bla
bla
Mittwoch, 05. Januar 2021; 15 Uhr 06 ; Schreibtisch im Wohnzimmer
Nichts konnte mich zum Abnehmen so animieren, dass ich es durchhielt oder meine Ernährung umstellen konnte, nicht auf Dauer. Das heißt, das ist natürlich auch Unsinn. Ich kann die verschiedenen Diäten nicht mehr zählen, die ich durchlitten habe. Meine erste habe ich mit 13 Jahren gemacht, weil eine Tante ein Foto von mir im Biklini sah und meinte, wann ich denn das Kind bekomme. Ich weiß noch, wie sehr mich das verletzt hat. Wie ich die tiefe Zuneigung zu meiner Tante damals verlor. Was folgte, war meine Konsequenz:
Ich habe mich ein halbes Jahr mit Kalorienzählen durchs Leben gehungert und dabei sage und schreibe neun Kilo abgenommen. Ich trieb Sport, bis ich abends zitternd im Fernsehsessel saß und nicht mehr laufen konnte. Und was auch immer ich tat, ich kam nie unter 64 Kilo (bin 1,64 m klein). Nach 6 Monaten brach ich ein und war das Kalorienzählen so unendlich leid!
Danach nahm ich elf Kilo zu. Wie, weiß ich nicht. Ich hatte einfach keine Lust mehr auf dreimal die Woche Sport und kaum Naschen mit Mini-Portionen zum Essen. Ich hasste Gemüse damals.
Dann wiederholte ich die Diät mit etwa 14 Jahren. Nahm ab bis 67 Kilo, danach nahm ich wieder zu bis 75 Kilo, zwei Kilo mehr als zuvor.
Ich langweile mich schon selbst, wenn ich es schreibe, denn so ging es weiter. Neurodermitis-Diät mit einer Freundin – 68 Kilo, juhu! Rauchen aufgegeben – 78 Kilo, oje. Ernährungsberatung. Zucker gemieden. Das war übel. Nur zwei Wochen, aber wieder 73 Kilo. Danach Fressanfälle, 79 Kilo. Rauchen nochmal aufzugeben versucht – 83 Kilo. Dann schwanger, erstes Kind: 10 Kilo plus, die einfach nicht mehr von den Hüften wollten. 93 Kilo, und ich fühlte mich an diesem Punkt einfach nur noch hässlich. (Heute denke ich: Wäre ich doch nur wieder an diesem Punkt!)
Zweites Kind: nochmal zehn Kilo drauf, dass das noch geht! 103 Kilo, da habe ich begonnen, Sport zu treiben. Egal was. Schwimmen, Fahrradfahren, Gymnastik. Schont die Gelenke. Manchmal knapp unter 100 Kilo, aber nach einer Weile bald 110.
Dann ab in die Mucki-Bude. Das habe ich sehr gern gemacht, denn ich musste über keine Stangen oder Böcke springen und auch nicht joggen oder im Wettbewerb bestehen und die Sauna danach war super. 105 kg, dann wurden die Mucki-Buden-Raten versehentlich storniert, was uns über 300 Ocken (ja wirklich!!!) Versäumnisgebühren kostete - das war's dann mit der Muckibude. Danach: 125 kg.
In einer Kur wieder Ernährungsberatung und Sport: 105 kg nach 6 Wochen Kur. Wieder zuhause, 130 kg und damit definitiv zu schwer für das alte Fahrrad. Ich wurde quasi immobil.
Dies führte zu weniger Bewegung, und dann kamen noch Krankenhausaufenthalte und die Bewältigung einer 10%igen Überlebenschance nach einer Not-Operation. Wieder runter auf 125 kg.
