Charlotte verstellte die Jalousien, sodass niemand in das Büro hineinsehen konnte, und ließ sich mit einem Seufzen in den großen weichen Ledersessel ihres Chefs plumpsen. Sie streifte sich die Schuhe ab, zog ihren Rock bis zu den Oberschenkeln hoch und legte ihre Füße auf die Schreibtischplatte.
Schön kühl hast du es hier – und bequem, grinste sie in sich hinein und schaute sich neugierig im Büro um.
Ihr Blick fiel auf das Modell eines Segelbootes. Ob er das selbst gebastelt hat? Irgendwie fiel es ihr schwer, sich Julian Hagen bei solch einer Tätigkeit vorzustellen. Ein Schmunzeln umspielte ihren Mund.
Auf dem Schreibtisch entdeckte sie ein kleines Auto. Sie streckte sich, griff danach und fuhr damit über ihre Beine. Ja, ja, in jedem Mann steckt noch ein kleiner Junge.
Schließlich schnappte sich Charlotte das Telefon und wählte die Nummer ihrer besten Freundin. Mit dem Hörer am Ohr lehnte sie sich gemütlich zurück, rutschte noch ein bisschen tiefer in den Sessel, räkelte sich ein wenig und wandte sich von der Tür ab.
»Hallo Milli«, sagte sie fröhlich.
»Charlie! Um diese Zeit rufst du an? Hast du heute mal keinen Stress?«, kam es überrascht aus der Leitung.
»Nein. Mein Chef ist auf Dienstreise. Der kommt erst übermorgen zurück.«
»Dienstreise ... Ich verstehe.« Milli kicherte. »Wird das wieder so was Anstrengendes? Mit vielen Frauen?«
»Bestimmt. Er wird sehr beschäftigt sein.«
»Na ja. Er sieht unverschämt gut aus, hat Kohle und ist solo. Klar, dass er da nichts anbrennen lässt.«
»Böse Zungen in der Firma behaupten, dass er auch schon während seiner Verlobungszeit nichts hat anbrennen lassen. So ein richtig triebgesteuertes Mannsbild, das alles mitnimmt, was nicht schnell genug auf den Bäumen ist«, erzählte sie ihrer Freundin, während sie das Miniaturauto weiter über ihren Oberschenkel fahren ließ. »Verdammt! Warte mal, Milli«, bat sie ihre Freundin und legte den Hörer zur Seite, um ihren Fingernagel zu befreien, der sich an der Miniaturtür verhakt hatte und über die Hälfte eingerissen war. »Mist!«, fluchte sie laut und stellte wütend das Auto wieder zurück. Dann angelte sie wieder nach dem Telefonhörer.
»Was ist denn los?«, hakte Milli nach.
»Ach, der hat hier so ein Spielzeugauto auf dem Schreibtisch stehen, da bin ich mit meinem Fingernagel irgendwie in die kleine Autotür geraten. Wieso stellt man sich auch so was ins Büro?«
»Vielleicht, weil ich nicht wissen konnte, dass meine Assistentin in meiner Abwesenheit damit herumspielt?«
Charlotte zuckte zusammen. Es war, als hätte sie ein Blitz getroffen. Das darf nicht wahr sein, nein, das kann unmöglich seine Stimme gewesen sein!, dachte sie voller Grauen.
Wie in Zeitlupe drehte sie vorsichtig ihren Kopf herum. Verdammt! Verdammt! Verdammt Er ist es leibhaftig! Schnell wandte sie den Blick ab. Vielleicht bestand die Chance, dass er nur eine Einbildung war und wieder verschwinden würde.
»Ich ruf’ zurück«, keuchte sie ins Telefon und knallte den Hörer in die Gabel.
Hastig schwang sie ihre nackten Beine vom Tisch, sprang auf und zog ihren hochgezogenen Rock hinunter. Charlotte schluckte, versuchte aber, möglichst selbstsicher zu wirken.
»Herr … Herr Hagen …«, räusperte sie sich. »Sie … Sie sollten doch eigentlich schon längst im Flieger sitzen.«
Haltung bewahren Charlotte! Du hast ja schließlich kein Schwerverbrechen begangen. Okay, du hast dich gerade maßlos blamiert und dein Chef weiß jetzt, dass du ihn für einen fiesen Lustmolch erster Güte hältst – aber du hast kein Schwerverbrechen begannen!
Sie hielt seinem strengen Blick stand. Ein Fehler, wie sie jetzt merkte. Er fixierte sie mit einer unergründlichen Miene. Charlotte wurde abwechselnd heiß und kalt.
»Ja, sollte ich. Aber der Flug wurde storniert, die französischen Fluglotsen streiken.« Seine Stimme klang beunruhigend leise.
»Dann … dann … also, soll ich versuchen, Ihnen ein Bahnticket zu reservieren?« Ihre Knie wurden weich und ihr war regelrecht schwindelig vor lauter Schreck.
»Wenn Sie mit Ihrem Telefonat fertig sind und es Ihre kostbare Zeit erlaubt, wäre das wirklich sehr nett von Ihnen!«
Hastig versuchte Charlotte an ihm vorbeizuschlüpfen, doch der Durchgang zwischen Schreibtisch und Aktenschränkchen war sehr eng, sodass sie ihn versehentlich anrempelte.
»Entschuldigung«, murmelte sie mit hochrotem Kopf.
Deine Schuhe!, motzte ihre innere Stimme los. Sie drehte sich noch einmal um, quetschte sich erneut an ihm vorbei – er wich kein Stück zur Seite – und schnappte sich rasch ihre High Heels. Und jetzt nichts wie raus hier! Schnell huschte sie zurück hinter ihren Schreibtisch.
»Ach … Frau Wild?«, hörte sie seine Stimme hinter sich. Vorsichtig drehte sie sich zu ihm um.
»Ja?«
Himmel! Was kommt denn jetzt noch? Wahrscheinlich kannst du dir deine Papiere abholen!
»Schöne Beine.« In seinen Augen blitzte es frech auf.
Krampfhaft versuchte sie, nicht weiter an die unangenehme Situation von eben zu denken, was sich als äußerst schwierig erwies. Noch immer war ihr die ganze Sache furchtbar peinlich. Der Vorfall könnte sie ihren Job kosten. Das wollte sie auf keinen Fall riskieren, schließlich war sie erst seit vier Wochen hier beschäftigt und das auch nur befristet, bis seine eigentliche Assistentin wieder aus dem Mutterschutz zurückkam. Die Zeitarbeitsfirma, für die sie arbeitete, war sehr streng und stets darauf bedacht, dass sich ihre Mitarbeiter keine Schnitzer erlaubten.
Du musst dich entschuldigen!, meckerte ihre innere Stimme. Wofür?, keifte eine andere. Ich hab’ nichts Verbotenes getan! – Doch, hast du. Du hast über deinen Chef gelästert! - Nicht gelästert, nur Feststellungen geäußert! In Charlottes Kopf überschlug es sich regelrecht.
Um nicht noch einmal negativ aufzufallen, suchte sie schnell eine passende Verbindung und buchte direkt einen Platz erster Klasse im ICE. Nachdem sie die Ausdrucke aus dem Kopierer geholt hatte, klopfte sie sichtlich nervös an seine Bürotür.
»Ja«, schallte es ihr entgegen und sie trat mit laut pochendem Herzen ein.
»Frau Wild. Haben Sie einen Zug für mich bekommen?«
»Ja. In einer Stunde ab Hauptbahnhof.« Sie reichte ihm die Reiseunterlagen. »Den Rückflug habe ich allerdings noch nicht storniert, vielleicht streiken die Lotsen ja übermorgen nicht mehr. Falls das nicht klappen sollte, buche ich Ihnen selbstverständlich ein Zugticket. Das Taxi holt sie in einer halben Stunde ab.«
Jetzt mach’ schon! Entschuldige dich!
Julian Hagen sah die Reiseunterlagen durch und nickte. »Danke.«
»Herr Hagen?«, begann sie vorsichtig.
