Wir verbrachten einen Teil der Sommerferien oft auf einem Campingplatz in der Südsteiermark am Sulmsee. Dieser See ist eigentlich ein großer, künstlich angelegter Fischteich des Schlosses Seggau, das hoch auf einem Berg über dem See thront. Rund um den See läuft ein Weg, von dem nur ein Teil mit Autos befahren werden durfte. Der Rest diente den Besuchern zum Radfahren, spazieren gehen, und mit Einschränkungen, als Zufahrt zu den Hütten der Dauercamper. Wir standen immer auf einem langen schmalen Streifen direkt oberhalb des Weges, vor dem sich die Liegewiese und das Seeufer anschloss. So hatten wir eine gute Übersicht auf den See und auf die Kinder, wenn sie auf der Wiese spielten oder auf dem Weg ihre ersten Fahrversuche mit den Rädern machten. Der See hatte zum Glück ein ganz seichtes Ufer und der Schwimmer Bereich war durch eine Kette abgetrennt, so dass keine unmittelbare Gefahr bestand, wenn die Kinder am Ufer spielten.
Auch Freunde von uns machten dort gerne Urlaub, so dass wir oft zu dritt oder mehr mit Campingbussen dort standen und natürlich hatten wir dann ein ganzes Rudel Kinder, unter die sich noch die Kinder der Dauercamper mischten.
Einmal hatten wir außer unseren beiden Söhnen, den 10jährigen Markus und den 5Jährigen Bernhard noch ein Geschwisterpärchen von Freunden mit, die 11jährige Manuela, ihren Bruder, den 7jährigen Christian und wie schon sehr oft, Stefan, den besten Freund unseres Sohnes Markus.
Stefan war eines Tages auf dem Weg von der Grundschule nach Hause mit Markus zu uns gekommen und eigentlich nie mehr richtig ausgezogen. Er wohnte teilweise mehr bei uns als zu Hause und mein Mann nennt ihn scherzhaft noch heute „Findlkindl“. Stefan war ein Jahr älter als Markus und er war ein Kind, das keine Autorität vertrug, in der Schule schon mal mit Stühlen um sich warf, seiner Lehrerin Ohrfeigen androhte und vieles mehr, allerdings prügelte er sich nie mit anderen Kindern, denn er war der Meinung, dass man sich nicht an Schwächeren austoben sollte. Auf jeden Fall war er der Schrecken aller Lehrer und auch seine Eltern stöhnten unter ihm, aber was soll ich sagen, mein Mann und ich hatte nie Probleme mit ihm, im Gegenteil, ich war froh, dass er unseren doch sehr ruhigen, ja phlegmatischen Markus mitriss, ihn etwas anspornte und Stefan fand im Gegensatz bei Markus die Ruhe, die er bei sich selbst so sehr vermisste. Sein autoritärer Vater hatte ihm den Übertritt von der Grundschule in das Gymnasium verweigert, was ich bis heute nicht verstehe, und natürlich reagierte Stefan mit totaler Verweigerung. Nur mit viel Geduld und stundenlangem Zureden, gelang es meinem Mann und mir, ihn wieder auf ein normales Verhalten runter zu holen, so dass er die Schule dann doch ohne Probleme hinter sich brachte.
Heute, 25 Jahre später, ist er in sich gefestigt, er ist mit einer tollen Frau verheiratet und hat einen eigenen Betrieb mit Angestellten, aber uns verbindet immer noch sehr viel Liebe, er ist wie mein drittes Kind und er nennt uns noch oft Mama und Papa und gibt auch unumwunden zu, dass er ohne unsere Unterstützung wohl ins Kriminelle abgerutscht wäre.
Nun aber zurück zu den Ferien am Sulmsee…
Wie gesagt, hatten wir einige Kinder mehr als sonst bei uns und wir hatten sie nur unter Voraussetzung mitgenommen, dass sie alle gut schwimmen konnten. So gab es genug Spielkameraden und keinem wurde es langweilig, auch mir nicht, denn 5 Kinder in einem Campingbus zu versorgen brauchte einiges an Arbeit mit sich und nicht zuletzt gab es ja noch Cora, unsere Hündin, die begeistert mit den Kindern mittobte. Mein Mann konnte mir nicht viel dabei helfen, da er seinem Beruf als Handelsvertreter der Fotobranche nachging und nur abends zu uns stieß.
Die zwei „Großen“ Markus und Stefan, wollten nicht im Bus schlafen, sondern in einem kleinen Zelt direkt daneben, dass sie ganz allein aufstellen wollten, was ihnen auch nach einigen Schwierigkeiten gelang. Es wurde noch mit Luftmatratze, Schlafsäcken und einer Lampe ausgestattet und schon konnte das „Abenteuer“ losgehen. Begeistert hielten sich die beiden fast den ganzen Tag im Zelt auf, kichernd und sich Schauermärchen erzählend.
