»Ronin!«, rief der Fette. »Sieh mal, was wir hier haben!«
Der Mann, der schließlich auf den Ruf hervortrat, war alles andere als ein Zwerg, und sein Gesicht war auch nicht mit Ruß beschmiert, sondern harsch geschoren, so dass die dunklen Bartstoppeln durch die ansonsten helle Haut schimmerten. Cailean begriff augenblicklich, warum man diesen Mann den schwarzen Ronin nannte: mit seiner dunklen Kleidung, dem ölschwarzen Haar und der Raubvogelnase erinnerte er ihn ein wenig an eine Krähe. Er mochte um die dreißig sein, aber vielleicht wirkte er auch einfach nur älter als er tatsächlich war.
»Wer ist das?«, fragte Ronin, nachdem sein Blick mit einem geradezu gelangweilten Ausdruck an Cailean auf und ab gewandert war.
»Ein Spion, sagen die beiden«, erklärte der mit dem Stiernacken und nickte zu Munro und Iona.
»Aha?« Ronin nahm seinen Blick nicht von Cailean, aber seine Augen, die wie zwei Smaragde in den Tiefen einer Miene aus seinem Gesicht leuchteten, verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Wie ist Euer Name?«
»Cailean Machberon.« Er hielt dem Blick stand, aber er hätte ohnehin nicht wegsehen können. Der Mann hatte eine seltsame Aura um sich. Nicht sympathisch, auch nicht direkt attraktiv, aber auf eine seltsame Art faszinierend. Es war diese bestimmte Ausstrahlung, die einen Menschen zu einem Anführer machte.
»Nie gehört«, schnaubte Ronin und verzog verächtlich den Mund. »Und was habt Ihr hier verloren in der Einsamkeit am Rande des Kentyre-Gebirges?«
»Ich wandere umher«, gab Cailean zur Auskunft. »Ich bin gewissermaßen ein Eremit.«
»Ein Eremit?« Skeptisch hob Ronin eine Augenbraue. »Ihr seht erstaunlich gepflegt aus für einen Einsiedler, mit Eurem glatten Gesicht. Seit wann scheren Eremiten sich den Bart? Für wen?« Mit jedem Wort kam der Schwarze einen Schritt näher, bis nur noch wenige Handbreit sie trennten.
»Leider gehöre ich nicht zu der Sorte Mann, der ein Bart wächst«, versetzte Cailean und lächelte amüsiert.
»So? Kann man jemanden überhaupt einen Mann nennen, dem kein Barthaar sprießt?«, rief der Grobschlächtige und die Umstehenden lachten. Alle, außer Ronin.
»Ich glaube Euch kein Wort«, zischte der Schwarze ihm zu und Cailean spürte dessen heißen Atem auf seinem Gesicht.
»Was für ein Jammer«, flüsterte Cailean zurück.
Ronin gab ein leises Knurren von sich und trat einen Schritt zurück. »Und außerdem redet Ihr wie einer von jenseits der Brücke. Euer Akzent verrät Euch. Ihr seid keiner aus Eilean Moryd.« Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.
»Nun, das habe ich auch nie behauptet«, gab Cailean zu bedenken.
»Ah.« Ronin hob das Kinn. »Und woher kommt Ihr dann? Oh, lasst mich raten: Lundium. Direkt aus den Tiefen von Lyall Machnairns Hintern, nicht wahr?«
Wieder lachten alle Umstehenden und diesmal ließ sich auch der Schwarze zu einem Schmunzeln hinreißen.
»Ich bin diesem Lyall noch nie begegnet«, gab Cailean zurück, »und nein, ich komme nicht aus Lundium. Ich komme auch nicht von jenseits der Brücke. Ich komme von jenseits des Meeres.«
»Tharog?«, fragte Ronin und runzelte die Stirn.
