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Epilog

Da ist dieser unerklärliche Schmerz. Er reißt mich von den Füßen und auf einmal sitze ich auf dem Boden. „Was ist los Tamara? Geht es dir nicht gut?“, fragt mich meine Mutter. Noch nie ist mir aufgefallen wie bescheuert diese Frage, ob es einen nicht gut geht, doch ist. Mit schmerzverzerrten Gesicht flüstere ich: „Ich habe Schmerzen.“ Mit einem verwirrten Blick guckt Mama mich an. „Gerade ging es dir doch noch gut.“, murmelt sie vor sich her und guckt mich vollkommen ratlos an. Auf einmal steht ein Mann neben uns und sagt zu Mama: „Ich habe einen Arzt gerufen. Der Krankenwagen ist in wenigen Minuten da.“ Ich sehe Panik in Mamas Augen. Dann wendet der Mann sich an mich: „Wo hast du die Schmerzen Mädchen?“ Mit großen Augen sehe ich ihn an und bin verwirrt. Ich weiß nicht wo die Schmerzen sind. Ich kann es einfach nicht sagen, weil ich es selbst nicht weiß. Also gucke ich ihn weiter an und schweige. „Es ist wichtig zu wissen, wo du Schmerzen hast Mädchen.“, meint er jetzt mit einem Runzeln auf der Stirn. Mittlerweile hat sich eine Menschentraube um uns versammelt. Es liegt wohl in der Natur des Menschen zum unmöglichsten Zeitpunkt gaffen zu wollen. „Ich weiß es nicht. Er ist überall“, flüstere ich jetzt. Wieder ist da dieses Stirnrunzeln auf seinem Gesicht. Anscheinend weiß er nicht was er dazu sagen soll und wendet sich wieder an Mama: „Der Notarzt sollte jedem Moment hier sein.“

Ich konzentriere mich auf den Schmerz in mir drin. Besonders schlimm ist er in der Herzgegend und dennoch spüre ich ihn überall in meinem Körper deutlich. Jetzt wo ich mich komplett auf mich konzentriere höre ich eine leise Stimme in meinem Kopf: „Ich will noch nicht sterben.“ Es ist ein kurzer Gedanke und auf einmal sehe ich einen Sanitäter über mir und undeutlich höre ich wie er sagt: „Bitte halte durch. Komm schon, du schaffst das.“ Und dann schließe ich die Augen und sehe ein helles Licht und gehe darauf zu. Neben mir schimmert etwas und ich glaube es ist eine Seele. Ich begleite diese Seele bis zum Licht und blicke ihr dann hinterher, während sie durch das Licht geht und verschwindet. Langsam drehe ich mich um und kehre in meinen Körper zurück.

 

Kapitel 1

Ich kann nicht fassen was da mit mir passiert ist, schnappe nach Luft und reiße meine Augen weit auf. Vor mir steht ein Sanitäter und ich denke mir „Nicht schon wieder!“ . Doch dann merke ich, dass ich keine Schmerzen mehr habe und dass ich bereits im Krankenhaus liege. Ich hatte wohl das Bewusstsein verloren. Mama steht neben mir und hält meine Hand. Der Arzt lächelt mir zu und fragt: „Wie geht es dir Tamara?“ Ich gucke ihn an und stammle: „Meine Schmerzen sind weg. Wie kann das sein?“ Ein beruhigendes Lächeln schleicht sich in das Gesicht des Arztes. „Wir mussten dir starke Schmerzmittel geben. Du hast selbst noch geschrien, als du bereits ohnmächtig warst.“ Nun wendet er sich Mama zu: „Da wir noch nicht die Ursache für Tamaras Schmerzen finden konnten, möchten wir sie gerne im Krankenhaus behalten.“ Mama nickt nur stumm. Ich sehe Tränen in ihren Augenwinkeln. Sie möchte nicht das gleiche wie bei Papa durchmachen. Ich sehe ihr in die Augen, drücke ihre Hand und sage: „Es wird gut werden Mama. Ich werde nicht sterben, dafür werden sie hier sorgen.“ Ein kleines Lächeln ziert ihr müdes Gesicht. „Ich liebe dich Mama.“, sage ich und das Lächeln rutscht ihr aus dem Gesicht. Manchmal vergesse ich, dass ich Papa total ähnlich sehe und Mama somit an ihn erinnere. „Bitte weine nicht.“, sage ich zu ihr und ich merke wie sich die Tränen in meinen Augenwinkeln sammeln.

Mittlerweile hat der Arzt das Zimmer verlassen und ich höre wie er sich mit einem weiteren Arzt auf dem Gang vor der Tür unterhält. „Wie geht es deiner Patientin?“, fragt die eine Stimme. „Es schien nur eine kurze Schmerzwelle gewesen zu sein, aber ich weiß nicht was sie ausgelöst hat. Körperlich ist sie vollkommen gesund. Wie erging es dir heute?“, antwortet die andere. „Ich hatte einen toten Jugendlichen beim Autounfall. Wir haben unser Bestes gegeben um ihn zu retten, doch es hat nichts genützt. Manchmal frage ich mich wie ungerecht das Leben sein kann, wenn dem Menschen sein Leben genommen wird, obwohl es noch nicht mal wirklich angefangen hat.“ Mehr höre ich nicht mehr.

 

Meine Gedanken fangen an zu kreisen und ich bekomme Panik. Eine Maschine fängt an zu piepen und wie durch einen dicken Nebel höre ich wie Mama nach einem Arzt ruft. Fast sofort kommt einer ins Zimmer und sagt mir: „Beruhige dich Mädchen.“ Doch ich kann nicht. Meine Luftröhre fühlt sich an als wenn sie zusammengedrückt wird. „Nun macht doch etwas!“, höre ich meine Mom. In ihrer Stimme liegt Panik und ich erinnere mich an die Angst, die sie hat, mich auch noch zu verlieren. Und dann erinnere ich mich wieder daran, wie man atmet und sauge viel Luft in meine Lungen. Ich muss husten. Ein Arzt legt mir seine Hand auf den Rücken und kreist sie. Mit der Zeit bekomme ich besser Luft und kann jetzt auch atmen ohne husten zu müssen. Besorgt sieht der Arzt mich an und fragt: „Wieder alles gut Mädchen?“ Ich kann nur nicken. Skeptisch guckt er mich an und wendet sich zu Mama. „Ich kann Ihnen ein Bett hier anbieten, damit Sie sich nicht so weit von Ihrer Tochter entfernen müssen und sich ausruhen können.“, sagt er und Mama bringt ein geflüstertes „Danke“ hervor. Der Arzt entfernt sich aus dem Zimmer und wir sind wieder allein.

Stumm guckt mich Mama an und ich sehe, dass sie darüber nachdenkt mir etwas zu erzählen. „Mama?“, frage ich und sie guckt mich an. Weiterhin sieht sie nachdenklich aus und sagt nebenbei: „Ja Tamara?“ „Erzähl es mir bitte.“, flüstere ich und sie guckt mich geschockt an. „Woher? Woher weißt du… ?“, stammelt sie. „Dein Gesichtsausdruck Mama.“, antworte ich ihr und streichle dabei über ihren Arm. „Glaubst du an Seelenverwandtschaft mein Kind?“, fragt Mama mich nun und ich weiß nicht was ich darauf antworten soll. Das ist doch nur Quatsch. Etwas Erfundenes um die Liebe zu erklären, mehr nicht. Geschichten, die einem Hoffnung geben, aber man weiß trotzdem, dass sie nicht wahr sind. Das können sie gar nicht. So etwas ist nicht möglich und schon gar nicht wissenschaftlich nachgewiesen. Mama sieht meine Skepsis. „Ich sehe schon, du glaubst nicht daran. Und doch möchte ich dir eine Geschichte erzählen. Die Geschichte von mir und deinem Vater.“, sagt sie dennoch und beginnt zu erzählen.

„Wie du weißt, lernten Papa und ich uns bereits in der Grundschule kennen. Er war ein schrecklicher Junge und ich konnte ihn nicht leiden. Zumindest glaubte er das. Aber ich war nur so abweisend und schrecklich zu ihm, weil ich ihn gut leiden konnte. Er sah damals schon gut aus, aber ich vertraute Männern und Jungs nicht sonderlich. Du weißt, mein Vater hat unsere Familie für eine Jüngere verlassen als ich drei Jahre alt war. Und so misstraute ich auch Sven. Deinem Vater. Immer wieder versuchte er mich zu ärgern und versuchte mich dazu zu bringen mit ihm zu spielen. Egal wie oft ich ihn abwies oder ein gehässiges Kommentar machte, er kam immer wieder an um mich zu ärgern und mich zu fragen ob ich mit ihm spiele. Irgendwann fingen die Lehrer an, ihn abzufangen, wenn er auf dem Weg zu mir war und sagten zu ihm: Lass Jenny in Ruhe. Sie möchte nicht mit dir spielen, Sven. Selbst die Lehrer hatte ich getäuscht und dann kam der Tag, an dem Mama mir sagte, dass wir umziehen werden. Ich war todtraurig, da ich Sven so nicht mehr wiedersehen würde. Die Ferien hatten gerade angefangen, so dass ich keine Chance hatte, mich bei ihm zu verabschieden. Doch er hatte mir ein Foto geschenkt. Dieses betrachtete ich seit dem Umzug jeden Tag und vermisste es, wie Sven mich ärgerte obwohl ich ihn abwies.“ Kurz machte Mama eine Pause und meinte dann zu mir: „Wir beide sind müde und kaputt. Wir sollten jetzt schlafen und ich erzähle dir später den Rest.“ Und so ging sie ins Bett und schlief fast sofort ein, während ich noch wach lag und mir alles Mögliche durch den Kopf ging.

Doch vor allem musste ich an den Jungen denken. Den Jungen vom Autounfall. Er war mein Alter gewesen und ich hatte ihn zur Schwelle des Totenreichs begleitet. Warum hatte ich ihn begleiten können? War das die Seelenverwandtschaft, von der Mama sprach?

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 05.08.2014

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Das Bild vom Cover ist von Pixaby (http://pixabay.com/de/frau-silhouette-m%C3%A4dchen-modell-259004/)

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