»Ja?«
»Ich wollte mich entschuldigen. Also … also dafür, dass ich Ihr Büro benutzt habe … und Ihr Telefon …« Charlotte wusste erst gar nicht, wo sie hinsehen sollte, riss sich dann aber zusammen und hielt seinem fragenden Blick stand.
Er schmunzelte. »Nur dafür?«
Charlotte schluckte. »Na ja, das … ähm … was ich gesagt habe, war nicht nett. Dafür natürlich auch.«
Aber die Wahrheit!, rebellierte es in ihr.
»Wofür genau? Etwa dafür, dass Sie mich ein triebgesteuertes Mannsbild genannt haben?« Er grinste erneut. Ihn schien prächtig zu amüsieren, wie sehr Charlotte sich wand.
»Ja.«
»Dass alles mitnimmt, was nicht schnell genug auf den Bäumen ist?« Julian Hagen verschränkte die Arme in seinem Nacken, lehnte sich süffisant lächelnd im Sessel zurück und musterte sie frech.
In Charlotte kochte es hoch. Das reicht! So nicht!, keifte ein kleines Teufelchen in ihr.
»Hören Sie, Herr Hagen, es tut mir leid, dass ich Ihr Büro entweiht habe, aber wenn Sie die Privatgespräche anderer Leute belauschen, dürfen Sie sich nicht wundern, unangenehme Wahrheiten zu hören.« Sie funkelte ihn wütend an, reckte trotzig ihr Kinn, drehte auf dem Absatz um und schmiss die Tür hinter sich zu.
Und jetzt kannst du packen, Charlotte Wild!, dröhnte es hämisch in ihrem Kopf.
Mona Schneider, blondierungssüchtige Tussi mit dem Hang zum Lästern, drehte sich natürlich direkt neugierig um. Sie hatte ihren Schreibtisch nur wenige Meter von Charlottes entfernt und witterte Klatsch und Tratsch sofort.
»Alles klar? Streit mit dem Chef?«, fragte diese aufgesetzt mitfühlend.
»Geht dich nichts an!«, fauchte Charlotte und begann, ihre Sachen einzupacken. Sie war sich sicher, dass sie mit ihrem losen Mundwerk definitiv zu weit gegangen war und nun die Quittung bekommen würde.
Als die Tür hinter ihr plötzlich schwungvoll aufgerissen wurde, zuckte Charlotte zusammen.
»Frau Wild! In mein Büro! Sofort!«, donnerte es ihr entgegen.
»Warum?«, keifte Charlotte angriffslustig zurück. Jetzt war eh alles egal.
»Weil ich es sage!«
Charlotte überlegte kurz, entschied sich aber, erstmal klein beizugeben. Hoch erhobenen Hauptes schritt sie an ihm vorbei in sein Büro und blieb mit demonstrativ vor der Brust verschränkten Armen mitten im Raum stehen.
»Was fällt Ihnen ein? Was nehmen Sie sich eigentlich für Frechheiten heraus?« Seine Stimme überschlug sich regelrecht. Doch Charlotte hielt trotzig seinem Blick stand und versuchte, sich nicht von seiner Brüllerei beeindrucken zu lassen.
»Ich habe mich bei Ihnen entschuldigt, oder etwa nicht?«, sagte sie betont ruhig.
»Das ist immer noch mein Büro! Und Sie besitzen die Frechheit mir vorzuwerfen, Sie belauscht zu haben, obwohl Sie hier unerlaubterweise Privatgespräche führen?« Er baute sich dicht vor ihr auf, sodass sie seine pulsierende Halsschlagader sehen konnte.
»Noch einmal zum Mitschreiben: Ich habe mich bei Ihnen entschuldigt! Wollen Sie mich demütigen, indem Sie weiter auf den Details herumreiten?«, motzte sie wütend zurück. »So schlimm war es schließlich auch nicht.«
Julian Hagen rang nach Luft. Ein paar Mal setzte er an, um etwas zu entgegnen, fuhr sich dann aber nur mit den Fingern durch die dunkelblonden Haare. »Sie wissen, dass ich Ihr Chef bin und Sie jederzeit rausschmeißen kann?«
»Dann tun Sie es! Ich werde nicht zu Kreuze kriechen, schließlich habe ich mich bereits entschuldigt.« Charlotte drehte sich herum und wollte schon auf die Tür zustürmen, doch er hielt sie am Handgelenk fest.
»Schon gut. Bleiben Sie.« Seine Stimme wurde auf einmal ganz sanft und hinterließ ein seltsames Kribbeln in Charlottes Nacken. Was schnurrt der denn plötzlich so? Sie wandte sich ihm wieder zu und er ließ sie los.
»Vergessen wir die Sache einfach. Ich habe Sie nie in meinem Büro gesehen, okay?« Der komische Ausdruck in seinen blauen Augen irritierte Charlotte.
Sie musterte ihn skeptisch, war aber dennoch erleichtert.
»Ja, das wäre schön.« Sie lächelte ihn schüchtern an.
»Gut. Obwohl mir dann der Anblick ihrer Beine entgangen wäre«, murmelte er mehr zu sich selbst, als er auf seinen Schreibtisch zulief und seine Unterlagen in der Aktentasche verstaute.
Charlotte wurde erneut knallrot. Doch anstatt darauf zu reagieren, ging sie lieber wieder an ihren Arbeitsplatz.
Sei froh, dass er dich nicht rausgeschmissen hat. Nachdem sie das Büro verlassen hatte, atmete sie innerlich auf. Auf Monas neugierigen Blick reagierte sie, in dem sie ihr die Zunge herausstreckte, bevor sie sich sichtlich erleichtert wieder auf ihren Platz setzte.
»Ich bin dann weg.« Doch anstatt das Büro zu verlassen, stand Julian plötzlich neben ihr. Mit einem frechen Grinsen auf den Lippen stützte er sich mit den Armen auf ihrem Schreibtisch ab und kam ihrem Gesicht sehr nahe.
»Kann ich mich darauf verlassen, dass Sie die anderen Mitarbeiter während meiner Abwesenheit nicht in den Wahnsinn treiben?«, fragte er mit einschmeichelnder Stimme.
Meine Güte! Diese Augen! Charlotte wäre fast vom Stuhl gekippt. Sein warmer Atem auf ihrer Haut – so nahe war er ihr noch nie gekommen.
»Selbstverständlich. Ich werde versuchen, mich zu benehmen«, lächelte sie verlegen.
»Kein Beschimpfen. Kein Zungenrausstrecken?«, hakte er nach.
Super! Das hat er also auch gesehen!, dachte Charlotte zerknirscht.
»Äh, kommt drauf an.«
Du kannst es nicht lassen, Charlie, oder? Sei doch einfach mal ruhig!
Julian lachte laut auf. »Sie sind ganz schön frech. Aber ich habe Ihnen in den letzten vier Wochen sehr viel zugemutet. Bei dem Arbeitspensum ist es nur verständlich, dass Sie ein wenig bockig sind«. Er zwinkerte ihr zu, hob seine Aktentasche auf und ging zur Garderobe, um sein Jackett zu holen.
»Ich bin nicht bockig!«
Er drehte sich noch einmal zu ihr herum und zog die Augenbrauen hoch.
»Also nicht ausschließlich«, fügte sie schnell hinzu.
Julian Hagen lächelte ihr zu und verschwand ohne ein weiteres Wort im Aufzug.
Hoffentlich ist er jetzt auch wirklich weg, dachte Charlotte, wartete jedoch noch eine halbe Stunde, bevor sie Milli zurückrief.
»Was war denn bei dir los?«, fragte Milli sofort.
»Ach, das willst du gar nicht wissen«, stöhnte Charlotte, den Blick stur auf die Fahrstuhltür gerichtet. Sicher ist sicher.
