Cover

Kapitel 1

Glasgow, Mai 2016

 

Zieh dich warm an, haben sie gesagt. Es ist arschkalt in Schottland, haben sie gesagt.

Mir bricht der Schweiß aus, während ich in Pulli, Daunenweste und Mütze am Flughafen von Glasgow stehe. Um mich herum rollen käseweiße Menschen in kurzer Kleidung und seligem Lächeln ihre Trolleys aus dem Gebäude. Ich frage mich gerade, ob ich vielleicht versehentlich ein falsches Flugticket gebucht habe und es noch ein anderes Glasgow gibt, das auf den Bahamas liegt. Obwohl mir London, wo ich zwischenlanden und umsteigen musste, ziemlich normal vorgekommen war. Normal, wie man sich London eben vorstellt: mit Regen. Aber was zur Hölle ist denn bitte mit Glasgow passiert? Ich bin irritiert.

Ein Blick auf die Wetter-App meines iPhones verrät eindeutig: Glasgow, 11°C, Regen. Na bitte. Warum scheint dann hier einfach die Sonne und alle laufen gutgelaunt in kurzer Kleidung herum, wenn der Geist von Steve Jobs darauf besteht, dass es anders ist? Ich werde jetzt einfach trotzig sein und meine Mütze aufbehalten, die mir mittlerweile bis zu den Augenbrauen hinuntergerutscht ist, auch wenn meine Kopfhaut inzwischen so feucht ist, wie ich das schottische Wetter erwartet hatte. Es ist doch gerade erst Mitte Mai! Kein Zeitpunkt, zu dem man in diesen Gefilden einen Sommer erwartet. Und die App, verdammt nochmal, hat mir auch keinen angekündigt! Höchstens zwölf Grad hat sie mir für die nächsten zwei Wochen vorausgesagt. Zwölf. Hier sind aber mindestens zweiundzwanzig. Wenn ich bedenke, wie die Garderobe in meinem viel zu schweren Reiserucksack so bestückt ist, wird mir gleich noch gefühlte zehn Grad wärmer, denn die vielfältige Auswahl an Fleecepullovern, dicken Jeans und Wollsocken wird garantiert dafür sorgen, dass mir keinen Moment zu kalt wird. Zum Teufel noch eins!

Grummelnd halte ich Ausschau nach einem Schild mit meinem Namen. Ich habe eine private, geführte Tour in einer kleinen Gruppe gebucht, die innerhalb einer Woche vom Loch Lomond an den Loch Ness und von dort wieder südwärts quer durch die Highlands nach Edinburgh führen soll, wo sich die Gruppe trennt und jeder seiner Wege gehen darf. Die zweite Woche möchte ich zur Hälfte in Edinburgh verbringen und dann noch bis zur Heimreise ins heimatliche Texas ein paar Tage in London verweilen. Ich wollte schon lange einmal nach Europa reisen und habe mich letztendlich für Schottland entschieden, weil dort vor vielen Jahren meine Vorfahren hergekommen waren. Vielleicht finde ich ja etwas über meine Wurzeln heraus. Zum Beispiel, ob mein Urururgroßvater ein flüchtiger Verbrecher war. Zumindest weiß ich jetzt schon mal, dass es hier doch nicht nur windig und regnerisch sein kann. Schöne Scheiße.

Ein paar Schritte weiter, neben einem Kleinbus, entdecke ich endlich eine ältere, hagere Frau, die ein Schild mit der Aufschrift ADRIEN CAMPBELL und noch weiteren, nicht englischen Namen in die Höhe hält. Ich winke ihr zu und mache mich eilig auf den Weg zu ihr hinüber, während mein schwerer Rucksack mich wie ein vollbeladenes Kamel schwanken lässt. Ein wenig fassungslos schiebt die Frau ihre Sonnenbrille hoch, während sie beobachtet, wie ich, ausgerüstet wie für eine Expedition an den Nordpol, auf sie zuwanke.