Cailean nickte und seine Gedanken flogen für ein Moment zu dem benachbarten Inselreich, von dessen Küste er vor vielen Monaten zur Nordinsel Balians – oder, wie man hier sagte: Eilean Moryd – aufgebrochen war.
»Dann seid Ihr also ein Spion der Könige jenseits des Meeres? Aneiryn Athanavi und Riaghán Arachsúil?«
Die Namen droschen wie Peitschenhiebe auf Cailean hernieder und er schüttelte den Kopf. »Ich bin kein Spion, wie oft soll ich das denn noch sagen?«
Ronin nickte langsam und wandte sich zu den Umstehenden. »Bringt ihn in meine Hütte«, befahl er mit einem Handwink. »Ein paar Stunden mit mir allein – oder vielleicht sogar nur Augenblicke – werden die nötigen Informationen schon aus ihm herausziehen.«
»Die Spezialbehandlung, Ronin?«, fragte der Fette und Cailean blickte mit Abscheu in sein geiferndes Gesicht.
Der Schwarze nickte. »Er will es ja nicht anders. Und was dich angeht, Iona«, er wandte sich zu der jungen Frau, »solltest du es noch einmal wagen, dich entgegen meiner Anweisung auf eine solch gefährliche Mission zu begeben, werde ich dich in deiner Hütte anketten lassen. Es ist absolut unangemessen, in deinem Zustand solche Wagnisse einzugehen!« Es klang wie das Knurren eines wilden Hundes.
Caileans Blick flog zu dem Mädchen, und erst jetzt entdeckte er die kaum wahrnehmbare, aber doch eindeutig vorhandene Wölbung ihres Bauches. Sie ist schwanger, stellte er fest und fragte sich, ob der schwarze Ronin wohl der Vater des Kindes war. Gemessen daran, wie erbost er auf Ionas kleinen Ausflug reagierte, war das ziemlich wahrscheinlich.
»Manchmal hasse ich dich wirklich!«, keifte die junge Frau und stapfte wütend davon.
Jemand boxte Cailean unfein in den Rücken und er setzte sich in Bewegung, während der Stiernackige ihn wieder am Seil hinter sich her führte. Sie begaben sich zu einer der schäbigen Hütten und Cailean wurde grob hineingestoßen. Beim Hinausgehen versetzte der Fette ihm einen Hieb in die Rippen, der ihm den Atem nahm.
»Viel Spaß«, höhnte der Kerl und machte sich davon.
Ronin packte das lose Seilende, das von Caileans gefesselten Händen herabhing und befahl ihm, sich auf den einzigen Stuhl zu setzen, der in dieser Kate vorhanden war. Der Wanderer, der so langsam bereute, sich seiner Entführung so freiwillig hingegeben zu haben, tat, wie ihm geheißen und der Schwarze benutzte das herabhängende Seil, um ihn an den Stuhl zu binden.
Cailean hatte erwartet, nun einem Verhör unterzogen zu werden und war umso verwunderter, als Ronin stattdessen einen Kessel Wasser über dem Herdfeuer erhitzte, getrocknete Kräuter in einen Becher gab und diese schließlich mit dem kochenden Wasser aufgoss. »Es war ein langer Tag«, sprach er, ließ sich mit einem Seufzen auf einer Bank gegenüber dem Stuhl nieder und nahm einen Schluck aus dem Becher.
»Tee?«, fragte Cailean und zog eine Braue in die Höhe. »Nicht Ale oder Wein zum Abend?«
Ronin lehnte sich zurück und sein rechter Mundwinkel hob sich zu einem freudlosen Lächeln. »Ich trinke niemals Ale oder Wein. Es vernebelt die Sinne und ich bin lieber zu jeder Zeit bei klarem Verstand.«
»Wie lobenswert. Und was habt Ihr Euch da aufgebrüht?«
Der Schwarze blickte in den Becher und schwenkte die Flüssigkeit hin und her, um sie abzukühlen. »Getrocknete Sommerblüten und etwas morydisches Schneekraut.«
»Schneekraut?« Cailean horchte auf. Schneekraut war, richtig angewandt, ein starkes Beruhigungsmittel. Warum mischte der Kerl sich das in den Tee? »Habt Ihr Schlafprobleme?«
»Gelegentlich«, beschied der Schwarze kurz angebunden, stellte den Becher beiseite und erhob sich. »Aber wir wollen nicht über mich reden, sondern über Euch, Cailean Machberon.«
»Nun, es gibt nicht wirklich viel über mich zu erzählen«, beschied er ihn.
