von G.G.
mit einer Nachlese von Margo Wolf
Nach meinem Unfall und dem anschließenden Desaster glaubte ich eine Welt stürzt ein.
Es begann im Oktober 1991. Auf dem Weg zur Arbeit, stürzte ich aus unerklärlichem Grund, und brach mir die Kniescheibe.
Ambulanz, Unfallkrankenhaus, Operation, Gips, Schmerzen: die seien normal, es wäre ja eine Operation gewesen. 6 Tage Krankenhaus, Entlassung, wiederbestellt nach 4 Wochen. Die Schmerzen wurden immer schlimmer. 2 mal ins Krankenhaus: nein es ist alles in Ordnung. Immer wieder ein neuer Gips darauf. Ich verbrachte die Nächte sitzend im Bett, aß die maximale Dosis an Schmerztabletten, um wenigstens zur Toilette gehen zu können. Keiner glaubte mir meine Schmerzen.
Bei einem Besuch bemerkte meine Schwester, dass mein Vorfuß, der aus dem Gips guckte, ganz blau war. Sie rief den Notarztwagen und der brachte mich sofort ins Krankenhaus. Wieder glaubten sie mir nicht, taten mich als Simulantin ab. Erst der Krankenhauspsychologe schlug Alarm, der mir endlich glaubte. Nun war aber plötzlich Feuer auf dem Dach, alle rannten durcheinander und ich wurde operiert. Auf die folgenden Tage und die nachfolgende dritte Operation, erinnere ich mich nicht mehr.
Nach ein paar Tagen realisierte ich den Umfang des Geschehenen: Knochenmarkeiterung. Ich hing an Schläuchen, bekam literweise Infusionen in Arm und Bein, konnte nichts essen. Ende Jänner konnte ich mit zwei Krücken, einer Beinschiene, und einer offenen Wunde von 4cm das Krankenhaus verlassen, nachdem man vergeblich versucht hatte, meinem Knie, Tag und Nacht, mit einer Maschine wieder Beweglichkeit zu verschaffen. Ärzte konnte ich nicht mehr sehen und ich schaffte das Leben nur mehr unter Psychopharmaka. Die Betreuung war einzigartig, da ich ja jeden 2. Tag in die Ambulanz fahren musste um die Wunde versorgen zu lassen. Da das Bein einen Winkel von 120° beibehielt, musste etwas geschehen.
Der Einbau eines künstlichen Knies, würde nur auf meinem ausdrücklichen Wunsch, gemacht werden. Die Ärzte wollten da keine Verantwortung übernehmen, und ich auch nicht, da man ja nicht wusste, ob das ganze Dilemma nicht durch die eingelegten Drähte in der Kniescheibe entstanden war. Das neue Knie könnte ähnliche Reaktionen auslösen. Man kam zu der Einigung, das Bein zu versteifen, das bedeutete zwar Gehbehinderung, aber es war eben doch mein eigenes Bein. Bei Komplikationen wäre sonst eine Amputation unvermeidlich gewesen.
Am 5.8.1992 war diese Operation angesetzt. Ich bekam nach der Geradestellung einen Fixateur, das sind Eisenstäbe mit verstellbaren Schrauben. Mein Arzt wollte nicht wieder das Risiko eines Gipses eingehen. Nach 2 Wochen mit Rollstuhl und Krücken nach Hause. Zum Glück besitzt unser Haus einen Lift so konnte ich in Begleitung wenigstens ein wenig das Haus verlassen. Anfang November war es soweit, die Stäbe wurden wieder aus den Knochen entfernt, und ich hatte wieder ein gerades Bein, aber 4 cm kürzer.
Am 19. November begann für mich ein neues Leben. Der 2 ½ Monate dauernde Aufenthalt in einer Reha-Klinik begann: Ich lernte wieder gehen, Vertrauen in die Stabilität meines Knochens zu haben und die Krücken langsam loszuwerden. Ende Jänner 1993 verließ ich mit nur einem Gehstock die Rehabilitation, außerdem hatte ich mich von den Psychopharmaka total gelöst. Wer einmal in einer Reha – Klinik war, wird immer noch viele Andere sehen, mit denen man nicht tauschen möchte. Das war mir auf meinem weiteren Lebensweg sehr behilflich.
Rückblickend erscheint mir alles in einem viel helleren Licht als damals. Die Wirklichkeit war sehr bedrückend, eine Frau mit 47 fühlt sich ohnehin nicht wie der „letzte Schrei“, aber dann noch gehbehindert.....
