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Wasser, eine tödliche Gefahr

 

Um dem kalten Wetter bei uns zu Hause zu entfliehen, verbrachten wir den Winterurlaub öfters im wärmeren Süden und einmal waren wir mit unserem Wohnmobil in Sizilien gelandet. Es war ein wunderschöner Tag gewesen und nun waren wir auf einer kleinen Sandstraße zum Meer gefahren, um dort zu übernachten. Unsere Söhne, damals 3 und 8 Jahre alt, spielten mit unserem Hund am Strand und sammelten Muscheln ein.

 

In der Nacht wurden mein Mann und ich von einem lauten Rauschen geweckt. Er stand auf, um nachzusehen, was los war. Er machte die Tür auf und dann schrie er: „Weck die Kinder auf, wir müssen raus!“

Ohne weiter nachzudenken weckte ich die Kinder auf, der größere schlüpfte in seine Stiefel, ich selbst war auch schnell in irgendwelche Schuhe geschlüpft, dann nahm ich den Jüngeren auf den Arm und stürzte hinaus. Wasser bis fast zum Knie umspülte mich, wollte mich umreißen. Ich nahm fest die Hand des älteren Sohnes und kämpfte mich durch die Fluten. Ich sah und hörte nichts, das Wasser war zu laut, ein reißender Strom, auch meine Kinder waren vor Schreck stumm. Im fahlen Mondlicht sah ich vor mir das Betonskelett eines noch nicht fertigen Hauses schimmern. Ich steuerte darauf zu, mein älterer Sohn jammerte, dass er seine Stiefel verloren hatte, aber das war jetzt unwichtig. In dem Rohbau jagte ich eine Treppe hoch, höher ging es leider nicht, und sank dann an einem Betonpfeiler zu Boden. Ich wusste überhaupt nicht, was los war, war es eine Überschwemmung? Ein Tsunami? Waren wir hoch genug, oder würde uns das Wasser hier einholen?

Wo war mein Mann? Ich hatte ihn nicht mehr gesehen oder gehört, seit ich aus dem Auto geflohen war. War er von den Fluten fortgerissen worden, so wie wahrscheinlich auch unser Wohnmobil?

„Müssen wir jetzt sterben?“ piepste mein jüngerer Sohn mit zittriger Stimme.

Ich versuchte ihn zu beruhigen, aber ich hatte nicht weniger Angst als er, mein älterer Sohn klammerte sich an mich und weinte um unseren Hund, der auch fort war.

Da saß ich nun in einem Pyjama und zwei Kindern, alles was wir hatten, unsere Ausweise, unser Geld, unser Gewand…, alles wahrscheinlich fortgespült, weit draußen irgendwo im Meer treibend. Und ich konnte im Moment nicht mehr tun, als zu warten, bis es hell wurde. Dann wollte ich versuchen, durch das Wasser zur Asphaltstraße zu gelangen, ein Auto aufzuhalten, um irgendwie in die nächste Stadt zu kommen. Dort jemanden bitten, telefonieren zu dürfen, oder die nächste Polizeistation zu suchen, um dort um Hilfe zu bitten. Und dass alles im Pyjama mit zwei Kindern, ohne italienisch zu können, mir wurde immer verzagter zumute.

 

Ich weiß nicht, wie lange ich so gesessen bin, es war noch immer Nacht, als ich Pfoten tappen hörte und gleich darauf uns unser Hund freudig jaulend umsprang. Meine Kinder freuten sich, ihn zu sehen, war er doch ihr wichtigster Spielkamerad. Aber das war noch nicht alles, das Licht einer Taschenlampe blinkte auf und dann hörte ich meinen Mann nach mir rufen.

Er lebte!

Er hatte Licht in einem Haus gesehen und war dorthin gelaufen. Es war ein Strandhaus, in dem junge Italiener gerade eine Party feierten. Hatte ich schon erwähnt, dass Silvester war?

Die Jugendlichen holten uns ins Haus und boten uns Decken und warme Getränke an. Wir waren nass und froren erbärmlich und mehr als einen kleinen Heizstrahler konnten sie uns auch nicht bieten, aber wir lebten und waren gesund. Die Kinder schliefen sogar noch den Rest der Nacht friedlich in dem Schlafzimmer des Strandhauses. Am Morgen kamen eine Menge älterer Italiener, sichtlich hatte ein Jugendlicher sie geholt, Handys waren damals noch nicht alltäglich. Mit englisch, das die Italiener nicht sprachen und italienisch, das wir nicht sprachen und vielem gestikulieren konnten wir uns so einigermaßen verständigen. Mein Mann verschwand mit einigen Männern und als er nach einer für mich endlosen Zeit wiederkam, strahlte er.

„Es ist alles noch da!“

Es war kaum zu glauben, aber unser altes Wohnmobil hatte dem Wasser standgehalten. Nun versuchten uns die netten Leute auch zu erklären, was passiert war. In den Bergen war ein Gewitter mit Starkregen niedergegangen und das Wasser war Richtung Meer geströmt. Neben unserem Standplatz war ein kleiner Graben, den wir aber nicht weiter beachtet hatten. Das Wasser wäre auch in dem Graben ins Meer geflossen, allerdings hatten Sanddünen und Geröll den Weg ins Meer versperrt und so hatte sich das Wasser über den Strand ausgebreitet und alles geflutet.

Mit Hilfe eines Traktors halfen uns die freundlichen Leute, unser geliebtes Gefährt aus dem Schlamm auf eine etwas trockenere Stelle zu ziehen. Der Motor sprang nach einigen Versuchen sogar an und lief. Ich schlug das gutgemeinte Angebot der italienischen Frauen, die uns in ihr Heim einladen wollten, aus, denn ich wollte nur in mein Wohnmobil, dass mir Haus und Heimat bedeutete, wollte mit den Meinen allein und nicht von vielen fremden Menschen umgeben sein. Und ich wollte weinen, wegen der ausgestanden Angst und vor Erleichterung, dass alles noch einmal gut gegangen war.

Wir steuerten den nächsten Campingplatz an, den wir mussten nicht nur uns säubern, sondern auch das Wohnmobil, in dem das Wasser ca. 40cm hoch gestanden hatte und in den unteren Schränken nun alles mit Schlamm verkrustet war. Wir brauchten einige Tage und mussten auch viel wegwerfen, was nicht mehr zu retten war, bis wir es wieder einigermaßen sauber hatten. Wir mussten dann auch noch in eine Werkstatt, denn das Wasser war so hoch gewesen, dass es wie auch immer in den Kraftstofftank eingedrungen war und nun der Motor immer wieder Aussetzer hatte. Nach einer Entleerung des Tanks, neuer Befüllung und Reinigung des Motoraums konnten wir unsere Fahrt fortsetzen und unseren Urlaub weiter genießen.

Wir verbrachten noch viele schöne Urlaube mit diesem und auch den folgenden Wohnmobilen, allerdings achten wir seither sehr genau darauf, wo wir übernachten und unsere Kinder weigerten sich noch lange danach, das in der Nähe eines Gewässers und war es noch so klein, zu tun.

 

ENDE

 

 

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Tag der Veröffentlichung: 05.11.2017

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