»Das werden wir sehen.« Ronin öffnete einen Lederbeutel, der von einem Haken an der Wand hing, und zog einen kleinen Gegenstand heraus. Das Ding bestand aus zwei Platten, innen mit spitzen Zähnen besetzt, und einem Gewinde.
Daumenschrauben, dachte Cailean und atmete tief durch. Nein, das, was er sich als lustiges Abenteuer vorgestellt hatte, nahm langsam ziemlich ungesunde Züge an. »Ich bin gespannt, wie Ihr das Ding an meine Daumen bekommen wollt, wo doch meine Hände hinter meinem Rücken gefesselt sind«, bemerkte er mit einem hochmütigen Lächeln.
Der Schwarze gab einen amüsierten Laut von sich und taxierte ihn aus seinen grünen Augen. »Wer hat gesagt, dass ich Eure Daumen dazwischenklemmen will?«
Cailean schluckte, fand aber sogleich seinen Sarkasmus wieder. »Ich fürchte, für andere Teile braucht Ihr weitaus größere Daumenschrauben.«
»Ach ja?« Der Mundwinkel wanderte wieder nach oben. »Was nicht passt, das schneide ich mir zurecht.« Seelenruhig macht er sich daran, Caileans Fesseln zu lösen.
»Habt Ihr keine Angst, dass ich Euch niederschlage, sobald meine Hände frei sind?«
»Ich vertraue darauf, dass meine Reflexe schneller sind als Euer unsinniges Vorhaben.« Er zerrte ihm die Hände hinter dem Rücken hervor und führte sie vorn wieder zusammen.
Es wäre ein guter Moment für Cailean gewesen, dem Mann einen Kinnhaken zu verpassen, sich vom Stuhl loszubinden und aus der schäbigen Hütte zu flüchten, jedoch lagen seine Hände schwer wie Blei in seinem Schoß und wollten ihm einfach nicht gehorchen. So hatte Ronin ein leichtes Spiel, ihm die Hände wieder zusammenzubinden.
»Dass Ihr überhaupt keine Gegenwehr leistet, lässt zweierlei Schlüsse zu«, begann der Schwarze im Plauderton, »der eine wäre, dass Ihr immer noch glaubt, ich wolle Euch nur ein wenig Angst einjagen und würde die Daumenschrauben nicht wirklich benutzen. Der andere wäre, dass Ihr Schmerzen liebt.«
»Vielleicht bin ich aber auch einfach nur beeindruckt von Eurer Autorität und füge mich daher meinem unausweichlichen Schicksal«, bemerkte Cailean spitz.
»Ihr tätet besser daran, Euch nicht über mich lustig zu machen, denn ich habe kein Problem damit, an den Schrauben zu drehen, bis Euch die Knochen knacken.« Mit einer beinahe gelangweilten Miene führte Ronin Caileans Daumen zwischen die Platten. »Also, beginnen wir noch einmal von vorn. Wie lautet Euer Name?«
»Cailean Machberon, wie ich schon sagte.«
»Lügner!« Ronin drehte ein wenig an dem Gewinde. »Ihr sagtet, Ihr kommt aus Tharog. Warum solltet ihr dann einen morydischen Vatersnamen tragen? Niemand in Tharog heißt Mach-soundso.«
»Nun, da mögt Ihr recht haben. Ich habe diesen Namen gewissermaßen adoptiert, um in Balian besser zurechtzukommen.«
»Dieses Land hier heißt Eilean Moryd und was Ihr redet, ist grober Unfug. Ihr nehmt einen morydischen Nachnamen an, um hier besser zurechtzukommen, aber gleichzeitig behauptet Ihr, ein Eremit zu sein? Wozu braucht ein Einsiedler bitteschön einen Namen? Glaubt ja nicht, Ihr könnt mich für dumm verkaufen. Ihr werdet mir jetzt sagen, wie Euer Name in Tharog gelautet hat.« Er stellte die Schrauben noch enger und Cailean sog scharf die Luft zwischen den Zähnen ein.
