keine Mädchen am Kopf und verschleppe sie dann auf eine Bank um sie anzumachen“. Er verkreuzt die Arme und wartet gespannt auf meine Antwort. „Du gibst zu, dass das eine Anmache war?“, frage ich amüsiert und kann mir ein lächeln nicht verkneifen. Hallo, reiß dich zusammen. Er soll nicht denken, dass du ihn toll findest.
„Nein.. Aber ich wollte dich vorhin im Cafe schon ansprechen. Doch ich konnte nicht und deshalb ist es mir ganz Recht, dass der Ball dich getroffen hat. Absicht war es aber echt nicht“.
Ungläubig schaue ich in diese viel zu schönen Augen. Ich bin ihm aufgefallen? „Aha. Du konntest also nicht?“, versuche ich unbeeindruckt zu klingen, obwohl mein Herz vor Freude fast aus seinem Platz hüpft. „Du lässt nicht locker, oder?“, fragt er hoffnungslos. „Du musst wissen, was du mir erzählst.Ich zwinge dich ja nicht dazu“. „Schon gut. Ich erzähl dir alles, abeeer..“ „Aber was?“, will ich wissen und schaue ihn skeptisch an. „Dafür gehst du Morgen mit mir aus“, meint er bestimmt.
Ich.bin.sprachlos. Wie oft hatte ich mir ausgemalt, dass er mich das mal fragen würde. „Wie bitte?“, frage ich irritiert und es klang schroffer als es sein sollte. Egal, besser schroff als das ich wie ein kleines pupertierendes Mädchen rumquike, weil mein größter Wunsch in Erfüllung gegangen ist.
„So schlimm bin ich auch nicht. Es ist nur eins. Wenn es dir nicht gefällt, kannst du sofort wieder nach Hause“. Okay, wenn ich jetzt nein sage,dann kann ich gleich von der Klippe springen. „Gut. Aber.. nicht hier in München, okay?“ Irritiert blickt er mich an. „Wieso? Hast du einen Freund oder bist du geheim unterwegs?“ Bingo, ich war geheim unterwegs. „Nein, aber es gibt Leute hier, denen ich nicht begegnen möchte“, versuche ich so wenig wie möglich zu erklären. Gott sei dank fragt er nicht weiter. „Einverstanden. Du kannst es mir Morgen erzählen, dafür das du mit mir ausgehen darfst“. Lachend schlage ich ihm leicht auf den muskulösen Arm. Tausend Blitze durchfahren meinen Körper. So wie heute Morgen. „Das ich mit dir ausgehen darf?“ Das letzte Wort betone ich besonders und John schenkt mir ein schmunzeln. „Ganz genau. Also, wollen wir abends essen gehen?“, fragt er mich weiter. „Nein“, meine ich entschlossen. „Ich. Also.. lass uns Morgen einfach Spaß haben. Bring mich irgendwo hin. Ich bin sozusagen für ein paar Tage frei und möchte es endlich wieder genießen können“. Nachdenklich schaut er mich an. „Okay.. ich verstehe. Dann gib mir deine Adresse und ich hole dich ab“. Stirnrunzelnd schaue ich ihn an. „Nein.. das geht nicht.
Treffen wir uns Morgen einfach hier?“ Oh nein, der Typ scheint noch irritierter von mir. „Normalerweise wollen die Mädchen in einem schicken Auto vor ihrer Haustüre abgeholt werden und du willst weder schick essen noch willst du abgeholt werden? So ganz romantisch?“
Ja.. das klingt in der Tat etwas komisch. Aber ich kann mir keinen Fehler erlauben, wenn mich jemand erwischt.. „Ehh..ja“, gebe ich wenig geistreich von mir. John legt seinen Kopf schief und sieht mich noch ein Mal ganz genau an. „Wie du möchtest. Also.. 14 Uhr?“ Nickend gebe ich mein Einverständnis. „Bis Morgen. Ich werde da sein“, meint er und läuft mit seinem Fußball zurück, dahin von wo er vorhin wohl gekommen war. Ich brauche ein paar Sekunden um zu registrieren, was gerade passiert ist. John hat mich nach einem Date gebeten. Mich. Oh Gott, ich danke dir!
Ich zapple vor mich hin und weiß gar nicht was ich machen soll. Schnell zu Layla, die weiß schon was ist. Aber davor noch ihre Brille holen!

Keine 5 Minuten später renne ich auf sie zu und setze mich schnell neben sie. „Oh mein Gott. John war grad da und er hat mich nach einem Date gefragt“, erzähle ich ihr hysterisch. Nein.. so wollte ich mich doch gar nicht geben, aber ich kann das Glücksgefühl in mir nicht unterdrücken.
„Wie?“, fragt sie verwirrt. Ohne Punkt und Komma erzähle ich ihr von dem Geschehen von vorhin und mit jedem Satz weiten sich ihre Augen mehr. „Oh Süße du hast es drauf“, meint sie stolz und ein riesiges Grinsen schleicht sich auf ihr Gesicht. „Das muss gefeiert werden!“, sagt sie mit strahlenden Augen. „Nein. Warte. Was ist wenn es Morgen schlecht läuft und er gar nichts mit mir zu tun haben will?“. Plötzlich mache ich mir Sorgen und male mir die schlimmsten Sachen aus. „Hallo? Erde an Soraya? Er hat dich angesprochen und meinte, dass du ihm aufgefallen bist. Es läuft doch super. Mach dich nicht verrückt, sondern warts ab. Und wenns nicht läuft liegts an ihm und nicht an dir“. Zwinkernd versucht meine Tante mich aufzubauen. „Mal schauen“, meine ich weniger enthusiastisch. „Es wird – ich weiß es“.

Kapitel 5




Verzweifelt stand ich vor meinem Kleiderschrank und weiß einfach nicht, was ich anziehen soll.
In mir schwirren unzählig viele Gedanken und ich bin nervös, wie ich es noch nie zuvor war.
Er hatte nicht mal nach meinem Namen gefragt, ob er wusste, dass ich es bin? Aber woher?
Das einzige was er an mir je gesehen hatte, waren meine Augen. Ob sie ihm aufgefallen waren?
Oder meine Stimme? Und was sage ich, wenn er mich dann doch nach meinem Namen fragt?
Außerdem muss ich aufpassen, was ich von mir gebe.. Er weiß ja nicht, dass ich ihn bereits seit Jahren kenne. „An was denkst du?“, fragt meine Tante und mit einem verlorenen Blick schaue ich sie an. „Ich sollte lieber nicht hingehen“, sage ich wie ein kleiner Angsthase. „Und warum nicht?“, will sie genervt wissen. „Ist das kein Spiel was ich spiele? Ich kenne ihn und er mich nicht. Was sage ich, wenn er nach meinem Namen fragt? Oder warum hat er überhaupt nicht gefragt?“. Aufgeregt laufe ich hin und her. „Jetzt bleib mal ruhig. Du spielst mit offenen Karten,okay? Du sagst deinen Namen und bei Gelegenheit erzählst du ihm, dass du in seine Klasse gehst. Irgendwann wird er dich sowieso ohne Niqab in der Schule sehen und spätestens dann kommt alles raus“.
Ja, das klingt alles ziemlich schlau. Trotzdem. „Und was soll ich anziehen?“ „Lass mich mal an deinen Schrank“, meint sie und drückt mich sanft zur Seite, um im nächsten Moment meinen Kleiderschrank zu inspizieren. „Du hast aber knappe Sachen darin. Wenn dein lieber Daddy das sieht“, sagt Layla beiläufig und schmeißt ein Oberteil nach dem anderen gnadenlos auf den Boden.
Oh man, toll. Das kann ich nachher alles aufräumen.
„Na, das sieht doch schön aus“, höre ich sie sagen und sehe, wie sie ein weißes Sommerkleid herausfischt. „Ist das nicht etwas knapp?“, frage ich verunsichert. „Nein,das geht dir mindestens bis über die Knie. Komm, zieh das an“, fordert sie mich auf und ich nehme das Kleid entgegen.
Rasch schlüpfe ich aus meiner Jogginghose und meinem Schlabberpulli. Mir macht es nicht aus, mich neben ihr umzuziehen. Sie hat mir schließlich schon als Baby den Arsch gewischt, es gibt nichts, was sie nicht schon gesehen hätte. „Nette Unterwäsche“, kommt es von ihr und daraufhin erntet sie einen vernichtenden Blick meinerseits. „Im ernst. Ich wusste nicht, dass du so große Brüste hast. Warum versteckst du alles? Die Leute lassen sich unters Messer legen um nachher so auszusehen wie du“. Ohne ihr zu antworten ziehe ich das Kleid über und stelle mich vor den Spiegel. „Meine Beine sind so nackt“, antworte ich nachdenklich. „Schätzchen, das ist was ganz normales. Oder willst du mit Kopftuch und langem Rock auftauchen?“. Der Sarkasmus spritzt nur so aus ihrem Mund. „Und meine Haare?“ „Ich weiß schon was“, sagt meine Tante und zieht mir mein Haargummi raus, so dass mir meine langen Haare über die Schultern fallen. „Perfekt“. Freudig klatscht sich Layla in die Hände und betrachtet mich ganz genau. „Dein Styling hat 5 Minuten gedauert. Ich würde dafür morden“. „Fährst du mich zum Park?“, bitte ich sie und ziehe meine Mundwinkel absichtlich tief nach unten. „Natürlich, Prinzessin. Wie du wünscht“.


Mittlerweile stehe ich vor der Bank und das pünkltich. Ich habe keine Ahnung, ob man pünktlich zu Dates kommt oder ob es 'cool' ist, zu spät zu kommen. Ich weiß es nicht.
„Na du“, höre ich jemanden hinter mir sagen und drehe mich um. „Hey“, grüße ich ihn. John sieht gut aus. Zu gut. Seine Drecksblonden Haare sind verwuschelt und er trägt ein ganz normales schwarzes T-Shirt, welches ihm unverschämt gut steht, da ich nur erahnen kann, was sich darunter befindet. Harte, perfekt definierte Muskeln. Er sieht mich ebenfalls an und in der Zeit überlege ich mir, ob ich mit offenen Karten spiele oder nicht. Aber, wenn mein Vater zurück kommt, werde ich sowieso wieder verschleiert rumlaufen, also.. warum alles schwer machen?
Jetzt in diesem Moment, bin ich jemand anderes.
„Wie heißt du überhaupt“, frage ich unschuldig und sehe die Verwunderung in seinen Augen.
Dachte er, ich wüsste das? „Ich bin John“, meint er und reicht mir die Hand. Lächelnd nehme ich sie an. „ Sora. Nett dich kennenzulernen John. Also? Wohin bringst du mich heute?“
„Abwarten“, meint er lediglich und zwinkert mir zu. „Da du mich ja gebeten hast, aus der Stadt rauszufahren, müssen wir jetzt zu meinem Motorrad“. „Motorrad?“, frage ich grinsend und mache große Augen. Klingt perfekt. „Ja, es steht da vorne, komm“, sagt er und gemeinsam laufen wir vor.
„Bist du neu hier? Ich hab dich noch nie davor gesehen“. „Nein, ich wohne schon seit ein paar Jahren“, sage ich ehrlich und versuche auffällig die Lage zu checken. Bis jetzt keine Verwandten weit und breit. „Komisch. Warum wir uns erst jetzt begegnet sind?“ Nein, nein John. Wir sind uns schon vor 3 Jahren begegnet, aber egal. Das musst du nicht wissen. „So spielt das Schicksal“, sage ich lediglich und kurz danach stehen wir vor seinem Motorrad. „John, da gibt es aber ein Problem“
„Und das wäre?“, fragt er neugierig. „Ich hab ein Kleid an“. „Ja, das sehe ich“ Nachdenklich kratzt er sich am Hinterkopf. „Ich bin nicht scharf drauf, allen Leuten meine Unterwäsche zu präsentieren“. „Ach was. Wenn du dich richtig hinsetzt, dann dürfte keiner etwas sehen. Zum Missleid von allen.“ War das ein Kompliment? Okay. Ich reagiere am besten gar nicht darauf.
„Dann lass uns los“, versuche ich ein anderes Thema anzufangen. John holt die Helme aus dem kleinen Koffer und befestigt ihn mir ohne mich zu fragen. Er ist mir so nah, dass ich seinen einzigartigen Duft rieche und mich beherrschen muss, nicht an seine Muskeln zu fassen, die deutlich hervorstechen, während er an dem Helm herumspielt.
„Und jetzt, lass uns los“, holt er mich wieder in das hier und jetzt zurück und verdattert nicke ich nur. So geschickt wie möglich setze ich mich hinter ihn aufs Motorrad und drücke mit einer Hand mein Kleid auf den Sitz, damit er ja nicht hochflattert während der Fahrt. „Halt dich gut fest“, höre ich John sagen, bevor er den Motor anschaltet und wir losfahren.

Die meiste Zeit fahren wir über Felder und außer uns ist niemand in Reichweite. Mit einer Hand halte mich mich an John fest und mit der anderen bin ich noch immer mit meinem Kleid beschäftigt. Wenn Papa nur wüsste..
Meine Haare wehen trotz des Helmes umher und ich genieße das Gefühl der Freiheit. Außerdem kribbelt mein Körper bei dem Gedanken, dass ich endlich nach der ganzen Zeit mit John auf einem Motorrad sitze und er mich irgendwo hin fährt.

