Das Schlimmste was es gibt ist von der eigenen Mutter nicht geliebt zu werden. Der eigenen Mutter egal zu sein. Eine Einnahmequelle für die eigene Mutter zu sein. Und dann noch bei ihr zu leben und nirgendwo sonst hinzukönnen.
Das Schlimmste ist in einem Haushalt zu leben, in dem es keine positiven Wörter gibt. Zumindest nicht für mich.
Wo man versucht mit aller Macht positive Wörter zu bekommen. Doch egal was man macht, was das Mädchen macht, es kommt kein: „Ich bin stolz auf dich.“ Kein: „Das hast du gut gemacht.“ Kein: „Ich hab dich lieb.“ Oder „Ich liebe dich.“
Das Mädchen kann sich nicht daran erinnern jemals etwas Positives von ihnen gehört zu haben. Kann sich nicht erinnern, dass sie jemals etwas Positives über es gesagt hätten.
In diesem Haushalt ist Sparen das wichtigste. Und es wird an allem gespart. Geld, Strom, Wärme und Liebe. Besonders an Liebe. Es gibt sicher schlimmere Eltern. Eltern, die ihre Kinder stundenlang im Zimmer einsperren und bei Fehlern mit dem Schuhanzieher verprügeln. Oh ich vergaß, selbst diese Erfahrung blieb dem Mädchen nicht erspart.
Die Sicherung für das Licht wurde abends, wenn die Eltern schlafen gingen, herausgenommen. Die Kinder hatten nur ein Radio in ihrem Zimmer, durften kein Fernsehen und selbst bei Lebensmittel gab es die Kategorien „Für-die-Kinder“ und „Für-die-Eltern“. Als das Mädchen sich einen Laptop kaufte, durfte es ihn nicht benutzen oder nur, wenn es danach fragte und nur für eine Stunde. Es hatte sich den Laptop gekauft um Geschichten zu schreiben. Und die besten Ideen für Geschichten kamen ihm, wenn es den Laptop nicht haben durfte.
Alles was die Eltern taten, diente nicht dem Wohl ihrer Kinder, sondern ihrem eigenen Wohl. Es ging nie um die Kinder, sondern um die Eltern. Fing der Stiefvater zu meckern an, ging es für die Mutter nicht darum das er den Kindern Unrecht tat, es ging ihr um ihre eigene Gesundheit. Und natürlich hatte der Stiefvater immer etwas zu meckern, ob nun über etwas was die Kinder falsch gemacht hatten oder einfach nur über Eigenschaften der Kinder, die ihn nicht passten.
Der Stiefvater ist der „Gott“ für die Mutter. Er zog die Kinder ihr halbes Leben lang auf. Er durfte alles und hatte immer Recht. Ihre Kinder waren ihr scheißegal.
Was wird aus einem Kind, das in einem solchen Umfeld aufwächst. Was wird aus diesem Mädchen, das einfach nur geliebt werden wollte.
Irgendwann beginnt dieses Mädchen anfangen zu verstehen. Zu verstehen, dass sich nichts verändern wird. Es zerbricht daran. Versteckt den unmenschlichen Schmerz unter einer undurchdringlichen Maske. Es will die Anderen glücklich machen. Es ist das Mädchen das auf alle, nur auf sich selbst niemals Rücksicht nimmt.
Doch als es merkt, dass seine Freunde, keine Freunde sind, beginnt seine Maske zu bröckeln.
Einige merken, wie schlecht es dem Mädchen geht.
Und dann endlich versucht es sich Hilfe zu holen. Es geht sogar in die Kinderschutzstelle, damit auch ihre Eltern merken, dass sie etwas falsch gemacht haben all die Jahre. Doch sie merken nichts. Das Mädchen hatte doch alles. Hatte mehr Freiheiten als ihre Brüder. Es hatte keinen Grund diesen Schritt zu gehen. Und da das Mädchen alles hatte, musste es an einem Fehler in seinem Kopf liegen und so schickten die Eltern das Mädchen zum Psychologen. Doch bevor sie zum Psychologen kam, entdeckte ihre Mutter am Mittagstisch bei dem Mädchen frische Narben vom Ritzen und brachte es noch am selben Tag in die Jugendnervenheilanstalt. In dieser musste das Mädchen einen „Vertrag“ unterschreiben, dass es sich nicht umbringen werde und nicht mehr ritzen werde. Ein Teil, das wusste das Mädchen, kann und will es nicht erfüllen und dennoch unterschrieb es, um seine Ruhe zu haben.