»In Tharog … in Tharog war ich einfach Cailean, Sohn des Beron«, stieß er hervor.
»Und woher kommt Ihr? Aus der Hauptstadt?«
»Nein. Aus einem winzigen Dorf.«
»Warum sprecht Ihr die caorganische Sprache?«
»Weil ich gebildet bin und jeder gebildete Mann die Schrift- und Handelssprache der fünf Inselreiche sprechen sollte.«
»So so. Ein gebildeter Mann aus einem winzigen Dorf in Tharog, der Fremdsprachen spricht. Äußerst glaubwürdig.« Er drehte wieder an dem Gewinde. »An Eurer Stelle würde ich mich so langsam dazu entschließen, doch lieber die Wahrheit zu sagen. Für wen spioniert Ihr? Wer hat Euch geschickt?«
»Niemand.«
Ronin drehte fester. »Wer?«
»Niemand.«
Noch fester. »Wer?«
»Niemand!«
Und fester. »Wer schickt Euch?«, schrie Ronin ihn an.
»Niemand!«, schrie Cailean zurück und atmete hastig zwischen zusammengepressten Zähnen. Der Schmerz war widerlich und zog ihm bis ins Hirn. Aber ich habe schon ganz andere Foltermethoden ausgehalten, dachte er und blieb hart. Außerdem sagte er die Wahrheit. Er war kein Spion und niemand hatte ihn nach Eilean Moryd geschickt. Es war seine eigene Entscheidung gewesen.
Noch ein winziges Stück drehte Ronin weiter. Cailean wollte schreien, doch er biss sich auf die Lippen.
»Wer schickt dich?«, zischte der Schwarze ein weiteres Mal, sein Gesicht nur eine Spanne breit vor Caileans, und ließ jede Förmlichkeit beiseite.
»Kein … verdammtes … Schwein … auf dieser Welt«, brachte er abgehackt hervor.
Ronin nahm einen tiefen Atemzug und zu Caileans Überraschung befreite er ihn von den Daumenschrauben. »Du sagst die Wahrheit«, erklärte er ein wenig missmutig. »Ich sehe es in deinen Augen. Und trotzdem traue ich dir nicht.« Er strich sich mit einer Hand über das stoppelige Gesicht und löste schließlich mit einem Seufzen die Fesseln. »Verschwinde schon.«
Cailean erhob sich mit einem erleichterten Stöhnen. Seine Daumen pochten noch immer schmerzhaft, vor allem jetzt, wo das Blut in sie zurückkehrte, aber der Schwarze hatte ihm wenigstens die Knochen nicht gebrochen. »Ich hatte schon befürchtet, du würdest mich die ganze Nacht hindurch foltern, bis ich mir irgendeine verrückte Geschichte ausdenke, nur um dir das zu sagen, was du gerne hören willst.«
»Das ist nicht nötig. Ich erkenne es, wenn jemand lügt und wenn er die Wahrheit sagt. Darin habe ich genug Erfahrung. Ich foltere nicht aus Freude daran, sondern einzig und allein zur Wahrheitsfindung.«
»Ah«, machte Cailean. »Folter ist eine wirklich dumme Methode zur Wahrheitsfindung, wenn du mir diese Anmerkung erlaubst. Irgendwann gesteht jeder alles.«
»Deshalb sagte ich ja, ich foltere nicht aus Freude und auch keine ganze Nacht durch. Richtig angewandt kann sie jedoch durchaus zweckdienlich sein.« Ronin war einen halben Kopf kleiner als Cailean, aber dennoch schien es so, als könne er ihm geradewegs in die Augen sehen.