»Doch, will ich«, beharrte ihre Freundin. Charlotte hörte, wie sie sich eine Zigarette anzündete. »Also ...?«
»Okay. Wie du vielleicht schon weißt, sitze ich an einem Schreibtisch im Gemeinschaftsbereich. Wir haben zwar eine Klimaanlage, aber durch die ganzen PCs, die hier laufen, ist es trotzdem viel zu heiß und kaum auszuhalten«, maulte Charlotte und beäugte ihren malträtierten Fingernagel.
»Na, das ist ja mal interessant«, sagte Milli zynisch. »Und weiter?«
»In seinem Büro sind zwar keine Fenster, aber dort ist es wesentlich kühler als bei mir hier vorne. Deswegen dachte ich, ich könnte sein Telefon nehmen und dich anrufen. Also hab’ ich es mir in seinem Sessel gemütlich gemacht, die Beine hochgelegt und mit dir gesprochen …« Charlotte zögerte. Noch immer war ihr die Sache höchst unangenehm.
»Und? Gibt es auch eine Pointe?«
»Er stand auf einmal hinter mir. Er hat alles gehört, was ich dir über ihn erzählt habe.«
»Fuck!«, entfuhr es Milli. »Und wie hat er reagiert?«
»Ich bin schnell aus seinem Büro geflüchtet, na ja, eigentlich hab’ ich ihn noch ein paar Mal angerempelt, weil ich meine Schuhe vergessen hatte…«
»Du warst barfuß?«, kicherte ihre Freundin.
»Ja. Und nacktbeinig. Ich hatte meinen Rock hochgezogen. Aber es war doch so angenehm kühl in seinem Büro …«, erklärte Charlotte verlegen.
»Na, dann kann er sich nicht beschweren. Du hast tolle Beine. Der Anblick hat sich bestimmt für ihn gelohnt.«
»Haha«, maulte Charlotte. »Ich hab’ mich dann später bei ihm entschuldigt. Allerdings hat er ziemlich auf der Sache rumgeritten. Da ist mir der Kragen geplatzt und ich hab’ ihm an den Kopf geknallt, dass ich mich nicht demütigen lasse.« Sie spielte nervös mit ihrem Lieblingsstift, an dessen Ende ein kleiner plüschiger Fellball baumelte.
»Du wieder! Schon vergessen, dass du bereits zwei Jobs wegen deiner großen Klappe verloren hast?«
»Jaha«, gab Charlotte wiederstrebend zu. »Aber was soll das auch? Warum tut er so etwas? Ich hab’ mich entschuldigt!«
»Und? Wie ist die Sache ausgegangen?«, hakte Milli neugierig nach.
»Na ja, er hat gesagt, er würde das Ganze vergessen und ich soll mich zusammenreißen, während er weg ist.« Allerdings verschwieg Charlotte ihr die Komplimente, die er ihr wegen ihrer Beine gemacht hatte.
Milli atmete tief durch. »Da hattest du ja nochmal Glück. Immerhin hast du bereits vier Wochen in der Firma ausgehalten, ohne größeren Ärger zu bekommen. Das ist doch schon mal was.«
Charlotte brütete gerade über einem Berg von Julian Hagens handgekritzelten Notizen und überlegte, was so mancher Buchstabe wohl im Zusammenhang mit den anderen bedeuten könnte, als eine Stimme sie hochschrecken ließ.
»Guten Tag, Sonnenschein«, säuselte es in ihr Ohr.
Überrascht sah sie auf. Ach nö, der hat mir gerade noch gefehlt!
Seit ihrem ersten Arbeitstag schwänzelte dieser Typ um sie herum. Augenscheinlich wollte er mit ihr flirten, aber Charlotte hatte kein Interesse an ihm. Mit seinen blonden Locken erinnerte Malte Andersen sie irgendwie an einen Rauschgoldengel.
»Hallo Lockenköpfchen«, antwortete sie daher betont gelangweilt.
»Na? Hat Julian Ihnen wieder zu viel Arbeit aufgehalst?«, fragte er und setzte sich auf ihre Schreibtischkante, was Charlotte missmutig zur Kenntnis nahm.
»Sie sitzen auf Herrn Hagens Notizen«, brummte sie genervt.
»Oh!« Er stand auf und zog die Blätter unter sich hervor. »Eigentlich können die dadurch nur gewinnen«, grinste er, völlig von sich überzeugt.
»Herr Andersen, was wollen Sie?«
»Hm. Eigentlich wollte ich Ihnen nur einen kurzen Besuch abstatten und meinen Tag damit aufwerten. Aber wenn Sie mich so direkt fragen: Wie wäre es, wenn wir heute Abend etwas trinken gehen?« Seine Stimme hatte einen säuselnden Schmeichelton angenommen und seine babyblauen Augen strahlten sie förmlich an. Charlotte musste sich ein Lachen verkneifen.
»Wir beide? Warum sollten wir das tun?«
»Nun. Sie arbeiten jetzt schon vier Wochen für uns und wir wissen so gar nichts voneinander.« Er kam mit seinem Kopf ein wenig näher.
»In der Tat.« Charlotte zuckte mit den Schultern. »Aber das hat mich bisher nicht sonderlich gestört.«
»Sagen Sie das nicht. Sie wissen ja gar nicht, was Sie versäumt haben …« Er setzte einen formvollendeten Hundeblick auf und sah sie erwartungsvoll an.
»Meinen Sie?« Ihre Gedanken schweiften zu Julian Hagen ab und sie begann, die beiden zu vergleichen. Gegen den hast du keine Chance, Lockenköpfchen ...
»Wenn Sie das geklärt haben, könnten Sie dann das bitte für mich erledigen?« Eine schneidende Stimme ließ Charlotte zusammenzucken. Sie erschrak ein weiteres Mal, als ein Aktenordner auf ihren Schreibtisch krachte. Reflexartig hob sie ihre Hände und konnte gerade noch verhindern, dass die Mappe neben ihr vom Tisch schlidderte.
Thomas Bambeck, der andere Geschäftsführer der Firma und für Charlotte das personifizierte Böse, schaute sie tadelnd an. »Bitte zehnmal kopieren. Und das am besten gestern.«
Charlotte schluckte. »Ja natürlich«, stammelte sie. Irgendwie tauchte dieser Typ immer aus dem Nichts auf und schien einen Heidenspaß daran zu haben, Leute zu erschrecken.
»Und Andersen: Vergeuden Sie nicht die Zeit von kleinen Aushilfssekretärinnen!«
»Keineswegs. Im Gegensatz zu Ihnen bemühe ich mich nur um ein gutes Betriebsklima«, antwortete Malte Andersen und stieg damit in Charlottes Achtung um ein paar Hundertstel.
Thomas lachte gehässig auf, verschwand dann aber wieder.
»Also Sonnenschein …Wie wär’s? Heute um acht Uhr im ‚Zeitlos?’« Malte schien nicht aufgeben zu wollen, seine Stimme wurde butterzart.
Charlotte seufzte. Wenn ich mich total betrinke und danebenbenehme, streicht er vielleicht die Segel, dachte sie bei sich.
»In Ordnung, ich werde da sein. Aber jetzt müssen Sie wirklich gehen«, sagte sie lächelnd und widmete sich wieder ihren Aufgaben.
Da Julian Hagen nicht da war, konnte sie endlich mal pünktlich Feierabend machen, eine Seltenheit in den letzten vier Wochen. Gut gelaunt ging Charlotte hinunter zu den Parkplätzen.
»Hallo Jupp«, begrüßte sie ihren Liebling und klappte das Verdeck hinunter.
Jupp war nicht mehr der Jüngste, aber noch gut im Lack. Zwar stöhnte ihr Vater immer, wenn er das ein oder andere Wehwehchen ausbessern musste, aber Charlottes Herz hing nun mal an ihm. Sie liebte ihr schwarzes Käfer-Cabrio einfach abgöttisch. Fröhlich schwang sie sich hinters Steuer und klopfte zärtlich auf das Armaturenbrett, als Jupp ohne größere Zickereien ansprang. Selbst das alte Autoradio schien gute Laune zu haben, denn aus den Boxen schallte ihr »Ich fühl mich disco« entgegegen.