Nach einer guten halben Stunde sind wir da. Ich versuche vor John aus meinem Sitz zu entkommen, da ich mir sicher bin, sobald er mir zuschaut, wird er noch mein Unterhöschen sehen. Immerhin bin ich ungeübt mit Kleidern, auch wenn sie mir bis über die Knie kommen.
„Wie hat dir die Fahrt gefallen?“, fragt er mich und sieht mich neugierig an. „Wirklich gut. Es hat etwas befreiendes“, antworte ich ehrlich und kann mir ein glückliches lächeln nicht verkneifen.
„Finde ich auch. Deshalb fahre ich so oft wie möglich damit“. „Glaub ich dir. Hm, vielleicht sollte ich mir auch eins zulegen“. Ironie, Mädchen mit Niqab fährt auf einem Motorrad.
„Du und Motorrad? Ich glaube nicht, dass das passen würde?“ „Warum denn nicht?“, ich verschränke meine Arme und rekle gespielt meinen Kinn in die Höhe. „Das Outfit und ein Motorrad?“ meint er und zwinkert mir zu. „Tja, dann zieh ich eben dann Bikerstiefel, Lederjacke und schwarze Röhre dabei an, dann passt es ja, oder nicht?“ „Das will ich sehen“, meint er lediglich und nimmt mich beiläufig bei der Hand und läuft weiter. „Wirst du!“, sage ich überzeugt.
In mir toben die Schmetterlinge wie verrückt. Ich halte Johns Hand! Jetzt kann ich beruhigt sterben.
Trotzdem versuche ich es mir nicht anmerken zu lassen, sonst würde das in einer Blamage enden.
„Erzähl mir von dir“, bittet er mich kurz danach. Oh verdammt. Jetzt musste ich mir alles gut zusammen reimen, dabei hasse ich doch Lügner. Soll ich jetzt doch sagen, dass ich die eine aus seiner Klasse bin? „Em, was willst du denn wissen?“, frage ich ihn um mehr Zeit zu gewinnen.
„Alles. Auch die dreckigen Geheimnisse“, scherzt er. Ha, ha,ha. „Also ich bin ein Einzelkind und komme ursprünglich aus Arabien und ich weiß, man sieht es mir nicht an, weil ich so helle Haut habe“. Verwundert schaut er mich an. „Araberin? Wie kommt es dann, das du einfach so mit mir herumspazieren kannst?“ „Kann ich normalerweise nicht, aber meine Eltern sind zurzeit nicht da und deshalb nutze ich das aus“. Das war nicht ein Mal gelogen! „Also keine älteren Brüder die mich zusammenschlagen?“, ich kann die Ironie in seiner Stimmung heraushören. „Doch, sie warten schon auf dich“, John lacht und sein Händedruck wird stärker, dennoch ist er angenehm.
Okay, Soraya, denk logisch. Das hier ist echt nicht normal. John denkt, du kennst ihn nicht.
Aber welches Mädchen würde mit einem wildfremden Jungen einsteigen und dann Händchenhaltend spazieren gehen? Oder machen das Mädchen so? Mein Blick gleitet um unsere Umgebung und ich kann ganz weit vorne einen Fluss sehen. „Wieso hast du mich gerade hierher gebracht?“ „Es ist friedlich hier und der Ort ist nicht allzu bekannt. Wir haben unsere Ruhe“. „Bringst du oft Mädchen hierher?“ und im nächsten Moment will ich mir die Zunge abschneiden. Die Frage scheint viel zu unangebracht..
„Was glaubst du?“, will er wissen und ich zucke mit den Schultern. „Ich kenne dich nicht und kann das nicht einschätzen“ „Nein, ich habe bis jetzt noch niemanden hier her gebracht. Aber, willst du im ernst über meine Verflossenen reden?“ „Ja, das würde mich interessieren“, sage ich und wackle mit den Augenbrauen. „Gut, dann will ich auch über deine Verflossenen Bescheid wissen“.
„Abgemacht, Fang an“. „Nicht jetzt. Ich erzähle es dir später, sonst rennst du mir jetzt weg“.
„So schlimm?“, frage ich interessiert und kann mir gar nicht vorstellen, dass John keine tollen Mädchen getroffen hat. Es wundert mich wirklich, dass er Single ist. Wie kann er nur?
Egal, das ist nur zu meinen Gunsten, jetzt im Moment zumindest.
Wir sind mittlerweile vor dem großen Fluss angekommen und setzen uns ins Gras.
Ich atme tief ein und aus und genieße das herrliche Gefühl der Sonne auf meinem Gesicht.
Am liebsten würde ich nie wieder diese blöde Niqab anziehen. Nachdenklich schaue ich aufs Wasser das mich zunehmend beruhigt. „An was denkst du?“, werde ich von der Seite gefragt.
„ Es ist schön hier“, meine Stimme ist nicht mehr als ein flüstern und ihn anschauen kann ich auch nicht. Ich komme mir echt schäbig vor. Ich dreckige,kleine Lügnerin. „Wenn mir alles zu viel wird, komme ich hier her“. Jetzt sehe ich ihn an, aber sein Gesicht ist dem Himmel gewandt.
„Warum erzählst du mir das?“. Er lächelt mich an. „Warum nicht?“ „Du bist offen zu mir und erzählst mir das alles. Wir kennen uns nicht einmal“. „Deshalb sind wir ja hier, um das zu ändern“
Nickend gebe ich ihm Recht. Ich versuche die Tatsache zu verdrängen, dass ich ihn sehrwohl kenne und das hier alles nicht verdient habe. Ob es zu spät wäre, jetzt reinen Tisch zu machen?
„Gut. Dann erzähl mir was von dir“, fordere ich ihn auf. „Was willst du wissen?“ „Hast du Geschwister?“ „Ich habe noch zwei ältere Brüder, der eine ist verheiratet und der andere studiert gerade im Ausland“. „Gut und wie alt bist du?“, frage ich weiter. „19 und du?“ „18“.
John schaut mich an und wendet den Blick nicht von mir. „Ist was?“ „Ich hab das Gefühl ich kenne dich von irgendwo“. Scheiße. „Vielleicht sind wir uns ja mal irgendwo begegnet“, versuche ich so normal wie möglich zu sagen. Er schüttelt den Kopf. „Nein, ich hätte dich sonst längst angesprochen“, versichert er mir. „Nein, im Café hast du schließlich auch nicht“, widerspreche ich ihm. John lacht nur und fährt sich leicht durchs Haar, was unheimlich sexy an ihm aussieht.
Ich glaube, ich schmelze gleich. „Letztendlich habe ich ja doch und das sogar am gleichen Tag“.

Eine Weile reden wir so weiter und mit jedem Satz den ich von mir gebe, muss ich aufpassen, nicht zu viel zu erzählen. Ich versuche, so ehrlich wie möglich zu sein, aber wenn er mich Sachen wie auf welche Schule ich gehe erzähle, muss ich mir leider Lügen aus den Ärmeln schütteln.
„Hast du Hunger?“ fragt John mich schließlich. „Zu Essen sage ich nicht nein“, meine ich. „Ach nein? Sieht man dir nicht an“. Diese Wörter kommen so natürlich aus seinem Mund, nicht aufdringlich und nicht schleimerisch. Einfach ehrlich gemeint. „Auf was hast du Lust?“, höre ich ihn wieder sagen. „Bestellen wir eine Pizza hierher“, schlage ich vor. „Ich hab ein Motorrad, damit können wir überall hin“, informiert er mich besserwisserisch. „Ach was du nicht sagst. So gerne ich auch damit fahren würde, verzichte ich darauf“. „Ich verstehe schon. Wir können auch einfach hinlaufen“. „Em .. meinetwegen“.
Langsam stehen wir auf und machen uns auf den Weg. „Wie lange brauchen wir dorthin?“ „Es wird ca. 20 Minuten dauern, aber das Wetter scheint mitzuspielen“. Irgendwie ist nichts verkrampft, sondern alles locker zwischen uns und wir zwei verstehen uns, als würden wir uns seit Jahren kennen. Na gut, tun wir indirekt ja auch.
Wir laufen den schmalen Weg lang und allmählich ist die Zivilisation in Sicht.
„Wenn du in Arabien bist, läufst du da auch verschleiert herum?“, fragt mich John einige Zeit der Stille. Oh ja, nicht nur in Arabien. „Man muss sich dort anpassen“, antworte ich. „Wenn die Leute sich hier, dort anpassen, sollten die Leute dort sich nicht hier auch anpassen?“, ich habe das Gefühl, dass sagt er gerade mehr zu sich als zu mir. „Wie meinst du das?“ „Wenn dort die Leute verschleiert sein sollen, dann sollten sie hier ohne herumlaufen“. „Sollte nicht jeder das tun, was er für richtig hält?“ „Ja mir ist das im Prinzip egal. Aber in meine Klasse geht ein Mädchen, bei ihr sieht man nur die Augen. Sie lebt in Deutschland, da sollte sie frei herumlaufen“. MOMENT. Ich muss mich beherrschen um nicht nervös tot umzufallen. Er spricht gerade von mir? Wenn du nur wüsstest..
„Wenn ihre Religion das so sagt“, versuche ich mich gerade bitterlichst zu verteidigen.
„Ich halte nicht viel von Religion, vor allem nicht, wenn man solche Sachen tun muss“. „Du tust so, als ob sie genötigt wird“. Okay, ich trage das zwar nicht freiwillig, aber trotzdem. Das muss er ja nicht wissen. „Ich kann mir einfach nur nicht vorstellen, dass ihr das gefällt. Immerhin wird sie so von allen gemieden. Eigentlich traurig, wenn man darüber nachdenkt“. „Ich kenne viele die es tragen und wenn ihr Deutschen in dem Fall etwas offener wärt, wäre es für niemanden ein Problem. Es ist nicht ihre Schuld, dass sie gemieden wird. Ihr tut es ja“. Langsam wurde ich zornig.
„Was ist mit dir? Warum trägst du kein Kopftuch? Ich denke, Araber sind immer streng gläubig“.
Tief atme ich aus und schaue ihn an. „Ich trage normalerweise eins, aber jetzt wo meine Eltern nicht da sind, habe ich keins auf“, meine Stimme klingt Gott sei Dank selbstbewusst und bestimmt.
Johns Augenbrauen schießen in die Höhe. „Guck! Das heißt, du tust es nicht freiwillig. Warum solltest du es sonst abnehmen, sobald du die Gelegenheit dazu hast?“ Scheiße, was soll ich denn darauf antworten. Ich .. teile seine Meinung doch. Es läuft gerade alles aus dem Ruder.
Jetzt hab ich ihm letztendlich doch gesagt, dass ich ein Kopftuch trage aber nicht, dass ich in seine Klasse gehe und die mit dem schwarzen Kartoffelsack ist. „John, bitte lass uns nicht darüber reden. Lass es mich einfach genießen“. Ohne ein weiteres Wort nickt er und langsam bemerke ich, dass wir in einer kleinen Einkaufsstraße sind. „McDonalds oder Döner?“, frage ich und schaue mich um.
„Kein Edelrestaurant?“, will er gespielt empört wissen. „Neee, nicht so meins“. „Perfekt!“, schießt es aus ihm und er nimmt wieder meine Hand. Endlich! Ich kann ein kleines Grinsen nicht unterdrücken, aber John scheint das nicht zu sehen, da er sich weiterhin umschaut.
Ich blicke auf seine große Hand, die meine zierlichen Finger fest umschlossen hält.
Dabei kennt er 'mich' doch erst seit ein paar Stunden. Naja, mir gefällts.
„So, wie wärs mit McDonalds?“, Johns Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. „Ich liebe Mecces“, meine ich schlicht und gemeinsam treten wir ein. Die ganzen Blicke der Mädchen um uns herum kleben an dem gutaussehenden Mann neben mir. Schaut weg ihr blöden Tussen, der mega geile Typ ist mit mir hier würde ich am liebsten schreien, aber ich beherrsche mich.
Igitt, meine eifersüchtige Seite kannte ich noch gar nicht.
Nachdem wir uns unseren Menüs witmen und uns noch ausgelassen unterhalten, machen wir uns auf den Rückweg. „Ich hab ein Mädchen noch nie so viel Essen sehen. Du könntest glatt mit mir mithalten“, neckt er mich und zwinkert mir zu. „Ich könnte dich glatt schlagen“, antworte ich schlicht und schaue in den Himmel. „Ich schätze, wir sollten uns beeilen, bevor es anfängt zu regnen“. Gesagt, getan. Schnell eilen wir zurück – aber das Gewitter ist schneller.
Keine 5 Minuten später schüttet es wie aus Eimern und gemeinsam mit John haben wir immernoch einen langen Weg vor uns, außerdem müssen wir noch den ganzen Weg nach Hause fahren. Im Regen. Okay, jetzt wäre ein Auto nicht schlecht. „Komm mit, wir gehen wo anders hin“, meint er neben mir. Seine Haare stehen ihm stränchenweise ins Gesicht geklatscht und sein Oberteil ebenfalls – so das man seinen viel zu gut durchtrainierten Körper betrachten kann.
Mittlerweile rennen wir und kommen schließlich an einer Hütte an.
Er holt einen Schlüssel aus seiner Hosentasche raus und öffnet die Tür.
Ich zittere am ganzen Körper und fühle Johns Hand, wie sie mich in ein Zimmer führt.
Verwundert blicke ich mich um und bin dabei, über meine nackten Arme zu reiben, damit mir etwas wärmer wird. „Ja, das ist unser Haus“, beantwortet John die Frage, die ich mir gedanklich gestellt habe. „Nicht schlecht“, meine ich und bemerke, wie seine Augen in etwas versunken sind.
Mit zusammengekniffenen Augenbrauen blicke ich an mir herab und hoffe, nicht rot zu werden.
Durch mein weißes Kleid, sieht man meinen BH und meine Brust perfekt durchblitzen. Ich verschrenke meine Arme und keife ihn an. „Soll ich dir ein Bild davon machen?“ „Ja, bitte“, ich sehe ihn nicht an, aber ich weiß das er Schmunzelt. Scheiße, ich glaube ich bin einfach nur rot.
Warum hat mir Layla auch dieses dumme Kleid gegeben, ein schwarzes T-Shirt hätte es doch auch getan.
Kurz bin ich alleine im Raum, dann kommt John wieder zurück. Er hat zwei Decken dabei.
Die eine legt er auf die braune Ledercouch und die andere legt er mir behutsam über die Schultern.
Schon wieder ist er mir so nah. In mir brodelt es und ich muss angestrengt auf meinen Atmen achten, damit er normal und nicht stoßweise geht. Ich traue mich ihn anzuschauen, er schaut mich aus seinen braunen Augen an und zieht vorsichtig meine nassen Haare, die zwischen meinem Rücken und der Decke sitzen, raus. Sie fallen um die Decke. „Danke“, kommt es leise aus mir.
Mehr bringe ich nicht zustande, diese einmalige Nähe, die auf einmal zwischen uns herrscht, nimmt mir den restlichen Stück Verstand. Okay, dieses Szenario hatte ich mir schon öfters vorgestellt, aber das er wirklich Mal so nah vor mir ist und über meine Wange streicht .. ist noch schöner als ich es mir je hätte erträumen können. Langsam nimmt er die Finger wieder weg von mir. „Wir müssen wohl noch eine Weile hier bleiben“, sagt er schließlich. Seine Stimme klingt fest und ich weiß ganz genau, dass meine nicht so klingen wird, deshalb nicke ich zur Antwort nur.
John läuft weiter und lässt sich auf die Couch plumsen, nimmt ebenfalls die Decke und zieht sie sich über. Schweigend folge ich ihm und nehme ebenfalls Platz.
„Kann ich dich was fragen?“, unterbricht er die Stille zwischen uns.
„Klar doch“. „Also.. du meintest heute Mittag, etwas von Kopftuch?“
Scheiße. Jedes Thema, aber doch nicht dieses ..