»Wirst du mir verraten, warum du überhaupt glaubst, dass jemand Interesse daran haben könnte, euch hier auszuspionieren?«
»Du weißt also wirklich nicht, wer wir hier sind?«, fragte Ronin erstaunt.
»Nein«, gestand Cailean. »Sollte ich?«
»Nun«, erklärte der Schwarze, »vielleicht ist das für einen Tharoganer auch ein wenig viel verlangt. Ich bin Ronin Machmoirean, man nennt mich auch den schwarzen Ronin, wie du sicher mitbekommen hast, und warum man das tut«, er sah an sich hinab, »nun ja, ich denke, das ist ersichtlich. Ich bin ein Freiheitskämpfer. Wir alle hier sind Freiheitskämpfer.«
»Und um welche Art von Freiheit geht es euch?«, erkundigte sich Cailean vorsichtig. »Ihr kommt mir nicht wie Gefangene vor.«
Ronin schnaubte verächtlich. »Und doch sind wir es. Gefangen in einem illegitimen Königreich. Es gibt kein Balian. Es gibt nur Sarcas, südlich der Brücke, und Eilean Moryd, das sind wir. Zwei Länder. Balian hingegen ist ein künstliches Gebilde, erschaffen von einem Größenwahnsinnigen und dessen verachtungswürdigem Nachfolger. Als der Tyrann Halvor nach der Schlacht der zwei Brücken vom Angesicht der Erde verschwand und den Thron verwaist hinterließ, da dachten wir, nun sei dieses dunkle Zeitalter vorbei und Eilean Moryd könne in seine Unabhängigkeit zurückkehren. Weit gefehlt, denn Lyall Machnairn ist nicht weniger größenwahnsinnig als der irre Balian und sein widerlicher Sohn.«
»Was ist mit Halvor geschehen?«, fragte Cailean und senkte das Haupt.
»Man weiß es nicht genau. Aber da er nach der Schlacht wie vom Erdboden verschluckt war, nehme ich an, er ist tot. Es gab Gerüchte, dass die Soldaten des Königs von Caorgan seinen Leichnam in Stücke gehackt und in das Meer geworfen haben, so sehr wurde er gehasst. Wundern würde es mich kein bisschen.«
Cailean nickte. Was für ein unwürdiges Ende für König Halvor, dachte er. »Und ihr handvoll Menschen denkt, ihr könnt Machnairn von seinem Vorhaben abhalten?«
Ronin lachte auf und es klang wie kaltes Metall. »Natürlich nicht. Bist du wirklich so dumm oder stellst du dich nur so?« Er verschränkte die Arme. »Vielleicht ist das ja auch nur ein Trick, um Informationen aus mir herauszubekommen. Ich traue dir nach wie vor nicht. Andererseits erzähle ich dir gerade nichts, was Machnairns Lauscher nicht ohnehin schon längst wissen. Sagt dir der Name Alasdhair Tasgall etwas?«
Cailean nickte abermals. Der Name sagte ihm allerdings etwas. Aber was hatten diese Menschen hier mit ihm zu tun? »Der ist doch im Exil in Eharland?«, versetzte er verwundert.