»Adrien Campbell?«, fragte sie, wobei sie meinen Nachnamen äußerst seltsam betont.

»Ja, der bin ich.«

Ihr Blick über den Rand ihrer Sonnenbrille wird noch merkwürdiger und erinnert mich an einen Grottenolm. »Hallo und willkommen«, begrüßt sie mich mit einem breiten, schottischen Akzent und streckt wortlos ihre Hand nach meinem Rucksack aus. »Schwitzt du nicht?«

Da ich mir ziemlich sicher bin, dass diese kleine Koboldin unter dem Gewicht meines Gepäcks kollabieren würde, hebe ich abwehrend die Hände. »Ich kann ihn auch selbst in den Kofferraum legen. Und nein, mich friert.«

Sie zuckt mit den Schultern und öffnete die Heckklappe. Als ich meinen Rucksack hineinbugsiere, stelle ich fest, dass bereits andere Gepäckstücke im Kofferraum liegen und die dazugehörigen Besitzer bereits im Bus warten. Ah, ich hasse diesen peinlichen Moment, in ein wartendes Auto voller Fremder zu steigen, aber ich versuche wie üblich, meine Unsicherheit durch ein freundliches Lächeln wettzumachen.

»Hi«, grüße ich und die fünf anderen Personen im Bus grüßen zurück. Ich setze mich neben eine Frau Mitte fünfzig und eine weitere, die vermutlich ihre Tochter ist, denn sie sieht aus wie ein jüngerer Abklatsch der ersten. Beide tragen ungünstig geschnittene, tarngrüne Cargoshorts, die ihnen bis zur Hälfte der Wade reichen und stoppelig rasierte Haut präsentieren. Im Falle der Jüngeren zu allem Übel auch noch mit einem unscharf tätowierten Schriftzug versehen.

»Hellooo!«, begrüßt mich die Ältere mit einem breiten Grinsen. »My näim is Birgit änd sis is my daughter Daniela.« Sie stupst die Tochter unsanft mit dem Ellenbogen an, um deren Aufmerksamkeit zu erregen.

Aha. Deutsche. Ich nicke ihnen freundlich zu und Daniela schenkt mir ein kaugummikauendes Grinsen. »Ich bin Adrien«, füge ich der Vollständigkeit halber an. Man will ja nicht unhöflich sein.

Birgit nickt eifrig und flüstert ihrer Tochter etwas zu, woraufhin diese aufgeregt kichert. Peinlich berührt wende ich meinen Blick nach vorn auf die drei schwarzhaarigen Köpfe einer japanischen Familie: Mutter, Vater, Sohn. Immerhin tragen auch die Regenjacken und ich komme mir nicht mehr ganz so bescheuert vor.

Offenbar sind wir nun vollzählig, denn die Grottenolm-Frau setzt sich hinter das Steuer, lässt den Motor an und fährt los. Als wir das Flughafengelände verlassen, schaltet sie einen kleinen Lautsprecher an und macht eine Durchsage: »Ich begrüße Sie alle herzlich hier in Schottland. Ich bin Susan und hoffe, Sie hatten eine angenehme Anreise. Ich werde Sie jetzt zu Ihrer Unterkunft in Arrochar bringen. Das ist ungefähr eine Stunde Fahrtweg. Genießen Sie den schönen Ausblick in die Landschaft an der Grenze zwischen den Lowlands und den Highlands, bei diesem traumhaften Wetter. An Ihrer Unterkunft wird Sie dann mein Großcousin Lachlan begrüßen, der die weitere Reiseleitung übernimmt.« Sie dreht das Radio auf und es spielt erfreulich klischeehafte Dudelsackmusik, die uns allen wohl helfen soll, uns noch besser auf den bevorstehenden Urlaub einzustimmen.