„Ja?“, versuche ich so selbstbewusst wie möglich zu klingen. „Erzähl mir mehr darüber“, fordert er mich auf. Scheiße,scheiße,scheiße. Was soll ich ihm erzählen? „Ja, ich trage ein Kopftuch seitdem ich 12 bin und gestern habe ich es das erste Mal nach sechs Jahren abgenommen“. Gott sei Dank denkt er, ich würde nur ein Kopftuch tragen. Wenn ich ihm sagen würde, ich trage eine Niqab, wüsste er sofort, wer ich bin. Schließlich habe ich ihm gesagt, dass ich auch aus München komme und außer meiner Mutter, der anderen Schwester meines Vaters und mir gibt es niemanden, der mit dem schwarzen Kartoffelsack rumläuft. „Warum hast du das getan?“, will er wissen und ich wage es nicht, in seine braunen Augen zu schauen. Außerdem bemerke ich, dass ich ziemlich versteift dasitze, weshalb ich mich tiefer in den Sitz fallen lasse und die Decke enger um mich ziehe.
„Ich hatte Lust darauf“, lüge ich. Ich komme mir so schäbig vor. „Waren die ganzen Jahre dann nicht umsonst?“. Junge, warum bist du so neugierig? Gib dich doch einfach mit meiner Antwort ab, sonst muss ich noch mehr lügen! „Wie meinst du das?“, frage ich gespielt. Ich weiß zwar auf was er hinaus will, aber eigentlich habe ich keine große Lust darüber zu diskutieren. „Ist es nicht so, dass gläubige Muslima sich so anziehen, dass es nicht figurbetont ist und sie Kopftücher tragen, weil die Haare auch dazu beitragen, dass Frauen so attraktiver auf Männer wirken? Das alles war doch umsonst, wenn du jetzt nach all dem ohne rumläufst“. Sollte das jetzt ein Kompliment sein? Oder will er mir gerade sagen, dass ich so dumm bin und alles was ich die letzten Jahre gemacht hab, sinnlos war? „Du kennst dich gut aus“, entweiche ich seiner Frage. „Ja, ich hab mal etwas darüber gelesen“. Soll ich ihm doch sagen, dass ich Soraya aus seiner Klasse bin? Kurz denke ich an die Folgen, die damit verbunden wären. 1. John wüsste, dass ich hier nur rumlüge. 2. Wenn am Montag Schule ist, laufe ich mit meiner Niqab dorthin. Und der 3. und schlagkräftigste Argument : Papa.
Besser er weiß nicht, wer ich bin. Dann weiß keiner, außer mir und Layla, dass ich hier auf der Couch vom sexiest Man alive sitze. Aber Ehrlichkeit wärt doch am längsten, oder nicht?..
„An was denkst du“, holt mich John in die Realität zurück. „Nichts besonderes“. „Lügnerin“, meint er lächelnd. Ja! Ich weiß! „Wenn das hier euer Zweithaus ist, hast du doch sicher Wechselkleidung hier, oder nicht?“ Oh Gott, ich weiß. Ich versuche dauernd das Thema zu wechseln. John kratzt sich am Hinterkopf. „Nein, wir sind hier eher selten. Deshalb ist es zwar eingerichtet, aber Kleidung oder etwas Essbares liegt hier nicht herum“. Ich gebe ein Seufzen von mir. „Naja, ist ja auch egal. Wir sollten aber langsam los. Ich hab versprochen, nicht so spät da zu sein“.
Ich folge Johns Blick, welcher dem Fenster gewidmet ist und erkenne, dass es aufgehört hat zu regnen und die Sonne sich wieder blicken lässt. Die Uhr zeigt 20:05 und ich weiß, dass ich Layla gesagt habe, spätestens um 22 Uhr zu Hause zu sein. „Ich schätze, ich fahre dich zurück zum Park, oder?“ Wir beide stehen auf und falten die Decken, um sie danach auf die Couch zu legen. In seinen Augen kann ich die Enttäuschung aufblitzen sehen. „Ja..das wäre nett“, meine ich auf einmal peinlich berührt. Er denkt sicher, ich bin ein Freak! „Denkst du,ich stalke dich nach unserem Date, oder warum diese Geheimnistuerei“, fragt John mich ganz direkt. Ungläubig schaue ich ihn an. „Hä? Was nein, nein. Ich .. du.. Ich denke nicht, dass du ein Stalker bist“. Ziemlich unbeholfen suche ich nach den richtigen Wörtern, nur fällt mir im Moment keine passende Ausrede ein. Johns Augenbrauen schießen in die Höhe und er scheint sichtlich amüsiert. „Was ist es dann?“
„Ich kann nicht darüber reden“. John nähert sich mir, bis er ganz dicht vor mir steht. „Du verbringst deinen ganzen Tag mit mir und dann kommst du mir so?“, seine Stimme klingt angenehm rau und tief. „Was versteckst du vor mir?“, ich schmelze gleich. Warum klingt er auch so verdammt geil?
„Nichts“, gebe ich von mir. Puh, das klang ganz schön selbstbewusst. Gut gemacht! „Lüg nicht“ „Ich lüge nicht“,
lüge ich ihn an und versuche seinem Blick standzuhalten und nicht in diesen wunderschönen braunen Augen zu versinken. „Sag mal, gehst du immer mit Mädchen so um, die du seit einem Tag kennst?“, versuche ich ihn schon wieder auf ein anderes Thema zu bringen. Er lächelt mich kurz an. „Nach diesem einen Tag weiß ich mehr über dich und du über mich, als von so vielen anderen Mädchen die ich seit Jahren kenne“. Wo er Recht hat, hat er Recht. „Bitte zwing mich nicht, dir irgendetwas zu erzählen“, bitte ich ihn aufrecht. Sein Gesicht wird ernst und während er mir tief in die Augen schaut, fängt er an, langsam zu nicken. „Okay“, flüstert er und ich bin ihm mehr als nur dankbar für dieses kleine, dahergehauchte Wort.

Mittlerweile stehen wir wieder im Münchener Park, vor seinem Motorrad. Die ganze Fahrt lang habe ich mir Gedanken gemacht, was ich ihm jetzt sagen sollte. Den ganzen Tag habe ich versucht, genau das zu verdrängen und den Tag mit John zu genießen, aber nun ist es so weit und ich weiß wirklich nicht, wie ich mit der Sache umgehen soll. „Also dann“, höre ich John sagen und sein Blick auf mir ruhen. „Es war der schönste Tag, den ich seit wirklich langem hatte“, meine ich ehrlich und lächle leicht. „Du wirst mir also nicht deine Nummer geben, sagen wo du wohnst oder wie du bei Facebook heißt?“, schlussfolgert er logisch. Beschämt schaue ich weg. „Es tut mir Leid. Aber ich kann nicht“. Es zerreisst mich innerlich. „Du wusstest von Anfang an, dass es nur dieser eine Tag sein wird, oder?“ „Ja. Es tut mir Leid“. John nähert sich mir und umschließt mein Gesicht fest mit seinen beiden hängen. „Ich wüsste nur zu gern, wovor du Angst hast. Ich kann dir helfen“.
Meine Augenbrauen sind zusammengekniffen und für den Bruchteil einer Sekunde bin ich dabei, ihm alles zu offenbaren. „Mir kannst du nicht helfen“, entschließe ich mich gegen sein Angebot.
„Dafür bist du mir etwas schuldig. Dafür, dass du mich jetzt wie eine heiße Kartoffel fallen lässt“, flüstert er dicht vor mir und ich spüre seinen heißen Atem auf meiner Haut. Im nächsten Moment legt er seine Lippen auf meine.Sanft saugen sie an meinen und in mir keimt ein Gefühl auf, das ich noch nie zuvor gespürt habe. Ich stehe hier, mitten im Park, eng umschlungen mit John.
Träume ich? Klar bei Verstand kann ich nicht sein, denn er küsst mir gerade jeglichen Gedanken weg. Meine Hand findet seinen Nacken und ich ziehe ihn noch näher an mich, wobei das fast schon unmöglich erscheint. Mein Herz hämmert gegen meine Brust und mein Bauch tobt voller Schmetterlinge. Es fühlt sich so viel besser an, von ihm geküsst zu werden, als ich es mir je erträumt habe. Dann löst er sich auch schon von mir und platziert seine Stirn gegen die meine.
„Das hättest du nicht tun sollen“, flüstere ich schwer atmend. Jetzt fällt es mir noch schwerer von ihm wegzukommen, da ich weiß, nie wieder diese Lippen küssen zu können. Dabei bin ich doch erst jetzt auf den Geschmack gekommen! Mein erster Kuss war das und er war von John.
Von meinem John. „Ist mir egal“, raunt er und mit einem halbwegs geordneten Kopf löse ich mich aus unserer innigen Umarmung. Dieser Tag ist so schnell vorbei gegangen, aber auf eine Art und Weise habe ich das Gefühl, schon seit Jahren meine Zeit mit John verbracht zu haben und das hier ein Abschied nach jahrelanger Beziehung ist. „Verlangst du jetzt wirklich von mir, zu gehen? Ein Tag mit einer Unbekannten, die ich nicht mehr sehen werde?“ Ich weiß wie absurd das gerade klingt, aber so ist es nun einmal. Ich nicke nur. „Okay. Dein letztes Wort? “ Wieder nicke ich nur. „Gut, ich zwinge dich zu nichts. Ich gehe besser“ bringt John schließlich zustande und setzt sich seinen Motorradhelm auf. Anschließend fährt er los und ich sehe ihm hinterher, bis er in der Dunkelheit verschwindet. Ich hole mein Handy raus und tippe die Nummer meiner Tante ein. „Holst du mich bitte vom Park ab?“, frage ich mit zitternder Stimme und nach einem Ja ihrerseits warte ich mit gesenktem Kopf darauf, dass ich abgeholt werde.



Kapitel 6


Eine Woche und vier Tage sind seit unserem Date vergangen. 11 Tage, in denen ich kaum geredet, geschlafen, gegessen oder sonst etwas habe. Meine Eltern sind auch viel früher zurück gekommen und löchern mich die ganze Zeit mit Fragen, warum ich denn so komisch sei. Aber alles ist mir egal.
Ich bereue es, diesen Tag mit John erlebt zu haben. Denn jetzt tut es mir wirklich weh, wenn ich ihn täglich in der Schule sehe. Jetzt verstehe ich den Satz „So nah und doch so fern“. Es passt perfekt zu meiner Situation. Es tut mir weh, nicht beachtet zu werden, es tut mir weh, ihn mit anderen Mädchen reden zu sehen. Ich möchte doch dieses Mädchen sein. Wieder schießen mir die Tränen aus den Augen. Es war so ein traumhafter Tag. Er war perfekt. Und jetzt? Jetzt sitze ich wieder mit meiner Niqab im Auto und versuche mich zu beruhigen.
Mit einem tiefen Seufzer steige ich aus meinem Wagen und ich weiß, dass man mir ansieht, dass ich geweint habe, wegen meinen geschwollenen Augen. Deshalb inspiziere ich heute gründlichst den Boden und schaue nicht wie normalerweise auf, um den dummen Blicken meiner Mitschüler standzuhalten. Außerdem habe ich keine Kraft mehr dafür, so selbstbewusst die Flure entlang zu laufen. Mir reichts einfach. Ich schätze, ich bin einfach an meinem Tiefpunkt angelangt und bade in Selbstmitleid. Wie immer setze ich mich in meine hintere Ecke und wie in den letzten Tagen auch, passe ich nicht im Unterricht auf, alles läuft an mir vorbei. Aber, es ist sowieso egal, immerhin werde ich von allen ignoriert und ja, ich fühle mich einfach unsichtbar.
John sitzt seelenruhig im Klassenzimmer, aber auch er scheint mir seit letzter Woche etwas abwesender. Oder möchte ich mir das nur einbilden? Doch ich schaue ihn nur zwei Mal an. Mehr bringe ich nicht über mein Herz, da ich nicht weiß, ob ich nicht doch in letzter Sekunde aufspringe und meinen Kartoffelsack zerreisse um ihm zu zeigen, dass ich ich bin.