Ich hatte natürlich auch meine Arbeit verloren, (welche ich sehr geschätzt hatte) und die Krankenkasse wollte auch nicht mehr bezahlen. Zum Glück lehnte mich die Pensionsversicherung nicht ab, nachdem mich auch das Arbeitsamt als nicht mehr vermittelbar, eingestuft hatte. Ich hatte zum Glück einen Lebensgefährten, der viel Geduld aufbrachte, weil ich nicht immer gut gelaunt war, wie man sich vorstellen kann. Die Familie stand hinter mir, auch die Freundinnen ließen mich, fast alle, nicht im Stich, obwohl ich auch da einige Enttäuschungen erleben musste. Bis dann alles wieder seine geregelten Bahnen ging und ich auch den Gehstock weglegen konnte verging noch ziemliche Zeit.
Jetzt begann ich das Leben zu genießen, frönte meinen Hobbys, begann zu reisen. Zuerst mit Freundinnen und später alleine, was ich sehr genieße. Ich machte mich bei einem Künstlerverein nützlich, male, etwas, das ich schon immer tun wollte. Treffe mich oft mit Freunden, die inzwischen auch schon in Pension sind, und tue eigentlich nur das, was mir Spaß macht.
Egoistisch, vielleicht, aber das Leben kann so schnell zu Ende sein, und ich möchte nicht, dass ich mir dann eingestehen müsste, dass ich etwas Schönes, nicht gemacht habe.
Rückblickend war es doch ein Glück, dass ich das alles erlebte, wie könnte ich sonst mein Leben jetzt so genießen. Allen, die sich krank und schlecht fühlen, möchte ich meinen Bericht ans Herz legen, ihnen raten, sich die Rosinen aus dem Lebenskuchen herauszusuchen. Es gibt so viele schöne Kleinigkeiten: ein zwitschernder Vogel am Morgen, ein Lächeln eines Kindes, ein Sonnenuntergang, warme Regentropfen im Gesicht. Und das alles sollte man nicht bemerken? Wäre doch schade, oder nicht? So kann aus Schlechtem, Gutes werden......
Nachlese
von Margo Wolf
Ich muss als Schwester unbedingt ein paar Worte dazu sagen. Meine Schwester schildert hier ihr schrecklichstes Erlebnis mit relativ kühlen und sachlichen Worten. Wahrscheinlich ihre einzige Möglichkeit, überhaupt darüber sprechen zu können. Es war ganz furchtbar und wir bangten oft um sie, denn sie war in einem absoluten Ausnahmezustand. Sie war während ihres langen Spitalsaufenthalts oft in einem Dämmerzustand, erkannte uns gar nicht. Ganze Wochen fehlen ihr bis heute und jedesmal, wenn sie einen Arzt sah, bekam sie einen Nervenzusammenbruch, konnte es nur mit einer hohen Dosis Psychopharmaka überhaupt ertragen, dass sich ihr ein Arzt näherte, oder sie gar behandelte.
Und dann lernen zu müssen, dass ein Fuß nicht mehr richtig funktioniert, ja etwas Lebenswichtiges fehlt! Vor jeder Stiege muss meine Schwester erst überlegen, wie und mit welchem Fuß steige ich da zuerst hinunter. Kein Sitzen mehr in U-Bahn oder Zug, sie will ihrem Gegenüber ja nicht den Fuß auf das Knie legen! In Restaurants immer einen Platz mit genügend Platz um sich herum suchen und ohne einer Freundin, die sich vor den oft viel zu kleinen Gästetoiletten in die offene Tür stellt, ist ihr ein solcher Besuch auch unmöglich. Das sind für gesunde Menschen alles nur Kleinigkeiten, aber wenn man es selbst erlebt, nimmt man erst wahr, aus wie vielen Hürden unser Alltag besteht.
Umso mehr bewundere ich meine Schwester, wie sie sich wieder hoch kämpfte.
Margo Wolf
Aber das war leider noch nicht alles…
Krebs…
... ich meine nicht das Tier... ich denke dabei an die Situation, als im Krankenhaus 4 Ärzte und 2 Krankenschwestern mir mitteilten, dass der histologische Befund positiv sei. Eigentlich weiß man das ohnehin, wenn man fast eine Woche auf das Ergebnis wartet, nachdem man mit Darmblutung ins Krankenhaus mittels Ambulanz eingeliefert wurde.
Würde man stehen, würde es einem bei der Diagnose der Boden unter den Füßen weggezogen. Aber man liegt da und ein Weinkrampf schüttelt diesen Körper. Nachdem ein Arzt mir die anstehende Situation und Behandlung sehr „feinfühlig“ bei der Entlassung verkündet hatte, samt eventuellen Komplikationen, begebe ich mich mit Schmerzmittel und Psychopharmaka nach Hause. Einen Termin im Krankenhaus zur Vermessung der Bestrahlungsarten und Chemotherapie in der Tasche. Ich wusste nicht, wie es werden würde, ich wusste nur eines, ich werde es schaffen. Hatte ich schon so vieles geschafft... Da muss ich durch. Mein Lebensgefährte und ich beschlossen alles wie gehabt zu leben und die notwendige Behandlung zu integrieren.