Ihre Eltern sprechen mit dem Jugendamt und behaupten, dass das Mädchen nur unter den Verlust der Freunde leidet und seinen Eltern die Schuld geben obwohl sie nichts getan haben. Und das Jugendamt glaubt ihnen. Sie lassen das Mädchen allein. Sie glauben dem Mädchen nicht. Und das Mädchen zerbricht noch mehr, doch es lächelt jeden Tag und trägt wie gewohnt seine Maske.
Die Maske nimmt das Mädchen nur ab, wenn es alleine in seinem Zimmer ist. Wenn der Schmerz es überrollt. Und es beginnt sich zu ritzen gegen den Schmerz. Es hat die Hoffnung, dass jemand die Narben sieht und dem Mädchen die Maske abnimmt. Aus dem gleichen Grund malt es düstere Bilder, die von Vergänglichkeit und Tod erzählten. Und das Schweigen des Mädchens ist eigentlich sein lautester Schrei um Hilfe.
Das Mädchen will, dass jemand zu ihm sagt, dass es nicht umsonst lebt. Das sein Leben einen Sinn hat und der Schmerz irgendwann verschwinden wird. Doch es ist keiner da, der es dem Mädchen sagen könnte, denn keiner kennt seine geheimsten Gedanken. Die Gedanken über den Tod. Selbstmord. Die Sinnlosigkeit seines Lebens.
Doch Selbstmord könnte es nicht begehen. Es hat einen leisen Schimmer Hoffnung in sich drin. Diese Hoffnung sagt dem Mädchen, das es weiterkämpfen soll, denn irgendwann wird es dem Schmerz entfliehen können. Und irgendwann in Zukunft wird dieses Irgendwann eintreffen.
Manchmal wünscht das Mädchen sich, das ihre Eltern es verprügeln. Denn diese Wunden und Narben wären auch für das Jugendamt sichtbar, nicht so wie du unsichtbaren Wunden und Narben auf seiner Seele. Dann hätte das Jugendamt es aus dieser Familie genommen und es nicht wieder zurückgeschickt, weil keine kindeswohlgefährdende Situation vorliegt.
Doch was diese Eltern dem Mädchen angetan haben, kann kein Pflaster mehr abdecken. Es ist mit nichts zu entschuldigen. Denn dieses Mädchen erträgt mehr Schmerz als ein Mensch ertragen kann. Das Mädchen hasst das Leben. Es merkt jeden Tag, dass es nicht seine Welt ist. Es will weg und das schlimmste an dieser Welt ist, dass das Mädchen existiert.
Und doch gibt das Mädchen nicht auf. Es setzt sich die Maske wieder auf und kämpft weiter.
Es hält sich an der Hoffnung fest, dass Zeiten sich ändern werden.
Und dann kam dieser eine Tag, an dem seine Hoffnung bestärkt wurde. Bestärkt durch seine neue Stiefmutter und seinem leiblichen Vater.
Nachdem der Vater des Mädchens es und seine Brüder anklagte, fiel es tiefer als zuvor. Es hatte vertraut und sein Vater hatte es ausgenutzt. Als sein Vater dem Mädchen Hoffnungen machte, stand es am Rand eines Abgrunds. Als die Einladung zum Gerichtstermin kam, stoß er das Mädchen den Abgrund herunter.
Das Mädchen dachte, es könnte ihm vertrauen. Doch anscheinend waren seine Eltern, die letzten denen es vertrauen konnte.
Und das Mädchen merkte, umso mehr Schritte es nach vorne macht umso mehr macht es zurück. Es hatte rein gar nichts erreicht und nichts hatte sich geändert. Es machte alles nur noch schlimmer und wieder blieb dem Mädchen nichts weiter übrig als seine Maske
aufzusetzen und weiterzumachen.
Die Zeit des Lichtes war vorbei und es tauchte wieder in die Zeit der Dunkelheit ein. Und irgendwann würde wieder eine Zeit voller Licht sein, die die Dunkelheit für eine kurze Spanne vertrieb.
Das Mädchen hatte auch noch zwei wundervolle Freunde. Einen besten Freund und eine beste Freundin und doch können die beiden ihm nicht die Liebe geben, die es braucht. Denn es braucht nicht die Liebe von Freunden, die hat es durch diese zwei wundervollen Menschen, nein, es braucht die Liebe eines Vaters und einer Mutter.
Und diese Liebe kann dem Mädchen niemand geben.
Tag der Veröffentlichung: 18.08.2014
Alle Rechte vorbehalten