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Schein-Dialoge und Worst-Practice Beispiele

 

 

Ali Özgür Özdil

Hamburg 2022

 

 

Den Opfern von Rassismus gewidmet

 

Inhaltsverzeichnis

 

  1. Vorwort

  2. Scheindialoge

  3. Worst-Practice Beispiele

#1 „Ist dort das Islamistische Wissenschafts- und Bildungsinstitut?

#2 „Ah! Islamischer Staat!“

#3 „Können Sie mal nicht mit den Terroristen reden?“

#4 „Endlich weiß ich, was in türkischen Familien so alles los ist“

#5 „In den Moscheen wird doch nur Hass gepredigt“

#6 „Das überzeugt mich nicht“

#7 „Aber er ist Ingenieur“

#8 „Sie sind der zweite Migrant in meinem Leben, zu dem ich Kontakt habe“

#9 „Oh, Entschuldigung! Ich habe deutsch gesprochen“

#10 „Gibt es den Koran auch auf Arabisch?

#11 „Kopftuchverbot auch für Schülerinnen“

#12 „Der Koran ist das gefährlichste Buch der Welt“

#13 „Im Koran haben die Frauen ja eine schlechte Stellung“

#14 „Das ist bei den Katholiken so“

#15 „Nehmen wir mal die Katholiken dazu“

#16 „Die (Juden) sollten auch kein Recht zum Schächten haben“

#17 „Da muss ich Ihnen leider wieder widersprechen“

#18 „Nicht so tolerant wie wir Christen“

#19 „Im Koran steht ja…“

#20 „Ich war auch mal Moslem“

#21 „Kommen Sie mir nicht immer mit Kontext!“

#22 „Ich kenne die Schura sehr gut“

#23 „Der Koran kann nicht von Allah sein, weil…“

#24 „…wo mehr als die Hälfte der Lehrerschaft selbst rassistisch ist“

#25 „Bisher hat sich keiner von denen vom IS distanziert“

#26 „Wenn Chuck Norris Muslim wird…“

#27 11. September

#28 Islam und Toleranz

#29 „Jetzt werde ich hier mal deutschnational!“

#30 „Und ich möchte, dass Sie das bestätigen!“

#31 „Dann habe ich ihm Hausverbot erteilt“

#32 „Das muss ich nicht sehen“

#33 „Was ist Scharia?“

#34 „Wir lesen keine Bücher von Arabern!“

#35 „Kann es sein, dass Sie uns missionieren wollen?“

#36 „Eigentlich gehört der Begriff (Djihad) abgeschafft!“

#37 „Sie dürfen hier nicht sitzen!“

#38 „Sie müssen sich viel stärker für die Christen in der Türkei einsetzen!“

#39 Eine fiktive Begegnungsgeschichte

#40 Zusammenfassung: Islam-Kritik oder Antimuslimischer Rassismus

 

4. Die absurdesten Aussagen zum Islam

#1 „Für Muslime sind doch alle Frauen Prostituierte“

#2 „Ihr seid doch nur tolerant, solange ihr die Minderheit seid“

#3 „An den Palästinensern, die sich in die Luft jagen, sieht man ja, was für ein Menschenbild der Islam hat“

#4 „Im Islam haben Frauen ja keine Seele“

#5 „Rüstet euch gegen eure Nachbarn auf!“

#6 „An den radikalen Massen in der arabischen Welt sieht man ja, wie radikal der Islam ist“

#7 „Die Schule ist der einzige soziale Raum, in dem sie (Mädchen mit Kopftuch) Freiheit erleben“

#8 „Die Stellung der Frau im Islam ist wie die Stellung eines Hundes“

#9 „Ich will wissen, welche meiner SchülerInnen islamistisch sind“

#10 „Mein Mann sagt auch schon, ich sei zu radikal“

 

„Ho ho ho!“

 

5. Es gibt sie tatsächlich: Positive Beispiele

#1 „Sie haben mein Weltbild verändert“

#2 „Ihr Vortrag war so poetisch. Wie der Koran im Original“

#3 Abraham im Islam und im Christentum

#4 „Am liebsten hätte ich mich (beim Gebet) dazugestellt“

#5 „Wir denken nicht so wie die meisten hier“

#6 „Sie haben das sehr gut gemacht“

#7 „Ich könnte Ihnen stundenlang zuhören“

#8 „Ich wusste ja bereits, dass wir uns nahe sind“

#9 „Sie sind ja ein wunderbarer Mensch“

#10 „Früher hatte ich Muslime gehasst. Jetzt liebe ich sie“

 

6. Schlusswort

1. Vorwort

 

Liebe LeserInnen,

 

jede Form der Begegnung und jedes Zwiegespräch ist ein Dialog. Der Mensch ist ein soziales Wesen und braucht andere Menschen, vor allem, um sich selbst als Individuum wahrzunehmen. Wer also sagt, dass er gegen Dialog ist, sagt, dass er in seinem Leben absolut niemanden benötigt.