Ohne Murren fuhr Jupp sie zu ihrer Wohnung. Das Haus, in das sie vor kurzem eingezogen war, musste dringend renoviert werden. Nicht nur die Bausubstanz hatte nach all den Jahren ein Make-over nötig, sondern auch die Fassade. Etliche Möchtegern-Künstler waren wohl der Ansicht gewesen, sich in bunten Graffitis verewigen zu müssen, was den äußeren Eindruck nicht gerade aufwertete. Aber die Miete war spottbillig und da sie mit ihrem Gehalt keine großen Sprünge machen konnte, reichte es gerade so aus, um sie und Jupp zu unterhalten. Charlotte war chronisch klamm, versuchte das aber immer etwas abzufangen, indem sie am Wochenende zusätzlich kellnerte.
Nachdem sie hinter sich die Wohnungstür ins Schloss hatte fallen lassen, schleuderte sie ihre Schuhe von den Füßen und öffnete die Balkontür. Auf dem Nachbarbalkon feierte gerade die Punk-WG ein wildes Besäufnis und man schmiss ihr eine Bierflasche rüber. »Hier Charlie. Gönn dir!«
»Danke«, rief Charlotte freundlich und öffnete die Flasche gekonnt mit einem Schlag aufs Geländer.
Das kalte Bier war extrem erfrischend, denn die Hitze drückte noch immer unangenehm. Sie schaute auf die Uhr. Bis zu ihrer Verabredung mit Andersen waren es noch fast drei Stunden. Also Zeit genug, um noch ein wenig den frühen Feierabend zu genießen. Schnell spannte sie ihren Sonnenschirm auf und stellte ihn so, dass der munteren Punk-WG der Blick auf ihren Balkon versperrt blieb. Dann zerrte sie ihr Planschbecken heraus.
Nachdem sie es mit Wasser befüllt hatte, zog sie ihren Bikini an und ließ sich hineingleiten. Sie angelte nach einer Ente, in deren Mitte man eine Flasche Bier hineinstellen konnte, und ließ sie zu Wasser. Dabei kratzte sie sich mit ihrem lädierten Fingernagel, unwillkürlich musste sie an die letzten Stunden im Büro denken.
Sowas Peinliches kann auch nur dir passieren! Und anstatt klein beizugeben, reißt du auch noch deine Klappe auf, rügte sie sich selbst.
Sie dachte an die Worte ihrer Mutter, die ihr immer wieder einbläuen wollte, sie müsse demütiger werden und auch mal Ärger hinunterschlucken.
Schwachsinn, motzte Charlottes innere Stimme direkt los. Allerdings musste sie sich eingestehen, dass sie die letzten beiden Stellen wohl nicht verloren hätte, wenn sie ihre Chefs nicht chauvinistische Deppen oder F1-Tasten-Drücker und Teletubbie-Zurückwinker genannt hätte.
Ihre Oma hatte einmal gesagt, dass es ihr so vorkäme, als wohnten ein Engelchen und ein kleines Teufelchen in Charlottes Kopf – und manchmal kam es ihr selbst so vor.
Das Klingeln ihres Handys riss sie aus ihren Gedanken. Da die Sonne in einem ungünstigen Winkel stand, war es unmöglich, die Nummer auf dem Display zu erkennen. »Wer stört?«, murmelte sie ungehalten.
Ein tiefes Lachen war zu hören. Charlotte spürte ein leichtes Kribbeln, das durch ihren Körper lief. Unverkennbar – es war die Stimme ihres Chefs.
»Entschuldigen Sie, Frau Wild. Julian Hagen hier. Tut mir leid, dass ich Sie in Ihrem wohlverdienten Feierabend störe, aber könnten Sie mir bitte einen Gefallen tun?«
»Natürlich«, säuselte sie in ihr Handy. Boden gutmachen!, bläute sie sich selbst ein.
»Ich bräuchte morgen Vormittag einige Unterlagen. Könnten Sie mir die bitte zumailen. Haben Sie etwas zum Schreiben da?« Er klang ausgesprochen freundlich. Offenbar hatte er den Vorfall vom Nachmittag tatsächlich abgehakt, was Charlotte sehr erleichterte.
»Moment, ich leg’ Sie mal eben weg.« Sie stieg aus ihrem Mini-Pool und tapste, kleine Wasserpfützen hinterlassend, durch ihre Wohnung. Mit Block und Stift bewaffnet, ließ sie sich wieder ins Wasser platschen.
»Sitzen Sie gerade in der Badewanne?«, fragte Julian überrascht.
»Nein, äh, im Pool.«
»Im Pool? Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht vom Schwimmen oder so etwas abhalten.«
»Na ja, also schwimmen wäre übertrieben. Eigentlich ist es mehr ein Planschbecken. Ein Kinderplanschbecken. Auf meinem Balkon.«
Sie hörte wieder sein angenehmes Lachen. »Sie haben ein Planschbecken auf Ihrem Balkon?«
»Ja. Na und?« Charlotte fragte sich, warum sie ihm das überhaupt erzählt hatte. »Es ist schön erfrischend.«
»Das glaube ich sogar. Ich beneide Sie. Mein Hotelzimmer hat keine Klimaanlage und so eine Abkühlung könnte ich jetzt auch gebrauchen.« Seine Stimme verursachte ihr eine Gänsehaut. Warum war ihr das in den letzten vier Wochen nicht aufgefallen? Aber seit dem Vorfall heute Morgen hatte sich irgendetwas verändert.
»Ist in Ihrem Planschbecken auch Platz für zwei?«, raunte er in den Telefonhörer und riss sie damit aus ihren Gedanken.
Charlotte fiel vor Schreck fast das Handy ins Wasser. Was soll das denn jetzt?
Doch sie fand schnell ihre Fassung wieder. »Theoretisch schon«, sagte sie frech. »Kommt drauf an, wer mit hinein will.«
»Ich gebe zu, dass mich Ihr Anblick im Bikini schon sehr reizen würde«, wisperte er mit heiserer Stimme.
Ich glaub’s ja nicht!, dachte sie empört. »Was für eine Art Gespräch wird das denn?«
Wolltest du nicht Boden gutmachen? Ihre innere Stimme verzweifelte.
»Entschuldigung, ich wollte Ihnen nicht zu nahetreten«, kam es zerknirscht aus der Leitung.
Jetzt kannst du es wieder geradebügeln! Ein imaginäres Engelchen nahm auf ihrer Schulter Platz.
»Ach ja? Wer sagt Ihnen denn, dass ich überhaupt einen Bikini trage?«, antwortete sie keck.
Mein Gott Charlie! Was ist denn bloß in dich gefahren? Ohnmächtig kippte der kleine Engel nach hinten über, während ein Teufelchen gerade genüsslich seinen Platz einnahm, einen Mordsspaß hatte - und nachlegte.
»Vielleicht bin ich ja nackt?«, gurrte sie ins Telefon.
»Äh … also … ich dachte, wenn Sie auf Ihrem Balkon sind … dann … dann hätten Sie auf jeden Fall etwas an. Also … dachte ich«, stotterte Julian Hagen verlegen ins Telefon.
Charlotte grinste und ignorierte ihre Skrupel. »Na ja, wer ist denn heute noch so prüde? Sie etwa?«
Nebenan drehte jemand die Punk-Musik lauter und verhinderte, dass sie seine Antwort mitbekam. »Moment!«, schrie sie ins Telefon und krabbelte aus dem Wasser. Sie schlang sich ein Badehandtuch um, tapste samt Handy zurück in ihre Wohnung und schlug die Balkontür zu.
»Was war denn das?«, hörte sie die verblüffte Stimme ihres Chefs.
»Ähm, nur meine Nachbarn. Sie feiern auf dem Balkon direkt neben mir«, erklärte Charlotte hastig.
