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Herzweh & Zahnklopfen: Leseprobe

»Mein Name ist Veit, ich bin 34 Jahre alt, zwei Meter groß, von Beruf Zahnarzt, esse gern Aufläufe aller Art und hasse Frauenfüße in Perlonstrümpfen – ist das eigentlich Ihr Ernst?« Die Dame von der Partnervermittlungsagentur zieht fragend eine übertrieben gezupfte Braue in die Höhe als sei ich ein Kannibale, der einen Freiwilligen sucht, der sich an Silvester als Fondue zubereiten lässt.

Ich kratze mich am Kopf. »Nun ja, also … Sie sagten doch, ich solle mir eine kurze, knackige Persönlichkeitsbeschreibung überlegen. Und das ist sie.«

»Es ist also ein wesentliches Merkmal Ihrer Persönlichkeit, dass Sie Frauenfüße in Perlonstrümpfen hassen?« Sie schüttelt den Kopf und beißt von ihrer Frikadelle ab, deren Geruch den ganzen Raum erfüllt.

»Ich mag das wirklich nicht!«, bringe ich zu meiner Verteidigung hervor.

»Wissen Sie, was diese Persönlichkeitsbeschreibung über Sie aussagt?« Sie hält die angebissene Frikadelle im Pinzettengriff, während sie mich mit einem vernichtenden Blick mustert, und leckt sich über die fettglänzenden Lippen.

»Sie werden es mir bestimmt gleich mitteilen«, entgegne ich.

»Freak«, sagt sie.

»Okay.« Ich knete den Henkel meines Rucksacks und starre auf meine Turnschuhe, die mal wieder eine Runde in der Waschmaschine drehen müssten. »Und ist das jetzt direkt schlecht?«

»Ganz schlecht, junger Mann. Ganz schlecht.« Sie beißt wieder von ihrer Frikadelle ab und kaut so geräuschvoll, dass ich mir am liebsten die Ohren zuhalten möchte.

»Haben Sie denn einen besseren Vorschlag?«, frage ich hauptsächlich, um sie vom Kauen abzuhalten.

»Was sind denn so Ihre Hobbys?«, erkundigt sie sich und es fällt mir ein wenig schwer, mich auf die Frage zu konzentrieren, weil ich die ganze Zeit auf den Frikadellenkrümel starren muss, der auf ihre Unterlagen gefallen ist und einen kleinen Kreis aus Fett in das Papier beizt.

»Also ich, äh ...« Ich muss wirklich überlegen. »In meiner Freizeit sehe ich gern fern. Von 19:40 Uhr bis 20:15 Uhr. Ansonsten gehe ich einkaufen. Wenn der Kühlschrank leer ist. Ich schlafe am Wochenende gern aus, aber nicht zu lang, weil sonst mein Biorhythmus durcheinanderkommt.«

»Um Gottes Willen.« Sie beißt wieder von der Frikadelle ab.

»Sagen Sie, könnten Sie vielleicht mal aufhören zu essen, während ich hier bin? Ich bin hungrig und hier riecht es permanent nach Zwiebeln und gebratenem Hack, und außerdem weisen Ihre Kaugeräusche auf eine Kieferfehlstellung hin.«

Die Dame, auf deren weißem Pappschildchen der klangvolle Name Jacqueline-Nadine Wuschnetzki steht, gibt mir mit ihrem Blick deutlich zu verstehen, dass sie nicht im Traum daran denkt, meinetwegen ihr kaltes Fleischküchlein zur Seite zu legen. »Sind Sie wirklich erst vierunddreißig?«, fragt sie gallig.

»Ja, wieso?«

»Sie sehen älter aus.«

»Wie alt sehe ich denn aus?«, frage ich ein wenig getroffen.

»Hm.« Provokativ schiebt sie sich das letzte Stück Frikadelle in den Mund und antwortet erst, nachdem sie geräuschvoll gekaut und alles hinuntergeschluckt hat: »So zweiundvierzig.«

»Na herzlichen Dank auch.« Prima, und dafür habe ich meinen Makkaroniauflauf geopfert und verpasse eine Folge meiner Lieblingsserie? Wenn ich das gewusst hätte …

»Also so wie das jetzt ist, wird keine Frau sich auf Ihre Anzeige melden«, resümiert sie kopfschüttelnd und bohrt sich mit sehr mangelhafter Diskretion mit dem Fingernagel in den Zahnzwischenräumen herum.

»Das ist doch gut«, entgegne ich.

»Hä?« Sie blickt auf. »Wozu sind Sie dann hier, wenn Sie offensichtlich gar keine Frau finden wollen?«

»Ich bin auf der Suche nach einem Mann.«

Es dauert einen Moment, bis die Zahnrädchen in ihrem schweinehackgefütterten Gehirn mein Statement verarbeiten. »Achso!« Sie klatscht sich mit der Hand, mit der sie sich gerade noch im Mund herum gefuhrwerkt hat, an die Stirn. »Sagen Sie das doch gleich! Aber das macht den Quatsch mit den Perlonstrümpfen ja noch überflüssiger.« Sie streicht den Satz durch. »Und das mit den Aufläufen streichen wir auch, da fehlen ja nur noch die Salatarten ...«

»Was?« Ich habe keine Ahnung wovon sie spricht.