In der ersten Nacht teilte ich die Kinder auf, Bernhard und Christian auf dem Hubbett oberhalb der Vordersitze, Manuela auf der zum Bett umgebauten Sitzecke, mein Mann und ich im Heck in unserem Bett und Cora auf dem Fahrersitz, der durch das abgesenkte Hubbett wie eine Höhle wirkte und Coras Lieblingsplatz war.
Nach Plaudern und Flüstern wurde es allmählich ruhig und bald hörte man am gleichmäßigen Atmen, dass die Kinder schliefen. Auch wir waren rechtschaffen müde und schliefen bald ein.
Ein Klopfen an der Tür ließ mich aus dem Schlaf wieder hochschrecken.
„Mama, bist du wach?“ hörte ich Markus Stimme.
Nein verdammt, ich schlafe tief und fest!
Das Fenster auf meiner Seite stand auf Lüftung und nun öffnete ich es etwas mehr.
„Was ist los?“ fragte ich leise zurück, damit ich nicht die anderen aufweckte.
„Uns ist kalt und…und…“, stotterte Markus herum, „können wir nicht auch drinnen schlafen?“
Aha, da hatte den Mutigen wohl der Mut in Stich gelassen!
„Aber wir haben doch gar keinen Platz mehr herinnen“, wehrte ich ab.
„Wenn ihr Berni zu euch nehmt, dann können doch Stefan und ich vorne oben schlafen“, wollte Markus es mir schmackhaft machen.
Ich überlegte, natürlich konnte ich die mutigen Angsthasen nicht da draußen lassen, die Südsteiermark war ja auch eine soooo gefährliche Gegend!
Ich stand auf, um die beiden herein zu lassen und natürlich weckte ich damit wieder alle auf. Markus kam herein mit einem total verschlafenen Stefan im Schlepptau, der sichtlich gar nicht wusste, was gerade los war.
Markus Idee, Berni bei uns im elterlichen Bett schlafen zu lassen, verwarf ich gleich wieder, zwar war der Bus um einiges größer als sein Vorgänger, aber da wir neben dem Bett noch den Toilettraum samt Dusche hatten, war dieses Bett nur ca. 1,30m breit, zu schmal für drei. Markus krabbelte ohne ein weiteres Wort zu den beiden Kleinen, Christian und Berni hoch in das Hubbett und Stefan blieb ganz einfach im Raum stehen. Neben Manuela war kein Platz, sonst ich ihren Bruder zu ihr geschickt, und so war guter Rat teuer. Während ich noch überlegte, stand mein Mann auf und holte aus dem Zelt eine Luftmatratze, Decken und Polster.
„Stefan kann doch hier auf dem Boden schlafen“, meinte er und legte die Luftmatratze auf den Boden des Busses.
Er hatte recht, mit Polstern und Decken ausgestattet sah das improvisierte Bett richtig gemütlich aus, das fand auch Cora, die sich gleich darauflegen wollte. Ich scheuchte sie wieder auf ihren Platz und sagte zu dem starr dastehenden Stefan: „Stefan, du kannst hier schlafen“, und zeigte auf das Bett.
Dieser sah zwar seine Liegestatt an, sah aber dabei vollkommen ratlos drein.
„Stefan, das ist dein Bett, du kannst dich niederlegen“, forderte ich ihn nochmals auf und Stefan…rührte sich nicht!
„Stefan, leg dich nieder, wir wollen alle schlafen gehen“, sagte ich lauter und schärfer, doch Stefan schien total verwirrt.
„Was soll ich tun?“ fragte er ratlos.
„Du sollst schlafen gehen!“
„Aber wie mache ich das?“
Der gute Stefan war gar nicht richtig da, er schlief im Stehen!
„Schau Stefan, hier ist dein Bett, du legst dich nieder und schläfst weiter, wir sind alle müde und wollen endlich schlafen“, versuchte ich es weiter.
Er hob ein wenig die Schultern, machte aber keine Anstalten, sich niederzulegen. Ich war ratlos, aber auch müde, wollte endlich wieder ins Bett. Mein Blick fiel auf Cora, die uns nicht aus den Augen ließ, sichtlich hoffte sie, die gemütliche Liegestatt für sich erobern zu können!
Ich holte tief Atem…
„Stefan, sitz und mach Platz!“ sagte ich im gleichen festen und scharfen Ton, wie ich auch Cora Befehle erteilte und…Stefan legte sich wortlos nieder, zog sich die Decke hoch und schlief ganz einfach weiter, selbst das Gelächter der anderen Kinder hörte er nicht!
Die restliche Nacht verlief ruhig, nur Stefan hat bis heute keinerlei Erinnerung an diese Szene und er wollte es lange nicht wahrhaben, dass er auf einen Hundebefehl reagiert hatte!
Ende
Texte: Margo Wolf
Cover: Pixabay
Tag der Veröffentlichung: 08.11.2019
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