»Dort war er lang, ja. Der Tyrann Halvor hat Tasgall dorthin geschickt, nachdem er – leider erfolglos – einen Aufstand gegen ihn angeführt hat.«
»Und jetzt ist er wieder da?«
»O ja«, Ronin zeigte eines seiner merkwürdigen Lächeln, bei denen er nur einen Mundwinkel nach oben zog. »Ja, das ist er.«
»Wo ist er?«
Der Schwarze verengte die Augen. »Du wirst mir langsam zu neugierig, Cailean Machberon. Ich denke, du solltest jetzt lieber gehen, bevor ich es mir anders überlege und dich doch noch einem weiteren Verhör unterziehe.« Er reichte ihm sein Bündel. »Verschwinde.«
Cailean neigte den Kopf zum Gruß. »Leb’ wohl, schwarzer Ronin. Ich wünsche dir und deinem Rudel viel Erfolg bei eurer Mission.«
»Vielen Dank.« Ronin rechter Mundwinkel zuckte abermals. »Ach, Cailean?«
Ehe er reagieren konnte, packte der Schwarze ihn bei der Kapuze und riss sie ihm vom Kopf. Als er erblickte, was sich darunter verbarg, sog er scharf die Luft ein und wich einen Schritt zurück. »Warum ist dein Haupt geschoren, Einsiedler? Bist du ein Betbruder? Einer dieser Missionare, die diese seltsame Religion verbreiten, in der es nur einen Gott gibt, der unsere alten Götter verdrängen will?«
»Ronin, Ronin«, entgegnete Cailean tadelnd, »deine Unterstellungen werden wirklich immer schlimmer. Ich habe mir das Haupt geschoren, weil ich niemanden habe, der mir sonst die Läuse herauspflückt, das ist alles.« Das war gelogen. Er schor sich aus ganz anderen Gründen das Kopfhaar, aber die hatten den Rebellen nicht zu interessieren.
»Hm.« Der Schwarze blinzelte. »Vielleicht sollte ich hier im Lager auch den einen oder anderen kahl scheren. Ich hasse Läuse, Flöhe und Ungeziefer im Allgemeinen.«
»Oh, glaube mir, das größte Ungeziefer tummelt sich nicht auf den Köpfen der Leute, sondern darin.«
Diesmal erreichte das Lächeln des Schwarzen sogar beinahe seine Augen. »Wahre Worte, Wanderer.«
»Wie dem auch sei. Leb’ wohl. Und versuche es in deinem Tee anstelle von Schneekraut lieber mit Baldrianwurzel, wenn du sie irgendwo bekommst. Sie wirkt sanfter und man bekommt davon keine Albträume oder dieses entnervende Händezittern am nächsten Tag.«
Ertappt verbarg Ronin seine Hände hinter dem Rücken und Cailean zog sich die Kapuze wieder über den Kopf, nahm sein Bündel und wandte sich ab.
Er ignorierte die scheelen Blicke, die die anderen Menschen in dem Rebellenlager ihm zuwarfen, und machte sich daran, den Hang wieder hinaufzusteigen, den er vor ein paar Stunden an ein Pferd gefesselt hinabgeführt worden war. Er hörte, wie die Leute tuschelten, aber niemand hielt ihn auf. Nach einer Weile verstummten die Geräusche der menschlichen Ansiedlung und die Einsamkeit hatte ihn wieder. Doch nun, da er seit Monaten einmal wieder mit jemandem geredet hatte, erschien sie ihm erdrückend. Seine Gedanken flogen zu Ronin und er stieß unwillkürlich ein kleines, amüsiertes Schnauben aus. Was für ein merkwürdiger Kerl. Er stellte sich vor, wie der Schwarze mit seiner hübschen kleinen Frau in der schäbigen Kate hockte, bald mit einem Säugling im Arm, wenn alles gutging. Wie mochte Ronin wohl als Vater sein? Cailean hatte das Bild eines Mannes vor Augen, der sein Kind voll stolzer Strenge erzog. Zu einem Menschen, der sich für Freiheit und Gerechtigkeit einsetzte, auch wenn er damit aneckte. Der Gedanke schmerzte Cailean ein wenig, weil er ihn an frühere Zeiten erinnerte. An die Hoffnungen, die er an sein Leben gehabt hatte und wie dann doch alles anders gekommen war.