Wie könnte ich bloß am besten die eine oder andere Schicht meiner Kleidung loswerden, ohne allzu sehr mit Birgit und Anhang auf Tuchfühlung zu gehen? Das ist äußerst schwierig, denn die beleibte Dame sitzt praktisch auf meinem Schoß. Wie ein Entfesselungskünstler, eingeklemmt zwischen Gurt und Sitznachbarin, schaffe ich es zumindest, mich von meiner Daunenweste zu befreien, aber für den Sweater, den ich mir über den Kopf ziehen müsste, sehe ich schwarz und behalte ihn lieber an.

»Ganz schön warm, he? Wärri warm?«, fragt Birgit in ihrem gebrochenen Englisch.

»Hm«, gebe ich zurück und versuche, eine bequeme Stellung zu finden, was nicht ganz einfach ist, da meine Knie die ganze Zeit am Vordersitz scheuern. »Nicht das, was ich erwartet hätte.«

»Daniela und ich sind schon das zweite Mal in Schottland!«, schreit Birgit mir unnötig laut ins Ohr und fügt noch unnötiger hinzu: »Daniela ist siebenundzwanzig! Twänti-sewen!«

Ich nicke und tue so, als habe ich kein Wort verstanden und als hätten mich auch keine kleinen Spuckesprenkel an der Wange getroffen. Aber als ich mich zum Fenster drehen möchte, um ein wenig die vorbeiziehende Stadt zu betrachten, stupst Birgit mich an der Schulter an.

»Änd you?«

»Einunddreißig«, gebe ich zur Auskunft, obwohl das die Frau eigentlich gar nichts angeht. Abermals rempelt sie ihre schon beinahe eingeschlafene Tochter an und nickt ihr verschwörerisch zu.

Sweet Jesus, ich sitze noch keine zehn Minuten im Bus und schon will mich offensichtlich jemand verkuppeln. Das ist ja wie zu Hause. Dort versucht auch ständig jemand, mich an den Mann, oder besser gesagt an die Frau zu bringen. Als ich mich vor über sechs Jahren geoutet habe, waren dem ein paar bestürzte Blicke und das eine oder andere »Bist du sicher?« gefolgt, nur um dann alle Bemühungen, die passende Frau für mich zu finden, noch weiter zu verstärken.

»Das ist sicher nur eine Phase«, hatte meine Mutter angemerkt. »Wenn du erst die Richtige triffst, dann ist die ganz schnell wieder vorbei.« Mein Vater hatte derbere Worte gefunden: »Junge, dich muss nur mal eine so richtig rannehmen, dann vergisst du den Quatsch mit den Männern ganz schnell wieder!«

Gefolgt waren endlose, demütigende Verkupplungsversuche und am Ende bot mein Vater mir sogar an, einen Bordellbesuch zu bezahlen, nur um mir den Sex mit Frauen doch noch schmackhaft zu machen. Ich habe dieses Angebot selbstverständlich ausgeschlagen. Seither ist das Maß für mich vorerst voll und ich habe den Kontakt zu meinen Eltern eingeschränkt und besuche sie meist nur noch an den Geburtstagen, Thanksgiving und Weihnachten. Wo sie nach wie vor nicht müde werden, mich zu fragen, ob ich denn endlich mal das Schwulsein aufgegeben habe.

Hier in Westeuropa, so wurde es mir gesagt, sollen die Menschen weitaus offener und toleranter sein als in vielen Ecken des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten. Aber gerade deshalb steht mir noch weniger der Sinn nach Verkupplungsaktionen einer wildfremden Frau mit ihrer gelangweilten, übriggebliebenen Tochter. Demonstrativ wende ich meinen Blick von meiner Sitznachbarin ab und hinaus zum Fenster, wo sich beim Verlassen des Stadtgebiets schon die ersten hügelig-sanften Ausläufer der Natur zeigen. Ich bin müde. Ich bin seit gestern Mittag ununterbrochen wach und habe auf dem Flug von Houston nach London keinen Schlaf gefunden. Der fordert jetzt umso heftiger seinen Tribut, und das Brummen des Motors, das leichte Schaukeln des Busses und die leise Dudelsackmusik tun ihr Übriges dazu.

**

Ich wache erst wieder auf, als der Bus anhält, um eine kleine Rast zu machen.

»Wir sehen hier die ersten Ausläufer des Loch Lomond«, erklärt Susan. »Wenn Sie wollen, können Sie kurz aussteigen und ein Foto machen.«

Das lässt sich die japanische Familie nicht zweimal sagen und springt aus dem Auto wie aus Schleudersitzen. Auch ich habe das Bedürfnis, mir kurz die Beine und die mittlerweile wundgescheuerten Knie zu vertreten und steige dankbar aus. Mein linker Oberschenkel, der permanent in engem Kontakt mit Birgit gestanden hat, fühlt sich verschwitzt an und ich zupfe verstohlen an dem klammen Jeansstoff. Ich kann es kaum erwarten, zu duschen und mich umzuziehen. Was auch immer von meinen dicken Sachen ich anziehen soll.

Der Ausblick ist in der Tat wundervoll. Die von bewaldeten Hügeln und im Hintergrund von schroffen Felsformationen umgebenen Wellen schimmern in der Nachmittagssonne und lassen die am Ufer vertäuten Boote sanft schaukeln. Ich halte die Nase in die Sonne, atme die Luft ein – und rieche Gras. Gras zum Rauchen. Irritiert blinzle ich über die kleine Mauer, die die Uferböschung von der Straße abgrenzt, und erblicke vier Jugendliche, die gemütlich auf einer Picknickdecke sitzen und in aller Seelenruhe einen Joint rauchen. Schottland verspricht ja wirklich interessant zu werden. Grinsend schieße ich ein Foto mit meinem iPhone, dessen Wetter-App immer noch steif und fest behauptet, es würde regnen, und will gerade zurück in den Bus steigen, als Birgit mir in den Weg tritt:

»Willst du in der Mitte sitzen? Du ju want tu sit in se middel?«

»Nein, danke«, wehre ich ab. No, sänks. Aber diesmal tut Birgit so, als habe sie mich nicht verstanden und schiebt mich mit Nachdruck in den Bus, sodass ich beinahe mit dem Gesicht in Danielas Schoß lande. Eingekeilt zwischen den zwei urinblonden Damen gibt es kein Entrinnen mehr. Birgit drängt mich mit ihrem cargobehosten Becken subtil gegen ihre rotbackige Tochter, die mir erneut ihr kaugummikauendes Grinsen zuwirft. Ich schreie innerlich auf und stelle mir vor, wie auf der Fahrt einfach die Bustüren auffliegen und Birgit und Daniela links und rechts hinauspurzeln. »Wie weit ist es noch?«, rufe ich verzweifelt nach vorn zu Susan. Hoffentlich nicht noch gefühlte tausend Kilometer, ich sterbe hier.

»Sind gleich da«, erwidert sie zu meiner Erleichterung. »Wir sind praktisch schon im Ort.«

Tatsächlich hat sie nicht gelogen und nur wenige Minuten später erreichen wir unser Ziel: das Lakeside B&B, ein Bed & Breakfast mit angeschlossenem Pub direkt am See, das uns für die kommenden zwei Nächte eine Unterkunft bieten soll. Sweet Jesus, bitte mach, dass man mir kein Zimmer direkt neben Birgit und Daniela zuteilt, denn das wäre mein sicherer Untergang. Wir steigen aus und Susan begleitet uns bis zur Rezeption, wo alle einchecken dürfen.

»Welche Zimmernummer hast du?«, will Birgit prompt wissen und klappert mit dem Schlüsselbund, den sie direkt an ihren Brustbeutel gehängt hat. »Which room number häff ju?«

Mit Entsetzen blicke ich auf die große Neun, die auf dem Schildchen an Birgits Schlüsselbund prangt. Ich schlucke. »Acht«, krächze ich leise.

»Wondervoll!«, kreischt sie. »Wir sind Nachbarn! We are näibörs!«

Ich habe das spontane Bedürfnis, in Tränen auszubrechen und mich in den See zu stürzen, in der Hoffnung, von einem Monster gefressen zu werden. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass ich stattdessen von Birgit und Tochter gefressen werde, ist ungleich höher.

»Ich bin entzückt«, presse ich zwischen den Zähnen hervor und will mich klammheimlich davonstehlen, aber Birgit kennt keine Gnade, schlingt einen Arm um meine Taille und zieht mich mit sich. Wir verlassen alle gemeinsam die Rezeption, ich stolpernd wie ein Besoffener, und gehen draußen eine Treppe hinunter, die am B&B vorbei zu den Terrassen führt. Ein wunderbarer Blick auf den See bietet sich hier, dazu einladend, Platz auf einem der Stühle zu nehmen und die Natur zu genießen.

Und dort steht er, wie aus einem Reiseprospekt entsprungen, in einem rotgrün karierten Kilt, die strammen Waden in Strümpfen, der sichtlich trainierte Oberkörper in schwarzer Weste und Jacke und das kastanienfarbene Haar und der gepflegte Vollbart schimmernd in der Nachmittagssonne: der Highlander. Na ja, oder zumindest so etwas Ähnliches.

 

Kapitel 2

»Willkommen in meiner schönen schottischen Heimat«, begrüßt uns der Highlander mit einer Stimme, mit der er vermutlich jeder Callcenter-Agentin einen Orgasmus ins Ohr quatscht, wenn er nur »Kein Interesse« sagt. »Mein Name ist Lachlan MacDonald und ich bin für die kommende Woche Ihr Reiseleiter.«

Birgit und ich geben das gleiche heisere Fiepen von uns. Wir werfen uns einen irritierten Blick zu, bevor sie sich an Lachlan wendet: »My näim is Birgit!« Sie grinst und ihre Wangen flecken sich purpurrot vor Freude.

»Sei doch still!«, raune ich ihr entsetzt zu und fürchte, meine Wangen sind mindestens genau so rot wie ihre. »Der Highlander hält gerade eine Ansprache!« Verdammt. Das war zu laut. Jetzt drehen sich nicht nur Birgit und Daniela, sondern auch die japanische Familie und Lachlan zu mir um.

Letzterer hat den Kommentar mit dem Highlander eindeutig gehört und seine Miene macht keinen Hehl aus seiner Entgeisterung, aber er schweigt dazu und fährt stattdessen in seiner Rede fort: »Ich freue mich, eine so bunt gemischte Reisegruppe begrüßen zu dürfen, mit Gästen aus Japan, Deutschland und«, sein blaugrüner Blick streift mich, »Sibirien.«

Panisch reiße ich mir die Mütze vom Kopf, die ich trotz juckender Kopfhaut irgendwie dort vergessen habe, und versuche eilig, mit den Fingern meine vermutlich völlig plattgedrückten Haare ein wenig aufzulockern. Ein kleines, ziemlich amüsiertes Grinsen zuckt in Lachlans Mundwinkeln und ich würde am liebsten im Erdboden versinken. Oder, wie vorhin, von einem schottischen Seemonster gefressen werden. Warum tauchen die nie auf, wenn man sie braucht? Schöne Scheiße. Der schottische Traum auf Beinen hält mich wahrscheinlich gerade für einen bescheuerten Ami und ich gebe mir auch wahrlich alle Mühe, wie einer zu wirken.