 

Ich bin gerade 52 Jahre alt und seit 1992 aktiv im interreligiösen Dialog mit ChristInnen und seit 1996 mit JüdInnen. Viele der tausenden Begegnungen haben mich geprägt.

 

Warum jedoch ein Buch über Worst-Practice, d.h. schlimme oder schlechte, Beispiele aus dem Dialog?

 

Es existieren unzählige Bücher über den interreligiösen oder interkulturellen Dialog. Auch ich habe sehr viel dazu veröffentlicht (siehe dazu meine Webseite: http://alioezdil.de/buchautor-2). Aber lernt der Mensch nur aus positiven Beispielen? Was ist mit all den negativen Beispielen, die wir ebenso erleben und die uns mitprägen?

 

Interessanterweise muss ich rückblickend auf 30 Jahre Dialogerfahrungen sagen, dass von den gefühlt mehr als 1.000 Begegnungen vermutlich 98% Scheindialoge waren. Woran man diese erkennen kann, erläutere ich im folgenden Kapitel. Aber ich möchte hier vor allem noch drei Dinge deutlich unterstreichen:

 

1. All diese überwiegend negativen Erfahrungen, in denen ich auch viele persönliche Beleidigungen erdulden musste, haben mich nicht davon abgehalten, weiterhin an die Wichtigkeit der Begegnung und des Gesprächs mit Menschen zu glauben. Natürlich bin ich gelegentlich an meine Grenzen gestoßen und habe auch ab und zu daran gedacht aufzuhören. Aber sollte ich aufhören, dann würden ja genau jene gewinnen, die mich dazu zwingen wollen. In all den Momenten, in denen ich in einer Veranstaltung beleidigt wurde oder man mich mundtot machen wollte und eine innere Stimme zu mir sagte: „Pack deine Sachen und geh!“, sagte eine andere Stimme in mir: „Genau das ist doch, was diese Leute wollen.“ Also blieb ich und ertrug ihre Respektlosigkeiten. Nicht selten kam dann aber jemand zu mir und sagte: „Sie haben das so toll gemacht. Machen Sie bitte weiter! Wir brauchen Leute wie Sie.“

 

2. Das zweite, was ich unterstreichen möchte ist, dass in den Negativ-Beispielen, die ich als Worst-Practice (als das Gegenteil von Best-Practice) bezeichne, meine Kritik sich nicht pauschal gegen eine bestimmte Religion oder Berufsgruppe (z.B. PastorInnen oder LehrerInnen) richtet, sondern gegen jene, die respektlos sind. Die weder einen Gast (wenn ich bei ihnen zu Besuch bin) noch die Gastfreundschaft (wenn sie bei mir zu Besuch sind) respektieren. Wo kein Respekt ist, erreicht jeder Dialog seine Grenzen. Niemand muss sich beleidigen lassen.

 

3. Als dritter Punkt ist für das Lesen meiner Beispiele wichtig, dass es nicht meine Absicht oder Grundhaltung ist, Menschen öffentlich bloßzustellen. Jedes Beispiel hat einen Kontext und ich beziehe mich auf Beispiele, die schiefgelaufen sind. Sie sind aber Teil einer Atmosphäre, die hier leider nicht gebührend dargestellt werden kann. Deshalb kann vielleicht die eine oder andere meiner Reaktionen auf Unverständnis stoßen, weil ich z.B. jemanden kritisiere. Wer aber die Atmosphäre, in der meine Antworten entstanden sind, miterleben würde, würde dann vielleicht sogar sagen: „Mensch, wie ruhig und geduldig Du trotzdem geblieben bist.“

 

 

 

2. Scheindialoge

 

Es handelt sich um einen Scheindialog, wenn

  • von vornherein eine gegenseitige Skepsis unter den am Dialog Beteiligten herrscht, (Stichwort: Vertrauensbasis aufbauen),

  • eine negative Einschätzung des Glaubens des Dialogpartners den Ansatz für Fragestellungen liefert,

  • eine auf die eigene Sache bezogene Überheblichkeit von vornherein die Wahrnehmung des Dialogpartners und die seiner Überzeugung unmöglich macht,

  • die Geringschätzung des Dialogpartners nicht zulässt, von ihm etwas Positives zu lernen,

  • die Gespräche dazu missbraucht werden, bereits bestehende Vorurteile zu bestätigen,

  • negativ zu bewertende Erscheinungen im Überzeugungsbereich des Dialogpartners als Ausgangspunkt des Gesprächs gewählt werden; ganz besonders, indem man versucht, den Gesprächspartner in die Enge zu treiben,

  • das Festhalten an herkömmlichen Feindbildern sowohl die Aufarbeitung der Vergangenheit als auch die Sicht auf eine hoffnungsvolle Gegenwart und Zukunft versperrt,

  • die Absicht besteht, den Gesprächspartner auf die Anklagebank zu setzen und ihn zu verurteilen, um sich auf seine Kosten zu profilieren,

  • die Gesprächspartner nicht bereit sind selbstkritisch über die eigene Religion, Religionsgemeinschaft und die Entwicklung der eigenen Geschichte zu reflektieren,

  • versteckte Absichten wie Missionierungshoffnungen die Gespräche begleiten,

  • der Dialog praktisch als apologetisches Werkzeug benutzt wird, mit einer latenten Diffamierung der Religion des Gesprächspartners und der Hervorhebung der Vorzüge der eigenen Überzeugung,

  • schließlich extreme (aktuelle) Ereignisse als Anlass dienen, eine Veranstaltung nach der anderen anzuberaumen, ohne das Interesse an der gesamten Problematik, und auf denen der Dialog dazu dient, bestimmte aktuelle Erscheinungen aus dem Kontext der Lehre und der Geschichte herauszugreifen und ein verzerrtes und verabscheuungswürdiges Bild von der Religion und Kultur des Anderen zu konstruieren. Der Dialog wird dann lediglich als ein politisches Mittel zur Herabwürdigung des Gegenübers missbraucht. Die Themen verkommen zu Schlagwörtern und diese dienen immer demselben Ziel: Sie sollen stets eine Gefahr durch den anderen suggerieren, um das bestehende Spannungsfeld aufrecht zu erhalten und dadurch entsprechenden Interessen dienende Aktionen vor der eigenen sowie der Weltöffentlichkeit zu legitimieren. (Quelle: Falaturi, Abdoldjavad: Der Islam im Dialog. Hamburg 1996)

 

 

 

3. Worst-Practice Beispiele

 

Nun folgen, liebe LeserInnen, 25 Beispiele, in denen jeweils mindestens eine der oben erwähnten Scheindialoge erfüllt werden.

 

Die Beispiele sollen zum Nachdenken anregen:

 

  • Was ist hier schiefgelaufen?
  • Welche Lehre ziehe ich daraus?
  • Was müsste passieren, damit das nicht ein zweites Mal passiert?

 

Es geht bei den Beispielen nicht darum, sich über einen Pastor oder eine Lehrerin lustig zu machen, die eine absurde Äußerung getätigt haben, sondern darum zu zeigen, dass Halbwissen, Vorurteile, Rassismus u.v.a.m. überall anzutreffen sind und es vor allem um die richtige Haltung geht.

 

Die Beispiele habe ich auch teilweise auf meiner Instagram-Seite geteilt (https://www.instagram.com/dr._ali_oezdil/). Wer Interesse hat, die Kommentare dazu zu lesen, sollte da vorbeischauen.

 

Mein Rat an dieser Stelle ist, schreibt eure eigenen Erlebnisse auf, redet über sie, teilt sie mit anderen. Nutzt die Mittel, die euch zur Verfügung stehen, um gehört zu werden. Die Bösen sind schließlich auch nicht passiv.

 

Lasst uns nun gemeinsam auf eine 30-jährige Reise gehen...

 

 

#1 Islaaamisch

 

Eine Schulleiterin rief mich im Büro an und fragte: „Ist dort das Islamistische Wissenschafts- und Bildungsinstitut?“

 

Ich sagte: „Nein, aber hier ist das Islaaamische Wissenschafts- und Bildungsinstitut“, wobei ich das „Islaaamische“ besonders betonte. Da musste sie lachen und sagte: „Da sehen Sie schon, wo mein Problem ist.“

 

Ich hätte auch anders reagieren können. Z.B. hätte ich das ignorieren können (wozu ich allerdings nicht rate). Oder ich hätte sie kritisieren können. Doch der Ton macht die Musik. Sie war ja auch sofort einsichtig. Das sind die Momente, in denen Sensibilität gefragt ist.

 

Als uns einmal unsere Büronachbarn zum Kennenlernen eingeladen hatten, sagte ein anderer Nachbar: „Ach, ihr seid das also in der 2. Etage. Ich habe mich nämlich schon gefragt, warum seit zwei Jahren so viele Islamisten die Treppe rauf und runter laufen.“

 

Ich sagte ihm daraufhin: „Sind Ihnen auch die ganzen Nazis aufgefallen, die täglich die Treppe rauf und runter laufen?“

 

Er guckte völlig verwirrt. Dann versuchte ich ihm den Unterschied zwischen Muslime und „Islamisten“ am Beispiel des Unterschieds zwischen Deutschen und Nazis zu erklären. Er hat es aber leider nicht verstanden.

 

#2 „Ah! Islamischer Staat!“

 

Ich gehe gerade die Treppen meines Instituts herunter und der Postbote kommt mir entgegen. Als er mich bemerkt, sagt er: „Ah! Islamischer Staat!“ „Nein, die haben hier noch kein Büro“, sage ich. Da guckt er auf den Briefumschlag in seiner Hand: „Ach so, ich meine Islamisches Wissenschafts- und Bildungsinstitut.“

 

Wie sehr Medien doch unsere Sprache prägen bzw. unser Denken beeinflussen. Zu meiner Schulzeit nannten wir arabische Touristen oder Geschäftsleute mit ihren weißen Gewändern und rot-weißen Kopftüchern „Öl-Scheichs“. Dabei ziehen sich auf der arabischen Halbinsel viele Männer so an, auch die, die keine Öl-Scheichs sind.

 

Heute wiederum assoziieren viele Menschen Männer, die sich so kleiden, mit „Salafismus“ oder „Terror.“ Ganz einfache Menschen werden aufgrund einseitiger Medienberichterstattung als Extremisten oder Terroristen wahrgenommen. Man stelle sich vor, dass man im Ausland mit „Nazi“ angesprochen wird, nur weil man Deutsch ist.

 

Wir können uns nur sehr schwer solchen Bildern entziehen. Wichtig ist, dass einem das Problem deutlich wird und man den Menschen kein Unrecht antut, nur weil man komische Bilder im Kopf hat.

 

#3 Mit den Terroristen reden

 

Nach einer Religionslehrerfortbildung kommt eine ältere Lehrerin zu mir und sagt: „Herr Özdil, können Sie mal nicht mit den Terroristen reden?“ „Glauben Sie wirklich, dass jeder Muslim einen Terroristen kennt?“, frage ich sie zurück. „Oder glauben Sie, auf deren Stirn steht: »Ich bin Terrorist!«?“

 

Liebe Deutsche, könnt ihr mal nicht mit den Rechtsterroristen sprechen? Natürlich nur, wenn ihr welche kennt.

 

Dieses Beispiel macht deutlich, dass Muslime oft nicht als Individuen wahrgenommen werden, sondern als ein Kollektiv. Ein typisches Element von Rassismus ist, dass das Individuum für die Gruppe steht. Wenn z.B. eine als Muslimin sichtbare Person bei Rot über die Ampel geht, wird ihr hinterhergerufen: „Passt euch mal an!“ Der Fokus ist nicht auf die Handlung gerichtet, sondern auf die Gruppe, die sie angeblich repräsentiert.

#4 Türkei-Expertin

 

Eine Lehrerin sagt mir in der Pause einer Fortbildung: „Ich habe ja die Filme »40 Quadratmeter Deutschland« und »Gegen die Wand« von Fatih Akin gesehen. Endlich weiß ich, was in türkischen Familien so alles los ist.“

 

Zwei Filme und schon Türkei-Expertin!

 

Haben meine deutschen Freunde zwei Filmtipps für mich, damit ich endlich weiß, was in deutschen Familien so alles los ist?

 

Das für mich Erschreckende an Beispielen wie diesen ist, dass solche Äußerungen von Personen kommen, bei denen man ein gewisses Reflexionsvermögen erwarten dürfte.


#5 Hasspredigt

 

Ich halte gerade einen Vortrag auf der Bühne

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 28.01.2022
ISBN: 978-3-7554-0644-0

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Den Opfern von Rassismus

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