Sie winkt ab. »Vergessen Sie’s.« Eine Weile kritzelt sie herum, überlegt, mustert mich, schreibt wieder. Langsam werde ich nervös. »Also, wie hört sich das an: Ich bin Veit, Anfang dreißig, Unternehmer, groß, sportlich. Meine Hobbys sind Mountainbiken, Theaterbesuche, Lesen und Reisen. Ich suche einen Mann fürs Herz und für gemeinsame Aktivitäten, Zuschriften bitte nur mit Bild

»Aber das stimmt doch alles gar nicht!«, antworte ich entsetzt. »Unternehmer? Mountainbiken? Mein Fahrrad ist zwanzig Jahre alt und hat vorne einen Einkaufskorb!«

»Dann eben kein Mountainbiken. Wie wäre es mit Schwimmen? Sie haben ein breites Kreuz, das geht als Schwimmer durch.«

»Ich schwimme höchstens manchmal in Selbstmitleid, aber ich gehe in keine öffentlichen Bäder. Haben Sie eigentlich noch nie etwas von Fußpilz gehört? Und was soll das mit dem Unternehmer? Was ist an Zahnarzt so verkehrt?«

Fräulein Wuschnetzki schüttelt erneut den Kopf, während sie mit ihrer Zunge versucht, einen hartnäckigen Rest Frikadelle aus ihren Zahnzwischenräumen zu bekommen. »Wenn Sie eine Frau suchen würden, hätte ich es stehen gelassen, gibt ja genug, die auf wohlhabende Ärzte aus sind. Aber kein Mann begibt sich freiwillig in die Hände eines Zahnarztes, nicht mal einer, der das Bohren sonst ganz gern hat.«

»Sie sind ziemlich unverschämt!«, gebe ich ihr zu verstehen und verschränke meine Arme. Das gibt morgen Salami und Schinken, jawohl!

»Und Sie sind verzweifelt genug um hierher zu kommen und sich von mir gegen Geld bei der Partnersuche helfen zu lassen, also sparen wir uns die Diskussionen. Sie sind jetzt Unternehmer. Das ist ja nicht gelogen. Und Schwimmer sind Sie auch, sagt ja keiner, dass es im Hallenbad sein muss. Wie sieht es mit dem Theater aus?«

»Theater habe ich jeden Tag in meiner Praxis, das muss ich mir nicht auch noch abends zwischen Reihen überparfümierter Menschen antun.«

Fräulein Wuschnetzki rollt mit den Augen und lässt das Theater stehen. »Aber Lesen und Reisen, das passt doch, oder?«

»Ich lese ab und zu, ja.« Die Angebotsblätter vom Supermarkt zum Beispiel. »Manchmal reise ich bis in die Nachbarstadt ins Berufsbekleidungsgeschäft.«

»Ich verneige mich vor Ihrem erfüllten Leben«, versetzt sie seufzend und hat es scheinbar endlich geschafft, den Krümel aus ihren Zahnzwischenräumen zu puhlen. »Nicht mal eine Urlaubsreise?«

»Nicht mehr. Macht allein doch keinen Spaß«, entgegne ich matt.

Ihr genervter Blick wird fast ein wenig mitleidig. »Dann sorgen wir mal dafür, dass sich das ändert. Schauen wir uns die Bilder an, die Sie mitgebracht haben.«

Ich überreiche ihr den USB-Stick mit den Fotos, die ich ausgesucht habe, weil ich darauf meiner Meinung nach am vorteilhaftesten aussehe. Sie steckt ihn in ihren Laptop ein und klickt sich durch. »Nein. Das nicht. Das auch nicht. O Gott, was haben Sie sich denn bei diesem Hemd gedacht? Nein. Nein … oh, das ist hübsch!« Sie dreht den Laptop herum. »Das da nehmen wir.«

»Aber das Foto ist schon fast acht Jahre alt«, gebe ich zu bedenken.

»Es ist aber das einzige, auf dem Sie nicht wie ein Versicherungsvertreter aussehen, der sonntags zum Kirchenfrühstück geht.«

Ich starre das Foto von mir selbst an. Das war im Sommer vor acht Jahren im Urlaub auf Kreta. Mein Haar ist länger als heute und locker aus dem Gesicht gekämmt, wo ich jetzt eher auf streichholzkurz setze, mein Hemd ist oben ein paar Knöpfe geöffnet und ich bin deutlich schlanker als jetzt mit meinem Bauchansatz. Ich lächle freundlich in die Kamera, ohne Anstrengung, ohne helfende Finger an den Mundwinkeln. Ich war dort damals mit meinem Exfreund Götz. Ich glaube, ich war glücklich.

»Ist alles in Ordnung?«, fragt Fräulein Wuschnetzki besorgt.

»Ja, natürlich. Wir nehmen das Foto.«

»Gut. Ich setze Ihre Anzeige morgen in das Portal. Schauen Sie immer mal wieder in Ihr Postfach dort, ich bin sicher, Sie bekommen bald Zuschriften.« Aufmunternd zwinkert sie mir zu.

»Dankeschön.« Ich fühle mich ein wenig geknickt. Ich wäre gern wieder so glücklich wie auf dem Foto, mit dem richtigen Mann an meiner Seite, aber es scheint sich wieder einmal zu bewahrheiten, was schon mein Ex damals zu mir gesagt hat: So wie du bist, will dich freiwillig keiner. Ich erhebe mich, nehme meinen Rucksack zur Hand, hole etwas heraus und lege es dem Fräulein auf den Tisch. »Bitteschön. Schönen Abend noch.«

»Danke? Ich ...«

Aus dem Augenwinkel sehe ich noch, wie sie mein kleines Geschenk irritiert mustert, während ich den Raum verlasse und die Tür hinter mir schließe. Ich habe ihr ein Päckchen Zahnseide geschenkt. Ich habe immer eines dabei. Es gibt einfach viel zu viele Leute auf der Welt, die sich ständig mit den Fingern zwischen den Zähnen herumpuhlen.

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 22.12.2016

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