Einige Tage später ins Krankenhaus. Und da bemerkte ich, ich war nicht alleine. So viele „Krebse“ in jeder Version um mich herum. Während ich vier Tage diesen Chemococktail in 1 1/2 Minutenabständen in mich reinpumpen ließ, besuchte ich die Strahlenabteilung. Das war dagegen nichts... 30 Sekunden punktgenau bestrahlt. 1x am Tag 31 Tage, nur das Wochenende keine Fahrt ins Krankenhaus. Das klingt recht einfach, aber man verbringt Stunden daheim und am Gang des Krankenhauses, wartend, abgeholt oder gebracht zu werden. Dazu der immer mehr auftretende Durchfall. Man kennt jede Toilette im Bezirk, beim Einkaufen, beim Warten, überall. Schrecklich auch, weil die Verbrennungen ab der 20 Bestrahlung und immer mehr Schmerzen im gesamten Bereich.
Die letzten 4 Tage verbringe ich wieder im Krankenhaus, um die Venen vollpumpen zu lassen. Nun ist es fast nicht mehr möglich normale Kleidung zu tragen. Sitzen schmerzt, Stehen schmerzt, Liegen schmerzt... ich treffe im Krankenhaus eine Frau, welche dieselbe Behandlung wie ich bekommt. Sie wurde am Darm operiert, ich nicht.
Noch immer Durchfall... soll von der Chemotherapie sein... meinen die Ärzte. Langsam verheilen die Wunden, nichts wird je wie vorher sein... Vierteljährlich zu Laborbesuchen, CT, Ultraschall, Röntgen, Krankenhauskontrollen, der Tumor ist stillgelegt, abgekapselt, eine Verdickung im Gewebe. Nur der Durchfall ist noch immer da! Nun ja, die Darmflora sei kaputt. Bei einer CT wird verlangt, ich soll 1 1/2 Liter Vollmilch vorher trinken. Ich glaubte, zu sterben... dann bekam ich einen Verdacht, hatte da etwas gelesen... Laktoseintoleranz? Ja dann machte ich einen Selbsttest... keine Laktose, kein Durchfall, leider ist Laktose in fast allen Lebensmitteln.
Dann hieß es, ich bräuchte nur mehr 1/2 jährliche Kontrollen. Mein Tumormarker ist super, die Darmspiegelungen ohne Befund. Das Leben wird immer schöner. Obwohl mich in dieser Zeit der Tod meines Lebensgefährten sehr tief getroffen hat, mich 10kg Körpergewicht gekostet hat, verzeihe ich dem Leben so nach und nach diesen Verlust. Er würde nicht wollen, dass ich nicht positiv ins Leben schaue.
Inzwischen bin ich bei jährlichen Kontrollen, habe die Laktoseintoleranz weitgehendst im Griff. Ich genieße jede Stunde meines Lebens. Ich jage nimmer durch die Tage, gestatte mir faul zu sein. Freunde zu treffen, habe inzwischen 6 Jahre weitergelebt.
...Und noch etwas, jedem der abfällig über Laktoseintoleranz lästert... dem wünsche ich sie an den Hals. Es ist keine Modeerscheinung, es schmerzt unsäglich, ist lästig und ... sehr unpraktisch. Trotzdem liebe ich das Leben und mich.
... denen die sich in Schicksalsschlägen winden, möchte ich die alte Weisheit weitergeben: Nichts geschieht ohne Grund, und jede geschlossene Türe öffnet eine Neue!
G.G.
Und wieder eine Nachlese…
Als mich meine Mutter anrief und mir sagte, dass meine Schwester im Spital ist,
da dachte ich mir schon, warum meine Schwester, hatte sie noch nicht genug mitgemacht?
Und wieder Ärzte, wieder kroch die alte Angst hoch. Wer einmal Angesichts eines Arztes Nervenzusammenbrüche bekommen hatte, steckt die neuerliche ständige Präsenz dieser Weißkittel nicht so ohne weiteres weg, auch wenn sie einem helfen wollen. Aber auch das hat meine Schwester durchgestanden und auch die Nervosität vor jeder Kontrolle flaut langsam ab. Sie genießt nun wieder ihr Leben mit ihren Söhnen und Enkelkindern und ich wünsche ihr von ganzem Herzen, dass es auch so bleibt.
Sie ist auf jeden Fall einer der tapfersten Personen, die ich kenne, auch wenn sie das abstreitet.
Ich drücke dich, Schwesterherz
Margo Wolf
Tag der Veröffentlichung: 08.01.2018
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Allen gewidmet, die manchmal glauben, es geht nicht mehr weiter