»Während Ihre Nachbarn auf dem Balkon direkt neben Ihnen feiern, liegen Sie nackt in Ihrem Planschbecken? Charlotte Wild – Sie lügen Ihren Chef doch nicht an, oder?« Sie konnte hören, dass er grinste.
»Ich? Nein …«, kicherte sie verlegen, »würd’ ich nie tun.«
»Und das war mit Sicherheit schon wieder geflunkert«, lachte er. Dann kam er aber wieder zurück zum Grund seines Anrufs und nannte ihr die Unterlagen, die er benötigte. Charlotte schrieb alles akribisch mit.
»Ich bedanke mich jetzt schon mal und wünsche Ihnen noch einen schönen Abend«, sagte er freundlich. »Es war sehr nett, mit Ihnen zu telefonieren«.
»Fand ich auch.«
»Dann feiern Sie noch schön mit Ihren Nachbarn …«
»Och nein, ich gehe heute mit Herrn Andersen ins ‚Zeitlos’«, erwiderte sie und schalt sich augenblicklich dafür. Was geht ihn das an, mit wem du weggehst? Du blödes Huhn!
»Oh, dann viel Spaß.« Er wirkte überrascht. »Andersen ist bestimmt sehr amüsant«, fügte er schnell hinzu.
»Na ja, wird schon. Wenn nicht, trinke ich ihn mir halt schön«, antwortete sie. Geht’s noch?
Sie betrachtete sich im Spiegel und war mit dem Ergebnis recht zufrieden. Ihre langen blonden Haare waren hochgesteckt, zudem hatte sie sich für ein Neckholder-Top entschieden und eine Jeans, dazu passende zierliche Sandaletten, die sie ein kleines Vermögen gekostet hatten.
Charlotte dachte an ihre Teenager-Zeit zurück. Damals war sie noch pummelig gewesen, hatte lange eine Zahnspange getragen und sich null für Mode interessiert. Auch auf Make-up hatte sie komplett verzichtet, da sie der Ansicht war, dass wahre Schönheit von innen käme.
Während ihrer Ausbildung in einer Schule für Fremdsprachenkorrespondenten hatte sie dann Joseph kennengelernt. Sie verstanden sich auf Anhieb, auch wenn er das komplette Gegenteil von ihr war und sofort begann, sie nach und nach komplett umzustylen. Außerdem schleppte er sie in Fitnessstudios, zerrte sie morgens zum Joggen durch sämtliche Parks und abends in die angesagtesten Clubs der Stadt. Schon nach kurzer Zeit war er zu ihrem engsten Vertrauten geworden, ihm konnte sie auch die intimsten Dinge erzählen.
Dank Joseph hatte sie sehr viel Selbstvertrauen aufgebaut – zu viel, wie ihre Mutter fand – und konnte sich durchaus im Spiegel anschauen. Ihre Figur war ganz okay. Der Busen nicht allzu üppig, aber auch nicht zu klein, doch mit ihrer blonden Mähne zog sie die Blicke der Männer an.
Für Charlotte brach beinahe eine Welt zusammen, als Joseph nach Köln zog. Zum Andenken hinterließ er ihr Jupp, sein altes, schwarzes Käfer-Cabriolet. Doch immer, wenn es Charlottes finanzielle Lage erlaubte, besuchte sie ihn in Köln.
Ein Blick auf ihre Uhr verriet ihr, dass sie noch ein paar Minuten hatte, bevor sie losmusste. Sie ging zurück auf den Balkon. Nebenan grölten ihre Nachbarn mittlerweile lautstark Punk-Songs.
»Kommste rüber, Charlie?«, schrie ihr einer zu.
Sie lehnte dankend ab. Obwohl es bei ihnen mit Sicherheit lustiger wäre, als den Abend mit Malte zu verbringen.
Charlotte erschien mit einkalkulierter zwanzigminütiger Verspätung. Malte wartete bereits und strahlte sie ehrfürchtig an, als sie zu ihm an die Bar trat.
»Charlotte. Sie sehen fantastisch aus«, schmeichelte er. »Sollen wir uns an einen Tisch setzen?« Er deutete auf eine abgeschiedene kleine Nische.
»Ähm, hier ist es doch auch schön«, sagte Charlotte schnell und schwang sich rasch auf einen Barhocker.
Man sah Malte die Enttäuschung an, er sagte aber nichts und nahm neben ihr Platz.
Das fehlt mir noch – mit dem in eine Knutschecke! So viel Alkohol hab’ ich noch nicht getrunken.
Zu ihrer Überraschung erwies sich ihr Begleiter dann aber doch als origineller Gesprächspartner. Nach dem zweiten Cocktail fand sie ihn sogar richtig sympathisch, nach dem dritten hatte er das Prädikat ‚Niedlich’ erreicht.
Sie lachte gerade über einen seiner Witze, als ihr Blick zu Tür ging.
»Ups«, kicherte sie und stupste ihn in die Seite. »Da kommt Lord Voldemort mit seiner Lieblingshexe.«
Malte folgte ihrem Blick und rollte mit den Augen. »Der hat gerade noch gefehlt. Sollen wir gehen?«
»Nee, warum denn?« Charlotte war grad so schön in Stimmung und ihr Alkoholpegel bereits hoch genug, um Thomas Bambeck zu ertragen – und Mona konnte sie locker in die Tasche stecken.
»Juchu«, trällerte sie und wedelte wie wild mit ihrer Hand. »Hallo Thomas! Hier sind wir!«
»Charlotte!«, zischte Malte. »Das ist ja wohl nicht Ihr Ernst!«
Thomas sah wütend zu ihr rüber und sein eiskalter Blick senkte die Raumtemperatur merklich. Doch Charlotte beschloss, sich davon nicht irritieren zu lassen, und brüllte weiter: »Setzt euch doch zu uns!« Sie schenkte ihm ihr liebenswürdigstes Lächeln.
Thomas Bambeck rollte mit den Augen, kam dann aber tatsächlich mit Mona im Klammergriff rüber.
»Frau Wild. Wie schön«, lächelte er, doch den säuerlichen Ausdruck konnte es nicht übertünchen.
»Ja, nicht wahr? So klein ist die Welt« Sie nahm ihr Glas und prostete ihm zu.
Thomas nickte Malte zu. »Herr Andersen ...«
»Was wollt ihr trinken?«, fragte Charlotte freundlich.
»Also, ich nehm’ einen Sex on the Beach«, meldete sich Mona sofort zu Wort und zwinkerte keck.
Charlotte kicherte los. »Warum wundert mich das jetzt nicht, du kleines Luder.« Sie knuffte Mona verschwörerisch in die Rippen. »Und Sie? Lassen Sie mich raten … Einen Zombie, stimmt’s?«, strahlte sie Thomas an.
»Nein. Whiskey«, entgegnete der brummig.
Charlotte orderte die Getränke und als sie kamen, stieß sie überschwänglich mit Thomas, Mona und Malte an. »Auf einen schönen Abend, ihr drei Hübschen«, jauchzte sie in die Runde.
Sie bemerkte sofort, dass sich weder Malte noch Thomas wohl fühlten – und ihre Laune stieg. Reiß dich zusammen, du musst doch nicht immer Ärger machen!, tobte es in ihr. Doch das kleine Teufelchen übernahm das Ruder. Aber wenn es doch grad so schön ist ...
»Wir sollten Brüderschaft trinken! So jung kommen wir nicht mehr zusammen.« Sie zwinkerte den beiden Herren provokant zu und hob ihr Glas. Hast du noch plattere Sprüche auf Lager?
»Das sollten wir mal schön lassen«, brummte Thomas, dem die Situation sichtlich immer unangenehmer wurde.
»Ach, warum denn?« Malte schien wieder aufzublühen. »Ich finde die Idee ganz bezaubernd.« Er lächelte den beiden Frauen zu.
»Ja. Warum denn nicht, Tommy?« Auch Mona schien der Gedanke zu gefallen, sie schenkte Andersen einen tiefen Blick.
Lord Voldemort entgleisten sämtliche Gesichtszüge. »Weil ich nicht vorhabe, mich mit einer dahergelaufenen Aushilfskraft zu duzen«, zischte er Charlotte zu.
»So, so … Und was ist Mona? Etwa eine dahergelaufene Angestellte?«, fragte sie Thomas herausfordernd. Charlotte fühlte sich immer wohler. Es war eine gute Idee gewesen, Maltes Einladung anzunehmen und auszugehen.
Mona sah Thomas mit großen Augen an und wartete auf eine Antwort. Er wurde noch wütender. Es schien ihn enorme Überwindung zu kosten, nicht komplett loszuschreien. »Nein, natürlich nicht…«, brummte er stattdessen.
»Ach so? Aber auf mich trifft das zu? Nur weil ich bei einer Zeitarbeitsfirma arbeite? Was ist denn das für eine unmögliche Einstellung? Und das von einem Geschäftsführer eines großen Unternehmens! Wie menschenverachtend!«, schleuderte Charlotte ihm lautstark entgegen. Das kleine Teufelchen machte gerade ein paar Luftsprünge.
Thomas sah sich beschämt um, einige der Gäste musterten ihn vorwurfsvoll.
»Also gut, bringen wir es hinter uns«, nuschelte er resigniert.
Charlotte nahm ihr Cocktailglas und stieß mit ihm an. »Ich heiße Charlotte«, säuselte sie ihm zu. »Und du?«
Charlotte spürte, wie die Wut erneut in ihm hochkochte. Eigentlich hätte sie bei seinem Blick sofort tot umfallen müssen. Sie verhakten ihre Arme miteinander, und jeder trank einen Schluck. Zu ihrer Überraschung nahm Thomas ihr dann das Glas aus der Hand, zog sie mit einem Arm fest an sich, während seine andere Hand ihren Nacken hart umfasste. Sein Griff war schmerzhaft und er presste seine Lippen fast schon brutal auf ihre. Sein Kuss war so fordernd, dass sie schließlich ihren Mund unter seinem Druck öffnen musste und er seine Zunge in sie hineinstieß. Sie ließ es über sich ergehen, war aber heilfroh, als er sie losließ. Doch sie wollte sich keine Blöße geben und lächelte ihm zu.
»Das passiert, wenn man einen Thomas Bambeck zu sehr reizt«, raunte er ihr zu und fuhr mit einem Finger über ihre geschwollenen Lippen. Ein gemeines Grinsen breitete sich in seinem Gesicht aus. »Tut’s weh?«
Charlottes Zorn wurde übermächtig, alles in ihr brodelte. Anstatt auf seine blöde Frage zu reagieren, ergriff sie die Chance, schlug seinen Finger weg und nahm jetzt ihrerseits seinen Kopf fest zwischen ihre Hände. Das Überraschungsmoment ausnutzend, drückte sie ihren Mund nun auf seinen und biss ihn kräftig in die Unterlippe. Er zuckte zurück und sie sah, dass er blutete. »Und das passiert, wenn man Charlie zu sehr provoziert. Tut’s weh?«
Für einen Moment starrte er sie nur entgeistert an. Dann fuhr er sich mit dem Handrücken über den Mund. Fassungslos betrachtete er das Blut auf seiner Haut, bevor es in seinen Augen seltsam aufblitzte und Charlotte fragte sich, was das nun wieder zu bedeuten hatte. Sie nahm ihr Glas und kippte den restlichen Cocktail auf Ex hinunter, um den metallischen Geschmack seines Blutes aus ihrem Mund zu spülen.
»Ähm, vielleicht ist das Brüderschaft trinken doch keine so gute Idee?«, sagte Malte zaghaft.
»Hast du Schiss?«, fragten Charlotte und Mona gleichzeitig und sahen ihn auffordernd an.
»Öh, nein! Natürlich nicht!«, stammelte er sichtlich verlegen. Mona ließ sich das nicht zweimal sagen und schnappte ihn sich. Während sie ihm einen heißen Kuss gab, und Charlotte sich fragte, ob sie damit Thomas eifersüchtig machen wollte, spürte sie seinen Blick auf sich.
Noch während sie darüber nachdachte, beugte sich Thomas zu ihr vor, seine Wange berührte ihre und er flüsterte in ihr Ohr: »Sie haben entweder ganz schön viel Mut oder Sie sind einfach nur komplett durchgeknallt. Aber wenn Sie Ihren Job behalten wollen, dann sollte Ihnen so etwas nicht mehr passieren. Haben wir uns verstanden?«
Charlotte schluckte kurz, dachte aber nicht im Traum daran, sich von ihm einschüchtern zu lassen. »Ich bin nicht Ihre, nein falsch - deine Angestellte –, sondern die von Herrn Hagen«, belehrte sie ihn. »Also hat er da ja auch noch ein Wörtchen mitzureden, Thomas.« Sie hatte ihren Mund dicht an sein Ohr gelegt und ihre Lippen berührten seine Haut.
Er zuckte zurück, schaute sie fast schon hasserfüllt an. »Pass bloß auf!«, zischte er.
»So, und jetzt bin ich dran.« Malte lächelte ihr lüstern zu und hielt ihr sein Glas hin.
Charlotte verdrehte innerlich die Augen. Bring es hinter dich!
Sie gab sie sich einen Ruck, stieß mit ihm an und drückte ihm einen leichten Kuss auf den Mund.
»Das war’s schon?«, fragte er enttäuscht.
»Wenn du mehr willst, dann komm!« Mona kicherte debil und spitzte ihren Mund.
»Das reicht jetzt!« Thomas packte sie am Arm und zog sie weg.
»Hat mich sehr gefreut!«, rief Charlotte ihnen hinterher.
Thomas warf ihr einen letzten verachtenden Blick zu, bevor er mit Mona die Bar verließ.
»Und? Was machen wir beiden Hübschen heute noch so?« Malte wackelte anzüglich mit den Augenbrauen.
»Na, was wohl?«, entgegnete Charlotte und bestellte sich einen weiteren Cocktail.
Oh, Gott, du bist total besoffen, stellte sie nach zwei weiteren Stunden fest. Zugegeben, Malte war netter, als sie angenommen hatte, aber jetzt konnte sie einfach nicht mehr.
»I … muss … nahause«, erklärte sie ihm so ernst wie möglich.
»Ich bring dich, natürlich. Das ist doch klar.«
Eigentlich wollte Charlotte lieber alleine gehen, aber sie hatte mächtig Schlagseite und war letztlich froh, dass sie sich an Malte festkrallen konnte. Trotzdem stolperte sie ein paar Mal und zog sich schließlich entnervt die Schuhe aus.
Barfuß und immer noch mächtig schwankend, erreichten dann beide ihre Haustür.
»Hier wohnst du?« Maltes Blick wirkte leicht angewidert.
»Jep«, grinste Charlotte schief. »Issschöner … alsesaussieht.« Nur mit Mühe konnte sie ein lautes Hicksen verhindern. Um sich nicht weiter zu blamieren, zückte sie ihren Schlüssel und versuchte damit, das Türschloss zu treffen, das sich aber gemeinerweise immer von ihr wegbewegte.
»Gib mal her«, forderte Malte sie nach einigen Fehlversuchen schließlich auf.
Er schob sie sanft die Treppen hinauf und als sie vor ihrer Wohnung angekommen waren, öffnete er ihr auch diese Tür. Vor der Nachbarwohnung lungerten ein paar Gäste der Punk-WG herum und musterten Malte abfällig.
»Wenn du Hilfe brauchst und der Kerl dich nervt, schmeiß was gegen die Wand«, bot einer ihr gentlemanlike an.
»Ja, issklar«, lallte Charlotte und torkelte in ihre Wohnung.
Malte fing sie lachend auf und legte die Arme um ihre Taille. Schneller als ihr lieb war, hatte er sie an sich gezogen. »Du bist wunderschön«, murmelte er an ihr Ohr und seine Lippen streiften ihre Haut.
Charlotte fühlte sich überrumpelt und ihre Reaktionszeit war durch den Alkohol doch schon sehr herabgesetzt. Als sie schließlich spürte, dass er an dem Verschluss ihres Oberteils nestelte, sprangen bei ihr sämtliche Alarmglocken an.
»Hey!«, rief sie empört und stieß ihn von sich. Überraschenderweise war ihr Top bereits ganz geöffnet und sie musste es festhalten, damit es nicht über ihre Brüste hinunterrutschte.
»Nur ein bisschen küssen ...« Erneut hatte er sie im Griff.
»Nein!«, schrie sie jetzt lautstark. »Was erlaubst du dir eigentlich? Du spinnst wohl!« Sie tastete nach der leeren Bierflasche von vorhin und zielte damit auf die Wand, die zur Nachbarwohnung grenzte.
Malte verstand, was sie vorhatte und ging auf Sicherheitsabstand. »Entschuldige, tut mir leid. Du musst deine Nachbarn nicht alarmieren, ich bin schon brav.« Beschwichtigend legte er seine Arme auf ihre Schultern. »Wirklich.«
»Nagut«, murmelte sie. Sie ging an ihm vorbei ins Schlafzimmer und zog sich schnell ein T-Shirt über.
»Dann kannste ja jezzgehen«, nuschelte sie, als sie wieder ins Wohnzimmer kam. »Kann ich nicht noch ein bisschen bleiben? Nur reden …«
Charlotte seufzte auf. Aber sie war zu müde und zu betrunken, um lange Diskussionen zu führen. Sie ließ sich aufs Sofa plumpsen und deutete mit ihrer Hand neben sich.
»Dann redest duabba … ischhörenurzu.«
Die Sonne kitzelte an ihrer Nase, Charlotte blinzelte. Ein stechender Schmerz fuhr durch ihren Kopf und sie schloss geblendet die Augen. Doch irgendwas war anders, etwas Schweres lag auf ihr. Vorsichtig hob sie erneut ihre Augenlider und sah einen blonden, verwuschelten Lockenkopf auf ihrem Bauch liegen, den einen Arm fest um ihre Taille geschlungen.
Völlig geschockt setzte sich Charlotte auf, schubste den Eindringling von sich und trat nach ihm.
»Hey«, murmelte es empört.
»Was machst du in meinem Bett?«, schrie sie den Typen an, der sich bei genauerer Betrachtung als Malte Andersen entpuppte.
Panik ergriff sie. Sie sah an sich hinunter. Auch wenn sie sich an das T-Shirt erinnerte und froh war, einen Slip zu tragen, fehlte ihre Jeans. Hektisch hob sie die Bettdecke und suchte verschämt auf dem Laken nach verräterischen Spuren.
»Du bist gestern auf dem Sofa eingeschlafen und ich hab’ dich ins Bett verfrachtet«, nuschelte er. »Keine Sorge, mehr ist nicht passiert.« Er sah sie müde an.
»Wirklich nicht?«, piepste Charlotte kleinlaut. Sie fühlte sich hundeelend.
»Wirklich nicht.« Malte grinste sie an, und küsste sie frech auf die Nase. »Leider.«
Sie funkelte ihn böse an, lächelte dann aber erleichtert zurück. »Gut.«
Zu ihrem Entsetzen stellte sie fest, dass es schon fast halb acht war. »Ich muss mich beeilen«, kreischte sie und sprang panisch aus dem Bett. Ihr Kopf dröhnte, und sie schwankte leicht, aber tapfer marschierte sie unter die Dusche, nahm drei Kopfschmerztabletten auf einmal und würgte sich ein Toast hinunter.
»Zieh einfach die Tür zu!«, rief sie Malte zu, der immer noch ziemlich angeschlagen in ihrem Bett lag.
Alkohol, ist dein Sanitäter in der Not, plärrte es aus dem Autoradio.
»Ja, ist ja gut«, maulte Charlotte und versuchte, einen anderen Sender einzustellen. Doch Jupp war anderer Meinung. Immer wieder sprang er auf dieselbe Frequenz zurück. Charlottes Kopf dröhnte und Grönemeyers Stimme nölte weiter vorwurfsvoll aus den Lautsprechern.
»Ja, ja, ja«, brummte sie und atmete erleichtert auf, als sie endlich die Firma erreichte.
»Hallo Charlotte!«, begrüßte Mona sie freundlich.
»Kannst du nicht leiser reden?«
»Oh, ihr wart wohl noch länger im ‚Zeitlos’, was?« Mona grinste breit.
»Ja, was dagegen?« Charlotte knallte ihre Tasche auf ihren Schreibtisch und fuhr den Computer hoch.
»Thomas war ganz schön angefressen, wegen deiner Beiß-Aktion.«
Angefressen trifft es ziemlich gut, spottete eine kleine giftige Stimme in Charlottes Kopf.
»Na und? Er hat sich auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert.« Sie dachte mit Grauen an den brutalen Kuss. Ihre Lippen hatten sich noch immer nicht so ganz davon erholt.
»Ja, er ist eben sehr wild, wenn du weißt, was ich meine«, kicherte Mona.
Charlotte sah genervt auf. »Nein, weiß ich nicht. Und ich will es auch gar nicht wissen! Steck dir deinen Thomas sonst wohin!«
»Nur kein Neid.«
»Bestimmt nicht!« Charlotte stellte die Unterlagen zusammen, die Julian gemailt haben wollte, und blickte stur auf den Monitor. »Auf diesen eingebildeten, arroganten Fatzke bin ich mit Sicherheit nicht neidisch! Und wie der rumläuft, mit diesen affig gegelten Haaren! Bäh, da schaudert’s mich.«
»Ich gehe mal nicht davon aus, dass Sie mich meinen!« Eine kalte Stimme ließ sie zusammenzucken.
»Thomas …«, stammelte Charlotte und sah zu ihm auf.
»Herr Bambeck für Sie.« Zwei kalte grüngraue Augen musterten sie abfällig.
Charlotte räusperte sich, doch ihr Kampfgeist siegte. »Nee, nee, das Du hab ich mir hart erarbeitet.« Eisern hielt sie seinem Blick stand. Aus dem Augenwinkel sah sie seine dick angeschwollene Lippe. »Und du doch auch …«
»Es reicht! Sie können sich morgen Ihre Papiere abholen, Frau Wild!« Seine donnernde Stimme war mit Sicherheit noch drei Stockwerke tiefer zu hören.
»Ich gehe erst, wenn Herr Hagen mit entlässt!«, keifte Charlotte zurück.
Warum müssen eigentlich alle Leute so dermaßen nerven, wenn man Kopfschmerzen hat?
»Nichts leichter als das!« Thomas starrte sie verächtlich an und stürmte davon.
»Tja, das war’s wohl«, stellte Mona überflüssigerweise fest.
»Das werden wir ja sehen«, nuschelte Charlotte vor sich hin.
Gott sei Dank verlief der restliche Vormittag eher ruhig. Thomas ließ sich – genauso wenig wie Malte – nicht bei ihr blicken.
Gegen ein Uhr klingelte das Telefon.
»Ja, Julian Hagen hier. Vielen Dank für die Unterlagen. Sie haben mir sehr geholfen.« Seine angenehme Stimme besserte ihre Laune schlagartig.
»Oh, sehr gern. Das freut mich zu hören«, entgegnete sie freundlich.
»Aber da ist noch etwas anderes. Der Bambeck hat mich eben angerufen. Er verlangt, dass ich Ihnen klarmache, dass Sie entlassen wären. Können Sie mir bitte erklären, warum er so vehement darauf besteht?«
»Wir sind ein wenig aneinandergeraten. Aber wirklich nicht schlimm, ehrlich.«
Und das ist nicht gelogen – jedenfalls nicht so richtig, pflichtete sie sich selbst bei.
»Wirklich ehrlich?«, hakte Julian offensichtlich amüsiert nach.
»Wirklich ehrlich«, beteuerte Charlotte ihm.
»Nun ja, ich kenne Thomas. Und ich kenne Sie – zumindest ein wenig ...«, lachte er. »Und da Sie mir zugewiesen sind, und nicht ihm, hat er da eigentlich kein Mitspracherecht.«
Charlotte atmete erleichtert auf. »Danke, Herr Hagen.«
»Ich bin dann morgen gegen Mittag wieder zurück. Und, Frau Wild?«
»Ja?«
»Bitte versuchen Sie, mit allen auszukommen, ja? Ich möchte Sie gern noch eine Weile als Assistentin behalten.«
»Ja natürlich«, antwortete sie kleinlaut.
Eigentlich stand ihr jetzt der Sinn danach, in Thomas’ Büro zu stürmen, sich lasziv auf seinem Schreibtisch zu räkeln und ihm den Mittelfinger zu zeigen. Doch dank Julian Hagens Worten verwarf sie die Idee.
Schade ... Das kleine Teufelchen war enttäuscht und seine Hörner bogen sich nach unten.
Nach weiteren zwei Stunden tauchte schließlich auch Malte Andersen bei ihr auf. »Morgen Charlotte«, murmelte er leise.
Verblüfft schaute sie in sein zerknittertes Gesicht. »Jetzt sag aber nicht, dass du bis eben in meiner Wohnung warst.«
»Nee, war kurz bei mir zu Hause duschen. Dein Bett ist aber sehr bequem.« Er zwinkerte ihr aus müden Augen zu.
»Sehe ich auch so besch… so, äh, übernächtigt aus wie du?«, fragte sie zerknirscht.
»Charlotte, ich bin ein Gentleman. Was willst du von mir hören?«, grinste er – zumindest kam es einem Versuch sehr nah.
»Malte, wegen letzter Nacht. Ist wirklich nichts passiert?« Diese Frage quälte sie schon den ganzen Tag.
Er beugte sich zu ihr vor und setzte seinen Hundeblick auf. »Nein, wirklich nichts. Du hast gesagt, ich solle reden, du würdest nur zuhören. Es hat keine fünf Minuten gedauert, da bist du schon eingeschlafen. Ich habe dich in dein Bett getragen und dir die Jeans ausgezogen. Allerdings war ich auch sehr müde und wollte mich nur kurz ausruhen – und da bin ich wohl eingenickt.«
»Bitte Malte, stimmt das wirklich?«
Er griff nach ihrer Hand. »Ich gebe zu, dass ich mich sehr gefreut hätte, wenn gestern Abend mehr zwischen uns gelaufen wäre. Aber mich an einer schlafenden Frau zu vergreifen, so nötig hab’ ich es dann doch nicht.« Es klang aufrichtig.
Charlotte atmete erleichtert auf. »Okay, danke.«
***
Charlotte musste sich eingestehen, dass sie sich freute, ihren Chef heute wieder zu sehen. Obwohl Thomas bereits ein paar Mal bei ihr vorbeigeschneit war und sie mit giftigen Bemerkungen aus der Reserve locken wollte, hatte Charlotte sich gezwungen, nicht darauf zu reagieren. Nur einmal hatte sie sich nicht zurückhalten können. Auffällig hatte sie die Augen verdreht und mit ihrer Hand eine Ich-schneid’-dir-gleich-die-Kehle-durch-Geste gemacht, die ihm leider nicht entgangen war. Er hatte rumgebrüllt und sie war schnell aus seiner Reichweite geflüchtet.
Gegen Mittag kam dann Julian Hagen zurück. »Na, alles klar hier? Haben sich die Wogen geglättet?«
»Sicher«, log Charlotte.
Hat er immer schon so nett gelächelt? Wo hatte ich denn nur meine Augen in den letzten vier Wochen?, dachte sie verzückt. Ganz einfach: Du hast dich wirklich mal zusammengerissen. Und das solltest du jetzt auch wieder schleunigst machen!
»Bringen Sie mir bitte gleich die Post«, bat er sie freundlich, ging in sein Büro, lehnte die Tür allerdings nur an.
Kurz darauf kam Thomas erneut vorbei. »Na? Hast du deine Sachen schon gepackt?« Ohne eine Antwort abzuwarten, fragte er direkt weiter: »Ist er wieder da?«
»Nein, ich habe natürlich noch nicht gepackt, warum auch?«, säuselte sie und lächelte ihn zuckersüß an. »Und ja, er ist da. Ich frage mal, ob du reingehen kannst.«
»Hör auf, mich zu duzen!«
»Du hast mich ja selbst gerade geduzt!«
Die Tür öffnete sich und Julian sah genervt zwischen den beiden hin und her. »Was gibt es, Thomas?«
»Wieso ist die kleine Tippse immer noch da?«, fragte er abfällig.
»Sie ist meine Assistentin – und ob sie entlassen wird oder nicht, entscheide ich ganz allein!« Sein Ton duldete keine Widerworte. Dann fiel sein Blick auf Thomas’ Lippe.
»Hast du eins übergebraten gekriegt oder hattest du eine kleine Wildkatze im Bett?«, grinste er.
Charlotte stockte der Atem. Ängstlich sah sie zu Thomas.
Er schenkte Julian ein mildes Lächeln. »Weder noch. Frau Wild hat mich gebissen.«
Julian prustete los. »Ja klar.« Der folgende Lachanfall schüttelte seinen Körper regelrecht und er klopfte Thomas immer wieder auf die Schulter.
»So schlimm ist Frau Wild auch nicht«, japste Julian, als er wieder halbwegs Luft bekam.
»Nein, sie ist nicht schlimm. Sie ist schlimmer!«, blaffte Thomas jetzt los.
»Ich hab’ dich nur gebissen, weil du mich so brutal geküsst hast«, platzte es aus Charlotte heraus.
»Wessen idiotische Idee war es denn, auf Brüderschaft zu trinken?«, kam es postwendend von Thomas zurück.
Julian schaute geschockt zwischen den Streithähnen hin und her. »Dann stimmt das etwa?«
»Es war nur ein Scherz«, verteidigte sich Charlotte.
Thomas wies mit dem Finger auf sie. »Von wegen! Diese Person ist eine Zumutung. Sie ist respektlos und unverschämt.«
»Man zeigt nicht mit nacktem Finger auf angezogene Leute«, maulte sie kleinlaut.
Julian schüttelte nur noch den Kopf. »Aufhören! Ihr seid beide komplett übergeschnappt. Frau Wild bleibt meine Assistentin. Punkt. Und du hältst dich ab sofort von ihr fern, jedenfalls während der Arbeitszeit. Was ihr in eurer Freizeit so treibt, geht mich ja nichts an.« Julian wirkte auf einmal wie ausgewechselt und sah Charlotte irgendwie enttäuscht an, bevor er zurück in sein Büro ging.
Fuck, fuck, fuck, fluchte Charlotte innerlich. Sie atmete tief durch und sammelte sich ein wenig, dann klopfte sie zaghaft an seine Tür.
»Ja?«, brummte er unwirsch.
»Herr Hagen, ich möchte das erklären …«, begann sie zögerlich.
»Frau Wild, Sie müssen mir nichts erklären. Und ich habe auch keine Lust, in die Streitigkeiten zwischen Ihnen und Thomas hineingezogen zu werden.« Stur fixierte er das Display seines Laptops.
»Ich gebe zu, dass ich Herrn Bambeck ein bisschen provozieren wollte. Er ist immer so unfreundlich. Und als ich gestern mit Herrn Andersen in dieser Bar war, kam Thomas mit Mona herein. Ich … also mir sind da die Gäule wohl ein wenig durchgegangen. Ich
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Ki-Ela Stories
Bildmaterialien: shutterstock.com
Cover: Kopainski Artwork
Lektorat: Martina Suhr - Skoutz 4 Success
Korrektorat: Sandra Bönninger
- Skoutz 4 Succes
Tag der Veröffentlichung: 02.11.2022
ISBN: 978-3-7554-2470-3
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