Nach dem Unterricht husche ich als erste aus dem Klassenzimmer und in meinem Auto angelangt, fahre ich einfach drauf los. Egal wohin, ich will hier einfach nur weg. Schon wieder kullern mir meine Tränen über die Wangen und ich weiß nicht wohin ich soll. Keiner versteht meine Lage.
Ich fahre, fahre eine halbe Stunde irgendwohin, bis ich an einem großen Ort des nirgendwos ankomme. Wütend springe ich aus dem Wagen und reiße an dem schwarzen Tuch, welches mein Gesicht umhüllt. In meinen Händen versuche ich es zu zerreissen, aber es ist zu stabil, als das es in zwei Teile reißt. Mit voller Wuncht schleuße ich diese auf den Boden und lasse mich ebenfalls auf den dreckigen Straßenboden fallen.
Ich bedecke mein Gesicht mit meinen Händen, welche von meinen Tränen feucht werden und meine Schluchzer unterdrücke ich erst gar nicht. Ich lasse alles raus. Alles, was sich in mir angestaut hat. Es ist so unfair. Ich fühle mich so leer. Nichts hat einen Sinn.
Nach stundenlangem geheule bemerke ich, dass es langsam dunkel wird. Eigentlich habe ich überhaupt keine Lust nach Hause zu gehen und meine Eltern zu sehen. Ich habe keine Lust überhaupt etwas zu machen. Trotzdem rappel ich mich irgendwann auf und wie in Trance fahre ich zurück. Ein Blick auf mein Handy verratet mir, dass ich 15 verpasste Anrufe habe, aber das interessiert mich nicht die Bohne. Anstatt nach Hause zu fahren, fahre ich automatisch in Richtung Layla.
Vor ihrer Haustüre, sieht sie mich mit besorgten Blick an. „Hey“, entkommt es ihr verwirrt und nachdem sie mein verheultes Gesicht sieht, nimmt sie mich fest in den Arm. „Ich will nicht mehr“, schluchze ich und es ist mir scheiß egal ob das jemand mitbekommt. „Psht, komm erst mal rein“. Sie nimmt mich bei der Hand und führt mich in die Küche, wo sie mir ein Glas Wasser reicht.
„Beruhig dich und erzähl mir dann, was los ist“, fordert mich meine Tante auf. „Seit letzten Samstag bist du so komisch. Was hat er dir getan?“, fragt sie weiter. Ich schüttle energisch den Kopf. „Nichts.. nichts.. er hat nichts getan, was ich nicht wollte. Er hat einfach alles perfekt gemacht“ Ich gerate wieder ins Träumen. „War das nicht alles was du wolltest?“ Ich fahre mir über das Gesicht und atme tief ein. „Ja.. Es hat alles so gepasst. Wir haben uns so gut verstanden. Aber .. ich komm nicht damit klar, dass es nur dieser eine Tag bleiben wird. Wie er in der Schule mich nicht mal anschaut, weil er nicht weiß, dass ich es bin“. „Du hast es ihm also nicht gesagt?“ „Nein, ich konnte nicht. Ich musste dauernd lügen und ..“ weiter komme ich nicht, denn meine Schluchzer halten mich davon ab. Layla schaut mich bemittleidend an und sucht nach den richtigen Worten.
„Ach Soraya ..“ „Was mach ich denn jetzt?“, meine Stirn legt sich in Falten und ich hoffe aus tiefstem Herzen, dass meine Tante gerade eine perfekte Lösung findet. „Wie wärs mit reinem Tisch machen?“ „Wie denn? Dann weiß er genauso, dass ich gelogen hab.. und außerdem, mein Vater würde morden..“ Okay, das war jetzt übertrieben. „Ach komm. Ich hab mich auch durchgesetzt“, versucht mir meine Tante Mut zuzusprechen. „Ja, du hast ja auch geheiratet. Aber ich .. ich bin ja die ach so perekte Tochter, mit dem Stolz. Ich zeige mich nicht einfach vor anderen Männern“..
„Es ist dein Leben, nicht das deines Vaters. Du musst das machen, was dir gefällt nicht was ihm gefällt“. „Ich kann nicht. Verstehst du? Es ist eine Grenze. Ich kann sie nicht überschreiten. Ich wurde mein gesamtes Leben so erzogen. Ich kann nicht einfach zu ihm gehen, sagen, egal was jetzt kommt ich werde ohne Niqab raus gehen und egal ob du mich schlägst, mich enterbst oder sonst was, nichts wird mich beeinflussen“ „Doch, du kannst. Ich komme mit und Ali auch. Wir unterstützen dich dabei“. Ich antworte nicht darauf.
„Wir haben uns sogar geküsst“, erzähle ich nach einer Weile des Schweigens.
„Du lässt dich am ersten Date schon abknutschen?“, scherzt meine Tante um die Stimmung zu heben, aber es klappt nicht. „Er hat einfach seine Hände um mein Gesicht gelegt und mich geküsst. Ich konnte ihn ja nicht einfach wegschubsen. Außerdem gibt es ja kein drittes oder viertes Date, wo ich mich hätte küssen lassen können“. „Schätzchen, du musst dich nicht rechtfertigen. Ist doch ganz normal“. „Jaja, mein Vater sieht das auch bestimmt ganz normal“, meine ich ironisch. „Nein, er kann dir nichts anhaben. Du kannst genauso bei uns schlafen. Soraya, es klingt vielleicht hart, aber dieses Date mit dem Jungen war das beste was dir passieren konnte, jetzt denkst du endlich wieder dran die Niqab abzunehmen. Dein Vater hatte dich so weit, dass du dich einfach nicht mehr dagegen gewehrt hast und dadurch dein Leben hast kaputt machen lassen“. „Er ist so ein guter Vater zu mir und er will als Gegenleistung doch nur, dass ich mein Stolz bewahre und mich nicht einfach irgendwelchen Männern zur Schau stelle“, versuche ich meinen Vater zu verteidigen. „Schatz, du präsentierst dich ja nicht irgendwelchen Männern. Er weiß, dass du so schön bist und dir jeder nachschaut .. deswegen ist er nicht einmal mit einem Kopftuch zufrieden, weil man dein Gesicht trotzdem sieht“. „Jetzt hör aber auf“, meine ich gereizt und schaue sie wütend an. „Es ist so. Ich meine, die Leute in der Schule meiden dich, was glaubst du, wie es nachher in der Arbeitswelt aussieht? Oder ob du überhaupt arbeiten darfst? Ob du nicht zwangsverheiratet wirst? Wenn du jetzt alles mit dir machen lässt, wirst du auch in den nächsten Jahren seine Marionette“. Nachdenklich schaue ich sie an. Sollte ich wirklich mit meinem Vater darüber reden? „Aber.. auch wenn ich es abnehme, mein Vater würde nie zulassen, dass ich was mit einem Deutschen anfange“. „Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß. Ich hab es auch damals heimlich gemacht und er weiß es bis heute nicht“. „Ja, aber ich will ihn nicht anlügen“. „Genauso wie du John nicht anlügen wolltest, aber du musstest. Du kannst halt nicht alles haben, du musst dich entscheiden“. Sie hat Recht, mit dem was sie sagt. „Kann ich heute hier bleiben?“, frage ich. „Natürlich, du kannst so lange bleiben wie du willst, ich rufe deine Eltern an und sage ihnen Bescheid“, kommt mir meine Tante zuvor.
„Danke. Ich.. ich geh dann im Gästezimmer schlafen“ „Okay, gute Nacht“ „Nacht“.

Im Zimmer schlüpfe ich aus dem schwarzen Gewand und stehe vor dem Spiegel.
Laylas Worte bringen mich erneut zum Nachdenken. Ich muss mich entscheiden, entweder ich stelle mich gegen meinen geliebten Vater und nehme es auch ohne seine Erlaubnis ab und kämpfe darum, mit John richtig Kontakt aufzunehmen oder ich laufe weiterhin mit meiner Niqab herum, denke nicht mehr an John, wobei ich das nicht mal kontrollieren kann und höre auf im Selbstmitleid zu baden und stelle mich vernünftig meinem Schicksal. Aber der erste Punkt gefällt mir um einiges mehr. Ich möchte frei sein, einfach frei. Eine Träne fährt mir über die Wange und ich streiche sie hastig weg. Für heute habe ich genug geweint. Morgen werde ich nicht in die Schule gehen, sondern reinen Tisch mit meinen Eltern machen und aufs Beste hoffen.
Mit einem letzten langen Gebet gehe ich ins Bett. Gott, wenn es dich wirklich gibt, dann lass bitte alles gut werden.

Am darauffolgenden Morgen werde ich von den Sonnenstrahlen geweckt und verwirrt blinzele ich.
Meine Augen wollen sich nicht richtig öffnen, da sie richtig verschwollen sind.
Im nächsten Moment erinnere ich mich an den gestrigen Tag und das veranlasst mich dazu, mich wieder unter die Bettdecke zu verkriechen. Am besten ich bleibe die ganze Zeit liegen und stehe nie wieder auf, dann kann mir auch niemand irgendwas. Aber Feige sein will ich auch nicht.
Hallo, ich bin knackige 18 und muss für meine Ziele kämpfen, versuche ich mir Mut zuzusprechen.
Ich taste nach einem Haargummi und binde mir meine langen Haare zu einem lockeren Dutt und bewege mich eher schlapp aus dem Bett.
Unten im Wohnzimmer sehe ich meine Tante und ihren Mann Ali frühstücken. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass wir erst 8 Uhr früh haben. „Morgen“, murmle ich müde und setze mich zu ihnen an den Tisch. „Soraya, gut dich zu sehen“, begrüßt mich Ali und schenkt mir ein lächeln.
„Gut geschlafen?“, fragt Layla mich und ich zwinge mich zu einem deutlichem Nicken.
„Ich hab beschlossen, heute mit meinem Vater darüber zu reden“, erzähle ich und sehe die Verwunderung in den Augen meiner Tante aufblitzen. „Ich hatte gehofft, dass du das sagst! Ali und ich kommen natürlich mit“ „Was willst du denn mit ihm besprechen?“, fragt Ali.
Meine Tante, die gute Seele hat ihrem Mann nichts erzählt. Dafür liebe ich sie. Sie erzählt niemanden nichts, nicht einmal ihrem Ehemann ohne meine Erlaubnis.
Kurz erzähle ich ihm die Sache mit der Verschleierung aber John lasse ich weg, das muss er nicht wissen, geht ihn schließlich auch rein gar nichts an. „Hmm. Dein Vater wird gegen 18 Uhr zu Hause sein, lass uns dann hinfahren und das alles klären“.

Gesagt, getan. Zu dritt stehen wir einige Stunden später vor unserer Haustüre und klingeln.
Ich höre Schritte, die ich meiner Mutter zuordne. „Soraya, Schatz“, kommt es ihr besorg und sie nimmt mich in die Arme. Sie ist dabei mich zu zerdrücken. „Mama, ich krieg keine Luft“, bringe ich gerade noch so raus. „Tut mir Leid, ich .. kommt erst mal rein“. Ma begrüßt noch Ali und meine Tante und anschließend gehen wir ins Wohnzimmer, wo mein Vater auf der Couch Zeitung list.
Er sieht auf und ich kann seinen Blick nicht deuten. Erst muss ich meine Niqab wieder ausziehen. Wie ich es mittlerweile einfach nur noch hasse. Stumm setze ich mich gezielt zwischen das frisch verheiratete Paar, weil ich mich stärker neben den beiden fühle. „Soraya, erzähl. Wo warst du? Wieso bist du so komisch die letzten Tage? Du redest nicht, isst nicht. Du bist wie ausgewechselt. Komm Schatz, erzähl was passiert ist“. Die Stimme meiner Mutter klingt flehend und sie wartet wie gebannt auf eine Antwort von mir. „Ich habe ein Problem“, sage ich so ernst und selbstbewusst wie möglich. „Was ist es denn? Du kannst uns doch alles sagen“, ertönt jetzt auch die Stimme meines Vaters. „Ich.. also..“ Mut, wo steckst du nur? Langsam wende ich meinen Blick zu meinem Vater. „Ich will nicht mehr mit Niqab rauslaufen“. Von einer Sekunde auf die nächste versteinert sich die Miene meines Vaters. „Was sagst du da?“, sagt er mit eisiger Stimme.
„Papa, du weißt nicht, was ich dadurch alles erlebe..Ich..“ Weiter komme ich nicht. „Soraya, du weißt ganz genau, was meine Einstellung ist und darüber diskutieren wir nicht“ „Hey! Jetzt lass das Mädchen ausreden“, meine Tante schaut ihren Bruder böse an und die Wut in meinem Vater keimt auf. „Hast du ihr das eingeredet? Ich wusste doch, ich hätte dich auf keinen Fall mit ihr alleine lassen sollen. Soraya, ich dachte du bist erwachsen genug! Darüber wird nicht diskutiert“
„Bitte hör mir doch zu“, meine Stimme fängt an zu beben und ich muss mich beherschen nicht loszuheulen. Ich wusste er würde nicht mit sich reden lassen. „Ich werde ignoriert, muss jeden Tag gegen all diese Leute kämpfen. Ich kann nicht mehr. Die Leute haben einfach Angst vor mir!“
„Was interessieren dich die anderen,hmm? Willst du wie diese Schlampen rumlaufen oder was?“
„Warum kann ich nicht ein Kopftuch anziehen? Warum muss ich mit schwarzem Gewand rumlaufen?“ „Weil eine Frau sich so zu kleiden hat“. „Papa, außer Mama, mir und Tante Melisa zieht sich keiner unserer Verwandten so an, warum müssen wir das machen?“ „Sie werden eines Tages wissen, was für einen Fehler sie machen“. Mein Vater schaut mich todesernst an und seine Stimme wird mit jedem Satz lauter. „Vater, beruhige dich“, mischt sich jetzt auch Ali ein.
„Du hast mir überhaupt nichts zu sagen. Ich bin hier der Familienoberhaupt. Was ich sage, wird gemacht. Ich weiß, was richtig ist und was falsch. Nur weil du keine Verantwortung für deine Frau aufbringen kannst, heißt es nicht, dass auch ich meine Tochter wie eine Schlampe angezogen raus lasse“. „Sie gibt sich sogar mit Kopftuch zufrieden, sie verlangt doch gar nicht, dass du ihr erlaubst, ohne Tuch rauszugehen“, argumentiert Layla. Ich stehe auf und setze mich vor meinem Vater auf den Boden, nehme seine Hände in meine. „Papa, bitte. Bitte verbiete es mir nicht“. „Nein, das ist mein letztes Wort und wir werden nie wieder darüber reden“. Blitzschnell steht er auf und ist dabei das Zimmer zu verlassen. In mir lodert Wut und ich habe keine Lust mehr alles in mich hineinzufressen. „Gut. Dann erlaube es mir nicht. Dann mache ich es ohne deine Erlaubnis. Du kannst mir gar nichts“, schreie ich ihm entgegen. „Soraya!“, ruft meine Mutter geschockt und will aufstehen. „Nein!“, schreie ich und deute ihr, auf ihrem Platz sitzen zu bleiben. Mit zusammengekniffenen Augen sieht mich mein Vater an und läuft einige Schritte zurück, in meine Richtung. Er hebt seinen Zeigefinger und wedelt bedrohlich damit. „Das traust du dich nicht“, schreit er zurück. Nein, brüllen würde eher passen. „Ich mache was ich will“, schreie ich und weite provozierend meine Augen. „Wie redest du mit mir? Ich bin dein Vater, du ungezogenes Mädchen“
„Du tust so, als ob ich mich prostituieren will..“ Weiter komme ich nicht, denn ich spüre einen harten Schlag gegen meine rechte Wange. Sie ist so schwer, dass ich mein Gleichgewicht verliere und unsanft auf dem Boden lande. „Was sagst du da? Wage es nie wieder, so ein Wort in dein Mund zu nehmen“, brüllt er mich an und tretet auf mich.
Und in genau diesem Moment ist dieser Mann für mich gestorben.
Niemals, niemals hätte ich gedacht, dass er handgreiflich mir gegenüber wird.
Ich wusste, dass er hart sein konnte, aber nicht handgreiflich. Nicht seiner einzigen Tochter gegenüber. Er ist so geladen, er würde mich weiter schlagen, wenn die drei anderen im Raum nicht urplötzlich aufgestanden und ihn von mir weggezerrt hätten. „Lasst mich los“, brüllt er und ab da an weiß ich nicht mehr weiter. Als ob ich in einer Art Trance falle. Ich spüre nurnoch, wie mich jemand vorsichtig in den Arm nimmt und mich in ein Auto bringt. Wir fahren weg. Vermutlich zu Layla zurück. Aber ich weiß es nicht. Alles ist kaputt. Meine Tränen fließen mir ununterbrochen über die Wange und jemand versucht mir beruhigend zuzusprechen, doch ich höre nichts.
Hat sich das alles gelohnt? So eine Ausseinandersetzung mit meinem Vater, für meine Freiheit? Für die Liebe, die ich täglich mehr für John entwickle, vor allem nach unserem Date? War es das wirklich Wert, eines der wichtigsten Menschen meines Lebens zu verlieren? Denn eins kann ich sagen, er ist mit dem Schlag definitiv zu weit gegangen.

Kapitel 7




Es sind wieder ein paar Tage vergangen. Heute ist Samstag. Und genau vor zwei Wochen hatte ich den schönsten Tag meines Lebens. Doch jetzt geht es mir umso schlechter. Ich habe mich in Laylas Gästezimmer ausgebreitet und wohne für die nächste Zeit auch erst Mal hier, weil ich meinen Vater einfach nicht mehr sehen kann. Mit meiner Mutter dagegen habe ich schon ein paar Mal telefoniert und jedes Mal hat sie versucht, mich zu überreden zurückzukommen und auf meinen Vater zu hören – der ja schließlich nur das Beste für mich will. Ist klar. Der will nur das Beste für sich.
„Hey, du bist ja schon wach“, meint Layla und lehnt sich ans Türrahmen. „Ich hab deine Schulsachen mitgenommen,damit du ab Montag von hier aus hin kannst. Vergiss nicht, du hast in zwei Monaten dein Abitur und auch wenn es im Moment bergab geht, darfst du die Schule nicht vernachlässigen“. „Ja.. das stimmt. Ich.. ich fang heute auch an zu lernen“, beruhige ich sie und kaue nervös an meiner Unterlippe. Layla scheint das mitzubekommen, denn sie setzt sich im nächsten Moment gegenüber von mir. „Was ist?“, fragt sie behutsam. „Jetzt habe ich Streit mit meinem Vater und ich weiß nicht, wie ich am Montag in die Schule soll“. Meine Tante versteht mich und streicht sich nachdenklich am Kinn, dass was sie immer tut, wenn sie in Gedanken ist.
„Das musst du selber wissen, wie du jetzt in die Schule gehst“. „Der Fleck unterhalb meines Auges ist ja auch noch nicht weg .. es wäre besser, zu warten, bis es weg ist,oder? Sonst schöpfen die Leute verdacht“, spreche ich mein Vorhaben laut aus. „Es ist deine Entscheidung, aber ich finde sie gut“. Ich spüre ihren Blick auf mir ruhen. „Komm, ich hab frische Brötchen vom Bäcker gekauft. Lass uns frühstücken“. „Ich komm gleich nach“, meine ich und mit einem letzten Nicken bin ich wieder alleine im Zimmer.

Montagmorgen ist der Gefühlschaos in meinem Kopf immernoch nicht weg. Vorsichtshalber ziehe ich heute meine Niqab drüber, weil ich Angst habe, es heute doch zu bereuen. „Du gehst also mit?“, höre ich Ali hinter mir sagen, als ich die Tür öffne. Ich nicke traurig und ernte ein aufmunterndes lächeln von ihm. „Es wird alles besser“, versucht er mich aufzubauen. „Mhm“, meine ich weniger enthusiastisch und unsere Wege trennen sich vor dem Haustor, wo er in seinen und ich in meinen Wagen steige.
Den Weg bis ins Klassenzimmer habe ich wieder mit Bodenstarren verbracht. Innerlich rege ich mich über meine Schwäche auf, aber komme einfach nicht gegen sie an.
Die Stunde beginnt und unser Klassenlehrer kommt erst ein Mal nach hinten zu mir, um mir die Blätter der verpassten Stunden zu geben. Er redet nicht mit mir, sondern hat mir auf einem Zettel die Buchseiten aufgeschrieben, die im Unterricht durchgenommen worden sind. Ich bedanke mich auch nicht, sondern lege die Blätter in meinen Block und nehme mir vor, heute wieder in der Stunde aufzupassen. Das lenkt wenigstens ab!
Viel scheine ich zum Glück nicht versäumt zu haben, da die Mehrheit meiner Mitschüler lange brauchen, um überhaupt etwas zu verstehen. Auch wird ein Wiederholungstest geschrieben und auch wenn ich die letzten Stunden in Geschichte versäumt habe, kann ich mir eins und eins zusammenreimen und bin am Schluss sogar etwas Stolz auf mich, als ich die Arbeit abgeben muss.
„So, wir sehen uns dann in der nächsten Stunde“, verabschiedet sich der Lehrer und alle packen ihre Sachen, da jetzt der Sportunterricht beginnt. Für mich heisst es : Schulsachen packen und ab zu Layla, da ich nach wie vor aus dem Sportunterricht befreit bin. SO schlimm war der Tag doch nicht.
Denkste.
Draußen,vor dem Schulgelände erstarre ich in meiner Bewegung.
Mein Vater.
Er steht neben meinem Auto.
Was will er hier?
Soll ich jetzt zu meinem Auto und mich stellen oder doch lieber fliehen?
Ich entscheide mich für Option 2 und versuche so unauffällig wie möglich, aus dem Gelände zu entfliehen, ohne erkannt zu werden. Was sich natürlich als fast unmöglich in meinem schwarzen Kartoffelsack herausstellt. „Soraya !“, höre ich die Stimme meines Vaters weit hinter mir und ich lege noch einen Gang zu. Ach Scheiße, ich weiß jetzt schon, dass das alles peinlich verlaufen wird.
Ich bin sowieso schon Gesprächsthema und jetzt können die Leute sich noch mehr das Maul zerreissen. „Soraya! Bleib gefälligst stehen!“. Die Wut kann ich ganz genau heraus hören und das bringt mich dazu, noch schneller zu laufen. „Wirst du wohl!“, schreit er dicht an meinem Ohr und packt mich am Arm. „Lass mich los“, zische ich ihm entgegen und frage mich gleich darauf, woher der plötzlicher Mut meinem Vater gegenüber kommt. Ich spreche normalerweise nie in diesem Ton mit ihm. „Los, wir gehen nach Hause“. „Nein“, meine ich bestimmt und versuche mich aus seinem Griff zu befreien. „Soraya. Ich sage es nicht noch mal. Wir fahren jetzt nach Hause“. „Warum? Damit du mich noch mal schlagen kannst?“, antworte ich bissig. „Nicht in diesem Ton“, blafft er mich an und zieht mich in Richtung meines Wagens. Diesen habe ich zwar glücklicherweise nicht neben denen der anderen geparkt, aber wir müssen trotzdem durch die Schülermasse. „Papa, bitte. Lass mich doch einfach los“. Ich klinge längst nicht mehr so stark wie vorgehabt. „Du hast mir überhaupt nichts zu sagen. Ich bin dein Vater, nicht du meiner“. Zwar will ich nicht für Aufsehen sorgen, aber ich hoffe gerade inständig, dass sich jemand überwindet und mir hilft. „Du bist nicht mehr mein Vater“, schreie ich und zornig dreht sich mein gegenüber um. Er schubst mich und sieht mich böse an.
Dieser Mensch ist wie ausgewechselt. Mein Vater war nie so. Oder war er nie so zu mir, weil ich mich ihm nie widersetzt habe? „Was erlaubst du dir? Du ungezogenes Mädchen. Das kommt natürlich davon, wenn man sein Kind nicht diszipliniert genug erzieht“ Wieder zieht er an meinem Ärmel und versucht mich gewaltsam ins Auto zu bringen. „Man, jetzt lass mich los“, brülle ich wutentbrannt und muss mich beherrschen nicht loszuheulen. Das läuft alles so aus dem Ruder.
„Hören Sie mal, das Mädchen will nicht mit Ihnen mitgehen, lassen Sie sie los“, höre ich eine Stimme hinter mir. Ich kenne diese Stimme.. Als ich meinte, Hilfe zu benötigen, meinte ich doch nicht John damit! „Das ist eine Sache zwischen mir und meiner Tochter und geht dich nichts an, Junge“, John gegenüber klingt er beherrscht und nicht so aggressiv wie mir zuvor.
„Nein, wenn es gewaltsam wird, denke ich nicht, dass es nur sie zwei etwas angeht. Also bitte ich Sie, Soraya loszulassen“. Mein Vater ballt seine Hände zu Fäusten und ich merke nebenbei, dass sich mehr und mehr Leute um uns versammeln. „Papa, bitte. Die Leute gucken schon“, versuche ich meinen Vater flehend umzustimmen. „Wir rufen sonst die Polizei“, meldet sich John bedrohlich zu Wort. Plötzlich lässt mein Vater meine Hand los. „Ich bin enttäuscht von dir Soraya. Maßlos enttäuscht. Das wird Konsequenzen haben“, meint er mit eisiger Stimme und verschwindet daraufhin mit großen Schritten zu seinem Auto.
Ich lege meine Hände auf mein Gesicht. Am liebsten würde ich im Erdboden versinken.
Schon immer habe ich es gehasst, wenn irgendjemand von meinen Problemen Wind bekam und jetzt hatte es offiziell wohl jeder mitbekommen. „Hey, alles in Ordnung?“, eine kräftige Hand legt sich auf meine Schulter und dreht mich langsam zu sich um. „Alles gut“, murmle ich dem Boden gewandt und will schon los, als John mich am Handgelenk fest hält. „Komm mit“, seine Stimme klingt sanft und ich weiß, ich mache alles damit schlimmer, wenn ich mit ihm mitgehe, aber er ist der einzige, den ich jetzt neben mir haben wollen würde. Ohne Widerstand lasse ich mich in sein Auto bringen und wir fahren los. Hat er nicht eigentlich Sport nach der Pause?
Wir stehen vor seinem Haus und er bringt mich in sein Zimmer. „Du und dein Vater ihr habt nicht das beste Verhältnis, oder?“, schlussfolgert er, nachdem ich mich auf sein Bett setze und er einen Stuhl nimmt und ihn direkt vor mir platziert. Ich traue mich nicht ihn anzusehen und schüttle nur den Kopf. John rückt noch weiter vor und sein Blick ruht einige Minuten auf mir, ehe er seine Hand unter mein Kinn legt und mich zwingt, ihn anzusehen. Einige Sekunden lang schaut er dann auf die Stecknadel, die das Tuch um meinen Kopf zusammenhält. Immer wieder wandert sein Blick zwischen meinen Augen und der Stecknadel. Langsam hebt er seine andere Hand und nimmt die Stecknadel raus. Ich wehre mich nicht,sondern starre in sein konzentriertes Gesicht.
Das Tuch fällt halb ab und er wickelt es mir ganz aus dem Gesicht. Nun hat er freie Bahn und sieht mich, ganz unverschleiert, an. Ich nur in meiner Abaya. „Ich wusste es“, flüstert er und
sieht mich mit einem Blick an, den ich nicht deuten kann. John schluckt hörbar und ich atme tief aus. In diesem Moment schäme ich mich so sehr. Ich will nicht, dass er mich so sieht. So hilflos.
„Schau mich an“, bittet er mich und dreht mein Gesicht in seine Richtung. „Warum hast du nichts gesagt?“, will er wissen und er klingt besorgt. Ach was, das bilde ich mir nur ein. Ich hätte gerne, dass er sich sorgt, aber er kennt mich nicht mal richtig. Ich lache kalt auf. „Was hätte es an der Situation geändert?“ „Du hättest dir das Versteckspiel ersparen können“. „Ich wollte dich nicht mit reinziehen in das Ganze“, versuche ich ihm mein Verhalten zu erklären. „Das hast du bereits als du im Cafe ohne Verschleierung aufgetaucht bist“. Ich ziehe meinen Mund zu einem schmalen Strich. „Es tut mir wirklich Leid, dass ich dich angelogen habe. Aber ich hatte keine andere Wahl.“
John fasst mir auf die noch leicht blaulilane Stelle unter meinem Auge – die ich durch den Schlag meines Vaters abbekommen hatte. „War er das?“, fragt er ruhig. „Ja“, beantworte ich seine Frage und zupfe nervös an dem schwarzen Gewandt, das ich trage. Ich komme mir vor wie im Kreuzverhör. Seine rauen Finger an meiner Wange fühlen sich so wunderbar an, dass ich es unauffällig genieße und mich zwingen muss nicht, die Augen zu schließen, um mich nur diesem wunderbaren Gefühl zu widmen. „Macht er das öfters?“, seine Stimme klingt jetzt wütend.
Hastig schüttle ich den Kopf. „Nein, nein, das war nur ein Mal, er ist sonst nicht so.. wirklich nicht“, beeile ich mich zu sagen. Trotz der Tatsache, dass mein Vater gerade verrückt spielt, habe ich das Bedürfnis ihn in Schutz nehmen zu müssen. „Soraya“, John fährt sich aufgebracht durch die Haare. „Du kannst jetzt echt ehrlich sein. Hat er dich davor schon Mal geschlagen?“. Ich halte seinem Blick stand und verneine mit fester Stimme. Puh, das kriege ich gerade noch so hin.“Er hat davor nie etwas gemacht, was ich nicht wollte“. „Warum verteidigst du ihn?“ „John, ich bin dir überhaupt keine Rechenschaft schuldig, okay? Dieser Mann hat mich großgezogen und ich hatte ein angenehmes Leben bis jetzt. Weil ihm seine Hand ausgerutscht ist, werde ich nicht die ganze Zeit schlecht über ihn reden!“, meine Stimme wird lauter.
Ich weiß, dass er in meinem Inneren für mich gestorben ist, aber wenn ich es laut ausspreche, dann ist es .. offiziell. „Mach die Augen auf! Er zwingt dich zu Sachen, die du nicht möchtest!“
„Was geht dich das an? Ich bin bis jetzt auch Bestens ausgekommen, ohne jegliche Hilfe!“
Plötzlich packt mich eine unbändige Wut und ich stehe auf, möchte nur noch raus hier, bevor es weiter eskaliert. „Ich geh dann wohl besser.“ Schnell laufe ich aus dem Zimmer und ich weiß, ich hab weder meine Niqab an, noch ein Auto dabei. Aber Hauptsache weg von John. Ich höre ihn meinen Namen hinter mir rufen, aber ich reagiere nicht drauf. Ich weiß, man kann es mir im Moment nicht Recht machen und ich könnte mich für mein Gezicke selber ohrfeigen. Aber das wird mir zu viel.
Mein Vater steht vor meiner Schule und zwingt mich mitzukommen, John nimmt mich mit zu sich, meine Lüge ist rausgekommen und er meint nur, dass er damit gerechnet hat.
Er wusste die letzten zwei Wochen, dass ich es bin?
Warum hat der Penner nichts gesagt?
Ich trete gegen einen Baum, der vor mir steht und schreie im nächsten Moment auf. „Aua. Scheiß Baum“, mein Fuß pocht und ich hole mit zusammengekniffenen Augen mein Handy raus, um Layla anzurufen. Zu meinem Bedauern geht keiner ran, aber damit hätte ich rechnen müssen. Sie ist arbeiten. Ali auch. Scheiße man und mein Auto steht noch vor der Schule. Also muss ich wohl oder übel zu Fuß zu Layla.
Wenn ich doch nur wüsste, wo ich hier gerade bin.
Erst jetzt wird mir wirklich bewusst, wie viel ich von München nicht kenne. Ich konnte nicht so oft raus, nicht mit jedem, nicht überall hin, aber es hatte mir nicht viel ausgemacht, weil ich es nicht Mal wahrgenommen hatte. Aber jetzt wird es mir bewusst. Ich war wirklich fast eingesperrt und zugeschnürrt mit der Liebe und Fürsorge meiner Eltern.
Ich weiß nicht warum, aber aus Gewohnheit öffne ich meine Haare, damit man mein Gesicht nicht sieht. Sicherlich sehe ich komisch aus, ein junges Mädchen ohne Niqab aber Abaya.
Naja, ich hab mich ja sowieso bis auf die Knochen blamiert, darauf würde es jetzt auch nicht mehr ankommen.
Irgendwie schaffe ich es dann doch, den Weg zu Layla zu finden, sogar, ohne mich zu verlaufen.
Zwar haben die Leute, vor allem die Jugendlichen, wie die Idioten gestiert, aber .. egal. Wenns ihnen Spaß macht.
Vollkommen erschöpft komme ich an. Am liebsten würde ich mich ins Bett legen, aber ich hab Layla versprochen, Schule nicht zu vernachlässigen. Das ist natürlich auch in meinem Sinne.
Deshalb schnappe ich mir mein Mathebuch und fange an, irgendwelche Aufgaben zu rechnen.
Es klingt vielleicht dumm, aber auf eine Weise beruhigen sie mich.
Wenigstens komme ich auf die Lösungen der Mathegleichungen, auch wenn mir die Lösung für meine eigenen Probleme lieber wären.

Kapitel 8



Die letzte Nacht war wie die vorherigen, eine schlaflose.
John kennt mein Geheimnis jetzt und .. ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll.
Tu ich in der Schule immernoch so, als ob ich ihn nicht kenne? Und.. ob jemand was zu dem Vorfall gestern sagt? Nachdem ich gestern Abend Layla und Ali über Papas Auftauchen erzählt hatte, haben sie beschlossen, mich in die Schule und auch wieder zurück zu fahren. Eigentlich ist das nicht so in meinem Interesse, da ich den zwei sowieso eine Last bin, aber .. auf ein erneutes Treffen mit meinem Vater habe ich auch keine Lust. „Bist du fertig?“, fragt Layla, als sie mich vor dem Spiegel findet. Niqab anziehen oder nicht? Das ist die tägliche Frage.
Ich ziehe sie an.
Schlussendlich habe ich keine Lust darüber nachzudenken und nachher den Leuten die Stirn zu bieten, wenn sie mit mir reden – und ich bin mir sicher, ich werde angesprochen ohne Niqab, schließlich habe ich ja dann keinen schwarzen Umhang an und bin ab da nicht mehr gefährlich für sie .. Denken die bestimmt! Manchmal könnte ich die Leute für ihre Dummheit schlagen..
Kurzerhand binde ich mein Tuch fest und gemeinsam mit Layla laufen wir raus. Die gesamte Fahrt verläuft schweigsam und vor dem Schulgebäude schauen wir uns beide noch genau um – nach meinem Vater und anderen Verdächtigen. Nachdem die Luft rein aussieht, laufe ich raus.
Und nur weil Layla im Auto sitzt, tu ich auf Selbstbewusst und blicke nicht auf den Boden, so wie in letzter Zeit. Sie soll sich nicht noch mehr Sorgen machen.

Aber das kostet mich gerade mehr als Überwindung, denn alle Blicke haften auf mir. Sie tuscheln.
Einfach schlecht, sie versuchen es geheim zu machen, aber ich weiß ganz genau, das über mich gesprochen wird. Wo ist mein Selbstbewusstsein hin? Es ist weg! Mein geliebtes Selbstbewusstsein ist einfach weg! Jetzt, wo ich es doch so sehr brauche! „Ja.. und John war es, der sie nach mitgenommen hat?“, tuschelt ein Mädchen die ich unten im Gang höre, während ich hochlaufe. Ich schwöre, ich bin kurz davor einen von denen abzustechen. Das beweist einfach nur, dass diese kein Leben haben um welches sie sich sorgen können.
Wie immer setze ich mich nach hinten und versuche mir nichts anmerken zu lassen. Okay.. diese Blicke tragen wirklich nicht dazu bei, dass ich mir Heile Welt vorspiele!
Einer nach dem anderen betritt das Zimmer, so auch John. Er schenkt mir einen Blick, der vielleicht eine Bruchsekunde lang ist. Ich kann ihn beim besten Willen nicht deuten. John und sein bester Freund Erik scheinen die einzigen hier zu sein, die sich nicht über mich den Kopf zerbrechen.
Einerseits bin ich denen ja dankbar, aber andererseits weiß John das ich es bin, wie ich aussehe, wie ich bin .. und trotzdem ist es so, als ob er es nicht wüsste. Das tut weh.
Als dann die Klasse vollzählig ist, so wie der Lehrer, beginnt der Unterricht. Auch der Lehrer scheint von dem Vorfall gestern Wind bekommen zu haben, aber er äußert sich nicht dazu, so wie es keiner tut.
In der dritten Stunde, wir haben gerade Wirtschaft, klopft es dann an der Tür und unser Direktor persönlich betritt das Klassenzimmer. „Entschuldigen Sie für die Störung“, beginnt er seinen Besuch zu erklären. „Ich müsste nur mal mit der Soraya reden“.
Ach komm, allen Ernstes?
Er sucht mich mit seinem Blick und findet mich sofort. Ich bin ja schließlich nicht zu übersehen.
„Kommen Sie bitte mit“, fordert er mich auf. Zwar klingt er nicht böse, aber Freundlichkeit würde ich das auch nicht bezeichnen. Meine Sachen sind schnell gepackt und so verlasse ich mit ihm den Raum. Schließlich sitze ich in seinem Zimmer und warte gespannt drauf was er mir zu sagen hat.
„Nun. Ich habe gestern von einem..“, er macht gerade eine Pause, ich schätze, um nach den richtigen Wörtern zu suchen, da dieser dicke Kerl mit Glatze immer pingelig darauf achtet, möglichst klug zu klingen. „..Von einem Vorfall mit Ihnen und einem älteren Herren gehört“.
„Ja?“ „Sie werden wohl verstehen, dass uns der Ruf der Schule sehr wichtig ist und solche Unansehnlichkeiten können wir uns nicht erlauben“. „Uuund was wollen Sie mir damit sagen?“, versuche ich so höfflich wie möglich zu sagen, obwohl ich mir denken kann, in welche Richtung sich das alles bahnen wird. „Soraya, Sie haben einen hervorragenden Notendurchschnitt, aber ihr Auftreten kann ich Ihnen nicht durchgehen lassen.. Es haben sich schon etliche Schüler über Sie beschwert. Ihr Auftauchen greift das Schulklima an“. Okaaaaaaay. Der beleidigt mich gerade in höfflicher Form. „Mein Auftauchen? Wenn ihre ach so tollen Schüler nicht tolerant sind, kann ich nichts dafür“. „Wollen Sie damit sagen, Sie werden diskriminiert? Das kann ich mir nicht vorstellen“. „Glauben Sie, ich lüge?“, kommt es bissig von mir. „Ich kann Ihnen nur ein Ultimatum stellen. Entweder Sie verlassen diese Schule oder sie lassen das Gewand zu Hause. Sie können ja ein Kopftuch tragen aber ihre Abaya und die Niqab dazu.. es macht den Schülern Angst“. „Wir sind hier auf einem Gymnasium. Ihre Schüler haben alle Religions- und Ethikunterricht und sind doch gebildete Menschen? Dann sollten die doch wissen, das das alles hier“, ich mache eine großen Schwung mit der Hand um meinen Körper, „zu meiner Religion gehört und das diese zu den Weltreligionen gehört. Also mache ich hier weder etwas illegales noch sonst irgendwas dummes“. Der dicke Glatzkopf fährt sich über die verschwitze Stirn.
„Es tut mir Leid, aber es liegt nicht in meiner Macht eine Schülerin in Schutz zu nehmen, wenn sich die anderen mehr als nur unwohl in ihrer Gegenwart fühlen“.
Das wars. Der Satz hatte es mir angetan.
Wütend stemme ich meine Hände gegen den Tisch des Direktors und schaue ihn eiskalt an.
„Ich scheiße auf ihre Schüler“, zische ich, nehme meine Tasche und laufe aus dem Zimmer raus.
Toll.
Jetzt musste ich sogar gegen die Lehrkraft ankommen. Das ging doch zu weit? Scheiß Gesindel.
Die Tränen kann ich nicht unterdrücken, sie fließen einfach so aus meinen Augen und ich wische sie hastig weg. Alle anderen sind im Unterricht, so dass ich alleine im Gang bin.
Doch dann kommt gerade jemand aus dem anderen Eck des Ganges in meine Richtung.
John ist es. Daraufhin lege ich noch einen Zahn zu und bin schon aus dem Schulgebäude raus.
Ein kurzer Blick nach hinten verrät mir, dass John es ebenfalls ist. „Warte“, ruft er und ich laufe trotzdem weiter. Keine Sekunde später hat er mich eingeholt und packt mich an der Hand.
„Läufst du etwa weg von mir?“, will er süffisant wissen. „Lass mich los“, sage ich bissig und versuche mich aus seinem Griff zu befreien. Es nützt mir aber nichts. „Was habt ihr geredet?“ „Was geht dich das an“, zicke ich. „Soraya. Oder Sora. Oder wie du dich sonst noch gerne nennst, beantworte mir meine Frage und ich lasse dich gehen“. Oh man, ich möchte im Erdboden versinken. Sora.. ja, ich hatte ihm erzählt so zu heißen. Aber so gelogen war das gar nicht! Könnte ja auch mein Spitzname sein..“Okay, aber lass mich los“, gebe ich klein bei und bin bereit ihm alles zu erzählen, Hauptsache er fasst mich nicht an, denn dann kann ich überhaupt nicht mehr klar denken, wobei das bei mir gerade sowieso ein kniffliges Thema ist. „Er hat mich auf besonders höffliche Weise darauf aufmerksam gemacht, dass ich doch bitte die Schule verlassen soll, da die anderen Leute meinen Anblick nicht ertragen können“. Johns Stirn liegt in Falten als ich den Mut fasse und ihn anschaue. „Schule verlassen? Hat er dir keine andere Option geboten?“, erkundigt er sich weiter. „Entweder ich laufe hier nicht mehr so verschleiert herum, oder ich fliege“. „Und .. was machst du?“ „John.. ich hab dir gesagt was ich mit ihm beredet habe und jetzt, lass mich in Ruhe“.
„Ich versuche dir zu helfen“, seine Stimme ist ernst und fest. „Ach komm. Ich brauch deine Hilfe nicht. Und diese Scheiß Schule brauch ich auch nicht!“

Kapitel 9



Es ist Montagmorgen und ich liege in meinem Bett, starre Löcher in die Luft.
Was ich jetzt tun soll? Ich darf nicht mehr verschleiert in die Schule. Die anderen Schüler.. wie ich denen am liebsten an die Gurgel springen würde. Was fällt denen ein? Meine Anwesenheit belästigt die alle, ich zeig denen was Belästigung ist! Ich wurde mit ihren Blicken belästigt, aber egal egal, das ist Nebensache. Hauptsache die anderen fühlen sich wohl. Solche miesen Ratten..
Leise wird die Tür geöffnet, ich weiß dass es Layla ist, weshalb ich mich nicht aufrichte.
„Morgen“, höre ich sie sagen,ehe sie sich neben mich aufs Bett setzt und mich durchgehend mustert. „Was willst du heute machen? Wir müssen uns entscheiden“. Ich seufze hörbar und fahre mir übers Gesicht. „Ach keine Ahnung. Ich hab eigentlich keine Lust mehr dort hin zu gehen.. aber meine Abi Prüfungen sind in zwei Monaten und eine neue Schule suchen, wo die Leute sich an mich gewöhnen müssen, ist auch keine Lösung..“ „Dürfen die das eigentlich? Dich kurz vorm Abi aus der Schule schmeißen“, fragt Layla mich und spielt währenddessen mit einer meiner langen Haarsträhnen. „Wie es aussieht schon.. Was soll ich denn machen?“, verzweifelt schaue ich sie an.
„Ich würde einfach ohne gehen..“, meint sie nach einer Weile. Ich richte mich auf und schaue auf ihr ernstes Gesicht. „Lass dir deine Zukunft nicht von denen vermasseln“, beruhigend streicht sie mir über die Hand. „Aber .. das ist genau das was die wollen. Das ich ohne komme“. „Und? Dir gefällt es doch auch. Der einzige Grund war dein Vater.. du hast deswegen eine Backpfeife bekommen. Jetzt bist du hier,bei mir und kannst ohne gehen“. „Ich trau mich nicht..“, flüstere ich und schaue scheu auf meine Bettdecke. „Du bombst sie weg“. Layla zwinkert mir zu und steht auf, geht an meinen Kleiderschrank. Ich weiß nicht wie sie auf die Erkenntnis kommt, dass ich die anderen 'wegbomben' würde? Sie werden mich einfach wieder begaffen. „Was machst du da?“, verwirrt blinzle ich ihr hinterher. „Du meine Liebe, wirst heute deinen ersten Auftritt in der Schule haben, ohne Niqab, ohne Abaya. Und du wirst so hinreißend aussehen, dass sie den Boden mit ihrem Sabber überfluten“. „Tante Layla? Hör auf so viele unrealistische Filme anzusehen. Ich komme mir vor wie die Erwachsene von uns zwei“. Ich krieche aus dem Bett und strecke mich ausgiebig. „Das wirst du heute anziehen“, meint Layla bestimmt und reicht mir eine enge,dunkelgrüne Hose und ein schlichtes, weißes T-Shirt. Kritisch begutachte ich ihre Auswahl. „In der dunkelgrünen Hose hast du so einen geilen Arsch und das weiße Shirt betont deinen flachen Bauch und deine großen Brüste“, erklärt sie mir. Entsetzt schaue ich sie an. „Ist das dein Ernst?“, ungläubig schüttle ich den Kopf.
„Ich will nicht auf mich aufmerksam machen“. „Und ob du das willst. Glaub mir. Außerdem dulde ich keine Widerrede“. „Aber..“ Layla lässt mich nicht ausreden, sondern hält ihren Zeigefinger vor meinen Lippen. „Ich sagte keine Widerrede. So, ich gehe runter und du machst dich fertig und wehe, du ziehst was anderes an!“. Damit verschwindet sie aus dem Zimmer und nachdem ich keine andere Wahl zu haben scheine, ziehe ich mir die Sachen über. Anschließend widme ich mich meinen Haaren. Groß mache ich nichts aus ihnen, sondern binde sie mir zu einem hohen Pferdeschwanz, die mir trotzdem bis zum Rücken reichen.
Als ich dann fertig vor Layla stehe, grinst sie fröhlich vor sich hin. „Du siehst so gut aus! Und wenn wir dich erst schminken! Ich kanns kaum erwarten. Aber für den Anfang reicht das so“. Kurzerhand ziehe ich mir meine schwarzen Keds über. Layla nimmt mich bei der Hand und eilt dann zum Auto.
Mittlerweile stehen wir vor dem Schulgebäude und ich traue mich nicht aus dem Auto, weil ich schlichtweg nicht weiß, was mich an diesem Tag erwartet. Nervös zupfe ich mein Oberteil zurecht, weil ich nicht will, dass man zuviel von meiner Haut sieht. Okay, ich war jetzt schon zwei Tage ohne jegliche Verschleierung draußen, aber heute wird man wissen, dass ich es bin.. und das macht mich fertig. „Jetzt hör aber auf dir solche Gedanken zu machen. Du bist doch sonst so selbstbewusst“.
Diese Wörter bringen mich zum Nachdenken. Sie hat Recht, ich war doch immer so selbstbewusst.. „Die letzte Zeit hat mir all mein Selbstbewusstsein genommen“. „Dann erkämpfst du dir es halt zurück. Und das ist der erste Schritt“, ermutigt sie mich. „Okay.. dann.. gehe ich mal“.
Ich hänge mir meine Tasche über die Schultern und laufe dann ins Gebäude. Natürlich darauf bedacht, so taff und selbstsicher wie möglich zu wirken. Die Leute schauen mir hinterher und ich hoffe, dass sie mir meine innerliche Anspannung nicht anmerken. Prompt kommt ein Junge aus meiner Klasse, Michael, auf mich zu. Sein dreckiges Grinsen ist ziemlich .. verschreckend.
„Hallo! Ich bin Michael. Dich habe ich hier noch nie gesehen. Bist du neu? Ich kann dich rumführen. Bestimmt suchst du das Sekretariat, ich führe dich hin!“, sprudelt er alles auf einmal raus. Ich ziehe eine Augenbraue in die Höhe. Dieser Arsch hat mich besonders abschätzig behandelt, das vergesse ich nicht. „Nein, ich bin nicht neu“. Etwas verwirrt schaut er zu mir runter. „Wie? Bist du keine Schülerin?“ „Doch. Aber keine neue“, meine ich etwas arrogant. Vielleicht lässt er mich dann in Ruhe. „Süße, du kannst nicht schon immer auf diese Schule gegangen sein, du wärst mir mit deiner unglaublichen Schönheit schon längst aufgefallen“. Igitt, so ein Schleimer.
Ohne ihm zu antworten laufe ich einfach weiter. Ich frag mich grad echt, was schlimmer ist.
So angestarrt werden, weil man eine Niqab anhat oder so angestarrt zu werden, wenn man keine anhat. Irgendwie ist mir beides mehr als nur unangenehm. Im Klassenzimmer angekommen setze ich mich nach hinten, an meinen gewohnten Sitzplatz abgeschweift von den anderen.
Okay, jetzt wird es mir echt zu blöd. Ich hole mein Handy raus und gehe ins Internet. Wenigstens lenkt mich das von diesem Getuschel ab. Als ich dann die Stimme des Lehrers vernehme, lasse ich diese wieder in meine Tasche fallen. Kurz geht er die Reihen durch und bleibt bei mir hängen.
„Eine neue Schülerin?“, seine Augenbrauen wandern in die Höhe. Soll ich antworten? Bis jetzt hat man ja auch nicht mit mir geredet, also.. warum sollte ich ? Deshalb schüttle ich bestimmt den Kopf. Irritiert schaut mich der Mann an. „Junge Dame, es tut mir Leid, man hat mir wohl nicht mitgeteilt, dass wir eine neue Schülerin bekommen, aber das ist kein Grund unhöfflich zu werden. Also, wenn Sie bitte nach vorne kommen und sich vorstellen würden!“. Für den Bruchteil der Sekunde frage ich mich, was ich tun soll. Anschließend seufze ich und stehe auf. In mir brodelt es. Neben dem Lehrer drehe ich mich der Klasse zu und schaue sie abschätzig an.
Ihr Ideoten habts mir echt nicht leicht gemacht. „Mein Name ist Soraya und wie bereits gesagt, bin ich keine neue Schülerin, sondern seit 3 Jahren hier in der Klasse. Nachdem ihr so intolerant wart und mich bei dem Schuldirektor schlecht gemacht habt, wie sehr ich doch das Klima hier bedrücke, wurde ich aufgefordert, entweder ohne mein Gewand zu kommen oder die Schule zu verlassen“.
Meine Stimme klingt eiskalt, worauf ich gerade mehr als nur stolz bin.
Es ist still und keiner traut sich irgendwas zu sagen. „Soraya, wir.. intolerant, dass ist bestimmt ein Missverständnis“, versucht der Lehrer sich rauszureden,nachdem er einige Zeit gebraucht hat, um sich zu fassen. „Nein, kein Missverständnis. Aber soll mir egal sein. Machen Sie einfach weiter mit ihrem Unterricht“. Ich setze mich zurück an meinen Platz und erdolche jeden mit meinem Blick, der es wagt, mich dumm anzuschauen.
Der Unterricht verläuft nicht so wie üblich. Man merkt Herr Schmidt an, dass ich ihn ziemlich aufgewühlt habe. Doch das ist mir so Schnuppe.
In der Pause beschäftige ich mich mit irgendwas, Hauptsache nicht mit diesen blöden Tussen, die laut über mich reden. Eigentlich würde ich gerne mal meine Meinung über diese Barbie Explosionen äußern, aber am 'ersten' Tag Ärger zu machen, das versuche ich mir dann doch zu verkneifen.
Unser Mathelehrer ist gefasster auf mich und nachdem er mich ausgiebig begafft hat, führt er seinen Unterricht fort. Bestimmt hat Herr Schmidt die anderen Lehrer im Lehrerzimmer gewarnt. Haha, irgendwie witzig, wenn ich mir das gedanklich ausmale. Und auch diese zwei Stunden sind vorbei, so dass ich anschließend nach Hause kann. Layla wartet vor dem Gebäude, sie hat mir eine SMS geschickt. Sie hatte das auf der Arbeit irgendwie hinbekommen, die Schicht so hinzubiegen, dass sie mich immer hin und zurück fahren kann.
John habe ich die ganze Zeit gekonnt ignoriert. Das hat mich besonders Überwindung gekostet.

Bevor ich jedoch aus dem Zimmer kann, betritt unser lieber Direktor dieses. Er sucht mich, dass sehe ich ihm an. Und als sein Blick mich findet, sehe ich große Überraschung in seinen Augen aufblitzen. „Soraya, würden Sie mitkommen?“, fragt er mich und das Getuschel geht wieder von vorne los. Genervt verdrehe ich meine Augen und sitze dann gleich darauf, wieder auf dem Sessel im Zimmer des Direktors. „Wie ich sehe, haben Sie beschlossen, weiterhin hier her zu kommen. Gut! Wäre auch Schade gewesen, bei Ihren Noten“. Ich sitze mit verschränkten Armen gegenüber von ihm und nicke leicht. „Auf jeden Fall müssten wir dann noch etwas anderes klären. Sie müssten dann auch zukünftig im Sportunterricht mitmachen“. „Meinetwegen, obwohl ich keinen Sinn darin sehe .. in zwei Monten sind die Abiprüfungen und dann gibt’s auch kein Unterricht mehr und in diesem kleinen Zeitraum will man dann zwei Noten von mir machen und ins Abschlusszeugnis setzen? Okaaay, sie sind hier die Lehrer, sie müssen wohl wissen, was sie machen“. Mit aufgerissenen Augen schaut er mich an und sucht nach den richtigen Wörtern. Innerlich schmunzle ich. Da hab ich dich wohl plattgemacht. „Ab nächster Woche .. machen Sie mit. Und jetzt können sie gehen“.
Etwas verzweifelt wedelt der dicke Mann mit seiner Hand. Das lasse ich mir nicht zwei Mal sagen und so stehe ich auf und verlasse das Zimmer.

Vor der Tür begegne ich John, der wohl auf mich gewartet hat. Ich schenke ihm ein kurzes lächeln und will eigentlich an ihm vorbeilaufen, kann aber nicht, nachdem er mich laut und deutlich bei meinem Namen nennt. Man! Den ganzen Tag hab ich versucht ihn nicht zu beachten, aber .. wenn er mir Beachtung schenkt, ist es das schönste auf der Welt. Es hört sich so fantastisch an, wenn er meinen Namen nennt. So besonders und ganz anders, als wenn es aus den Mündern anderer Menschen kommt. „Ja?“, ich drehe mich zu ihm um und blicke in sein viel zu gutaussehendes Gesicht. „Was habt ihr besprochen?“, fragt er mich gelassen. Auf eine Weise verwirrt der Typ mich. Am Freitag haben wir uns noch gestritten und heute kommt er zu mir, als ob nichts wäre. „Er meinte nur, jetzt müsse ich auch am Sportunterricht teilnehmen, aber erst ab nächster Woche“. John nickt nur und bevor ich mich umdrehen kann um weiter zu laufen, höre ich ihn wieder reden. „Lust heute Nachmittag was mit mir zu unternehmen?“ Überrascht schaue ich ihn an. „Du weißt, dass wir gerade voll beobachtet werden, ne?“
John zuckt mit seinen Achseln. „Daran solltest du gewöhnt sein“, meint er schlicht.
„Also, klar.. Warum nicht?“, beantworte ich seine Frage und sehe als Reaktion ein warmes lächeln in seinem Gesicht. „An der Bank im Park?“, fragt er und steckt sich gelassen die Hände in die Taschen seiner dunkelblauen Jeans. „Nein, hol mich ab“, kurz gebe ich ihm meine Adresse und laufe anschließend raus, wo ich Layla entdecke, die mit ihrem Blick die Leute zu analysieren scheint.„Erzähl mir alles“, gegrüßt sie mich am Auto und zieht mich in eine Umarmung. "Warum hast du so lange gebraucht?", will sie neugierig wissen und schaut mich aus ihren großen Augen an. Ich lache nur und im Auto fange ich an, über meinen Tag zu erzählen.

Kapitel 10

Am späten Nachmittag klingelt es an der Haustür. Noch bevor es ein weiteres Mal klingelt, renne ich die Treppen runter ins Erdgeschoss und begutachte mich noch kurz vor dem Spiegel.  „Hey“, begrüße ich John, der wie immer die Lässigkeit in Person scheint. „Wollen wir raus?“, fragt er und zeigt mit seinem Daumen hinter sich. „Komm erst Mal rein“, mit einer einladenen Geste lade ich ins Haus und zusammen laufen wir hoch in das Gästezimmer. „Du wohnst aber nicht hier, oder?“, schlussfolgert er logisch. „Nein.. das ist das Haus von meiner Tante und ihrem Mann. Ich bin nur so lange hier .. bis sich alles wieder beruhigt hat“. Wir setzen uns auf das Bett und nervös zupfe ich an meinem T-Shirt, während ich ihn beobachte. John scheint es zu bemerken, denn er legt seine Stirn in Falten. „Was ist?“, fragt er mich daraufhin. „Du traust dich hierher, nachdem ich so zickig war? Ich wäre längst über alle Berge..“
John lacht leise und präsentiert mir seine perfekten Zähne. „Über alle Berge also?.. Ne, ich nicht. Aber du kannst es gutmachen, indem du mir alles haargenau erzählst“, fordert er. Mit großen Augen schaue ich ihn an. „Warum interessiert es dich so?“ „Erst beantworte du mir alles und dann antworte ich“. Ich seufze hörbar und fange an zu erzählen. Darüber, wie ich mich mit meiner Ganzkörperverschleierung abgefunden habe, meine Eltern weg waren, Layla mich bestärkt hat, er mich zu einem Date ausgeführt hat, der Streit mit meinem Vater. Einfach alles. Alles bis auf die Tatsache, dass ich verdammt verliebt in ihn bin. Und mit jedem weiteren Satz, den ich herausbringe, verfinstert sich Johns Gesicht zunehmend. „Ja.. und jetzt bin ich hier“. „Sicher, dass dein Vater nicht noch Mal handgreiflich wird?“, hakt er nach. „Ich.. glaube nicht“. „Du glaubst?“. Johns Hände ballen sich zu Fäusten und er wirkt wütend.  „ Lass uns nicht darüber reden,okay?“, bitte ich ihn und lege meine Hand auf seine rechte Faust. John entspannt sich und nachdem ich merke, wie nahe ich ihm aufeinmal gekommen bin, nehme ich die Hand wieder schnell weg und versuche etwas Abstand zu gewinnen. „Über was dann?“ „Du hast mir meine Frage nicht beantwortet“, weise ich ihn hin. „Es interessiert mich weil .. ich weiß nicht warum. Deine Probleme.. das ist so ganz anders als die kleinen 0815 Probleme über die sich die anderen beschweren. Und du.. du beschwerst dich nicht“. Ich presse meinen Mund zusammen und nachdenklich starre ich Löcher in die Luft. „Was würde sich ändern, wenn ich mich beschweren würde?“, frage ich leise. „Du hättest eher das Kopftuch ablegen können“. „Ja und damit meinen Vater verlieren.. früher verlieren. Ich weiß nicht ob sich das alles lohnt“. Ich schaue ihn an, in der Hoffnung, vielleicht eine gute Lösung aus seinem Gesicht entnehmen zu können. Aus diesem viel zu gutaussehenden Gesicht. „Ist er dir so wichtig?“, in Johns Stimme liegt so etwas wie Ungläubigkeit. „Natürlich. Er ist mein Vater. Ich war immer seine Prinzessin..“ In mir kommen wunderschöne Kindheitserinnerungen hoch. Wie Pa mich Huckepack getragen hat, mit mir Fahrrad gefahren ist, mir erfundene Geschichten seiner Kindheit erzählt hat, nur weil er wusste, dass sie mich abgöttisch zum Lachen brachten. Eine wunderbare Kindheit hatte ich und das einzige was mein Vater als Gegenleistung wollte, war das ich mein Stolz, meine Schönheit für mich behalte und sie nicht teile. Das hatte er mir erklärt.. „Es wird sich schon alles wieder beruhigen“, aufmunternd schaut er mich aus seinen brauen Augen an und zu gerne würde ich auch so optimistisch denken können. „Hoffentlich.. Egal. Also, auf was hast du Lust?“, versuche ich das Thema zu wechseln und die bedrückende Atmosphäre zu verscheuchen. „Keine Ahnung, bei unserem ersten Treffen habe ich mir was ausgedacht, jetzt bist du dran“, meint er schulterzuckend. Kurz denke ich an unser erstes Date, was mich zum Schmunzeln bringt. „Das was du mir gezeigt hast, kann ich dir leider nicht bieten, aber...“, kurz überlege ich, was wir machen könnten, „Wir haben den Kühlschrank voller Essen, gutes Wetter. Setzen wir uns raus?“ John fängt an zu lachen, laut zu lachen. Verwirrt mustere ich ihn. „Du denkst immer ans Essen“, teilt er mir seine Gedanken mit. Theatralisch lasse ich meinen Kopf sinken. „Ich gebs zu!“ Ich stehe auf, gefolgt von John. „Ist doch schön, dass du nicht wie andere Mädchen auf jede Kleinigkeit bezüglich Essens achtest“. Mein Blick gleitet zu ihm, gefolgt von meinem lächeln, bevor wir die Küche erreichen und alles aus den Schränken holen, was wir finden.

Keine halbe Stunde später sitzen wir im Garten. Der Tisch ist voll mit allem Erdenklichen. Süßigkeiten, Obst, Getränken.  Während John genüsslich sein Bier trinkt, mache ich mich über die Erdbeeren her. „Erzähl. Wie war der Tag als 'Freie'?“ John legt sein Bier beiseite und schaut mich erwartungsvoll an. „Komsisch. Ich war davor zwar auch 2 Mal ohne draußen.. das erste mal seit Jahren, aber da wussten die Leute ja nicht wer ich bin aber heute .. heute kam raus wie die verschleierte Terroristentochter in Wirklichkeit aussieht“. „Besser als sie je hätten erwartet. Ich wette mit dir, die Mädchen wünschen sich, dass du dich wieder zudeckst, damit du ihnen nicht ihre Show stielst“.  Johns zwinkern bringt meinen gesamten Körper zum kribbeln. Ich lache und versuche meine Unsicherheit vor ihm zu verstecken. Meinte er gerade, dass ich schön aussehe? „Ich will niemanden die Show stehlen. Naja, ich hoffe, es beruhigt sich alles in der Schule“. 

So vergeht auch der restliche Tag. Ich habe das Gefühl, John seit Jahren zu kennen. Wir reden so intensiv, lachen die ganze Zeit unbeschwert und erneut frage ich mich, ob es sein kann. Ob es wirklich so einen perfekten Menschen wie ihn geben kann.  Mittlerweile ist es dunkel und noch immer sitzen wir draußen, schauen dem klaren Sternenhimmel entgegen. Layla und Ali sind immer noch nicht zurück. Nachdem ich ihnen beteuert hatte, auch ohne sie klar zu kommen, haben sich die zwei entschieden, zusammen essen zu gehen.  Gut für mich, so kann ich die Zeit mit John genießen, ohne das Laylas Blick an uns klebt.

Wir schweigen. Aber es ist ein angenehmes Schweigen. Jeder geht seinen Gedanken nach. „An was denkst du?“, fragt mich John nach einer Weile. An ihn,über ihn. Aber das sage ich ganz bestimmt nicht. „Was hättest du gemacht, wenn ich weiterhin so verschleiert in die Schule gekommen wäre? Hättest du dich weiterhin mit mir geredet?“ Lange Zeit antwortet er nicht, so dass ich mir nicht sicher bin, ob er meine Frage nicht gehört hat oder ob er mir die bittere Wahrheit nicht sagen möchte. Es verletzt mich. „ Ich weiß nicht, was ich gemacht hätte“. Die Trauer breitet sich in mir aus, die Tatsache, dass John mich vielleicht nicht akzeptieren würde, geht mir Nahe.  Er scheint es zu bemerken, denn seine Finger legen sich leicht um meinen Kinn und zwingen mich, ihn anzuschauen. „So meinte ich das nicht“, versucht er sich rauszureden. „Doch. Aber ich kanns dir nicht übel nehmen. Wie das aussehen würde, wenn jemand wie du dann mit nem schwarzen Kartoffelsack rumläuft. Die Leute würden dich nicht mehr in Ruhe lassen“. Langsam schüttelt John den Kopf. „Es ist mir egal, was die anderen sagen. Ich .. ich wäre nicht klar gekommen, weil du dich weiterhin unterdrücken lassen würdest. Würdest du all das aus deinem Willen machen, hätte ich kein so rießiges Problem damit.. also, schon.. aber.. ich weiß ja schließlich wie du aussiehst. Aber gegen deinen Willen? Dir zuzuschauen wie du dich selber fertig machst..? Das kannst du nicht von mir erwarten“. Zurückhaltend entziehe ich ihm mein Gesicht und schaue wieder in den klaren Himmel.  „Ich sollte vielleicht besser gehen“, meint er daraufhin. Ich nicke und so stehen wir auf, bringe ihn  vor die Haustür. Meine plötzliche Distanz geht an John nicht vorbei und so ist er nicht bereit zu gehen. „Soraya. Wenn du wusstest,dass du mit meiner Antwort nicht klar kommst, warum hast du gefragt? Ist es dir lieber, ich lüge?“ „Nein.. nein, natürlich nicht. Aber..“, ich halte inne, suche nach den richtigen Wörtern. „Egal. Vergessen wir das Thema“. „Sicher?“, John macht erneut einen Schritt auf mich zu und sein Blick ist so intensiv, ich glaube zu schmelzen. Der sieht bestimmt in mich rein. „Ganz sicher“, meine Stimme klingt fest und überzeugend.  Johns Mund ziert ein lächeln, bevor er im darauffolgenden Moment seine Lippen auf meine presst. Ohne Vorwarnung, ohne ein verräterisches Zeichen. Sie schmecken noch besser, fühlen sich noch unglaublicher an, als ich sie in Erinnerung habe.  Doch so blitzartig, wie er mich geküsst hat, so blitzartig beendet er auch den Kuss, steht mir aber immer noch so nahe, dass sein Atem mein Gesicht kitzelt. „Sorry. Ich hab versucht mich den ganzen Tag zurück zu halten, aber ich musste einfach“.  Aus meinem Mund kommt kein weiterer Ton und so lässt mich John alleine zurück, öffnet die Türe und verschwindet in der Dunkelheit.

Impressum

Texte: Die Texte wurden von mir verfasst und gehören mir.
Bildmaterialien: Das Bild ist aus Google
Tag der Veröffentlichung: 29.12.2012

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /