„Ich hätte niemals geahnt, dass der Umzug mein Leben so verändern würde. Wenn ich es gewusst hätte, wäre ich niemals hergekommen und hätte mich strikt geweigert. Danach geschahen zu viele fürchterliche Dinge, die ich gerne nicht erlebt hätte. Ich verlor viele wichtige Personen.“ Nathan und Hailey schauen mich groß an. „ Doch dann hätte ich nie die Menschen getroffen, die zu den wichtigsten in meinem Leben wurden. Und nicht IHN.“
Es war ein Mittwoch, der dritte März. Mein erster Tag an meiner neuen Highschool. Obwohl wir erst seit gestern da waren, bestanden meine Eltern darauf, dass Joy, meine kleine zwölfjährige Schwester und ich heute schon zur Schule gehen sollten. Bildung spielte bei ihnen eine wichtige Rolle. Kein Wunder, bei ihren Berufen.
Meine Mom war eine Staatsanwältin, die sich zum Ziel setzte, vor allem Mörder und Kinderschänder in den Knast zu bringen. Am liebsten hätte sie allen diesen Schwerverbrechern einfach die Todesstrafe angehängt, doch sowas ging nicht so leicht. Sie fühlte sich wie Superwoman, die die Bösen bestrafte. Ich glaube, dass sie am liebsten auch Superkräfte hätte.
Dad war ein Wissenschaftler. Ein sehr erfolgreicher und bekannter sogar. Er arbeitete in einem Institut, experimentierte dort, doch mehr wussten wir alle, seine Familie, damals auch nicht. Es wurde alles streng geheim gehalten. Er war auch der Grund für unseren Umzug, denn er wurde versetzt. Für ihn machte es nichts aus, von einer Großstadt in einen kleinen Ort umzuziehen, denn die Forschung war sein Leben. Manchmal sogar wichtiger als wir, was dann zu Streit mit Mom führte.
Unser neues Haus stand am Rande eines Waldes. Es war auf jeden Fall schöner als unser altes Apartment in New York. Auch die Umgebung gefiel mir deutlich besser, weil ich morgens nicht von dem nervigen Straßenlärm geweckt wurde, sondern von dem Gezwitscher der Vögel. Auch sah ich zum ersten Mal in meinem Leben richtige Natur und nicht nur den Central Park. Immer noch müde von der gestrigen langen Fahrt rappelte ich mich aus meinem Bett, wobei ich mich an meinem offenen Fenster stieß. Autsch. Der Tag fing ja gut an. Ich schlurfte ins Bad, wo ich mich fertigmachte.
Danach ging ich zu meinem Kleiderschrank, wo ich passende Sachen für meinen ersten Schultag suchte. Ich wollte ja nicht wie eine Hexe aussehen. Doch leider fand ich wie immer nichts. Das lag jetzt nicht daran, dass ich zu wenig hatte oder sie alle zu hässlich waren, sondern eher an meiner Figur. Kritisch betrachtete ich mich im Spiegel. Für meine 15 Jahre war ich einfach zu klein. 1,54 m. Und zu dürr. Nicht schlank wie die superheißen Cheerleaderinnen mit dem Fett an der richtigen Stelle, sondern einfach dürr. Ich wünschte mir jetzt zwar nicht gleich Doppel-D-Brüste, aber etwas größer hätten sie auch sein können. Ich sah einfach aus wie eine Zwölfjährige. Alle aus meiner Familie waren ziemlich groß, selbst Joy war schon 1,67 m und sah zudem ein bisschen älter aus als ich. Ein weiterer Unterschied zu meiner Familie war außerdem unsere Haar- und Augenfarbe. Alle hatten lockige, blonde Haare und grüne Augen. Ich dagegen bin brünett und blauäugig.
Seufzend schnappte ich mir eine Bluse ohne Ärmel, eine Strickjacke und die einzige Jeans, die mir von der Länge her passte. Sah ganz passabel aus, dachte ich mir und ging die Treppe hinunter, die zu unsere Küche führte. Es roch lecker nach Kaffee und frischen Pfannkuchen. Mein Magen knurrte und ich fühlte mich ausgeleert. Am Tisch saßen bereits Mom und Joy, die total K.O aussahen. Joy aß sogar mit geschlossenen Augen. Ich legte ein paar Pancakes auf einen Teller und nahm mir eine Tasse Tee, bevor ich mich zu ihnen hinsetzte.
„Wo ist Dad?“, fragte ich und begann sofort zu essen. Es schmeckte köstlich. „Er ist schon früh zur Arbeit gefahren, um sein neues Labor zu untersuchen und seine neuen Kollegen kennenzulernen.“, antwortete Mom, „ Er meinte, dieses Mal sei es ein großes, wichtiges Projekt.“ „ Achso.“ Ich schaute zu Joy hinüber, die in ihrem Essen herumstocherte. Herrje, so konnte sie aber nicht zur Schule. Normalerweise sprach sie schon nicht viel, aber in diesem Zustand würde sie heute bestimmt nichts sagen. Trotzdem war sie eines der hübschesten und süßesten Mädchen, die ich je gesehen habe. Meine kleine Joy.
„ Du hast doch nächsten Samstag einen Wettbewerb oder?“, fragte ich diesmal Joy, um sie ein wenig wach zu machen, „ Hast du deine Erfindung fertig?“. Ah, ich denke, dass ich das auch erwähnen sollte. Also, von uns beiden hat nur Joy die Intelligenz geerbt. Ich dagegen war richtig dumm. Naja, nicht wirklich, aber im Vergleich zu sie schon. Während sie ohne Mühe Einsen kassierte, seit sie klein war Wissenschafts-Wettbewerbe gewann und zu den Elite-Kindern des Landes gehörte, war ich eine dreier und vierer Schülerin, die nichts konnte außer zu essen. Immerhin hatte ich schon viele Wettessen gewonnen und bekam viele Gutscheine. Hatte auch was Gutes. Aber ich war nicht eifersüchtig auf Joy. Überhaupt nicht. Ich liebte sie über alles und war schon immer stolz auf sie gewesen.
„ Ja.“, antwortete Joy wie immer knapp. Nach dem Essen machten wir uns auf den Weg zur Bushaltestelle, die 20 min von unserem Haus entfernt war, wenn man normal ging. Der Himmel war grau und es donnerte leise, was nichts Gutes bedeuten konnte. Wir waren fast da, als es zu regnen anfing. „Mist!“, schrie ich, „ Lauf Joy, beeil dich!“. Wir beide sprinteten die letzten Meter und kamen außer Atem an. Sport war noch nie Joys Stärke gewesen. Sie hustete und war ganz durchnässt wie ich. Zum Glück würde ihr Bus als erster kommen. Aber dennoch wollte ich nicht, dass sie so ihren neuen Klassenkameraden gegenüber trat, wo sie doch eigentlich richtig hübsch aussieht. Ich zog meinen Anorak aus und reichte ihn ihr. Sie schaute mich ihren großen grünen Augen fragend an. Ich wusste, was sie dachte.
„ Du kannst ihn nehmen, sonst wirst du noch krank. Du weißt doch, dass mein Immunsystem viel stärker ist als deins.“ Ich lächelte sie an. Dankend zog sie ihn sich an und stieg in den Bus ein, der gerade kam. Ich winkte ihr noch zum Abschied.
Endlich kam auch meiner. Ich sag allerdings richtig schlimm aus. Zum Glück trug ich nie Make-Up. Im Moment sah ich jedoch aus wie ein alter nasser Teppich und stank nach Regen und Benzin. Ich stieg ein und spürte sofort die neugierigen Blicke. Ich ignorierte das Getuschel, sollen die alle doch denken, was sie wollen. Ich wollte mich im Moment einfach nur hinsetzen und entdeckte einen einzigen freien Platz in der vorletzten Seite. Erleichtert setzte ich mich hin und deponierte meine klitschnasse Tasche unter meinen Sitz. Nachdem ich halbwegs mein Haar entwirrt hatte, begann ich neugierig zu werden, wer neben mir saß. Mein Nachbar schlief und hatte seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Seine blaue Jacke war trocken. Wahrscheinlich hat ihn der Regen nicht erwischt. Hat der ein Schwein. Da es mir zu langweilig wurde, schaute ich mich im Bus herum. Nichts Interessantes außer einem Punk, einen typischen Nerd wie aus dem Fernsehen und irgendeinen Typen, von dem ich das Gesicht nicht erkennen konnte. Doch alle Leute in seiner Nähe quatschten mit ihm und die Mädchen hingen an seinen Lippen. Also war es wahrscheinlich ein superheißer beliebter Typ. Ich hätte nur allzu gerne gewusst, wie er aussah.
„ Du hast meinen Sitz nass gemacht.“ Ich drehte mich um und sah in das Gesicht eines Jungen, der wahrscheinlich alle Mädchen rumkriegen konnte, der einfach nur…umwerfend aussah.
Er hatte dunkelblonde, verwuschelte Haare, etwas dickere, aber dennoch gleichmäßig gerade Augenbrauen, eine gerade lange Nase und volle Lippen. Seine Augen waren ein helles Grün mit gelben Flecken. Ich starrte ihn an und sah wahrscheinlich sehr dumm aus. „ Du hast meinen Sitz nassgemacht.“, wiederholte er wieder, allerdings ein wenig lauter. „ Tschuldigung.“, entgegnete ich und hoffte, dass mein Herzklopfen aufhören würde.
„ Dadurch wird er auch nicht trockener. Und außerdem…“, er nahm eine Haarsträhne von mir und roch daran, was dazu führte, dass ich kurzzeitig aufhörte zu atmen, „… riechst du nach nassem Hund. Du stinkst.“ Da machte es in mir Klick. Egal, wie attraktiv er war und meine Hormone verrücktspielen ließ. Mein Nachbar war einfach nur ein arroganter, unhöflicher Mistkerl, dem es nichts ausmachte, Leute, die er nicht kannte, fertig zu machen.
„ Tut mir ja leid, wenn es plötzlich regnet und der Bus ewig nicht kam.“, sprach ich in einem sarkastische Ton zu ihm. Und bei diesem Typen habe ich tatsächlich Herzklopfen bekommen!
Er blickte mich nicht mal an, als er antwortete. „ Du hättest dich nicht neben mich sitzen brauchen. Eigentlich weiß jeder Bescheid, dass ich lieber alleine sitze.“ „ Da habe ich wohl einen Befehl verweigert, eure Hoheit! Da ich neu hier bin, muss ich erstmal die Hofregeln lernen! Außerdem ist das der einzige freie Platz gewesen!“ Für was hielt sich der Typ überhaupt? Ich stöhnte genervt und drehte mich um. Ich hatte echt keine Lust mehr, mich mit ihm zu unterhalten! König Perfekt konnte wohl meine Gesellschaft nicht ertragen.
„Stimmt. Aber du könntest jetzt auch stehen, was mich sehr glücklich machen konnte.“ Fassungslos starrte ich in sein desinteressiertes und gelangweiltes Gesicht. Er machte nicht mal Anstalten wie normale heiße Jungs, mich mit einem umwerfenden Lachen dazu zu bringen, mich von ihm zu entfernen, sondern es klang eher so, als…ob er es mir befiehl! Da ich schon immer leichte Aggressionsprobleme hatte, holte ich mit meiner Hand aus und gab ihm eine schallende Ohrfeige. Zum Glück hielt in diesen Moment der Bus an. Ich flüchtete und sah nur noch kurz in sein verdutztes Gesicht und die rote, geschwollene Backe, die er sich mit einer Hand hielt. Schnell rannte ich los und suchte das Mädchenklo, um mich zu beruhigen.
Ich bin doof, zu doof! , dachte ich mir, Du hättest ihn einfach ignorieren können, Madison Sparks! Ich spritzte mir Wasser ins Gesicht und hoffte, dass es niemand im Bus bemerkt hatte und er nicht in meine Klasse ging! Alles außer das!
Beim Direktor erhielt ich meinen neuen Stundenplan und eine kurze Einführung in die Schule. Wenn ich weitere Fragen hätte, sollte ich mich bei meinen neuen Mitschülern oder dem anderen Lehrer erkundigen. Ich bekam schnell das Gefühl, dass er mich einfach nur loswerden sollte, denn er fasste sich sehr knapp und sagte mir, dass ich mich zum Unterricht müsste, obwohl ich noch fast 20 min Zeit hatte.
Ich schaute auf meinen Stundenplan und seufzte. Chemie. Mein Lieblingsfach. In meiner alten Schule bekam ich nur dreien und vieren. Es lag aber glaub ich daran, dass mein alter Chemielehrer, Mr. Green mich einfach nicht leiden konnte. Dauernd nahm er mich im Unterricht dran. Oder er dachte, dass ich so ein Genie wie mein Dad wäre. Da hatte er sich aber gewaltig geirrt. Endlich erreichte ich den Chemieraum und fasste all meinen Mut zusammen. Mit zitternder Hand öffnete ich die Tür und betritt den Raum. 18 Augenpaare starrten mich an. Ich hoffte einfach nur, dass ich halbwegs getrocknet war und meine Haare nicht mehr so wirr waren. Die anderen glotzten mich immer noch, entweder weil ich sehr attraktiv war oder einfach nur wie eine Gestalt von einer anderen Welt aussah. Leider wusste ich, dass es das letztere war. Ich versuchte, die spottenden, neugierigen und mitleidigen Blicken zu ignorieren und bewegte mich auf den freien Platz am Fenster zu. Doch nicht mal das schaffte ich, ohne zu stolpern. Jedoch war es nicht eine Tasche, sondern ein Fuß. Jemand hatte mir absichtlich ein Bein gestellt.
Ich schaute hoch und sah in das Gesicht eines Jungen, der mich provozierend angrinste. Er hatte dunkelbraune, gestylte Haare und hellblaue Augen, die mich frech anfunkelten. „ Jo.“, grüßte er mich, „Endlich schaust du uns alle mal an. Bist du ein bisschen schüchtern oder so?“. Ach herrje, ein Macho oder sowas. Das hatte mir noch gefehlt. Er hielt mir seine rechte Hand hin. Erst mich blamieren und dann mir helfen? Was dachte der sich? Ich schlug seine Hand weg und stand auf. „ Deine Hilfe benötige ich nicht. Und danke nochmal, dass ich wegen dir gestolpert bin und deshalb dein Gesicht nicht verpassen konnte.“, murmelte ich und klopfte mir meine Jeans ab.
„ Oh ja, da hast du recht. Du hättest ohne mich echt etwas verpasst.“, er grinste mich immer noch doof an. Sollte das jetzt etwa ein Flirt sein, wenn alle anderen uns anstarrten? Vor allen die Mädchen schauten mich böse an und tuschelten. Da bemerkte ich warum. Der Typ sah echt verdammt gut aus. So gut wie- Jetzt musste ich wieder an meinen Busnachbarn denken. Waren irgendwie alle heißen Typen dieser Schule so seltsam veranlagt? Dieser hier strahlte jedoch Arroganz aus bis zum geht nicht mehr. Wahrscheinlich hielt er sich selbst für Alex Pettyfer oder so.
Ich ignorierte ihn und setzte mich auf den freien Platz. Soll er doch labern was er will. Er hätte mich auch ansprechen können, statt mir ein Bein zu stellen. Keine nette Art, eine neue Schülerin zu begrüßen. Doch leider wurde ich ihn nicht los. Er drehte den Stuhl von der leeren Bank vor mir um und setzte sich hin.
„Tut mir leid wegen vorhin, aber du warst so sehr in Gedanken, da dachte ich mir, dass nur sowas deine Aufmerksamkeit erregen konnte.“, sagte er und blickte mich mit einem Hundeblick an, „ Mein Name ist Mason Trace. Wie heißt du?“. Jetzt wusste ich endlich wer er war. Er war die beliebte Person im Bus, die von den Mädchen angehimmelt wurde. Das erklärt seine Arroganz. Das war allerdings nicht nützlich, denn jetzt versammelte sich auch die restliche Klasse um meinen Tisch und starrte mich an.
„ Madison Sparks. Freut mich, dich kennenzulernen.“, antwortete ich knapp. Ich hatte nicht wirklich Lust, ein Gespräch mit Mason anzufangen. „Cool. Mich auch. Wenn du Hilfe brauchst, kann ich dich in der Schule rumzuführen. Oder du wendest dich an Penny. Sie ist unsere Klassensprecherin. Natürlich kannst du auch die anderen aus unserer Klasse fragen. Eigentlich sind wir 19 Leute, aber Niall schwänzt wahrscheinlich wieder, der Typ.“, er rollte die Augen. „ Aber er war heute Morgen doch im Bus, oder? Ich habe ihn gesehen!“, rief ein Junge mit schwarzen Haaren, der ziemlich asiatisch aussah. „ Ja, wir auch. Und heute saß sogar jemand neben ihn. Total ungewöhnlich!“, sagten auch ein paar Mädchen. Cheerleaderinnen.
Sofort wurde mir klar, wer Niall war. Ich hoffte inständig, dass er nicht der Typ war. Mein Busnachbar. Doch ich spürte es. Um sicher zu gehen fragte ich ein bisschen nach.
„Wieso schwänzt er immer? Ist er ein Schlägertyp oder richtig dumm?“ „Nein, er ist richtig schlau. Man sagt, dass er ein IQ von 169 hat und eigentlich schon auf die Universität gehen könnte, doch er geht komischerweise immer noch auf unsere normale Highschool.“, der Asiat grinste, „ Mit uns dummen Leuten. Er fehlt andauernd und schreibt trotzdem nur Einsen. Wie ich den Typen beneide.“
„ Und es ist wirklich schade, dass er mit niemanden von uns abhängen will.“, sagte eine Blondine von den Cheerleaderinnen und seufzte, „ Er sieht verdammt heiß aus. Der Einzige, der Mason das Wasser reichen kann.“ Okay, es war mein Busnachbar. „ Da fühl ich mich aber geehrt, dass ihr mich so verdammt heiß findet.“, Mason lachte wieder so arrogant, was mich richtig aufregte. Wie konnte man bloß so selbstverliebt sein? Der stand neben Niall auf meine Liste an der ersten Stelle von Leuten, die ich nicht leiden kann.
Eitelkeit in Person. Ich verdrehte meine Augen und hoffte nur, dass die Stunde endlich anfängt. Mein Wunsch ging zum Glück in Erfüllung. Ein großer, bulliger Mann mit einem Schnauzbart und einer dicken Brille kam herein und forderte, uns an unseren Plätzen zu begeben. Er las seine Anwesenheitsliste vor. Als er fertig war und mich entdeckte, hob er eine Augenbraue. „ Oh, wie ich sehe, haben wir eine neue Schülerin.“, sagte er, „ Ich bin Mr. Hatter, Ihr neuer Chemielehrer. Wie heißen Sie? Kommen Sie doch bitte nach vorne und stellen Sie sich vor.“ Mein Magen verkrampfte sich. Ich hatte überhaupt keine Lust, mich da vorne zum Affen zu machen. „ Kann ich das nicht hier hinten machen, Mr. Hatter? Ich bin zu müde, um nach vorne zu gehen. Ich bin erst seit gestern hier und habe nicht gut geschlafen.“, entschuldigte ich mich. Ein paar lachten.
„ Das ist keine Entschuldigung. Wenn Sie so müde sind, dann hätten Sie nicht zur Schule kommen brauchen. Kommen Sie bitte nach vorne.“, erwiderte er streng. Ich stand auf und ging langsam nach vorne. Plötzlich stolperte ich schon wieder über eine dumme Tasche, die mir im Weg stand und fiel auf einen Rücken von jemanden. Ich nuschelte schnell eine Entschuldigung und richtete mich auf, um schnell weiterzugehen. Doch derjenige zog leicht an meiner Strickjacke und ich drehte mich um. Mason Trace. Scheiße. Ausgerechnet auf ihn musste ich fallen. „ Du gehst ganz schön ran, Maddi.“, flüsterte er mir zu und lächelte mich verschwörerisch an. Ich warf ihn einen bösen Blick zu und erreichte endlich die Tafel. Vorsichtig ließ ich mein Blick über die grinsenden Gesichter meiner neuen Mitschüler schweifen und holte tief Luft.
„ Ich heiße Madison Sparks. Ursprünglich komme ich aus –“, weiter kam ich nicht, denn auf einmal klopfte jemand am Fenster. Alle drehten sich sofort zum dritten Fenster um. Da stand er. Niall. Mein Ex-Busnachbar. Ich starrte ihn groß an und blickte auf den Boden, in der Hoffnung, dass er mich nicht erkannte. Mason stand auf und öffnete ihn das Fenster, woraufhin er schnell reinkletterte. Die beiden flüsterten irgendetwas miteinander. Niall ignorierte uns alle und bewegte sich mit großen Schritten auf den freien Platz neben mir. Er sah einfach geradeaus und entschuldigte sich auch nicht wegen seiner Verspätung. Haaallltt!!! Saß ich schon wieder neben ihn? Oh scheiße! Ich stöhnte und verdrehte meine Augen. Bevor er sich hinsaß, wurde er jedoch von Mr. Hatter aufgehalten. „ Bleiben Sie bitte stehen, Mr. Chase. Sie wissen, dass Sie zu spät sind, oder?“. Plötzlich wurde es still in der Klasse. „ Können Sie mir wenigstens erklären, weshalb Sie zu spät sind?“
Ich blickte auf und unsere Blicke trafen sich. Er schaute mich desinteressiert an und wandte sich wieder Mr. Hatter zu. „ Ich war noch bei der Krankenschwester und habe mir Eis zum Kühlen geholt.“ Erst da sah ich, wie rot seine linke Wange war. Die Stelle, wo ich ihn geschlagen hatte. Meine Hände wurden feucht. Hoffentlich erwähnte er nicht, dass ich ihn eine verpasst habe!
„ Nun gut, setzen Sie sich bitte hin. Wir haben heute eine neue Mitschülerin. Sie wird Ihre neue Partnerin für Experimente sein. Helfen Sie Ms. Sparks bitte, wenn Sie Fragen hat. Ms. Sparks, Sie können ruhig Mr. Chase fragen, wenn sie Hilfe brauchen. Er ist mein bester Schüler. Sie können sich zu Ihren Platz begeben.“
Erleichtert seufzte ich auf, weil ich nicht mehr vorne standen musste. Allerdings wartete nun auf mich ein anderes Problem. Ich schlurfte zu meinem Stuhl und setzte mich hin. Niall sah zur Tafel und lehnte seine linke Wange an seine linke Hand, die einen Stift hielt. Ich flehte Gott an, dass er mein Gesicht im Bus nicht richtig erkennen konnte und mich jetzt nicht ansprechen würde.
Geistesabwesend kritzelte ich das, was an der Tafel stand, ab und verstand nur die Hälfte, was Mr. Hatter uns diktierte. Hoffentlich gibt es jemand nettes in der Klasse, der mir seine Hefter ausleihen würde, dachte ich mir.
So zogen sich alle Stunden hin, ohne dass Niall ein Wort mit mir wechselte, was mich sehr beruhigte. Was mir auffiel, dass Mason, Niall und ich wirklich alle Kurse zusammen hatten.
In allen Fächern saß er neben mir, weil alles immer voll war. Warum verdammt nochmal hatte diese Schule keine Einzelsitze?
Ich wusste nicht, ob die Anderen Angst vor ihn hatten, denn keiner traute sich in seiner Nähe zu sein oder mit ihm zu reden. Da ich neben ihn saß, sprach auch niemand mit mir, was jedoch sehr nützlich war. Manchmal drehte sich Mason um und zwinkerte mir zu, was ich mit einem bösen Blick erwiderte. Die Mädchen himmelten vom ihren Platz aus Mason und Niall an, was man sehr gut im Unterricht beobachten konnte. Mason und die hübsche Cheerleader-Blondine warfen sich in gemeinsamen Kursen kokette Blicke zu und schrieben Zettel, was keiner von den Lehrern zu bemerken schien. Niall schlief meistens während des gesamten Unterrichts. Nur einmal forderte Mrs. Johnson, eine kleine, rundliche Frau mit einer fetten Warze im Gesicht, ihn auf, eine komplizierte Gleichung an der Tafel zu lösen, die keiner von uns konnte. Während ich keinen Zusammenhang erstellen konnte und mir den Kopf zerbrach, marschierte Niall ganz ruhig zur Tafel und löste in weniger als eine Minute die Gleichung. Mir fiel die Kinnlade runter. Wie hatte er es nur geschafft? Ein paar Mädchen sahen ihn verträumt an und seufzten, während die Jungs so schnell wie möglich die Lösung abschrieben. Mason hielt den Daumen hoch und flüsterte: „ Good Job, Bro. Der hast du es gezeigt.“, was er mit einem frechen Grinsen beantwortete. Das wunderte mich jedoch sehr, denn die beiden schienen sich gut zu verstehen, obwohl sie wirklich das Gegenteil von einander waren. Jeder von ihnen war auf seine Art unerträglicher Weise nervig.
Aber er war nicht nur in Mathe ein Genie, sondern auch in Französisch, Geschichte, Biologie. Überall! Als es zur Mittagspause klingelte, packte ich schnell meine Sachen ein und war erleichtert, dass ich zumindest schon einen großen Teil des Tages geschafft habe. In den letzten zwei Stunden wäre nur noch Sport fällig, was ich von allen am besten konnte. Auch Niall erhob sich von Stuhl, nahm seinen Rucksack und wollte gerade gehen, als Mason auf uns schlenderte. Ich biss mir auf die Lippe. Er sah wirklich…heiß aus, mit seinem Undercut und seinen lässigen Hemd.
„ Hey Niall, willst du mit uns zum Mittagessen gehen?“, dann glitt sein Blick zu mir hinüber und er gab mir ein verschmitztes Lächeln, „ Wir würden uns auch freuen, wenn du uns begleitet, Maddi.“
„ Könntest du mich bitte aufhören, Maddi zu nennen? Das wollte ich dir eigentlich schon vorhin sagen.“, erwiderte ich genervt. Mann, der Typ war echt zum kotzen!
„ Nein, ich finde es passt zu dir.“, er beugte sich zu mir und hauchte in mein Ohr, „ Weil es so süß klingt.“ „ Danke, aber ich kann gerne darauf verzichten, genauso wie auf deine Einladung.“, gab ich zuckersüß zurück. Niall beobachtete uns die ganze Zeit mit seinen skeptischen, grünen Augen, bevor er endlich etwas sagte. „ Sorry, Mase. Ich geh lieber raus, bevor Ms. Sparks noch eine knallt.“ Mir blieb die Spucke weg. Er hatte mich doch nicht vergessen! Ich hoffte auf ein großes Loch, das sich unter mir öffnen würde, doch vergebens. Eiskalt hat er es gesagt! Ohne eine Vorwarnung. Ich starrte ihn entsetzt an. Mason bewegte seinen Kopf zwischen Niall und mir. Dann fing er laut an zu lachen und zog die Aufmerksamkeit aller auf sich. Konnte der Idiot nicht seine Klappe halten?
„Ich fass es nicht! Dann kommt die rote Wange von dir, Maddi?“, er lachte immer noch. War es wirklich so witzig? „ Leute, hört mal! Unsere neue Mitschülerin hat Niall-“, weiter kam er nicht, denn ich stürzte mich auf ihn und hielt ihn den Mund zu. „ Halt deinen Mund, Trace, wenn du noch leben willst.“, raunte ich ihn zu und starrte ihn finster an. Die anderen schauten uns drei komisch an. „ Ist alle okay bei euch? Kommt ihr jetzt?“, fragte der Asiat leicht verwirrt nach, „ Ich habe einen Mordshunger, Mason!“. Ich ließ meine Hand los. „ Ja, alles okay, Jason! Geh schon mal mit den anderen vor. Ich muss noch was regeln.“, antwortete Mason. Die Blondine kam zu uns und drückte sich an Mason. „ Hat die Neue dich etwa angebaggert, Schatz?“, fragte sie ihn ganz kokett und schaute mich hochnäsig an, „ Oder schlimmer, Niall?“. Vorhin schien sie noch so nett. Jetzt wirkte sie auf mich wie eine billige Schlampe „ Nein, Süße. Wir drei wollen uns nur mal kurz in Ruhe unterhalten.“, gab er zurück, doch sie klebte immer noch an ihn, „ Alleine.“ Sanft befreite er sich aus ihren Griff und zwinkerte ihr zu. „ Gut, Süßer. Bis nachher.“, sie warf ihn einen Kussmund zu und trottete davon. Bestimmt war sie jetzt ganz beleidigt und enttäuscht.
„ Wer war die denn?“, fragte Niall genervt nach. Er kannte sie nicht? Obwohl sie in einer Klasse waren? „Schau nicht so, Sparks. Unwichtige Personen merke ich mir nicht. Namen waren noch nie meine Stärke.“, erwiderte er und zuckte mit den Schultern.
„ Ach das war nur Blair. Sie klebt ein bisschen und nervt manchmal, aber eigentlich ist sie ganz nett.“ „ Ist sie nicht deine Freundin?“, fragte ich Mason erstaunt. „ Nein, sie will wahrscheinlich, dass ich sie zuerst frage. Aber darauf kann sie noch lange warten. Arme Blair.“ Er sagte das ziemlich fies, aber bis jetzt war es das Beste, was er rausgehauen hat. „ Wir sollten mal gehen. Ich habe Hunger. Kommt mal mit.“ Er ging raus und Niall und ich folgten ihn. Oh, Niall hörte mal auf jemanden. Ist ja was ganz Neues.
Als wir auf dem Hof waren, suchte Mason sich eine freie Bank und wir setzen uns neben ihn. Ich kam mir vor wie im Kindergarten. Wieso folgte ich ihn eigentlich?
„ Was willst du eigentlich, Mase?“, fragte Niall und gähnte. Herrje, der Typ leidet echt unter Schlafmangel. „ Ja, warum willst du dich mit uns unterhalten?“
„ Ich möchte, dass wir uns alle besser kennen lernen.“, sagte Mason fröhlich, „ Zumindest wir dich und du uns. Niall und ich kennen uns schon sehr gut, würd ich behaupten. Dann können wir alle Freunde werde.“ Meinte der Typ es echt ernst jetzt? Nee oder? Niall und ich starrten ihn entgeistert an. Deshalb hat er uns jetzt hierher geschleppt?
„ Tut mir leid Mase, aber ich brauche im Moment keine Freunde. Vor allem nicht solche wie sie. Ich geh jetzt was essen.“, sagte Niall eiskalt, stand auf und ging weg. „ Hey!“, schrie ich ihn hinterher,
„ Ich kann auch so gut auf solche unhöflichen Freunde wie du verzichten!“. Der Typ brachte mich echt auf die Palme! Seine Einstellung gegenüber Leute! Bestimmt fand er alle zu dumm, dieser Besserwisser! Ich regte mich so auf! Ich wollte gerade verschwinden, als Mason mich festhielt.
„ Regt dich nicht auf, Maddi. So ist er immer.“ Mason lächelte unschuldig. Dieser Typ hatte am meisten Schuld, dass ich eben von Niall so fertig gemacht wurde. Freund! Auf diese beiden konnte ich verzichten! Lieber hätte ich gar keine!
„ Ach und hat ihn noch niemand gesagt, dass man sich dadurch keine Freunde macht?“, erwiderte ich mürrisch. „ Naja, er hat schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht, als er klein war. Aber du hast Recht. Wäre er so wie ich, hätte er-“ „ So wie du?“, ich lachte, „ Du bist hier Schuld, Trace! Wieso hast du mich überhaupt mit ihm hierher geschleppt? Hast du nicht bemerkt, dass wir beide uns hassen wie die Pest? Seit dem ersten Augenblick?“. Ich holte tief Luft. „ Und du! Du bist genauso nervig wie er! Ich habe noch nie jemand getroffen, der so selbstverliebt und arrogant ist wie du! Auf deine und seine Gesellschaft kann ich verzichten!“. So jetzt war es raus. Mir war es in diesem Moment vollkommen egal, wenn er es rumerzählen würde und die ganze Klasse mich deshalb hassen würde. Ich möchte nicht so tun, als ob ich jemand mag. Ich erwartete, dass er mich jetzt beleidigen würde, weil ich seinen Stolz gekränkt habe oder so etwas in der Art. Doch er tat nichts dergleichen! Er lächelte mich zuckersüß an!
„ Weißt du, Maddi? Du bist echt süß, wenn du wütend bist.“, er erhob sich. Ohne Vorwarnung küsste er mich einfach auf meine rechte Wange! „ Bis später, Maddi!“, rief er und ging rein. Ich sah ihn hinterher und war verwirrt. Warum hat er mich plötzlich geküsst? Ich war sprachlos und fläzte mich hin. Meine Gedanken waren durcheinander und mein Herz schlug wie verrückt.
„ Er hat dich geküsst?“, fragt Hailey, „ Wie romantisch.“ Sie seufzt. „ Naja, so romantisch fand ich es damals gar nicht. Ich war eher geschockt und sauer.“, erwidere ich und lache. „ Du hättest ihn eine kleben müssen.“, wirft Nathan ein, „ Wie bei den anderen Typen.“
Da es warm war, gingen wir in Sport raus. Glücklicherweise lieh mir ein Mädchen, namens Abigail, ihre Ersatzsportsachen aus.
„Danke, Abigail. Das ist aber nett von dir.“ Die Sachen schlotterten an mir, weil Abigail gut 15 cm größer als ich war, aber besser als nichts. Außerdem war sie die Erste, die auf eine einfache Weise nett zu mir war. „ Nichts zu danken.“, Abigail winkte ab und strahlte, „ Außerdem kannst du mich Abby nennen.“ Abigail war wirklich süß. Sie hatte milchkaffeebraune Haut und dunkelbraune, lange, glatte Haare, die zu einem Pferdeschwanz gebunden waren. Ihre Augen waren groß und funkelten mich lustig an.
Der Sportplatz war im Vergleich zur Schule riesig. Eine große, rote Tartanbahn umgab ein Fußballfeld. Am Rand gab es noch eine Weitsprunganlage und eine riesige Tribüne. Die Turnhalle befand sich neben dem Sportplatz.
Am Anfang mussten wir uns alle eine Runde einlaufen. Unser Sportlehrer war ein junger, durchtrainierter Mann, den alle Coach Benson nannten. Er war der Fußballtrainer der Schule.
Als er mich entdeckte, pfiff er mich zu sich und fragte: „ Sind Sie neu hier? Wie heißen Sie?“
„ Ich bin Madison Sparks, Sir.“ Er sah ziemlich streng aus. Doch als ich ihn Sir nannte, lachte er laut.
„ Nennen Sie mich einfach Coach Benson, wie jeder anderer hier. Ich hoffe, dass Sie zu den sportlichen Leuten gehören und nicht zu den Flaschen!“, er reichte mit die Hand, die ich schüttelte. Er war netter, als ich erwartet habe. Ich ging wieder zu den Anderen. Irgendwie schien Blair es geschafft zu haben, dass alle Mädchen mit Ausnahme von Abby mich ignorierten. Eigentlich wusste ich nicht einmal warum, denn ich hatte keinerlei romantisches Interesse an Mason gezeigt. Ich zuckte mit den Schultern und kickte einen Stein weg, der vor meinen Füßen lag. Abby löste sich von der Gruppe und gesellte sich zu mir. In dem Moment lachten die Anderen laut und ein paar schauten zu mir. Ein fieses Grinsen umspielte ihre Gesichter.
„ Wieso kommst du nicht zu den Anderen.“, fragte mich Abby und legte mir eine Hand auf die Schulter. „ Ich glaub, dass die mich alle nicht leiden können. Keine Ahnung warum.“ Ich beobachtete die Jungs, die gerade Fußball spielten. Mason schoss ein Tor und seine Mannschaft stürzte sich auf ihn drauf. Doch nirgends war Niall zu sehen.
„ Ach Quatsch, das bildest du dir nur ein.“, Abby gab mir ein aufmunterndes Lächeln, „ Komm einfach mit. Wir wollen dich alle nur besser kennenlernen.“ Widerwillig ließ ich mich von ihr mitziehen, was keine gute Idee war. Als ich mich zu ihnen hinstellte, wurde ich sofort eingedroschen.
„ Hey, Madison. Wieso standst du da so alleine rum? Wir haben alle das Gefühl, dass du uns nicht leiden kann.“ Blair sagte das mit einem unschuldigen Unterton. Sofort gingen andere Mädchen darauf ein. „ Ja, du scheinst uns alle zu hassen.“
„ Da habt ihr was falsch verstanden, ich kenn euch noch nicht gut genug, um euch zu hassen.“ Von denen würde ich mich doch nicht fertig machen lassen!
„ Aber du hast einen richtig guten Geschmack, Madison. Dich gleich am ersten Tag an Niall und Mason ranzumachen!“, sagte ein rothaariges Mädchen, das mich abfällig ansah. „ Ich hab mich nie an die beiden rangemacht.“, erwiderte ich kalt, „ Sorry, dass ich neben Niall sitzen musst, weil es der einzige freie Platz ist und dass mich Mason anspricht. Ich will das alles gar nicht.“
„ Da haben wir aber was ganz anderes gehört.“, Blair verschränkte die Arme vor ihrer Brust und fuhr fort, „ Ihr drei habt euch doch vorhin alleine unterhalten. Ich habe alles zufällig beobachtet. Du warst heute diejenige, die neben Niall im Bus saß. Du hast mit ihm geflirtet und als er nicht darauf eingegangen ist, hast du mit deinen Aggressionsproblemen eine Ohrfeige gegeben.“ Sie fächelte sich mit ihrer Hand Luft zu und die anderen Mädchen kicherten. Abby sah mich entsetzt an. Ich war einfach nur fassungslos wegen dieser Anschuldigung. Die Dumme hat das sich eingebildet! Meine Kinnlade fiel herunter. „ Genau so war es oder? Kannst du dich etwa nicht verteidigen, weil ich Recht habe? Lass mich mal weitererzählen.“ Mir blieb die Spucke weg und ein dicker Kloß bildete sich in meinem Hals. Meine Hände ballten sich zu Fäuste zusammen. „ Dann hast du dich gleich an Mason rangemacht und in der Pause bei ihm ausgeheult, denn wir wissen ja alle, wie grob Niall sein kann. Niall war alles zu viel und ist deshalb abgehauen.“
Das war nicht wahr! Ich schluckte den Kloß hinunter und überlegte kurz, was ich jetzt machen sollte. Wenn ich jetzt heulen würde oder sie anschrie, hätte sie das Spielchen gewonnen. Ich kratzte all meinen Mut zusammen und sagte in einem selbstbewussten Ton: „ Da muss ich dich leider enttäuschen, Blair. Du scheinst was falsch verstanden zu haben.“, ich grinste sie an, „ Ich habe keinen Grund, mich bei Mason auszuheulen und mich zum Affen zu machen. Denn wenn ich erstmal flirten würde, könnte nicht mal Niall meiner Charme widerstehen.“ Blair schaute entsetzt. Diesmal blieb ihr die Spucke weg. Das hätte sie nicht erwartet. Ich wendete mich ab und ging weg, als sie plötzlich schrie: „ HALT DICH BLOSS NICHT FÜR WAS BESSERES, SPARKS, NUR WEIL DEIN VATER WISSENSCHAFTLER IST UND DEINE KLEINE SCHWESTER MIT IHREN TRICKS ANDAUERND PREISE GEWINNT!“. Ich blieb stehen. Sie wusste was über meine Familie. Die Jungs drehten alle ihre Köpfe zu uns und die Mädchen starrten Blair und mich an. Ich machte kehrt und sagte in einem ruhigen Ton zu Blair: „ Du kannst mir falsche Sachen anhängen und mich beleidigen, aber lass bitte meine Familie aus dem Spiel.“ Blair holte mit ihrer Hand aus und verpasste mir eine Ohrfeige. „ Du billige Schlampe! Lass meinen Mason gefälligst in Ruhe und kehr zurück, wo du herkommst!“
Bevor Coach Benson eingreifen konnte, tauchte plötzlich Niall wie aus dem Nichts auf. Er legte eine Hand auf Blairs Schulter. „ Ich glaub das reicht für heute, Blondie. So begrüßt man eine neue Schülerin nicht.“ Blair murmelte verlegen etwas und blickte zu Boden. Niall kam auf mich zu und seufzte. In seinen grünen Augen, die sonst gefühlslos sind, konnte ich Mitleid ablesen. Oder irrte ich mich? Coach Benson kam. Die Jungs folgten ihn. „ Was ist denn hier los?“, flüsterte einer.
„ Coach? Ich bringe Sparks zur Krankenschwester, um Eis zum Kühlen zu holen.“ „ Gut machen Sie das, Mr. Chase und Sie-“, er wendete sich zu Blair, die ganz rot war und immer noch den Boden ansah, „ Gehen Sie bitte unverzüglich zum Direktor. Wir reden später.“ Jetzt brach sie endgültig in Tränen aus. „ Blair!“, riefen ein paar ihrer Freundinnen und rannten ihr nach. Eine von ihnen schaute Coach Benson noch finster an und lief dann den Anderen hinterher. Coach Benson schüttelte den Kopf. „ Mädchen.“, murmelte er. „ Ich komm mit, Coach.“ Mason hob die Hand. „ Nein, einer reicht Mason.“, erwiderte Coach Benson streng, „ Sie müssen noch für das Spiel am Samstag trainieren.“
Der Weg zum Krankenzimmer erschien mir endlos weit. Eigentlich tat mir meine Wange nicht einmal weh. Niall und ich sprachen kein Wort miteinander. Das war ziemlich unangenehm. Endlich erreichten wir eine weiße Tür. Niall öffnete sich und ich sah ein großes, helles Zimmer mit drei Betten. Zwischen ihnen waren Vorhänge befestigt. Vor dem Fenster stand ein großer Tisch mit allerlei Sachen darauf und an der rechten Wand befand sich ein großer Schrank. Nirgends war die Krankenschwester zu sehen.
„ Setzt dich hin.“, befahl mir Niall. Ausnahmsweise hörte ich mal auf ihn und setzte mich auf einen Stuhl. „ Wo ist die Krankenschwester?“, fragte ich, „ Außerdem brauche ich kein Eis. Es sieht nur so rot aus.“ Niall ignorierte mich und ging zum Kühlschrank, wo er ein Kühl-Akku herausnahm. Er wickelte das in einem weißen Tuch und gab es mir.
„ Stimmt. Du hast auf jeden Fall härter zugeschlagen.“ Niall sah mich ausdrucklos an. Dieses desinteressierte Gesicht! Von seiner Mimik konnte man nichts ablesen.
„ Kannst du es bitte vergessen? Es tut mir ja leid.“
„ So klingt es aber nicht.“ Er hob eine Augenbraue. Gott, war der Typ pingelig!
„ Entschuldigung, dass ich dich geschlagen habe, weil du so ein unhöflicher Typ bist.“ Ich spürte deutlich die Spannung zwischen uns. Nein, nicht Spannungen der Liebe, sondern des Hasses.
„ Klingt genauso schlecht, aber wie ich sehe, besitzt du null Talent, dir Freunde zu machen mit deinem losen Mundwerk.“ Er stand auf und holte irgendeine Salbe aus dem oberen Regal und ein Pflaster. Wozu?
„ Das musst DU ausgerechnet sagen, Chase.“ Ich verdrehte meine Augen. Es war viel angenehmer mit ihm, wenn er nichts sagte. Er machte sich ein bisschen Salbe auf die Finger und kam plötzlich näher. Sein Gesicht war nur ein paar Zentimeter von meinem entfernt. Mein Herz raste wie verrückt. „ Ich habe nie erwähnt, dass ich welche haben wollte.“, flüsterte er. Ich schloss meine Augen, weil seine grünen Augen mich irgendwie verrückt machten. Auf einmal brannte meine Wange und ich schubste ihn weg. Er fiel auf den Boden und sah mich überrascht an.
„ Aua!“, rief ich und strich über meine Wange. Ich spürte eine etwas wie ein Schnitt. Niall rappelte sich auf und sagte ruhig: „ Blair hat dich mit ihren langen Fingernägeln geschnitten.“ Er klebt mir ein Pflaster darauf. Es tat mir plötzlich leid, dass ihn weggeschubst habe. „T- Tschuldigung.“, stammelte ich.
„ Genau deshalb brauche ich keine Freunde.“, erwiderte Niall schroff, „ Man wird andauernd verletzt ohne Grund. Menschen bilden sich immer was ein, was gar nicht stimmt. Und-“, er beugte sich zu mir hinunter und sah mir tief in die Augen, mein Gesicht brannte, „ sie neigen dazu, dich nur nach deinem Äußeren zu beurteilen. Man kann sie so leicht durchschauen.“
„ Nicht alle sind so.“ Ich hielt seinen Blick stand. Er lächelte leicht. „ So?“, fragte er, „ Fragt mal deinen Vater.“ Er ging weg und ließ mich allein zurück.
Erschöpft kam ich nach Hause an. Die letzte Stunde Sport habe ich mich abgemeldet bei Coach Benson, weil ich keine Lust mehr hatte, mich den Blicken auszusetzen. Joy saß am Tisch und las ein paar Bücher über Nervenforschung oder so. „ Hi Joy.“ Ich schwang meine Tasche in die Ecke des Wohnzimmers und holte mir eine Coke aus dem Kühlschrank. Ich hatte Durst und Mordshunger, weil ich zu Mittag nichts gegessen hatte. „ Hi Madison.“, sagte Joy ohne von ihrem Buch aufzublicken. Mom und Dad befanden sich um diese Zeit noch bei der Arbeit. „ Ich habe Sandwiches gemacht. Willst du welche?“ Ich setzte mich zu Joy hin und nahm mir sofort eins.
„ Danke Joy. Mmhh…lecker.“
Ich nahm mir gleich ein Zweites. Joy kicherte, weil ich mal wieder so verfressen aussah.
„Und wie war dein Tag?“, fragte sie mich.
„ Katastrophal.“ Ich grinste und begann mein drittes Sandwich. „ Und deiner?“ „ Ebenfalls.“ Wir beide sahen uns an und lachten.
„ Was war bei dir los, Joy?“
„ Zu Anfang führte mich der Direktor herum und musste gleich lautstark verkünden, dass unser Dad der berühmte Wissenschaftler Ben Sparks ist und ich seine Tochter Joy Sparks, die Nachwuchswissenschaftlerin. Für den Rest Tages nahmen mich die Lehrer andauernd im Unterricht dran und meine neuen Mitschüler hielten mich für eine Superstreberin.“ Joy stöhnte und legte ihren Lockenkopf auf den Tisch. „ Ich hoffe, dass in Zukunft die anderen nicht andauernd bei mir abschreiben wollen.“
Ich klopfte aufmunternd auf ihre Schulter. „ Ach das wird schon.“, tröstete ich sie und erzählte von meinem Tag.
„ Ich wurde als nasser Hund von einem superintelligenten Typen bezeichnet, habe ihn eine Ohrfeige gegeben und eine von einem Mädchen kassiert. Außerdem habe ich den arrogantesten Typen getroffen, den es auf dieser Erde gibt.“ „ Du wurdest geschlagen?“ Joys Augen vergrößerten sich. Ich zeigte ihr meine rechte Wange mit dem Pflaster. Daraufhin fragte sie besorgt: „ Tut das weh? Weshalb hat sie dich geschlagen?“ „Unwichtiges. Nein, die kann nicht so dolle schlagen. Sie hat mich nur mit ihren überlangen Fingernägeln geschnitten.“, Joy schmunzelte, „ Wow, noch nicht mal ein Tag da und schon in einer Schlägerei verwickelt. Mom und Dad werden begeistert sein.“ Joy stand auf und räumte den Teller ab. „ Du kannst schon mal hochgehen. Lass mich hier unten aufräumen.“ „ Okay, danke Joy.“
Ich schmiss mich auf mein Bett und holte mein Handy aus meiner Hosentasche. Da ich auch in meiner alten Stadt nicht besonders viele Freunde hatte, fand ich auf Whatsapp drei neue Nachrichten von meiner alten Clique. Andrew, Claire und Zach. Sie fragten mich, ob es mir gut ging und wie alles war. Ich tippte ihnen schnell was zurück, aber nicht so ganz ausführlich, weil ich keine Lust dazu hatte.
Es geht mir gut. Die Schule hier ist etwas seltsam, genauso wie meine Klasse -.-* Unser Haus ist ganz schön, aber ich muss mich noch an die Ruhe gewöhnen. Wie geht es euch :D?
Zack: Ohne dich ist es voll langweilig, Madison. Uns fehlen deine fiesen Kommentare xd
Claire: Ja, ohne dich macht Lästern keinen Spaß :D
Andy: Jo
Ich: Oh Leute, wenn ihr wüsstet über wen man hier alles lästern könnte ;) Ich muss jetzt noch meine Aufgaben erledigen! Bye :D
Claire: L Määhhh
Zack: Lass doch Joy die erledigen J Sie kann das eh besser als du.
Ich: Klappe, Zach
Beim Abendessen (es gab Pizza) fragten unsere Eltern Joy und mich gleich über den ersten Schultag aus. Da sie wussten, dass Joy nicht sehr gesprächig war, stellten sie mir umso mehr fragen. Normalerweise hätte ich sie alle beantwortet, doch heute war mir wirklich nicht danach. Da ich keinen Hunger verspürte, aß ich auch nur einen Hamburger und stand auf, um in mein Zimmer zu gehen.
„Ist alles okay, Madison? Und was ist los mit deiner rechten Wange? Hat dich jemand etwa geschlagen?“, Dad schien sehr besorgt zu sein. „ Nee Dad, ich hab bloß keinen Hunger und ich bin bloß hingefallen.“
„ Auf die Wange?“, hakte Mom nach und guckte mich skeptisch an. „ Ja.“, log ich. Ganz bestimmt sollten die von Blair nichts erfahren.
„Oder hast du dich etwa heute in jemanden verliebt?“. Dads Augen wurden groß. „ Dann sollte ich diesen Jungen unbedingt kennen lernen!“ Ohje, jetzt ging das wieder los. Mein Dad konnte richtig peinlich bei so etwas werden. Wie hatte er bloß damals Mom rumbekommen? „ Nein Dad, es gibt niemanden.“
„ Ich mache mir echt Sorgen um dich, Madison.“ Meine Mutter schmunzelte. „ Bei dir gab es noch nie jemanden. Immer hast du etwas zu meckern. Verschweigst du uns etwa etwas?“ Sie hob eine Augenbraue und sah mich ernst an. Dad ließ seinen Hamburger fallen und Joy aß unbekümmert weiter. „ Ihr braucht mich nicht so anzusehen, ich bin nicht lesbisch.“, ich winkte ab, „ Ich warte nur, dass wie bei den Disney Filmen ein superheißer Prinz auftaucht und mit mir in den Sonnenuntergang reitet.“ Ich überlegte kurz, ob Niall oder Mason in mittelalterlicher Kleidung und Strumpfhosen gut aussehen würden. Daraufhin prustete ich laut los. Nee, lieber nicht. Selbst bei denen sahen Strumpfhosen nicht wirklich sexy aus.
„ Tja, ich glaub, da muss sich dann erst einer finden, der mit dir mithalten kann.“, Dad zwinkerte und aß weiter, „ Du bist sehr anstrengend, das weißt du. Und dann bin auch erst mal für ein paar Jährchen beruhigt.“ Er grinste und hielt sich die Hand vor dem Mund. Auch Mom und selbst Joy mussten mitlachen. Was war jetzt daran so großartig witzig. Ich starrte alle drei finster an.
„ Oh nein, Maddis Tötungsblick! Jetzt bekommen wir Angst!“, sagte Mom sarkastisch. Schlagartig musste ich wegen „Maddi“ an Mason denken.
„ Wartet es nur ab.“, knurrte ich böser als ich wollte, „ Und nenn mich nicht Maddi, Mom! Nie wieder.“ Ich stürmte schnell auf mein Zimmer hoch und hörte wieder Gelächter von unten. Ja, ich war das Opfer meiner Familie. Seufz. Ich wusste, dass sie alle das nicht böse meinten, aber dachten sie wirklich alle, dass ich nie einen Freund abbekomme? Ja, ich hatte bis dahin noch nie einen Jungen geküsst. Zumindest auf dem Mund. Und ich konnte nie Jungs oberkörperfrei sehen, da bekam ich voll die Blockade und wurde rot wie eine Tomate. Aber ich wollte mir Zeit lassen! Auf den richtigen Jungen warten. Wahrscheinlich hatte ich einfach zu viele Filme gesehen.
Plötzlich fiel mir Masons Kuss auf die Wange ein. Sofort fasste ich die Stelle mit meiner Hand an und wurde knallrot.
„ Neiiiinn, hör auf daran zu denken!“, befahl ich mich selbst. Ich hatte oft die seltsame Angewohnheit mit mir selber zu sprechen, „ Er ist einfach ein Playboy! Sowas ist ganz normal für ihn. Wahrscheinlich hatte er schon jedes Mädchen geküsst. „Genau!“ Ich richtete mich auf und rannte ins Badezimmer, um mein Gesicht gründlich zu reinigen. Vor allem diese Stelle, denn ich wollte bestimmt keine Mason-Bakterien auf mich schwirren haben. Ich beschloss, ihn aus dem Weg zu gehen. Der Typ brachte mir nur Ärger ein, was ich ja schon heute deutlich zu spüren bekommen habe! Wenn das rauskommt, töten mich seine verrückten Fans bestimmt!
Außerdem machte ich das Pflaster auf der rechten Wange ab, wo ich die Ohrfeige von Blair bekommen habe. Das Abziehen selbst tat mehr weh als der Schlag. Nachdem ich es endlich runterbekommen habe, hatte ich das Gefühl, als hätte ich meine ganze Haut mitgezogen.
Der Typ hatte das bestimmt mit Absicht gemacht! , dachte ich mir und strich noch einmal über den Schnitt. Der war nicht mal so schlimm, aber Blair sollte sich wirklich mal die Fingernägel schneiden!
Mich wunderte es aber am meisten, wieso Niall mir geholfen hatte. Ich dachte, dass er mich hasst? Der Typ war wirklich schwer zu verstehen. Und was sollte das, dass ich meinen Vater fragen soll?
Er hatte gar nichts mit unserem Gespräch zu tun! Mein Dad war bestimmt nicht so ein miesgelaunter, arroganter und desinteressierte Typ wie er!
Wütend schmiss ich mich in mein Bett und versuchte, einzuschlafen.
Die heutige Busfahrt war wesentlich ruhiger als die von gestern. Die meisten ignorierten oder schauten mich neugierig an. Wahrscheinlich hatte sich der Streit zwischen Blair und mir schon verbreitet. Kein Wunder bei so einer kleinen Schule. Und die meisten standen eher auf Blairs Seite, weil sie die beliebte Cheerleaderin war und keiner sich mit ihr oder ihren Freundinnen anlegen wollte.
Da jeder seinen Stammplatz im Bus hatte, war auch heute nur der Sitz neben Niall frei. Schlurfend ging ich zu dem Platz und setzte mich widerwillig hin. Niall schaute aus dem Fenster, nein, er schlief mal wieder. Langsam fragte ich mich echt, ob er Schlafprobleme hatte, aber umso besser. Ein Gespräch mit ihm zu halten wäre viel unerträglicher.
Mason kam mit Blair im Schlepptau ins Klassenzimmer. Nein, ich irrte mich, sie klebte an ihn. Zufrieden grinste sie mich ziemlich fies an. Sie war bestimmt der Meinung, dass Mason auf ihrer Seite war, da er sie an sich ranließ. Auf einmal erblickte er mich und ging in meine Richtung.
Bevor er mich erreichte, rief ich:
„ Bleib stehen, Trace!“ Er stoppte und schaute mich verwundert an. Ich zog die ganze Aufmerksamkeit der Klasse auf mich, mal wieder.
„Was, wieso, Maddi?“, fragte er und setzte einen Schritt weiter. „ Komm mir nicht zu nahe! Ab jetzt hältst du immer mindestens einen Meter Abstand zu mir!“ Ich wusste ganz genau, wie lächerlich ich mich dadurch machte. Doch Masons beachtete das gar nicht, löste sich sanft von Blair und ging weiter auf mich zu. „ Und was machst du, wenn ich das nicht tue?“, neckte er und verzog seinen Mund zu einem schiefen Grinsen, das unheimlich anziehend war. Ich ließ mich aber nicht darauf ein und ging in meine Karatestellung.
„ Das kannst du dir selbst denken.“ Niall, der wie immer neben mir saß, prustete leise los und hielt eine Hand vor seinem Mund. „Dummkopf.“, hörte ich ihn leise sagen.
„ Und warum sollte ich Abstand zu dir halten?“ Mason kam noch einen Schritt näher.
„ Ich kann dich nicht leiden und möchte, dass du mich ab sofort in Ruhe lässt.“, erklärte ich ihn laut und deutlich. Damit würde ich auch die sämtlichen Missverständnisse in der Klasse klären, das hoffte ich zumindest.
Jason, der Asiat, wieherte wie ein Pferd. Sein Lachen war so ansteckend, dass darauf alle anderen anfingen mitzulachen, außer Niall, Mason, Blair und ich.
„ Tja Mason, sie ist wohl die Erste, die deinen Charme widerstehen kann! Pech gehabt, Bro!“ Jason zwinkerte mir zu und hielt einen Daumen hoch.
„ Für was hältst du dich eigentlich?“, fauchte mich Blair an und unterbrach damit das Gelächter.
„ Was willst du Blair? Mich wieder schlagen? Oder eher schneiden?“, erwiderte ich kalt zurück, „ Schneide dir mal lieber deine Fingernägel.“
„ Du Miststück!“, zischte sie, doch Mason hielt sie auf. „ Das reicht, Süße.“, beruhigte er sie, was auch funktionierte. Ohje, die scheint ihm ja wirklich verfallen zu sein. Irgendwie tat sie mir doch ein bisschen leid.
Mason stützte die Arme auf meinen Tisch und beugte sich zu mir hinunter. Mir war es peinlich, dass uns alle anstarrten. Selbst Niall, der sonst so desinteressiert war. An seinen Blick erkannte ich, dass er es belustigend oder sogar interessant fand?
Mason kam mir so nah, dass unsere Nasenspitzen sich berührten.
„ Das sollten wir so schnell wie möglich ändern oder?“ Er blickte mit seinen ozeanblauen Augen mir tief in die Augen. Ich wurde knallrot und schaute weg. Mein Herz klopfte wie verrückt. Dann ließ er von mir ab und kehrte auf seinen Platz zurück.
Die Mädchen starrten erst ihn, dann mich entsetzt an. Blair eher wütend. Mit ihren Stöckelschuhen stampfte sie auf ihren Platz zurück. Die Jungs versammelten sich um Masons Platz.
Ich hörte sie ihn ausfragen, doch er reagierte auf keine.
„ Stehst du auf die Neue?“
„ Eyh Mason, deine erste Abfuhr.“
„ Es gibt doch bessere.“
Ich legte meinen Kopf auf den Tisch und wünschte, dass ich das alles nicht hören könnte.
Plötzlich spürte ich einen Knall auf der Tischplatte und schreckte auf.
Niall ist aufgestanden und hatte seine Hände auf dem Tisch geschlagen. Alle drehten sich zu ihm und eine unangenehme Stille herrschte im Raum.
„ Ihr nervt.“ Niall schwang sich seinen Rucksack lässig über den Rücken. „ Sagt Bescheid, dass ich Kopfschmerzen habe und ins Krankenzimmer gehe.“
Er verließ den Klassenraum und keiner traute sich was zu sagen. Die Jungs begaben sich wieder auf ihre Plätze und Mason atmete erleichtert auf. Zum ersten Mal schien er kurz seine arrogante Fassade zu verlieren.
Die nächsten Stunden zogen sich ewig hin. Ich hatte eigentlich gehofft, dass ich mal zu Niall lunchen konnte, um die Ergebnisse abzuschreiben, doch er fehlte die ganze Zeit. Wenn man ihn mal brauchte! Mason jedoch ließ mich tatsächlich in Ruhe.
Ich kapierte gar nichts von dem, was die Lehrer an der Tafel laberten. In Biologie schrieben wir sogar einen Überraschungstest! Als ich Mrs. Smith klarmachte, dass ich erst neu war und den Stoff nachgeholt hatte, bekam ich einen ellenlangen Vortrag von ihr, dass ich das alles aus meiner alten Schule noch wissen müsste und ich nicht rausreden konnte, nur weil ich neu war.
Bei der Hälfte schaltete mein Gehör sich automatisch ab und ich hörte gar nicht mehr hin. Blair und ihre Freundinnen amüsierten sich und gackerten wie dumme Hühner.
„Das dumme Schaf in der schlauen Familie.“, spottete Blair. Ich verdrehte meine Augen. Auch sie war immer zu meinem Pech in meinen Kursen, die sie bestimmt gewählt hatte, um mit Mason zusammen zu sein.
Mrs. Smith teilte die Aufgaben aus und warnte uns alle noch einmal, dass Betrügen tabu ist. Wie erwartet konnte ich keiner der Aufgaben. Nicht, weil ich so dumm war, sondern weil wir noch gar nicht so weit waren, da unsere alte Bio-Lehrerin andauernd krank war und wir nie im Stoff vorangekommen waren.
„ LEGEN SIE SOFORT IHREN SPICKER WEG UND GEBEN SIE MIR IHREN ZETTEL!“, hallte Mrs. Smith strenge Stimme durch den Raum, woraufhin ich zusammenzuckte. Ein milchgesichtiger Junge mit rötlichen Haaren schaute verängstig rein, dessen Test augenblicklich von ihr einkassiert wurde.
Armer Kerl, dachte ich mir und widmete mich wieder meinen Aufgaben. Ich gab schließlich auf und überreichte Mrs. Smith ein vollkommen leeres Blatt aus. Fassungslos schaute sie mich aus ihrer dicken Brille an und wendete noch einmal das Blatt, um sicherzugehen, dass sie sich nicht getäuscht hat.
„ Ist das Ihr Ernst, Ms. Sparks?“, fragte sie.
„ Tut mir leid, ich habe es Ihnen gesagt.“, erwiderte ich. Wir beide lieferten uns kurz einen Anstarrwettbewerb aus, den sie schließlich verlor. „ Das merke ich mir.“, drohte sie und schüttelte den Kopf, während sie die weiteren Blätter einsammelte. Ich zuckte mit den Schultern, denn es war mir vollkommen egal. Mum und Dad steckten eh nicht viel Hoffnung in mich. Ich war der Clown in der Familie, der für Unterhaltung sorgte.
Der Gong ertönte und ich schnappte mir meine Tasche, um noch einen freien Platz in der Kantine zu erwischen. Ich hatte richtigen Hunger und wollte eine warme Mahlzeit.
Doch selbst jetzt war der ganze Raum schon überfüllt und ich musste lange in der Schlange warten, um endlich meine Portion Spaghetti Bolognese zu bekommen. Allerdings stand ich erst minutenlang da, um nach einen freien Platz Ausschau zu halten.
„ Maaaddiissoon!“, rief jemand. Ein Mädchen mit dunkelbraunen, langen Haaren streckte die Hand hoch und winkte mich zu ihr zu. Ich erkannte sofort, dass es Abby war. Ich schritt unentschlossen auf den Tisch zu. Außer ihr saßen noch zwei andere Mädchen, die ich nicht kannte und ein Junge am Tisch. Der, der beim Spicken erwischt wurde! Ich stand immer noch mit dem Tablett, weil ich nicht wusste, ob ich mich hinsetzen sollte, doch Abby nahm mir die Entscheidung ab.
„ Setz dich hin und iss mit uns!“ Sie strahlte und ihre weißen Zähne waren zu sehen. Ich nahm mir Platz neben den rothaarigen Jungen.
„ Hi, ich bin Emma.“, sagte das schwarzhaarige Mädchen mit den pinken Strähnen, das neben Abby saß. Sie hielt mir ihre Hand hin, die ich schüttelte.
„ Ich heiße Madison.“, antwortete ich. Das Mädchen sah aus wie irgendeine Figur, die aus einem Magical-Girl-Anime entsprungen war.
„ Ich bin Mackenzie.“, das blonde Mädchen neben ihr strahlte mich ebenfalls an. Ihr Gesicht war mit Sommersprossen übersäht. „ Nenn mich Kenzie. Das ist leichter.“
„ Okay, aber mich braucht ihr bitte nicht Maddi zu nennen. Nur das nicht.“
Wir vier lachten und ich hatte zum ersten Mal in der Schule Spaß.
„ Vergesst mich nicht!“, unterbrach der Junge uns, „ Meinen Namen kennst du wahrscheinlich auch nicht. Nun gut mich vielleicht auch nicht.“ Er grinste frech.
„ Doch, dich hat Mrs. Smith vorhin erwischt.“
„Leider.“, entgegnete er, „Sonst krieg ich das immer hin. Ich heiße Logan und bin hocherfreut, deine Bekanntschaft zu machen. Ich hoffe, dass wir einen gute Zeit zusammen haben werden.“
Abby schlug ihn von hinten auf die Schulter. „ Flirten kannst du woanders, Logan!“, schimpfte sie mit ihm, aber eher aus Spaß. Dann flüsterte sie zu mir ins Ohr: „ Er hält sich für den Frauenaufreißer hier.“
„ Das habe ich gehört, Abby!“
So ging das die ganze Pause weiter. Wir feixten und lachten über Logans Witze und Kommentare. Die Spaghetti waren einfach nur richtig lecker und es war die beste Stunde, die ich an dieser Schule verbracht hatte.
Niall tauchte erst wieder in der letzten Stunde auf, in der wir Musik hatten. Unsere Lehrerin war eine schlanke, blonde Schönheit, namens Mrs. Morgan, die voller Energie war. Meine Klasse schien sie wirklich zu mögen, vor allem die Jungs und als sie mich entdeckte, klatschte sie freudig ihre Hände wie ein kleines Kind.
Der Musikraum war wahrscheinlich der größte Raum an dieser Schule. Vorne stand ein großer, schwarzer, eleganter Flügel mit einem Kerzenständer darauf. In der hinteren Ecke nahmen fünf Gitarren Platz und Keyboards waren in den Schränken an der hinteren Wand verstaut.
Diesmal saß ich glücklicherweise nicht neben Niall, sondern in einer Viererreihe mit Abby und Logan. Ein Platz blieb frei.
Abby hatte mir bereits erklärt, dass die Schule nicht sonderlich groß ist mit 374 Schülern. So bestand jeder Kurs aus nur höchstens 20 Schülern. Doch der Musikraum hatte mehr als 20 Plätze, weil hier immer der Chor der Schule probte oder das Orchester.
„ Also, heute wollen wir was ganz Tolles machen!“, verkündete Mrs. Morgan am Anfang der Stunde begeistert, „ Jeder von euch sucht einen Partner-“ Noch ehe sie den Satz beendet hat, leuchteten schon die ersten Augenpaare auf. Jeder hatte schon wen in Visier. Auch Abby zwinkerte mir schon zu und ich nickte. Mir fiel auf, dass Mrs. Morgan uns duzte. Sie stand wohl der Klasse ganz nahe.
„…und ein Lied zusammen übt und das mir dann vorträgt.“, fuhr sie fort. Es wurde lauter, denn die Ersten diskutierten schon, welches Lied sie nehmen wollen.
„ Ich möchte aber Mädchen-Jungen-Paare haben!“, rief sie zum Schluss, damit es alle hörten. Sofort verstummte das Gewirr.
„ Sucht euren Partner! Auf die Plätze, fertig, los!“, schrie sie und wedelte mit ihren Händen. Alle rannten durcheinander, um irgendwen zu finden, der mit einem singen wollte.
Ich saß aber immer noch auf meinen Platz und beobachtete das Geschehen. Die Klasse bestand aus 9 Jungen und 9 Mädchen, also müsste ja irgendwer übrigbleiben für mich. Vielleicht irgendein unbeliebter Looser, wie ich. Vielleicht werden wir ja Freunde.
Abby wählte Logan aus. „ Sorry Madison.“, murmelte sie. „ Ist nicht deine Schuld.“, beruhigte ich sie und stand auf, um nach meinen Looser Ausschau zu halten.
Um Mason herum standen drei Mädchen, die unbedingt seine Partnerin sein wollten. Und wer gewann den Streit? Blair, natürlich! Was hätte man anderes erwartet! Wie ein Kaugummi klebte sie schon wieder an Mason, der etwas genervt aussah, während sie zufrieden wirkte.
Anschließend blieben noch Niall, zwei andere Jungs, zwei Mädchen und ich übrig. Die beachteten mich gar nicht, denn die Mädchen versuchten vergeblich Niall zu überreden, mit ihnen zu singen. Er schaute völlig unbeeindruckt aus dem Fenster, während die Jungs schließlich die Mädchen überzeugen konnten, mit ihnen zu singen. Sie ließen von Niall enttäuscht ab.
„ Niall!“, sagte Mrs. Morgan in einem freundlichen Ton zu ihm. Sie ging auf ihn zu und sagte:
„ Diesmal kannst du dich nicht drücken. Sagt Hallo zu deiner Partnerin! Unsere neue Schülerin Madison Sparks!“. Dann zog sie mich zu ihm und strahlte uns an.
Zwischen Niall und mir herrschten jedoch heftige Spannungen. Ich spürte förmlich die Blitze zwischen uns und seinen finsteren Blick. Wenn Blicke töten könnten, wären wir beide wahrscheinlich schlagartig tot. „Viel Glück. Das wirst du gebrauchen.“, meinte sie und zwinkerte mir zu. Diese Lehrerin war echt unnormal. Verrückt! Niall rückte ein bisschen ans Fenster, als ich mich hinsetzte. Als ob ich irgendeine ansteckende Krankheit besaß.
„ Welches Lied wollen wir nehmen?“, fing ich an und überlegte, welche Lieder wir nehmen konnten beziehungsweise welche Songs er überhaupt mochte. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, was er hörte. Er antwortete mir nicht und sah mich nicht einmal an! Ich gab aber nicht so schnell auf.
„ Auf welche Art von Musik stehst du?“ Wieder keine Antwort.
„ Welcher ist dein Lieblingssänger?“ Erneut sagte er nichts. Langsam kochte ich schon.
„ Kannst du auch was sagen? Schließlich ist es auch deine Note, du Streber.“ Ich wusste, dass ich mit dem Wort Streber auch automatisch Joy beleidigen würde, doch irgendwie musste ich ihn zum Sprechen zwingen.
Endlich drehte er sich um und schaute mich gelangweilt an, während er seinen Kopf auf eine Hand abstützte.
„ Fangen wir noch einmal an. Welches Lied wollen wir nehmen?“, fragte ich ihn erneut und hoffte auf eine klare Antwort.
„ Mango.“, erwiderte er. Gibt es so ein Lied? , dachte ich, Vielleicht kenn ich das bloß nicht.
„ Von welchem Sänger ist „Mango“?“. Ich kam mir dämlich vor, wie ich ihn ausfragen musste.
„ Melone.“ Er beobachtete jede meiner Reaktion, was mich nervös machte. Langsam wurde mir klar, dass er mich nur auf den Arm nehmen wollte. Aus seinem Mund kam nur Quatsch!
„ Dein Vater heißt?“
„ Erdbeere.“
„ Wo wohnst du?“
„ Apfel.“ In seinen Augen funkelte ein Hauch von Belustigung auf, wahrscheinlich weil er sah, wie wütend ich war.
„ Deine Fragen sind vollkommen irrelevant mit das, was wir grad machen.“, erklärte er mir völlig unnötig. Als ob ich das nicht selbst weißt!
„ Und deine Antworten ergeben keinen Sinn!“, zischte ich zurück, wobei ich ihn unter den Tisch auf den Fuß trat. Er verzog keine Miene.
„ Macht es dir Spaß, andere Menschen zu verletzten, Sparks? Bist du ein Saddist?“ Er grinste spöttisch und trat zurück, was unheimlich wehtat.
„ Und dir macht es Spaß, andere Menschen zu ärgern?“, entgegnete ich und trat noch härter. Diesmal an sein Schienbein. Wieder verzog er keine Miene, weil es ihm wahrscheinlich nicht wehtat. War er ein Roboter oder so? Könnte auch sein kaltes, herzloses Wesen beschreiben. Vielleicht hat ja mein Dad ihn erschaffen. Das würde eigentlich klären, wieso er mir gestern gesagt hatte, dass ich Dad fragen soll.
„ Nur die dummen Menschen.“ Mir blieb die Spucke weg. Hat mich der Kotzbrocken wirklich als dumm bezeichnet? , schoss es mir durch den Kopf. Nur ein Roboter ist so! Ich kann es immer noch nicht glauben, dass ich kurzzeitig den Verdacht hegte, dass er ein Roboter wäre!
Endlich beendete der Gong die schlimmste Musikstunde, die ich jemals in meinem Leben hatte und ich stürmte so schnell wie möglich aus dem Raum zu meinem Schließfach, damit ich der Versuchung widerstehen konnte, Niall wieder zu schlagen.
Ich wusste nicht, wer seine Eltern waren, doch ich war 100-prozentig der Meinung, dass sie ihren Sohn zu sehr verwöhnt haben und er sich deshalb aufgrund seiner Intelligenz besser hielt als alle anderen Menschen! Er war doch wie Joy, nur älter! Und Joy war vollkommen anders als er, sie war bescheiden und freundlich zu allen. Ich öffnete meine Schließfachtür mit voller Wucht, um meinen Frust rauszulassen und stopfte die Bücher rein, die ich für morgen brauchte.
Abends, bevor ich schlafen ging, klopfte Joy noch an meiner Tür und kam herein. In der Hand hielt sie ein rotes Kuvert.
„ Was ist, Joy?“, fragte ich sie müde und machte Platz für sie. Joy setzte sich neben mich hin und zog ihre Beine hoch.
„ Ich habe eine Einladung bekommen.“, nuschelte sie etwas unsicher und reichte mir das Kuvert. Es war einfach schlicht dunkelrot mit einer weißen Karte drin.
Ich nahm die Karte raus und betrachtete sie. Mit einer verschnörkelten Schrift stand Einladung darauf. Der Rand war verziert mit goldenen Schnörkeln und Blumenranken.
„ Darf ich mir das mal durchlesen?“. Joy nickte.
Sehr geehrte Miss Joy Sparks,
wie Sie wohl wissen, gehören Sie zu den Elite-Kindern unseres Landes, deren Fähigkeiten den Staat bereichern können. Vom 13.-15.August.2014 wird es zu einem Treffen dieser Elite-Kinder kommen, zu dem wir Sie herzlich einladen können. Wir bitten Sie, am 13. August, sich möglichst elegant anzuziehen, weil es an diesem Tag einen großen Ball geben wird. Die Adresse und das Zertifikat mit der Erlaubnis des Präsidenten werden wir Ihnen sobald wie möglich schicken.
Wir hoffen auf eine positive Antwort
Landon
Prof. Dr. G. B. Landon
„ Ich weiß es nicht.“, murmelte ich, „ Irgendwie erscheint das mir ziemlich zwiespältig. Und von diesem Professor Landon habe ich noch nie was gehört.“ Skeptisch drehte ich die Karte hin und her.
„ Ja, ich finde es auch ziemlich seltsam.“, stimmte mir Joy zu.
„ Hast du schon Mom und Dad davon erzählt?“, fragte ich sie.
Joy seufzte und lehnte sich an mich.
„ Ja, Dad meinte aber, dass er Professor Landon kennt aus seiner alten Stelle, bevor er hierher versetzt wurde. Dieser Professor forscht über menschliches Verhalten und Gene nach.“, sie nahm mir die Karte aus der Hand und las es sich noch einmal durch, „ Dad meinte, ich kann ruhig hingehen und Leute treffen, die wie ich sind.“
Ich war immer noch sehr skeptisch. Das erschien mir alles zu unlogisch. Die Einladung und sogar eine Erlaubnis vom Präsidenten. Aber Dad müsste es ja besser als ich wissen, wenn er diesen Professor kennt.
Ich küsste Joy auf die Stirn. „ Dad muss es ja wissen. Und vielleicht findest du viele neue Freunde dort.“, munterte ich sie auf. Sie zwang sich zu einem Lächeln.
„ Und wenn du meinen Traumprinz findest, dann schleppst du ihn mit nach Hause.“, scherzte ich und knuffte sie in den Bauch, woraufhin sie anfing zu lachen. Wir lieferten uns noch eine Kissenschlacht bis Joy anfing, andauernd zu gähnen.
„ Geh schlafen.“, forderte ich sie sanft auf.
„ Okay, Madison. Nacht.“ Sie stand auf und ging zur Tür.
„ Nacht Joy.“
Das Trommeln des Regens an meinem Fenster weckte mich auf. Ich hatte eine seltsame Nacht hinter mir. Mit irgendwelchen Träumen, an die ich mich nicht erinnere. Das Wetter passte perfekt zu meiner Laune. Grau und mies. Perfekt. Mein dritter Tag an der Daveson-High-School.
Wenigstens hatte ich jetzt Emma, Abby, Kenzie und Logan dort. Ein Lichtblick.
Als ich den Bus betrat, bemerkte ich sofort, dass Niall fehlte. Ich ging wie gewohnt zu meinem Platz und atmete erleichtert auf. Ich wusste nicht warum, aber in seiner Gegenwart war ich andauernd nervös und gestresst. So blieb es eine schöne Busfahrt, die ich genoss.
Niall blieb auch für den Rest des Tages weg. Allerdings wunderte es mich, dass keiner nach ihm fragte. Als ob das normal wäre. Da fiel mir ein, dass Mason an meinem ersten Tag erwähnt hatte, dass Niall oft fehlte. Schnell versuchte ich, nicht meine Gedanken an ihn zu verschwenden, sondern mich lieber auf den Unterricht zu konzentrieren und die Gleichungen zu lösen, die Mrs. Johnson an die Tafel schrieb. Mason verhielt sich den ganzen Tag ruhig, so gar nicht seine Art. Er ignorierte Blair und schlich die ganze Zeit nachdenklich über den Gang.
„ Irgendwas stimmt doch heute mit Mason nicht, oder?“, stellte Abby beim Mittagessen fest. Ich war wieder an ihren Tisch und hatte heute eine Pizza, die verführerisch lecker roch,
„ Liebeskummer?“, sagte Emma sarkastisch. „Nein!“, widersprach Kenzie hastig, „ Bei ihm doch nicht! Ich meine, sieh ihn dir an!“
Wir drehten alle unseren Kopf in seine Richtung, was bestimmt komisch aussah. Er stand an der Warteschlange. Mason war gut einen Kopf größer als die anderen Jungs aus der Schule, selbst Niall übertraf ihn nicht.
„ Selbst beim Warten sieht er so heiß aus! Seine Figur! Diese Muskeln, die durch sein Hemd zu sehen sind!“, schwärmte Kenzie so sehr, dass mir leicht schlecht wurde. Auch wenn ich ihn nicht leiden konnte, musste ich zugeben, dass Mason umwerfend aussah.
Während ich lieber schwieg, gab Logan seinen Senf dazu.
„ Ich gib zu, dass er ein bisschen gut aussieht, “, stimmte er ihr zu, „ Aber im Vergleich zu mir ist er doch nichts. Ich bin naturrot!“
„ Klappe, Logan.“, zischte Kenzie, „ Ich steh nicht auf Milchbubis.“
„ Besser als ein Gesicht voller Sommersprossen. Hast du schon mal an Bleichen gedacht?“, spottete Logan zurück.
„ Ruhig, ihr beide.“ Emma beendete den Streit, doch man sah Logan und Kenzie an, dass sie am liebsten aufeinander drauf losgegangen wären. „ Ich habe da was Interessantes gehört, Madison.“
Plötzlich sah sie zu mir hinüber und grinste. Das konnte nichts Gutes bedeuten!
„ Gerüchten zu Folge, steht Mason auf dich!“
Unsere Runde wurde still. „ Das würde auch die gestrige Sache klären.“, murmelte Abby leise.
„Was ist passiert?“, fragte Kenzie neugierig oder entsetzt. Ich wusste es nicht.
„ Unsere kleine Prinzessin hier hat den Märchenprinzen abserviert.“, nuschelte Logan, weil er grad kaute. Abby schlug ihn wie gestern auf die Schulter. „ Das ist widerlich!“, herrschte sie ihn an, woraufhin er schnell schluckte und sie böse ansah.
„ Oh mein Gott, was hast du gesagt?“, hakte Kenzie nach. Da sie und Emma die Einzigen vom Tisch waren, die es nicht erlebt hatten, hingen sie beide an meinen Lippen, als ich davon erzählte. So interessant war es aber auch nicht!
„ Ich habe gesagt, dass ich ihn nicht leiden kann und er sich von mir fern halten soll.“, sagte ich und aß ein Stück von meiner Lasagne, die kalt geworden ist, „ Und er meinte, dass wir beide das unbedingt ändern sollten.“ Ich zuckte mit den Schultern bis Kenzie plötzlich aufschrie, sodass uns die anderen ansahen. Sie drehte sich kurz um und flüsterte: „ Er ist an dir interessiert, Madison!“
Ich verdrehte meine Augen und erwiderte leicht genervt:
„ Ich denke eher, dass es sein Selbstbewusstsein ankratzt, wenn nicht alle Mädchen ihn anhimmeln.“
An dem Gerücht stimmt bestimmt nichts, dachte ich mir.
Logan klopfte mir auf die Schulter, sodass ich mich fast verschluckte und sagte:
„ Ich bin stolz auf dich, Prinzessin, dass du nicht dem bösen Märchenprinzen verfällst!“
Emma schaute mich verwundert an. „ Spürst du wirklich…gar nichts, wenn du ihn ansiehst?“
„ Naja, er ist sehr gutaussehend.“, entgegnete ich, „ Aber auch ein echt arroganter Typ.“
Abby lächelte und Kenzie bemerkte noch zufrieden: „ Eine Konkurrentin für mich weniger.“
„ Und was ist mit Niall?“, fragte sie mich auch noch. Leute, dachte ich mir, lass mich bitte meine Lasagne essen, ich habe Hunger!
„ Desinteressiert. Besserwisserisch. Unsozial.“, lautete meine knappe Antwort. Emma sah mich noch kurz an, wahrscheinlich um zu prüfen, ob ich lüge. Dann wandte sie sich endlich ab.
„ Du bist echt unnormal!“, fügte sie noch hinzu und aß dann endlich! Jetzt hatte sie den Mund voll und konnte nichts mehr sagen! Die Anderen fingen auch endlich ihr Essen an und wir sprachen bis zum Ende der Pause kein Wort mehr.
Nach der Schule kam überraschenderweise Mason an mein Schließfach und lehnte sich lässig gegen die anderen. Er fuhr sich mit der Hand durch seine dichten, braunen Haare, die heute ungestylt waren, was ich persönlich besser fand. War er etwa nervös? Ich war mir nicht sicher.
„ Kann ich dich kurz was fragen, Maddi?“, bat er mich. Ich knallte mein Schließfach zu.
„ Nein, du machst mir nur Probleme.“ Ich ließ ihn stehen, doch er folgte mir.
„ Nur kurz.“ Er schaute mich mit seinen ozeanblauen Augen an, die irgendwie unwiderstehlich waren. Ich war ja auch nur ein Mädchen. Ich blickte mich noch kurz um, um zu sehen, ob jemand da war. Der Gang war menschenleer.
„ Mach schnell, Trace.“, mahnte ich, „ Ich verpass wegen dir noch meinen Bus.“
Er grinste mich mit seinem schiefen Lächeln an und mir wurde bewusst, dass er was Böses im Sinn hatte. Ich stolperte einen Schritt zurück, sodass und fragte nervös: „ Was hast du vor, Trace?“
Mason zog mich mit einer Bewegung hoch und ich landete an seiner Brust. Ich spürte, wie trainiert sie war. Sofort schubste ich ihn von mir weg und sah ihn finster an, doch er griff meine Hand und führte mich zu einem schwarzen Motorrad, das richtig teuer aussah. Bevor ich was sagen konnte, schob er einen Helm über meinen Kopf, zwang mich, auf das Ding zu setzen und startete es.
„ Ich steige jetzt ab, Trace!“, rief ich verzweifelt, doch er hörte nicht auf mich und fuhr los. Ich fiel fast vom Motorrad, weil mich die Geschwindigkeit und der Wind mitrissen, doch Mason fing mich noch auf.
„ Halt dich lieber fest, Maddi.“, warnte er mich, „Könnte gefährlich werden.“
„ Nein!“, fauchte ich. Sofort beschleunigte er in einer Kurve, sodass ich gezwungen war, meine Arme um seine Taille zu schlingen. Er schien sehr zufrieden damit zu sein und ich war stinksauer, dass er mich so überrempelt hatte.
„ Ich rufe die Polizei!“, schrie ich, damit er das im Rauschen des Windes hören konnte.
Mason lachte. „ Was willst du sagen? Dass du entführt wurdest?“
Ich hätte ihn am liebsten getreten, doch das wagte ich nicht, weil ich nicht sterben wollte.
„ Ja, jetzt lachst du noch!“, drohte ich, doch er antwortete mir nicht mehr. Er konzentrierte sich voll und ganz auf das Fahren.
Die Bäume, der Fluss, der Himmel. Alles rauschte mit hoher Geschwindigkeit an mir vorbei. Mir war eiskalt, weil der Wind an meinen Klamotten zog und wusste nicht genau, wie lange wir fuhren.
Endlich hielten wir an irgendeinem Wald an und mich überkam Panik. Was wollte er? Die Rache für die Abweisung?
Mason stieg ab und machte erst mir, dann sich den Helm ab. Ich schaute mich um und stellte erleichtert fest, dass hier eine Bushaltestelle war. Und noch etwas. Eine schäbige Holzhütte.
„ Was machen wir hier?“, fragte ich und hoffte, dass er die Unsicherheit in meiner Stimme nicht hörte.
„Tja.“, erwiderte Mason, „ Ein Junge und ein Mädchen alleine im Wald. Was machen sie?“
„ Ich habe jahrelang Karate gemacht, also bleib zurück!“, knurrte ich und ging einen Schritt zurück.
Mason kam immer näher und ich war schon bereit, doch er ging nur an mir vorbei und fragte irgendeinen Mann vor der schäbigen Hütte, ob er auf sein Motorrad aufpassen könnte. Er winkte mich zu ihnen zu und ich blieb stehen. Nein, auf keinen Fall gehe ich dahin!
„ Keine Sorge!“, rief der Mann zu mir, „ Ich beiße nicht!“
„ Das ist bloß mein Onkel, Maddi!“ Vorsichtig näherte ich mich den beiden.
Der Mann war einen halben Kopf kleiner als Mason und braune, wellige Haare, die er zu einem Zopf gebunden hatte. Außerdem besaß er einen Dreitagebart und war um die 35 Jahre alt.
Er reichte mir seine Hand, die ich zögernd ergriff.
„ Haha, keine Angst vor mir. Mein Name ist Daniel Trace. Aber du kannst mich ruhig Dan nennen.“ Auf einmal legte Dan seinen schweren Arm um meine Schulter, sodass ich unter dem Gewicht leicht zusammenzuckte. Dann zerzauste er meine Haare: „ Die ist ganz schön klein, oder?“, lachte er.
Neben ihn fühlte ich mich wirklich kleiner als sonst, denn er war ziemlich bullig. Ich befreite mich schnell aus seinem Griff und ging einen Schritt zurück.
„ Tut mir leid, aber ich mag es nicht, wenn mich fremde Männer berühren.“, sagte ich etwas zu feindselig. Erst guckte er mich verwirrt an, lachte aber dann wieder. Sein Lachen glich einer riesigen Kanone.
„ Onkel Dan, könntest du uns jetzt bitte die Ausrüstung geben.“, unterbrach ihn Mason, der ziemlich genervt aussah. „ Okay, okay. Ich stör dich und deine kleine Freundin nicht mehr, Mase. Wie geht es Niall eigentlich? Hab ihn schon lange nicht mehr gesehen.“ Dan überreichte Mason die große, schwarze Tasche, die er um die Schulter trug und einen ebenso großen Rucksack. Was hatte er nur da drin? „Gut wie eh und je.“, antwortete Mason, „ Wir gehen jetzt. Bis nachher!“
Er winkte Dan zum Abschied und ging in Richtung Wald. Da ich keine andere Wahl hatte, folgte ich ihn, hielt aber jedoch aus Sicherheit einen Abstand von fünf Metern.
Der Wald war wunderschön. Die Sonnenstrahlen fielen durch das erst gekommene Blätterdach und der Wald schien zu glitzern. Alles wirkte harmonisch und die ersten Blumen blühten.
„ Wo gehen wir hin?“, fragte ich Mason skeptisch. Ich lief nach vorne, weil jetzt der Abstand zu groß wurde. Er ging sehr schnell.
„ Hast du Angst?“, erwiderte er belustigt, ohne meine Frage zu beantworten.
„ Hier? Im Wald mit einem Playboy alleine? Warum sollte ich Angst haben?“, sagte ich und konnte den Sarkasmus nicht unterdrücken.
Schweigend folgte ich ihm und kam mir ziemlich dumm vor, dass ich alleine mit einem Typen durch einen einsamen Wald ging, von dem ich nicht mal weiß, wo er lag.
Endlich blieb er irgendwann an einer Lichtung stehen. Ich beschleunigte meinen Gang. Als ich bei ihm ankam sah ich einen großen Platz von Bäumen umgeben. Auf diesen Platz waren überall Rampen zu sehen. Ein Skaterplatz.
Mason packte die Sachen raus. Zwei Skateboarde, ein Helm, zwei Knie- und zwei Ellenbogenschützer.
„ Wir gehen heute Skaten.“, verkündete er strahlend und drückte mir ein Skateboard in die Hand.
„ Und deshalb musstest du mich entführen?“, ich gab ihn sein Skateboard zurück und setzte mich auf eine der Rampen. „ Bring mich nach Hause, Trace.“
Mason gesellte sich zu mir und setzte mir den Helm auf dem Kopf. „ Nein, Maddi. Du bleibst hier bei mir.“ Er befestigte noch die Schützer an mich, doch ich war zu müde, um mich zu wehren. „ Das ist mein geheimer Ort, von dem nur Onkel Dan, Niall und ich Bescheid wissen.“
„ Dann geh doch mit denen hier hin.“, stöhnte ich genervt, „ Ich muss dich leider enttäuschen, aber ich kann nicht skaten.“ „Dann bring ich es dir bei.“ Mason grinste schief und zog mich hoch.
Zuerst skatete er selbst auf der größten Rampe. In der Luft drehte er sein Board, was schon ziemlich cool aussah. Er rollte über umgestürzte Bäume, Äste, sprang mit dem Board. Mason sah fantastisch dabei aus. Jeder seiner Bewegungen stimmte und strahlte so viel Eleganz aus, was eigentlich unmöglich war. Ich konnte nicht wegschauen und verfolgte gebannt jeder seiner Schritte. Auf einmal stoppte er und riss mich aus dem Trance.
„ Brauchst du keinen Schutz?“, rief ich zu ihm, während ich an mein Helm fummelte. So ein Angeber, dachte ich mir und stieg auf das Skateboard. Sofort rutschte es nach hinten und ich knallte nach vorne, um total im Dreck zu landen. Mason half mir hoch und ich hustete, da ich überall Sand und Staub im Gesicht hatte.
„ Mir passiert sowas auch nicht mehr.“, erklärte er und schien sich köstlich zu amüsieren, weil ich mich gepackt hatte. „ Komm, ich helfe dir.“
Den ganzen Nachmittag brachte er mir bei, wie man richtig auf das Skateboard stieg, ohne hinzufallen und wie man richtig Schwung holte. Ich musste mir leider selbst eingestehen, dass es ziemlich viel Spaß machte. Wir beide lachten sogar und am Abend konnte ich schon auf der kleinen Rampe skaten, ohne hinzuknallen.
Als wir wieder bei der Holzhütte ankamen, war es bereits dunkel. Dan war müde und überreichte Mason seinen Motorradschlüssel und die Helme. Danach kehrte er wieder in seiner Hütte zurück, um zu schlafen.
„ Und hatte dir der Tag gefallen?“, fragte Mason, wobei er sehr zufrieden mit sich selbst klang. Ich entsperrte mein Handy. Zehn verpasste Anrufe und sieben Nachrichten von Mum. Sie machte sich bestimmt Sorgen, weil ich nicht Bescheid gesagt habe. Ich machte mich auf Ärger gefasst.
„ Ganz passabel.“, erwiderte ich knapp und schrieb meiner Mum, dass es mir gut geht und ich noch lebe. Plötzlich zog Mason mein Handy aus meiner Hand und hielt es so hoch, dass ich nicht drankam.
„ Gibt es mir wieder!“, zischte ich ihn an.
„ Ahja, Maddi?“ Ich sprang, doch es nützte auch nichts.
„ Weißt du, ich find dich echt süß, wenn du wütend bist.“ Seine blauen Augen blitzten auf.
„ Ich aber nicht.“ Endlich gab er mir mein Handy zurück und beugte sich nach vorne, sodass ich gegen sein Motorrad taumelte. Mason stützte seine Arme auf dem Sitz seines Motorrades und schaute mich durchdringlich mit seinen blauen Augen an. Sein Gesicht kam meinem immer näher.
Oh, nein, bloß nicht, dachte ich erschrocken, ich liebe ihn nicht! Dennoch pochte mein Herz wie verrückt.
„ Wäre ein Kuss jetzt nicht superromantisch?“, flüsterte er mir ins Ohr.
Da ich sein Gesicht nicht länger ansehen konnte, schloss ich die Augen, was eigentlich eine sehr schlechte Idee war. „ Ich verzichte drauf!“, zischte ich. Ich spürte sein Atem, der immer näher kam.
Mason hielt inne und stand wieder normal. Erleichtert und zugleich überrascht öffnete ich meine Augen. Wollte er mich nicht gerade vor einer Sekunde noch küssen?
„ Keine Sorge, Maddi.“, sagte er mit einem friedlichen Lächeln im Gesicht, „ Ich werde dich niemals so küssen.“ Er gab mir den Motorradhelm und setzte sich.
Mein Verstand schaltete sich aus. Hatte er nur die ganze Zeit mit mir gespielt, schoss es mir durch den Kopf. Auch wenn ich ihn nicht küssen wollte, fühlte ich mich jetzt zutiefst verletzt! Ich war stinksauer auf ihn und warf den Helm auf den Boden. Verwundert blickte er hoch zu mir.
„ Was treibst du eigentlich für ein Spielchen, Trace?“, fuhr ich ihn laut an, „ Ich wollte dich auch nie küssen, du Playboy, du Idiot!“
Ich ließ ihn zurück.
„ Ich nehme den Bus. Und ich bitte dich darum, nie wieder mit mir zu sprechen.“
Ich hatte irgendwie erwartet, dass er mich aufhielt, so wie er es immer tat. Sich bei mir für sein Verhalten entschuldigte. Doch er tat es nicht. Er tat gar nichts.
Mason wartete nur so lange, bis mein Bus endlich kam und fuhr dann los.
Niemand außer mir war im Bus gewesen. Ich kaufte mir ein Ticket und setzte mich in die letzte Reihe. Ohne Grund fing ich an, zu weinen. Die Tränen kamen einfach raus und ich schniefte.
Oder gab es doch einen Grund, wieso ich weinte? Er war mir doch egal! Wieso haben mich dann seine Worte so verletzt? Ich wusste es damals nicht.
Als der Bus an meiner Haltestelle anhielt, sprintete ich nach Hause und schaute auf meine Uhr. 20:08. Ich seufzte. „ Jetzt habe ich wegen dir auch noch das Abendessen verpasst.“, meckerte ich ihn in Gedanken an. Leise öffnete ich die Tür, weil ich meiner Familie nicht mit verheulten Augen begegnen wollte. Ich habe gerade die Hälfte der Treppe geschafft, als Dads Stimme ertönte.
„ Madison?“ Ich kniff die Augen zusammen und drehte mich langsam um.
„ Hi Dad.“ Mom kam aus der Küche raus und Joy folgte ihr. „ Hi Mom, hi Joy.“
„ Wo warst du?“, fragte mich Mom energisch und setzte ihren Belüg-sie-mich?-Blick auf.
„ Im Wald mit Freunden?“ Ich wollte gerade wieder flüchten, als sie mich wieder aufhielt.
„ Du bleibst schön stehen, junges Fräulein und erklärst uns ganz genau, wieso du dann geweint hast!“ Sie bemerkte wirklich alles. Ich stöhnte genervt.
„ Ich war bloß allergisch gegen diese Waldblumen oder Bäume.“, log ich sie an und schaute ihr tief in die Augen. Aber es war längst noch nicht alles vorbei, denn Mom glaubte mir nicht.
„ Weißt du eigentlich, wie oft ich versucht habe, zu erreichen? Und in welchem Wald warst du überhaupt?“ Sie klang so, als würde sie gleich explodieren.
„ Ja, es tut mir leid. Ich habe nicht auf mein Handy geachtet.“, entschuldigte ich mich, „ Und keine Ahnung wie der Wald hieß.“
„ Madison, das nächste Mal sagst du uns bitte Bescheid. Wir hatten uns große Sorgen um dich gemacht.“, sagte Dad nun ruhig und beendete somit die Diskussion. Er mochte nie Streit, erst recht nicht, weil er nicht so oft zuhause war. Dann brachte er Mom ins Wohnzimmer, wo er sie beruhigte.
„ Sie ist doch schon groß, Lyndsey.“
„ Hast du nicht ihre Augen gesehen?“
„ Doch, aber wenn es schlimm war, dann hätte sie es uns sicherlich erzählt.“
Danke Dad! Ich schoss in mein Zimmer und schloss die Tür zu. Erstmal musste ich unbedingt sehen, wie schlimm ich aussah!
Ich erschrak, als ich das Monstrum im Spiegel erblickte. Meine verheulten Augen waren nicht so schlimm, aber ich war richtig dreckig vom Skaten geworden und mein war ganz wirr. Ich sah schrecklich aus und musste lachte mich selbst aus. Ich konnte verstehen, wieso Mason mich nicht geküsst hat, dachte ich sarkastisch und zog mein Pyjama an.
Jetzt wusste ich überhaupt nicht mehr, wieso ich eigentlich meine Tränen für diesen Mistkerl vergossen hatte! Er bedeutet dir nichts, redete ich auf mich ein, er bedeutet dir nichts!
Den ganzen Samstag verbrachte ich meine Zeit damit, Disney-Filme zu schauen und Eiskrem zu löffeln.
Dad war mal wieder im Labor, wie immer und Mom und Joy waren in die Stadt gefahren, um zu shoppen und vor allem ein Kleid für Joy zu kaufen. Ich hatte allerdings nicht wirklich Lust darauf, weshalb ich zuhause geblieben war. Shoppen war für mich schon immer zu anstrengend gewesen, denn das Problem bei mir war, dass ich immer alles anprobieren konnte und am Ende nichts passte. Die Sachen, die mir halbwegs gefielen, waren mir immer zu groß. Wenn ich nicht bald einen Wachstumsschub bekommen würde, müsste ich immer in der Kinderabteilung einkaufen!
Schon beim Gedanken daran wurde ich depressiv!
Mom und Joy kamen um 8 Uhr abends heim. Sie hatten bereits Pizza gegessen und brachten mir eine mit. Pizza Bolognese, meine Lieblingssorte. Ich war halb am Verhungern und stopfte mir sofort alles rein. Endlich war mein Magen besänftig und ich legte mich auf die Couch hin, weil ich viel zu voll war. Mir wurde sogar ein bisschen übel.
„ Madison, schling bitte das nächste Mal nicht so.“, bat Mom mich, denn ihr waren gute Tischmanieren sehr wichtig. Sie war schon immer eine Perfektionistin, schlimmer als bei Dad. Bei ihr musste immer alles korrekt und…wie gesagt perfekt sein! Sie setzte sich auf die Couch hin, woraufhin ich Platz machte. Joy hatte sich wieder mal in ihr Zimmer verkrochen.
„ Joy hat heute ein wunderschönes Kleid gekauft.“, erzählte Mom glücklich. Sie schien richtig stolz auf Joy zu sein und strahlte über das ganze Gesicht. Ich rappelte mich auf.
„Wirklich? Kann sie das mal anziehen?“, fragte ich und war richtig gespannt, wie das Kleid aussah.
„ Tut sie gerade.“, entgegnete Mom und grinste. In dem Moment kam Joy die Treppe hinunter.
Meine Kinnlade klappte nach unten. Sie sah einfach wunderschön aus! Ich konnte sie gar nicht beschreiben! Das Kleid war ein helles blau und oben eng geschnitten mit kleinen, weißen Ärmeln aus Spitze. Ab der Taille wurde es unten breiter wie ein richtiges Hochzeitskleid. Am Saum waren kleine Verzierungen genäht. Es war eigentlich sehr schlicht und dennoch passte es perfekt zu Joys blonden Locken, die ihr schmales Gesicht mit den großen, grünen Augen umspielten.
Joy sah aus wie ein Engel!
„ Und?“, fragte Joy schüchtern, „ Wie findest du das? Ich finde das ein bisschen zu viel, aber Mom-“
„ Nein!“, wendete ich sofort ein, „ Ich meine perfekt! Du siehst traumhaft schön aus! Wie Cinderella!“ Ich ging zu ihr hin und bestaunte das Kleid.
Mom stand auf und war genauso wie ich vom Anblick verzaubert. „ Oh Joy, du siehst so schön aus!“
„ Wieviel hat das Kleid gekostet?“ Bestimmt ein Vermögen, dachte ich und fasste den Stoff an, der so leicht war wie Seide.
„ War im Sonderangebot. Von 250 auf nur noch 80, weil es das letzte war!“, sagte sie stolz.
Ich hörte, dass jemand die Tür aufmachte und rannte dahin. Dad kam gerade ins Haus rein, da schleifte ich ihn schon zu Joy.
„ Ruhig Madison, was ist los?“, fragte er mich lachend und ein bisschen außer Atem.
„ Dad, du musst dir Joy ansehen.“ Da erreichten wir die beiden schon. Auch Dad war von Joys Anblick sprachlos. „ D-Du b-bist wunderschön, Spätzchen.“, stammelte er und gab Joy einen Kuss auf die Stirn. „Du wirst bestimmt die Prinzessin auf dem Ball sein.“
„ Danke.“ Joys Gesicht wurde knallrot. „ Ich geh mich wieder umziehen.“ Sie stieg wieder die Treppen hinauf und ging in ihr Zimmer.
„ Sieht sie nicht wie ein Engel aus?“, seufzte ich. Dad und Mom nickten begeistert.
Insgeheim war ich schon ein bisschen neidisch auf Joy, denn immerhin war sie auf einen Ball vor mir. Natürlich gab es in meiner Junior High School auch kleine Bälle mittendrin, aber sie dienten nur zum Spaß und war kein Vergleich zu diesen. Ich meinte, das hier war ein Ball für die Elite-Kinder von Amerika! Unsere Zukunft! Wie ausgefallen musste dieser Ball wohl sein? Ich mochte es mir gar nicht vorstellen. Bestimmt wie in einem Disney-Märchenschloss mit einem riesigen Kronleuchter, der von der Decke runterschwingt, dachte ich mir. Von sowas hätte ich nur träumen können, denn ich war mir ganz sicher, dass egal wie genial ein Ball auf der High School sein könnte, selbst der beste, hätte diesen Elite-Ball nicht toppen können!
Ich versuchte, diese düsteren Gedanken aus meinem Kopf zu vertreiben, denn schließlich durfte ich auf Joy nicht neidisch sein! Sie war meine kleine Schwester und ich war stolz auf sie! Dad saß am Küchentisch und schien sehr müde zu sein. Von der vielen Arbeit hatte er abgenommen, das sah man deutlich, denn Dad war ohnehin nicht schon der dickste.
„ Hast du Hunger?“, fragte ich Dad besorgt und stellte ihm ein Glas Cola auf dem Tisch, sein Lieblingsgetränk. Er nahm es dankend an und trank es in einem Schluck aus. Ich füllte es wieder nach und wartete, bis er auch dieses leer machte.
„ Nein, aber danke, Liebling.“, sagte er und schloss seine Augen, „ Dieses Projekt zerrt wirklich an meinen Kräften, aber ich denke, dass unser Team es schon schafft.“
„ Und ich schätze, dass du uns nicht verraten darfst, worum es geht?“ Ich drückte ihm trotzdem das Erdnussbuttersandwich in die Hand, das ich gerade gemacht hatte. Er betrachtete es, als ob es Alienkot wäre und aß es trotz seiner Aussage schließlich. Nein, er aß es nicht, er verschlang es.
„ Staatsgeheimnis.“, entgegnete er und wischte sich die Krümel vom Mund.
„ Auch kein Stichwort? Kein Tipp?“, hakte ich nach, denn ich war wirklich neugierig. Was trieb er nur die ganze Zeit?
„ Da muss ich dich leider enttäuschen, Liebling.“ Er lächelte mich sanft an und strich mir den Kopf. „ Geh schlafen, es ist spät, auch wenn morgen Sonntag ist.“ Dad rückte den Stuhl vom Tisch und wollte weggehen, da hielt ich ihn am Arm fest wie ein kleines Kind. Überrascht blickte er mich an.
„ Bleibst du morgen zuhause? Du warst schon lange an Sonntagen immer bei der Arbeit. Wir könnten wieder ein Familientag machen und irgendwo hinfahren-“ Er unterbrach mich, bevor ich weitere Sachen vorschlagen konnte.
„ Es tut mir so leid, Madison, aber du weißt, wie wichtig meine Forschungen sind. Du verstehst mich doch oder?“ Traurig wendete er sich ab und ließ mich allein.
War ihm seine Arbeit denn wirklich so wichtig? Ich spülte das Glas ab und spürte nur eine innere Leere in mir.
Mitten in der Nacht wurde ich von einem Geräusch entdeckt. Müde nahm ich den Wecker von meinem Nachttisch und rieb mir die Augen, um die Uhrzeit zu erkennen. 2:04 blinkte die Anzeige und ich vermutete, dass ich das mir nur eingebildet hatte, da ich nichts mehr hörte. Wieder ertönte dieses Plong aus der Richtung meines Fensters. Ist das etwa so ein dummer Vogel? , fragte ich mich und wickelte mein Kissen um die Ohren, damit ich nichts mehr hören konnte. Plong. Plong. Plong.
Ich konnte nicht schlafen und dieses Geräusch nervte mich zu Tode. Wütend stand ich auf und öffnete mein Fenster, doch nirgends war ein Vogel zu sehen. Stattdessen blendete mich eine Taschenlampe. Ich hielt mir den Arm vor die Augen und fragte mich, was für ein verrückter Mensch das war, der mich nachts weckte. Doch nicht etwa ein Stalker? Ich erschrak und wollte das Fenster wieder schließen, als mich eine allzu bekannte Stimme aufhielt.
„ Rapunzel, lass dein Haar herunter.“
Ich beugte mich über das Fensterbrett und konnte meinen Augen nicht trauen. Selbst in der Dunkelheit erkannte ich die Gestalt sofort, die unter meinem Fenster stand! Er leuchtete die Taschenlampe in eine andere Richtung. Grüne Augen blinkten in der Finsternis auf.
„ Was willst du, Chase?“, zischte ich so laut, wie ich konnte. Der nächtliche Wind blies durch mein Fenster herein, sodass ich in meinem Pyjama fror.
„Es wird hier unten langsam kalt.“, erwiderte Niall ohne meine Frage zu beantworten.
„ Verdammt noch mal, geh nach Hause!“, forderte ich ihn zornig auf. Was bitteschön hatte ein Typ, der nichts von mir hielt, so spät (oder auch so früh) vor meinem Haus zu suchen?
„ Du willst doch nicht mir jetzt deine Liebe gestehen und für mich ein Liebeslied auf der Gitarre spielen?“, fragte ich ironisch und wusste, dass Niall nie sowas machen würde. Das wäre bestimmt das allererste Zeichen für einen Weltuntergang.
„ Ich komme hoch.“ Er kletterte auf dem Baum neben meinem Fenster, mit dem man sich wahrscheinlich auch nachts heimlich rausschleichen konnte, denn die Äste reichten bis vor meinem Fenster. Ich hörte das Rascheln der Blätter und das Knorren der Äste, auf die er auftrat. In null Komma nichts war er schon oben und setzte sich elegant auf dem Ast vor meinem Fenster hin. Er trug einen dicken Schal um seinen Hals und einen Mantel, der ihn vor der Kälte schützte.
„ Was willst du?“, fragte ich ihn erneut und schlang mir die Arme um meinen Körper, damit es mir wärmer wurde. Niall ignorierte mich jedoch vollkommen und war eher darauf fixiert, seinen Schal richtig zu rücken. Plötzlich leuchtete mir was ein.
„ Halt!“. Meine Stimme durchbrach die Stille. Niall schaute mich kurz an, bevor er wieder an seinem doofen Schal herumfummelte, „ Woher weißt du überhaupt wo ich wohne?“, fragte ich entsetzt. War er gar nicht, das was er vorgab zu sein? War er etwa ein verrückter Stalker? Endlich schien er mit seinem Schal fertig zu sein und musterte mich mit seinen hellen Augen belustig an.
„ Intuition…Vorhersehung…Schicksal?“, er hielt kurz inne, fuhr dann fort, „ Die Sterne brachten mich hierher.“ Ich musste ihn wirklich dumm angegafft haben, denn er amüsierte sich über meinen Gesichtsausdruck. Aber der Typ hatte wirklich sich einen schlechten Zeitpunkt ausgesucht, um lustig zu sein, was er gar nicht war!
„ Du bist ein verrückter Stalker.“, stellte ich schroff fest.
„ Und du bist dumm.“, bemerkte er kühl. Ich ballte meine Hände zusammen, um der Versuchung zu widerstehen, ihn runterzuschmeißen. Was für ein Problem hatte er mit mir?
„ Sag schon wieso du hier bist und verschwinde dann!“ Ich hatte keine Lust mehr, mich mit ihm zu unterhalten. Er antwortete nie vernünftig auf meine Fragen, als ob er mich für dumm hielt! Stopp. Er hielt mich für dumm.
Niall kramte in seiner Manteltasche nach und überreichte mir ein kleines Päckchen, das mit einer Schleife verbunden war. Ich prüfte sein Gesichtsausdruck, um zu erkennen, dass da nichts Gefährliches drin war. Offenbar fiel das ihm auf und er versicherte mir: „ Nimm schon.“
Vorsichtig nahm ich es entgegen und öffnete es. Es lagen vier hübsch verzierte Pralinen in goldenem Papier. Ich runzelte die Stirn und fragte mich, was das sollte. Wollt er mir seine Liebe gestehen oder was?
„ Komm bloß nicht auf falsche Gedanken.“, warnte er mich, als ob er meine Gedanken gelesen hatte, „ Ich wollte bloß meiner neuen Nachbarin hallo sagen.“ Mir stockte der Atem. Neue was? Nachbarin?
„ Heißt das etwa, dass du mein Nachbar bist?“, ich schüttelte entsetzt den Kopf.
„ Ich bin genauso begeistert wie du.“ Niall beobachtete mich mit seinen emotionslosen, kühlen Augen. „ Quatsch!“, widersprach ich ihm, „ Das kann nicht sein! Du bist nicht mein Nachbar!“
Er will mich bestimmt nur auf den Arm nehmen! , hämmerte es in meinem Kopf, So viel Pech kann ein Mensch gar nicht haben!
„ Weiß mit rosa Punkten.“ , entgegnete Niall nur ohne eine Miene zu verziehen. Ich verstand ihn zuerst überhaupt nicht und wusste gar nicht was er wollte, bis-
„ Du perverser Stalker!“ Ich horchte kurz, ob meine Eltern oder Joy das gehört haben. Zum Glück nicht. Ich atmete auf.
„ Ich bin kein Stalker. Nur ein morgendlicher Spaziergänger, der aus Versehen ein Mädchen beim Umziehen gesehen hat, nur weil sie die Gardine nicht zugezogen hatte.“ Dann seufzte er kurz und schaute mich gelangweilt an. „ Keine Sorge. War nicht sehenswert.“, beruhigte er mich.
Mir blieb die Spucke weg. Wie konnte es nur so einen Menschen geben? Mein Hass auf ihn wurde immer größer und größer. Wie ein Luftballon blies er sich in meinem Hirn auf. Konnte er nicht endlich still sein?
„ Außerdem tut es Mase leid, was er auch immer dir angetan hat.“, teilte er mir noch mit. Sofort vergaß ich meine Wut auf ihn und musste an Mason denken. „ Er ist kein schlechter Mensch, wollte ich dir noch sagen. Du solltest froh sein, wenn er alles tut, um mit dir befreundet zu sein.“ Niall schaute mir zum ersten Mal tief in die Augen, denn sonst erwiderte er nie meinem Blick und wich ihm aus. Aber ich verstand seine Worte nicht. Gab er mir einen Ratschlag? Niall war einfach ein schwieriger Mensch.
„ Er muss dir viel bedeuten.“
„ Ich bin nicht schwul, falls du das denkst.“ Mann, der Typ kapierte nie, was ich sagte! Oder machte er es absichtlich, um mich zu ärgern? Ich war mir nicht sicher.
„ Das meinte ich auch nicht.“, fauchte ich ihn an, „ Und jetzt geh. Du nervst, Roboter.“
„ Du auch, Rapunzel.“ Niall schwang sich mit einer lässigen Bewegung vom Ast herunter. „ Außerdem singen wir You’ll be in my Heart von Phil Collins.“
Seine Gestalt verschwand in der Finsternis. „ Wenigstens hätte sich der Kotzbrocken verabschieden können.“, murmelte ich und kehrte wieder in mein Bett zurück. Ob ich noch schlafen konnte? Nein, definitiv nicht! Eigentlich dachte ich schon den ganzen Tag nicht mehr…Mason. Hatte er etwa Niall extra zu mir gebeten, weil es ihm Leid tat? Er besaß keine Schuld. Ich war die Zicke, die ihn zurückgelassen hat ohne Grund. Und obwohl ich ihn nicht ausstehen konnte, war ich eindeutig diejenige, die sich entschuldigen musste. Auch wenn er mich einfach mitgeschleppt hatte ohne meine Erlaubnis, so hatte mir der Nachmittag viel Spaß gemacht. Auch wenn es mir sehr schwer fiel, beschloss ich, mich bei ihm am Montag zu entschuldigen. Und die Gardine immer zuzuziehen. Ich verdrehte meine Augen und vergrub meinen Kopf in die Bettdecke. Ich schämte mich dafür und konnte auch nicht verstehen, warum meine Gedanken immer so blitzschnell zwischen Mason und Niall hin- und herschwangen! Das war doch unnormal! Ich musste früher nie so viel an irgendwelche Jungs denken!
„ Aaaarrghh“ Ich raufte meine Haare zusammen und wälzte mich hin und her. Da mein Adrenalinspiegel jetzt auf Hochtouren lief, richtete ich mich blitzschnell auf und schaltete mein Laptop an, um den Song zu suchen, den Niall singen wollte. Er kam mir bekannt vor bis ich dann bemerkte, dass es das Lied von Tarzan war. Ich wunderte mich, dass Niall solche Musik mochte.
Hörten sich Jungs nicht normalerweise was anderes an? Rap oder so? Aber wenigstens hatte er sich ein Lied ausgesucht, das mir gefiel. Ich fragte mich, wieso er sich aber ausgerechnet dieses Lied ausgesucht hatte und schaute mir das Tarzan-Video auf Youtube dazu an.
Der Roboter hatte doch Gefühle! Ich grinste und konnte mir nicht vorstellen, wie Niall singt. Phil Collins sanfte Stimme durchdrang meine Ohren.
'Cause you'll be in my heart Yes, you'll be in my heart From this day on Now and forever more…
Bevor ich es realisierte, musste ich an meine Kindheit denken. Nein, ich hatte keine schlimme Kindheit, aber sie war schon ein bisschen einsam.
Dad war immer arbeiten. Schon seit ich klein war. Ich habe ihn kaum zu Gesicht bekommen und hatte auch nicht diese typischen Vater-Tochter-Momente. Mom dagegen war immer mit Joy beschäftigt, seit sie geboren wurde, denn als sie klein war, litt sie unter einem Herzproblem und hatte eine gefährliche OP, die sie heilte. Als dann bei einem Test hatte, dass sie ein sehr hohes IQ hatte und das gefördert werden musste, war sie für mich unerreichbar geworden. Und wenn Dad zuhause war, dann nur, um Joy auf einen Wettbewerb zu begleiten. Selbst jetzt schienen sie immer noch so weit weg entfernt, obwohl wir uns so nah waren. Nur Joy verstand mich, sie hing an mir, seit sie klein war. Joy war meine Verbindung zu unserer Familie. Sie hatte sich schon oft vorgeworfen, dass nur wegen ihr Mom nicht so viel Zeit mit mir verbrachte. Aber ich habe sie schon oft beruhigt, dass es nicht ihre Schuld sei. Ich wusste nicht warum, aber zwischen Mom und mir gab es immer eine unsichtbare Wand. Und mein Verhältnis mit Dad war relativ kühl, da er immer weg war. Natürlich kümmerten Mom und Dad sich immer um mich, doch irgendwas stand zwischen uns. Etwas, von dem ich nichts wusste.
Sonntag war nicht wirklich viel los. Dad war wie er gesagt hat bei der Arbeit und Mom ging zu einem Yoga-Club in der Sporthalle vom unseren Ort, wo auch wöchentlich der Tanz-Kurs, Karate, Judo, Fußball und noch viele weitere Aktivitäten stattfand.
Deshalb unternahmen Joy und ich etwas miteinander. Mittags aßen wir in einem Bistro namens „ Emma’s“, wo es Burger, Omelett und sowas typisches gab. Der Boden war mit weißen Fliesen ausgestattet und hinten in der Ecke stand eine alte Musikbox, wo man eine Münze einwerfen musste, damit irgendein Lied spielte. Es sah aus wie eine Szene aus einem alten Film. Die Kellnerin war eine ältere Frau mit Grübchen, die uns freundlich fragte, was wir denn essen wollten
Ich nahm eine Portion Burger mit Pommes und Joy ein Salami-Käse-Sandwich. Als Getränk bestellten wir beide eine Cola. Es schmeckte ziemlich gut, obwohl die Pommes richtig fett waren.
Danach gingen wir noch ein wenig spazieren durch die Straßen. Unauffällig guckte ich auf jeden Briefkasten, um herauszufinden, wo Niall wohnte. Diesmal kam ich mir vor wie eine verrückte Stalkerin, aber ich wollte es unbedingt wissen, um ihn irgendwann einen Streich zu spielen
„ Was machst du da?“, fragte mich Joy plötzlich, als ich über einen Gartenzaun von einem großen, blauen Haus lunchte.
Ich fühlte mich ertappt. Das konnte ich ihr auf jeden Fall nicht erzählen!
„ Nichts.“, gab ich unschuldig zurück und schritt schnell zum nächsten Haus.
„ Du guckst aber die ganze Zeit auf die Briefkästen, als ob du jemanden ganz bestimmtes suchst.“ Joy musterte mich mit ihren grünen Augen an und grinste. „ Etwa deinen Schwarm?“
„ Nein!“, ich drehte mich schnell um, „ Wie kommst du darauf, Joy?“
„ Oh, es ist ja so unoffensichlich!“ Nun begann Joy auch auf die Briefkästen und Klingeln zu schauen. „ Wie heißt er?“
„ Wie gesagt ich habe niemanden! Mich interessiert es nur, wie unsere Nachbarn heißen!“ Joy schien mir nicht zu glauben. Sie schüttelte lachend den Kopf und folgte mir.
Ich sah sie aus meinem Fenster. Die Gardinen waren wie immer zugezogen und ich schaute aus dem Spalt, damit sie mich nicht entdeckte. Wie eine Verrückte inspizierte sie jeden Briefkasten und jede Klingel. Wahrscheinlich machte sie sich gerade auf der Suche nach mir. Ich lachte leise.
Mich würde sie niemals finden. Sie kannte meinen echten Namen nicht. Sie wusste nichts von mir. Ich dachte an das Gespräch aus der letzten Nacht zurück. Neben Mase war sie wirklich die Einzige, die so normal zu mir sprach und nicht Abstand hielt, wie die anderen, obwohl ich ihr mehrmals gezeigt hatte, wie sehr sie mich nervte.
Nein, nicht sie suchte meine Nähe, sondern ich ihre. Ich habe sie mitten in der Nacht besucht. Und die Lüge mit der Unterwäsche hatte sie wirklich geglaubt. Wie naiv musste man sein, dass man nicht mal selbst weiß, was man trägt. Oder vielleicht habe ich sogar richtig getippt?
Sie stand immer noch in meiner Straße und redete laut mit einem Mädchen mit blonden Locken und grünen Augen, das größer war als sie selbst. Ich wusste genau, wer sie war. Joy Sparks. 12 Jahre. Geburtstag 27.Juli. Elite-Kind. Ihre kleine Schwester, die ihr überhaupt nicht glich.
Ich habe sie schon oft auf Wissenschaftsausstellungen und -wettbewerben getroffen. Immer in der Begleitung ihres Vaters, der ein Ebenbild von ihr war. Ben Sparks.
Genauer gesagt, wusste ich alles über diese Familie Bescheid. Die Daten im Internet waren so leicht zu hacken. Vielleicht sollte der Staat Informationen besser schützen.
Endlich gingen die beiden weg. Sie schien sich mit Joy gestritten zu haben, denn sie wirkte wütend und stampfte davon. Eigentlich wie immer, wenn sie sich mit mir oder Mase unterhielt.
Ich legte mich auf mein Bett und verschränkte meine Arme hinter meinem Kopf, während ich auf meine Zimmerdecke starrte, deren winzige Lampen wie der Sternenhimmel angebracht wurden. Der Staat hatte das bezahlt. Er versorgte mich allgemein mit allem, was ich brauchte.
Ich hatte keine Eltern. Mom war tot und Dad? Über den spreche ich lieber nicht. Wir kannten uns, hatten uns schon oft gesehen, doch wir taten immer so, als ob wir uns nicht kannten. Mit 3 Jahren brachte er mich ins Waisenheim. Davor hatte er noch mit einer anderen Frau ein Kind gezeugt und sie dann auch geheiratet. Sie hatte noch eine Tochter von ihrem alten, verstorbenen Ehemann mit in die Ehe gebracht.
Das war seine neue Familie. Er ließ mich zurück. Beachtetet mich nicht mehr. Meldete sich nicht mehr. Ich hasste ihn. Ihn und seine neue verdammte Familie!
Mein Handy klingelte und ich nahm ab.
„ Niall?“ ertönte mir eine nur allzu bekannte Stimme.
„ Mase. Was willst du?“
„ Hast du Maddi ausgerichtet, dass es mir Leid tut?“, fragte er besorgt. Mich wunderte es, dass ihm es so wichtig war. War es ihm etwa ernst? Ich dachte immer, dass er nie ernst werden wollte. Keine Beziehung haben wollte.
Ich seufzte. „ Ja. Was hast du eigentlich gemacht?“
„ Nichts Wichtiges.“, erwiderte er knapp, „ Ich muss zum Training. Bis morgen, Kumpel!“ Bevor ich etwas sagen konnte, hatte Mase schon aufgelegt. Tut. Tut. Tut.
Was war nur in letzter Zeit mit dem Typen los? Seit sie hier ist, antwortete mir mein Unterbewusstsein. Sie war erst seit drei Tagen an unserer Schule und hatte mein Leben schon durcheinander gebracht. Jedes Mal, wenn ich sie ansah, schaute ich in das Gesicht von einem Mädchen, das ich über alles hasste. Dessen Familie ich verabscheute.
Die Einladung zum Elite-Treffen lag auf meinem Schreibtisch. Mein Gefühl sagte mir, dass etwas daran faul war, doch ich beschloss dennoch, dahin zu gehen und diese Veranstaltung zu überprüfen.
Mase hatte auch so einen Brief bekommen, er gehörte schließlich zu einen der besten Nachwuchsfußballer des Landes. Top-Klubs wollten ihn schon unter Vertrag nehmen und fördern, was er bisher ablehnte.
Er musste zuhause bleiben, denn sein Vater war ein berühmter Baseball-Coach, der immer mit seinem Team herumreiste, während seine Mutter im Rollstuhl saß. Jacob Trace war das Gegenteil zu seinem kleinen Bruder Daniel Trace.
Jacob gewann schon etliche Meisterschaften und verdiente mehr als genug, um seine Familie zu ernähren. Daniel Trace, genannt Onkel Dan, war ein Profiskater, bis er aufgrund eines schweren Unfalls seine Karriere aufgeben musste und nun im Wald hauste mit seinem Skateplatz, wo Mase und ich öfters hingingen seit der dritten Klasse.
Seine Eltern wollten mich sogar adoptieren, als ich sieben war. Mase und ich lernten uns in der ersten Klasse kennen. Ich lehnte es ab.
Morgen müsste ich sie wieder sehen. Die Person, die ich so sehr hasste und trotzdem wiedersehen wollte.
Tag der Veröffentlichung: 08.08.2014
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