»Sie können jetzt erst einmal in Ruhe auf Ihre Zimmer gehen, Ihre Sachen auspacken und sich ein wenig akklimatisieren. Zu Abend essen können Sie im Pub nebenan, bei diesem schönen Wetter auch draußen auf den Terrassen. Aber denken Sie daran, der Pub hat um zwanzig Uhr Küchenschluss. Trödeln Sie also nicht zu lange.« Er schenkt uns allen ein Lächeln, von dem mir auch ohne Mütze der Schweiß ausbricht. »Wir werden uns sicher beim Abendessen sehen. Wenn Sie Fragen haben, kommen Sie gern auf mich zu. Ich bin in Zimmer Nummer fünf. Ansonsten treffen wir uns morgen um neun Uhr. Der Highlander hat gesprochen.« Er zwinkert mir geradezu schelmisch zu und entlässt uns alle mit einer Geste.

Die Gruppe zerstreut sich und jeder versucht zuerst, sich mit seinem Gepäck durch die schmale Eingangstür zu drängen. Auch Birgit und Daniela, was mir einen Moment Verschnaufpause von ihnen verschafft. Als hätte sie meine Gedanken gehört, dreht Birgit sich um und macht eine Geste, als wolle sie irgendwo anklopfen. »Wir klopfen nachher mal bei dir an, Nachbar! We nogg on your door läiter!«

Ich heule auf und denke darüber nach, meine Mütze wieder aufzusetzen, sie bis zum Kinn hinunterzuziehen und Löcher hineinzuschneiden, um sie als Maske zu tragen. Ein Jammer, dass der Sohn der japanischen Familie erst ungefähr dreizehn ist, sonst würde sie vielleicht eher denen auf den Wecker fallen. Auch wenn es böse ist, jemand anderem dieses Unglück zu wünschen. Lachlan entfernt sich derweil in Richtung Parkplatz. Ich fasse einen spontanen Entschluss und hechte ihm hinterher. »Highlander! O Highlander, höre mich an!«

Er fährt herum und weist gebieterisch mit einem Finger auf mich. »So sprich, aber wähle deine Worte weise, Sassenach

Mir entfleucht ein nervöses Lachen, weil er, so glaube ich jedenfalls, auf meinen Scherz eingegangen ist. Ich muss mich selbst mit einem Räuspern zur Ordnung rufen. »Es geht um mein Zimmer«, bekenne ich zähneknirschend. »Und was ist ein Sassenach

»Ein Sassenach ist ein Fremder. Einer, der nicht aus den Highlands kommt. Du hast dir das Zimmer doch noch gar nicht angesehen, oder?«

Sweet Jesus, dieser Akzent ist so sexy, dass es wehtut. »Mir geht es nicht um die Einrichtung oder so, eher um die … Lage. Um meine direkten Nachbarn.«

»Wer sind die?«

»Die beiden Damen. Mutter und Tochter.«

»Ach, ihr gehört gar nicht zusammen?«, fragt Lachlan verwundert.

»Nein! Um Gottes willen!« Ich bin entsetzt. Hat er mich wirklich zu diesen beiden Schabracken gezählt? »Die beiden sind sehr aufdringlich und genau das ist der Punkt. Ich fühle mich belästigt.«

»Oh.« Lachlan tätschelt mir mitleidig die Schulter. O mein Gott. Ich werde den Pullover, den der Highlander berührt hat, nie wieder waschen. Und nachher ganz verstohlen an dem Schulterstück schnüffeln. »Du bist doch schon ein großer Junge … wie heißt du nochmal?«

»Adrien«, grummele ich.

»Adrien. Du bist doch schon ein großer Junge und wirst dich wohl nicht vor zwei Frauen fürchten, oder?«

»Pah! Unterschätze sie nicht, o Highlander, sie –«

»Genug Highlanderwitze jetzt, ja?«, unterbricht er mich mit einem missfälligen Stirnrunzeln.