Zurück zuhause war mein Trost-Bedarf enorm. MAnchmal trank ich 3 Liter Bananensaft am Tag. Ich gab irgendwie auf. Ergebnis: 148 kg und Atemnot bei fast jeder Bewegung. Außerdem die Gewissheit, dass der Tod nicht mehr weit ist. Bin ihm ja schon oft von der Schippe gesprungen, aber wie oft wird das noch gut gehen? Ich will aber definitiv älter werden als 60 ... Also, 100 wäre doch toll. Kann ich knicken.
Ich bin jetzt 52 Jahre alt und habe bis hierhin versucht, die Insulin-Diät zu machen, kleinere Portionen zu essen, dafür öfter (noch einmal zehn Kilo drauf, und zwar durch die Diät!), Gemüse nur roh zu mir zu nehmen oder gedünstet, ich habe auf Fette verzichtet und auf Kohlehydrate (wahlweise, nicht zusammen!), ich habe Ian Carrs Buch zur Gewichtsreduktion gelesen, da sein Nichtraucherbuch mir in der Tat nachhaltig geholfen hat, Gott sei seiner Seele gnädig, ich habe etliche Ernährungstabellen geführt, die immer auf kurze Sicht sehr nützen und dann dem Vergessen anheim fallen wie jeder andere gute Vorsatz. Ich habe Diät-Pülverchen gesüppelt, gelöffelt und geschüttelt. Einige davon waren total ekelhaft, andere wiederum schmeckten zu gut, so dass ich einmal eine ganze Packung an einem Tag platt machte. Ich habe versucht, Broteinheiten zu zählen – dadurch habe ich heute noch bei jedem Würstchen, dass ich esse, ein schlechtes Gewissen!
Als ich etwa vier Jahre alt war, saß ich mit meiner Mutter in der Wanne und fragte mich, ob ich je ihre Figur bekommen würde, in etwa so wie ein Käfer mit aufgedunsenem Leib und kurzen, dicken Beinchen. Und so habe ich jahrelang überlegt, ob das alles nicht irgendwie vererbt ist.
Ich überprüfte, ob ich mehr zunehme von Fetten oder von Kohlehydraten, konnte aber nur feststellen, dass ich zunehme. Dann wurde ich Diabetikerin. Mir wurde zunehmend klar, dass ich anscheinend mehr Probleme habe, als ich gedacht hatte. So kam 2007 heraus, dass ich eine schwer traumatisierte Frau bin, die sich leider an sehr vieles lange Zeit nicht mehr hatte erinnern können.
Dass ich dadurch kaum emotionale Selbstkontrolle hatte. Nun, dann ist jedenfalls klar, wie ich an meine heute angesammelten Werke von knapp 148 Kilogramm gekommen bin. Emotionale Überforderung und Essen: eine üble Hochzeit.
Dann wurde ich insulinpflichtig, und Insulin hält das Fett im Körper und macht hungrig, das Abnehmen wird dadurch schwerer. Ein Teufelskreis.
Ich habe in meiner Trauma-Therapie Erfolge feiern können. Es gelingt mir zunehmend, mich besser in den Griff zu bekommen. Ich kann besser mit Stress umgehen. Aber was das Essen betrifft, scheine ich mich in alten Mustern zu ölen. Manchmal scheinen auch die Hormone mitzumischen. Dann gibt es kein Halten mehr.
Ich bin zu vielen Schlüssen gekommen im Laufe der Zeit. Ich denke, ich bin ein alter Süchtling. Ich habe das Rauchen und Kiffen aufgeben können, okay. Aber das zu viel essen, das quält mich immer noch. Mein Körpergefühl ist sehr eingeschränkt durch die Traumatisierungen; „ich habe Durst“, war mir lange Jahre völlig unbekannt. Als junge Frau habe ich jeden Tag lediglich drei Tassen Kaffee getrunken, sonst nichts, tagelang. Ich merkte das nicht etwa, weil ich Durst auf Wasser bekam, sondern weil ich Sehstörungen und Kopfweh bekam. Schwitzen war mir unbekannt, bis ich lernte, jeden Tag 2-3 Liter Wasser zu trinken. Eine Umgewöhnung, die Jahre in Anspruch nahm.
Das Essen ist mein letztes Laster. Dafür macht es mich aber auch sehr krank. Meine kleinen Füße (Größe 38) sind mit dem Gewicht überfordert. Sie schmerzen manchmal so sehr, dass ich tagelang nicht mehr laufen kann. Das Anziehen der Schuhe ist schwierig geworden. Ich lagere Wasser ein von den Zehen bis zum Bauch. Meine Adern verkalken schneller, mein Herz, meine Leber, alles verfettet, arbeitet nicht mehr so, wie es soll.
Wer so dick ist wie ich, wird keine 80. Aber ich, wie gesagt, ich will 100 werden!
Ich kann nur noch Über-Übergrößen tragen. Blusen müssen schon Zelte sein. Ich kann nicht mehr so gut singen wie früher, die Luft ist zu knapp. Ich kann nicht in Worte fassen, wie mich das nervt. Ängstigt. Fertig macht! Was also kann ich tun?
Vor meinem inneren Auge sehe ich, wie ich heulend auf den Knien meinen Mann um eine Packung Cornflakes mit Zucker anflehen, die Nerven blank, die Hände zitternd. Ich habe Angst vor meiner eigenen Ungeduld. Wer weiß, was für weitere Abgründe sich tief in meiner Seele auftun?
Nachdem ich 3x auch in der Fastenzeit gescheitert bin, in der ich auf Zucker verzichtet habe, weiß ich allerdings nun etwas mehr:
1. Es liegt an meiner Zuckersucht. Zucker ist für meinen Körper Gift, zumindest in den Mengen, wie ich ihn zu mir nehme.
2. Wenn ich meinen Zucker nicht bekomme, treten folgende Symptome auf:
Ich kam letztlich zu dem Schluss (gemeinsam mit meiner geduldigen Therapeutin), dass ich als Kind mit Essen getröstet wurde und mir nun andere Wege des Tröstens erobern müsse. Ich fand diese Konsequenz so dermaßen doof, dass ich bis zum Anfang dieses Jahres die Konsequenz für mich aufgeschoben habe. Sogar den 1.1. und den 2.1. ließ ich verstreichen, so wenig Lust habe ich auf die kommende Zeit. Aber es ist klar:
ICH MUSS LOSKOMMEN VOM ZUCKER !!!
Ich habe das Gefühl, das wird wieder mal keine schöne Zeit. Ich meine, hallo, wer freut sich schon auf zuckerfrei? Ich will auf alle Naschereien verzichten. Kein Zucker mehr!
Ich will alt werden und mich noch mit meinen Urenkeln unterhalten können! Ich will nicht immer schräg angeguckt werden, weil ich mich so schlecht beherrschen kann. Ich möchte mich mal wieder leichter fühlen und nicht immer frustriert und schwer. Ich möchte meiner Waage sagen: Schau mal, Du brauchst nicht mehr so zu ächzen! Ich möchte für die Welt weniger Stoff kosten, und vielleicht geht mein Diabetes ja so zurück, dass ich aufhören kann, meinen Bauch täglich mit sieben bis zehn Nadelstichen zu löchern. Ich sehe da aus wie ein Junkie! ÄrztInnen fragen jedesmal: Woher kommen die Stiche im Bauch?
Ich denke, was den Erfolg der Geschichte also behindern könnte, sind meine Emotionen. Also nützt mir keine Diät dieser Welt. Mein Bauch braucht andere Antworten als Frankfurter Kranz oder Cola Zero. Antworten, die meinem Bauch helfen zu verdauen (denn Verdauungsprobleme habe ich natürlich auch). Ich habe mich mein Leben lang geweigert, mir diese Antworten zu geben. Weil ich die Fragen nicht ertragen habe.
Darum geht es also. Ich verzichte also nicht bloß auf Zucker und lasse meinen Bauch mit seinen Problemen alleine. Ich hoffe, ich habe da einen Lösungsansatz:
MEIN NÖRGEL-TAGEBUCH!
Was Sie hier lesen können, sind die Nörgeleien, die mich immer wieder versagen ließen. Die inneren Dialoge, die geführt werden müssen, damit der "Hunger", der eigentlich ein emotionaler Hunger ist, gestillt werden kann.
Ja, es ist mal wieder ein Versuch. Aber irgendwie bin ich zuversichtlicher als sonst immer. Mein Bauch scheint sich auf die Heul- und Jammerorgien fast schon zu freuen!
Der Plan: Immer, wenn ich denke, ich halte es nicht mehr aus, ich muss jetzt etwas Süßes haben, werde ich mich so schnell wie möglich hier an meinen PC setzen und mein Nörgeltagebuch öffnen und schreiben. Schreiben hat mir früher schon immer ganz gut getan. Schreiben. Fragen stellen, wie eine liebevolle Mutter es tun würde. Mich innerlich trösten mit den Worten, die sonst keiner je für mich übrig hatte, am wenigsten ich selbst. Schreiben, trösten, mich selbst stärken und unterstützen, bis der Anfall vorbei ist.
Jemand anderes würde vielleicht nicht schreiben, sondern sich ins Bett verkriechen und das ganze mündlich machen. Es gibt sicher mehrere Methoden - dies aber ist MEINE. Ich schreibe, weine, fluche, bis meine innere Mutter mir sagen kann: Siehst Du, Du schaffst es: Ich bin stolz auf Dich!
Ich bete auch. Gott ist mir mein bester Freund, und manchmal wird auch er hier zu Wort kommen, denke ich. Er ist immer so lieb zu mir in meinen Gedanken - das kann sehr hilfreich sein, wenn man selbst gerade gar nicht lieb zu sich sein kann. Es gibt auch kein Limit.
Ach ja: Der absolute Verzicht auf Kuchen & Co. erscheint mir zu radikal, solche Dinge sind meist eher zum Scheitern verdammt. Ich darf also an Feiertagen naschen. In Maßen. Also, mal ein Stück Kuchen oder Süßstoff in den Kaffee, aber wirklich nur an Feiertagen. Deren gibt es im Jahr auch wirklich genug, so dass ich eigentlich wieder lernen könnte, mich auf etwas nicht Alltägliches von Herzen zu freuen. Und zu genießen, anstatt gedankenlos in mich hinein zu schlingen wie schon so oft. Das also ist mein Plan: eine Umstellung der Ernährung für den Rest meines Lebens.
Alsdenn: Lieber Gott, hilf mir bitte mit meiner Sache. Ich wünsche mir Deine Hilfe, wenn ich selbst denke, ich schaffe es alleine nicht. Du wirst wissen, wie wir das schaffen können. Danke, Amen.
Bin ich gewappnet? Nö, keineswegs. Bin ich gespannt? Na ja ... Nach so vielen Selbstversuchen ist man irgendwie nicht mehr wirklich gespannt. Sagen wir, im Moment bin ich ... interessiert. Und nun halten Sie sich fest: Ich bin schon im dritten Tag der Umstellung. Ich weiß nicht, warum, aber ich war bisher noch nicht so verzweifelt, hier hinein schreiben zu müssen. Doch ich bleibe jetzt dran. Vor allem meine Cola Zero fehlt mir total! Aber das ist wohl der "normale" Entzug. Ich hoffe, dieses Buch wird kurz, Sie verstehen. Andererseits, vielleicht kann ich Lesern helfen, sich auch mal den eigenen Gefühlen und Gedanken zu stellen. Wir lesen uns!
Texte: Helene Elis
Bildmaterialien: Helene Elis
Tag der Veröffentlichung: 23.01.2016
Alle Rechte vorbehalten