Auf der nächsten Anhöhe blieb er einen Moment stehen und versuchte, sich zu orientieren. Es wurde jetzt rasch dunkel und es wurde langsam schwierig, den Weg zurück zu seiner Höhle zu finden. Der Wind war unangenehm kalt und er hatte keine Lust, bei diesem Wetter nur in die Wolldecke gehüllt, die ihm ansonsten als Bündel fungierte, zu schlafen. Plötzlich war es ihm, als trüge der Wind Stimmen zu ihm heran. Sie konnten nicht aus der Rebellensiedlung kommen, denn die lag hinter ihm und der Wind blies ihm ins Gesicht, außerdem war er auch schon viel zu weit davon entfernt. Vorsichtig schlich er zum nächsten Felsen und ging dahinter in Deckung. Es dauerte nicht lange, bis sich zwei Silhouetten aus der Dämmerung schälten und die Stimmen deutlicher wurden.
»... in dieser verdammten Einöde hier!«
»Ja, Hawel, denkst du, mir gefällt es hier? Aber sie können nicht mehr weit sein. Ich habe das im Urin.«
»Du verlangst von mir, auf deine Pisse zu vertrauen?«
»Das ist ein Sprichwort, Dummkopf.«
Sie waren jetzt ganz nah. Würde der Wind nicht so gnadenlos heulen, würde Cailean es kaum wagen, zu atmen.
»Lass uns hinter der Anhöhe ein Lager aufschlagen«, hörte er den Zweiten wieder sagen. »Die andere Seite des Hanges ist besser vor dem Wind geschützt. Morgen finden wir die Bastarde, ich schwöre es dir.«
»Und wehe nicht. Wenn es nur ein jämmerlicher Haufen ist, werde ich allen persönlich die Kehle aufschlitzen, egal ob Mann, Frau oder Kind, und nicht erst auf die hochmütige Soldatenbrut des Königs warten«, erklärte der erste.
»Das wirst du nicht tun, du Idiot!«, fuhr der andere auf. »Du kennst den Befehl des Königs. Wir sind nur hier zur Auskundschaftung, den Rest erledigen die Soldaten. Außerdem will er Tasgall und den schwarzen Machmoirean lebendig!«
Caileans Herz pochte, dass es ihm im Schädel dröhnte. Was für eine Ironie, dachte er. Mich nimmt man gefangen, weil man mich für einen Spion hält, und nun treffe ich auf echte Spione, die es tatsächlich auf Ronin und seine Meute abgesehen haben. Er musste sie dringend warnen. Er musste schnellstmöglich zu der Rebellensiedlung zurücklaufen und Ronin dazu drängen, das Lager abzubrechen und zu flüchten, bevor die Kundschafter – oder noch schlimmer, die Soldaten Lyall Machnairns – sie ertappten. Er wusste selbst nicht genau, warum er ein so großes Bedürfnis hatte, den Rebellen zu helfen, aber er war sich sicher, dass er es bereuen würde, wenn er einfach dabei zusah, wie man sie niedermachte.
Die Spione hatten die Anhöhe erreicht und Cailean presste sich so nah wie möglich an den Felsen, um nicht entdeckt zu werden. Er musste einen Weg zurück zur Siedlung finden, ohne von den Kundschaftern entdeckt zu werden, was sich in einer kargen Landschaft, die hauptsächlich aus Moos und Steinen bestand, als nicht allzu einfach erweisen würde. Auf Zehenspitzen schlich er sich rückwärts aus seinem Versteck, immer den Feind im Blick. Doch dann stolperte er über ein Hindernis. Steine rollten hörbar den Hang hinab und erregten die Aufmerksamkeit der beiden Männer. Er hatte keine Chance mehr, sich zu verstecken.
»He da!«, rief einer von ihnen, sprang auf und zückte seine Waffe. »Bleib stehen!«
Tag der Veröffentlichung: 22.12.2016
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Widmung:
Das Buch meines Herzens.