Ich sinke schlagartig ein wenig in mir zusammen. »Entschuldigung«, murmele ich kleinlaut. »Ich glaube, die beiden Damen sind von der Sorte, die einen Mann ans Bett fesseln und dann an ihm rumspielen.«

Erstaunt reißt er die beinahe petrolfarben wirkenden Augen auf. »Jetzt komm aber!«

»Die haben mich im Bus schon fast absorbiert«, erkläre ich drängend. »Und jetzt hat mir Birgit gerade angedroht, nachher bei mir zu klopfen.«

Lachlan feixt in sich hinein und sein Blick wirkt nicht mehr ganz so streng. »Wir können das Zimmer tauschen, wenn dich das beruhigt.«

»Das würdest du tun, Highlander?«, frage ich pathetisch. »Dich für mich opfern?« Lachlan räuspert sich. Ach, verdammt, ich habe schon wieder einen dummen Witz gerissen. »Entschuldigung ...«

»Noch ein Highlanderspruch und du schläfst mit den beiden in einem Bett«, droht er mir an. »Na los, komm mit!« Ich folge ihm ins Haus hinein. Er führt uns zu seinem Zimmer in der ersten Etage. »Ich muss nur schnell meine Sachen wieder einpacken, ich hatte mich schon häuslich eingerichtet.«

Er hatte schon ausgepackt? Wie peinlich! Und jetzt komme ich Dramaqueen und gehe ihm auf den Sack. Prima. »O je …«, ich räuspere mich, »ich dachte, du hast vielleicht noch gar nicht ausgeräumt. Mach dir keine Umstände meinetwegen, ich werde mich schon irgendwie gegen meine zwei neuen Freundinnen zur Wehr setzen, wenn sie mir allzu sehr auf die Pelle rücken.«

»Schon gut«, winkt er ab und beginnt bereits, seine Sachen zusammenzulegen. »Ich will ja nicht, dass du morgen nicht mehr laufen kannst, wenn wir ein Stück des West Highland Ways entlangwandern.«

Sweet Jesus, dieser Hintern unter den karierten Kiltfalten. Welcher Wahnwitz hat eigentlich meine Vorfahren dazu getrieben, dieses großartige Fleckchen Erde namens Schottland zu verlassen? »Heißt du wirklich Lachlan MacDonald?«, entfährt es mir und ich schlage mir erschrocken auf den Mund. Dumme Fragen stellen stand auf der Liste mit Dingen, die ich nicht mehr tun wollte, doch ganz oben!

Lachlan wirft mir einen komischen Blick über die Schulter zu. »Natürlich, wie soll ich denn sonst heißen? Oh, lass mich raten.« Er stopft sein letztes Kleidungsstück in seine Reisetasche und drehte sich zu mir um. »Highlander

»Nein! Sorry, das war nur ein dummer Spruch, weil du einfach ...« Ich breche händeringend ab. Ich manövriere mich gerade mal wieder von einer Peinlichkeit in die andere.

»Weil ich was?«, hakt er nach und sendet mir einen strengen Blick.

»Na ja … du bist ganz schön schottisch. Fast ein bisschen klischeehaft.«

»Ehrlich?« Lachlan zupft an seinem Kilt. »Ist mir gar nicht aufgefallen.«

»Ach komm. Ich meine, man stellt sich einen Schotten eben genau so vor wie dich.«

»Aha.« Er macht den Eindruck, als wolle er mich gleich lauthals auslachen, und ehrlich, ich hätte es auch nicht anders verdient. »Ich würde ja sagen, dass man sich einen Amerikaner so vorstellt wie dich, und zum Teil stimmt das sogar, aber insgesamt bist du ein bisschen zu dünn dafür.« Er zwinkert mir wieder auf diese schelmische Weise zu, die mein Herz ein bisschen zum Flattern bringt. Mit einem nachdrücklichen Ratschen schließt er den Reißverschluss seiner Tasche und begibt sich zur Tür. »Übrigens – du hast recht. Mein richtiger Name ist gar nicht Lachlan MacDonald.« Er lacht so tief und leise, dass ein Kribbeln durch meinen gesamten Körper läuft. Er trifft genau meine Frequenz. »Eigentlich heiße ich Braveheart

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 26.04.2017

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /