Cover

1

Ich drückte Glen eng an mich, während ich mich im Bett fester zusammenrollte. Es war schon fast später Nachmittag, wie mir mein Wecker mitteilte, aber ich war noch immer nicht aufgestanden. Langsam bekam ich Hunger, doch mein Bett war so warm und bequem, der einzige Zufluchtsort, der mir Geborgenheit bot.

Glen schnurrte im Schlaf und störte sich nicht daran, dass ich sie in meiner Umarmung schon beinahe zerquetschte. Wenigstens sie würde mich niemals im Stich lassen.

Immer wieder döste ich ein oder starrte hellwach die Wand an meinem Bett an. Am liebsten wäre ich eingeschlafen und nie wieder aufgewacht. Aber da ich heute wieder einen Auftritt bei der Open Mike Night meines Lieblingclubs hatte, musste ich langsam aufstehen.

Der Gedanke brachte mir sogar so viel Elan, dass ich beinahe motiviert aus dem Bett stieg, ohne Glen zu wecken und duschen ging. Danach haute ich fünf Eier in eine Pfanne und verfrachtete zwei Scheiben Toast in den Toaster. Die Mahlzeit war einfach, aber richtig gewürzt lecker und würde lange vorhalten.

Sobald der Geschirrturm in der Spüle um eine Pfanne und einen Teller reicher war, spülte ich im Bad Glens Näpfe aus und befüllte sie dann neu. In diesem Moment kam die Katze aus dem Schlafzimmer, strich an meinen Beinen entlang und tat sich an ihrem Futter gütlich.

Aus meinem Kleiderschrank zauberte ich kurze, schwarze Baggys und ein weites Herren-T-Shirt. Ich überlegte kurz, ob ich das Höschen weglassen sollte, entschied mich jedoch dagegen. Die engen, schwarzen Panties waren immer sehr bequem und sie gaben mir ein gutes Gefühl. Den BH ließ ich jedoch weg. Ich war mir nicht einmal mehr sicher, ob ich noch einen besaß.

Sobald ich wieder vorzeigbar war, stimmte ich noch meinen E-Bass, während ich immer wieder auf die Uhr sah. Bald könnte ich losgehen. Es war immer schwierig, die Zeit zwischen den Gigs totzuschlagen.

Nachdem mein zweiter bester Freund gestimmt und sicher in seiner Tasche verstaut war, schulterte ich diese und rief beim Rausgehen „Sei brav, Glen“. Ich war mir nicht einmal sicher, ob die Katze es gehört hatte, nachdem sie bis zu den Ohren mit dem Kopf in ihrem Napf steckte.

 

Es war ein heißer Sommertag und es nervte mich. Kaum, dass ich aus dem Haus getreten war, war ich schon wieder verschwitzt und verklebt. Ich kämpfte mich durch die schattigeren Straßen und ging damit automatisch einen Umweg, der genug Zeit herum bringen sollte, bis ich beim Club sein musste. Zwischendurch holte ich mir doch noch einen Hotdog, auch wenn ich nicht wusste, wie ich in der Hitze noch solchen Hunger haben konnte.

Obwohl es schon recht spät war, stand die Sonne noch hoch. Ich freute mich bereits darauf, nach meinem Auftritt in die kühle Nachtluft hinaustreten zu können. Das war einer der besten Teile eines jeden Gigs.

Als ich am Club ankam, war bereits ein roter Streifen am Horizont zu erkennen. Die Schlange war schon lang, obwohl der Club noch längst nicht geöffnet hatte. Ich ging an ihr vorbei und der Türsteher ließ mich rein. Ich hatte von einigen Leuten bereits Gemurmel darüber aufgeschnappt, auf welche Indie-Künstler sie sich freuten. Darunter oft mein Name. Ein bisschen machte mich das schon stolz.

Drinnen war es hell erleuchtet und die Hausband stimmte ihre Instrumente ein. Der Barmann grüßte mich und ich nickte ihm zu. Auf der Bühne nickten mir die Musiker zu, als sie mich bemerkten, während ich nach hinten ging, um mir die die Reihenfolge noch einmal anzusehen, in der wir proben sollten, doch ich konnte die Liste nirgends finden. Schulterzuckend ging ich in den Umkleideraum, um meinen Bass auszupacken. Ich war eine der ersten, die da war, denn dort stand erst eine andere Tasche herum. Eine Tasche, die ich überall wiedererkennen würde.

Dieser miese Bastard, Darian Ames, war auch schon da. Heute Nacht würde ich ihn endlich in den Boden stampfen und die Mehrheit der Zuhörer für mich gewinnen. Es war schon immer ein Kopf an Kopf Rennen zwischen uns gewesen, doch dieses Mal würde ich ihn schlagen, nur um sein dummes Gesicht zu sehen. So viel schwor ich mir.

 

 

 

 

 

 Die Sonne knallte bedingungslos und mit einer Hitze vom Himmel, die schon beinahe unerträglich sein könnte, aber ich lies sie mir nur auf den Bauch scheinen, als ich mit Nachdruck an der Schulter geschüttelt wurde.

„Komm schon, ich dachte wir sind hier, um die Mädchen zu checken.“

Ich gab nur ein abwehrendes Brummen von mir und hoffte, dass er mich in Ruhe lassen würde, aber den Gefallen tat er mir nicht. Stattdessen zog Jaden mir das Handtuch vom Kopf, sodass die Sonne mich durch die Lider blenden konnte. Unwillig setzte ich mich auf, schirmte mir die Augen mit der Hand ab und warf meinem Bruder einen bösen Blick zu.

„Das heißt 'Mädchen abzuchecken' und du checkst hier gar nichts ab du Wurm. Du solltest dir lieber Gedanken darüber machen, was Philip davon hält, dass du uns nach läufst, anstatt deine Hausaufgaben zu machen.“

Um es kurz zu erklären. Mein Bruder war grade zwölf, Philip war unser Hauslehrer und ich war total genervt, weil ich mich von Chase, meinem besten Freund hatte breit schlagen lassen, Jaden mitkommen zu lassen. Chase' Wortlaut: „Lass ihn doch mitkommen, du weißt wie du in dem Alter warst.“ Ja wusste ich. Und zwar definitiv nicht so. mein Interesse galt schon immer der Musik und nicht der Tatsache, einem Bild nach zu eifern, das es nicht gibt. Denn das versuchte Jaden. Ich weiß nicht genau, woher er das hatte, ich befürchtete Chase flüsterte ihm die Dinge ein um mich auf die Palme zu bringen, aber Jaden war felsenfest der Meinung, ich wäre ein Weiberheld. Was für ein Schwachsinn. Aber vielleicht würde ja so der Nachfolger meines Vaters geformt, den er in mir nie gefunden hatte. Berühmt, beliebt, berüchtigt. Irgendeiner musste es ja werden und da ich mich geweigert hatte das Erbe anzutreten, mussten sie Abhilfe schaffen. Ich wünschte nur, sie hätten einfach alles einem seiner Fußabtreter vermacht, anstatt ein weiteres Kind in die Welt zu setzen. Mir einen Bruder an die Versen zu heften, der jetzt dort klebte wie ein Kaugummi. Die zwölf Jahre Altersunterschied machten die ganze Sache nur noch schlimmer. Ich war Jahrelang ein Einzelkind, gestraft mit Desinteresse und Ignoranz und dann wurde mir von jetzt auf gleich offenbart, dass ich einen Bruder bekam, der mir dann noch den Rest der Aufmerksamkeit raubte, die ich ohnehin ich nicht hatte.

„Ich hab gar keine Aufgaben auf! Philip hat mir extra keine aufgegeben, weil heute schönes Wetter ist!“

„Schrei hier nicht so rum, du Gnom.“

„Ich bin kein Gnom!“

Genervt warf ich Chase, der auf meiner anderen Seite saß einen Blick zu.

„Es ist deine Schuld, dass er hier ist.“

„Schuldig im Sinne der Anklage. Was soll's D. Er ist dein Bruder, ihr verbringt ohnehin viel zu wenig Zeit miteinander.“

„Er ist ein kleiner verwöhnter Junge, Papa's Liebling, der nicht weiß, wann er aufhören soll.“

„Er kennt einfach seine Grenzen noch nicht.“

„Kein Wunder, weil er alles in den Arsch geschoben kriegt.“

„Woh Vorsicht, er kann dich hören.“

Wie um das zu bestätigen meldete Jaden sich zu Wort.

„Genau, ich kann alles hören was du sagst.“

„Gut so.“ Und an Chase gewandt. „Wenn ihr mich jetzt entschuldigt, ich hab noch was vor.“

Damit stand ich auf, schlüpfte in meine Flip Flops, warf mir mein Hemd über die Schulter und stopfte das Handtuch in meinen Rucksack. Chase protestierte sofort, ebenso wie Jaden.

„Wo willst du hin D? Du kannst mich doch nicht mit deinem Bruder alleine lassen.“

„Du wolltest ihn mitnehmen. Deine Entscheidung, dein Bier. Viel Spaß noch.“

Ohne einen Blick auf Jaden zu werfen drehte ich mich um und machte mich auf den Weg nach hause. Ich wusste, dass er bei Chase bleiben würde, es war ja nicht das erste mal, dass ich ihn bei ihm ließ, obwohl es eher an Chase lag. Die zwei verstanden sich bestens, deswegen hatte ich auch kein schlechtes Gewissen. Chase war schon immer der bessere von uns beiden, egal um was es ging. Mit einer einzigen Ausnahme. Deswegen und weil ich ihm voll und ganz vertraute, ließ ich Jaden wann es ging bei ihm, um mich zu verdrücken. Klar, das war nicht grade brüderlich, aber Chase brachte ihm viel mehr Freundschaft und Aufmerksamkeit entgegen, als ich es könnte.

Das Hemd über der einen, den Rucksack auf der anderen Schulter und die Sonnenbrille auf der Nase, mit den Händen in den Taschen, schlenderte ich durch den Park in Richtung Ausgang, überquerte die Straße und bog um drei Ecken, bis ich schließlich vor dem Tor zu unserer Einfahrt stand. Am Ziffernblock tippte ich meinen Code ein, der die Gittertüre öffnete, ging hindurch und ließ das Gitter hinter mir wieder zu fallen. Ich kam keine drei Schritte weit, bis mich die zwei großen Dobermänner beinahe umrannten, die vor Freude an mir hoch sprangen und erst verschwanden, als ich es ihnen sagte. Wobei sie nicht gingen, sie begleiteten mich wie Wachen zur Türe und ließen sich dann links und rechts der Haustür auf die große Veranda fallen, als hätte die Sonne sie nieder gestreckt. Ein letztes mal strich ich den beiden übers Fell, bevor ich den Hausschlüssel ins Schloss steckte, den Zeigefinger auf das Erkennungsfeld legte und die Türe klickend aufging. Nicht um Stille bemüht, aber mich auch nicht bemerkbar machend, wanderte ich durch das Haus in den hinteren Teil, wo ich mich in mein Zimmer begab und die Sachen fallen ließ, bevor ich mich in die, von der Klimaanlage gekühlten, Laken meines Bettes fallen ließ. Ruhe. So vollkommen. Einzig und alleine die Noten in meinem Kopf, die ich seit dem aufstehen nicht los wurde. Ich wollte sie eigentlich schon längst aufgeschrieben haben, aber ich war bisher nicht dazu gekommen und auch jetzt sollte ich keine Gelegenheit dazu haben. Ein Klopfen an der Tür durchbrach die Stille, gefolgt von der Stimme meines Vaters, als er die Türe auf stieß.

„Wo ist dein Bruder.“

Kein 'Hallo', kein 'Wie geht’s dir', ungeachtet der Tatsache, dass wir uns heute noch gar nicht gesehen hatten.

„Bei Chase, wo sonst.“

„Wie oft muss ich dir sagen, dass du deinen Bruder nicht alleine lassen sollst?“

Wie oft soll ich dir sagen, dass mir das am Arsch vorbei geht.

„Hörst du mir eigentlich überhaupt zu. Er ist nicht alleine, Chase ist bei ihm.“

„Er ist DEIN Bruder, verdammt! DU solltest auf ihn aufpassen, und nicht deine Freunde!“

Und damit knallte er die Türe hinter sich zu, als er ging. Mir gleich. So lief es immerhin schon seit Jahren.

Schulterzuckend schwang ich mich vom Bett, suchte saubere Sachen aus dem Schrank und schwang mich unter die Dusche. Nur Minuten später kam ich frisch geduscht, mit dunklen Shorts und einem sauberen Hemd bekleidet aus dem Bad, die braunen Haare noch feucht, die Füße nackt. Die nackten Füße steckte ich zurück in die Flip Flops, gegen die nassen Haare unternahm ich nichts, sie waren kurz genug, um in der warmen Luft draußen innerhalb von Minuten zu trocknen. Dann schnappte ich mir meine Gitarre und verließ das Haus wieder, ohne Bescheid zu sagen. Es interessierte hier schon lange niemanden mehr, wann ich kam oder ging, einzig Philip sorgte sich darum, dass ich irgendwann gar nicht mehr wieder heim kehren würde. Der Mann in den späten fünfzigern, der mit Mühe und Not versucht hatte mich dazu zu bewegen, mich für etwas anderes als Musik zu interessieren, mir dann aber schlussendlich den Umgang mit jedem erdenklichen Instrument dieses Hauses beigebracht hatte. Er tat mir fast Leid, denn er war der einzige, der sich wirklich Sorgen um mich zu machen schien. Er täte vielleicht gut daran, das abzulegen, aber das hatte ich ihm bisher nicht abgewöhnen können.

Eben dieser Mann wartete grade im Auto draußen vor dem Tor, um mich zu meinem Gig zu fahren. Als ich vorne zu ihm in den Wagen stieg, schaut er zu mir rüber und lächelte mich an.

„Ich habe ihren Vater aufgebracht den Flur herunter laufen sehen. Sie haben ihren Bruder wieder bei eurem Freund gelassen, habe ich Recht?“

„Da ist er besser aufgehoben als zuhause.“

Ein trauriger Zug fuhr über das Gesicht des Mannes, bevor er sich der Straße widmete und los fuhr. Wir wissen beide, dass der Satz nicht gegen ihn gerichtet war, Philip hatte sich immer um mich gekümmert, ebenso wie um Jaden. Aber wir wussten auch beide, dass unsere Eltern sich umso weniger um uns scherten.

Schweigend fuhren wir quer durch die Stadt, bis Philip mich schließlich vor dem Club raus ließ.

„Hole ich sie später wieder ab?“

Ich schüttelte mit dem Kopf als ich ausstieg.

„Nein, ich weiß nicht wie spät es wird. Sorgen sie dafür dass Jaden was zum essen hat, wenn er nach hause kommt und dann nehmen sie sich den Rest des Tages frei. Wir sehen uns.“

Mit einem Wink schlug ich die Tür zu und wandte mich zum Club, wo schon die ersten standen, um auch bloß rein gelassen zu werden, wenn sich die Türen öffneten. Hier und da konnte ich die Mädchen nach mir rufen hören, freundlich lächelte ich ihnen zu oder winkte kurz, bevor ich mich am Türsteher vorbei drängte und einen tiefen Atemzug nahm. Hier war ich zuhause. Hier gehörte ich hin. Und nur hier ging es mir wirklich gut.

Ungeduldig, grinsend und alle grüßend ging ich nach hinten, lud meine Sachen ab und warf einen Blick auf die Listen, wo mir gleich auffiel, dass etwas nicht richtig war. Stirn runzelnd pflückte ich die Liste von der Pinnwand, studierte Sie während ich den Weg zum Büro einschlug und stieß beinahe mit der Keyboarderin zusammen, schaffte es aber noch rechtzeitig ihr auszuweichen und lächelte ihr zu.

„Sorry, keine Absicht.“

Ich beobachtete wie sie leicht rot wurde und musste mir mein grinsen verkneifen. Allerdings hatte ich grade leider keine Zeit mit ihr zu flirten, deswegen wedelte ich mit der Liste, deutete nur in Richtung Büro und war schon wieder weg, bevor sie etwas sagen konnte.

Am Büro angelangt klopfte ich nicht einmal an, sondern ging einfach rein, wo ich Rob, den Organisator des Clubs über dem Tisch brütend vor fand.

„Hey. Sag mal, hast du einen Moment?“

Erst da bemerkte er mich und als er mich erkannt, wurde er leicht blass.

„Ja, hey Darian, gut dass du hier bist. Wir haben ein Problem.“

„Ich hoffe es ist nicht so groß, denn wir müssen einen Blick auf die Liste werfen. Irgendwas ist da schief gelaufen.“

„Genau das ist das Problem. Meine Assistentin hat ein paar Tage durcheinander geworfen.“

Das hatte ich mir schon fast gedacht.

„Pass auf, wir müssen ein wenig mit den Gigs schieben, ich muss den ganzen Plan neu schreiben und ich befürchte, ich muss ein paar Leute nach hause schicken. Und bitte, bevor du dich jetzt aufregst, hör mir zu. Du weißt, dass der Laden brechend voll ist in letzter Zeit und ich kann mir nicht leisten, dich oder die anderen Stammmusiker nach hause zu schicken, weil ihr das Geld rein bringt. Deswegen müsst ihr euch ein wenig arrangieren und ich weiß, dass passt dir vermutlich nicht, aber ich muss ein paar Gigs zusammen legen, um alle unter zu bekommen. Ich weiß allerdings auch, dass du dich nicht mit allen von denen decken kannst, aber ich weiß, dass du und Lenneth Parker, dass ihr zusammen passt. Es ist wirklich nur heute, nur dieses eine mal und ich habe keine Ahnung, wie ich es sonst machen soll.“

Einen Moment brauchte ich, bis Rob's Bitte zu mir durchdrang, doch dann fiel der Groschen und ich sah in seiner verklemmten Miene, dass mir mein Missfallen deutlich anzusehen war.

„Rob, das kannst du nicht machen. Du weißt, dass ich sie nicht ausstehen kann.“

„Ich weiß, aber sie ist die einzige, die dich ergänzen kann und du bist der einzige, der das bei ihr schafft. Ich würde euch ja mit anderen zusammen legen, aber es ist sonst niemand auf eurem Niveau.“

Na ganz toll. Die einzige andere Möglichkeit wäre gewesen, den Gig zu schmeißen, aber das würde dieser Kuh ja nur in den Kram passen. Wenn ich heute Abend ginge, würde sie das als Kapitulation werten, dann würde sie denken, ich hätte den Krieg, der seit dem ersten Moment zwischen uns herrscht, aufgegeben. Das konnte ich auf keinen Fall zulassen. Dann blieb nur eins. Ich musste sie während des Gigs in Grund und Boden spielen.

„Schön, aber wenn sie flennend aus dem Club rennt, bist du selber Schuld Rob.“

Für meinen Geschmack sah er etwas zu erleichtert aus, als ich einwilligte.

„Sehr gut, gehen wir nachsehen ob sie schon da ist, um sie aufzuklären.“

Das konnte ja was werden.

2

„Wie bitte?“, fragte ich zum zweiten Mal. Rob rieb sich betreten den Kopf, während Ames mich genauso genervt anstarrte, wie ich ihn.

„Bist du taub oder einfach nur dumm?“, maulte er mich an. „Rob hat Scheiße gebaut und wir müssen gemeinsam auftreten!“

„Ach halt's Maul, du kleiner Stricher!“

„Fick dich, Schlampe!“

„Hey, hey, das reicht ihr zwei!“, sprang Rob dazwischen. „Anstatt euch jetzt schon die Köpfe abzureißen, solltet ihr anfangen, zu Proben.“ Mit einem letzten abfälligen Schnauben packte ich meinen Bass, der mir von der Schulter hing zu meinem Stammverstärker, stöpselte meinen Freund ein und begann, mich einzuspielen, ohne auf die anderen zu achten.

Der blöde Wichser musste mich immer wieder auf die Palme bringen. Am liebsten hätte ich ihm den Hals umgedreht. Ich war so geladen, dass mein Spiel entsprechend aggressiv ausfiel. Ich hörte, wie Ames mit seiner Gitarre dagegenhielt und verstärkte meine Bemühungen umso mehr. Ich meinte sogar hören zu können, wie Rob seufzte.

Die Band hatte Schwierigkeiten mit unserem rabiaten Kampfstil mitzuhalten, doch sie waren uns beide so gewohnt, dass sie bald ihren Rhythmus fand. Der Rest der Probe ging mehr oder minder reibungslos, auch wenn der Idiot und ich uns hemmungslos beschimpften und Rob uns noch mehrmals mit der Security drohen musste. Ich hatte jedoch nicht vor, mich rausschmeißen zu lassen, bevor ich Ames nicht nass gemacht hatte.

Ich war froh, sobald unsere Probesession um war und ich wieder etwas runterkommen konnte. Wenn ich mich beim Auftritt nicht voll konzentrierte, würde ich ihn niemals schlagen. Ich konnte mir absolut keine Fehler erlauben. Nachdem ich meinen Bass, ich nannte ihn insgeheim Blemish, sanft auf seinem Ständer abgestellt hatte, killte ich eine ganze Flasche gekühltes Wasser, bevor ich zur Damentoilette ging und meinen Kopf mit den kurzen blonden Haaren unter den Hahn hielt. Mir taten die Augen weh und mir fiel erst jetzt wieder ein, dass ich die farbigen Kontaktlinsen, die ich gestern zum Einkaufen getragen hatte, vergessen hatte. Kein Wunder, dass meine Augen sich schon die ganze Zeit so seltsam anfühlten. Ich hatte es nur früher nicht bemerkt, weil sie bei meiner richtig langen Ausschlafaktion immer noch gut befeuchtet gewesen waren. Nun aber brannten sie wie die Hölle, ich hatte keine Dose für die Mistdinger mit und steckte in einem Dilemma. Ich wollte nicht, dass jemand meine wahre Augenfarbe sah und mich seltsam anstarrte, aber ich hatte auch keine Lust, mir ständig Tränen aus den Augen zu blinzeln.

Resigniert seufzte ich und pflückte mir die Linsen aus den Augen, ohne mir dabei irgendwas mit den Fingern auszustechen. Dann warf ich sie in den Toiletteneimer und betrachtete mich im Spiegel. Die violetten Augen sahen interessant mit meinen hellblonden Haaren aus, doch ich mochte es nicht, wegen ihnen angestarrt zu werden. Als könnten die Leute dadurch tief in meine Seele sehen. Noch einmal seufzte ich und verließ mutlos die Toilette. Das einzig Positive war, dass ich Ames bis zu unserem Auftritt nicht mehr über den Weg lief.

 

Das Haus war gerappelt voll, das Publikum jubelte, als die Künstler vor uns ihren Auftritt beendeten. Nun war die Menge zumindest für mich warm.

Mit Blemish ging ich an Ames vorbei, als die Anfänger die Bühne verließen. Ich versuchte, den arroganten Penner nicht anzusehen, doch ich wusste, sobald er seine Augenbraue fragend hob, dass er meine Augen gesehen hatte. Mir wurde übel, doch ich unterdrückte den Drang, mich an Ort und Stelle zu übergeben und betrat die Bühne, sobald der DJ meinen Namen rief.

Die Menge tobte und stampfte. Die Mädchen fingen bei Ames' Namen an, zu kreischen. Blöde Fangirls. Wahrscheinlich hofften sich auch noch, von dem Kerl durchgefickt zu werden. Hätte mich nicht gewundert, wenn er sich tatsächlich durch seine behinderten Groupies vögelte.

Ich stöpselte Blemish ein, nickte dem Schlagzeuger zu und sah kurz zu Ames hinüber, der seine Gitarre auch bereit hatte. Die Menge wurde schlagartig still, als der Drummer den Takt angab und ich dazu langsame, tiefe Töne anstimmte, die sich dann schlagartig in schnelle Sechzehntelnoten verwandelten, die harten Rock anstimmten. Ames klinkte sich problemlos in den Beat ein und trieb unser Zwangsmedley voran. Er war gut, so weit war ich bereit zuzugeben. Wenigstens spielte der Bastard Gitarre. Hätte er auch noch im Bereich des Basses mit mir konkurriert, hätte ich ihm vermutlich eines Abends aufgelauert und kastriert.

Ich stimmte die erste Strophe meiner Lyrics an und die Menge toste wie eine Stichflamme. Ames mischte dann seine mit den meinen und es gab kein Halten mehr. Ich glaubte, den Fußboden beben spüren zu können. Es war einfach überwältigend, der Konflikt mit Ames rückte immer mehr in den Hintergrund je länger wir spielten. Der Rhythmus ging mir durch Mark und Bein, das Blut pumpte unaufhörlich in meinen Adern und rauschte mir in den Ohren. Es war besser als ein Trip, besser als der Adrenalinschub beim Achterbahnfahren. Ich ging voll in meiner Musik auf und nichts spielte mehr eine Rolle.

Erst, als das Publikum „Zugabe!“ schrie und die letzten Noten der Musik verklangen, kam ich zurück ins Hier und Jetzt, bemerkte den Schweiß, der mir in die Augen lief und wie schwer ich atmete. Noch immer dröhnte das Adrenalin in meinem Blut und ich genoss die Nachbeben dieses Highs. Dabei warf ich Ames einen Blick zu, der dämlich grinste und in die Menge winkte. Fehlte nur noch, dass er den kreischenden Mädels Kusshände zuwarf.

Ich sah hinüber zu Rob, der an der Seite stand und mir zunickte. Daraufhin stimmte ich eine weiter Melodie an, die die Zugabe einläutete. Hätte ich nicht obligatorisch Oropax tragen müssen, wäre ich vom Jubel der Fans taub geworden. So jammten wir noch eine Salve an Songs, die wir nicht eingeübt hatte, und ich knirschte mit den Zähnen, dass Ames und ich trotzdem noch so gut harmonierten. Diese Welt musste mich wirklich hassen!

Nach der Zugabe brüllten sie natürlich nach mehr, doch unsere Zeit war endgültig um. Wir waren nicht der letzte Act des Abends und ich hörte enttäuschte Stimmen, als Ames und ich von der Bühne gingen.

Ich schnappte mir das Handtuch, das Rob mir hinhielt und fiel über die nächstbesten Wasserflaschen her. Nachdem ich die zweite geleert hatte, schlenderte ich mit Blemish zurück in die Umkleide und packte ihn ordentlich weg. Ich wusste, dass Ames mir auf den Fersen war, doch ich ignorierte ihn. Ich hatte nicht darauf geachtet, ihn in Grund und Boden zu spielen und wollte mir nun keine Blöße geben.

Hin und wieder wanderte mein Blick doch zu ihm und er schien etwas sagen zu wollen, bis sich jedoch immer wieder auf die Zunge. Es war mir auch egal, was er zu sagen hatte. Nachdem ich mich abgekühlt und alles verstaut hatte, machte ich mich aus dem Staub. Ich wollte nicht länger in seiner Gegenwart bleiben, als unbedingt nötig.

Wie erwartet war die Luft draußen kühl und erfrischend. Anders als vor ein paar Stunden verließ ich den Club durch den Hintereingang, um den Fans aus dem Weg zu gehen und bahnte mir einen Weg durch die dunklen Gassen. Mir waren diese zwar nicht unbedingt geheuer, doch es war der beste Weg und es war nicht so, dass ich mich nicht hätte verteidigen können.

In dieser Nacht geschah jedoch nichts, was mich sehr freute. Daher stieg ich wie gewohnt die Feuerleiter eines Gebäudes hinauf, das auf meinem Heimweg lag, bis zum Dach rauf. Dort versicherte ich mich, dass ich alleine war und stellte Blemish an der Treppe ins Gebäude ab. Dann ging ich zur Kante, hievte mich auf die Brüstung und schwang die Beine herum, sodass sie über dem Abgrund baumelten.

Ich nutzte die Zeit, um mir den Nachthimmel anzuschauen und den Gig Revue passieren zu lassen. Es war ein guter Abend gewesen. Dann starrte ich wie immer hinunter auf die Straße, die über fünf Stockwerke unter mir lag. Ich konnte nicht sagen, wie lange ich so da saß und nachdachte. Doch wie in jeder Nacht zuvor kam ich zu dem Schluss, dass ich noch nicht soweit war. Außerdem musste ich Glen füttern.

Also schwang ich die Beine erneut über die Brüstung, hüpfte herunter und machte mich mit Blemish auf den Weg zu meinem einzigen Freund, das gleichzeitig auch ein lebendiges Wesen war.

 

 

 

 

 

 Man sollte meinen, nachdem die Probe der Horror war und die Fans nun kreischen, während wir spielen und sie sogar nach einer Zugabe verlangen, die wir ihnen geben, wäre dies der absolut geilste Abend. Aber, trotz dem mir das Adrenalin durch die Adern schießt und ich mich gut fühle, wurmt es mich gewaltig. Der Gig war einfach zu perfekt um wirklich gut zu sein, denn egal was ich auch tat, jeden Akkord, jede Note, konnte diese Schnepfe von Parker mithalten. Sogar die Notenfolge die mir den ganzen Tag durch den Kopf ging, von der ich gedacht hatte, sie wäre genial, ließ sie wie ein Kinderlied aussehen. Mein Gott, ich wusste ja dass sie gut war, aber musste sie hier echt einen Schwanzvergleich veranstalten?

Was auch immer, sollte sie meinen sie wäre besser. Der klügere gab nach, also hatte ich ihr, nach langem hin und her das Ende überlassen und mich einfach im Applaus gesonnt. Sicher, ich war stinksauer, weil dieser dieses mal nicht mir alleine galt, aber ich ließ mir nichts anmerken, lächelte, grinste, winkte und verschwand dann von der Bühne. Im Backstagebereich schnappte ich mir die erste Flasche Wasser die mir zwischen die Finger kam, trank einige Züge davon und kippte mir den Rest über den Kopf. Trotzdem war mir noch verdammt warm, denn die Klimaanlage in diesem Schuppen funktionierte nur mäßig bis gar nicht, wie man gut an Rob erkannte, der, trotz nichts tun, schweißgebadet war.

„Ihr wart Klasse. Weltklasse. War es jetzt wirklich so schlimm dir mit ihr die Bühne zu teilen?“

„Sie ist egoistisch und durchgeknallt. Also, ja. Es war der Horror, sie hält sich für etwas besseres, weil sie ein bisschen auf ihrem Bass spielen kann.“

„Darian, bitte.“

„Nein, lass stecken Rob.“

Und damit folgte ich der Hexe um meine Gitarre zu verstauen. Als sie mir dann im Hinterzimmer immer wieder Blicke zu warf, musste ich mich ziemlich zusammen reißen, um ihr nicht einen dummen Spruch zu drücken, schlussendlich musste ich dann an mir halten um sie nicht an zu starren, weil sie schon wieder irgendwelche kindischen Kontaktlinsen trug. Lila, mein Gott, so was kitschiges. lange sollte ich mich allerdings nicht mehr daran stören, da sie einige Minuten später nichtssagend verschwand. Sollte mir auch recht sein, je schneller ich sie los war, umso besser. Zudem konnte ich mir jetzt das Lob alleinig auf den Pelz brennen lassen.

Bei dem Gedanken, mich wieder unter die Leute zu mischen, hellte sich meine Stimmung wieder auf. Normal sein, von Leuten gemocht, die nicht den verdorbenen Charakter hinter der hübschen Fassade kannten. Sich unterhalten, auf der Welle der Begeisterung mitgetragen werden, das war alles, was ich jetzt wollte.

Also ging ich raus in den Club und wurde gleich von einigen Leuten umringt, die mir gratulierend auf den Rücken oder die Arme schlugen und mich zu einem gelungenen Auftritt gratulierten. Die schmachtenden Mädchen ignorierend setzte ich mich mit Rob und ein paar Stammgästen an die Bar und gab die erste Runde aus, worauf hin ein einstimmiges „Auf Darian!“ erklang. Ich grinste nur, musste mich aber gerechterweise zurück stellen.

„Na ja, ich war ja heute leider nicht alleine, aber da sie mir nicht in die Parade gefahren ist, sollten wir Parker wenigstens erwähnen, auch wenn sie glücklicherweise schon verschwunden ist.“

Andeutend hob ich mein Glas Cola und daraufhin erklang ein ebenso schwungvolles „Und auf Lenneth!“. Na gut, in meinen Ohren klang es absurd, deswegen schüttelte ich ihren Namen gleich wieder ab und lehnte mich auf meinem Hocker zurück, bis ich mit dem Rücken an der Theke lehnte und ich mir mit den anderen die restlichen Acts ansehen konnte. Ich wollte mich nicht selber loben, aber die Zuschauer hatten das toben und kreischen eingestellt, nachdem Parker und ich die Bühne verlassen hatten. Die Stimmung war zwar gut, aber sie flammte nicht mehr auf, bis sie schließlich ruhiger wurde, nachdem der letzte Act aufgetreten war und die Clubband nur noch vor sich hin spielte. Die Jungs an der Bar hingegen, hatten auch spät Nachts noch eine Megalaune. Sie grölten und feierten und das war dann schließlich mein Stichwort, mich aus dem Staub zu machen. Ich suchte den Club nach Rob ab und fand ihn an einem der hinteren Tische, wo er saß und sich mit jemandem unterhielt. Im näher kommen fiel mir auf, dass sein gegenüber einen Anzug trug, von oben bis unten durch gestylt und aufgeregt auf Rob ein zu reden schien. Erst als ich an ihrem Tisch stehen blieb, verstummte der Anzugträger, sah zu mir auf und grinste dann.

„Ah! Da ist er ja! Setz dich doch!“

Ziemlich überschwänglich zog der Fremde mich neben sich auf die Bank und legte mir einen Arm um die Schultern. Ich hätte darauf getippt, dass er betrunken war, aber vor ihm stand nur ein Glas Wasser. Fragend warf ich Rob einen Blick zu, worauf hin dieser erklärte.

„Darian, das ist Frank Coleman. Er ist ein alter Freund von mir, grade auf der Durchreise und wollte sich mal anschauen, was sich hier so alles rum treibt.“

„Ja und beim Allmächtigen, wer hätte gedacht, dass ich hier über jemanden wie dich stolpere. Du warst der Wahnsinn in Person, wo hast du so spielen gelernt?“

Der Kerl war mir nicht geheuer. Er sprach komisch aufgekratzt und schien etwas hibbelig. Ich zögerte mit meiner Antwort, was mich dieser entledigte, da Rob sich dazu verpflichtet sah, für mich zu antworten.

„Er hat sich so gut wie alles selber beigebracht. Gib ihm ein Instrument und er weiß es zu spielen.“

Was gelogen und etwas übertrieben war. Philip hatte mit gezeigt wie man auf unterschiedlichen Instrumenten spielte, der Rest war nicht schwer.

„Der Junge ist ein Naturtalent, wenn du ihn dir nicht greifst, wirst du es bereuen Frank. Aber lass dir gesagt sein, er hat seinen Preis.“

Versuchte Rob hier grade um mich zu feilschen? Hörte sich zumindest schwer danach an.

„Er ist mir gleich ins Auge gefallen ja. Wie viel willst du haben, wenn ich dir die beiden abwerbe?“

Moment, die beiden? Da musste ich jetzt einschreiten. Ich wollte nicht egoistisch sein, aber ich wollte mich nicht mit irgendwem zweitklassigem rum schlagen müssen.

„Halt, wer ist der andere?“

„Komm schon, musst du das echt fragen? Die Kleine und du, ihr wart das Highlight des Abends.“

Was?!

„Woh, Stop! Nichts da, ich spiele nicht mit dieser Furie!“

„Wieso nicht, heute Abend hast du es doch auch und ihr wart großartig.“

„Ich spiele nicht mit ihr, hab ich vorher nie, werde ich nie wieder. An heute ist nur Rob schuld. Er hat seine Hilfskräfte nicht unter Kontrolle.“

„Ach was, das war Fügung des Schicksals. Ihr zwei seit der Hammer, lass es uns wenigstens versuchen.“

„Nein.“

„Hab dich nicht so Dan.“

„Darian.“

„Dan, Darian, klingt alles gleich. Und jetzt los, hol deine Freundin, sie sollte bei so einem Gespräch nicht fehlen.“

Freundin?

„Sie ist ganz sicher nicht meine Freundin.“

Ein Blick in Rob's Gesicht zeigte, dass ich keine Welle bezüglich Parker machen sollte, aber ich hatte das mehr als deutliche Bedürfnis, das richtig zu stellen.

„Sollte sie aber sein, ihr passt gut zusammen, auf mehr als einer Ebene.“

Na sicher, das fehlte mit grade noch.

„Hören sie Mr Coleman“

„Nenn mich Frank.“

„Mr Coleman. Ich habe kein Interesse an einer Zusammenarbeit mit dieser Katastrophe von Weibsbild. Entweder werben sie sie, oder mich, entscheiden sie sich. Ich gehe jetzt nach hinten, hole meine Gitarre und wenn ich wieder komme und sie mir keine gescheite Antwort geben können, werte ich das als Absage.“

Ich wollte schon aufstehen und gehen, da hielt Coleman mich am Arm zurück und war plötzlich ziemlich ernst.

„Schon gut, schon gut. Ich mach dir ein Angebot. Du holst dieses Mädchen her und wir hören, was sie dazu zu sagen hat.“

„Sie wird ihnen genau dasselbe erzählen wie ich, denn diese tiefgründige Abneigung beruht auf Gegenseitigkeit.“

„Ich biete euch an euch mitzunehmen, ich stelle euch Kost und Loge, ihr bekommt die Gelegenheit ganz professionell in einem Studio zu arbeiten und alles was ich dafür will, sind eure Stimmen. Wir nehmen ein paar Songs auf, wenn ihr wollt sogar eure eigenen und wenn es nicht klappt, könnt ihr gerne wieder eurer eigener Wege gehen. Was sagst du?“

Skeptisch entzog ich ihm mein Handgelenk und beobachtete ihn aufmerksam.

„Alles vollkommen unverbindlich versteht sich. Was hast du also zu verlieren?“

Es klang verlockend, aber die Sache musste doch einen Haken haben, oder nicht? Aber eigentlich hatte er Recht. Was hatte ich schon zu verlieren.

„Was passiert im Falle des Erfolgs?“

Triumphierend lächelte Coleman und hob die Schultern.

„Was passiert da schon. Reichtum, Berühmtheit.“

Ablehnend schüttelte ich mit dem Kopf.

„Brauch ich nicht, aber danke der Nachfrage.“

Ich wollte schon gehen, aber da hörte ich ihn noch etwas beifügen.

„Du wärst nicht an diese Stadt gebunden, kannst reisen, die Welt sehen.“

Und damit hatte er mich.

„Alles im Falle des Erfolgs natürlich.“

Natürlich. Die Arme kreuzend verlagerte ich das Gewicht vom einen Fuß auf den anderen.

„Sagen wir sie will nicht. Nehmen sie mich trotzdem?“

„Das will ich von ihr selber hören.“

„Und wenn es nicht funktioniert?“

„Dann sehen wir weiter.“

Na toll, also konnte ich Parker nicht vorzeitig aus dem Rennen werfen.

„Okay.“

Hauptsache ich kam hier raus.

„Abgemacht?“

Coleman hielt mir seine Hand hin und ich zögerte kurz, aber der Drang, aus meinem Leben zu entfliehen war stärker als alles andere.

„Abgemacht.“

Und ich schlug ein. Was ich gleich bereute, da Rob eine Adresse aufschrieb und sie mir mitsamt seiner Autoschlüssel zuschob.

„Das ist ihre Adresse. Sie ist schon weg, wenn du Glück hast, ist sie schon zuhause. Hol sie ab, dann könnt ihr euch gemeinsam mit Frank darüber unterhalten.“

„Geht leider nicht, hab mit den Jungs an der Bar gesessen. Sorry Rob, du wirst sie wohl selbst holen müssen.“

„Du trinkst nicht mehr Darian, also los.“

„Woher willst du das wissen. Ich könnte rückfällig geworden sein.“

„Mach schon Darian, du kannst dich nicht ewig davor drücken.“

Trotzdem hatte ich gehofft, mich noch etwas länger davor zu drücken, mich wieder hinter ein Steuer zu setzen.

„Willst du mir das wirklich antun Rob?“

„Ich hab im Gegensatz zu dir wirklich getrunken, also mach schon.“

„Du hast doch sicher ihre Nummer, ruf sie an und sag ihr, die soll her kommen.“

„Es geht schneller, wenn du sie abholst, außerdem habe ich ihren Festnetzanschluss. Wenn sie nicht zuhause ist, erreiche ich sie nicht.“

„Du verlangst also von mir, dass ich sie suche.“

„Sie wird schon irgendwo zwischen hier und ihrem zuhause rum lungern. Fahr einfach los, du wirst sie schon finden und wenn du vor ihrer Haustüre wartest.“

Er ließ einfach nicht locker. Wieso nicht? Sollte es Rob nicht eher missfallen, dass jemand kam und ihm seine beiden besten Acts abwarb? Wie auch immer.

„Dafür schuldest du mir was.“

Widerwillig nahm ich Schlüssel und Adresse vom Tisch und wandte mich zum gehen. Auf dem Weg nach draußen hörte ich Rob noch etwas rufen.

„Du solltest mir lieber danken.“

Und das sollte ich vermutlich wirklich, denn würde er mich nicht hinters Lenkrad zwingen, würde ich mich vermutlich ewig davor drücken und mich von anderen kutschieren lassen. Das änderte allerdings nichts daran, dass ich ein paar Minuten steif und verkrampft hinterm Steuer saß, ohne los zu fahren oder den Motor nur zu starten. Immer und immer wieder betete ich mir vor, dass das hier nicht mein Auto war und dass ich nüchtern war, trotzdem zuckte ich zusammen, als der Motor ratternd ansprang und ich langsam anfuhr. Soweit so gut. Erst da fiel mir auf, dass ich gar nicht wusste, wo ich hin musste. Ein Blick auf die beschrieben Serviette verriet mir, dass ich gar nicht so weit musste, und trotzdem kam die Strecke mir wie die Fahrt zur Hölle vor. Wie froh ich darüber war, den Wagen wieder an halten zu müssen, auszusteigen und das Auto hinter mir zu lassen, musste ich nicht aussprechen, es war mir deutlich anzusehen.

Schlussendlich stand ich wieder voll gefasst vor einem Mehrfamilienhaus und klingelte bei Parker, auch wenn mir schon schlecht wurde, wenn ich mir ihr Gesicht nur vorstellte. Dummerweise passierte nichts und ich war gezwungen, zu warten. Da war sie dahin, die Hoffnung, das hier schnell hinter mich zu bringen. Dann blieb mir nur übrig zu warten, denn ich würde sie ganz sicher nicht suchen gehen.

3

Mein Augenlid zuckte und wollte sich nicht mehr einkriegen. Gerade als ich zu Hause angekommen war und meine Tür aufschließen wollte, fielen mir die Schlüssel aus der Hand und ich blieb wie angewurzelt stehen. Das durfte einfach nicht wahr sein. Nein, nein, nein, nein, nein!

„Wurde aber auch Zeit, dass du deinen Arsch herbewegst! Kleine Mädchen sollten um die Zeit längst zu Hause sein.“

„Halt's Maul Arschloch und verpiss dich aus meinem Haus!“ Die Tür meiner Nachbarin ging da auf und die alte Schreckschraube Fitz brüllte: „Ruhe auf den billigen Plätzen!“ Dann knallte sie die Tür wieder zu. Ames wagte doch tatsächlich darüber zu kichern.

Zähneknirschend hob ich meine Schlüssel auf, drückte mich an dem Penner vorbei und schloss die Tür auf.

„Das hättest du dir sparen können. Wir müssen wieder zum Club, ein Kumpel von Rob hat uns ein Angebot zu machen.“

„Und das sollte mich weshalb interessieren?“, fragte ich gleichgültig, während ich versuchte, ihm die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Leider war er sowohl größer als auch stärker als ich und hatte seinen Fuß in der Tür ehe ich bis drei zählen konnte. Die blanke Wut war ihm ins Gesicht geschrieben und er drückte meine Tür auf, kam herein und schloss sie hinter sich.

„Verpiss dich, Ames sonst ruf ich die Polizei wegen Hausfriedensbruchs!“

Ein süffisantes Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus und ich hätte sie ihm am liebsten abgerissen. „Das will ich ja mal sehen. Du wirst mitkommen und wenn ich dich raustragen muss. Ich lass mir die Gelegenheit ganz sicher nicht von einer eingebildeten Schnepfe wie dir verderben.“

Knurrend stelle ich Blemish ab und ließ ihn im Flur stehen, während ich ins Bad ging. Dann war er halt hier. Machte mir auch nichts! Es war ja nicht so, als würde er alles mit seinen reichen Bubibakterien verpesten!

„Wozu könnte ein verwöhnter Schnösel wie du, mich schon brauchen? Falls du es vergessen hast: ich bin nicht einer deiner strohdummen Bimbos!“ Ich glaubte, ihn mit den Zähnen knirschen hören zu können. Ungeachtet dessen, wühlte ich in meinem Badezimmerschrank nach neuen Kontaktlinsen. Ich war schon lange genug mit meiner abartigen Naturaugenfarbe herumgelaufen.

Ich tröpfelte mir erst ein paar Augentropfen ein, damit sie aufhörten, zu brennen und hatte gerade die erste Linse eingesetzt, als ich Krach aus dem Wohnzimmer hörte und gleich drauf Glen fauchen. Ohne zu zögern und mit der Linsendose in der Hand lief ich hinüber und fand Ames vor, wie er Glen im Nacken gepackt hatte und sie versuchte, ihm die Augen auszukratzen. Braves Mädchen!

„Lass Glen runter, du mieser Flachwichser!“

„Halt die Fresse, Miststück! Dein Mistvieh hat angefangen!“ Angewidert ließ er Glen abrupt los, die auf ihren Pfoten landete, fauchte und dann unterm Sofa verschwand. Ganz toll.

„Ich wusste ja schon immer, dass du nen Schaden hast, aber das beweist es jetzt endgültig. Welcher kranke Idiot nennt schon sein Haustier fast nach sich selbst?! Wenigstens nimmst du endlich diese lächerlichen, lila Linsen raus!“ Das reichte jetzt endgültig.

Demonstrativ setzte ich die zweite blaue Linse ein, die ich in meiner Eile aus dem Bad mitgenommen hatte, starrte ihn wütend an und zeigte ihm den Stinkefinger. Dann stakste ich zurück ins Bad, um das Chaos dort aufzuräumen. Ich hatte einige Sachen umgeworfen, als ich Hals über Kopf herausgestürmt war.

„Du kannst es so lange rauszögern wie du willst, aber du wirst mit mir kommen“, knurrte Ames, während er mir hinterher lief. Ich knallte die Badezimmertür vor seiner Nase zu und machte mich an die Arbeit, wobei ich kurz davor stand, in Tränen auszubrechen. Warum konnte er mich nicht einfach in Ruhe lassen? Klar, ich war einsam, aber doch nicht so einsam! Hatte das Leben denn nur Strafen für mich vorgesehen? Was hatte ich getan, um das zu verdienen?

Nachdem alles aufgeräumt war, setzte ich mich vor der Wanne auf den Boden und vergrub das Gesicht in meinen Knien. Ich musste mich stark darauf konzentrieren, ein- und auszuatmen, um mich lauthals loszuheulen. Der Abend hätte so gut sein können!

Erst als ich mir ganz sicher war, mich unter Kontrolle zu haben, hievte ich mich hoch und spritzte mir Wasser ins Gesicht. Meine Augen waren leicht gerötet, aber nicht sehr auffällig. Mit einem sauberen Handtuch trocknete ich mich ab und stellte mich der Nemesis meines Lebens, die schon seit geraumer Zeit mit der Faust gegen die Tür hämmerte. Die alte Fitz würde begeistert sein.

Mit Schwung riss ich die Tür auf, sodass er mir beinahe entgegen fiel. Es sah verdächtig danach aus, als hätte er versucht, die Tür einzurennen. Mit verengten Augen sah ich ihn an.

„Fein, dann gehen wir eben, aber hör endlich auf, so einen Radau zu machen!“ Bevor er antworten konnte, ging ich an ihm vorbei, schnappte mir meine Schlüssel und verließ die Wohnung. Sobald auch der Idiot draußen war, schloss ich ab und folgte ihm hinunter.

„Wir hätten uns deutlich mehr Zeit sparen können, wenn du nicht so rumgezickt hättest!“

„Sagt das Arsch, das das Wort 'Bitte' nicht kennt!“

Ich bemerkte Robs Wagen am Randstein. Ames ging darauf zu und stieg auf der Fahrerseite ein. Zähneknirschend tat ich dasselbe auf der Beifahrerseite, auch wenn ich kurz überlegt hatte, hinten einzusteigen. Das wäre dann aber doch zu kindisch gewesen und ich war nicht bereit, ihm auch nur den kleinsten Sieg zu überlassen.

Die Fahrt zum Club war kurz, da ich nicht weit davon entfernt wohnte, doch nervenaufreibend. Ich hätte niemals gedacht, dass ich das Gummiband, dass ich seit Jahren am Handgelenk trug, wieder brauchen würde, doch in diesen kurzen Minuten, die wie eine Ewigkeit wirkten, schnippte ich es öfter gegen mein Handgelenk als in den letzten drei Jahren zusammen.

„Hörst du mal damit auf?“, brüllte er kurz bevor wir da waren. Ich zeigte ihm lediglich wieder den Stinkefinger, woraufhin er schnaubte. Meine Nerven lagen blank und er musste ja geradezu noch darauf rumtrampeln!

Meine Erleichterung hätte nicht größer sein können, als ich endlich aus dem Auto aussteigen durfte. Dann schwand sie jedoch in Sekunden, wie eine erschlaffende Erektion, als wir uns durch die betrunkenen Clubbesucher kämpfen mussten und einige der Kerle glaubten, mich einfach antatschen zu können. Ich war kurz davor, ihnen allen zu zeigen, wo der Hammer hing, als Ames mein Handgelenk packte und mich weiterzog.

Über den Lärm der Discomusik, die um diese Zeit lief, hinweg konnte ich ihn nicht richtig verstehen, meinte aber so etwas zu hören wie: „Kannst du nicht einmal selbst auf dich aufpassen? Schlimmer als ein Kleinkind!“ Ich hätte ihm am liebsten in die Kniekehle getreten.

Ames zerrte mich quer durch den ganzen Club in eine dunkle Ecke. An einem Tisch saßen Rob und ein Kerl im Anzug, der mit seinen Armen fuchtelte als wären sie Windmühlenräder. Ames blieb an dem Tisch stehen und deutete auf mich.

Daraufhin stand Rob auf und bedeutete uns, ihm nach hinten zu folgen. Der Anzugpinguin blieb hinter mir und Ames und ich konnte seinen Blick in meinem Nacken spüren. Ich mochte es absolut nicht, ertrug es aber wie ein Mann.

In Robs Büro ließen wir uns auf die Sitzgelegenheiten darin fallen. Ich verschränkte genervt die Arme und starrte finster in die Runde.

„Was gibt es jetzt, dass die Flachpfeife mich zu Hause belästigen musste?“

„Wenn du nicht ständig gleich nach den Gigs abhauen würdest, wäre das überhaupt nicht nötig gewesen, Schlampe!“

„Bitte! Ihr zwei immer. Wirklich jedes Mal“, fuhr Rob dazwischen. „Habt ihr vergessen, dass wir nicht alleine sind?“ Daraufhin machte sich der Pinguin bemerkbar. Seine Augen sprühten beinahe Sterne. Er reichte mir die Hand, die ich anstarrte, um ihn dann mit einer gehobenen Augenbraue anzusehen.

„Ich bin Frank Coleman, es ist nett dich kennen zu lernen, Lenne“, sagte er, als er die Hand zurück zog.

„Und weiter?“, fragte ich pampig.

„Wie ich Dan schon gesagt habe, möchte ich euch beide für die Firma anwerben, bei der ich als Manager arbeite. Ich will euch beide als Duo haben und ein paar Songs mit euch aufnehmen und sehen, wohin der Weg uns führt. Stell dir nur mal vor: Reichtum, Berühmtheit und-“

„Nein.“

„Aber-“

„Nein!“

„Willst du es dir denn gar nicht überlegen, Lenneth?“, fragte Rob ernst.

„Du hast sie doch gehört“, schaltete sich das Arschloch ein. „Sie will nicht, wir sollten sie zu nichts zwingen, was sie nicht möchte.“ Oh, auf einmal war er ganz der Kavalier. Ich konnte mir schon vorstellen, dass er diese Chance unbedingt wollte. Das reiche Muttersöhnchen hatte ja noch nicht genug. Freunde, Familie und Geld reichten ihm ja noch nicht! Gott, wie ich ihn hasste!

„Lenneth“, sagte Coleman plötzlich ernst. Dabei sah er nicht mehr ganz so sehr wie ein dummer Pinguin aus. „Überleg dir das gut, so eine Gelegenheit bekommt man nur einmal im Leben. Du könntest mit Dan so viel erreichen. Denk doch daran, wie viele Menschen deine Musik hören würden, wie viele daraus Kraft schöpfen würden. Du könntest ihr Vorbild sein, ihr Rettungsanker!“ Und damit hatte er mich. Ich hasste Ames, aber ich hasste auch mein Leben. Ich hasste die Menschen, die mich immer wieder alleine ließen, wenn ich sie am Dringendsten brauchte, aber ich wusste trotz allem ganz genau, dass es da draußen Menschen gab, Musiker, die mich durch ihre Songs und ihre Sounds schon zig Mal davon abgehalten hatten, mir selbst das Leben zu nehmen, obwohl ich mehr als genügend Gründe dafür gehabt hätte.

„Dieser Deal hat doch einen Haken“, murmelte ich. Ich hörte wie Ames fluchte und freute mich insgeheim ungemein.

„Kein Haken“, erwiderte Coleman. „Ihr bekommt die Chance, in einem richtigen Studio aufzunehmen, Kost und Loge übernimmt die Firma und ihr habt alle möglichen Transportmöglichkeiten zur Verfügung, wenn ihr zu Liveauftritten gebucht werdet. Ihr bekommt die Chance, die Welt zu sehen.“

„Sie wissen, dass ich den Sack da“, ich nickte Richtung Ames, „nicht ausstehen kann?“

„Das wird euch an einer Zusammenarbeit doch sicher nicht hindern! Zusammen seid ihr ein unschlagbares Duo, das die Musikwelt erobern wird!“ Jetzt wurde der Frackträger etwas gefühlsduselig und blumig. Ich ließ mir das ganze Angebot durch den Kopf gehen. Es war gut, wirklich gut. Wenn mein Leben schon keinen Zweck erfüllte, dann wollte ich mir einen schaffen. Und wenn ich dafür mit Ames zusammenarbeiten musste, dann würde ich das ertragen. Für das wohl all derer, die Trost in der Musik finden. Solange wir uns nur bei der Arbeit über den Weg liefen, wie schlimm konnte es da schon werden?

„Na gut, ich mach es“, sagte ich mit einem entschiedenen Nicken.

„Was?“, empörte sich Ames, während Coleman sich in die Hände klatschte.

„Dann ist ja alles klar! Ich hab die Standardverträge gleich dabei, ihr könnt Rob drüberschauen lassen, wenn ihr wollt. Ich werde gleich alles in die Wege leiten, damit ihr sobald wie möglich umziehen könnt! Meine Firma sitzt nicht hier in der Stadt, daher ist es praktischer, wenn ihr euren Standort verlegt, um leichter zum Studio zu kommen. Wenn es geht, solltet ihr eure privaten und dringendsten Angelegenheiten in den nächsten 4 Tagen erledigt haben, damit wir so bald wie möglich loslegen können!“ Coleman sprach so schnell, dass er beinahe über seine eigenen Worte stolperte, so glücklich war er.

Ich überlegte schon, was ich alles packen und erledigen musste, während Ames immer noch vor sich hingrummelte, die ganze Lage jedoch zu akzeptieren schien, wenn er denn zu so etwas fähig war.

Ich ignorierte ihn und konzentrierte mich auf das Wichtigste: ich würde mir einen neuen Psychotherapeuten suchen müssen, wenn ich Dr. Harrison hier nicht mehr aufsuchen konnte. Ich hoffte, dass er ein paar gute Kollegen kannte. Die Arbeit mit Ames würde mich vermutlich in viele Sitzungen katapultieren.

 

 

 

 

 

 Musste sie denn wirklich zustimmen? Wieso konnte diese Kuh nicht einfach ablehnen. Aber nein, sie ging mir auf die Nüsse. Vermutlich hatte sie nur deswegen zugestimmt. Sie sollte bloß friedlich bleiben, solange wir zusammen im Studio oder auf der Bühne standen, sonst würde ich sie ohne zu zögern irgendwo anbinden und sie zurück lassen.

Meinem Missfallen zum trotz unterschrieb ich den Vertrag, nachdem ich drüber gelesen hatte. Als ich den Stift zur Seite legte lehnte ich mich zurück und verschränkte die Hände auf dem Kopf.

„Was ist, wenn ich diese Nacht noch aufbruchbereit wäre? Müsste sie dann mitziehen oder muss ich dann auf sie warten?“

Bei meinem Deut auf Parker warf sie mir einen bösen Blick zu und keifte mich an, bevor Coleman auf meine Frage antworten konnte.

„Ich habe auch einen Namen. Und was erwartest du eigentlich von mir? Dass ich zaubern kann?“

„Du bist eine Hexe, ja irgendwie hatte ich da so was erwartet.“

„Du mieser-“

„Spar es dir du Ziege. Also, was ist jetzt? Muss ich warten oder kann ich sie in Zugzwang bringen?“

Die Frage war an Coleman gestellt, aber Rob war es der seufzte.

„Vielleicht solltest du Lenne selber fragen, ob sie so viel Zeit überhaupt benötigt.“

Ich schnaubte und sah widerwillig zu Parker rüber, wobei ich es mir nicht nehmen ließ, eine riesen Szene zu spielen.

„Liebe Lenneth, wie viel Zeit benötigst du, oder kann ich dir beim packen helfen?“

Allein der Name verklebte mir den Mund, und ich hätte ihn am liebsten ausgespuckt.

„Weißt du was? Vergiss, dass ich gefragt hab. Komm mit.“

Ohne Vorwarnung schnappte ich mir ihr Handgelenk und zog sie hinter mir her, als ich gen Ausgang strebte. Über die Schulter warf ich Rob einen Blick zu und nickte.

„Ich leih mir noch mal dein Auto, gib mir ne Stunde oder zwei.“

Damit verließen wir sein Büro, eilten an den paar Leuten vorbei die sich im Backstagebereich herum trieben und draußen angekommen riss Parker sich von mir los. Hatte auch lange genug gedauert.

„Sag mal, geht’s noch?!“

„Mach hier keine Szene, ich hab das glitzern in deinen Augen gesehen. Du willst genauso hier raus und etwas erleben wie ich.“

Ich meinte das ernst und ich blieb sogar ruhig, aber sie wollte sich einfach weiter aufspielen.

„Ich bin nicht im geringsten wie du!“

„Komm mal runter, das hab ich gar nicht gesagt. Wie alt bist du eigentlich, vierzehn?“

„Ich bin zweiundzwanzig du Ochse!“

„Kannst du vielleicht ein einziges mal aufhören mich zu beleidigen oder rum zu schreien? Das hier ist mir verdammt wichtig und ich hab nicht vor, das in den Sand zu setzen, nur weil du rum bockst. Leider Gottes müssen wir hier zusammen durch, bis dieser Fatzke merkt, dass wir zwei nicht miteinander funktionieren. Sobald er das einsieht, coatcht er uns vermutlich alleine, zumindest glaube ich das, da er uns unbedingt haben will. Aber bis es soweit ist, müssen wir uns zusammen reißen und wir haben heute bewiesen, dass das geht. Also bitte ich dich. Mach keinen Aufstand.“

Fragend sah ich sie an, aber sie starrte nur zurück. Ihr war anzusehen, dass ihr das nicht geheuer war, aber darum konnte ich mich grade nicht kümmern. Ich zog mein Handy aus der Hosentasche, hielt es hoch und wählte schon.

„Gib mir zwei Minuten.“

und dann wählte ich Chase' Nummer. Es klingelte ein paar mal, bevor er abhob und seine besorgte Stimme durch den Hörer an mein Ohr drang.

„Darian, alles okay bei dir?“

„Ja alles okay.“

„Sicher? Du klingst angespannt.“

„Nein, mir geht es gut, ehrlich.“

Wobei ich das eigentlich in frage stellen sollte, vor allem, als ich einen Blick auf Parker warf, die mich beobachtete.

„Hör zu, du musst mir helfen. Bist du zuhause?“

„Klar, sicher. Was gibt’s denn?“

„Das erklär ich dir später. Ich komm dich abholen, warte vor der Tür auf mich.“

„Geht klar, bis gleich.“

Mehr sagte er nicht, als er sich aus der Leitung klinkte. Erleichtert seufzte ich auf und ließ das Handy wieder in die Tasche gleiten. Nun zu meinem nächsten Problem.

„Nun zu dir. Können wir?“

Trotzig reckte Parker das Kinn vor und verschränkte die Arme.

„Glaubst du, du könntest mich rum schubsen wie es dir grade passt? Vergiss es.“

Ich wollte am liebsten schreien. Stattdessen krallte ich die Hand in meine Haare, starrte zu Boden und zählte stumm bis drei, bevor ich sie wieder ansah.

„Nein, ich fahre dich nachhause, damit du packen kannst. Ich weiß, du kannst mich nicht leiden, aber du tust nicht nur mir einen Gefallen damit, wenn wir so schnell wie möglich von hier weg kommen. Also bitte ich dich, steig ins Auto, damit wir weg kommen.“

Ich hielt ihr sogar die Autotür auf, aber sie zögerte immer noch. Als wollte ich sie kidnappen oder so was. Schließlich stieß sie mich beiseite, stieg ein und knallte die Türe zu. Der Faustschlag vor die Brust drückte leicht, aber wenigstens saß sie jetzt im Auto. Ich beeilte mich, auf der Fahrerseite einzusteigen und kniff kurz die Augen zu, als der Motor ansprang, bevor ich ihr einen kurzen Blick zuwarf, aber sie starrte nur aus dem Fenster. Sollte mir auch recht sein.

Auf halber Strecke zu Parker machte ich halt und gabelte Chase auf. Dieser war für diese Uhrzeit bei ziemlich guter Laune, dementsprechend schwang er sich auf die Rückbank und klopfte mir überschwänglich auf die Schulter.

„Meine Güte D! Dass ich das noch mal erleben darf, du hinterm Steuer! Und dann noch mit ner Süßen im Schlepptau. Alte Gewohnheiten lassen sich wohl nicht ablegen, egal wie schlimm -“

„Ich hab sie nicht abgeschleppt! Sie ist ja nicht mal süß.“

Da schoss ihr Kopf herum und der Blick den sie mir zu warf, hätte mich geröstet, würde ich nicht schon seit geraumer Zeit in der Hölle schmoren. Zu allem Überfluss machte sie Anstalten auszusteigen. So schnell ich konnte, langte ich über sie rüber und hielt die Türe zu, sodass sie nicht raus kam.

„Nichts da.“

Da sie nicht raus kam, hielt sie demonstrativ die Luft an und machte sich dünn, als würde sie verbrennen, wenn sie mit mir in Berührung käme. Ich verriegelte ihre Tür, auch wenn sie das nur einen Moment aufhalten würde und ließ ein beinahe stummes „Tut mir Leid.“ hören, als ich mich wieder aufrichtete und los fuhr.

„Ich hab gesagt ich fahre dich und dabei bleibt es.“

Den Blick stur auf die Straße gerichtet hörte ich Chase auf der Rückbank beinahe grinsen. Ein kurzer Blick in den Rückspiegel bestätigte dies. Arschloch. Er wusste genau, dass ich Parker nicht ausstehen konnte.

Einige Minuten später hielt ich vor ihrer Tür und sobald das Auto stand, riss sie die Tür auf. Ich musste drei mal rufen, bevor sie sich genervt doch noch einmal umdrehte.

„Was?“

Ich kritzelte meine Handynummer auf einen von Rob's Zetteln und reichte ihn ihr.

„Meine Nummer. Ruf mich an sobald du fertig bist, dann komm ich dich abholen.“

Parker sah mich an, als wollte sie fragen, ob das mein Ernst sei, dann riss sie mir den Zettel aus der Hand und verschwand nichtssagend im Haus. Ich seufzte nur darüber. Na das konnte ja eine tolle Zusammenarbeit geben. Was tat man nicht alles für die Freiheit.

Chase, der zwischen den Sitzen auf den Beifahrersitz geklettert war stieß mich mit dem Ellenbogen an und riss so meinen Blick von der Tür los, hinter der Parker verschwunden war.

„Sag mir jetzt nicht, dass du dich grade in diese Furie verguckst. Du kannst sie nicht ausstehen, vergiss das nicht.“

„Weiß ich, tu ich nicht. Um Gottes Willen, Chase. Sieh sie dir doch an.“

„Sie ist süß.“

„Ein hübsches Äußeres ist nicht alles.“

Dafür war ich der beste Beweis.

„Wie auch immer. Was ist so wichtig, dass du deine Panik vor Autos außer acht lässt, dieses Biest mit dir rum schleppst und mich mitten in der Nacht anrufst?“

Und da waren wir wieder beim Thema. Ich fuhr los, erzählte Chase von dem Angebot und endete, als ich vor unserer Villa hielt.

„Ich will nicht viel mitnehmen, aber ich brauche wen, der Schmiere steht. Wenn auffällt, dass ich Sachen raus schmuggle um zu verschwinden, ketten sie mich im Keller an.“

„Willst du ihm nicht einfach erklären, was los ist, anstatt einfach wieder zu verschwinden?“

„Damit er mich wieder als Versager betitelt wenn es nicht klappt? Nein danke, irgendwo habe ich auch meine Grenzen. Und es wird schief gehen, du hast Parker gesehen. Sie ist genauso beeindruckt wie ich.“

„Du gehst die ganze Sache nur falsch an. Die Kleine ist nicht eins von deinen Girlys, die voll auf dich abfahren. Sie ist ne Frau, keine Frage, aber sie steht auf der anderen Seite der Absperrung. Sie ist wie du.“

„Sie ist nicht wie ich.“

„Stimmt, niemand kann so verdorben und versaut sein wie du, aber sie steht auf der gleichen Seite wie du. Denk mal drüber nach.“

Ganz bestimmt nicht, das würde nur dazu führen, dass ich den Verstand verlor, aber das musste ich Chase ja nicht unter die Nase reiben. Stattdessen stieg ich aus und lotste Chase ins Haus, damit er ein Auge auf alles hatte, während ich meine sieben Sachen zusammen suchte. Ich stopfte hauptsächlich Klamotten in meine Reisetasche, zusammen mit dem gerahmten Foto von Chase, Jaden und mir, der Kette mit dem kleinen Anhänger, in Form einer Gitarre und dem Zippo, auf dessen Front ein Phönix thronte. Traurig, dass ich nicht mehr hatte, was ich unbedingt mitnehmen wollte, aber ich besaß sonst nichts, was es Wert gewesen wäre. Die schwarze Rolex Deepsea auf dem Nachttisch griff ich mir zuletzt und drückte sie Chase in die Hand, als ich mein Zimmer verließ und die Tür hinter mir zu zog.

„Hier, gib sie Jaden, er wollte sie unbedingt haben.“

Einen Moment starrte er auf die Uhr hinunter und zog dann die Brauen in die Höhe.

„Dieses mal glaubst du wirklich an den Neuanfang oder?“

Ich zuckte mit der Schulter, aber insgeheim betete ich darum.

„Ich werde dieses Ding so lange durchziehen, bis ich es soweit geschafft habe, dass ich nicht wieder zurück kommen muss. Und wenn ich Parker dafür aushalten muss.“

Erst nickte Chase nur, dann grinste er und schlug mir mit der Hand auf die Schulter, wo er sie liegen ließ.

„Ich drück dir die Daumen, dass du endlich hier raus kommst Mann. Und jetzt lass uns hier verschwinden, bevor irgendwer etwas mitbekommt.“

Dem konnte ich nur zustimmen. Je schneller ich alles hinter mir ließ, umso besser.

Erst als wie draußen im Auto saßen, ein paar Blocks von meinem Elternhaus entfernt, wurde uns eines bewusst. Chase war der erste, der es aussprach.

„Das heißt dann wohl fürs erste Abschied nehmen oder?“

„Ich bin ja nicht aus der Welt.“

„Nicht, wenn du nicht irgendwelche Dummheiten anstellst.“

Ich wusste was er meinte und brachte ein schwaches Lächeln zustande.

„Ich denke, da bin ich drüber weg.“

Das wussten wir beide. Unwillkürlich strich ich mir mit dem Daumen über die Innenseite meines linken Handgelenks, über den Notenschlüssel, der die kleinen weißen Linien überdecken sollte, es aber nicht ganz schaffte.

„Ich halte dich auf dem laufenden. Wenn du irgendwann nichts mehr von mir hören solltest, haben Parker und ich uns vermutlich gegenseitig umgebracht.“

Darauf hin mussten Chase und ich grinsen.

„Lass dich von der kleinen nicht unterbuttern, sie ist nicht die einzige die Musik machen kann.“

„Ganz sicher nicht.“

Vor allem nicht von ihr.

Ob Chase für mich ein Auge auf Jaden haben würde, wagte ich mich gar nicht zu fragen. Ich wusste, es war nicht richtig den Jungen ohne etwas zu sagen zurück zu lassen, aber ich hoffte darauf, dass er es irgendwann verstehen würde. Sicher, von einer andern Warte aus betrachtet, war ich einfach nur feige, zu verschwinden, obwohl der Junge so offensichtlich an mir hing, aber ich war noch nie ein Mensch der großen Abschiede gewesen, außerdem war ich der Meinung, er würde es leichter haben, wenn er nicht versuchte, mir nach zu eifern. Zuhause würde ihm das auf jeden Fall bessere Chancen bescheren.

„Und was machen wir jetzt noch, an unserem vorerst letzten Abend?“

Dankbar dafür, dass Chase mich davor bewahrte, in meinen Gedanken unter zu gehen zuckte ich die Schultern.

„Keine Ahnung. Irgendwo was trinken gehen und darauf warten, dass Parker anruft, damit ich sie abhole?“

„Glaubst du ernsthaft, dass sie anruft?“

„Ich hoffe darauf.“

Und das tat ich wirklich, denn jetzt, wo sie die andere Hälfte eines Duos bildete, das offiziell noch gar nicht existierte, war sie wichtig. Nicht nur für mich.

„Lass uns einfach was trinken fahren.“

Wie gesagt, so getan.

4

Mir dröhnte der Schädel und mein Blick war von Tränen verschwommen. Sobald meine Wohnungstür hinter mir zugefallen war, hatte ich die Flut nicht mehr zurückhalten können. Ich hasste es, zu weinen! Danach war ich immer müde und mir taten die Augen weh.

Glen war zu mir gekommen, als ich mit dem Rücken zur Tür niedergesunken war und es nicht mehr geschafft hatte, aufzustehen. Sie saß mit schief gelegtem Kopf neben mir und miaute traurig. Erst nach einer Weile konnte sich sie in den Arm nehmen, sie fest an mich drücken und mein Gesicht in ihrem Nackenfell vergraben. Sie war mein Rettungsanker, egal wie schwer es wurde. Nur wusste ich nicht, ob es auch dieses Mal noch reichen würde. Ich wusste einfach nicht, ob ich es mit Ames aushalten konnte. Vorhin war er mir beinahe menschlich vorgekommen, doch ich traute dem Braten nicht. Ich wusste, dass es eine Falle sein musste, so war es immer. Immer wenn ich Hoffnung schöpfte, wurde sie zerschmettert, indem mich die Leute auf jede nur erdenkliche Weise verrieten. Besonders dann, wenn sie herausfanden, wer ich wirklich war. Ames durfte das niemals erfahren. Wenn er mich jetzt schon hasste, dann würde er mich nach dieser Enthüllung bis in alle Ewigkeit verdammen, wie alle anderen auch.

Immer noch weinend kroch ich zu meinem Telefon und rief Dr. Harrison an. Ich fürchtete, dass ich wieder meine Medikamente brauchen würde und ich musste unbedingt mit jemandem sprechen, der nicht nur miaute. Sobald ich ihn angerufen und er versprochen hatte, gleich vorbeizukommen, rappelte ich mich langsam auf und wusch mir im Bad das Gesicht. Ich sah grauenhaft aus, aber das ließ sich nun einmal nicht ändern.

Zum Glück hatte ich die Möbel nur gemietet, darum hatte ich nicht allzu viel zu packen. Ich stopfte fast alles in Müllbeutel und der Rest, der zu zerbrechlich dafür war, kam in die wenigen Umzugskartons, die ich noch hier hatte. Sobald ich auch Glens Sachen verstaut hatte, begann ich wie irre zu putzen. Es würde sich zwar vermutlich nicht vermeiden lassen, dass ich noch einmal herkommen musste, doch mit etwas Glück gab sich der Vermieter mit meiner Arbeit zufrieden.

Nachdem ich auch damit fertig war, griff ich zum Telefonhörer und starrte die Tasten an. Den zerknitterte Zettel mit Ames Nummer in der anderen Hand. Tief atmete ich durch und wählte dann. Es klingelte kaum zwei Mal, da ging er schon ran.

„Ja?“

„Komm her“, war alles, was ich sagte, bevor ich wieder auflegte. Im Nachhinein wäre es vielleicht eine gute Idee gewesen, noch zu erwähnen, wer dran war, doch ich vertraute darauf, dass er wusste, dass ich es war. Wie viele Spinnerinnen kannte er denn sonst noch?

Kurz darauf klingelte es an der Tür und ich ließ Dr. Harrison herein. Das erste, was er tat, war, mich fest in den Arm zu nehmen. Ich konnte nicht verhindern, dass ich wieder leise vor mich hinweinte. Wir machten es uns im Wohnzimmer so bequem, wie es mit einer ausgeräumten Wohnung möglich war und redeten.

Ich erzählte ihm von Ames, von Coleman, dem Auftritt heute Abend und vielen Dingen, die eigentlich überhaupt nichts miteinander zu tun hatten. Er hörte mir wie immer aufmerksam zu, stellte hier und da eine Frage und gab mir immer wieder einen guten Rat. Aber vor allem machte er sich Gedanken um mich. Mich, die ich immer alleine war, immer alleine sein würde, egal wie viele Menschen mich umgaben.

„Vielleicht wirst du dich besser mit ihm vertragen, als du denkst. Jeder Mensch hat seine Geheimnisse. Vielleicht wirst du einige seiner aufdecken, wenn du mehr Zeit mit ihm verbringst. Ihr könntet gar nicht so verschieden sein.“

Abfällig schnaubte ich. „Ich vögle jedenfalls nicht alles, was mir vor den Schwanz läuft.“ Doch ich dachte ernsthaft über seine Worte nach.

„Eure Zusammenarbeit wird nicht einfach werden und ihr solltet zumindest versuchen, so gut es geht, miteinander auszukommen. Was kann es schon schaden? Und ist er nicht selbst ein Stück auf dich zugekommen?“ Ich schwieg dazu, doch Dr. Harrison wusste, dass ich ernsthaft über seine Vorschläge nachdachte. Das tat ich immer.

„Vielleicht haben Sie ja Recht“, murmelte ich widerwillig. Das brachte ihn zum Lächeln. Er nahm seine Arzttasche – warum ein Therapeut so was hatte, war mir ein Rätsel – öffnete sie und zog ein paar orangene Fläschchen heraus.

„Das sollte erst einmal vorhalten. Du weißt ja, wie du sie zu nehmen hast. Ich werde mich mit Dr. Henry Maverick in Verbindung setzen und dich zu ihm überweisen. Aber du kannst mich jederzeit anrufen, wenn es dir angenehmer ist. Ich werde für dich da sein, Lenne.“

„Danke, Doc.“ Damit stand er auf und ich begleitete ihn zur Tür. Im Treppenhaus umarmte er mich noch einmal fest, als ich Schritte hörte. Als ich Doc Harrison losließ und hinunter spähte, stand Ames wie eingefroren am Fuß der Treppe und starrte uns an, als wären uns plötzlich zehn Köpfe gewachsen. Doc nickte mir noch einmal zu und drängte sich dann mit einem freundlichen Gruß an Ames vorbei.

„Willst du da noch länger stehen bleiben?“, fragte ich diesen, jedoch fehlte mir der übliche Biss. Ich war auch einfach zu müde dafür.

Ohne auf eine Antwort zu warten, ging ich wieder rein, aber Ames war mir dich auf den Fersen und machte die Tür bereits zu. Er war ungewöhnlich schweigsam, doch ich dachte mir nichts dabei. Er war eben seltsam.

„Ich hab alles gepackt. Die Möbel gehören nicht mir, also brauchen wir uns darum auch nicht kümmern.“ Da sah ich die Fläschchen auf dem Wohnzimmertisch. Ich hechtete quer durchs Zimmer und warf sie in irgendeine Tasche, die da rumstand. Doch Ames Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hatte er sie bereits gesehen, sagte jedoch nichts dazu. Dafür hatte er die Lippen fest aufeinander gepresst.

Überwiegend schweigend verluden wir meine Sachen im Auto. Glen musste ich leider zu ihrem Glück zwingen, da sie ihren Katzenkorb hasste, doch mit etwas sanfter Gewalt war auch sie dann sicher verstaut. Ich hoffte nur, sie würde nicht die ganze Zeit so ein Theater veranstalten, wie sie es immer auf dem Weg zum Tierarzt tat.

Ich ließ die Schlüssel in der Wohnung, machte die Tür hinter mir zu und ging hinunter zum Wagen, wo Ames bereits mit gestartetem Motor wartete. Er wirkte angespannt, aber auch das ließ ich dabei bewenden. Und schon ging das Abenteuer los.

 

 

„Und dies ist euer neues Reich!“, sagte Frank mit ausgebreiteten Armen. Wenn ich nicht Glen im Arm gehabt hätte, hätte ich ihn mit meinen eigenen Händen erwürgt. Aber vielleicht würde Ames das für mich erledigen, denn er sah so aus als stünde er kurz vor einem Gewaltausbruch.

„Ich soll mit dem zusammen wohnen?!“

„Ich soll mit der zusammen wohnen?!“

Wir sahen uns kurz an und funkelten dann gemeinsam Frank an. Das war wohl das erste Mal, dass wir einer Meinung waren.

„Ach, habt euch nicht so, das wird schon. Wenn ihr zusammenarbeitet, solltet ihr auch zusammenwohnen und euch besser kennen lernen. Ich lasse eure Sachen heraufbringen und schau morgen mal nach euch. Macht es euch gemütlich, ihr könnt natürlich die Möbel umstellen, wie ihr wollt. Viel Spaß!“ Bevor wir noch einmal protestieren konnten, war dieses Wiesel schon über alle Berge und Ames und ich standen im mit Abstand geräumigsten Wohnzimmer, das ich je gesehen hatte.

Keine Frage, es war eine sehr schöne Penthouse-Suite, aber ob sie wirklich groß genug war, dass Ames und ich uns weitestgehend aus dem Weg gehen konnten?

Entnervt fuhr er sich wieder durch die Haare. Das war bereits das x-te Mal, seit wir die gemeinsame Reise angetreten hatten. War wohl ein nervöser Tick. Vielleicht sollte ich ihm einmal eines meiner Gummibänder anbieten, damit er nicht immer seine Playboyfrisur zerstörte.

Schulterzuckend ließ ich Glen runter, damit sie die Wohnung betrachteten konnte. Da kamen bereits die Handlanger, die all unser Zeug hereinbrachten und einfach im Vorraum abstellten. Wortlos gingen sie dann wieder.

„Ich weiß ja nicht, was du jetzt machst, aber ich such mir ein Zimmer aus.“ Bevor er reagieren konnte, steuerte ich schon ein Eckzimmer an, das extrem geräumig war, aber schlicht eingerichtet. Idealerweise war es ein Schlafzimmer und damit mit einem Bett ausgestattet. Zudem hatte es über eine gläserne Schiebetür Zugang zur Terrasse. Das war auf jeden Fall meines!

Als ich zur Tür hinaus spähte, sah ich Ames in einem Zimmer am anderen Ende des Flurs verschwinden. Offenbar murmelte er wieder wirres Zeug vor sich hin. Sollte mir recht sein. Mühsam verfrachtete ich mein Zeug in mein Zimmer und baute Glens Katzenklo in dem Bad auf, das meinem Zimmer am nächsten war. Danach erkundete ich die offene Küche im Wohnbereich. Sie war sehr modern, ziemlich krass verchromt und mit allem ausgestattet, was man brauchen kann. Sogar Kühlschrank und Schränke waren mit Lebensmitteln gefüllt. Frank, dieses miese Wiesel, hatte an alles gedacht!

Ich hatte eben noch als erstes meine Tabletten aus der Tasche gefischt. Nun holte ich zwei Röhrchen aus meiner Hosentasche, füllte ein Glas mit Wasser und nahm jeweils eine aus einem Röhrchen. Ich bemerkte Ames, der an der Küchenzeile lehnte erst, als ich das Glas ausgetrunken hatte. Er starrte mich intensiv an, sagte jedoch nichts.

Um ihn nicht ansehen zu müssen, wandte ich meinen Blick ab, spülte das Glas ab und stellte es zum Trocknen auf die Abtropfablage. Dann wühlte ich nach einer großen Pfanne und zauberte aus dem Kühlschrank diverses Gemüse und fand in einem der unteren Schränke einen ganzen Sack Kartoffeln. Die würden wir schnell essen müssen, bevor Grünzeug anfing, herauszuwachsen. Gleich daneben stand ein Sack Zwiebeln. Was glaubte Frank eigentlich, wie viel zwei Menschen aßen?

Ich holte vier Zwiebeln und ein paar Kartoffeln hervor und fische Messer aus einer Schublade und aus einer anderen Schneidebretter. Alles war erstaunlich leicht zu finden. Ich schob ein Messer und Brett zu Ames hinüber, der gerade meine Pillendosen in der Hand hatte und die Beschriftung las. Ich hatte vergessen, sie wieder einzustecken.

Ich schob gleich noch Kartoffeln und Karotten in seine Richtung und tat so, als würde mir alles nichts machen. In die Pfanne gab ich Öl und ließ es auf niedriger Stufe erhitzen, während ich die Zwiebeln zerkleinerte.

„Schäl bitte die Kartoffeln und Karotten und schneid sie mir in Würfel oder Stäbchen, was auch immer dir besser gefällt.“ Das ganze tat ich, ohne ihn anzusehen.

Als ich darauf das stete Geräusch eines schneidenden Messers hörte, entspannte ich mich ein wenig. Die Zwiebeln landeten in der Pfanne, kurz gefolgt von einer Packung Hackfleisch. Dann kamen Karotten und Kartoffeln dazu und diverses anderes Gemüse, das ich Ames klein machen ließ, während ich in der Pfanne rührte und würzte. Dazu kamen noch Bohnen aus der Dose, sowie Mais. Etwas Sahne dazu bildete eine leichte rahmige Soße. Es war nichts besonderes, aber es würde ordentlich satt machen. Und zwar uns beide.

„Deckst du bitte den Tisch?“, frage ich Ames, immer noch ohne ihn anzusehen. Ich konnte es einfach nicht.

Es war viel angenehmer, sich auf die Arbeit zu konzentrieren und einfach nicht nachzudenken. Ich hatte schlichtweg Angst vor dem, was beim Nachdenken herauskommen könnte. Ich musste mich einfach zusammenreißen und unter Kontrolle halten, bevor ich mich seinem urteilendem Blick aussetzen konnte. Ich merkte, dass meine Hand zitterte, weigerte mich jedoch nachzugeben. Ich durfte nicht schwach sein, nicht jetzt.

Ich durfte mich nicht von ihm verspotten lassen. Nicht schon wieder.

 

 

 

 

 

 Wie sich raus stellte hatte Coleman meine Frage, was wäre, wenn ich in der Nacht noch aufbruchbereit sein würde, für einen Witz gehalten. Dementsprechend hatte er umdisponieren müssen und war schnellstmöglich mit uns aufgebrochen. Jetzt stand ich in einer mega geilen Penthouse-Suite und raufte mir die Haare, weil ich so dämlich gewesen war und einen der wichtigsten Punkte nicht verteidigt hatte. Privatsphäre. Und bei Gott, wieso ausgerechnet Parker? Ich wusste, dieser Scheiß Deal hätte einen Haken, wieso hatte ich nicht einfach auf mein Bauchgefühl vertraut? Ach ja, weil ich Veränderung gewollt hatte. Aber das? Na ja ich musste einfach versuchen, das beste draus zu machen.

Nachdem Parker den Flur hinunter gegangen war, schnappte ich mir meinen Gitarrenkoffer, den ich Abends zuvor bei Rob hatte stehen lassen und ihn von dort aus mitgenommen hatte und folgte dem Flur in die andere Richtung. Je mehr Raum zwischen uns lag, umso besser. Das zimmer in dem ich schließlich endete war gemütlich. Es hatte zwar eine Dachschräge, aber das störte mich nicht, da sie erst in Schulterhöhe begann. Darunter stand eine riesige Couch, von der man einen problemlosen Blick auf den Fernseher hatte, der an der Wand hing. Meine Tasche feuerte ich in den Wandschrank, wobei ich meinen Gitarrenkoffer hingegen vorsichtig an der Wand daneben abstellte. Die Tasche würde ich später auspacken und um in Ruhe spielen zu können, würde ich erst heraus finden müssen, wie ich auf das Dach kam, oder ob dieser Laden über geheime Ecken verfügte. Also entschloss ich mich dazu, mich vorerst nicht zu verkriechen und die Wohnung zu erkunden.

Das Wohnzimmer war riesig und besaß eine so vollkommene Fensterfront, das man glaubte, es gäbe keine Grenze. Man ginge einfach und würde hinab stürzen, wenn man über die Kante trat. Der Ausblick auf die Stadt dafür war atemberaubend und ich konnte mir genau vorstellen, wie Abends die Sonne unterging. Bevor ich allerdings darin verfiel zu träumen, schaute ich mich weiter um. Am anderen Ende des Wohnzimmers führte eine Schiebetür raus auf einen kleinen Balkon, den ich mir später ansehen würde.

Es gab zwei Badezimmer, was von Vorteil war, da ich so wenigstens dort für mich sein konnte. Kein Gezanke, kein Gezicke.

Die Küche war genauso protzig wie das Wohnzimmer gigantisch war. Für meinen Geschmack viel zu überladen, aber ich wollte mich nicht beschweren, immerhin war ich für lau hier.

Ich konnte grade noch beobachten, wie Parker zwei der Tabletten nahm, dessen Röhrchen ich in der Hand hielt. Bei näherem betrachten ging mir dann auf, wieso sie so still war. Wenn sie die regelmäßig nahm, würde ich vielleicht doch hin und wieder meine Ruhe vor ihr haben. Vor allem wenn sie mir jedes mal so aus dem Weg ging wie jetzt. Ich wusste nicht wieso, aber sie schwieg, bis auf die kurzen Anweisungen die sie mir gab. Weil sie ein wenig durch den Wind erschien und weil ich nicht wie der letzte Snob dastehen wollte, folgte ich ihren Anweisungen gehorsam und beobachtete sie aufmerksam. Was mich fuchste war die Tatsache, dass sie mir aus dem Weg zu gehen schien. Okay, da war ich drauf vorbereitet, ich hatte ja nichts anderes vor, aber sie sah nicht ein mal zu mir rüber und auch war der offene Konflikt der immer zwischen uns herrschte nicht auffindbar. Einfach so verpufft. Ich wollte sie schon angehen, sie provozieren, aber da bemerkte ich, wie ihre Hände zitterten und sie die Zähne zusammenbiss. Na ganz klasse. Wenn sie jetzt in Tränen ausbrach, war ich aufgeschmissen. Das letzte mal, dass ich ein Mädchen hatte trösten müssen, war schon zu lange her, als dass ich noch Geschick darin hätte vorweisen können. Nichts desto trotz wagte ich einen vagen Vorstoß und trat neben sie an den Herd.

„Lass mich das machen.“

Ich war ruhig geblieben aber fürchtete sie würde mir mit dem Wender eins überziehen, weil sie ihn plötzlich verkrampft umklammerte. Aber war sie nicht grade zusammen gezuckt? Sie hatte sich doch wohl nicht erschreckt, weil ich direkt neben ihr stand, oder? Und was wenn doch? Ich murmelte ein kurzes „Tut mir Leid.“, weil es meiner Meinung nach immer besser war sich zu entschuldigen, auch wenn man nicht wusste was man eigentlich verbrochen hatte. Allerdings schien sie das nun völlig aus dem Konzept zu bringen. Wie es aussah, schienen ihre Hände nicht mehr zu wissen, was sie eigentlich tun sollten, also nahm ich ihr vorsichtig den Pfannenwender ab.

„Gib her, ich mach das.“

Ich meinte ein genuscheltes „Danke“ gehört zu haben und dann war sie weg. Sie floh Richtung Flur und ließ mich alleine mit dem Essen zurück. Irgendwie wusste ich nicht, was ich davon halten sollte. War sie jetzt vor mir geflohen, kam sie mit der neuen Situation nicht zurecht oder was war plötzlich ihr Problem? Ich wusste nicht wieso, aber eigentlich war ich der Überzeugung, sie hätte mich an gekeift, wenn es wegen mir gewesen wäre. Weswegen auch immer, sie würde sich schon wieder ein kriegen, zumindest hoffte ich darauf.

Während das Essen vor sich hin kochte, räumte ich den Rest der Küche wieder auf und füllte schließlich die zwei Teller, wobei Parker immer noch nicht wieder aufgetaucht war. Ich ließ die Teller auf der Theke stehen, ging den Flur runter und klopfte an Parker's Tür, wobei ich keine Antwort bekam.

„Das Essen ist fertig.“

Auch darauf bekam ich keine Antwort.

„Dein Teller steht in Der Küche auf der Theke.“

Dabei ließ ich es dann bewenden. Ich konnte sie schließlich nicht dazu zwingen etwas zu essen.

Entschlossen, den kleinen Balkon auszukundschaften, schnappte ich mir meinen Teller und machte mich in diese Richtung auf. An der Schiebetür entpuppte sich der kleine Balkon dann gar nicht als Balkon, sondern als Aufgang. Der kleine Vorsprung führte zu einer Holztreppe, die aufs Dach führte. Bingo. Ich zögerte nicht, stieg mit meinem Teller nach oben und kam im Dachgarten aus. Die Ränder des Dachs waren ringsum mit Blumenkübeln bestückt, es gab Liegen und eine überdachte Sitzecke mit Sesseln und Sofa und in einer Ecke stand sogar ein Whirlpool. Mein Gott, was eine Wohnung.

In einer Hand meinen Teller jonglierend, zog ich eine der Liegen in die Sonne, stellte die Rücklehne auf und machte mich darauf breit. Hier oben würde ich definitiv eine Menge Zeit verbringen.  

5

Ich lag auf meinem Bett und starrte an die Decke. Ich wusste nicht mehr, was mit mir los war. Ich war nicht schwach, ich konnte auf meinen eigenen Beinen stehen. Und doch musste Ames mir den Pfannenwender aus der Hand nehmen, bevor das Essen noch auf dem Fußboden landete. Dass er mir überhaupt so nahe gekommen war, war allein schon verstörend. Warum er mich wohl nicht angeschrien hatte? Sonst wurde er auch immer gehässig. Ich musste wirklich am Ende sein.

Seufzend legte ich den Arm über meine Augen und atmete eine Weile nur ein und aus. Dann sagte ich mir immer wieder, dass alles in Ordnung war. Ames hatte mich nicht wegen meiner Tabletten verspottet oder mich sonst in irgendeiner Weise verletzt. Es war alles in Ordnung. Ich würde wieder in Ordnung kommen und dann würden wir uns wieder wie immer an die Gurgel gehen.

Mit neu geschöpfter Kraft setzte ich mich auf, wodurch ich allerdings ein bisschen Schwindel bekam und bunte Punkte vor meinen Augen tanzten. Etwas wackelig auf den Beinen stand ich auf und ging langsam wieder in die Küche. Mein Teller war noch warm, weshalb ich nicht lange in meiner Starre gewesen sein konnte. Statt jedoch zu essen, überlegte ich, was ich als Nachtisch machen konnte.

Hoffentlich schmeckte Ames das Essen und würde mir später nicht in den Ohren liegen, von wegen ich hätte versucht, ihn zu vergiften. Nach einem Blick in alle Schränke entschied ich mich für Milchreis mit Zucker und Zimt. Das war einfach gemacht und fast jeder mochte es.

Der Trick war einfach, so lange und heftig drin zu rühren, dass er nicht am Boden anbrennen konnte. Ich hatte Glück und konnte die hässlichen braunen angebrannten Stückchen vermeiden. Ich richtete zwei Teller an und deckte Dans mit einer Haube ab, damit er nicht zu schnell kalt wurde. Danach suchte ich mir einen Notizblock und einen Stift und kritzelte eine Nachricht an ihn.

Meinen Teller mit dem fix zusammengewürfelten Gericht nahm ich mit in mein Zimmer, öffnete da die Tür und trat auf die Terrasse hinaus. Der Straßenlärm lag unendlich weit unter uns, der Wind wehte angenehm über das Dach. Es war herrlich. Im Gegensatz zu anderen Penthäusern bestand die Brüstung, die zwischen mir und dem sicheren Sturz in den Tod stand, nicht nur aus einer dünnen Glaswand mit einer Griffstange. Dies war eine massive, wenn auch dünne Mauer in schönen mediterranen Tönen. Das kam mir gerade recht.

Ich setzte mich darauf, schwang die Beine hinüber und ließ sie über dem Abgrund baumeln, während ich aß. Eigentlich hatte ich totale Höhenangst und konnte nicht einmal eine Treppe hinaufgehen, bei der man durch die Stufen nach unten sehen konnte, doch wann immer ich auf einer Dachkante saß, verflog diese Angst. Da war nur noch das Gefühl von Freiheit. Von der Wahl zu springen oder wieder ins Leben zu treten. Vielleicht musste ich Dr. Harrison doch bald wieder anrufen.

Zügig aß ich auf. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie hungrig ich gewesen war. Dann ließ ich meinen Blick ein letztes Mal über die Dächer gleiten, bevor ich wieder hineinging, den Teller in der Spüle kurz abspülte und dann in den Geschirrspüler stellte. Bevor ich mich meinem Nachtisch widmete, fiel mir etwas Wichtiges ein, das ich irgendwie ständig vergaß. Ich wühlte Glens Näpfe aus einem der Müllbeutel in meinem Zimmer hervor, spülte sie aus und befüllte sie mit Wasser und dem Futter, das ich eingepackt hatte. Ich wusste nicht, ob Frank auch an meine Katze gedacht hatte. Hatte ich überhaupt von ihr erzählt? Zumindest hatte ich bisher nirgends hier Katzenfutter gesehen.

Wie aufs Stichwort kam Glen angeflitzt und stürzte sich auf das Essen, was mir ein schlechtes Gewissen bescherte. Ich kniete mich hin, streichelte sie und entschuldigte mich.

„Ich verspreche dir, ich vergesse es nicht wieder.“ Ich konnte mich kaum noch daran erinnern, wie oft ich ihr das versprochen hatte, doch sie schien mir nie böse zu sein. Seltsame Katze.

Nachdem auch nun die Katze zufrieden war, löffelte ich im Stehen meinen Nachtisch in mich hinein und verfrachtete auch den Teller samt Besteck in den Geschirrspüler. Ich liebte das Ding jetzt schon, denn ich hasse es abgrundtief Geschirr zu spülen. Dabei fiel mir ein, dass ich noch meinen alten Vermieter anrufen und den Vertrag kündigen musste.

Blöd nur, dass ich wieder nicht wusste, wo mein Mobiltelefon war. Ich hatte so selten Verwendung dafür, dass ich es oft einfach irgendwo hinwarf und oft wochenlang nicht fand.

Ich durchwühlte meine Habseligkeiten, schaute in allen Taschen nach und fand es nicht. Dabei war ich mir ziemlich sicher, eines besessen zu haben. Verwirrt ging ich in die Küche zurück und bemerkte, dass die Abdeckung neben der Spüle stand und Dans Teller samt Notiz weg waren. Zumindest hatte er es gefunden und aß es offenbar.

Ich bezweifelte, dass wir bereits einen Festnetzanschluss hatten, daher würde mein Vermieter wohl warten müssen. Ich legte die Abdeckung auch in die Spülmaschine und nahm meine Tabletten wieder mit in mein Zimmer.

Dann begann ich, mein Toilettenzeug in mein Badezimmer zu räumen und kontrollierte, wenn auch etwas zu spät, ob die Tür zur Terrasse geschlossen war. Ich musste mir etwas wegen Glen einfallen lassen. Katze hin oder her, gegen Unfälle ist niemand gefeit. Ihren kleinen Kratzbaum stellte ich draußen vor meine Zimmertür, da sie die unangenehme Angewohnheit hatte, das Ding genau dann benutzen zu müssen, wenn ich gerade versuchte, zu schlafen.

Und schon wieder kam sie angerannt und begann, den schon stark abgenutzten Kratzbaum zu traktieren. Ich wollte wirklich nicht in den Schuhen des armen Dinges stecken.

Meine Bettwäsche war zu klein für die Decke des großen Bettes, als auch meine Laken, daher würde ich mit den weißen Vorlieb nehmen müssen, doch ich hatte fest vor, am nächsten Tag gleich neue zu kaufen. Das Zimmer war einfach noch zu steril, trotz der atemberaubenden Aussicht. Sogar der blöde Schreibtisch war weiß!

Doch alles zu seiner Zeit. Zunächst durchforstete ich die restlichen Räume, die ich noch nicht betreten hatte und fand einen kleinen, schallgedämmpften Raum, der bereits mit Verstärkern ausgerüstet war. Begeistert rieb ich mir die Hände, zwang mich jedoch, zuerst die anderen Zimmer anzusehen.

Ich fand ein weiteres großes Zimmer mit Zugang zur Terrasse, wo das Licht in einem wunderbaren Winkel einfiel. Vielleicht konnte ich ja endlich wieder mit Ölfarben malen. Ich würde mich jedoch mit Dan – seit wann nannte ich ihn eigentlich so? - absprechen müssen, ob ich daraus ein Atelier machen durfte. Es gab noch zwei weitere Räume dieser Art, doch es reichte mir, durch die Tür hineinzuspähen. Dans Zimmer ließ ich aus, sowie sein Bad. Diese Suite war wirklich unnötig groß, hatte jedoch auch etwas Besonderes an sich.

Im Wohnzimmer blätterte ich die Broschüre mit der Auflistung der Fernbedienungen durch. Es gab eine für den Fernseher, eine für den BlueRay-Player, eine für die Stereoanlage und eine für die... Beleuchtung? Okay, das wurde nun wirklich Hightech. Ich schaltete den Fernseher ein, der wirklich gigantisch war und zappte durch das Programm. Überwiegend nur Mist und Soap Operas, daher blieb ich bei einem Sender hängen, der vierundzwanzig Stunden am Tag nur Nachrichten sendete.

Dann legte ich die Beine hoch und klemmte mir eines der Sofakissen unter den Kopf. Es gab nicht wirklich etwas Spannendes, weshalb ich schon bald wieder meinen eigenen Gedanken nachhing. Ich wäre gern in den kleinen Probenraum gegangen und hätte meinen Bass gespielt, doch das Sofa war unglaublich bequem. So bequem, dass ich mich auf der Seite zusammenrollte, auf den riesigen Flatscreen starrte und bald darauf einnickte. 

 

 

 

 

 

 Während des Nachdenkens war ich mit dem Teller auf dem Bauch eingeschlafen. Glücklicherweise war er schon leer gewesen, denn sonst wäre er es jetzt ganz sicher, da er mir halb auf den Schoß gerutscht war, als ich aufschreckte. Verdammte Scheiße, ich hatte gehofft, sobald ich zuhause raus käme, würde dieser Mist endlich aufhören. Aber ich war auch erst ein paar Stunden hier, ich hoffte immer noch darauf, dass sich diese Dämonen aus dem Schlaf verdrücken würden.

Mir die Augen reibend nahm ich den Teller vom Schoß, setzte mich aufrecht hin und und stand schließlich auf, um ihn runter zu bringen. In der Küche packte ich den Teller in die Spülmaschine und wäre beinahe an dem Teller vorbei gelaufen, als ich den Zettel dann bemerkte, wurde ich neugierig. Alleinig die Tatsache, dass ich meinte meinen Namen zu lesen ließ mich den Teller mit dem Milchreis mitnehmen. Nicht meine Schuld wenn er nicht für mich war, denn ich konnte die Schrift nicht entziffern. Wie schon gesagt, ich war mir nicht sicher, ob Parker geschrieben hatte ich solle die Finger davon lassen. Was auch immer.

Meinem ursprünglichen Plan folgend, ging ich in mein Zimmer, schnappte mit Stift, Papier und meine Gitarre, nahm dazu den Teller und verschwand wieder rauf aufs Dach. Den Teller stellte ich auf einem kleinen Beistelltisch ab, den ich mir heran zog, legte Stift und Papier dazu und packte dann die Gitarre aus. Die Finger über die Saiten gleiten lassend schloss ich die Augen und seufzte auf. Es gab einfach nichts besseres, als unter freiem Himmel zu spielen. Außerhalb von Wänden, weder eingesperrt noch fest gepfercht. Mit einem mal überlief meine Haut eine Schauer und ich bekam eine Gänsehaut. Die Bilder die sich bei diesen Gedanken herauf beschworen verschloss ich ganz schnell wieder sehr tief in meinen Gedankengängen und hoffte, dass sie so schnell nicht wieder ans Tageslicht finden würden.

Wie von selbst fand meine Gitarre ihren Platz und meine Finger fingen leise an, an den Saiten zu zupfen, bis sie schließlich einen Takt fanden und automatisch die Noten griffen, die ich schon längst hatte aufschreiben wollen. Gott sei Dank bekam ich nun die Gelegenheit dazu. Im Schneidersitz saß ich auf der Liege, den Block vor mir liegend und spielte, was mir auf der Seele lag. Die Noten schrieb ich auf, die Zeilen die mir dazu durch den Kopf gingen behielt ich jedoch solange für mich, bis ich mir sicher war, dass ich die richtigen Worte dafür fand und schrieb sie dann erst auf. Es entstand kein wirklicher Zusammenhang zwischen den Lines, zumindest keiner, den man sofort erkennen konnte. Ich schrieb auf, was mir durch den Kopf ging, was dazu führte, dass ich mich gleich um einiges leichter fühlte, da ich es los geworden war, auch wenn ich es nur zu Papier gebracht hatte. Wenn ich das auch jemandem erzählt hätte, hätte man mich wegsperren lassen. So konnte man es einfach nur für einen gewagten Song halten.

Eine ganze Weile saß ich so da, bemerkte nicht, dass die Sonne bereits viel tiefer hing als zu Beginn meines Spiels und wurde dann schließlich vom klingeln meines Handys heraus gerissen. Als ich ran ging, grölte mir Chase' Stimme entgegen.

„Hey D. Wie läuft's? Wie ist die neue Wohnung?“

Mit einem Seufzer legte ich die Gitarre beiseite in den offen liegenden Koffer.

„Na ja, sie ist akzeptabel, aber ich muss sie mir mit Parker teilen.“

„Ohhhhh. Das muss echt eine mordsmäßige Bude sein, wenn du 'akzeptabel' und 'Parker' in einem Satz unterbringst.“

„Was soll ich sagen, sie ist auch nur ein Mensch, auch wenn man das manchmal gar nicht glauben kann. Außerdem glaube ich, dass sie echt Probleme hat.“

„Wussten wir das nicht schon vorher?“

„Diese Probleme meine ich nicht C. Ich glaub sie schluckt Pillen als wären sie Smarties, ich weiß nicht was ich davon halten soll. Außerdem benimmt sie sich komisch, sie hat mich nicht ein mal angefaucht, seitdem wir hier sind. Selbst auf der ganzen Fahrt über hat sie nur aus dem Fenster gestarrt.“

„Sie versucht dich eben zu meiden. Du hattest das gleiche mit ihr vor, weißt du noch?“

Ja, das hatte ich gesagt. Mehrfach. Und ziemlich lautstark.

„Aber das war, bevor ich wusste, dass man uns zusammenkettet. Man kann sich nicht ewig aus dem Weg gehen, wenn man zusammen wohnt. Das funktioniert nicht auf Dauer, das müsste sie doch wissen, oder?“ „Und deswegen machst du dir einen riesen Kopf und steuerst auf Konfrontation zu?“

„Ich will die Sache nur einfach nicht verbocken. Wenn die Freiheit bedeutet, dass ich mich mit ihr gut stellen muss, dann will ich das gleich tun und es hinter mich bringen.“

„Du solltest es vielleicht nicht überstürzen, sonst machst du es nur schlimmer. Außerdem ist sie irre, du solltest also vorsichtig sein, du weißt nicht wie sie reagiert.“

„Hör auf so über sie zu reden, du kennst sie doch gar nicht.“

Einen Moment schwieg Chase, dann klang er skeptisch als er sprach.

„Wer bist du und was hast du mit Darian gemacht? Alter, weißt du, was du da grade von dir gibst? Du nimmst dieses Miststück in Schutz, ist dir das klar?“

„Hör auf Chase, das ist echt ernst. Wenn die ganze Sache darunter leidet, kann ich nicht einfach tun, als wäre nichts.“

„Bedeutet, du machst dir Sorgen wegen dir selbst, nicht wegen ihr. Dann bin ich ja erleichtert.“

Tat ich das denn? Nein ich denke nicht, denn Parker war ein Mensch mit Problemen wie jeder andere auch. Dass sie verkorkst war, machte das ganze zwar nicht einfacher, aber irgendwie würde ich damit schon fertig werden und wenn ich sie dafür hin und wieder fesseln und knebeln musste.

„Weißt du was Chase, ich unterhalte mich nicht mehr mit dir über sie. Du drehst und wendest die Worte so wie du sie gerne hättest. Sag mir stattdessen lieber ob du was von Jaden gehört hast und ob sie zuhause überhaupt bemerkt haben, dass ich weg bin.“

„Sicher haben sie das bemerkt. Sie haben mich heute Morgen gleich angerufen und gefragt ob ich dich gesehen hätte. Ich hab ihnen gesagt, ich wüsste nicht wo du bist, was du mir, wie ich bemerken darf, immer noch nicht gesagt hast.“

Und das würde ich auch nicht, nicht solange hier alles auf Messers Schneide stand.

„Sorry, darf ich dir nicht verraten.“

„Ach komm, das ist doch Schwachsinn. Wo steckst du, weih mich ein.“

„Keine Chance. Sei mir nicht böse, aber ich muss weiter, wir sind schwer beschäftigt.“

Klar war das eine Notlüge. Chase war mein Freund, aber grade konnte ich ihn nicht gebrauchen und schon gar nicht wollte ich mich wegen irgendetwas vor ihm rechtfertigen müssen.

„Ich ruf dich bei Gelegenheit an, wir hören uns.“

Er brachte noch ein „Mach's gut.“ raus, bevor ich ihn abwürgen konnte. Das Handy ließ ich in meine Tasche rutschen und sammelte dann den Teller auf. Ich kratze den Rest Milchreis zusammen, der mittlerweile eiskalt war, und schlang ihn hinunter. Mit dem leeren Teller machte ich mich dann auf nach unten und fand Parker auf dem Sofa vor. Sie schlief und ihre hässliche Katze lag zusammengerollt auf ihrer Seite. Ich konnte nur den Kopf schütteln über dieses Bild. Sie sah friedlich aus, das war ein Bild, dass ich mir bisher nicht einmal hatte vorstellen können.

So leise wie möglich schlich ich durch das Wohnzimmer und verfrachtete den Teller so wie den davor in den Spüler und nahm mir dann eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank. An die Arbeitsplatte gelehnt nahm ich ein paar Schlucke und konnte den Blick nicht vom Sofa los reißen. Klar, ich sah nur die Rücklehne und konnte Sie nicht sehen, aber es ließ mich nicht los. Ich wusste, wie man sich fühlte, wenn man unter Dingen zu leiden hatte, die nur mit Tabletten zu bekämpfen waren und selbst die halfen nicht immer. Ich konnte mir in etwa vorstellen, was in ihr vorging, und das war es, was mir nicht gefiel. Ich wollte nicht wissen wie es ihr ging, noch weniger wollte ich damit zu tun haben, aber ich bekam es nicht aus dem Kopf. Deswegen und weil mir diese riesige Wohnung plötzlich zu klein vorkam wollte ich hier raus. Ich schlich auf die Schiebetür zu, kam aber nicht umhin noch einmal neben der Couch stehen zu bleiben und da kam mir wieder der Gedanke, dass sie auch nur ein Mensch war. Verdammt noch eins, irgendwie bekam ich ein schlechtes Gewissen wenn ich daran dachte, wie oft wir schon aneinander geraten waren und wie oft es ihr dabei dreckig gegangen sein konnte. Scheiße! Haare raufend stand ich nun da ich kämpfte mit mir selbst. Schlussendlich gewann mein mitfühlendes Ich die Oberhand und ich nahm die dünne Wolldecke vom Sofaende und warf sie ihr über. Als sie sich dann regte und ihr ein fast lautloses Seufzen entkam, erstarrte ich beinahe zu Stein. Nicht weil ich mich ertappt sah und befürchtete, meinen Ruf vom unerreichbaren Sunnyboy zu verlieren, nein das war mir scheißegal. Es war schlichtweg diese vertraute Geste, die mir das Herz stehen bleiben ließ. Ich wusste, dass mir mein Hirn etwas vorgaukelte, aber ich konnte dieses Bild nicht abschütteln, dass sich vor meinen Augen abspulte. Das Mädchen mit den rotblonden Haaren, wie sie diesen beinahe unhörbaren Laut von sich gibt und sich an mich schmiegt. Und dann die Gewissheit, dass sie für immer fort ist und es meine Schuld ist. Das war es schließlich, was mich nach draußen flüchten ließ, ohne einen Blick zurück zu werfen.

Oben auf dem Dach an der Brüstung stützte ich mich ab und starrte in den dunkel werdenden Himmel. Ich kämpfte um Selbstbeherrschung und versuchte, nicht zu schreien, konnte es aber dann doch nicht zurück halten. Wer sollte es schon hören. Hier oben war niemand außer mir. Am liebsten wollte ich toben, etwas zu Kleinholz verarbeiten, aber als mein Handy klingelte wurde ich aus meiner Trance gerissen, in der ich mich schon lange nicht mehr verrannt hatte. Ein Blick auf das Display zeigte Chase' Nummer. Na Klasse. Irgendwie hatte er einen sechsten Sinn, was so etwas betraf. Zu dumm für ihn, dass ich nicht reden wollte. Frustriert drückte ich ihn weg und knallte das Handy mit mehr Wucht als nötig auf die Brüstung. Als es erneut klingelte ballte ich die Hand zur Faust, knallte das Handy erneut auf die Brüstung und warf es dann im hohen Bogen über die Dächer und machte mir keine weiteren Gedanken darum. Dumm nur, dass es mir danach nicht besser ging. Jetzt blieben mir nur zwei Möglichkeiten. Ich konnte hier bleiben und auf und ab laufen wie ein Tiger im Käfig, bis ich mich wieder beruhigt hatte, oder ich konnte gehen, davon laufen und mich davor drücken, den Tatsachen ins Auge zu sehen.

Nach langem überlegen und vielen Zweifeln entschied ich mich dann dafür zu bleiben, zu versuchen, das durch zu stehen, in dem Wissen, dass ich die ganze Nacht kein Auge zu kriegen würde.  

6

Lautes Gebrüll weckte mich. Verwirrt und verschlafen blinzelte ich ins Dunkle und sah zum Fenster hinaus. Die Nacht war hereingebrochen und ich lag noch immer auf der Couch, aber mit einer Decke, von der ich nicht wusste, woher sie gekommen war. Dan? Ich wollte es nicht wirklich glauben, darum tat ich es einfach nicht.

Glen lag neben mir, wachte jedoch auf, als ich mich aufsetzte. Sie leckte sich die Pfote und rieb damit dann über ihren Kopf. Ich kraulte sie im Nacken, knüllte die Decke zusammen und schob sie ans Ende des Sofas. Immer noch groggy wollte ich ins Bad und mir etwas Wasser ins Gesicht spritzen, stolperte über den Couchtisch und fiel der Länge nach hin.

„Verfluchter, verschissener...“, murmelte ich, während ich mich aufrappelte und mir die schmerzende Hüfte rieb, die bei meinem Sturz gegen die Ecke des Tisches geknallt war. Dann schlurfte ich ins Badezimmer und klatschte testweise auf dem Weg in die Hände. Tatsächlich ging im Wohnbereich das Licht an! Wie cool war das denn?

Im Bad wusch ich mir das Gesicht und nahm die Kontaktlinsen heraus. Langsam störten sie wirklich und ich hatte schon wieder mit ihnen geschlafen. Ich überlegte, ob ich sie nicht ganz weglassen und es darauf ankommen lassen sollte.

Mit steifen Gliedern schlurfte ich dann in die Küche. Ich warf einen Blick in die Spülmaschine und dann in den Kühlschrank, der immer noch reich bestückt war. In der Hinsicht würden wir nicht so bald einkaufen müssen.

Also musste ich nur Katzenfutter holen. Ich kramte den Notizblock wieder hervor und machte mir eine Liste. Gut, dass Frank so umsichtig war, uns Firmenkreditkarten zu geben, um uns mit allem Nötigen einzudecken, der Spaß würde nicht günstig werden. Wo ich schon dabei war, wäre es wohl sinnvoll gewesen, Dan zu fragen, ob ich ihm was mitbringen sollte.

Das machte mich nervös, doch ich hatte nicht mehr so panische Angst, wie zuvor. Das war wieder typisch: kaum hatte ich ein paar Stunden nach so einem Debakel geschlafen, ging es mir schon wieder blendend. Vielleicht hatten aber auch nur die Tabletten angefangen zu wirken.

Obwohl mir nicht wohl dabei war, nahm ich das Schreibzeug mit und machte mich auf die Suche nach meinem unfreiwilligen Mitbewohner. Als erstes schaute ich in seinem Zimmer nach, doch das war leer, genauso wie sein Bad. In den restlichen Zimmern war er auch nicht, blieb also nur noch draußen nachzusehen.

Ich brauchte eine Weile, bis ich den Aufgang zum Dach fand, dann stieg ich auf leisen Sohlen die Stufen hinauf und späte vorsichtig hoch. Dan stand an der Brüstung und verwuschelte sich wie verrückt das Haar. Er sah ziemlich frustriert und genervt aus, weswegen ich jetzt noch weniger mit ihm sprechen wollte, aber es half auch nicht, die Sache bis morgen aufzuschieben.

Stattdessen klopfte ich auf die oberste Stufe der Treppe und stieg den Rest hinauf. Dans Kopf schwang wie eine Peitsche zu mir herum und er sah mich erst irritiert und dann abwartend an.

„Hi“, sagte ich leise. „Ich wollte morgen einkaufen gehen und wissen, ob ich dir was bestimmtes mitbringen soll.“ Kurz glaubte ich, Überraschung über sein Gesicht huschen zu sehen. Dann wurde seine Miene wieder unlesbar.

„Wenn es keine Umstände macht, dann bring mir bitte ein Sechserpack Rockstar Energy mit.“

„Ist das alles?“

„Ja.“

„Okay, bis morgen dann.“ Bevor er etwas erwidern konnte, war ich schon die Treppe heruntergestürmt und setzte seinen Wunsch auf meine Liste. Danach machte ich mich bettfertig und durchsuchte meine Sachen nach meinen Schlafklamotten, wenn man sie denn so nennen durfte. Ich bevorzugte es, oben ohne zu schlafen und nur sehr kurze Shorts zu tragen. Nachdem ich mich umgezogen hatte, lehnte ich meine Tür an, sodass Glen jederzeit hinein und hinaus konnte, wie es ihr gerade passte.

Ich wollte noch irgendetwas tun, bevor ich einschlief, doch ich hatte nicht wirklich Lust auf irgendetwas, weshalb ich dann das Licht ausmachte, in das große, kuschelige Bett schlüpfte und an die Decke starrte.

Die Lichter von draußen malten Schatten, die sich ab und an bewegten. Langsam lullten sie mich in einen tiefen Schlaf.

 

Am nächsten Morgen stand ich mit halb geschlossenen Augen am Waschbecken und putzte mir die Zähne. Ich war kein Morgenmensch, egal wie viel oder lange ich schlief. Ich nahm alles nur wie durch Watte wahr und wäre äußerst froh, die Kaffeemaschine auszuprobieren, die ich in der Küche gesehen hatte.

Ich spuckte, gurgelte und spülte aus, dann trocknete ich mir den Mund an einem Handtuch ab und schlurfte bereits zurück in mein Zimmer, noch während ich das tat. Dan kam durchquerte gerade das Wohnzimmer. Es sah aus als hätte er die ganze Nacht auf dem Dach verbracht, blieb jedoch wie angewurzelt stehen, als er mich sah.

Er starrte mich erst lange mit hängendem Kiefer an. Ich sah an mir herunter und bemerkte dann, dass ich immer noch oben ohne war!

Panikartig verschränkte ich die Hände vor der Brust, drehte mich um und rannte in mein Zimmer, wobei ich völlig vernachlässigte, dass ich ihm somit meinen nackten und vor allem mit dicken Narben übersäten Rücken zeigte. Wenn man genau hinsah, ergaben die Narben Worte, doch das wollte ich gar nicht erst zulassen.

Nachdem ich die Tür hinter mir zugeknallt hatte, zog ich mich so schnell an ich konnte an, schnappte mir meinen großen Rucksack, die Einkaufsliste und meine neue Schlüsselkarte und spähte vorsichtig aus der Tür. Dan war nirgends zu sehen, daher rief ich nur willkürlich in die Wohnung, dass ich jetzt einkaufen ging und stand bereits im Aufzug, den ich per Schlüsselkarte entriegelte, ehe meine Stimme verklungen war. Wenn mich nicht alles täuschte, war ich auch noch hoch rot im Gesicht.

Leise Fahrstuhlmusik begleitete mich all die Stockwerke hinab. Im Foyer begrüßte mich der Portier mit einem freundlichen Nicken und einem Griff an seine Mütze. Ich nickte lächelnd zurück und rief mir draußen ein Taxi. War ja nicht mein Geld, das ich zum Fenster rauswarf. Ich war jedoch gespannt, wann Frank uns für Arbeit einspannen würde. Noch brachten wir dem Label keinen Cent ein.

Erst fuhr ich zum Supermarkt und besorgte einen großen Vorrat Katzenfutter und -streu, sowie Dans Enery, nur nahm ich statt einem Sechserpack gleich drei mit, damit es auch eine Weile vorhielt. Hier und da sah ich auch noch etwas brauchbares, das ich gleich mit einpackte. Danach fuhr ich zu einem Möbelhaus und deckte mich mit ansprechenden Laken und Bettwäsche ein. Dazu kaufte ich auch noch bunte Klebefolien, mit denen man seine Möbel kreativ gestalten konnte, so wie ein paar Grundlegende Schablonen und feine Messer.

Danach ließ ich mich mir vom Taxifahrer mit den Einkäufen helfen und nach Hause fahren. Dort angekommen, übernahm es der Portier, mir zu helfen, alles in den Fahrstuhl zu verfrachten. Oben war zunächst keine Spur von Dan zu sehen und so kämpfte ich damit, den Knopf zu drücken, der die Türen offen hielt und alle Tüten und Packungen in die Wohnung zu schieben.

Gerade als ich die letzte Packung Katzenstreu aus dem Fahrstuhl bekommen hatte, tauchte Dan auf betrachtete den ganzen Kram und schüttelte den Kopf.

„Was denn?“, fragte ich, doch er schüttelte nur wieder den Kopf und half mir, die Sachen in die Wohnung reinzutragen. Und wieder fragte ich, diesmal aggressiver: „Was denn?“

 

 

 

 

 

 Sie schien verdutzt und wusste anscheinend nicht was sie sagen sollte, aber eher, weil ich mir die Mühe gemacht und ihr etwas zu essen gemacht hatte, nicht weil ich ihr gedroht hatte. Das nutzte ich aus und deutete auf den Teller.

„Ist sogar noch warm. Kaffee ist in der Kanne. Brauchst nicht danke sagen.“

Mit zusammengekniffenen Augen beobachtete sie mich und schien abzuwägen, ob sie dem Braten trauen konnte. Schlussendlich streckte sie den Rücken durch.

„Wir sind noch nicht fertig miteinander.“

War das die beste Drohung die ihr einfiel? Momentan schien das der Fall zu sein, was mich überraschte. Da hatte ich ihr doch tatsächlich den Wind aus den Segeln genommen. Um sie zu provozieren erdreistete ich mich sogar und lächelte sie wissend an.

„Soll mir Recht sein, solange du mir nicht ausgerechnet jetzt auf die Nüsse gehst.“

Demonstrativ hielt ich meinen Teller in die Höhe und verkrümelte mich. Sollte sie die Eier doch der Katze geben, wenn sie mir nicht traute. Ich jedoch machte mich darüber her, sobald ich wieder auf dem Dach auf meiner Liege saß. Erst als mein Teller leer war gestattete ich mir, wieder nach zu denken.

Was glaubte diese Schnepfe eigentlich? Ich versuchte wirklich nett zu bleiben, aber meine Geduld hielt nicht ewig. Glaubte sie ernsthaft, wenn sie mir was vom Einkaufen mitbrachte, wäre alles gut? Sie konnte doch nicht erwarten, dass ich mir ihre Hackerei gefallen ließ. Klar, ich hatte ihr zum Teil aus Eigennutz von dem Angebot erzählt und sie herum kutschiert, aber ich hatte es auch gut gemeint. Zählte das denn gar nicht mehr heutzutage? Ich war doch kein schlechter Mensch, wieso also hatte sie diese abgrundtiefe Abneigung mir gegenüber? Ich durchforstete mein Hirn bis in die kleinsten Ecken, aber mir fiel nichts ein, was ich ihr gegenüber gesagt oder verbockt hatte, dass dazu geführt haben könnte. Was, zur Hölle, war also ihr Problem?

Mir schwirrten die bescheuertesten Theorien durch den Kopf, ganz vorne mit dabei, dass sie generell eine Abneigung gegen das männliche Geschlecht hegte. Das verwarf ich aber dann genauso schnell wieder, da sie ja zu den anderen im Club immer einigermaßen nett gewesen war. Na gut, eigentlich hatte sie die anderen gemieden. Aber ich hatte wiederum sie versucht zu meiden, trotzdem gerieten wir immer wieder aneinander. Scheiße auch eins.

Konnte sie vielleicht einfach nur mit Konkurrenz nicht umgehen? Aber auch das war unwahrscheinlich, denn immerhin waren da zig andere Acts gewesen, die so einiges auf dem Kasten hatten.

Vielleicht brauchte sie das auch einfach nur. Sie musste einfach auf jemandem rum hacken, sie brauchte das und ich war ihr zum Opfer gefallen. Na gut, vielleicht hätte Parker mich ja in Ruhe gelassen, wenn ich nicht jedes mal dagegen gehalten hätte. Wobei ich gestehen musste, dass ich nicht einmal mehr wusste, wer mit der ganzen Szene angefangen hatte. Wir zofften uns schon, solange wir uns kannten, also so ziemlich die ganzen letzten drei Jahre. Mein Gott, war das wirklich schon so lange her? Stimmt, Tessa war jetzt auch schon fast vier Jahre tot...

Der Gedanke an Tessa verknotete mir unverzüglich den Magen und das angenehme Völlegefühl von zuvor entwickelte sich in ein unangenehmes Gewicht. Auch jetzt noch blitzte ihr Bild so genau vor meinen Augen auf, dass ich ihre blassen Sommersprossen zählen konnte. Mich gegen die Erinnerung weigernd, griff ich nach dem erstbesten, was mir einfiel um in der Gegenwart zu bleiben, wobei ich wieder bei Parker landete und sich mir noch unangenehmere Gedanken aufdrängten. Ohne dass ich es wollte zog ich in Gedanken den Vergleich zwischen dem Mädchen aus dem Instrumentenladen und dem Mädchen hinter der Bühne und kam zu dem Schluss, dass sie außer dem Bass, nichts gemeinsam gehabt hatten. Ob mich das nun aber beruhigte oder noch mehr aufbrachte, konnte ich nicht sagen, im Moment fühlte ich mich einfach nur taub.

Frustriert schwang ich die Beine von der Liege, um meinen Teller und den kalten Kaffee weg zu bringen, aber auch, weil ich mich bewegen musste. Auf dem Weg nach unten in die Wohnung, betete ich inständig, Parker nicht wieder über den Weg zu laufen.

7

Der Idiot musste mir immer wieder auf den Nerv fallen! Warum konnte er es nicht einfach lassen und mal seine dummen Sprüche für sich behalten! Als hätte ich so schon nicht genug Probleme.

Schnaubend schleifte ich erst alle Tüten an ihren rechtmäßigen Platz, stellte die letzten Sechserpacks auf den Küchentresen und piekte das Frühstück, dass Dan gemacht hatte vorsichtig mit einer Gabel an. Es begann zumindest nicht, sich zu bewegen oder mich mit unzähligen Augen anzusehen. Vorsichtig nahm ich einen Bissen und war überrascht, dass es tatsächlich essbar war! Ich hatte in kurzer Zeit den Teller geleert und in die Spülmaschine verfrachtet. Ich hatte auf meinem Trip gar nicht gemerkt, wie hungrig ich eigentlich war.

Mit einer Tasse Kaffee ging ich dann in mein Zimmer und sortierte den Inhalt meiner Einkäufe aus. Sogleich begann ich, einige Skizzen für geschwungene Muster zu zeichnen, die mal weich und rund und dann wieder hart und kantig waren. Neben der Musik war dies eine meiner liebsten Beschäftigungen. Wäre ich nicht so schlecht im Zeichnen real existierender Dinge gewesen, hätte ich mich wohl dafür entschieden, Tättowiererin zu werden.

Mit den Schablonen und den Messern, die ich gekauft hatte, schnitt ich die Muster dann aus der Folie aus und klebte sie willkürlich an meine Möbel. Nach etwa einer Stunde Kleberei und Frust, weil ich nicht überall die Blasen rechtzeitig herausgestrichen hatte, war ich voller Schnippsel, die überall an mir festklebten, mein Zimmer noch schlimmer eingemüllt, als es zuvor der Fall gewesen war und ich war doch recht zufrieden.

Alles war gleich viel dynamischer und farbenfroher. Grob sammelte ich dann den Abfall auf und stopfte ihn in einen der nun leeren Umzugssäcke. Dann machte ich mich daran, meine Klamotten endlich in den begehbaren Kleiderschrank zu räumen und einiges an Zeug in die Regale und Kommoden zu räumen. So sah es gleich viel heimeliger aus.

Im Bad zupfte ich die Überreste meiner Aktion dann so gut es ging, von mir herunter und hoffte, dass ich alles erwischt hatte. Gerade, als ich fertig war, klingelte es. Ich spähte hinaus und sah, dass Dan schon zur Freisprechanlage ging und kümmerte mich daher weiterhin um meinen eigenen Kram. Ersteinmal zog ich mir andere Klamotten an und packte dann zum ersten Mal seit dem Spontaneinzug Blemish aus. Mein Freund musste dringend wieder gestimmt werden und ein paar Streicheleinheiten konnten seine Saiten auch gebrauchen.

Als hätte er gewusst, wann er aufzutauchen hatte, hörte ich Frank aus dem Wohnbeireich sagen: „Ist doch gar nicht so schlimm oder Dan?“ Dessen Antwort hörte ich nicht, doch ich konnte mir vorstellen, dass er Frank gerade die Hölle auf Erden beschrieb. Sollte mir recht sein, wenn er sich weiterhin so benahm, dann würde ich es ihm mit gleicher Münze zurückzahlen. Ich war weder schwach, noch ein Opfer und zu beidem würde ich mich niemals wieder machen lassen.

Ich hängte mir meinen Bass um und ging ins Wohnzimmer, wo Frank bereits wartete.

„Lenne! Siehst gut aus, auch wenn du da noch was an der Wange kleben hast! Na, seid ihr beide bereit, euch mit dem Tonstudio vertraut zu machen?“

„Sicher.“

„Sicher.“ Irritiert sahen Dan und ich uns an, gingen darauf jedoch nicht weiter ein. Es war viel zu aufregend, endlich mit dem Job vertraut gemacht zu werden, wegen dem wir überhaupt hier waren.

„Dann schnappt euch mal euer Equipment und los geht’s!“ Ich holte also Blemishs Tasche und packte ihn wieder ein, während Dan seinen Gitarrenkoffer holte.

Es dauerte keine fünf Minuten, da standen wir bereits im Fahrstuhl. Dan und ich versuchten, so weit voneinander weg wie möglich zu stehen. Das gleiche Spiel ging im Auto weiter, wo Frank im Kreuzfeuer sitzen musste und auch weiterhin, als ich mir den Hals verrenkte, um mir das riesige Gebäude des Plattenlabels anzusehen.

Geschäftig liefen Leute hin und her, Bands und Musiker schritten die Gänge auf dem Weg zu irgendeiner wichtigen Musikeraktivität. Ich war begeistert und konnte sogar vergessen, dass Dan keine drei Schritte von mir entfernt war und mir womöglich für den Rest meiner Karriere auf den Sack gehen würde.

Frank grüßte immer wieder Leute, die uns neugierig beäugten. Nach mehreren verschlungenen Gängen und Fahrstühlen, führte er uns endlich in eines der Tonstudios. Zwei Tontechniker warteten bereits auf. Frank stellte sie als Floid und Bob vor. Floid war ein dürrer Kerl, der sein Cappy schlampig trug und seine Klamotten gefühlte fünf Nummern zu groß, aber er hatte ein offenes Gesicht und ein freundliches Lächeln.

Bob hingegen war ein bisschen übergewichtig, hatte einen krassen, rotblonden Vollbart und schaute uns grimmig an. Ich stellte mir willkürlich einen Grizzlybären vor. Ich wusste gar nicht, wieso.

Frank klatschte in die Hände. „So! Um euch alle aufeinander einzustimmen, würde ich vorschlagen, dass Dan und Lenne ihre Nummer von ihrem letzten Auftritt spielen. Das ist auch die einzige Nummer, die ihr beiden gemeinsam bisher drauf habt.“ Das war keine Frage, sondern eine Aussage. Frank war voll im Managermodus.

„Die Band ist bereits drinnen“, brummte Bob. „Lasst mal lieber die Profis spielen, damit ihr die Aufnahme nicht versaut.“ Dan und ich starrten ihn wütend an, bis er die Hände in die Luft warf und „Macht doch, was ihr wollt“ murmelte.

Dan und ich marschierten in den Probenraum. Der Bassist machte sich vom Acker, sobald er mich mit Blemish sah und der Gitarrist folgte sogleich. Wir besprachen mit den Jungs die Noten und den Ablauf, stimmten uns kurz aufeinander ein und bekamen von unseren Tontechnikern sogleich das Okay, loszulegen.

Die Stimmung war nicht annähernd so genial, wie auf der Bühne, aber das war wohl kaum etwas. Trotzdem spielte ich mit Begeisterung und ließ mich von der Musik tragen, wie ich es immer tat. Es gab nichts, weshalb ich nervös sein müsste. Die Musik war mein Freund und was gab es Schöneres, als voll in ihr aufzugehen?

Wir spielten den ganzen Gig noch einmal durch, ließen den Part mit der Zugabe jedoch aus. Die Musiker waren hinterher schweißgebadet und außer Atem, obwohl ich mich noch fit fühlte und länger hätte spielen können. Immerhin röstete ich gerade nicht im Scheinwerferlicht, dass voll auf mich gerichtet wäre. Ein kurzer Blick zu Dan verriet mir, dass auch er noch lange nicht am Ende war. Vielleicht würden wir ganz gut miteinander arbeiten können. Und ich musste zugeben, dass er einer der besten Musiker war, denen ich je begegnet war oder die ich je gehört hatte. Aber das hätte ich niemals laut zugegeben. Eher hätte ich mir die Zunge abgebissen. Der Tag, an dem ich ihm gegenüber so ein Geständnis machte, war der Tag an dem die Kirchenglocken läuteten!

Frank signalisierte uns herauszukommen. Er gab uns Handtücher und jeweils eine Flasche Wasser. Bob schien uns auf einmal nicht mehr in die Augen sehen zu können und Floid strahlte über das ganze Gesicht. Noch ein bisschen mehr und es hätte Risse bekommen.

„Hier und da seid ihr nicht ganz sauber, aber euer Sound und eure Harmonie ist Bombe!“, hechelte er. Es hörte sich an als würde er gleich hyperventilieren. Bob knuffte ihn, was ihn scheinbar wieder auf den Boden holte, dann begann die Besprechung.

Ich freute mich bereits jetzt auf ein neues Abenteuer.

 

 

 

 

 

 Ich war heilfroh als Coleman kam und uns abholte. Hätte ich noch länger in dieser Sardinenbüchse von Wohnung sitzen müssen, wäre ich vermutlich Amok gelaufen. Und Parker wäre definitiv mein erstes Opfer gewesen. Ihr dämliche Katze vermutlich mein zweites. Dieses Mistvieh machte mir ständig meinen Platz streitig, ob ich nun im Wohnzimmer vor dem Fernseher saß, oder oben im Dachgarten. Was erlaubte sich dieses Vieh mich zu verfolgen und mich jedes Mal anzufauchen, wenn ich sie nur ansah? Man konnte fast meinen, Parker hätte sie darauf abgerichtet, mir auf die Nerven zu fallen. Verdammtes Weibsbild!

Dieses nervende Pochen hinter meiner linken Schläfe ließ erst nach, als wir im Studio in der Kabine standen und spielten. Hier und da gab es ein paar Ecken und Kanten, aber alles in allem war es richtig gut. Auch wenn ich das Gefühl hatte, dass die Jungs, die uns begleiten sollten, nicht auf Dauer mithalten konnten. Deshalb und weil sie sich mit unserer zeitweilig rabiaten Art unwohl zu fühlen schienen, schnappte ich mir Coleman, als wir aus der Kabine kamen.

„Wir haben ein Problem.“

Ein Blick auf die Jungs in der Kabine und ich zog wieder die Stirn in Falten.

„Ich glaube nicht, dass sie mithalten können. Nicht wenn wir auf der Bühne stehen. So gut wie alle Songs von Parker gehen gleich von Null auf zweihundert, selbst wenn wir nur die Hälfte der Songs so durchziehen würden, würden sie nach dem ersten drittel zuckend zusammenbrechen. Ich will nicht sagen, dass sie nicht gut sind, im Gegenteil, aber wir brauchen Leute die es drauf haben UND ausdauernd spielen. Mit Studiobesatzung können wir nichts anfangen.“

Erst nickte sie nur, dann stimmte Parker mir sogar zu. Welch seltener Anblick.

„Er hat Recht, wir können uns nicht immer auf eine andere Band einstellen, wir brauchen von vornherein anständige Leute, mit denen wir uns einspielen können, damit alles reibungslos läuft.“

Mit verschränkten Armen stand Coleman da und schien ernsthaft darüber nachzudenken. Schlussendlich nickte er und warf einen Blick in die Kabine.

„Ich denke ihr habt Recht, aber es wird schwer sein Jemanden zu finden, der mit euch mithalten kann.“

Ich hatte auf dem Weg hierher so viele Musiker gesehen.

„Irgendwen werden sie wohl auftreiben können. Am besten wäre es, wenn wir das Keyboard mit einer Frau besetzen. Das kommt besser an und ich will nicht, dass Parker sich unterdrückt fühlt, von so viel Testosteron.“

Ich konnte ein abfälliges Schnauben sowie ein abwertendes „Ja klar.“ von ihr hören und konnte nicht umhin, mich an sie zu wenden.

„Hast du was zu sagen, dann raus damit.“

„Ach vergiss es.“

„Nein, sprich dich aus. Pisst es dich an, dass ich hier die Führung übernehme, oder dass ich meine, hinter alle den unzähligen Türen hier ein anständiges Keyboard gehört zu haben?“

„Und woher bist du dir so sicher, dass es eine Frau war, die dahinter stand? Ich glaube kaum, dass du durch Wände sehen kannst.“

„Na ja, sofern da kein Kerl mit aufgeschlagenen Eiern gestanden hat, dann wohl sehr wahrscheinlich eine Frau. Sie kann nicht singen, dafür ist sie am Keyboard umso besser. Am besten sehen sie gleich nach, ob sie noch da ist, es wäre eine Schande, wenn sie uns durch die Lappen ginge.“

Parker war genervt, verdrehte die Augen und äffte mich nach.

„Es wäre eine Schande, wenn sie uns durch die Lappen ginge.“

Ich ließ mich davor nicht beirren und fuhr fort.

„Was den Schlagzeuger angeht, wenden sie sich an Parker. Sie ist diejenige, die mit ihm harmonieren sollte, also ist sie diejenige, die das Vorrecht haben sollte, diese Entscheidung zu treffen. Seien sie mir nicht böse deswegen, aber jeden, den sie uns beistellen, ist nur Beiwerk. Deswegen werde ich mich ausschließlich an Parker halten, sie ist die einzige, die es schafft mit mir Schritt zu halten und sie ist die einzige bei der ich mir sicher bin, dass sie die Nächte durchspielen würde, wenn es darauf ankäme. Wenn sie solche Leute auftreiben können, bin ich dabei. Wenn ihr mich jetzt entschuldigt, ich muss wohin. Bin gleich wieder da.“

Ich wollte schon gehen, aber Parker fuhr mich von der Seite an als ich an ihr vorbei kam.

„Du stellst Forderungen und verpisst dich dann? Was glaubst du wo du hier bist? Bei wünsch dir was?“

Provokativ brachte ich mein Gesicht ziemlich nah an ihres, was sie zurück weichen ließ und ich lächelte triumphierend.

„Ich geh aufs Klo, mir Luft machen und mich fragen, was ich hier alles für Eingeständnisse mache.“

Denn das tat ich wirklich. Ich wusste nicht wieso ich offen zugab, dass sie gut war, aber ich würde lügen und es verleugnen, würde ich das Gegenteil behaupten oder es verschweigen. Ich war der Meinung, jeder würde die Wahrheit verdienen, selbst jemand wie Parker. Also ließ ich sie, verdutzt wie sie war, stehen und floh praktisch nach draußen, nahm den Weg zu den Toiletten, an denen wir auf dem Weg zum Studio vorbei gekommen waren, stieß die Türe auf und hüllte mich in Stille. Keiner da, sehr gut. Zielstrebig steuerte ich das Fenster an und riss es auf, um ein paar tiefe Atemzüge frischer Luft ein zu saugen. Musste sie eigentlich alles mit ihrer patzigen Art hinterfragen was ich tat oder sagte? Blöde Kuh.

Das Fenster offen stehen lassend ging ich an eins der Waschbecken um mir Wasser ins Gesicht zu spritzen und die Müdigkeit weg zu waschen, die sich nach dem Gig noch viel deutlicher bemerkbar machte als davor, aber irgendwie klappte das nicht. Zur Hölle auch.

Ich war grade in einer der Kabinen verschwunden und hatte mich erleichtert, als jemand herein kam, wie wild vor sich hinsummte und dazu den Takt auf seinen Schenkeln trommelte, wie es sich anhörte. Einen Moment lang hörte ich ihm schweigend zu und fing dann an, die Zeilen zu seinem Song beizusteuern. Als er überrascht inne zu halten schien, drückte ich die Spülung, trat aus der Kabine und war ebenso überrascht, wie der Junge, der mir gegenüber stand. Ich schmunzelte nur, trat dann wieder an eins der Waschbecken und beobachtete den Jungen im Spiegel, der wie angewurzelt stehen geblieben war. Er konnte höchstens zwanzig sein und das war noch gut gemeint. Ich wusch mir die Hände, drehte mich dann um und lehnte mich ans Becken, bevor ich die Augenbrauen hoch zog.

„Was, hast du noch nie auf dem Klo gesungen?“

Er sah verwundert aus und zuckte dann mit den Schultern.

„Na ja, doch schon, aber nur alleine, wenn keiner es hört.“

Ich zog demonstrativ eine Braue hoch und da fing er an zu stammeln.

„Nein, warte! Versteh das nicht falsch. Bitte. Du bist gut, richtig gut. Ich meine nur...“

„Schon gut, lass stecken.“

Er schien sich klein machen zu wollen, aber da fing ich an zu grinsen und er atmete auf.

„So so, du singst also auf dem Klo, ja?“

„Wie gesagt, nur wenn es keiner hört. Ich bin nicht wirklich der große Sänger.“

„Aber du trommelst.“

Wieder zuckte er mit den Schultern.

„Ein bisschen. Zuhause. In der Uni. In der Freizeit. Na gut, eigentlich überall. Soll nicht bedeuten, ich hätte nichts anderes im Kopf.“

Jetzt war es an mir, mit der Schulter zu zucken.

„Mir ist es egal was es bedeutet. Mir wäre es sogar lieber, wenn du so viel Zeit wie möglich damit verschwendest. Du hast gesagt du gehst zu Uni. Was studierst du? Nicht etwa Musik oder?“

Ich wusste nicht wieso, aber irgendwie musste ich ihm das Gefühl vermittelt haben, dass das etwas schlechtes wäre, denn er verzog den Mund und senkte dann den Blick.

„Erwischt. Ist nicht so Bombe, ich weiß, aber ich sitze schon seit ich klein bin hinter den Drums und ehrlich gesagt, will ich das auch weiterhin und ich weiß außerdem nicht was ich sonst machen sollte.“

„Nein, das ist cool. Ich mag Leute die wissen was sie wollen, je früher man damit anfängt umso besser. Pass auf, braucht man dich grade irgendwo?“

„Nein, ich bin nur hier um für eine Hausarbeit zu recherchieren.“

„Noch besser. Ich mach dir einen Vorschlag. Du kommst mit mir mit und wir setzen dich hinters Schlagzeug. Wenn du meine Partnerin überzeugen kannst, hätten wir da ein kleines Projekt, an dem du mitwirken kannst. Wenn nicht, na ja, sagen wir, du überzeugst sie besser. Alles klar?“

Ich glaubte er war der Meinung, ich wolle ihn verarschen, denn so sah er mich an.

„Rein hypothetisch, ich sage ja. Was springt für mich dabei raus?“

„Das was für uns alle dabei raus springt. Die Chance um reich und berühmt zu werden, du kommst viel herum, wirst beschwärmt, beachtet, man nimmt dich als Vorbild. Was für einen Musiker so alles möglich ist, wenn es für ihn gut läuft.“

„Das klingt wie die leeren 0815 Versprechen die sie einem machen, damit sie dich ins Boot kriegen.“

„Nicht, wenn man es richtig macht und die richtigen Forderungen stellt. Da ich das alles schon gemacht habe, brauchst du nur einsteigen.“ Da schien er wirklich darüber nach zu denken. Er war naiv, klar, wer ließ sich schon auf dem Klo zu so etwas bequatschen, aber hey. Was hatte er zu verlieren? Seiner Hausarbeit konnte es nicht schaden.

Schließlich nickte er und zuckte erneut mit den Schultern. Das schien er ziemlich oft zu tun.

„Okay. Aber unter einer Bedingung.“

„Schieß los.“

„Ich darf vorher noch aufs Klo gehen, sonst kriegen wir früher oder später ein Problem.“

„Nur zu, ich warte draußen.“

Er sah skeptisch zur Tür und schien zu befürchten, ich hätte ihn auf den Arm genommen und wäre weg, wenn er heraus kam. Grinsend beschwichtigte ich ihn.

„Ich lauf nicht weg. Und sollte ich doch weg sein, suchst du einfach nach Darian Ames. Wir sind den Gang runter, rechts, Raum 207. ich würde dir meine Nummer geben, aber mein Handy ist leider futsch.“

Um das zu bestätigen zog meine Hosentaschen auf links. Das schien ihm als Bestätigung zu genügen und ich ließ ihn im Waschraum alleine um draußen vor der Tür zu warten. Nur einige Momente später kam er heraus und wischte sich die nassen Hände an der Hose ab.

„Ich bin übrigens Eric.“

„Freut mich Eric. Hoffen wir, dass sich die Kratzbürste auch über dich freut.“

Und das hoffte ich wirklich, denn ich mochte diesen Jungen jetzt schon und ich war fest davon überzeugt, dass er was auf dem Kasten hatte und alles was fehlte, anlernen konnte.

„Ich gebe dir einen guten Tipp Kleiner. Hau sie vom Hocker, lass dich nicht von ihr unterbuttern und überlass mir das kontern, dann kann gar nichts passieren.“

„Ist sie so schlimm?“

„Schlimm ist noch gar kein Ausdruck.“

Einen Moment zögerte er, dann schien er fest entschlossen.

„Dann sollten wir ihr zeigen, dass sie nicht über allen anderen steht, oder?“

Ich nickte nur und grinste. Oh ich würde so was von für diesen Jungen kämpfen.

8

Der Tag hätte so gut werden können, aber nein, Dan musste ja unbedingt wieder auf großspurig machen und jedem beweisen, dass das reiche Söhnchen aus gutem Hause über alles und jedem stand! Am liebsten hätte ich ihn einfach nur gewürgt, bis ihm die Augen aus dem Kopf quollen.

Eine Ewigkeit später, kam der Idiot endlich wieder und schleifte einen Bubi hinter sich her, der nicht mal so trocken hinter den Ohren wirkte, um einen Apfel zu schälen. Ich hatte ja schon gehofft, dass Dan ins Klo gefallen und sich selbst herunter gespült hätte, aber so viel Glück hatte das Universum für mich ja offensichtlich nicht übrig.

„Hey, Leute, das ist Eric“, er deutete auf den Bubi. „Ich denke, er wird dir gefallen, Parker.“ Ach, erst mir die Entscheidung überlassen, aber dann gleich wen anschleppen.

„Naja, das werden wir ja sehen“, erwiderte ich. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, griff ich mir Blemish und nickte an Eric gerichtet in Richtung Kabine. Ich hatte fest vor, den Kleinen auseinander zu nehmen.

Ich stöpselte meinen besten Freund ein und wartete darauf, dass der Pimpf sich mit den Drums vertraut gemacht und eingespielt hatte. Als es soweit war, gaben unsere Tontechniker das Okay und ich legte mit einem meiner härtesten Songs los. Wenn er den nicht packte, dann würde er keinen packen.

Mein Spiel war aggressiver als sonst, aber dennoch flüssig und ging runter wie Butter. Ich achtete auf jeden Takt, den der Junge zu meiner Vorlage spielte. Er war geschickt, so viel konnte ich erkennen. Es war, als wären die Sticks Erweiterungen seiner Arme und das nervte mich ungemein. Ich wollte dem Blödkopf da draußen nicht Recht geben müssen!

Als das Intro durch war, holte ich Luft und fügte die Lyrics an. Das brachte den Knirps kurz zum Stocken, doch er fing sich überraschend schnell wieder. Normale Zuhörer hätten wahrscheinlich nichts mitbekommen, aber ich hörte es nach all den Jahren und so würde es auch den anderen draußen gehen.

Nachdem der Powersong geendet hatte und dem Kleinen der Schweiß über die Stirn lief, musste ich zähneknirschend zugeben, dass er was drauf hatte. Dass er nicht einmal schwer atmete, musste man ihm hoch anrechnen und mein Entschluss stand fest: ich würde Dan heute Nacht mit einem Kissen ersticken!

Gespannt wartete die Crew auf mein Urteil. Ich sah sie alle grimmig an, vor allem Dan, und murmelte ein „Hätte besser sein können, aber ich nehm ihn“ und kassierte von Dan gleich darauf einen tadelnden Blick.

„Stell dich mal nicht so an, Parker! Der Junge ist einsame Spitze und das weißt du auch, aber Prinzesschen können es wohl nicht zugeben.“

„Wie könnte ich! Immerhin hast du ihn angeschleppt!“ Ich bemerkte das Mädchen, das neben Frank stand erst dann. Sie grinste mich breit an und hielt einen Daumen hoch. Ich konnte mich wegen ihres Looks nicht entscheiden. Es schien irgendwas zwischen Grundge und Goth zu sein, aber ich kannte mich in dem Bereich zu wenig damit aus, um ein Urteil fällen zu können.

Bevor Dan etwas erwidern konnte, fuhr ich fort: „Weißt du was? Ich hab keine Zeit für den Scheiß.“ Dann sah ich zu Frank hinüber und tat so als würde ich mir auf die Armbanduhr tippen.

„Ach ja! Richtig!“, rief dieser dann. „Dein Termin ist ja bald. Ich lass den Wagen vorfahren. Ich hoffe, du bist nicht zu spät dran. Pass auf dich auf, ich komme morgen noch mal bei euch vorbei ja?“ Ich konnte ihm nicht mehr antworten, da ich im Gehen meinen Bass einpackte und bereits aus dem Gebäude stürmte.

Sollten sie mich doch als Bitch beschimpfen, war mir auch recht! Ich würde mir ganz sicher nicht noch mehr von dem Volltrottel anhören, der sich mein Partner schimpfte. Dazu hatte ich keinen Nerv und ich würde verhindern, dass meine Emotionen überhand nahmen, während ich in einem Raum voller Leute stand! Ich würde keine Schwäche zeigen.

Wie versprochen stand ein Wagen für mich bereit, der scheinbar alle Verkehrsregeln zu brechen schien, um mich rechtzeitig zu meinem ersten Termin mit meinem neuen Therapeuten zu bringen. Er hielt vor einem ansprechenden Bürogebäude und der Fahrer teilte mir mit, dass er zum Ende der Stunde wieder da sein würde, um mich abzuholen. Ich dankte ihm kurz angebunden und ging hinein.

Die Dame am Empfang war ein Sonnenschein, wie er im Buche stand. Auch wenn ich solche Leute eigentlich nicht mochte, heiterte sie meine Stimmung doch deutlich auf. Ich wurde von ihr in eine hübsches Wartezimmer verfrachtet, wo ich aber keine fünf Minuten saß, bis mein Name durch die Lautsprecheranlage tönte.

Eine Assistentin stand auch bereits an der Tür bereit und führte mich zum richtigen Raum, in dem an einem massiven Schreibtisch ein älterer Herr saß, der mich stark an Doc Harrison erinnerte. Dr. Maverick blickte auf und lächelte mich an, bevor er aufstand, mir entgegen kam und die Hand reichte. Er hatte einen festen und warmen Händedruck. Das war gut.

Er bedeutete mir, mich in einen der überaus weichen Sessel einer Sitzgruppe in der Ecke zu setzen und nahm mir gegenüber Platz. Noch immer klebte das Lächeln auf seinen Lippen und sein Gesicht war offen und freundlich.

„Dr. Harrison hat mir schon einiges über dich erzählt und deine Krankenakte spricht für sich, aber wie wäre es, wenn du mir trotzdem ein wenig von dir berichtest? Ich möchte dich kennen lernen und wissen, wie du dich selbst siehst. Aber du weißt ja sicherlich schon, wie das alles abläuft.“ Ich nickte und begann zu erzählen.

„Ich mache gerne Musik, sogar für mein Leben gerne. Ich male und zeichne auch sehr gerne. Die beiden Sachen halten mich davon ab, zu viel zu denken und erlauben mir, wenigstens ab und zu frei zu fühlen.

Oft stehe ich nachts an einer Dachkante und wünschte mir, dass ich einfach springen könnte. Dass ich allem endlich ein Ende setzen könnte. Mich würde sowieso kaum jemand vermissen. Aber ich tue es nicht. Ich denke an meine Musik, meine Kunst und an meine Katze, trete vom Abgrund zurück und verspreche mir, nur noch einen Tag weiterzumachen und zu sehen, was passiert.

Manchmal träume ich von der Vergangenheit. In manchen Situationen meines Lebens öfter als in anderen. Am liebsten würde ich sie auslöschen, aber andererseits machen sie aus mir, die die ich bin. Und sie erinnern mich daran, warum ich niemals schwach sein darf.

Ich bin auch oft einsam. Alles, was ich habe sind mein Bass, meine Kunst und meine Katze. Mehr hält mich nicht hier. Ich hatte mal Freunde, das weiß ich noch. Gute Freunde, die immer für mich da waren, aber...“ An dieser Stelle konnte ich nur mit den Schultern zucken und schweigen. Ich wusste nicht, wie ich den Satz hätte fortsetzen sollen. Damit, dass sie mich früher oder später alleine ließen? Dass ich ihnen früher oder später zu viel wurde? Oder dass sie sich früher oder später immer von mir entfremdeten, weil sie voranschritten und ich auf der Stelle trat?

„Du sprichst sehr offen von dir“, kommentierte Doc Maverick.

„Ich weiß, dass Sie mir zuhören und ich möchte gehört werden. In dieser einen Sitzung, einmal die Woche, möchte ich gehört werden, auch wenn es alle anderen nicht tun.“

„Bist du denn der Meinung, dass die Leute da draußen dich nicht hören? Ist das nicht der Grund, weshalb du Musik machst?“ Ich zuckte mit den Schultern.

„Ich weiß nicht, ob sie wirklich verstehen. Ob sie verstehen, was meine Songs bedeuten. Ich glaube nicht, dass irgendjemand mich schreien hört.“

„Tust du das denn? Schreien?“

„Ich glaube schon. Ich weiß nicht. Ich sehe mich um und sehe eine gesichtslose Masse. Sie laufen mit einer unglaublichen Geschwindigkeit an mir vorbei, während ich mitten unter ihnen stehe, wie angewurzelt und verzweifelt Anschluss suche, ihn aber nicht finde. Egal was ich tue, egal, was ich versuche, ich bin immer alleine. Ungehört, unverstanden und manchmal, so fühlt es sich an, ungesehen.“

„Bist du mit deinem Leben überfordert? Unzufrieden?“

Noch ein Schulterzucken meinerseits. „Mag sein. Hätte ich die Wahl gehabt, hätte mein Leben definitiv anders ausgesehen. Sehen Sie mal aus dem Fenster. Die Leute hetzten von einem Termin zum anderen, werden immer schnelllebiger und nehmen sich keine Zeit mehr für sich oder ihre Mitmenschen. Was unterscheidet sie noch von Maschinen, die blind dem Befehl folgen, Geld zu machen? Ich weiß, dass ich anders bin. Damit passe ich nicht mehr in ihr Bild der gehorsamen Arbeitsbiene und was nicht reinpasst, wird zurückgelassen. Ich bin Altmetall, das nicht mehr verwertbar ist. Ein Abfallprodukt der Gesellschaft.“ Maverick sah mich intensiv an. Weder urteilend noch wertend, einfach nur offen und aufmerksam. Ich fühlte mich schon jetzt deutlich besser.

„Du hast gesagt, dass du dich deiner künstlerischen Ader hingibst, um fühlen zu dürfen. Empfindest du es als Schwäche, Gefühle zuzulassen?“

„Wieso sollte ich das nicht? Gefühle machen einen lächerlich, sie lassen einen die dümmsten Dinge tun und die schlechtesten Entscheidungen treffen. Gefühle zuzugeben ist noch viel schlimmer. Das gibt anderen Menschen Macht über einen, die sie schamlos ausnutzen und am Ende ist man der Gelackmeierte und steht wie der letzte Idiot da. Einem wird das Herz gebrochen und die Würde schwindet gleich mit dahin. Alles in dieser Welt vermittelt einem, dass Gefühle unbrauchbar sind!“ Ich redete mich regelrecht in Rage. Ich hasste diese Welt dafür, dass sie es mir verbot, frei zu fühlen. Hasste sie dafür, dass sie mich zwang, mich in meine Musik und Kunst zurückziehen zu müssen und womöglich niemals verstanden zu werden!

„Meinst du nicht, dass du es nur so siehst? Wenn du genau hinsiehst, dann siehst du Mütter, die sich liebevoll um ihre Kinder kümmern und verliebte Paare, die ihre Gefühle füreinander offen zur Schau stellen. Es ist nichts falsches daran, zu fühlen und es zu zeigen. Es macht uns zu Menschen. Unterscheidet uns von den kalten Maschinen. Wir dürfen das nicht aufgeben.“

„Mag sein. Aber ich kann das nicht“, sagte ich kopfschüttelnd. „Ich habe gesehen, wohin Liebe führen kann und ich habe gesehen, dass nicht jede Mutter gut ist. Sie wissen, was meine getan hat. Sie wissen, was ich getan habe. Ich glaube, zu verstehen, warum sie es getan hat, aber ich bin mir genauso sicher, dass sie zu schwach war, um in dieser Welt zu überleben. Und ich werde mich nicht durch mein Erbe behindern lassen.“

„Du glaubst, du bist wie sie?“

„Sie hat mich großgezogen. Wie sollte ich sonst sein? Ich sehe es jeden Tag an mir. In meinem Aussehen, in meinem Verhalten. Das kommt von ihr. Aber ich werde nicht brechen. Sie kann mir vielleicht ihre Haare und ihre verfluchten Augen geben, aber ihre Gene werden nicht meinen Willen brechen! Ich will nicht wie sie sein und ich werde alles tun, um zu verhindern, dass es soweit kommt.“ Da lehnte Doc Maverick sich vor und sah mir tief in die Augen.

„Lenneth, wir sind so viel mehr als die Summe unseres Erbes. Mehr als die Summe unserer selbst. Allein das, was du gesagt hast, beweist, wie sehr du dich von deiner Mutter unterscheidest. Du hast dir Hilfe geholt, als du erkannt hast, dass du es nicht mehr alleine schaffst. Du bist bei einem erfolgreichen Plattenlabel untergekommen und lebst einen Traum, den sich viele nicht einmal erahnen könnten. Du könntest dich nicht stärker von ihr unterscheiden. Ich weiß, dass du ein guter Mensch bist, sonst würdest du nicht so denken.“ Ermutigend lächelte er mich an und ich erwiderte es.

„Doc Harrison hatte Recht, Sie sind gut. Ich weiß nur nicht, ob ich wirklich daran glauben kann.“

„Mach dir keine Sorgen, so etwas kommt nicht von heute auf morgen. Seit du Harrison getroffen hast, hast du beachtliche Fortschritte gemacht. Erzähl mir von deinen Wünschen.“

„Ich möchte eine entspanntes Leben führen. Ich will nicht unbedingt reich oder berühmt sein. Ich möchte nicht mehr alleine sein. Ich möchte jemanden an meiner Seite haben, der mich nicht verurteilt, der mir zuhört und sich im Gegenzug von mir helfen lässt, sofern ich das kann. Ich möchte frei zeigen können, was ich fühle, ohne immer kurz davor zu stehen, in Tränen auszubrechen, oder aggressiv zu werden, damit sie nicht sehen, wie schwach ich bin. Ich möchte ohne schlechtes Gewissen schwach sein können.“ Das Geständnis allein an sich, brachte mich bereits hart an die Grenze, doch hier in diesem Raum war alles anders. Hier konnte ich frei atmen und sprechen, ohne dass es verheerende Konsequenzen nach sich zog. Dies hier war eine eigene kleine Welt.

„Das ist der erste Schritt. Geh deinen Weg und gib nicht auf. Ich weiß, dass du dein Glück finden wirst. Ich werde dich auf dem Weg begleiten und dir zuhören, wann immer du mich brauchst. Und ich denke, dass ich gegen deine schlechten Stimmungen, etwas tun kann. Was für Medikamente nimmst du gerade?“

Ich nannte ihm die Namen der Pillen, die Doc Harrison mir seit jeher verschrieben hatte. Überrascht zog Maverick die Augenbrauen hoch.

„Mein Kollege ist ein ausgezeichneter Therapeut, aber er hatte noch nie ein Händchen für Medikamente. Liegt vermutlich daran, dass er eine Behandlung ohne bevorzugt. Jedenfalls hätte er deine Medikation schon längst ändern müssen. Der Cocktail bringt jetzt nur einen Hormonhaushalt durcheinander und macht dich launischer. Gab es eine Phase, in der du die Tabletten in letzter Zeit nicht genommen hast?“

„Ja, eine kurze, da ging es mir auch recht gut, aber dann kam wieder eine große Stresswelle auf mich zu und...“ Ich zuckte mit den Schultern.

„Ich verstehe. Ich möchte, dass du die Tabletten endgültig absetzt und mir die restlichen demnächst vorbeibringst. Beschäftige dich mehr mit deinen Hobbys, gönn dir öfter eine Auszeit und beginne vielleicht mit einem Sport, der dich schon immer interessiert hat. Tu einfach, das, was du tun möchtest. Du hast momentan die Gelegenheit, dich ganz neu zu entdecken und zu lernen, wie du besser mit deinen Mitmenschen kommunizieren kannst. Wie läuft es denn so mit deinem neuen Mitbewohner?“

Ich mochte Maverick. Er machte mir Mut. Ich begann langsam, die Hoffnung zuzulassen, dass es für mich noch einen anderen Ausweg gab, als vom Dach zu springen. Also erzählte ich ihm von Dan.

 

 

 

 

 

 „Was soll das heißen sie hat einen Termin? Wir sind grade mal einen Tag hier, was sollte sie jetzt schon für Termine haben?“

Coleman versuchte mich zu beschwichtigen, aber ich redete mich nur weiter in Rage.

„Das solltest du sie selber fragen Dan.“

„Darian! Für sie heiße ich Darian, oder Ames! Und was soll die Scheiße?! Hat sie sich nicht eben beschwert ich würde mich vom Acker machen? Dabei ist sie diejenige die sich verpisst! Ich dachte wir wollten proben, wie sollen wir das machen, wenn sie verschwindet? Wir brauchen sie, ohne Sie können wir nicht spielen. Verdammt noch mal Parker ist das Bindeglied zwischen uns, sie kann hier nicht einen auf Egotrip machen!“

„Darian, bitte. Sie hat-“

„Ist mir scheißegal was sie hat! Wenn sie so weiter macht, halte ich das nicht lange durch, ungeachtet der Dinge die Sie uns vorbeten. Wissen sie, ich versuche nett zu sein, aber sie bemerkt das gar nicht. Sie behandelt mich wie das letzte Arschloch, sie sieht gar nicht, was ich tue, hört gar nicht, was ich sage. Für sie bin ich der letzte Dreck und ich hab keine Ahnung wieso. Sie interessiert nur, dass sie mich angehen kann, wenn ihr danach ist und das mache ich nicht mit. Reden sie mit ihr, reden sie ihr ins Gewissen, oder ich bin raus.“

Bevor ich darüber nach dachte, holte ich meine Gitarre, packte sie ein und machte mich vom Acker. Ohne stehen zu bleiben steuerte ich den Ausgang an und wurde am Gebäudeeingang eingeholt.

„Wo willst du jetzt hin?“

Ein Blick auf Eric zeigte mir, dass er genauso besorgt aussah wie er klang.

„Was essen. Nach hause. Vielleicht auch einfach die Straße runter und sehen, wo ich hin komme. Frag mich das später noch mal, vielleicht kann ich dir dann deine Frage beantworten.“

„Frank sagt, du kriegst dich schon wieder ein, stimmt das?“

„Vielleicht? Ich weiß nicht, vielleicht hab ich jetzt auch endgültig die Schnauze voll. Ich lass ja eine Menge mit mir machen, aber diese Frau treibt es einfach zu weit. Lass uns nicht drüber reden, es reicht wenn ich diese Furie später zuhause ertragen muss.“

„Wieso wohnt ihr zusammen, wenn ihr euch nicht ausstehen könnt? Ihr seit nicht eins dieser Pärchen, zwischen denen diese Hassliebe hängt oder?“

Ich hätte mich beinahe verschluckt und blieb dann ziemlich entgeistert stehen.

„Um Gottes Willen, nein. Ich würde nie freiwillig mit diese Weibsbild zusammenziehen. Coleman hat uns unvorbereitet einfach in derselben Wohnung unter gebracht. Und ich würde es nicht hassen nennen, wir können uns nur einfach nicht ausstehen.“

Oder hassten wir uns doch? Nein, Hass was das nicht, ich wusste nicht, wie man das beschreiben sollte, also ließ ich es bleiben.

„Aber ihr sollt gut zusammen sein. Frank sagt, wenn man euch hört würde man denken, ihr spielt schon seit Jahren zusammen, dabei habt ihr vorgestern das erste mal miteinander gespielt. Was ich mich frage ist, wenn ihr so gut harmoniert, wieso kriegt ihr euch so in die Haare?“

„Man kann noch ein so guter Musiker sein, wenn der Charakter nicht stimmt, funktioniert es nicht und das was ich bisher von ihr kenne ist, dass sie sich einbildet sie wäre die beste, sie ist oberflächlich, arrogant. Ich würde sagen, sie hat den Egotrip erfunden. Sie hat mich letzte Nacht gefragt, ob sie mir was vom Einkaufen mitbringen kann, hat aber dabei so giftig und gezwungen ausgesehen, dass ich dachte, sie würde sich eher in einem Raum mit Kobras einschließen, als nett zu mir zu sein. Könnte man an Worten ersticken, sie wäre bei dem Wort 'nett' sofort tot.“

„Wow, du hast ja echt eine gehobene Meinung von ihr.“

„Das ist keine Meinung, das sind leider alles Tatsachen. Ich meine, es tut doch nicht weh, einfach mal nett zu sein, aber sie tut so, also würde sie dabei Höllenqualen erleiden.“

„Vielleicht hat sie ihre Gründe dafür.“

„Die hat sie ganz sicher, aber muss sie dafür so ein Arsch sein? Wenn man sie schon nur sieht weiß man, das was nicht mit ihr stimmt, dabei ist sie eigentlich ganz hübsch.“

„Du findest sie also hübsch ja?“

„Ich hab sie gesehen wenn sie schläft. Kleiner, sie könnte so verdammt gut aussehen wenn sie nicht immer so ein Gesicht ziehen würde. Die Typen würden bei ihr Schlange stehen, aber ich sage es immer wieder, gutes Aussehen ist nicht alles.

Aber wehe dir du steckst ihr, dass ich so etwas über sie sage, dann kannst du schon mal anfangen zu üben mit den Füßen Schlagzeug zu spielen.“

Ich wusste, ich sollte Eric nicht drohen, aber es zeigte Wirkung und ich musste schließlich mein Gesicht wahren. Um ihn davon abzulenken, lenkte ich das Gespräch um.

„Kannst du mir sagen, wo man hier anständiges Essen her kriegt?“

Er schien erleichtert über den Themawechsel, denn sein Gesicht hellte sich gleich wieder auf.

„Sicher. Magst du chinesisch? Ein paar Straßen weiter gibt es einen klasse Laden.“

„Kann man da auch mitnehmen? Ob ich will oder nicht, ich muss Parker etwas mitbringen, wenn ich zuhause kein Theater haben will.“

„Dafür dass du sie nicht leiden kannst, meinst du es aber ziemlich gut mit ihr.“

„Ich hab vor langer Zeit aufgehört nur an mich zu denken und egal wie oft sie versucht dir das zu erzählen, ich bin nicht der verzogene Schnösel für den sie mich hält, auch wenn ich manchmal ein Arsch sein kann.“

„Dann bist du also wirklich Darian Ames?“

Du bist also wirklich der Junge, der das Ames Erbe nicht antreten wollte? Wie ich diese Frage satt hatte.

„Ich bin Musiker, spielt es eine Rolle wer meine Eltern sind?“

Den Wink hatte Eric verstanden, denn er senkte den Blick und zuckte die Schultern.

„Schätze nicht.“

„Siehst du. Ich bevorzuge es, der zu sein, der ich sein will, nicht der, zu dem mich alle machen wollen.“

Darauf nickte Eric nur und schwieg den ganzen weiteren Weg.

 

 

Das Essen, das wir uns geholt hatten, war der Hammer. Wir hatten uns entschieden es mit zu nehmen und nun saßen Eric und ich in Parker's und meiner Wohnung, waren voll bis oben hin und sahen uns eine Comedyshow im Fernsehen an. Ich konnte den Jungen echt gut leiden, dafür dass er erst neunzehn war. Er schien zwar manchmal etwas zu naiv, aber dafür konnte er mit Wissen aufwerten, um das ihn manch anderer beneidet hätte. In gewisser weise erinnerte er mich ein wenig an mich selbst. Ich war in dem alter nicht anders gewesen. Voll mit unnützem Wissen und vollkommen musikbegeistert. Glücklicherweise hatte mich mein sechster Sinn nicht im Stich gelassen, als es darum ging, Parker zu beweisen, dass der Junge spielen konnte. Wobei ich ihn ja nur angeschleppt hatte. Er war wirklich bemerkenswert gewesen. Er hatte gespielt als ginge es um sein Leben, mit einer Technik die nicht nachzuahmen war und einer Geschwindigkeit, um den ihn jeder Drummer beneidete. Natürlich hatte Parker ihn runter gespielt, dabei hatte er es verdient zu wissen, wie gut er war. Ich hätte sie am liebsten dafür gewürgt. Aber ich wollte mich jetzt nicht wieder darüber aufregen, ich hatte mich grade beruhigt. Stattdessen schrieb ich einfach auf, was mir durch den Kopf ging, um es los zu werden.

Eric, neugierig wie er war, schielte auf das Blatt und sah mich dann fragend an.

„Muss das für mich einen Sinn ergeben?“

Die wahllos wirren Sätze betrachtend dachte ich darüber nach und schüttelte dann mit dem Kopf.

„Nein. Das ergibt erst Sinn, wenn man sich eine Geschichte dazu ausdenkt. Ich schreib nur die Sätze auf, die mir nicht aus dem Kopf wollen. Wenn ich sie aufschreibe, bring ich ein wenig Ordnung in das Chaos, das hier oben herrscht.“

Ich tippte mir an den Kopf.

„Das ist meistens sehr befreiend und manchmal kommt sogar etwas dabei raus. In letzter Zeit eher weniger, aber ich tue mein bestes. Mir geht es in erster Linie ohnehin darum, einfach nur abschalten zu können. Es hat mal Zeiten gegeben, da hab ich nichts anderes gemacht. Ich wollte die Dinge so unbedingt los werden.“

Aber es ging nicht und ich war sie bis heute nicht los geworden. Mir war klar, dass man über manche Dinge reden musste, dass man sie mit Worten auf Papier nicht los wurde, aber wenn man nicht darüber reden konnte, saß man eben auf ihnen fest.

„Verarbeitest du alles in Texten oder Songs?“

„Ich hab Ordnerweise Songs zuhause.“

Viele über Trauer, Verlust und Selbsthass, aber das würde ich ihm nicht verraten.

„Auf viele davon bin ich nicht stolz, aber ich kann sie auch nicht weg schmeißen, weil sie widerspiegeln wie ich war und wie ich bin. Vielleicht bin ich auch einfach ein Messi. Ich hab in meinem Elternhaus alle meine Gitarrensaiten an die Wände gehängt, von der ersten bis zur letzten. Jeden einzelnen Satz, mit dem ich je gespielt hab. Für mich hängt da eine Menge dran, jede Menge Erinnerungen bei denen ich Angst habe, sie zu vergessen, wenn die Saiten nicht wären. Ich weiß, das klingt total bescheuert, aber ich schaffe es nicht, mich davon zu trennen.“

Von den Erinnerungen, von Tessa. Ich hatte Angst, ich würde sie endgültig verlieren, wenn ich sie losließ.

„Bei Gelegenheit muss ich sie unbedingt holen, bevor sie auf die glorreiche Idee kommen, sie könnten mein Zimmer ausräumen.“

Wobei Chase schon dafür sorgen würde, dass sie nicht weg kamen, das wusste ich.

Mich streckend stand ich auf und deutete Richtung Bad.

„Bin gleich wieder da.“

Ich war immer noch hundemüde und ich schaffte es irgendwie nicht, das los zu werden. Ich hoffte, wenn ich den Kopf unter den kalten Wasserstrahl halten würde, ging es mir danach besser. Um genau das zu tun, verschwand ich im Badezimmer. Ich hatte die letzten beiden Nächte nicht geschlafen und jetzt lief ich endgültig nur noch auf Sparflamme. Irgendwann in den nächsten Stunden würde ich einfach einschlafen, egal was ich tat. Hoffentlich auf der Couch sitzen, wenn es nach mir ginge. Und hoffentlich war ich dann alleine in meinen Träumen.

Den Kopf unter den Hahn haltend, genoss ich die Kälte und begutachtete mich danach im Spiegel. Weder die dunklen Ränder unter den Augen, noch die leicht roten Augen hatte es weg gezaubert, aber was konnte ich schon erwarten. Ich trocknete mir die Haare, fuhr mit der Hand hindurch und ließ sie so. ich war zuhause, wen sollte es stören.

Ich verließ das Bad und schlug den Weg zur Küche ein, als Eric mir etwas zurief, dass ich nicht ganz verstand. Ich bog um die Ecke zur Küche, als ich zurück rufen wollte, aber da stieß ich schon mit Parker zusammen. Sie musste gekommen sein, als ich im Bad war, das war es vermutlich auch, was Eric gerufen hatte. Ich fing sie auf, bevor sie nach hinten überfallen konnte, richtete sie auf und ließ sie wieder los, bevor sie los keifen konnte, sowie ich eine kurzes „'Tschuldige“ murmeln konnte. Um sie nicht zu Wort kommen zu lassen, deutete ich auf dem Kühlschrank und griff dann danach, um mir eine Flasche Wasser heraus zu nehmen.

„Da steht Essen für dich drin, ich hoffe du isst chinesisch. Musst es nur warm machen.“

Dann ließ ich sie stehen, gesellte mich wieder ins Wohnzimmer und ließ mich seufzend auf die Couch neben Eric fallen. Zischend öffnete ich die Flasche und nahm ein paar tiefe Züge daraus. Als ich sie auf meinem Oberschenkel absetzte, war sie nur noch halbvoll und ich seufzte erneut. Ich wusste, würde ich jetzt die Augen schließen, würde ich auf der Stelle einschlafen, doch ich wehrte mich dagegen. Zumindest hatte ich das vor gehabt, denn es dauerte nur ein paar Minuten, bis mir schließlich die Augen von ganz alleine zu fielen.

9

Verwundert zog ich eine Augenbraue hoch und sah in den Kühlschrank. Da standen tatsächlich ein paar Pappschachteln vom Chinamann. Mir knurrte auch gewaltig der Magen, deshalb schaufelte ich den Inhalt auf einen Teller und schob ihn für ein paar Minuten in die Mikrowelle. Nachdem sie fertig gedreht hatte, stellte ich den heißen Teller auf den Tresen und aß daran gelehnt im Stehen. Ich wollte noch einmal los. Ich musste zum Baumarkt und zum Künstlerbedarf. Ich hatte den Fahrer gebeten, in einer Stunde noch einmal zu kommen und mir bei meinen Besorgungen zu helfen. Solche Angestellten zu haben war bei Zeiten recht praktisch.

Das Essen war unglaublich gut und ich schaufelte es nur so in mich hinein. Dann stellte ich das schmutzige Geschirr in den Spüler und fragte mich, wann er wohl voll genug sein würde, um ihn an zuschmeißen. Bei zwei Personen und der Größe des Dings, war es wahrscheinlich, dass wir erst unser Geschirr aufgebraucht hatten, bis er voll genug war.

Auf dem Weg in mein Zimmer, um mich umzuziehen, sah ich, dass Dans Kopf nach hinten gekippt auf der Lehne der Couch lag und er mit offenem Mund schlief. Seltsamerweise schnarchte er dabei nicht mal. Eric saß neben ihm und rutschte auf seinem Hintern hin und her als wüsste er nicht, was er tun sollte. Nachdem mein Magen voll war, hatte ich immer bessere Laune, daher ging ich hinüber, tippte dem Kleinen auf die Schulter und bedeutete ihm, mit mir zu kommen. Er war zunächst etwas zögerlich, tat es dann aber doch.

In meinem Zimmer schloss ich die Tür und zeigte auf eine kleine Sitzecke, die zuvor unter meinen Säcken begraben gewesen war. Es sah nicht gerade toll aus, aber es war lediglich unordentlich und nicht schmutzig. Eric setzte sich und sah sich gründlich um.

„Hast du das Zimmer dekoriert?“, fragte er und deutete auf die beklebten Flächen.

„Ja, das war hier alles vorher weiß. Es war zu steril.“

„Sieht auf jedenfall toll aus. Du hast ein Händchen dafür.“

„Mag sein“, sagte ich schulterzuckend.

„Warum wolltest du, dass ich mitkomme?“, fragte er dann rundheraus. Der Junge schien resistent gegen jegliche Art von Scham zu sein.

„Mit deinem Gezappel hättest du den Trottel auf der Couch noch geweckt. Hast du seine riesigen Pandaaugen gesehen? Der hat bestimmt wieder nicht geschlafen, da hab ich es lieber, wenn er in seinem jetzigen Zustand bleibt. Vielleicht ist er dann hinterher weniger maulig.“ Daraufhin prustete Eric. Ich sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an, doch er schüttelte nur grinsend den Kopf.

„Ihr streitet euch wohl viel.“

„Ständig.“

„Magst du ihn nicht? Man könnte meinen, ihr hasst einander.“

„Es ist nicht so, dass ich ihn nicht mögen würde. Er irritiert mich bloß am laufenden Bande. Ständig macht er sich über mich lustig oder sieht mich mit diesem 'Ich bin besser als du'-Blick an. Das kann ich nicht ausstehen. Und wenn er mal nicht so ist, dann steht er nur nutzlos herum und sieht mich mit diesem seltsamen betreten Blick an, als bräuchte ich sein Mitleid! Wenn er nicht so ein Arsch wäre, würde ich ihn vielleicht sogar mögen.“

„Hast du dich denn schon mal mit ihm unterhalten? Ich meine so richtig. Über eure Interessen, Wünsche, Träume und so was?“

Abfällig schnaubte ich. „Wann immer wir versuchen, miteinander zu reden, endet das in einem Streit. Du bist ein Kerl, darum verstehst du das wahrscheinlich nicht, aber manchmal bringt er mich derart zur Weißglut, dass ihm einfach irgendwas an die Rübe schmeißen muss. Er trampelt auf meinem Stolz rum, wann immer er kann, dass es mich wundert, dass ich überhaupt noch welchen habe.“

„Vielleicht ist er ja nur so, weil du automatisch in seiner Gegenwart in die defensive gehst.“

Schweigend ging ich in meinen Schrank und warf mir neue Klamotten über. Als ich wieder herauskam, war meine Stimmung wirklich im Keller.

„Hast du noch nie von dem Sprichwort gehört 'Außen hui, innen pfui'? Das trifft auf Dan zu. Ich weiß, was für ein Arschloch er sein kann, immerhin kenne ich ihn schon seit drei Jahren und hab einiges von seinem Mist mitbekommen. Er ist ja auch ziemlich schwer zu übersehen, wenn immer eine Bimbotraube um ihn herum scharwenzelt.“

„Du klingst, als wärst du eifersüchtig.“ Der Junge hatte wohl auch keinen Selbsterhaltungstrieb.

„Klar und morgen regnet es rosa Elefanten mit Schirmchen! Du hast ja keine Ahnung, wie sehr Menschen einander verletzten können, Eric. Und ich habe keine Lust, mir noch mehr weh tun zu lassen.“ Ich musste ein ziemliches Gesicht machen, denn der Kleine bekam große Augen und schluckte sichtlich. Dennoch sprach er völlig unbedacht weiter.

„Hast du etwa Angst davor?“

„Natürlich!“, knurrte ich aufgebracht. „Bete, dass dir niemals so weh getan wird, du würdest da nicht mehr heil rauskommen. Wenn du erst einmal in den tiefsten Abgrund gefallen bist, bleibt dir nur noch, dich mit Klauen und Zähnen wieder heraus zu kämpfen und dich mit allem zu schützen, was du auffahren kannst. Wenn nicht, wirst du daran zerbrechen und ich habe weder vor, schwach zu sein, noch zu brechen.“ Ich sah eine Veränderung in Erics Blick und intervenierte sogleich. „Wage es nicht! Wage es nicht, dir Mitleid anzumaßen! Hast du irgendwo eine Tasche rumliegen?“ Er schüttelte den Kopf.

„Gut, dann können wir gleich los.“

„Wohin denn? Und wieso sollte ich mitkommen?“

„Ich gehe jetzt noch ein paar Sachen besorgen und du als großer, starker Drummer wirst dem armen Fahrer des Wagens, der uns gleich abholt, beim Tragen helfen und keine Diskussion. So viel bist du mir dafür schuldig, mir die Laune verdorben zu haben.“

Ergeben senkte Eric dann den Kopf und folgte mir aus dem Zimmer. Dan saß noch immer schlafend auf der Couch. Vorsichtig ging ich hinüber und drapierte die Decke, die immer noch am Ende der Couch gelegen hatte, um ihn, ohne ihn zu wecken.

Dann verließ ich mit Eric die Wohnung. Unten wartete bereits der Wagen und ich begann eine weitere aggressive Shoppingaktion.

 

Am Abend zwang ich die beiden Kerle dazu, haufenweise Staffeleien, Leinwände, Farbe, Pinsel, Farbpaletten und Plastikplanen aus dem Baumarkt in das Zimmer zu schleifen, das ich als mein Atelier auserkoren hatte. Und das alles, ohne Dan zu wecken, der immer noch auf der Couch saß, wie wir ihn zurückgelassen hatten. Hin und wieder bewegte er sich oder machte Geräusche, doch alles in allem, schlief er tief und fest.

Nachdem endlich alles im Atelier war, dankte ich den Jungs und bot ihnen an, Abendessen für sie mit zu machen. Davon waren sie gleich begeistert. Typisch Kerle. Also machte ich mich daran, eine Lasagne zu machen. Alles nötige hatte ich im Kühlschrank gesehen und musste nicht lange suchen, bis ich eine Auflaufform fand, die groß genug für vier Personen war.

Ich ließ die Jungs ein paar Sachen schnibbeln, vor allem die Zwiebeln, briet diese mit Fleisch in einem Topf an, gab die Tomaten dazu und kochte die Soße. Dann schichtete ich alles in die Auflaufform und stellte sie in den vorgeheizten Ofen. Dabei schaute ich ganz genau auf die Uhr. Ich wollte mir keinen Alarm stellen und am Ende Dan damit wecken, deshalb musste ich regelmäßig die Zeit kontrollieren. Eine gute halbe Stunde später war mein Meisterwerk dann fertig und serviert.

Eric und der Fahrer, Stan, schaufelten das Nudelgericht in sich rein, als gäbe es kein Morgen mehr, während ich gemächlich meine Portion aß. Das letzte Stück war sogar noch optisch sehr schön anzusehen. Ich war mir sicher, dass Dan es mögen würde, immerhin hatte ich ihn erst vor ein paar Wochen in einem Restaurant durch das Fenster gesehen, wie er sich ein Riesenstück Lasagne regelrecht in den Hals gestopft hatte.

Also packte ich den Rest auf einen Teller, packte eine Haube drauf und stellte es in den Kühlschrank. Wer wusste schon, wann er wieder aus seinem Koma aufwachen würde.

Ich plauderte noch etwas mit Eric und Stan. Eric war wirklich in Ordnung. Zwar ziemlich feucht hinter den Ohren, aber er hatte großes Potenzial. Das wusste ich, auch wenn ich es zu dem Zeitpunkt nicht hatte zugeben können. Stan musste schon bald gehen, was nur noch Eric und mich in der Küche zurückließ.

„Du spielst übrigens extrem gut“, sagte ich ihm, als sich Schweigen zwischen uns ausbreitete.

„Das klang heute Vormittag aber noch ganz anders.“

„Du weißt, dass du in keiner guten Position standest, weil gerade Dan dich mitgebracht hatte, nachdem er groß verkündet hatte, ich hätte freie Wahl, wen ich zum Schlagzeuger haben wollte. Ich mag es nicht, wenn man mir über den Mund fährt und noch weniger, wenn man mir meine Entscheidungen einfach so aus der Hand nimmt. Also, es tut mir leid, dass ich dich so runter geputzt habe, aber du hast dich trotzdem gut gehalten. Du hast Biss, das wird dich im Leben noch weit bringen.“ Daraufhin grinste er breit, weshalb ich theatralisch mit den Augen rollte, ihn dann jedoch anlächelte. Er strahlte eine Aura aus, wie sie meine Therapeuten hatten. Man konnte leicht mit ihm reden, aber ich wusste nicht, ob er meine Geheimnisse bewahren würde, immerhin war er praktisch ein Verbündeter von Dan, deshalb verriet ich lieber nicht zu viel von mir.

„Ich werde dann mal gehen. Ich muss noch an meiner Hausarbeit weiterarbeiten und morgen früh raus.“ Ich begleitete ihn noch zum Aufzug und verabschiedete ihn.

Nachdem ich dann effektiv alleine war, da Dornröschen seinen Schlummer noch immer fortführte, beschloss ich, mein Atelier einzurichten. Als erstes rollte ich die Plastikplanen aus, sodass der gesamte Boden bedeckt war. So musste ich mir keine Sorgen darüber machen, den Boden mit den Ölfarben zu ruinieren. Dann stellte ich die Staffeleien an verschiedenen Punkten des Raumes auf und stellte die erste Leere Leinwand auf. Die Lampen gaben ein sanftes und gleichmäßiges Licht im Raum ab, was es mir ermöglichen würde, auch nachts zu malen.

Ich füllte schnell Glens Futterschüsseln auf, da sie mir ständig um die Beine strich und ihre Klauen hinein schlug, als wären sie ihr Kratzbaum und säuberte gleich noch ihr Katzenklo, auch wenn es noch nicht wirklich nötig war.

Nachdem ich mich dann sauber gemacht und mir einen Kittel übergezogen hatte, der von jahrelangem Gebrauch schon ganz bunt war, drückte ich ein paar Kleckse Farbe aus verschiedenen Tuben auf eine Palette, legte mir auf einem Beistelltischchen, das ich auch gekauft hatte, meine Pinsel zurecht und begann, nach langer Zeit, mein erstes Bild in der neuen Wohnung zu malen.

Ich hatte etliche Rottöne gekauft, die ich dazu benutzen würde, um meine Alpträume festzuhalten. Ich hatte es in der Vergangenheit immer wieder versucht. Mit Bildern, mit Zeichnungen, doch nichts hatte wirklich gepasst. Ich erinnerte mich Glasklar an den Horror, meiner Kindheit, ich würde ihn niemals vergessen, doch ich war unfähig gewesen, ihm Ausdruck zu verleihen. Diesmal jedoch war ich zuversichtlich. Diesmal würde ich es schaffen. Wenn ich es geschafft hatte, würde ich alle Bilder verbrennen und das Grauen endlich hinter mir lassen, dass mich schon mein ganzes Leben lang begleitete.

Doch damit würde ich erst später anfangen. Jetzt war ich noch nicht bereit dazu. Nein, dieses Bild würde anders sein. Ich begann mit Kohle eine Skizze zu machen, korrigierte hier und da ein paar Linien, wenn es nötig war, bis ich zufrieden war.

Das Bild stand mir klar vor Augen. Ich sah es schon, seit drei Jahren genau vor mir, hatte es bisher aber nie zu Leinwand gebracht. Ein Junge mit unordentlichen Haaren, der auf dem Rand der Bühne saß, die Beine Baumeln ließ, mit seiner Gitarre in der Hand. Sein Blick war düster, voller Trauer und Hass. Er sah so menschlich aus, wie ich es noch nie zuvor gesehen hatte. Ich erinnerte mich genau daran, welche Kleidung er getragen hatte, welche Accessoires und wie seine Gitarre in seinem Griff ausgesehen hatte.

Damals hatte ich noch geglaubt, eine Verbindung zu diesem Jungen zu haben, nachdem ich seine Songs gehört hatte. Damals hatte ich geglaubt einen Gleichgesinnten gefunden zu haben. Ich hatte Dan seit drei Jahren nicht mehr so gesehen. Ich hatte zugesehen, wie sein Verhalten immer mehr zu einer Fassade wurde, wie er sich verschloss und wie kalt er wurde. Wie er mit den Menschen in seiner Umgebung spielte und ich hatte beschlossen, Abstand zu wahren. Er kannte Leid und Schmerz und doch hatte er sich in diese Richtung gewandt. Das war etwas, das ich nicht akzeptieren konnte.

Alles, was von Dan noch da war, waren seine Songs. In seinen Songs hörte ich noch ihn und nicht diese Fassade, die er allen bot. Aber ich würde ihm gegenüber niemals zugeben, dass ich seine Songs liebte. Ich wusste, dass er mir nur wehtun würde.

 

 

 

 

 

 Als ich schlagartig von einem Schrei aufwachte, war es stockdunkel. Ich versuchte auf zu springen, aber ich war in irgendetwas eingewickelt. Alles was ich sehen konnte war eine leuchtende Digitaluhr die fast drei Uhr morgens zeigte und da dämmerte es mir. Es war nicht Tessa gewesen die geschrien hatte sondern ich und wir steckten auch nicht in einem Autowrack fest. Ich saß in eine Decke gewickelt auf der Couch und die Gewissheit, nicht in diesem Albtraum gefangen zu sein, trieb mir die Tränen in die Augen. Schwer atmend kämpfte ich mich aus der Decke frei, warf diese auf die Couch zurück und taumelte zum Kühlschrank, wo ich mir eine Flasche Wasser heraus holte. Dem kratzen in meinem Hals nach, hatte ich nicht nur einmal geschrien. Verdammt und ich hatte gedacht, das würde irgendwann aufhören.

Mit zitternden Händen drehte ich die Flache auf und nahm einen Zug. Das schlucken tat beinahe weh, aber das kühle Wasser tat seine Wirkung. An die Arbeitsplatte lehnend und mich zu beruhigen versuchend nahm ich zwei weitere Schlucke und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht, die es gewagt hatten, mir aus den Augen zu treten und da bemerkte ich erst, dass Parker in der Türe stand. Sie beobachtete mich nur und ich wusste nicht was ich davon halten sollte. Kein Spott, kein Zank, sie wirkte von Grund auf neutral und das verunsicherte mich. Da ich nicht wusste, was ich hätte sagen sollen, bot ich ihr die Flasche an, stellte sie dann aber ab als ich merkte, dass meine Hände immer noch zitterten. Und da bemerkte ich, dass sie zögerte. Sie wollte gehen, aber etwas hielt sie fest und schließlich sprach sie sogar.

„Alles Okay?“

Sah ich denn aus, als wäre alles okay? Ich wollte, aber ich konnte gar nicht patzig werden. Stattdessen rieb ich mir erneut durchs Gesicht und zuckte mit den Schultern.

„Ich hab einfach... ich hatte nicht vor, so lange zu schlafen. Das tut mir nicht gut.“

„Tut dir nicht gut. Du hast geschrien wie am Spieß. Beim ersten mal dachte ich, jemand wäre hier eingestiegen.“

„Tut mir Leid, ich wollte dich nicht wecken.“

„Hast du nicht, ich war noch wach.“

Da sah sie betreten zu Boden und kreuzte die Arme vor der Brust, wobei ich erst jetzt bemerkte, dass sie eine Schürze trug die mit Farbe beschmiert war, ebenso wie ihre Hände. Malte sie etwa? Das konnte ich mir bei ihr gar nicht vorstellen.

„Ich könnte sagen, kommt nicht wieder vor, aber das wäre gelogen. Wenn du also schlafen willst, solltest du Ohrstöpsel tragen.“

Parker zuckte mit der Schulter und auch das wusste ich nicht, wie ich deuten sollte. War es ihr egal, oder kam sie ohne zurecht? Konnte sie nicht einfach reden.

„Kannst du nicht reden wie jeder normale Mensch auch? Du bist die reinste Katastrophe.“

Überrascht zog sie die Augenbrauen hoch und stieß dann ein kurzes Lachen aus.

„Das sollte ich von dir behaupten, immerhin bist du derjenige, der die halbe Nacht schreit. Was kann für dich schon so schlimm sein, sind dir deine Groupies weg gelaufen? Sei ehrlich, was könnte dich sonst so sehr plagen?“

Tat sie das grade wirklich?

„Weißt du was Parker, vergiss einfach das ich mit dir reden wollte und geh zurück mit deinem Malkasten spielen.“

Ich wollte an an ihr vorbei, mich in einen der unzähligen Räume flüchten, da packte sie mich am Arm und hielt mich zurück.

„Für wen hältst du dich eigentlich? Du bist kein Heiliger, auch wenn dich die kleinen Mädchen mit ihren feuchten Schlüpfern in den Himmel heben würden!“

„Das hab ich auch nie behauptet oder? Ich bin ein Mensch mit Gefühlen und Problemen ebenso wie du, wobei ich offen zugeben kann, dass ich kurz davor stehe daran zu Grunde zu gehen, nur wenn ich dich ansehe. Kannst du das gleiche von dir behaupten?“

Ihr kurzes schweigen nutzte ich sofort aus und riss mich von ihr los, wobei mir das „Wie kam ich auf die Idee dich mit ihr zu vergleichen“ nur aus Versehen heraus rutschte. Ich hoffte inständig, dass sie es nicht gehört hatte, befürchtete aber das Schlimmste.

Ohne auf ihre Reaktion zu warten marschierte ich davon und wusste erst wo ich hin wollte, als ich an dem Probenraum vorbei kam. Der kam grade recht. Wo konnte man besser Luft ablassen, als dort. Ich riss die Türe mit Schwung auf und knallte sie mit ebenso viel wieder zu, wobei ich nicht umhin kam, mit der Faust dagegen zu donnern und zu schreien. Erst als meine bereits angeraute Kehle zu schmerzen begann, schnappte ich mir eine der E-Gitarren die zur Verfügung standen und ließ meinen ganzen Frust daran aus. Die Lautstärke bis aufs Maximum aufgedreht kapselte ich mich so vollkommen von der Außenwelt ab. Alles was ich fühlte und alles was ich dachte ließ ich durch die Saiten frei, in der Hoffnung mich danach besser zu fühlen.

 

 

 

Ich spielte immer noch, als Coleman meine eigene kleine Welt betrat und mir den Stecker zog. Ich hatte ihn nicht kommen sehen, wusste also nicht wie lange er mir schon zugehört hatte und deswegen flog mein Kopf zu ihm herum, als die Töne von jetzt auf gleich verklangen. Sein mitfühlendes Lächeln verriet mir, dass Parker ihm das Geschehen der letzten Nacht erzählt haben musste.

„Sparen sie es sich, ich will ihre mitleidigen Blicke nicht. Weder ihre, noch die von Parker oder sonst wem. Sagen sie, was sie wollen oder verschwinden sie.“

„Ich habe das Handy, das du haben wolltest.“

Um seine Worte zu unterstreichen winkte er mir damit zu und kam dann zu mir rüber.

„Sehr gut.“

Coleman reichte es mir, hielt es jedoch fest und schielte stattdessen auf die unzähligen Blätter, die ich in den vergangenen Stunden mit Noten und Texten beschmiert hatte.

„Wow, du warst ja ganz schön produktiv. Irgendetwas brauchbares dabei?“

„Vielleicht.“ war das einzige was ich sagte und zog ihm das Handy aus der Hand, um gleich Chase' sowie Eric's Nummer einzuspeichern. Dabei wunderte es mich nicht, dass bereits unter anderem die von Coleman, die des Studios sowie die von Parker und die der beiden Tontechniker eingespeichert waren. Dummerweise hätte ich mich auf Coleman konzentrieren sollen, denn der hatte sich in der Zwischenzeit meine Blätter geschnappt und blätterte sie im fortgehen durch. Ich sprang gleich auf und eilte ihm hinterher, aber da hatte er schon ein paar herausgepickt und las deren Titel vor. Unter anderem auch die, die gar nicht für seine Augen bestimmt waren.

„Song for Tessa. Der Name kommt ganz schön häufig vor, ist sie deine Schwester?“

„Das geht sie nichts an.“

„Also war sie deine Freundin. War sie vor ein paar Tagen da, an dem Abend als ich euch gesehen habe?“

„Ich hab gesagt, das geht sie nichts an. Geben sie die her, die sind nicht für die Öffentlichkeit.“

Ich hielt die Hand fordernd auf, doch anstatt sie mir zu geben, las er sich einfach weiter die Texte durch.

„Du schreibst die ganze Zeit nur, dass es dir Leid tut, dass alles nur ein Unfall war. Aber was ist passiert? Wie geht die Geschichte weiter?“

Ich konnte es in meinem Kopf klicken hören und da gingen bei mir die Sicherungen durch.

„Sie machen keine Story daraus. Und jetzt geben sie mir meine Blätter wieder.“

„Hab dich nicht so Dan. Ich will doch keine Story daraus machen, mich interessiert nur, was passiert ist. Das ist ein Teil, der dich und deine Musik ausmacht.“

„Das geht sie nichts an. Geben sie mir meine Blätter.“

Mit mehr Wut in der Stimme und jedes Wort einzeln betonend hielt ich immer noch die Hand auf, doch er lächelte immer noch nur.

„Glaubst du nicht, deine Fans würde es interessieren, wieso du solche Texte schreibst? Wie du es schaffst, solche Texte zu schreiben, ohne dass sie gekünstelt wirken?“ Das reichte. Ich packte mir Coleman am Kragen, was er nicht erwartet hatte und stieß ihn rücklings gegen die nächstbeste Wand.

„Ich sagte das geht sie nichts an! Ich weiß wie das abläuft und sie werden dieses Mädchen nicht in diese Lovestory einbinden, die sie für Parker und mich planen. Und streiten sie es gar nicht erst ab, das ist mehr als offensichtlich. Schreiben sie was sie wollen oder stecken sie mich ins Adamskostüm und posten Fotos davon, aber dieses Mädchen kriegen sie nicht! Ich will ihren Namen nirgendwo lesen, sie wird nicht mit einem Wort erwähnt, klar?!“

Endlich bröckelte seine Fassade und ich hoffte sogar, Panik in seinem Blick zu erkennen.

„Und das will ich schriftlich. Wissen sie was, machen sie sich nicht die Mühe, ich setze das Schriftstück selbst auf, sie brauchen nur unterschreiben.“

„Dan bitte. Können wir nicht-“

„Nein können wir nicht! Dieses Mädchen existiert für sie nicht, verstanden?!“

Hilfesuchend blickte er über meine Schulter und nickte dann nur zaghaft. Ich wusste dass Parker dort stehen musste, aber mir war grade herzlich egal, wie viel sie mitbekommen hatte. Früher oder später hätte sie ohnehin von Tessa erfahren, wenn sie das nicht schon hatte. Ich wusste schließlich, dass ich im Schlaf ihren Namen schrie.

Mit einem Stoß ließ ich Coleman los und entfernte mich einige Schritte von ihm, um ihn nicht wieder zu packen, wenn er doch wieder davon anfing. Er konnte hartnäckig sein, wenn er etwas wollte, so viel wusste ich schon von ihm.

„Wollten sie sonst noch etwas?“

Sich seinen Anzug richtend richtete sich Coleman wieder auf und machte weiter, als hätte ich ihm nicht grade gedroht. Ob das nun bedeutete, dass er mit dem Thema abgeschlossen hatte oder das grade nicht der Fall war, wusste ich nicht genau, aber das würde ich schon heraus finden.

„Die fleißigen Songwriter haben ein paar Songs gezaubert und wir lassen euch die Wahl, welchen ihr davon als erstes in Angriff nehmen wollt. Ihr müsst euch natürlich nicht sofort entscheiden. Geht sie durch und wählt einen aus, meinetwegen auch mehrere.

Außerdem bin ich hier, um einen festen Zeitplan anzulegen. Ich denke dass wir alle der Meinung sind, dass gestern nicht so gut gelaufen ist. Natürlich wart ihr klasse, keine Frage, aber alles drum herum, bedarf noch einiger Absprache. Über die Bandbesetzung müssen wir uns ja nun nicht mehr unterhalten, aber die Organisation. Wann, wie lange, Ablauf, Ziele, das sind alles Fragen, die wir klären müssen.“

Mit einem Blick auf Parker, deutete ich in Richtung Wohnzimmer.

„Nach euch, ich komme gleich nach.“

Coleman meine Blätter quasi aus der Hand reißend stapfte ich davon, um genau diese vor aller Augen zu verstecken. Ich hatte zwar keinen Tresor, aber das würde mich nicht davon abhalten, sie in meinem Zimmer einzuschließen. Ich verstaute sie vorerst im Schrank unter meiner Tasche, knallte diesen zu ebenso wie die Zimmertür, verriegelte diese dann und gesellte mich zu den anderen ins Wohnzimmer. Ich hoffte nur, dass Coleman sich nicht zu viel heraus nahm. Davor hatte ich momentan mehr Angst, als vor allem was Parker anstellen konnte.

10

„Wie kam ich auf die Idee, dich mit ihr zu vergleichen.“ Immer und immer wieder wiederholte sich dieser Satz in meinen Gedanken, während ich betäubt vor der Leinwand mit dem halb angefangenen Bild von Dan stand und dumpf darauf starrte. Ich hatte bereits seinen Oberkörper und die Arme mit Farbe und Leben gefüllt. Ich hatte mit der Gitarre anfangen wollen, als ich ihn zum x-ten Mal im Schlaf hatte schreien hören. Jedes einzelne Mal war ich ins Wohnzimmer gestürmt und hatte nach ihm gesehen. Doch er wälzte sich nur unruhig hin und her und schlief weiter. Ich wusste nicht, ob ich ihn hätte wecken sollen.

Ich hatte mich wieder einmal vergewissern wollen, dass alles in Ordnung war, doch er war aufgewacht. Ich wusste, dass er verwundbar war und noch immer mit seinen Alpträumen kämpfte, darum hatte ich nicht schon wieder einen Streit vom Zaun brechen wollen, doch das war gründlich in die Hose gegangen.

Als er diesen letzten Satz gemurmelt und mich stehen gelassen hatte, hatte es das Fass zum Überlaufen gebracht. Ich hatte mich in meinem Atelier eingeschlossen und geweint. Ich konnte vieles ertragen, doch das nicht. Jetzt wusste ich zumindest, was für ein Problem er mit mir hatte. Ich war nicht, wer ich in seinen Augen hätte sein sollen und das konnte ich nicht ertragen. Er verglich mich mit einer Person, die ich nicht kannte, deren Namen ich nur kannte, weil er ihn in seinem Schlaf immer und immer wieder schrie.

Er sah nicht mich. Er sah eine ungeformte, mangelhafte Frau, die ein Ideal nicht erfüllte, das er ständig vor Augen hatte. Das konnte ich nicht verzeihen.

Nun stand ich hier und wollte schreien und toben, wollte sein Bild zerfetzen und ihn ausweiden, doch das alles spielte sich nur in meinem Kopf ab. Mein Körper fühlte sich taub an und mein Inneres leer, wie nie zuvor.

Ich atmete tief ein und aus, füllte meine Lungen mit dem Geruch der Ölfarbe und erinnerte mich daran, später den Raum auszulüften. Dann packte ich die Leinwand und feuerte sie in eine Ecke des Ateliers.

Hatte Dan mich schon immer mit Tessa verglichen, wer auch immer das sein mochte? Ging das schon seit drei Jahren so? Was erwartete er überhaupt von mir?

Ich würde mich ganz sicher nicht verbiegen, nur damit er seinen Seelenfrieden fand. Er war noch nicht einmal annähernd nahe dran. Wenn er glaubte, es alleine bewältigen zu können, dann war er eindeutig schief gewickelt.

Ich würde dem Idioten schon noch den Kopf zurecht rücken und wenn es das Letzte war, was ich tat.

 

Als Frank mein Atelier betrat, lag ich gerade auf dem Boden, noch immer in meinem Kittel und starrte an die Decke. Mein Plan stand fest. Er beugte sich über mich und sah mich lächelnd an und hielt das halbfertige Bild von Dan hoch.

„Das hätten Sie nicht aufheben brauchen. Ich werde es nicht fertig machen.“

„Aber es ist unglaublich gut. Du hast Dan auf eine Weise getroffen, wie man sie nur in seinen Songs hört. Man merkt, dass du ihn besser kennst, als man meinen könnte.“

„Tja, der Trottel scheint mich aber nicht zu kennen. Er vergleicht mich mit einem Ideal, das ich in seinen Augen niemals erreichen werde.“ Ich erzählte ihm, was letzte Nacht vorgefallen war. Ich sah auch das Blitzen in seinen Augen.

„Lass das mal lieber sein, Frank. Egal, was du grade ausheckst, es wird nach hinten los gehen.“

„Einen Versuch ist es wert“, erwiderte er lächelnd. „Wie dem auch sei, ich bin gekommen, um mit euch den zukünftigen Ablauf eures Lebens zu besprechen. Gestern war ja nicht so prickelnd.“

„Dann holst du aber Dan. Ich mach das ganz sicher nicht. Er ist im Probenraum und hat ihn wohl mittlerweile zerspielt.“ Damit verließ Frank den Raum. Mit meinem Bild. Bevor ich mich jedoch aufgerappelt hatte und ihm hinterher gelaufen war, hörte ich schon den Krach aus dem Probenraum. Ich suchte die Wohnung nach dem Bild ab, konnte es aber nirgends finden. Wo zum Teufel hatte er es hingepackt?

Als ich es rummsen hörte, eilte ich zum Probenraum, um Frank an die Wand gepinnt mit panischem Blick vorzufinden. Dan hatte einen völlig wahnsinnigen Blick in den Augen und bedrohte unseren Manager auf eine Weise, wie ich es nie von ihm erwartet hätte. Als Frank zu mir herüber sah, schüttelte ich langsam den Kopf, sodass er sich schnell geschlagen gab. Er hätte keine Chance gegen Dan gehabt.

Nachdem die Situation sich einigermaßen deeskaliert hatte, wartete unser ziemlich dummer Manager mit mir im Wohnzimmer auf unseren ziemlich aggressiven Gitarristen und Vocalisten.

„Wo ist mein Bild?“, fragte ich ihn zischend.

„Welches Bild?“ Seine Miene war die reinste Unschuld und ich knirschte mit den Zähnen. Eines Tages würde ich ihn erwürgen, das schwor ich mir.

„Egal. Dan hat Probleme und er wird offensichtlich nicht alleine damit fertig. Ich will, dass er meinen Therapeuten aufsucht.“

„Du weiß, dass er das niemals freiwillig tun würde, Lenne.“

„Dann muss er es eben nicht wissen, bis es soweit ist. Spiel einfach mit.“ Und da kam unser Teufel schon.

Mürrisch ließ er sich uns gegenüber auf einen Sessel fallen, verschränkte die Arme und wartete.

„Also“, begann Frank, „es wird generell so aussehen, dass ihr mit eurer neuen Besatzung regelmäßig proben werdet.“ Er legte uns einen Zeitplan vor. „Wir haben Glück, dass Eric dieses Semester nicht so viele Kurse belegt, sodass wir nur Montagvormittag und Donnerstagnachmittag nicht proben können. Ansonsten geht es um neun los und endet um sechs am Abend. Sonntag ist euer freier Tag und gelegentlich für Liveauftritte reserviert und Mittwoch probt ihr nur bis zwei am frühen Nachmittag, damit Lenne zu ihrem Termin kann.“

„Was für ein Termin soll das bitte sein?!“, knurrte Dan. Er war eindeutig im Kratzbürstenmodus. „Ich hoffe für dich, dass du keine Scheiße ausfrisst, Parker, weil das in unsere Probenzeit einschneidet! Lass es sausen, es kann ja wohl nicht so wichtig sein!“ Mit verengten Augen sah ich ihn emotionslos an. Wenn er es weiter so trieb, würde ich ihn mit einem der Küchenmesser ausnehmen, wie einen Fisch.

„Wenn du es unbedingt wissen willst, dann komm nächsten Mittwoch einfach mit und sieh selbst, wie wichtig es ist.“ Daraufhin schnaubte er nur.

„Das ist eine ausgezeichnete Idee!“, sprang Frank ein. „Das dürfte euch beiden weiterhelfen, euch besser zu vertragen und der Rest der Crew muss nicht drunter leiden.“ Damit war es beschlossene Sache.

 

Der Mittwoch kam schnell. Unsere neue Keyboarderin, Ella, war einsame Spitze. Ich mochte sie auf Anhieb. Als ich sie am Donnerstag noch einmal sah und anständig vorgestellt bekam, nahm sie mich kurz zur Seite, drückte mir die Hand fest und gratulierte mir, wie ich Dan Paroli geboten hatte.

Wie ich heraus fand, war sie eher auf Grundge als auf Goth getrimmt, auch wenn sie den Klamottenstil von beidem mochte. Dan hatte Recht gehabt, als er gesagt hatte, dass sie absolut nicht singen konnte, doch an den Tasten konnte sie keiner toppen. Sie fügte sich wunderbar in unsere lustige Runde ein und schien sich ganz besonders gut mit Eric zu vertragen.

Unsere Proben liefen generell recht harmonisch ab. Dan und ich lernten, unsere Reibereien außerhalb der kleinen Aufnahmekabine auszufechten, sodass die Stimmung beim Spielen immer ziemlich gut war. Aus einem Haufen wirklich mieser Songs pickten wir uns einen heraus und terrorisierten Frank so lange, bis wir ihn umschreiben und umkomponieren konnten. Die Basis war gut, aber insgesamt war er nicht mehr als mittelmäßig gewesen.

Der Mittwoch war relativ entspannt. Wir absolvierten unsere übliche Probenroutine und quatschten miteinander. Ich kam sehr gut mit Ella aus und alberte sogar mit ihr öfter rum, was dazu führte, dass Dan mich mit hängendem Kiefer anstarrte und ich ihm den Mittelfinger zeigte. Wir gingen einander schon eine ganze Woche aus dem Weg.

Zuhause sprachen wir kaum miteinander und wenn, dann ging es nur um praktikable Dinge. Er war immer noch sehr gereizt, doch ich hatte mich mittlerweile einem geschäftsmäßigerem Auftritt zugewandt. Ich würde keine Gefühle und Energie an mich verschwenden, wenn ihm eh nichts passte, was ich tat.

Also liefen unsere Interaktionen recht kühl ab. Die einzigen Augenblicke, in denen wir uns richtig verstanden, waren die, in denen wir miteinander spielten. Musik war die einzige Ebene, auf der wir scheinbar kommunizieren konnten.

Nachdem die Proben geendet hatten, holte Stan mich und Dan vom Raum ab. Er sollte dafür Sorgen, dass Dan an Ort und Stelle blieb, solange ich meine halbe Stunde absolvierte und das notfalls auch mit Gewalt. Ich würde den Sturkopf schon dazu bringen, sich Hilfe zu nehmen. Wenn er erst einmal Doc Maverick begegnet war, würde er sich schon therapieren lassen. Was war schon so schwer daran, einmal die Woche hinzugehen und sich alles von der Seele zu reden?

Als wir an der Praxis ankamen, bemerkte ich, wie Dan steif wurde, als er das goldene Schild las und Stan rückte näher an ihn heran, um ihn festhalten zu können, sollte der Idiot auf die Idee kommen, abhauen zu wollen.

Das Mädchen am Empfang grüßte uns und bedeutete uns, uns ins Wartezimmer zu setzen. Doc wusste, dass ich mir die Stunde teilen würde. Ich hatte ihm alles am Telefon erklärt, nachdem ich mein Handy endlich wiedergefunden hatte.

Erst als wir saßen und Dan zappelig wurde, ließ ich Gnade walten und erzählte ihm, weshalb wir hier waren.

„Wie du siehst, Dan, bin ich in Therapie und das schon seit einigen Jahren. Ich bin neu bei Doc Maverick und wurde von Doc Harrison hier her überwiesen. Die beiden sind echt prima Leute und wissen um ihr Handwerk.“

„Schön und warum musstest du mich unbedingt hierher mitschleppen?“, kam es patzig zurück.

„Weil ich so freundlich sein werde und meine Stunde mit dir teile. Ich will dass du nach mir reingehst und mal mit dem Doc sprichst und mal Dampf ablässt bei jemand anderem als deinen Songs.“

„Du spinnst doch! So was hab ich nicht nötig!“

„Sagt der Spinner, der kaum schläft, ständig schlecht gelaunt ist und nachts schreit, wenn er denn mal schläft. Fang an, damit klar zu kommen oder ich steige aus dem Projekt aus. Ich lasse mir ja viel gefallen, aber wenn du dich nicht bald einkriegst, werde ich dich sitzen lassen.“

„Du miese, kleine-“ Bevor er den Satz beenden konnte, kam mein Name aus dem Lautsprecher gedröhnt und ich ging davon und überließ Stan die Aufgabe, den Idioten im Zaum zu halten.

„Lenneth, schön, dass du da bist“, begrüße Maverick mich.

„Hi, Doc.“

„Hast du ihn mitgebracht?“

„Ja, er ist im Wartezimmer und wir haben unseren bulligen Fahrer mit, der aufpasst, dass er nicht wegläuft“, antwortete ich, als ich mich setzte.

„Du weißt, das er sich freiwillig therapieren lassen muss, um eine Wirkung zu erzielen.“

„Ach was, er ist ein Idiot, der nicht weiß, was gut für ihn ist. Wenn er mal mit Ihnen gesprochen hat, wird er schon merken, dass er Ihre Hilfe braucht, um mit seinem Problem, was auch immer es ist, fertig zu werden.“

„Wenn du meinst. Wie war deine Woche?“ So erzählte ich ihm von der Band, den Proben und den Reiberein mit Dan. Vor allem die Sache mit Tessa ließ mich nicht los, darum ging ich darauf genauer ein.

„Wie soll ich mit ihm zusammenarbeiten, wenn er etwas von mir erwartet, das niemals kommen wird?“, schloss ich mein Dilemma ab.

„Hmmm, ich sehe schon, das ist eine komplizierte Sache. Ihr habt ziemliche Kommunikationsprobleme, zudem seit ihr beide von eurem Leben sehr angeschlagen. Ich sehe schon, warum du ihn mitgebracht hast.

Ich fürchte, dieses Problem wird sich erst lösen lassen, wenn Dan einige Fortschritte gemacht hat und frei mit dir darüber sprechen kann. Das wird dauern, Monate vielleicht sogar Jahre. Wärst du bereit, es solange auszuhalten?“

„Ich weiß es nicht. Immer wenn wir aneinander geraten, tritt er mir einmal mehr in den Magen. Ich habe in den letzten Wochen öfter geweint, als in den letzten drei Jahren!“

„Er löst Gefühle bei dir aus.“

„Klar, er treibt mich zur Weißglut und ich will ihn regelmäßig ausweiden.“ Doc schüttelte den Kopf.

„Es ist mehr als das. Du hast mir doch von dem Bild erzählt. Das bedeutet, dass du dich ihm verbundener fühlst, als jedem anderen, wenn du sagst, dass du eigentlich keine Menschen malst.“ Ich kaute auf meiner Lippe rum und überlegte eine Weile.

„Mag sein. Aber es ist Zeitverschwendung. Ich möchte einfach nur, dass er aufhört, mich mit jemand anderem zu vergleichen. Ich musste mir mein Leben lang schon anhören, dass ich lieber ein Junge hätte sein sollen, dass ich doch mehr wie andere Kinder sein sollte. Warum glauben sie denn, dass ich bis zu meinem 16. Lebensjahr von einer Pflegefamilie zur anderen gewandert bin? Ich kann es einfach nicht mehr hören.“

„Andererseits weißt du genau, wer du bist und wer du sein möchtest. Das ist in deinem Alter bemerkenswert. Du bist auf dem richtigen Weg und solltest dich an dieser Sache nicht zu sehr stören. Dass du dich an ihr störst, bedeutet aber doch, dass du von Dan etwas erwartest. Was meinst du, was das ist?“

„Ich weiß nicht. Vermutlich, dass er anfängt, mich zu sehen. Mich ein wenig zu verstehen und meine Versuche, auf ihn zuzugehen, nicht immer in den Wind schlägt. Ich will mich mit ihm gut vertragen, weil ich... weil ich seine Musik liebe. Er weiß, wovon er da singt und er tut es mit Leidenschaft. Seine Musik ist echt. Ich hatte immer gedacht, dass wir einander verstehen würde, aber...“ Ich ließ den Satz schulterzuckend offen. So diskutierte ich mit Doc Maverick hin und her, bis meine Hälfte der Zeit um war und ich Dan rein schicken konnte.

 

 

 

 

 Verdammte Scheiße! Hätte ich gewusst, wo sie jeden Mittwoch hinging, hätte ich sie nie soweit provoziert, mich hierher mit zu bringen. Aber meine Neugierde hatte einfach überwogen und erzählt hätte sie es nie im Leben. Und jetzt saß Stan neben mir und sorgte dafür, dass ich nicht weg kam. Was, wollten sie mich mit Gewalt dort hinein zwingen, wenn ich nicht kuschte? Na ja, ich würde dem Doc erzählen was er hören wollte und dann wieder gehen und nie wieder kommen. Das war mein ursprünglicher Plan. Und dann kam es doch anders, aber tat es das nicht jedes mal?

Als Parker heraus kam, sah sie so begeistert aus, wie ich sie nur während der Proben erlebt hatte. Dann wurde ich aufgerufen und ich war mir sicher, wäre ich nicht freiwillig gegangen, Stan hätte mich hinein gezerrt. In Zukunft würde ich wohl einen gewissen Abstand zu ihm wahren. Drinnen erwartete mich ein Mann Mitte fünfzig mit einem einnehmendem Lächeln, dass jeden anderen wohl schon weich gekocht hatte, bevor er auch nur ein Wort gesagt hatte, doch mich bekam er damit nicht herum.

„Dan, schon dich kennen zu lernen. Setz dich doch.“

Ich setzte gleich zum Widerspruch an, nahm aber trotzdem in einem Sessel ihm gegenüber platz.

„Hören sie, das ist alles ein Missverständnis, ich sollte gar nicht hier sein. Ich habe keine Ahnung was Parker ihnen erzählt hat, aber sie hat mich gelinkt um mich hier her zu kriegen, außerdem brauche ich keine Therapie.“

„Du nennst sie Parker, wieso?“

Steileinstieg ohne um den heißen Brei herum reden. Gut, erzählte ich ihm, was er wissen wollte.

„Weil ich so den Abstand wahren kann, wobei ich bezweifle, dass das noch lange funktioniert.“

„So, und wieso willst du sie auf Abstand halten? Hat sie dir etwas getan, etwas gesagt, was dich stört?“

„Sie ist einfach sie. Eigentlich ist auch nicht sie das Problem, sondern ich. Sie kann nichts dafür, aber wenn ich sie ansehe, erinnert sie mich an jemanden, ob ich das nun will oder nicht.“

„Du nimmst sie grade in Schutz, ist dir das bewusst?“

„Hören sie, ich kann mir gut vorstellen, was sie ihnen von mir erzählt hat, aber ich bin nicht annähernd so ein Arschloch wie sie behauptet und das wüsste sie, wenn sie die Augen auf machen würde. Ich hab versucht nett zu ihr zu sein, es ist nicht meine Schuld, wenn sie das nicht sieht.“

„Wieso glaubst du, dass sie das nicht wahrnimmt?“

„Weil ich zwei Augen im Kopf habe, ich sehe wenn jemand die Dinge annimmt und wenn nicht.“

„Okay. Gut, ich will etwas tiefer greifen. Erzähl mir, was der Name Tessa in dir auslöst.“

Mit einem Mal, hatte ich meine Gelassenheit verloren und war in eine Starre verfallen.

„Sie hatte kein Recht, ihnen davon zu erzählen, das ist privat.“

„Lenne hat mir erzählt, dass du in der Nacht diesen Namen schreist, es ist nicht zu überhören, sie wird wach davon Dan, damit ist es nicht persönlich.“

Mit einem Satz flog ich aus dem Sessel und tigerte im Zimmer auf und ab.

„Sie hatte kein Recht dazu.“

„Ich verstehe, dass dich das aufbringt, aber sie hat sich Sorgen deswegen gemacht.“

„Ach ja?!“

Irgendwie war das das einzige, was mir darauf einfiel. Sie hatte sich also Sorgen gemacht ja? Worüber, dass ich sie so anging wie Coleman vor einer Woche?

„Ja, das ist der Grund wieso sie wollte, dass du her kommst. Bitte setz dich Darian.“

Ich spürte wie Dr. Maverick mich in seinen Bann zog, während er auf mich einredete und plötzlich konnte ich mich nicht mehr dagegen wehren und setzte mich.

„Sie will, dass es dir besser geht, deswegen hat sie darauf bestanden ihre Stunde mit dir zu teilen. Sie hätte das nicht machen müssen weißt du?“

Natürlich wusste ich das, ich war ja nicht doof.

„Wieso sollte sie das tun, sie kann mich nicht ausstehen?“

„Ich weiß es nicht, sag du es mir. Was ist mit Tessa, was ist passiert, dass es dich so von innen heraus auffrisst?“

„Es frisst mich überhaupt nicht auf.“

Und das war eine glatte Lüge.

„Es zerstört dich Dan, man sieht es dir an. Du schläfst nicht genug, du schreist im schlaf, immer. Was willst du noch als Beweis?“

Es gab keine besseren Beweise, Punkt. Ich wusste das, er wusste das, wieso sollte ich es also leugnen.

„Ich kann mich nicht dagegen wehren. Ich sehe sie immer vor mir. Immer wenn ich schlafe, manchmal auch wenn ich wach bin. Vor allem wenn ich Parker ins Gesicht sehe.“

„Tessa.“

Es war keine Frage, sondern eine simple Feststellung.

„Können sie sich vorstellen wie es ist, wenn man jemanden verliert, den man liebt und Schuld daran ist?“

Ich sah ihn mit zusammengebissenen Zähnen an und spürte, wie er mir bis auf die Seele blickte. Er sah den ganzen Schmerz, ohne das ich ihm davon erzählen musste. Augenblicklich fühlte ich mich nackt.

„Nein, kann ich nicht. Erzähl mir davon, damit ich es verstehe.“

Ohne es zu wollen, kehrte ich an diesen Tag zurück, mit offenen Augen saß ich da, aber sah nichts, als die schwärze der Nacht.

„Ich war mit meinem Freund Chase unterwegs gewesen. Wir saßen im Auto, waren gut drauf, weil wir grade von einer Party kamen. Sicher, ich war dumm, mich alkoholisiert hinters Steuer zu setzen. Ich wusste das.

Dann rief mein Vater an. Schrie mich durch das Telefon an, ich solle gefälligst nach hause kommen. Ich war genervt, ergab mich aber meinem Schicksal, also fuhr ich Chase heim und dann nach hause. Ich hatte das Auto noch nicht ganz abgestellt, da kam er heraus gestürmt. Er sah mich an und wusste direkt, dass ich was getrunken hatte, daraufhin schlug er mir an den Hinterkopf, einmal, zweimal. Er brüllte mich an, wie dumm und leichtsinnig das wäre, ob ich denn überhaupt zu etwas zu gebrauchen sei. 'Mach das du ins Haus kommst, bevor ich mich vollends vergesse, du Taugenichts.' schrie er. Ich widersprach ihm, mein Stolz war verletzt, weil er mich dumm nannte. Damals gab ich eine Menge Wert auf meine Intelligenz, weil sie das einzige war, was mir blieb, zusammen mit der Musik. Das er das regelmäßig schlecht machte hatte mir noch nie gepasst, aber jetzt ging es mir endgültig gegen den Strich. Ich schlug ihm mit der Faust ins Gesicht und schrie zurück, er solle mich in Ruhe lassen, er könne mich mal. Ich hatte ihm gegenüber noch nie so die Beherrschung verloren, aber der Alkohol machte mich mutig.

Wutentbrannte setzte ich mich zurück ins Auto und raste davon. Während der fahrt rief ich sie an. Ich sagte ihr, dass ich weg wollte, endgültig abhauen und alles hinter mit lassen. Als ich bei ihr ankam, stand sie voll bekleidet vor der Tür, mit einer Tasche in der Hand. Als ich ausstieg und auf sie zu ging, kam sie mir entgegen gelaufen und fiel mir in die Arme. Sie brauchte Trost, obwohl eigentlich ich derjenige war, der getröstet werden musste. Sie schlag mir die Arme um den Hals, schmiegte sich an mich und schluchzte mir ins Ohr. Sie hatte Angst um mich gehabt, sie hatte gewusst, dass ich mit Chase unterwegs gewesen war und gewusst, dass wir etwas getrunken hatten. Sie hatte Angst gehabt, weil ich mich wirklich trotz Alkohol hinters Steuer gesetzt hatte.

Ich hielt sie fest, bis sie sich wieder beruhigt hatte und wollte dann nach ihrer Tasche greifen, um sie ins Auto zu werfen. Da schrie auch sie mich an, ich wäre ja wahnsinnig mich so wütend und alkoholisiert wie ich war wieder ins Auto zu setzen. Ich sagte ihr, ich sei bisher auch gefahren und es wäre nichts passiert, aber sie versuchte mich trotzdem davon ab zu bringen. Sie weinte und sagte wir könnten auch morgen davon laufen, wenn ich meinen Rausch ausgeschlafen hatte, aber ich war zornig und egoistisch und ich wollte so schnell wie möglich weg, der Alkohol vernebelte mir so das Hirn, dass ich sogar ohne sie gefahren wäre. Bei klarem Verstand hätte ich das nie getan.

Mich auch von ihr verraten fühlend setzte ich mich wieder in den Wagen und startete ihn, als plötzlich die Beifahrertür aufging, sie ihre Tasche auf den Rücksitz warf und sich auf den Beifahrersitz fallen ließ. 'Wenn du einen Unfall baust und dir etwas passiert, mache ich dir die Hölle heiß!'. Das sagte sie und schnallte sich an. Damals machte mich das sauer, weil sie meine Fahrkünste unterschätzte, heute würde ich sie strafen, weil sie sich zu mir ins Auto gesetzt hatte. Sie setzte sich zu mir ins Auto und unterschrieb damit ihr Todesurteil und doch dachte sie nicht einmal daran, dass ihr etwas passieren könnte. Sie machte sich nur um mich Sorgen. Ich hatte sie überhaupt nicht verdient.“

Eine ganze Weile schwiegen wir. Mir rann eine Träne nach der anderen übers Gesicht, während der Doktor nur auf seine verschränkten Hände sah und darauf wartete, dass ich weiter erzählte. Ich brauchte viel zu lange, um mich wieder zu fassen und die Geschichte wieder auf zu nehmen.

„Ich war so wütend, weil sie mir die ganze Zeit versuchte, ins Gewissen zu reden. Ununterbrochen sagte sie, ich solle anhalten, umkehren, mit meinem Vater reden. Aber das wollte ich alles nicht hören. Stattdessen fuhr ich nur noch schneller und schrie sie an, sie solle ruhig sein oder aussteigen und dann ging alles so schnell. Im ersten Moment schrie sie noch, ich sollte aufpassen und im zweiten war ich schon über die rote Ampel geschossen. Im dritten wurde mir das bewusst, aber da war es schon zu spät. Ich hatte jemandem die Vorfahrt genommen und der preschte uns voll in die Seite. Der Wagen war so in der Beifahrerseite verkeilt, dass wir nicht einmal die Gelegenheit dazu bekamen, uns zu überschlagen. Ich brauchte einen Moment, bis ich die Augen wieder öffnen konnte. Ich wünschte ich hätte es nicht getan, denn der Blick auf die Beifahrerseite hat sich so festgebrannt, dass ich ihn nie wieder vergessen werde. Tessa war fast bis zu mir herüber gepresst worden, ihr Kopf lag auf meiner Schulter. Es war eine einzige Masse aus Körper und Metall. Durch das Beifahrerfenster sah ich den Fahrer des anderen Wagens. Der Airbag hatte ihn aufgefangen, er war benommen und schien in einen Schock zu verfallen, als er zu uns herüber sah. Ich versuchte mir vorzustellen, was er sah und erst da realisierte ich das ganze. Ich versuchte verzweifelt Tessa mit der Schulter auf der ihr Kopf lag wach zu rütteln, aber sie regte sich nicht. Konnte sie nicht. Ich meinte sie noch wimmern zu hören, also flehte ich sie an, bei mir zu bleiben, nicht zu sterben und immer wieder hallten ihre Worte in meinem Kopf wieder. 'Wenn du einen Unfall baust...'. Sie hatte ihr Leben in meine Hände gelegt und ich hab es aus Wut aufs Spiel gesetzt und verloren. Ich hab sie verloren. Und ich bin es selber Schuld. Weil ich ein Egoist war, weil ich erst im Nachhinein verstand, was ich getan hatte. Was für ein Idiot ich war. Ich begriff erst im Nachhinein was ich da angerichtet hatte. Diese Mädchen hat mich so abgöttisch geliebt und ich hab sie so leichtfertig in Gefahr gebracht. Ich hab sie Auf dem Gewissen. Ich-“

Mein Blick ging ins leere und einen Moment wusste ich nicht, zu wem die Stimme gehörte, die mich da unterbrach, oder woher sie kam.

„Nein Dan, es ist nicht deine Schuld.“

Mit Mühe und Not folgte ich der Stimme zurück in die Wirklichkeit, konnte aber die Erinnerung nicht abschütteln.

„Doch, das habe ich. Hätte ich auf sie gehört, wären wir bei ihr geblieben, hätte ich darüber nachgedacht, würde sie noch leben!“

„Es ist aber nun mal passiert, dir bringt kein wenn und auch kein aber. Damit kannst du sie nicht zurück holen.“

„Glauben sie, das weiß ich nicht?! Was meinen sie, wieso ich nicht schlafen kann, ohne schreiend wach zu werden? Was meinen sie, wieso ich Lenneth nicht ins Gesicht sehen kann? Das ist es doch, was sie hören wollen, oder? Dass ich sie nicht an mich heran lassen kann, weil ich wünschte, sie wäre Tessa. Aber das ist sie nicht und das will ich auch überhaupt nicht. Es reicht, wenn sie mich einmal verfolgt. Eine zweite würde ich nicht überleben. Ich kann sie nicht näher als fünf Meter an mich heran lassen, weil ich viel zu viel Angst davor habe, sie ebenso in Gefahr zu bringen. Mein Temperament ist viel zu groß, als das es noch gut für mich ist und über kurz oder lang, ist es für jeden gefährlich. Es ist mir lieber, wenn ich mich alleine in die Hölle stürze, als dass jemand anderes darunter leiden muss!“

Und das war der Punkt, an dem ich raus musste. Ich sprang auf und hatte die Türe schon aufgerissen, als Dr. Maverick mich zurück zu halten versuchte.

„Darian. Darian! Warte.“

Aber ich hörte ihm nicht zu. Stattdessen stürmte ich an den anderen vorbei, Stan, der Assistentin. Bei Parker's Anblick stockte ich kurz, eilte dann aber weiter nach draußen. Ich wusste nicht, was ich in ihrem Gesicht gesehen hatte, dafür wusste ich genau, was sie gesehen hatte. Einen verstörten Typen mir rot aufgequollenen Augen und einem Tränen überströmten Gesicht. Mir war es egal. Sollte sie denken was sie wollte, sollte sie mich damit aufziehen. Ich würde es ohnehin nicht bemerken, dafür steckte ich wieder viel zu tief drin, in diesem Loch, aus dem ich mich schon mal nur mit aller Kraft hatte heraus kämpfen können. Und jetzt saß ich wieder ganz unten und hörte unaufhörlich ihre Stimme.

11

Wir rannten Dan hinterher, doch er war bereits über alle Berge, als wir die Straße erreichten. Doc Maverick legte mir eine Hand auf die Schulter und sagte: „Sorge bitte dafür, dass er mich wieder aufsucht.“ Mit einem Nicken antwortete ich ihm und ließ mich dann von Stan nach Hause fahren. Ich überlegte erst, ob ich nicht nach Dan suchen sollte, doch wo hätte ich anfangen sollen? Ich hatte keine Ahnung, wohin er gehen würde.

Zuhause setzte ich mich auf die Couch und starrte den dunklen Fernseher an. Einmal rief Frank mich an, doch ich konnte ihm nicht viel sagen. Zumindest hatte mein Plan Wirkung gezeigt. Dan hatte angefangen, sich mit seinem Problem zu beschäftigen. Das war immer der erste Schritt, doch nun hatte ich Angst, dass ihm etwas passieren würde.

Er war so aufgewühlt gewesen und es war offensichtlich, dass er geweint hatte. Ich konnte mir nicht vorstellen, was so sehr an ihm nagte, dass es ihm derart an die Nieren ging. Ich hatte meine eigenen und vermutlich gänzlich anderen Dämonen.

Einige Zeit blieb ich auf der Couch sitzen und streichelte Glen, die sich auf meinen Schoß gewurmt hatte. Dann drückte ich sie fest an mich und vergrub mein Gesicht in ihrem Fell. Ihre Gegenwart war so tröstlich.

Nach einer Weile war ich des Rumsitzens jedoch müde und begann, in der Küche herum zu fuhrwerken. Ich stellte den Geschirrspüler an und begann, wieder eine Lasagne zu machen. Die letzte war kalt gewesen, als ich sie Dan angeboten hatte, doch er hatte sie nicht essen wollen. Vielleicht würde er es diesmal tun, wenn er nach Hause kam.

Das ganze Prozedere dauerte insgesamt eine Stunde, obwohl ich gleich zwei Auflaufformen gemacht hatte. Ich saß ein Stück und stellte den Rest im Ofen warm. Dann räumte ich den Geschirrspüler aus und wusste nichts mehr mit mir anzufangen.

Erst ging ich in der Wohnung auf und ab und setzte mich sogar eine Weile in den Dachgarten, doch das alles brachte mir nichts. Ich war unruhig und besorgt. Hoffte, dass ich es nicht zu weit getrieben hatte, doch er musste anfangen, sich mit seiner Vergangenheit auseinander zu setzen. Es war alles sehr frustrierend.

Irgendwann stand ich in meinem Kittel im Atelier, hatte alle Fenster sperrangelweit aufgerissen und starrte eine leere Leinwand an. Pinsel und Farbe lagen bereit, sowie meine Kohle, aber ich konnte nicht anders, als die leere, weiße Fläche anzustarren.

Die Rädchen in meinem Kopf drehten sich, ohne wirklich etwas zu verarbeiten. Er war einfach leer. Keine verdrehten, verqueren Gedanken. Nichts. Absolute Leere. Und dann plötzlich fasste ich einen Entschluss, von dem ich nicht wusste, dass ich dazu fähig war. Ich würde meine Probleme zurückstellen, bis Dan seine im Griff hatte. Ich wollte, dass das Arrangement funktionierte. Zum ersten Mal fühlte ich mich, als würde mein Leben voranschreiten und ich würde mir dabei nicht selbst im Weg stehen.

Dann griff ich nach der Kohle und fertigte eine neue Zeichnung von Dan an. Die gleiche Szene, derselbe Auftritt doch diesmal aus einem anderen Winkel. Ich hatte immer noch nicht herausgefunden, was Frank mit meinem Bild gemacht hatte, hatte es aber auch aufgegeben, es herausfinden zu wollen.

Strich um Strich nahm die Skizze Gestalt an. Meine Hand flog nur so über die Leinwand, zog Linien und schraffierte Flächen, die ich später mit Farbe füllen würde.

Als ich mit der Skizze zufrieden war, zeigte sie Dan mit seiner Gitarre. Er saß noch immer am Bühnenrand, ließ die Beine baumeln. Doch dieses Mal sah man ihn von der anderen Seite, sein Gesicht war so geneigt, dass seine Augen beschattet waren und man tiefe Finsternis blickte. Ich griff nach meiner Farbpalette und einem Pinseln und begann, der Skizze Leben einzuhauchen.

 

Ich war so sehr ins Malen vertieft, dass ich aufschreckte, als eine Hand sich auf meine Schulter legte. Es war Frank.

„Er ist immer noch nicht da?“

„Ich weiß nicht, wenn, dann hätte er sich bestimmt bemerkbar gemacht. Ich war die ganze Zeit hier“, antwortete ich stirnrunzelnd. Nur am Rande bemerkte ich, dass Eric und Elle hinter Frank standen. Ich glaubte, zu erkennen, dass ihre Mienen besorgt waren.

Abwesend wandte ich mich wieder meinem Bild zu und malte weiter.

„Glaubst du denn, es hat etwas gebracht?“

„Sicher, er hat sich damit beschäftigt“, antwortete ich beiläufig. Ich wusste in der nächsten Sekunde nicht einmal mehr, was ich gesagt hatte. „Wenn ihr hier warten wollt, Lasagne ist im Ofen. Ich hab genug für alle gemacht.“ Danach hörte ich nur noch Seufzer und sich entfernende Schritte, bis ich wieder mit meinem Bild alleine war.

Pausenlos malte ich weiter, bekleckerte mich und meinen Kittel, bis es fertig war. Ich hatte noch nie so lange durch gemalt und vor allem nicht, ein Bild an einem Tag fertig gestellt. Als ich es betrachtete, hatte ich das Gefühl, dass es tatsächlich lebte und atmete. Es zeigte Dan, wie ich ihn damals gesehen hatte. Wie ich ihn in seinen Songs noch heute hörte.

Erleichtert seufzte ich und reinigte dann meine Malutensilien. Als ich aus dem Fenster sah, war es bereits stockdunkel. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie die Zeit verronnen war, aber ich fühlte mich befreit und konnte wieder aufatmen.

Dann hörte ich aus dem Wohnzimmer einen großen Trubel und Stimmen, die Dans Namen riefen und ihn mit Fragen bombardierten. Die Antworten verstand ich nicht, aber seine Stimme klang matt, wenn auch in Ordnung. Ich ließ die anderen machen, denn ich hatte keine blasse Ahnung, wie ich Dan gegenübertreten sollte. Ich hatte ein wenig Angst davor.

Als mir keine Wahl mehr blieb, als den Raum zu verlassen, um zu meinem Bad zu kommen, atmete ich tief durch und nahm meinen ganzen Mut zusammen. Die vier saßen gemütlich im Wohnzimmer. Dan hatte einen Teller mit einem Berg Lasagne darauf auf dem Schoß und schaufelte sie in sich hinein. Er bemerkte mich und sah auf. Verschiedenste Gefühl huschten über sein Gesicht, was ziemlich seltsam aussah, da er die Wangen voller Essen hatte.

„Hi“, brachte ich rau hervor und lächelte ihn kurz an, bevor ich in meinem Bad verschwand. Dort warf ich alle meine Kleidung von mir, schrubbte mir die Farbe von der Haut und ließ mir derweil ein Bad ein. Sobald die Wanne gefüllt war, drehte ich das Wasser ab und ließ mich langsam hineingleiten.

Ich konnte nicht verhindern, dass mir ein lautes Stöhnen entfuhr. Das heiße Wasser wärmte mich bis auf die Knochen und war eine Wohltat für meine Muskeln. Es war schon sehr lange her, seit ich das letzte Mal ein Bad hatte nehmen können.

Ein zusammengerolltes Handtuch diente mir als Kissen. So legte ich mich zurück und schloss die Augen. Ich verbrachte viel Zeit in der Wanne, in der ich mich einfach treiben ließ und an gar nichts dachte. Hin und wieder döste ich ein, wachte jedoch auf, wenn ich merkte, dass das Wasser kalt wurde. Mehrmals ließ ich warmes nachlaufen und entspannte mich immer mehr.

Aus dem Wohnzimmer hörte ich die ganze Zeit angeregte Gespräche. Sie versuchten wohl, die Stimmung leicht zu halten, um Dan nicht auf die Nerven zu fallen. Ich war ihnen dankbar dafür, denn das gab mir noch mehr Zeit, mich auf die Konfrontation mit ihm vorzubereiten, auch wenn es dadurch nicht einfacher werden würde.

Irgendwann jedoch verstummten die Stimmen, Schritte erklangen und ich hörte den Fahrstuhl bimmeln. Dann war es still. Ich traute mich aber noch immer nicht hinaus, deshalb ließ ich noch einmal heißes Wasser nachlaufen und schlief diesmal richtig ein.

 

Wasser füllte Nase und Mund, drang in meine Lungen, während ich um mich schlug und versuchte, zu schreien. Dann packten mich zwei starke Hände. Eine zog mich am Arm hinauf, während die andere meinen Rücken stützte. Ich durchdrang die Wasseroberfläche, spuckte und hustete, während die Hand auf meinem Rücken stetig klopfte.

„Wie dämlich bist du eigentlich? Schläfst einfach in der Wanne ein!“ Schlagartig wurde mir die Situation bewusst. Ich quietschte ziemlich mädchenhaft, schlug die Arme vor die Brust und drehte Dan den Rücken zu, der mit durchweichten Klamotten an der Wanne stand und mich noch immer festhielt.

Und wieder bemerkte ich meinen Fehler zu spät. Nun hatte er ungehinderte Sicht auf meinen Rücken und da das meiste Badewasser jetzt den Fußboden flutete, hatte er wirklich ungehinderte Sicht. Plötzlich erstarrte er und nahm ganz langsam die Hände von mir. Ich konnte ihn nicht ansehen und konnte mich aber auch nicht in eine andere Richtung drehen.

Ich wusste ganz genau, was er sah. Dicke, wulstige Narben, die meinen Rücken überzogen. Sie hatten sich mit Alter und Wachstum ein wenig verzogen und zwickten mich ab und zu, doch was sie beschrieben, war immer noch klar und deutlich zu lesen. Ich wusste, dass er genau die vier Worte sah, die den Großteil meiner Kindheit bestimmt hatten: 'Brave Mädchen weinen nicht'. Ich hasste diesen Satz mit meinem ganzen Sein. Ich hatte es aber nicht entfernen lassen, um mich immer daran zu erinnern, was passieren konnte, wenn ich zu schwach war.

„Würdest du... würdest du bitte rausgehen?“, fragte ich mit erstickter Stimme. Dan antwortete nicht. Es blieb lange still und ich wusste, dass er meinen Rücken anstarrte. Dann drehte er sich um und ging mit quietschenden Schuhen hinaus und schloss die Tür hinter sich.

Erst dann stand ich auf, stieg aus der Wanne, ließ das restliche Wasser ab und wickelte mich in ein Handtuch. Mit einem Mob, der in der Ecke stand, wischte ich die Bescherung auf und huschte dann so flink es ging, in mein Zimmer, wo ich mich ordentlich abtrocknete und anzog.

Es war schon sehr spät, daher ließ ich mich in mein Bett fallen, wickelte mich fest in die Decke und starrte eine Weile zum den Fenstern hinaus, bis ich wieder einschlief. Dieses Mal in der Sicherheit meines Bettes, wo ich nicht aus Versehen ertrinken konnte.

 

 

 

 

 

 

 Ich lief und lief, selbst als mir die Lungen brannten weigerte ich mich stehen zu bleiben. Ich wollte sie alle nicht sehen, ich wollte weg und einfach nur nicht darüber nachdenken, was eben geschehen war. Und vor allem wollte ich nicht darüber nachdenken, weswegen ich mich so verraten fühlte. Klar, ich konnte Parker nicht ausstehen, aber ich hatte gedacht, dass sich doch eine Art neutrales Vertrauen zwischen uns aufgebaut hatte. Wir hatten in der vergangen Woche zwar nicht viel geredet, was wir ja sonst auch nicht taten, aber wir respektierten einander, wir wohnten zusammen, konnte man da nicht davon ausgehen, das man solche Privatdinge nicht einfach an dritte weitergab? Und wie sie es weiter gegeben hatte. Wer wusste, wie oft sie diesem Typen die Ohren über mich voll heulte. Und was sie ihm alles erzählte. Hatte sich schwer danach angehört, als hätte sie mich wieder als Buhmann hingestellt. Wieso hasste mich diese Frau so? Es hatte Zeiten gegeben, da hatte ich geglaubt, dass sie mich verstand, alleine weil sie meine Songs kannte, aber wieso versuchte sie so auf Gedeih und Verderb mich runter zu machen? Und das auch noch bei anderen. Konnte sie mich nicht einfach in Frieden lassen? Ich wusste doch, dass sie mich nicht Leiden konnte, wieso rieb sie es mir also schon seit drei Jahren unter die Nase? Ich verstand sie nicht, das wollte einfach nicht in meinen Kopf.

Und wäre das alles nicht genug, schleifte sie mich zu ihrem scheiß Seelenklempner, der mich dazu zwang zu leiden. Sie zwang mich dazu zu leiden. Und wieder wollte ich ihr am liebsten ein ebenbürtiges Leid zufügen. Wieso, zur Hölle, wollte sie mich einfach nicht in Ruhe lassen?!

Ziemlich wütend trat ich mit Wucht gegen eine der an der Straße stehenden Mülltonnen, die darauf umfiel und mir missmutiges Gebrüll einbrachte. Ich ignorierte einfach den Mann, der da in seinem Vorgarten stand und mir hinterher rief, ich solle die Sauerei wieder aufräumen. Sollte er es doch selbst machen.

Wenn ich dazu bereit war, ins Penthouse zurück zu kehren, würde ich Coleman anrufen. Entweder warf er Parker aus dem Projekt, oder ich würde gehen. Ich konnte nicht mit ihr arbeiten, da war sämtliche Liebesmüh vergebens. Ich hatte es ja versucht, aber heute war einfach das Fass übergelaufen. Mir war klar, was mich, sollte ich es hin schmeißen, Zuhause erwarten würde, aber das musste ich dann auf mich nehmen. Ich würde einfach zu Rob zurück gehen, ihn fragen ob ich wenigstens einmal die Woche bei ihm spielen durfte. Ich würde wieder von vorne anfangen, meine zersprungene Seele ein weiteres mal zusammenflicken so gut es ging. Vielleicht würde ich dieses mal sogar den Mut besitzen, mich endgültig gegen meinen Vater zu stellen, ihm und seiner verdammten Firma den Rücken kehren und mir irgendwo ein neues Leben aufbauen. Ein Leben ohne den Teufel, der mir im Nacken saß. Ein Leben ohne Bindungen, ohne Chase, der mich immer davor bewahrte, dümmeres zu tun, als gut für mich war. Ein Leben ohne Tessa. Das Leben, dass ich vor vier Jahren hätte beginnen sollen. Aber ich kam nicht davon los, von den Geschehnissen, den Worten, den Taten und der Gewissheit, dass ich damals hätte sterben sollen. Es war ein schlechter Witz des Schicksals gewesen und doch war ich mir sicher, dass es mich für mein Sein bestrafen wollte. Aber hatte ich denn nicht schon genug gelitten? Ich war mehr als einmal an Tessa's Tod zerbrochen und hatte mehr als einmal versucht ihr zu folgen, hatte das Versagen von diesem nicht schon genug geschmerzt, sollte ich denn wirklich bis an mein Lebensende die Hölle auf Erden durchleben? Ein Leben ohne Bindungen, ohne Liebe und eine Zuflucht, in der ich mich vergessen konnte? Wieso durfte ich nicht einfach Frieden finden? Ich hatte doch begriffen, dass ich töricht und egoistisch gewesen war, aber ich hatte versucht mich zu bessern und hatte das schließlich auch. Ich hatte sogar ertragen mit einem Mädchen am Rande meines Lebens zu leben, dass zum greifen nah, aber doch unerreichbar war. Wieso konnte das Leiden dann nicht irgendwann ein Ende haben? Ich verstand es nicht, ich konnte es nicht begreifen und war mir doch sicher, dass die Antwort darauf so nah sein musste, dass ich über sie fallen müsste.

Und Tessa, wieso verdammt nochmal war sie so bereitwillig in mein Auto gestiegen? Sie hätte warten sollen, einfach zuhause bleiben, so wie sie es vorgehabt hatte, aber stattdessen kam sie mit mir und brachte sich in Gefahr. Wieso hatte sie nicht auf mich gewartet, ich hätte sie doch geholt. Hatte sie so sehr an mir gezweifelt, dass sie der Meinung war, ich würde wirklich ohne sie gehen? Ich war immer der Meinung gewesen, ihr begreiflich gemacht zu haben, wie sehr ich sie liebte, aber doch hatte sie Angst gehabt, ich würde sie zurück lassen. Mein Versprechen brechen, sie bis ans Lebensende zu begleiten. Und dann hatte ich sie in den Tod geführt. Sie hatte mich noch gewarnt, aber ich hatte nicht auf sie gehört. Nicht auf sie gehört als es am wichtigste war. Nicht auf sie gehört, wo sie doch die einzige war, auf dessen Wort ich wirklich etwas gab. Und alles was mir von ihr blieb, war dieses Bild, wie ihr Körper mit der Autotüre verschmolz, alles überzogen von einer kupfrig roten Farbe. Ihr Satz, der mir immer wieder durch den Kopf geistert. 'Wenn du einen Unfall baust...'

Ich merkte, wie sich meine Brust auf schmerzliche Weise zusammenzog und ich schwer Atem holte. Mit dem Handrücken wischte ich mir Tränen und Rotz aus dem Gesicht und bog dann in eine der Seitengassen ein. So schlimm war es schon lange nicht mehr gewesen. Ich war mir relativ sicher, dass nicht mehr viel fehlte, bevor ich zusammenbrach. Wenn es soweit war, wollte ich von der Straße runter sein. Und es würde soweit sein, denn ich raste mit voller Geschwindigkeit auf den bekannten Abgrund zu, ich konnte die Kante schon sehen.

Sich am helllichten Tag in einer Gasse hinter einem Lieferantenpodest zu verstecken war zwar nicht die beste Möglichkeit, aber sie war momentan die einzige, die ich hatte, denn sobald ich an der Wand lehnte merkte ich, wie ich in mir selbst zusammenbrach.

 

Abgestumpft und taub saß ich nun schon seit Stunden zusammengesunken an der Wand. Die leere in meinem Kopf und die ausgebrannte Seele fühlten sich wunderbar an, im Vergleich zu der Hölle, die ich in den vergangenen Stunden durchwandert hatte. Trotz alledem musste ich mich langsam aufraffen, denn mittlerweile war es stockdunkel und die anderen machten sich sicherlich Sorgen. Also packte ich an, was ich mir vorgenommen hatte und begann damit, mich auf zu raffen und den Weg zum Penthouse einzuschlagen. Wobei ich länger brauchte als gedacht, ich hatte gar nicht erwartet, zuvor so weit gerannt zu sein, aber alles in allem war ich noch mal gut eineinhalb Stunden unterwegs.

Erst als ich in der Lobby ankam gestattete ich mir, den Kopf zu heben und für einen kurzen Moment stehen zu bleiben, bevor ich in den Aufzug trat und nach oben fuhr. Zu meiner Überraschung saßen Coleman, Eric und Ella im Wohnzimmer und sprangen auf, als sie mich kommen hörten. Sie sahen besorgt aus, wie ich vermutet hatte, aber ich konnte ihnen auf ihre Fragen, wo ich gewesen war und was ich solange gemacht hatte, nicht wirklich antworten. Allen weiteren Fragen wich ich mit hohler Stimme aus und ließ mich schließlich von ihnen auf die Couch drücken. Sie redeten alle gleichzeitig auf mich ein, aber ich hörte ihnen nicht zu, ihre Stimmen gingen eher als Gewirr an mir vorbei, als dass ich sie wirklich wahr nahm. Ich versuchte nur an den richtigen Stellen zu nicken und lehnte mich irgendwann zurück, um die Augen einen Moment zu zu machen, als mir jemand einen Teller auf den Schoß stellte.

„Du solltest etwas essen, danach geht es dir besser. Lenne hat extra Lasagne im Ofen warm gestellt.“

Dann war sie also doch noch da. Aus irgendeinem Grund, vielleicht auch nicht aus irgendeinem, hatte ich gehofft, sie wäre von alleine gegangen, oder zumindest dass Coleman sie raus geschmissen hatte. Das wäre nur fair gewesen, bei dem was sie abgezogen hatte. Und anstatt nach mir zu suchen, hatten sie alle hier gesessen, gekocht und gegessen, während ich darum kämpfte, nicht den Verstand zu verlieren.

Anfangs widerwillig fing ich an, die Lasagne in mich rein zu quälen, bis ich merkte wie hungrig ich eigentlich war und wie gut das verdammte Zeug schmeckte. Ich hätte sie eigentlich wieder ausspucken müssen, nur weil Parker sie gemacht hatte, aber auch ich hatte meinen Stolz. Also fing ich an zu schaufeln und spürte, wie sich in meinem Inneren ein Funke löste, der die schwärze in mir zu erleuchten versuchte, letztendlich aber kläglich daran scheiterte. Nach wie vor blieb alles dunkel in mir drin und ich wusste nicht, was ich jetzt hätte dagegen tun sollen. Wollte ich das denn überhaupt? Solange alles mit dieser Schwärze überzogen war musste ich nicht fühlen, musste ich nicht hören, was die Stimmen innerhalb und außerhalb meines Kopfes von sich gaben. Wieso also sollte ich aus diesem ruhigen Zustand auftauchen wollen?

Die Antwort auf diese Frage erhielt ich, als hinter uns irgendwo eine Tür aufging, ich mich umdrehte und Parker in mein Blickfeld geriet. Da merkte ich, wie ein riesiges Stück aus der Eisschicht heraus brach, die sich in den letzten Stunden um mich herum gebildet hatte. Als sie mich dann zaghaft anlächelte keimte wieder dieser Funke auf und erhellte einen Teil meiner Seele, den ich versucht hatte, weg zu sperren. Für einen Moment sah ich Bilder, die ich nicht bereit war zu ergründen und war froh, als sie wieder verblassten. Der Funke jedoch erlosch dieses mal allerdings nicht vollends, sondern erhellte einen winzigen Teil und warf Schatten auf das, was vorher in vollkommener Dunkelheit verschollen war. Das schlimme an der Sache war, dass ich sie hassen wollte. Ich hatte sie gehasst, in den ersten Stunden, die ich damit verbracht hatte, nicht wahnsinnig zu werden. Und ich wollte sie noch immer hassen, aber ich konnte nicht. Denn ob sie es zugab oder nicht, sie hatte mir helfen wollen. Diese Erkenntnis, die ich erst viel später errungen hatte, hatte mich davon abgehalten hier her zu kommen und ihr weh zu tun, egal auf welche weise.

Die anderen vollkommen vergessen starrte ich ihr hinterher, als sie ohne weiteres im Bad verschwand. Erst als einer der dreien, ich vermutete Eric war es gewesen, sich räusperte, kehrte ich mit den Gedanken ins Wohnzimmer zurück und stellte den Teller mit dem Rest Lasagne auf dem Tisch ab, was mir prüfende Blicke einbrachte.

„Mir ist der Appetit vergangen. Entschuldigt mich für einen Moment.“

Ohne auf die Reaktionen der anderen achtend oder auf diese zu warten, stand ich auf und öffnete die Schiebetür um raus auf den kleinen Vorsprung zu gehen und mich an die Brüstung zu lehnen. Der Wind wehte mir durch die zerzausten Haare aber die frische Luft tat gut. Ich sog sie tief ein und fühlte mich im Schutz der Dunkelheit viel wohler als drinnen auf der Couch, wo sie mich alle mit Argusaugen beobachteten. Sie meinten es zwar gut, aber so langsam mussten sie doch erkannt haben, dass ich nichts außer Ruhe wollte. Oder hatten sie Angst, mich mit Parker alleine zu lassen? Denkbar wäre es schon. Ein paar Stunden zuvor hatte ich ja wirklich noch mit dem Gedanken gespielt ihr etwas anzutun. Jetzt jedoch wollte ich einfach nur das Vergessene vergessen bleiben lassen.

Lange ließ Eric mich nicht alleine.

„Alles Okay?“

Als Antwort sah ich zu ihm rüber und starrte ihn so lange an, bis er den Blick senkte.

„Entschuldige. Wir sind nur grade alle etwas verunsichert. Du bist stundenlang verschwunden und dann tauchst du wieder auf und bist... weiß nicht. Wir haben uns alle ziemliche Sorgen gemacht.“

„Das hab ich gemerkt.“

Der Sarkasmus war trotz rauer Stimme nicht zu verkennen und da senkte Eric wieder den Blick.

„Uns blieb doch nichts als zu warten. Was hätten wir denn tun sollen? Die ganze Stadt nach dir absuchen?“

„Ich hätte es getan, wäre es um einen von euch gegangen. Selbst wenn die Stadt zehn mal so groß wäre.“

Darauf schwieg er erst, brachte aber dann den Anstand zusammen sich aufzurichten und mir ins Gesicht zu sehen.

„Ich wollte das, aber sie sagten, das hätte keinen Sinn. Du würdest dich schon wieder einkriegen und wieder auftauchen, wenn du bereit dafür bist.“

Ich rechnete ihm seine Ehrlichkeit hoch an, trotzdem musste ich Eric wieder klein machen.

„Du hast keine Ahnung davon wie es ist, alleine in einer Gasse zu hocken und darum zu kämpfen, nicht abzustürzen. Stell dir vor, du fällst in einen Kilometer tiefen Abgrund und hast nichts als deine Hände, um dich wieder daraus zu befreien. Sie sind blutig und runter bis auf die Knochen wenn du oben ankommst, vorausgesetzt du hast nicht aufgegeben und dich wieder fallen lassen um da unten jämmerlich zu krepieren, weil du der Meinung bist, dass es eh niemanden interessiert.“

„Aber du bist uns ja nicht egal.“

„Versuch dich davon zu überzeugen, wenn du an dieser Steilwand hängst und nicht weißt, wie du weiter kommen sollst, wenn du es schon aufgegeben hast. Stell dir deinen schlimmsten Albtraum in fleischgewordener Form vor und fall in die dunklen tiefen der Nacht, dann sprechen wir uns wieder.“

Damit ließ ich ihn stehen und betrat wieder die Wohnung. Ich konnte in den Gesichtern der anderen beiden erkennen, dass sich meins wieder verdunkelt hatte, aber das war mir egal. Ich verkrümelte mich in einen der abgelegenen Sessel, zog ein Bein an und drehte mich auf die Seite, bevor ich die Augen schloss. Ich atmete tief ein und aus, bevor ich mich umdrehte und die anderen ausschloss. Ich wollte mich nicht mit ihnen unterhalten, nicht so tun müssen, als wäre alles gut, denn das war es nicht. Stattdessen gab ich vor, zu schlafen bis sie schließlich gingen. Doch auch dann bewegte ich mich keinen Zentimeter. Ich wusste, dass die Nacht nicht ewig dauern würde, aber die Dunkelheit gab mir ein besseres Gefühl, zumindest für den Moment und ich war noch nicht bereit, mich davon zu trennen.

Eine ganze Weile harrte ich auf meinem Sessel aus, bis sich mir schließlich eine Frage aufdrängte. Wo war Parker? Sie hätte schon extrem leise sein müssen, damit ich sie nicht bemerkte und ich war mir sicher, dass sie das Bad nicht verlassen hatte, seitdem sie vor einiger Zeit darin verschwunden war.

Plötzlich sah ich ein Bild vor meinen Augen. Ich wusste, dass es mein Handgelenk war, aus dem das Blut herausquoll und das Wasser in der Wanne in einem ekelhaften Rotton färbte, aber es erfüllte mich doch mit Panik. Wie von der Tarantel gestochen sprang ich auf und eilte zum Bad, wo ich an die Türe klopfte und keine Antwort erhielt. Auch beim zweiten, lauteren Klopfen bekam ich keine. War ich schon zu spät? Hastig riss ich die Türe auf, froh darüber dass sie nicht abgeschlossen war, und hastete zur Wanne, wo Parker wir wild zappelte. Was zur Hölle? Ohne darüber nach zu denken packte ich sie und zog ihren Kopf aus dem Wasser, während ich vor mich hin fluchte.

„Wie dämlich bist du eigentlich? Schläfst einfach in der Wanne ein!“

Ich hatte Panik und sie war zu blöd, um sich selbst am Leben zu erhalten, ich fasste es nicht.

Erst als sie mir den Rücken zu wandte, verstummten die in meinem Kopf kreisenden Flüche und ich erstarrte. Verdammt nochmal. Das bildete ich mir hoffentlich nur ein, denn sonst... ja was sonst? Ich wusste nicht, was ich sagen, ja ich wusste nicht mal was ich denken sollte. Ich konnte nicht einmal den Blick abwenden, obwohl ich wusste, dass das nicht grade höflich war.

„Würdest du... würdest du bitte rausgehen?“

Es brauchte einen Moment. Dann sickerten ihr Worte in mein Hirn und ich folgte ihrer Bitte. Nichts sagend verließ ich das Bad und wälzte mich im Wohnzimmer wieder in meinen Sessel. Heilige Scheiße. Ich hatte mir das doch nicht nur eingebildet, was ich in der ersten Nacht zu sehen geglaubt hatte. Und jetzt war ich mir der Antwort auf die Frage die ich mir so oft gestellt hatte wirklich sicher. Nein, das war kein Tattoo gewesen. Alles was mir dazu einfiel, waren ziemlich vulgäre ausdrücke, die mein Hirn fluteten.

Ich versuchte die ganze Zeit zu verdrängen was ich gesehen hatte, als ich hörte wie sich erst eine, dann eine weitere Türe öffnete und dann wieder schloss. Eine weile wartete ich, bevor ich mich aus meinem Sessel erhob und leise an Parker's Tür trat. Es war nichts zu hören, kein Laut, nicht einmal ein Wimmern. Mir meiner Sache sicher, öffnete ich so leise es ging die Tür und blickte herein, doch sie schlief. Gut. Erleichtert schloss ich die Tür und atmete auf. Wenn sie in dieser Wanne ertrunken wäre, wäre ich definitiv mit ihr untergegangen.

Ich wollte es nicht zugeben, aber auch wenn ich sie vor ein paar Stunden noch hatte leiden sehen wollen, hätte ich es mir nicht verziehen, sie so jämmerlich ertrinken zu lassen. Außerdem war ich ihr etwas schuldig. Ich machte mir keine Hoffnungen, das damit beglichen zu haben, aber hätte ich sie nicht heraus gezogen, hätte ich nie damit anfangen können mich zu revanchieren.

Zielstrebig steuerte ich mein Zimmer an und zog mich trocken an, bevor ich mir Schlüssel und Portemonnaie schnappte und aus der Wohnung floh. Ich hatte nicht vor, jetzt in einer endlosen Diskussion mit mir selber zu versinken, deswegen tat ich das einzige, was mir jetzt noch blieb. Ich würde mich restlos betrinken, bis ich meinen eigenen Namen vergaß.

 

„Chase mein Freund, wie geht’s dir?!“

Erst herrschte schweigen, dann hörte ich eine zögernde Stimme.

„Darian? Alter, was ist passiert? Du klingst echt scheiße.“

Tat ich das? War mir gar nicht aufgefallen.

„Nein, bei mir ist alles gut.“

„Dafür leierst du aber ganz schön.“

„Weiß nicht.“

Mir fielen die Augen zu, aber viel Unterschied machte das nicht, es war vorher auch schon stockfinster gewesen.

„Darian, was hast du gemacht? Wo steckst du?“

„Wieso fragst du das denn? Wir waren doch eben noch zusammen unterwegs.“

„Nein, waren wir nicht. D wo bist du?“

„An der frischen Luft. Ist ganz schön dunkel hier draußen.“

„Darian hör mir zu. Hörst du mir zu?“

Natürlich hörte ich ihm zu, sonst würde ich doch nicht mit ihm telefonieren oder?

„Sicher, ich höre dich durchs Telefon, aber ich höre dir zu.“

„Darian, weißt du wo du bist? Sieh dich um.“

Ausschweifend ließ ich den Blick umher wandern und kniff die Augen zu, weil ich glaubte in der Ferne ein leuchten zu sehen.

„Ich glaube ich bin tot. Da hinten ist ein Licht.“

„Nein, du bist nicht tot Dan. Geh zu dem Licht und versuch jemanden zu finden der dir helfen kann.“

„Wieso sollte ich ins Licht gehen, willst du mich los werden?“

„Nein D, will ich nicht. Wieso sollte ich das wollen, ich hab dich mal davon abgehalten zu gehen, weißt du noch?“

Sicher, nur wegen ihm war ich noch hier.

„Gut. Tessa hat auch gesagt, ich solle weiter machen.“

„Was?“

„Sie hat gesagt ich soll loslassen C.“

Und sie hatte mich angefleht das Messer wieder weg zu legen, als ich versucht hatte, das Tattoo an meinem Handgelenk zu durchbrechen.

„Scheiße.“

„Nein, Tessa. Ich hab sie gesehen C. Sie hat geweint. Sie hat gesagt ich solle endlich loslassen, sie gehen lassen und machen, was ich schon immer tun wollte.“

„Sie hat Recht Darian. Du wolltest es für sie tun, das hast du selbst gesagt, erinnerst du dich?“

„Ja, weiß ich. Hab ich. Aber ich glaub ich schaff das nicht C. Ich dachte ich kann das, aber ich schaff das nicht alleine.“

„Dann sag mir endlich wo du steckst, dann komm ich zu dir und wir sehen wie es weiter geht.“

„Nein. Ich will deine Hilfe nicht.“

„Verdammt D, rede nicht so ne Scheiße.“

„Das ist keine Scheiße, ich will deine Hilfe nicht.“

„Dann such verdammt noch mal jemanden und zwar jetzt, ich will dass du von der Straße runter kommst!“

„Schrei mich nicht so an, ich versteh dich ganz gut.“

Ich hatte versucht ebenso Laut zu werden wie er, aber stattdessen kam nur genuschel raus.

„Dann beweg dich endlich und beschreib mir wo du bist.“

Wieder ließ ich den Blick schweifen. Das Licht war schon viel näher als vorher und ich erkannte sogar den Eingang.

„Ich bin so gut wie bei Lenne.“

„Sehr gut. Geh in die Wohnung und weck sie auf, ich will mit ihr reden.“

„Ja ja.“

Bockig wie ein kleines Kind, weil er mir Anweisungen gab und weil er mit ihr reden wollte bestrafte ich ihn mit Schweigen. Er fragte ständig ob ich noch dran sei, da schnaufte ich immer nur und setzte meinen Weg fort.

Das Licht hatte Erst ziemlich nah erschienen, aber ich brauchte viel länger als gedacht, bis ich schließlich im Aufzug nach oben fuhr. Die plötzliche Aufwärtsbewegung ließ mich ins wanken geraten, aber, nachdem ich beinahe über die Aufzugkante gestolpert war, stand ich in der Wohnung und versuchte mich im Dunkeln zu orientieren.

„So, ich bin da.“

„Gut, gib mir Parker.“

„So weit bin ich noch nicht. Ich muss erst in ihr Zimmer.“

„Ich dachte du bist da?“

„Ja ja, warte.“

In der Dunkelheit etwas desorientiert tastete ich mich vorwärts, bis ich schließlich mein Ziel erreichte und an ihre Bettkante stieß.

„Hey, du musst aufwachen.“

Etwas unsacht rüttelte ich an Lenneth's Schulter bis sie schließlich vor sich hin brummte.

„Wach auf, er will mit dir reden.“

„Was? Was machst du Trottel hier? Und man, hast du eine Fahne?“

„Hier, rede mit ihm, sonst lässt er mich nicht in Ruhe.“

Entschlossen drückte ich ihr das Handy in die Hand und wartete. Schließlich hielt sie sich verschlafen das Telefon ans Ohr und ich war zufrieden.

„Hallo?“

Pause.

„Ja, bin ich. Was willst du?“

Pause. Ein lautes Schnauben.

„Na toll und was soll ich jetzt deiner Meinung nach machen?“

Wieder pause. Dann ein spöttisches lachen.

„Ich werde es mir merken.“

Dann legte sie auf. Das Handy in der Hand ließ sie den Arm geräuschvoll auf die Bettdecke fallen.

„Was hat er gesagt? Wieso hast du gelacht?“

„Er hat gesagt, ich solle nicht mit dir ins Bett steigen, weil das eine herbe Enttäuschung wäre.“

Sie schüttelte den Kopf, aber ich meinte in der schwach beleuchteten Dunkelheit ein Lächeln gesehen zu haben.

„Und was ist daran so lustig? Was hat er dir noch erzählt?“

„Nicht wichtig, komm mit.“

Sie schlug die Decke zurück und stand auf, packte mich dann am Handgelenk und zerrte mich aus dem Zimmer. Was war denn jetzt kaputt? Zielstrebig steuerte sie das Wohnzimmer an und zwang mich dort auf die Couch, so wie es die anderen vorher bereits schon mal getan hatten. Die verschwommene Erinnerung daran ließ mich auf springen, aber sie drückte mich zurück in die Polster.

„Bleib sitzen, ich bin gleich wieder da.“

Damit verschwand sie und kam Augenblicke später mit Keksen und einer Flasche Wasser zurück. Beides reichte sie mir und ließ sich dann in gewissem Abstand neben mir auf die Couch fallen.

„Hier, du musst den Alkohol los werden.“

Nicht wirklich wissend, was mir das bringen sollte starrte ich die Sachen in meinen Händen an.

„Mein Gott.“

Ungeduldig nahm sie mir die Keksrolle aus der Hand, öffnete sie, nahm sich einen heraus und hielt sie mir wieder hin. Da verstand ich erst, was sie von mir wollte und nahm mir ebenfalls einen.

„Danke.“

„Was, für die Kekse? Die gehören genauso dir, wie sie mir gehören, du Trottel?“

Ich zuckte nur mit der Schulter und begann an meinem Keks zu knabbern, wobei ich sie in der Spiegelung auf der Fensterfront beobachtete. Das schien nicht unbemerkt zu bleiben, denn sie schnaubte und ließ dann die Hand mit ihrem eigenen Keks sinken.

„Was?“

Wieder zuckte ich mit den Schultern.

„Ich weiß, dass das hier eigentlich nicht normal ist. Es ist alles ganz schön vernebelt, aber ich bin mir sicher dass das hier nicht normal sein kann. Wir können uns eigentlich nicht leiden. Dass du mir Kekse anbietest ist irgendwie surreal.“

„Ich mach das hier nicht freiwillig, sondern weil dein Möchtegern Freund mich darum gebeten hat. Vermutlich will er sich einfach nicht mit dir rum plagen und hat dich deswegen an mich weiter geschoben.“

Sie klang ruhig als sie das sagte. Irgendwo in meinem Kopf wusste ich, dass da war nicht stimmte, aber ich konnte den Gedanken nicht greifen. Ich schüttelte mit dem Kopf, was ich schnell wieder sein ließ und den Kopf auf die Rücklehne ablegte, weil sich alles drehte. Um die Übelkeit zu verdrängen, schloss ich die Augen, wobei ich wieder ein schnauben hörte.

„Er ist jetzt nicht ernsthaft eingeschlafen oder?“

„Nein, bin ich nicht, mir ist nur schwindelig.“

„Verdammt, wie viel hast du denn getrunken?“

„Lach jetzt bitte nicht, aber ich glaube es waren zwei Bier und drei Kurze.“

„Was?“

„Wenn man das Trinken nicht mehr gewöhnt ist und es dann gleich auf fast nüchternen Magen wieder aufnimmt, kann so was ziemlich schnell gehen.“

„Oh man, wie kann man nur so dumm sein.“

„Sagt die, die es schafft, sich beinahe selbst aus Versehen in der Wanne zu ertränken.“

Ich wusste dass es falsch gewesen war, als ich es aussprach. Als sie daraufhin aufsprang und gehen wollte, hielt ich sie am Handgelenk zurück.

„Tut mir Leid, das war nicht fair. Bitte bleib hier.“

„Wieso sollte ich?“

„Weil ich dir dann was erzähle.“

Als sie trotzdem stehen blieb, hielt ich ihr mein linkes Handgelenk entgegen.

„Siehst du das?“

Sie schwieg und da ging mir auf, dass sie es gar nicht sehen konnte, weil es zu dunkel war. Da nahm ich mir ihre Finger und strich damit über die feinen Narben. Ich wusste, dass sie das Gefühl erkannte, da sie selbst genug Narben trug. Ich hatte sie gesehen.

„Ich hatte Angst, du würdest dasselbe tun. Du warst so lange da drin. Ich dachte, wenn ich jetzt herein käme, wäre das Wasser rot und ich wäre zu spät. Der Gedanke daran, dich sterben zu lassen, hat mich in Panik versetzt.“

Der Gedanke daran, sie ebenso zu verlieren, hatte mir beinahe den Verstand geraubt.

„Weißt du, ich wollte dich eigentlich hassen. Dafür, was du heute für eine Show abgezogen hast. Aber ich kann nicht.“

„Und wieso nicht?“

„Du wolltest mir helfen. Das wollte schon lange keiner mehr. Selbst Chase hat es irgendwann aufgegeben und es sich eher zur Aufgabe gemacht, mich bei Laune zu halten. Außerdem kann ich niemanden hassen, der mehr Stärke beweisen kann als ich.“

Ich schwieg ziemlich lange, solange, dass ich mir sicher war, dass sie nichts sagen würde. Da entschied ich mich dafür, es ihr zu sagen, auch wenn sie es nicht hören wollte.

„Ich kannte mal jemanden. Sie hat immer gesagt, es gibt immer etwas, für das es sich zu leben lohnt. Als sie starb, dachte ich, ich hätte alles verloren, was mir jemals diesen Sinn gegeben hatte. Ich versuchte ihr zu folgen, aber man ließ mich nicht. Also flüchtete ich mich vollends in die Musik. Ich flüchtete vor allem, was mich berühren konnte und kam aus diesem Loch nicht mehr heraus. Irgendwann lief mir dann dieses Mädchen über den weg und vom ersten Moment an wusste ich, dass ich mich von ihr fern halten musste, weil sie mich sonst in dieses Loch zurück warf, aus dem ich immer noch nicht ganz heraus gefunden hatte. Und jetzt sieh mich an, ich schreie im Schlaf und werde von Bildern verfolgt, die ich nicht los werden kann.

Dabei solltest du diejenige sein, die schreit. Du weißt, dass ich es gesehen habe. Du solltest diejenige sein, die zu fliehen versucht.“

„Meinst du nicht, das ich das nicht gerne täte? Hast du eine Ahnung, wie viel Zeit ich damit verbracht habe an Dachkanten zu stehen?“ „Aber du bist nicht gesprungen. Du hast dich nicht in diesen Abgrund fallen lassen. Du hast die Stärke aufgebracht weiter zu machen, Tag für Tag. Du gehst dagegen an. Ich bin nur ein feiger kleiner Junge, der bereits versucht hat all dem zu entkommen und selbst dazu war ich zu blöd.“

Wieder schwiegen wir, aber ich wusste, dass sich etwas verändert hatte. Ihr Handgelenk, das ich immer noch fest hielt, war angespannt, sie hatte die Hand zur Faust geballt und ich wusste, dass sie um Selbstbeherrschung kämpfte. Also stand ich auf und blieb vor ihr stehen. Ich versuchte ihren Blick aufzufangen, aber sie wich mir aus.

„Und ich erzähl dir noch was. Egal wie sehr man es versucht, man kann nicht immer stark sein. Wer auch immer dir das Gegenteil eingebläut hat, ist ein total Idiot. Ich geb dir einen Tipp. Wirklich stark ist der, der weiß, dass man nicht immer stark sein kann.“

Ich sah das glitzern in ihren Augen und bemerkte viel zu spät, dass sie kurz davor stand zu weinen. Aus welchem Grund, konnte ich nicht sagen, dafür konnte ich ihr Miene nicht gut genug lesen. Ich wusste nur, dass ich es nicht sehen wollte, deswegen zog ich sie an mich, vergrub das Gesicht in ihren Haaren und hielt sie so lange fest, bis sie aufhörte sich zu wehren. Allerdings wagte ich es nicht sie wieder los zu lassen, ob nun weil ich der Meinung war, dass sie es brauchte, oder weil ich es bitter nötig hatte. Und verdammt, ich würde sie nicht eine ganze Weile nicht mehr los lassen.

12

Mit aller Gewalt drückte er mich an sich und vergrub das Gesicht in meinem Haar. Ich spürte, wie sein T-Shirt von meinen Tränen nass wurde. Ich versuchte, mich aus seinem Griff zu befreien, doch er war viel größer und stärker als ich und zudem auch noch hackevoll. Ich hätte mich nicht einmal mit einem Brecheisen losreißen können.

So krallte ich meine Hände in sein Shirt und drückte mich fester an ihn, während Schluchzer mich schüttelten und ich mich nach einer langen Zeit in den armen einer anderen Person richtig gehen ließ. Dabei war es mir egal, dass ich sein Shirt ruinierte und es war mir egal, dass gerade Dan es war, der mich festhielt, als wäre ich seine Rettungsboje.

Alles, was zählte war, dass wir hier waren. Zusammen und doch allein. Seine Wärme sickerte durch meine eigenen Klamotten und schmolzen den Eispanzer, den ich errichtet hatte, um mich vor der Welt da draußen zu schützen. Ich hatte unglaubliche Angst, wie ich sie zuletzt gehabt hatte, als ich klein gewesen war. Er konnte mir so unglaublich weh tun und doch ließ ich diesen Moment einfach zu und genoss ihn, solange es währte. Ich fühlte mich nicht mehr so allein gelassen.

Langsam beruhigte ich mich wieder, doch ich lockerte meinen Griff nicht. Auch Dan schien nicht die Absicht zu haben, mich allzu bald loszulassen. So standen wir zwei Idioten in unserem Wohnzimmer und hielten einander einfach nur fest.

Irgendwann regte Dan sich dann endlich. Ich sah zu ihm auf und sah in seinem Gesicht eine Emotion, die ich nicht richtig deuten konnte. Unglaublich langsam hob er eine Hand und griff erst an meinem Gesicht vorbei, bevor er sie mir an die Wange legte. Oh oh. Meine Augen wurden groß, als er sich Stück für Stück zu mir hinunter beugte und alle meine Alarmglocken losgingen. Ich wusste, dass das gar nicht gut war.

Dan war im Vollrausch und wusste nicht, was er tat. Das war das erste Mal gewesen, dass er so offen mit mir gesprochen hatte. So offen, dass ich ihn langsam immer mehr verstand. Doch das, worauf sein Verhalten nun hinauf lief war nicht richtig. Nicht so. Niemals so. Also tat ich uns beiden einen Gefallen und klatschte ihm beide Hände auf den Mund, bevor er meinem Gesicht noch näher hätte kommen können.

Es gab noch so viele Probleme, die wir beide mit uns herumtrugen. So viel Ballast, der nicht von heute auf morgen verschwand und auch viele Dinge, die zwischen uns noch ungesagt waren. Er kannte noch nicht mein dunkelstes Geheimnis und ich war mir nicht sicher, ob ich bereit war, es ihm jetzt schon anzuvertrauen. Zumal er in ein paar Stunden vermutlich nicht einmal mehr wusste, was in dieser Nacht vorgefallen war.

Verwundert blinzelte mich Dan an und legte den Kopf fragend schief. Ich schüttelte meinen lediglich, löste mich von ihm und zog ihn an einem Arm zu seinem Zimmer.

„Sperr bitte deine Tür auf, wir sollten dich ins Bett bringen.“ Er sah mich nur mit großen Augen an und schwankte ein wenig. Ich versuchte, ihn besser zu stützen und tastete seine Taschen nach seinen Schlüsseln ab, wobei sich ein Teil von ihm regte, der mir eindeutig die Röte ins Gesicht schießen ließ. Nachdem ich mühsam seine Tür auf gefummelt hatte, begleitete ich ihn hinein und ließ ihn unspektakulär auf sein Bett plumpsen, wo er hinten um fiel und nur wenige Sekunden später lautstark schnarchte. Musste der Alkohol sein, da er sonst beim Schlafen so still war, wenn er nicht gerade schrie.

Ich zog ihm also Schuhe und Socken aus und überlegte lange, bevor ich ihm auch die Hose auszog und ihn irgendwie so im Bett drapierte, dass er nicht herausfallen konnte, bevor ich die Decke über ihn zog. Dann legte ich seinen Schlüsselbund auf seinen Nachttisch und verließ auf leisen Sohlen den Raum.

So vorsichtig ich konnte, schloss ich die Tür und atmete erleichtert auf. Auf dem Weg zurück zu meinem Zimmer bemerkte ich den Teller mit der halb gegessenen Lasagne und brachte ihn in die Küche, wo ich ihn abdeckte und in den Kühlschrank packte. Die Digitaluhr am Ofen sagte mir, dass es bereits halb sechs am Morgen war. Ich war zudem auch noch hell wach und aufgewühlt.

Unruhig ging ich durch die Wohnung räumte hier und da ein bisschen was auf. Ich ging sogar so weit, mein Zimmer komplett aufzuräumen, während die Sonne am Horizont aufging, um nicht zu viel nachdenken zu müssen, auch wenn ich das hätte tun sollen. Ich war nur nicht bereit dazu. Noch nicht. Nur noch eine kleine Weile.

Was ich in dieser Nacht erfahren hatte, war mehr, als Dan mir vermutlich freiwillig erzählt hätte. Es erklärte, warum er war, wie er war, wieso er im Schlaf schrie und oftmals seine Gefühle nicht in den Griff bekam, dass man glauben könnte, er wäre Choleriker. Er hatte selbst zugegeben, dass er so aufgebracht gewesen war, dass er mit hatte weh tun wollen. Allein der Gedanke ließ mich schaudern.

Als die Sonne gnadenlos in unser Wohnzimmer schien, war die Bude blitzblank und die Uhr zeigte sieben. Also begann ich, Pancakes zu backen, um etwas zu tun zu haben und auch etwas in den Magen zu bekommen. Ich buk vermutlich genug für vier, doch das war mir egal. Es beschäftigte mich, während meine Gedanken sich überschlugen und nur unverständlicher Brei dabei rauskam.

Ich richtete einen ziemlich großen Haufen auf einem Teller an, goss reichlich Ahornsirup dazu und klemmte darunter eine Gabel fest, bevor ich ein Stück Butter als i-Tüpfelchen oben drauf packte. Aus unserem Medizinschränkchen holte ich vier Aspirin und aus dem Kühlschrank eine kleine Flasche Mineralwasser. Dann briet ich sogar noch Bacon, den ich um den Pancakestapel drapierte, goss Kaffee in eine dieser coolen Thermostassen, die wir uns angeschafft hatten und stellte alles auf ein Tablett. Der Mist war ziemlich schwer und ich verlor ab und zu das Gleichgewicht, doch ich schaffte es zu Dans Zimmer ohne größere Unfälle. Vorsichtig öffnete ich mit seinem Ellenbogen die Tür und spähte hinein.

Er lag auf dem Bauch und sah ziemlich fertig aus, schlief jedoch tief und fest. Ich hatte immer wieder gelauscht, doch er hatte in den letzten Stunden nicht einmal geschrien. Nun war es fast acht und ich hatte kein Ahnung, wann er aufwachen würde, doch ich stellte ihm das Frühstück trotzdem auf den Nachttisch und schlich wieder so leise raus, wie ich gekommen war.

Erst dann aß ich mein eigenes Frühstück, trank drei Tassen Kaffee hintereinander, während ich auf der Brüstung der Terrasse saß und die Beine vom Sims baumeln ließ. Glen kratzte immer wieder an der Glastür zum Wohnzimmer und quietschte sogar mit ihren Pfotenballen herum, weil sie zu mir wollte, doch ich ignorierte sie, während ich zu sah, wie die Stadt erwachte und die Straßen sich wieder mit Leben füllten.

Nachdem ich meine Tasse geleert hatte, ging ich wieder hinein und ließ Glen die Aufmerksamkeit zu Teil werden, die sie verdiente, bevor ich ihre Näpfe neu befüllte und dann das Katzenklo reinigte. Gerade als ich mich aus den Klamotten schälen wollte, in denen ich ins Bett gegangen war, klingelte mein Bett.

Verwirrt sah ich die Laken an, doch ich hatte es mir nicht eingebildet. Zögerlich wühlte ich in den Falten, bis ich ein Handy fand, das nicht mir gehörte. Das Display zeigte einen eingehenden Anruf an und den Namen 'Chase'. Ich wusste zuerst nicht, was ich tun sollte, ging dann jedoch vorsichtig ran.

„Hallo?“

„Lenne, bist du das? Wo ist Dan?“

„Wer sollte es denn sonst sein? Der Trottel schläft in seinem Zimmer wie ein Baby. Ich konnte ihn kaum dazu bringen, die blöden Kekse zu essen, aber gekotzt hat er bisher noch nicht.“ Ein erleichtertes Seufzen kam vom anderen Ende der Leitung.

„Danke jedenfalls, dass du dich um ihn gekümmert hast.“

„Blieb mir ja keine andere Wahl.“

„Musst du immer so patzig sein?“

„Ich bin nicht patzig, ich bin grade ziemlich gut gelaunt.“

„Na, wenn du meinst... Sag D, dass er mich anrufen soll, wenn er wieder dazu in der Lage ist. Bye.“ Und dann war die Leitung still. So wie der Idiot, so auch sein Freund oder was? Ich wusste, dass ich den Typen jetzt schon nicht mochte. Der eine war schlimmer als ein Vierjähriger und der andere einfach nur unhöflich.

Ich brachte das Handy ins Wohnzimmer und legte es dort auf den Couchtisch. Dan würde es schon finden, wenn er wieder halbwegs wach war. Da kam mir ein Einfall und stahl mich noch ein weiteres Mal in sein Zimmer, während er im Lala-Land untergetaucht war und stellte einen Eimer neben sein Bett, falls er sich übergeben musste und es nicht mehr zum Bad schaffen sollte. Ich hatte mal gehört, dass Säure schlecht für Parkett sein sollte.

Nachdem ich dann geduscht und mich umgezogen hatte, verbarrikadierte ich mich wieder in meinem Atelier, wo ich mir eine neue, blanke Leinwand vornahm. Beim Malen konnte ich am besten Nachdenken. Oft hatte ich gemalt oder gezeichnet und danach meine Songs geschrieben. Dieses System hatte schon immer gut funktioniert.

Irgendwann klingelte das Telefon und ich hob am Apparat in meinem Atelier ab. Dieser war bereits über und über mit Farbe beschmiert, da machte es also nicht mehr viel aus, dass ich ihn wieder mit feuchten Fingern anfasste.

„Ja?“

„Lenne?“, fragte Frank.

„Ja. Was geht?“

„Wie geht es, Dan? Wie geht es dir?“

„Dan war noch was trinken und ist im Vollsuff nach Hause gekommen, aber ihm ist nichts passiert. Er schläft noch.“ Erleichtert seufzte Frank.

„Und was ist mit dir?“

„Was soll mit mir sein?“

„Na, ist noch irgendwas vorgefallen, nachdem wir gegangen sind?“

„Nein. Mach dir keine Sorgen, Frank. Es war alles in Ordnung.“ Wenn man meinen beinahe Tod in der Wanne und das bewegende Gespräch mitten in der Nacht als in Ordnung bezeichnen konnte.

„Na gut“, Frank klang nicht überzeugt.

„Ich fürchte nur, dass wir das Proben mit einem bewusstlosen Leadsänger und Gitarristen knicken können.“

„Kein Problem, ich lasse Ella und Eric und hier alleine miteinander auskommen, damit sie lernen, besser miteinander zu harmonieren. Du weißt ja, dass ihr Timing nicht immer gut aufeinander abgestimmt ist. So etwas sollte aber nicht zu oft passieren, sonst bekommen wir alle von den Leuten da oben ordentlich auf den Deckel.“

„Klar, ich tue mein Bestes.“

„Gut, dann lass ich morgen noch mal von mir hören, ja?“

„Sicher. Mach's gut, Frank.“

„Ciao.“

Ich hatte das Telefon noch nicht einmal zurück auf seine Ladestation gestellt, da klingelte das dumme Ding schon wieder. Sah ich etwa aus, wie eine von den Telefonfrauen von der Auskunft?

„Ja?“

„Lenneth?“

„Oh, hi Doc. Was geht?“

„Ist mit dir und Dan alles in Ordnung? Mich hat die Sache nicht mehr losgelassen und ich habe mir Sorgen um euch beide gemacht.“

„Oh. Ja, also, gestern war ein bisschen Turbulent, aber es hat sich irgendwie eingerenkt. Dan war ne ganze Weile weg, aber er ist heil wieder nach Hause gekommen, auch wenn er dann gleich wieder losgezogen ist, um sich zu betrinken. Grad schläft er.“ Ich fragte mich, wie oft ich diese Geschichte noch erzählen musste.

„Oh gut. Wie geht es dir?“ Langsam hatte ich die Frage satt.

„Mir geht es gut, Doc. Ich male grade wieder, um den Kopf ein bisschen frei zu bekommen. Gestern war ein ziemlich... erleuchtend. Vielleicht erzähle ich Ihnen nächste Woche davon, wenn ich dazu bereit bin.“

„Gut, gut, lass dir Zeit und lass dir alles durch den Kopf gehen. Du kannst mich jederzeit anrufen, sollte etwas sein. Vergiss bitte nicht, Dan dazu zu bringen, mich noch einmal aufzusuchen.“

„Klar, Doc. Ich tu, was ich kann.“

„Danke. Bis nächste Woche, Lenne.“

„Bis dann, Doc.“ Nun blieb das Telefon aus der Hölle endlich still und ich konnte es wieder auf seine Ladestation packen und weiter malen.

 

Es gab so vieles, das ich Dan sagen wollte. Ich wusste nicht, ob es der Alkohol gewesen war, der vergangene Nacht aus ihm gesprochen hatte, doch wünschte mir, dass er selbst es gewesen war, der mir gestanden hatte, wie verletzlich er war, wie verzweifelt er war.

So einfühlsam hatte ich ihn noch nie erlebt. Er hatte mir seine Seele bloßgelegt und ich konnte mir ausmalen, was genau vorgefallen war, das ihn so sehr zerstört hatte. Ich konnte sehen, dass er einmal in der Lage gewesen war, aus vollem Herzen glücklich zu sein und zu lieben. Aber wie das Leben so spielte, konnte ein einziges Ereignis alles verändern.

Und doch hatte er mir seine größte Schwäche enthüllt und mir dabei gleichzeitig meine größte Angst genommen. Zumindest für diesen einen Moment. Er hatte mehr Mut bewiesen, als ich in meinem bisherigen Leben, auch wenn ich nicht wusste, ob es nur am Alkohol lag und ob er sich überhaupt noch an die Ereignisse erinnern würde, wenn er aufwachte.

Ich vollendete gerade ein einfaches Bild von Dan, das ich gemalt hatte, während mir diese Gedanken durch den Kopf gegangen waren. Er saß zusammengekauert in der Dunkelheit. Über ihm leuchtete ein kleiner, heller Punkt, der die Finsternis kaum durchdringen konnte, doch er kämpfte um seine Daseinsberechtigung. Dan jedoch starrte in die tiefe Dunkelheit unter ihm und bemerkte die kleine Lichtkugel gar nicht, dessen Leuchten ihn kaum erreichte.

Dann begann ich mit einer neuen Skizze auf einer neuen Leinwand. Diesmal war zeichnete ich mich von hinten, wie ich auf einem kleinen Mauervorsprung stand. Vor mir lag nichts anderes als Finsternis. Es symbolisierte die unzähligen Male, die ich an einer Dachkante gestanden hatte und doch nicht gesprungen war. Obwohl das Meer aus Nichts, dem ich mich gegenüber sah, sehr verlockend war.

Doch ich hatte Angst vor dem Tod. Ich wollte meine Erlösung finden, doch nicht auf diese Weise. Ich schrie um Hilfe, so gut ich konnte und machte weiter, auch wenn ich nicht wollte. Es wäre so einfach gewesen, doch ich wusste, dass nichts im Leben einfach war.

Hinter mir skizzierte ich einen Schatten, der auf dem Boden des Daches zu sehen war neben dem meinen, aber die Person, die den zweiten Schatten warf, war nicht zu sehen. Ich griff nach Pinsel und Palette und begann, die Kohlezeichnung zum Leben zu erwecken. Strich um Strich mit dem Pinsel nahm das Bild seine wahre Gestalt an. Zwischendurch zitterte meine Hand so stark, dass ich mein Werkzeug niederlegen und mein Handgelenk umklammern musste. Manchmal dauerte es länger, bis ich mich gefangen hatte und manchmal weniger. Aber ich malte unentwegt weiter, bis das Bild vollendet war.

Als ich zufrieden durchatmete und aus dem Fenster sah, stand die Sonne hoch am Himmel. Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich schon wieder in diesem Raum verbracht hatte, doch ich war unglaublich zufrieden.

Die Gelegenheit sich alles von der Seele zu malen, den Kopf frei zu bekommen und wirklich nachdenken zu können, war etwas, das mir unendlich wichtig war und besser als alle Tabletten der Welt. Als sich jedoch mein Magen lautstark meldete, war es für mich Zeit, wieder etwas zu essen zu machen. Ich fragte mich, ob Dan schon wach war.

Ich hatte ein wenig Angst, ihm zu begegnen. Was war, wenn er sich nicht mehr an die letzte Nacht erinnern konnte? Was war, wenn er alles, was letzte Nacht vorgefallen war, leugnete? Ich wusste keine Antwort darauf, aber ich war fest entschlossen, mich dieses eine Mal ihm zu stellen.

Ich hatte schon in unzähligen Büchern und Filmen den Spruch gehört 'Mutig ist der, der etwas tut, obwohl er Angst hat'. Nun war es an der Zeit, zu testen, ob das auch im realen Leben zutraf.

Ich steckte den Kopf zur Tür meines Ateliers hinaus und spähte in Wohnzimmer und Küche. Beide waren leer, doch ich hörte am anderen Ende des Flures die Dusche rauschen, was mir sagte, dass Dan wohl endlich wach geworden war.

In meinem eigenen Bad schrubbte ich mir die Farbe runter und zog den Kittel aus, bevor ich in die Küche ging. Die Uhr am Ofen sagte, dass es bereits drei am Nachmittag war. Kein Wunder, dass ich hungrig war.

Ich entschied mich dafür, einen großen Topf mit Suppe zu machen. Dafür kochte ich im größten Topf, den wir hatten, verschiedene Gemüsesorten ein und machte ihnen mit einem Pürierstab den Gar aus, ließ jedoch einige Kartoffelstücke ganz. Dann gab ich nach und nach geschnibbelte Wurst und Hackfleisch hinein und ließ es auf niedriger Flamme vor sich hinköcheln, während ich meine Unordnung wieder aufräumte und Geschirr und Besteck bereit stellte. Ab und an rührte ich im Topf, ließ das Werk jedoch überwiegend in Ruhe.

Dann lehnte ich an der Anrichte neben dem Herd und starrte zur Fensterfront hinaus, während ich eine leichte Melodie summte. Ich hatte gehört, wie Dan aus dem Bad gekommen und sogleich wieder in seinem Zimmer verschwunden war. Seitdem hatte er sich nicht mehr blicken lassen.

Mittlerweile wollte ich, dass er rauskam, damit ich wusste, woran ich war. Das war wohl wie mit einem Pflaster. Je schneller man es tat, umso weniger schmerzhaft war es. Wobei es, wie viele andere Dinge im Leben, vermutlich auch nicht so leicht war.

Glen strich mir die ganze Zeit um die Beine und maunzte. Ich warf einen Blick in ihren Napf, doch der war noch halbvoll. Ich wollte sie aber auch nicht mästen. Schließlich gab ich mich geschlagen, kniete mich bin und streichelte und kraulte sie nach Herzenslust. In Sekunden lag sie auf der Seite und schnurrte wie ein Weltmeister.

Ich war so darin vertieft, meine Katze zu wuscheln, dass ich Dan erst bemerkte, als er zwei Schuhe in meinem Blickfeld auftauchten. Langsam sah ich hoch und folgte den Hosenbeinen hinauf zu einem sauberen Shirt, über einen definierten Brustkorb, um schließlich Dan ins Gesicht zu sehen und mir dabei fast einen Nackenkrampf zu holen. Jetzt kam die Stunde der Wahrheit. Zaghaft lächelte ich ihn an und stand auf, sodass ich wenigstens einigermaßen irgendwie auf seiner Augenhöhe war, auch wenn ich immer noch zu im aufschauen musste.

„Hi, Dan. Was geht?“ Wie oft hatte ich diese Frage heute schon gestellt?

 

 

 

 

 

 

 Verdammt, ich wusste nicht was schlimmer war. Die ganzen Erinnerungen die auf einmal auf mich einströmten, oder die schallenden Kopfschmerzen. Hier half definitiv nur noch der Notfallplan. Aufstehen, etwas gegen den Mordskater tun, den Abend rekonstruieren und einfach froh darüber sein, dass ich nicht der Typ fürs kotzen war. Wobei mit selbst das nicht geholfen hätte. Nach den vier Jahren ohne, hatte mein Körper den Alkohol aufgesaugt wie ein Schwamm.

Mit viel Mühe versuchte ich mich aus dem Bett zu heben, aber die kleinste Bewegung brachte mir einen stechenden Schmerz in meinem Schädel, daher schaffte ich es grade mal, den Kopf zu drehen, aber das reichte schon. Auf meinem Nachttisch stand ein Tablette, auf dem sich Aspirin und Wasser fanden. Den zentnerschweren Arm heben warf ich beinahe alles herunter, schaffte es aber schließlich, die Aspirin herunter zu pflücken, steckte alle vier gleichzeitig in den Mund und schluckte sie trocken runter. Klar, mit Wasser wäre es einfacher gewesen, aber dazu hätte ich mich aufsetzen müssen und dazu war ich grade nicht imstande. Ich wälzte mich nur unbequem auf den Rücken und legte den Arm über die Augen, in der Hoffnung, der Schmerz würde bald vergehen. Damit war der erste Punkt auf meiner Liste gestrichen und der zweite abgehakt. Was kam als nächstes? Ach ja, den Abend rekonstruieren. Mein Gott, was hatte ich denn alles gemacht?

Ich war los gezogen um mich zu betrinken, das wusste ich noch genau. Ich war in einer Bar, gar nicht weit von hier gelandet und hatte mir einen Kurzen und ein Bier bestellt. Nachdem das nicht direkt geholfen hatte, hatte ich mir zwei weitere Kurze hintereinander in den Kopf geknallt und mit einem weiteren Bier nachgespült. Das muss wohl der Zeitpunkt gewesen sein, an dem ich mich abgeschossen hatte. Und dann ging die Karussellfahrt los. Neben mir an der Bar saß ein Typ, von dem ich mir sicher gewesen war, dass es Chase gewesen sein musste, was ich heute als nicht möglich erachtete. Ich hatte mich gut mir ihm unterhalten, über alte Zeiten geplaudert, was ich jetzt als total widersinnig absegnete, da dieser Mann nie im Leben hatte Chase sein können. Daher ging ich jetzt grade davon aus, dass die Leute mich für einen betrunkenen Spinner hatten halten mussten. Sehr gut, so konnte ich das gar nicht erst zur Gewohnheit werden lassen, denn ich wollte mich ganz sicher nicht noch mal so blicken lassen und damit die Zukunft der anderen gefährden.

Irgendwann meine der Mann hinter der Bar, es wäre vielleicht besser, wenn ich nachhause ginge und meinen Rausch ausschlief. Der Typ neben mir, der nicht Chase war, zeigte sich bereit, mich zu begleiten, war aber dann, wenn ich mich recht erinnerte, gleich draußen vor der Türe abgehauen und hatte mich stehen lassen. Irgendwo zwischen diesem Zeitpunkt und dem, in dem ich Chase angerufen hatte, musste ich irgendwo verloren gegangen sein, denn es war eine ganze Zeit lang dunkel, was bei all den Straßenlaternen wohl kaum möglich war. Aber ich war mir auch sicher, irgendwo dazwischen Tessa gesehen zu haben. Was aus offensichtlichen Gründen auch unmöglich war. Aber ich erinnerte mich genau daran. Sie weinte, die Arme um sich selbst geschlungen und mich anflehend, weiter zu machen, mich nicht hängen zu lassen. Sie flehte mich an, das Messer weg zu legen? Aber welches Messer? Ich erinnerte mich nicht an ein Messer. Alles was ich bei mir gehabt hatte, waren mein Portemonnaie und meine Schlüssel. Hatte ich mir das nur eingebildet?

Prüfend hob ich die Hand und untersuchte mein Handgelenk. Nichts, bis auf der blau-lila Notenschlüssel und die feinen weißen Narben darunter. Hätte mich auch gewundert, denn ich war mir sicher, zu keiner Zeit ein Messer besessen zu haben und ich war viel zu benebelt gewesen, um damit noch etwas anzurichten.

Irgendwann war ich aus der Dunkelheit heraus gestolpert und hatte Chase angerufen. Oder zumindest meinte ich das, aber das würde sich schnell klären lassen, wenn ich mein Handy irgendwo wiederfand. Auf jeden Fall hatte er mich dazu gebracht, ins Penthouse zurück zu finden und Parker zu wecken. Hatte ich das wirklich gemacht, oder hatte ich mich ins Bett fallen lassen und das alles nur geträumt? Aber das deckte sich nicht mit meiner Erinnerung, denn ich war mir sicher, dass sie mich sogar in mein Zimmer verfrachtet hatte. Verdammt, als diese Regung von letzter Nacht vor meiner Zimmertüre erneut aufblitze, meinte ich mein Schädel würde explodieren. Scheiße, ich konnte vor mir sehen wie sie rot wurde.

Andererseits, wenn ich so darüber nachdachte, konnte ich das nur geträumt haben. Sie hätte mich nie so davon kommen lassen. Sie hätte mich so klein gemacht, dass ich unter dem Teppich hätte Fallschirm springen können. Wobei mir mein Verstand sagte, dass ich einen ganzen Abend nie im Leben so Detailgetreu hätte träumen können. Und ich war mir so sicher, dass sie zuvor geweint hatte und dass sie mir erneut zu helfen versucht hatte, wie ich mir sicher war, das ich keine Frau war.

Sie hatte also geweint, ich hatte sie festgehalten, bis sie sich wieder beruhigt hatte und dann war es einfach über mich gekommen. Ich hatte sie angesehen und hatte zum ersten mal das Gefühl sie wirklich zu sehen. Ich sah plötzlich mehr als nur die Ecken und Kanten, die sie immer zu schau stellte, die sie benutzte um sich zu schützen. Ich sah eine Seite an ihr, an der so vieles hing, alles was sie zu verbergen versuchte. Und ich hatte zum ersten mal das Gefühl, sie nicht wegstoßen zu wollen, ganz im Gegenteil.

„Verdammt.“

In ihren Augen musste das rüber gekommen sein, als hätte ich versucht, sie ins Bett zu kriegen. Ganz toll, wie sollte ich jetzt noch versuchen, auf einer ernsten Ebene mit ihr zu bleiben, wenn sie immer den Typen in mir sah, der versuchte alles flach zu legen, was nicht bei drei auf den Bäumen war?

Frustriert wie ich war, schwang ich die Beine aus dem Bett und bereute das gleich wieder, als ich mich an der Bettkante festhalten musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Ich hätte das vermutlich sein lassen sollen, aber ich sah ausnahmsweise mal das positive daran. Ich saß und konnte das Wasser in mich hinein kippen, was ich auch gleich tat. Es schien zu helfen, denn Momente später hörte alles auf sich zu drehen und ich konnte wieder geradeaus sehen. Gut, wenn sich das genauso positiv auf das Gehen auswirkte, konnte ja nichts mehr schief gehen. Etwas schwach in den Armen drückte ich mich von der Kante hoch und musste kurz stehen bleiben, um mein Gleichgewicht zu finden. Erstaunlich schnell klappte das, also taumelte ich Richtung Tür, dann Richtung Bad und schließlich steuerte ich auf die Dusche zu. So weit so gut. Vermutlich hätte ich gut daran getan die Boxershorts auszuziehen, aber so viel wollte ich meinem geschundenen Körper nicht zumuten, also drehte ich das kalte Wasser auf und zwang mich dazu, darunter stehen zu bleiben. Es war echt verdammt Scheiße kalt, wenn man seine Körperreaktionen nicht vollends unter Kontrolle hatte. Einen Moment hielt ich stand, musste dann aber klein beigeben, weigerte mich aber, das Wasser wirklich warm zu stellen, stattdessen drehte ich es nur minimal wärmer, sodass es weder kalt noch warm war. Das ließ sich schon leichter aushalten, zudem schien es gegen die Kopfschmerzen zu helfen. Ich spürte wie sie weniger wurden, aber das war auch schon alles, was ich mir zugestehen konnte, denn komplett verschwinden wollten sie nicht wirklich. Wäre ja auch zu schön gewesen. Zumindest konnte ich mich einigermaßen bewegen, ohne dass mir Tränen in die Augen schossen. Bevor sich das wieder änderte, streifte ich die durchnässten Shorts ab, trocknete mich ab und wickelte mir das Handtuch um die Hüften, bevor ich das Bad verließ. Parker war nirgendwo zu sehen, trotzdem beeilte ich mich, wieder in mein Zimmer zu verschwinden, um mich anzuziehen und dann den Kaffee leer zu machen, der auf dem Tablett an meinem Bett stand. Wo zum Teufel kam das Frühstück überhaupt her? Hierher gelaufen war es ganz sicher nicht, aber irgendwie wollte ich auch nicht glauben, dass Parker es gemacht hatte. Nicht nach dem, was ich letzte Nacht abgezogen hatte. Irgendwie ergab das alles keinen Sinn, nicht einmal wenn ich die ganzen Tatsachen auflistete, dann erst recht nicht. Ich befürchtete, um das heraus zu finden, musste ich ihr wohl früher oder später unter die Augen treten. Mir wäre später lieber gewesen.

Trotzdem setzte ich mich in Bewegung, sobald der Kaffee geleert war. So gut die Pancakes auch aussahen, aber momentan hatte ich das Gefühl, alles was ich aß, würde sofort wieder hoch kommen, deswegen ließ ich sie schweren Herzens stehen und verließ mein Zimmer. Leise schlurfend durchwanderte ich die Wohnung und entdeckte Parker schließlich auf dem Küchenboden, wo sie wie wild ihre Katze kraulte. Ich blieb direkt vor ihr stehen und erst da schien sie mich zu bemerken. Als sie aufstand, was lächelte sie da wirklich? Ich musste mich echt zum Horst gemacht haben letzte Nacht, wenn sie mich jetzt schon belächelte.

„Hi Dan. Was geht?“

Was geht?

„Was geht?“

Moment, hatte sie mich grade Dan genannt?

„Ja, was geht?“

War das alles, was ihr einfiel? Mir würde so viel mehr einfallen, irgendetwas blödes, sicher. Aber sie hatte mich Dan genannt, wenn ich mir das nicht eingebildet hatte, vermutlich tat ich ihr Leid. Na ganz toll.

Schulterzuckend sah ich in der Küche herum, um ihr nicht ins Gesicht sehen zu müssen und erblickte die Kaffeemaschine. Sehr gut, die Kanne stand drin und ich konnte frisch gebrühten Kaffee riechen. Ich merkte wie meine Mundwinkel nach oben wanderten und ich Parker wieder ansah, bevor ich an ihr vorbei ging, um mir einen Kaffee einzugießen.

„Was geht? Das übliche am Morgen danach. Ein so gewaltiger Kater, dass man sich wünscht sich gleich wieder zu besaufen um nicht ganz so viel davon mitkriegen zu müssen, das Rätselraten über die Dinge, die man meint gesehen und gesagt zu haben und die ständige Frage, was wahr und was falsch ist.“

Ich lehnte mich an die Arbeitsplatte und nahm einen Schluck von dem heißen Kaffee, wobei ich die Augen schloss und dann aufseufzte. Als ich die Augen wieder öffnete, beobachtete Parker mich und ich wusste nicht wieso sich mein Magen dabei so zusammen zog. Alles was ich wusste war, dass ich mich rechtfertigen und die Geschehnisse von letzter Nacht grade biegen wollte. Also stellte ich den Kaffee beiseite, kreuzte die Arme und hoffte, dass sie nicht weglief bevor ich fertig war.

„Das mit letzter Nacht-“

„Du warst stockbesoffen, vergiss es einfach.“

Wow, das war ein ziemlich schneller Block gewesen.

„Nein, hör zu es tut mir Leid. Ich muss so ziemlich dem entsprochen haben, was du sowieso von mir denkst, aber eigentlich bin ich so ja gar nicht. Alles was ich wollte, war den Kopf auszuschalten, ich brauchte Ruhe in meinem Kopf. Hätte ich gewusst dass ich... ich wollte dir nicht zu nahe treten und ganz sicher wollte ich dir nicht so auf die Pelle rücken, aber ich befürchte ich brauchte das. Klar, man sollte meinen ich wäre ein knallharter Kerl, aber irgendwo muss jeder mal Abstriche machen oder? Ich meine, dass grade du mir zum Opfer fallen musstest, war etwas ungünstig, aber...“

Ihr schnaufen ließ mich von meinen Füßen aufschauen und da sah ich, wie sie ging. Was zum..? Sie hatte sich tatsächlich ihr Katze geschnappt und wollte grade verschwinden. Ich wusste erst nicht, was ich getan haben sollte, da fiel es mir auf. Ich war so ein Trottel.

„Hey, warte. Lenne, bitte.“

Damit sie nicht floh eilte ich ihr hinterher, legte die Hand auf ihren Arm und drehte sie wieder zu mir um, da fauchte das Vieh in ihren Armen ganz gewaltig, allerdings nicht wegen mir, sondern weil sie die Katze so fest an sich drückte, dass sie sie beinahe erdrückte.

„So war das nicht gemeint, okay. Was ich meinte war, dass ich weiß, dass du mich nicht ausstehen kannst. Dass dann ausgerechnet ich mich bei dir auskotze, muss dir ziemlich zuwider gewesen sein. Und wie gesagt, es tut mir Leid.“

„Du warst betrunken, Ames. Ich hab mir sagen lassen, dass man da ziemlich dumme Dinge tut.“

„Man schon, ich nicht. Was ich dir erzählt habe war mein Ernst. Ich konnte noch nie lügen wenn ich was getrunken hatte und ich hab auch letzte Nacht nicht gelogen. Wenn du das trotzdem glauben willst, bitte, aber wirf mir nicht vor, ich wäre nicht ehrlich gewesen, denn dann werde ich sauer.“

Im Grunde war ich das jetzt schon. Zwar nicht wirklich sauer, aber gekränkt. Klar, ich hatte ihr nicht viel erzählt, aber ich hatte ihr etwas erzählt. Etwas, das man eigentlich nicht einfach so heraus posaunte. Ich hätte es ihr vermutlich auch nicht erzählt, wenn ich mich nicht so dermaßen abgeschossen hätte, aber ich hatte es nun mal und dass sie offensichtlich der Meinung war, ich hätte ihr Märchen erzählt, ging mir gegen den Strich.

Ich wollte ihr eigentlich an den Kopf werfen, was ich davon hielt, aber ich war einfach nicht in der Verfassung dafür.

„Weißt du was, vergiss du doch einfach was letzte Nacht passiert ist wenn es dir dann besser geht. Aber ich werde das nicht tun, denn dadurch geht es mir erst besser. Ich will mich auch gar nicht mit dir zoffen, also wenn du mich suchst, ich bin auf dem Dach.“

Ich meinte Bedauern in ihrem Gesicht gesehen zu haben, bevor ich mich umgedreht hatte, aber ich wollte mir diesbezüglich nicht zu viele Hoffnungen machen. Seit wann machte ich mir bei dieser Frau überhaupt irgendwelche Hoffnungen? Ich wusste es nicht, aber ich wollte auch nicht darüber nachdenken, also verkrümelte ich mich auf meine Liege auf dem Dach und starrte in den Himmel hinauf. Er schien genau wieder zu spiegeln, was ich grade fühlte. Dicke, graue Wolken, die durcheinander wirbelten und nicht wussten, wie sie sich anzuordnen hatten. Hier und da brach mal ein Sonnenstrahl durch, aber das war auch alles. Ich war mir nicht sicher, ob es bald anfangen würde zu regnen, aber ich würde liegen bleiben und einfach nass werden. Bei meinem Kopf war ich mir umso sicherer. Wenn nicht irgendetwas positives geschah, würde ich vorerst in diesem Wirrwarr hängen bleiben.

13

Ich stand wie angewurzelt da mit einer zappelnden Katze im Arm und bekam den Mund nicht mehr zu. Der Vollidiot hatte doch tatsächlich den Nerv mir diesen verkackten Abfuhrspruch an den Kopf zu werfen! Mein Körper fühlte sich heiß an, meine Augen so als würden sie jeden Moment bersten und ich musste stark an mich halten, um nicht zu schreien und etwas durch die Gegend zu werfen. Stattdessen liefen mir die Zornestränen übers Gesicht. Dieser miese, kleine Bastard!

Bevor ich ihr noch weh tun konnte, ließ ich Glen los, lief in mein Atelier, wo ich die Tür lautstark zuknallte und ließ mich daran heruntersinken. Und schon wieder saß ich mit dem Gesicht in den Knien vergraben und weinend irgendwo rum.

Aber warum musste er auch so sein? Erst sagte er im Vollsuff solche Sachen, die mir zeigten, dass es auch ganz anders zwischen uns sein konnte und dann machte er alles wieder kaputt! Aber ich hatte es ja nicht anders verdient, tatsächlich zu denken, dass ich an die Dinge glauben konnte, die er im Alkoholloch von sich gegeben hatte.

Wutentbrannt rappelte ich mich auf, ging im Raum auf und ab und konnte mich nicht zwischen Brüllen und etwas zerschmettern entscheiden. Schlussendlich tat ich beides, indem ich aus voller Kehle einen frustrierten Schrei ausstieß und das Bild, das ich an diesem Tag von Dan gemalt hatte, in die Ecke feuerte. Das half mir aber auch nicht wirklich, wieder herunterzukommen.

Scheißmänner! Warum wollte ich überhaupt einen? Sie waren ja zu doch nichts gut!

Nachdem ich noch ein paar Staffeleien und benutzte Paletten durch die Gegend geworfen hatte, legte ich mich auf dem Fußboden auf den Rücken und starrte zornig an die Decke. Ich wusste einfach nicht, was ich mit meiner Wut tun sollte.

Warum mussten sie alle mir immer wieder Hoffnung machen, nur um mich ständig zu enttäuschen? So war es immer gewesen. Darum hatte ich mich irgendwann entschieden, einsam zu bleiben, weil es dann niemanden gab, der mit weh tun konnte. Niemanden, der mich so sehr zerstören konnte.

Wie sollte ich ihm denn jetzt noch ein Wort glauben, das aus seinem Mund kam? Wenn er alles einfach so, ohne mit der Wimper zu zucken, zurück nahm? Wusste er denn nicht, wie unglaublich weh das tat? Ich wollte das nicht mehr. Ich konnte nicht mehr.

Plötzlich müde legte ich mir einen Arm über die Augen und ergab mich in Resignation. Und wie es oft der Fall war, wurde ich dabei müde und schlief einfach auf dem Fußboden meines Ateliers ein.

 

Als ich bedauerlicherweise aus meinem Koma erwachte, lag ich auf der Seite, mir tat alles weh, mir war kalt und ich merkte, dass ich sogar im Schlaf geweint hatte. Trotzdem rollte ich mich fester zu einem Ball zusammen und ergab mich meinem Elend.

Ich erinnerte mich genau, dass es damals genauso angefangen hatte. Ich war immer seltener rausgegangen, hatte manchmal wochenlang mit niemandem ein Wort gesprochen und mich jeden Tag nur von Fastfood oder Restaurantessen zum Mitnehmen ernährt. Irgendwann hatte ich mir nicht einmal mehr die Mühe gemacht, die Rollos morgens zu öffnen und war den ganzen Tag im Dunkeln gesessen und hatte auf meinem Bass geklimpert, das aber auch nicht besonders begeistert oder kreativ. Zu der Zeit hatte ich ebenfalls mit dem Malen aufgehört. Ich wollte einfach nichts mehr tun und lebte vor mich hin. Schließlich hatte ich dann meine kleinen Jobs als Kassiererin in einigen Läden verloren und konnte mich kaum noch über Wasser halten.

Es war einfach alles egal, als hätte ich sämtlichen Lebenswillen verloren. Es ging sogar so weit, dass ich gelegentlich tagelang nichts aß, weil ich mich dazu aufraffen konnte, hinaus zu gehen. Meistens lag ich dann im Bett oder saß in der Badewanne und starrte Löcher in die Luft oder weinte. Nichts hatte mehr einen Sinn.

Wäre ich dann nicht eines Abends rausgegangen, um doch mal wieder was zu essen, hätte ich wohl niemals den schmuddeligen Pappkarton gefunden, aus dem es so kläglich miaut hatte. Ich wäre wohl nie darauf zugegangen und hätte hinein geschaut. Dann hätte ich niemals ein kleines, graues Kätzchen gefunden, das sich kaum umdrehen konnte und am Karton kratzte. Ich hätte es nie mitgenommen, gefüttert und aufgepäppelt. Ich hätte Glen nicht gehabt.

Ich hatte sie zunächst einfach so genannt, weil ich nicht wusste, was sie war, bis ich mit ihr zum Tierarzt gegangen war. Das war der Anfang gewesen. Mit Glen an meiner Seite hatte ich nicht tatenlos bleiben können, sie war immerhin noch ein Baby gewesen. Daher hatte ich mich an Dr. Harrison gewandt und mir einen neuen Job gesucht. Es war alles besser geworden, auch wenn ich nach wie vor sehr labil blieb.

Dr. Harrison war es auch gewesen, der mir vorgeschlagen hatte, jeden Tag frisch und abwechslungsreich zu kochen. Tatsächlich hielt es mich bei Laune, machte mir Spaß und ich hatte große Freude daran, mir das Ergebnis in den Hals zu stopfen.

Als ich mich an all das erinnerte, musste ich schmunzeln. Dann setzte ich mich auf, wischte mir die Tränen vom Gesicht und stand auf. Prompt fand ich auch heraus, warum es so kalt war. Die Fenster standen sperrangelweit offen und es regnete wie aus Eimern. Schnell machte ich sie zu und kippte sie stattdessen, denn der Ölfarbengeruch hing noch stark in der Luft.

Dann ging ich in mein Zimmer packte mich in Regenklamotten, nahm einen Schirm mit und ging raus. Auf der Straße wählte ich einfach eine Richtung aus und ging immer nur grade aus. Die Bewegung und die frische Luft taten gut. Ich durfte mich nicht wieder in das Loch ziehen lassen, in das ich vor so vielen Jahren gefallen war. Mein Leben gehörte nicht mehr mir allein.

Ich wusste nicht, wie lange ich so die Straße hinunter lief, doch ich blieb abrupt stehen, als ich es fiepen hörte. Darauf folgte ein kleines, quietschiges Jaulen. Verwirrt sah ich mich um und erblickte in einer kleinen, engen Gasse zwischen zwei Häusern einen schmuddeligen Pappkarton. Die Szene kam mir unglaublich bekannt vor, dass es schon beinahe an Ironie grenzte.

Ich ging darauf zu, ging in die Hocke und sah hinein, um mich einem kleinen schwarzen Knäuel gegenüber zu sehen, das mich sehr stark an einen Wolfswelpen erinnerte. Es sah eindeutig nicht aus, wie ein Welpe einer normalen Hunderasse und davon hatte ich auf Youtube in niedlichen Tiervideos schon reichlich gesehen.

Der Kleine hatte schwarze, runde Knopfaugen, mit denen er mich ansah und fiepte und jaulte kläglich. Ich hielt ihm meine Finger hin, die er beschnupperte und dann nuckelte. Es kitzelte und seine Zunge war warm und weich. Da legte ich den Regenschirm ab, zog meine Jacke aus und wickelte den kleinen darin ein, bevor ich ihn aus dem Karton hob, den Regenschirm über uns beide hielt und mich wieder auf den Weg machte.

Breit grinsend schnappte ich mir ein Taxi und ließ mich bei einer ambulanten Tierklinik absetzen, wo ich erst ewig warten musste, bis ich den Kleinen untersuchen lassen konnte und er seine Impfungen und Entwurmung bekam. Von letzterem war er weniger begeistert und diesmal war es auch wirklich ein 'er'. Ich bezahlte und stieg dann wieder in ein Taxi.

Mit Hilfe des Fahrers, der eine Schwachstelle für kleine, niedliche Tiere hatte, und ein wenig Telefonieren fand ich auch eine Tierhandlung, in die ich mit dem Kleinen reingehen konnte. Der Fahrer half mir sogar freundlicherweise beim Einkaufen, denn es war nicht wenig, was ich zunächst besorgen musste, auch wenn ich schon einiges ausließ, das erst später besorgt werden musste.

Mit einem Hundebettchen, Halsband, Leine, Näpfen, einem welpenfreundlichen Quietschespielzeug und einem Sack Welpenfutter bewaffnet, ließ ich mich nach Hause fahren. Ich gab dem netten Fahrer Extratrinkgeld für seine Umstände. Der Portier seufzte, als er mich sah, half mir jedoch bereitwillig, nachdem ich ihm unseren neuen Mitbewohner unter die Nase gehalten hatte und dieser dem Portier gnadenlos ins Gesicht gefiept hatte.

Zurück in der Wohnung kam Glen angerannt, wie sie es oft tat, wenn ich nach Hause kam und sah mich mit schief gelegtem Kopf an. Ich ließ den kleinen Hund auf die Wohnung los, die Dank der ausgeklügelten Verkabelung in der Wand so ziemlich welpensicher war und machte noch schnell die Tür zum Probenraum zu und beschäftigte mich zuerst mit Glen, damit sie sich nicht vernachlässigt fühlte, bis sie von mir gelangweilt war und den Welpen untersuchte.

Erst beobachtete sie ihn, lief auf und ab und um ihn herum und tippte ihn ab und an mit der Pfote an, bevor sie ihn im Nacken packte und in Richtung ihres Katzenkörbchens davontrug. Verwirrt sah ich ihr nach und schüttelte dann den Kopf. Wirklich, ich verstand diese komische Katze manchmal einfach nicht.

Nachdem ich mich schnell umgezogen hatte, stellte ich die Hundenäpfe neben Glens auf und füllte sie, bevor ich schamlos in Dans Zimmer eindrang und das Hundebettchen direkt neben seinem deponierte und das Spielzeug dazu warf.

Dann suchte ich die Tiere, die tatsächlich in Glens Katzenbett lagen. Meine verrückte Katze putzte den Welpen, der zum Glück noch keine Flöhe angezogen hatte und schnurrte wie ein Vibrator.

In der ganzen Wohnung war keine Spur von Dan, also musste er wohl noch auf dem Dach sein. Der Bastard sollte beten, dass er sich keine Erkältung einfing und seine Stimme ruinierte! Angesäuert stapfte ich also aufs Dach und stellte fest, dass es nur noch nieselte. Dennoch funkelte ich den Idioten in seinem Liegestuhl wütend an, der mich unsicher ansah, ging zu einem kleinen Schuppen, der versteckt in einer Ecke lag und kramte einen der Schirme darin heraus und spannte ihn über Dan auf. Dann stapfte ich wieder nach unten, fischte mir den Welpen aus Glens Bettchen, worüber sie nicht besonders begeistert war und wickelte ihn wieder in meine Jacke ein, bevor ich hinauf ging.

Jetzt sah Dan erst recht unsicher, aber auch gereizt und irritiert aus. Bevor er jedoch etwas sagen konnte, fuhr ich ihm über den Mund.

„Da! Lern endlich, dich um wen anders richtig zu kümmern, du mieser Bastard!“ Vorsichtig ließ ich das Bündel in seinen Schoß fallen und stapfte davon. Der Penner sollte endlich lernen, Verantwortung zu übernehmen und wie sollte das besser gehen als mit einem Haustier?

 

 

 

 

 

 Ich hatte befürchtet dass es regnen würde, vor allem, nachdem sich der Himmel so dunkel zu gezogen hatte. Irgendwie hatte ich trotzdem gehofft, dass es trocken blieb. Tja, Pech gehabt. Jetzt saß ich also seit geschlagener Zeit, ich wusste nicht wie lange, im Regen und starrte immer noch in den Himmel, bis schließlich Parker rauf kam und, was? Wieso spannte sie mir einen Schirm auf? Und wieso verschwand sie wieder ohne ein Wort zu sagen? Ich überlegte ob ich aufstehen und sie fragen gehen sollte, aber ich dachte noch darüber nach, als sie mit ihrer Jacke wieder hoch kam. Was, wollte sie sich jetzt etwa zu mir setzen? Das erschien mir irgendwie widersinnig und meiner Vermutung folgend, setzte sie sich nicht. Stattdessen ließ sie mir ihre Jacke in den Schoß fallen, wobei mir nicht entging, dass sie schwerer war, als sie hätte sein sollen.

„Da! Lern endlich, dich um wen anders richtig zu kümmern, du mieser Bastard!“

Was? Was sollte das denn?

„Sag mal, geht’s noch?!“

Sie war schon weg. Natürlich, sie war zu feige, sich der Auseinandersetzung zu stellen. Miese Kuh.

Alles mögliche erwartend zog ich vorsichtig die Jacke auseinander und erwartete fast, dass mir irgendetwas entgegen flog, doch stattdessen blinzelte mich ein schwarzes Paar Augen an, kleine Kulleraugen die mich zu fragen schienen, was hier passierte. Das hätte ich auch gerne gewusst.

„Stell dich hinten an kleiner, ich versteh sie auch nicht.“

Als wollte er mir antworten gab er einen leisen Laut von sich. Ich hielt ihm meine Finger hin und ließ ihn daran schnuppern, doch er begann gleich daran zu lecken und sich dann aus der Jacke zu kämpfen, um auf meiner Brust hoch zu kraxeln und mir durch das Gesicht zu wuseln.

„Hey, ganz langsam, ich brauch meine Nase noch.“

Doch er hörte nicht auf daran zu kauen und zu lecken. Einen Moment ließ ich ihn gewähren, nahm ich dann aber und setzte ihn zurück auf meine Brust. Vorsichtig, um ihn nicht abzuwerfen, zog ich Parker's Jacke auseinander und legte sie über ihn, wobei mir ein Hauch ihres Geruchs in die Nase stieg. Süß. Warm. Sicher, ich hätte das nicht so genießen sollen, aber der Welpe schien ihren Duft ebenso angenehm zu finden, also benutzte ich ihn als Ausrede.

„Wo hat sie dich überhaupt her? Also nichts gegen dich, aber nach Tierhandlung riechst du irgendwie nicht und außerdem bist du noch viel zu jung. Sag mir bitte nicht, sie hat dich irgendeinem armen Obdachlosen weg genommen.“

Aber so tief konnte nicht mal sie sinken. Immerhin hatte sie einen Schirm aufgespannt als sie hoch kam. Gut, das hatte sie vermutlich für den Hund getan, aber trotzdem. Es war ja nicht so als wäre sie zu alles und jedem patzig, motzig und stinkig. Nur zu mir.

„Sei froh, wenn sie dich nicht so behandelt wie mich. Sie kann ein echtes Miststück sein, manchmal würde ich sie am liebsten einfach nur würgen.“

Und wie gerne ich das grade jetzt tun würde. Musste sie die ganze Sache so dermaßen falsch verstehen? Und erklären ließ sie sich auch nichts. Wie konnte man nur so dickköpfig sein?

Eine ganze Weile lag ich noch auf der Liege, mit dem Welpen auf der Brust, der sich in Parker's Jacke gekuschelt hatte, und kraulte ihn, bis er schließlich unruhig wurde. Er gab leise Laute von sich, wackelte unruhig hin und her und da entschied ich, in die Wohnung zu gehen. Den Welpen in den Beutel, den mein Pullover bildete, gewickelt und Parker's Jacke über die Schulter gehängt schlüpfte ich unter dem Schirm hervor und beeilte mich nach unten. Im Vergleich zu draußen war das Wohnzimmer warm und es roch verdammt gut nach Essen. Mein Gott, hörte sie überhaupt irgendwann mal auf zu kochen? Wie auch immer. So fand ich sie dann in der Küche vor und hielt ihr ihre Jacke hin.

„Tut mir echt Leid, aber er ist noch klein, er weiß nicht, dass deine Jacke keine Toilette ist.“

„Was?“

„Vergiss es, war nur ein Witz. Sag mir lieber wo du dieses kleine Häufchen Elend aufgesammelt hast, der ist doch keine vier Wochen alt.“

„Drei oder vier Wochen hat der Tierarzt gesagt, er war sich nicht ganz sicher, weil wir nicht wissen wie lange er schon in der Gasse festgesessen hat, in der ich ihn gefunden habe. Ihm fehlt nichts weiter und ich hab schon alles besorgt was wir für ihn brauchen, du solltest aber trotzdem ein Auge auf ihn haben, wenn sie so klein sind, sind sie noch sehr empfindlich.“

„Na ganz toll, noch so ein Findelding. Musst du eigentlich alles aufsammeln und mit nach hause nehmen, was du auf der Straße findest?“

„Na dich würde ich ganz sicher nicht mit nach hause nehmen.“

Das 'ganz im Gegenteil' sprach sie nicht aus, aber es war nicht zu überhören. Irgendwie passte mir das gar nicht, aber ich ließ mir mein Missfallen nicht anmerken.

„Schön für dich. Und wieso drückst du ihn mir aufs Auge? Kümmer dich gefälligst selbst darum.“

„Hab ich dir schon gesagt, weil du endlich lernen sollst Verantwortung zu übernehmen. Es dreht sich nicht immer alles nur um dich.“

Es war deutlich, dass sie sauer war. Trotzdem versuchte ich nicht laut zu werden und kraulte stattdessen den Welpen.

„Es dreht sich doch überhaupt nicht alles nur um mich. Du bist schließlich auch noch hier und Eric und Ella sind auch nicht grade selten hier, außerdem sind wir nur zusammen wirklich gut, wieso sollte es sich also alles immer nur um mich drehen?“

„Du drängst dich immer in den Vordergrund und übernimmst die Führung, du spielst dich auf, als wärst du der Boss, aber das bist du nicht.“

„Ich bin dazu erzogen, die Führung zu übernehmen. Man sollte meinen du wüsstest das, so oft wie du darauf herum reitest. Das kommt ganz automatisch, das mache ich doch überhaupt nicht absichtlich.“

„Dann lerne endlich dich zurück zu nehmen!“ „Ist dir schon mal aufgefallen, wie oft ich das tue? Wie oft ich dir die Dinge überlasse? Die Auswahl der Songs, die Noten, die Lyrics, die Soloparts. Schau dir die Songs auf unserer Liste mal an und wiege meine mit deinen Parts ab. Dann können wir gerne weiter darüber diskutieren.“

Ich war schon halb aus der Küche verschwunden, als ich mich noch mal zu Parker umdrehte.

„Und noch was. Ich kann nicht ewig versuchen nett zu dir zu sein und es ist nicht meine Schuld, wenn du die Dinge falsch verstehst oder dich weigerst das zu hören, was man zu dir sagt. Aber lass deine schlechte Laune nicht an mir aus.“

Damit ließ ich sie endgültig in der Küche alleine und hoffte, dass sie dieses mal verstanden hatte, was ich gesagt hatte. Wenn nicht, spielte ich mit dem Gedanken es endgültig aufzugeben.

Mit dem immer hibbeliger werdenden Welpen im Arm verschwand ich in meinem Zimmer und stolperte was über den ganzen Krempel, der direkt im Eingang lag. Es sah beinahe aus, als hätte man sie einfach fallen gelassen, sobald man im Raum stand. Natürlich. vorsichtig setzte ich den Welpen ab. Er tapste sofort los und erkundete den Raum, während ich versuchte einen Überblick über all die Sachen zu bekommen. Spielzeug, Halsband, Leine, Futter, Milch Kotbeutel, Bürsten etc. Parker hatte nicht gelogen, sich hatte wirklich ALLES besorgt. Das ganze Zeug erst mal zur Seite räumend behielt ich den Welpen im Auge und suchte mir gleichzeitig saubere Sachen aus dem Schrank. Sicher, ich hatte erst geduscht nachdem ich aufgestanden war, aber ich war seitdem auch Nass bis auf die Knochen gewesen und obwohl es zwischenzeitlich aufgehört hatte zu regnen, wirklich trocken war meine Hose nicht geworden. Der Pullover hingegen war ziemlich steif geworden nachdem er wieder trocken war. Alles ziemlich unbequem, also zog ich mich schnell um und wühlte mich dann durch die Anweisungen auf dem Karton der Welpenmilch. Zum anrühren. Okay, das würde ich hinkriegen. Mit der Schachtel und dem Welpen unter dem Arm machte ich mich zurück in die Küche, aber die war leer, keine Ahnung wo Parker hin war, aber mir war das grade ziemlich Latte.

Ich setzte den Hund auf dem Boden ab und widmete mich dann der Milch. Wie auf der Packung beschrieben rührte ich sie an und stellte die Schale für ein paar Sekunden in die Mikrowelle um sie zu erwärmen. Danach füllte ich sie in einen der Näpfe, die vorher noch nicht da gestanden hatte und begann, mich nach dem Welpen um zu sehen. Ich sah grade noch, wie sein Hinterteil wackelnd hinter der Kochinsel verschwand und war mit zwei Schritten bei ihm.

„Hier geblieben.“

Er protestierte kleinlaut als ich ihn hochhob, ergab sich aber seinem Schicksal, als er die warme Milch zu riechen schien. Neugierig begann er dem Duft zu folgen, schien dann aber mit der Schüssel nichts anfangen zu können. Sicher, woher sollte er auch. Mit dem kleinen Finger tauchte ich in die warme Milch und hielt ihn ihm dann hin, woraufhin er daran zu lecken begann. Langsam, damit er den Kontakt nicht verlor, führte ich seine Schnauze zur Schüssel hinunter und hielt den Finger in die Milch. Immer noch an meinem Finger nuckelnd fing er an, die Milch auf zu lecken, also setzt ich mich neben ihm auf den Boden und wartete so lange, bis er wieder von dem Napf abließ. Beinahe augenblicklich ließ er sich auf sein Hinterteil fallen, also zog ich ein Handtuch von der Arbeitsplatte, hob den kleinen vorsichtig hoch, setzte ihn mir auf den Schoß und begann, ihm die Schnauze sauber zu tupfen. Bereitwillig ließ er sich das gefallen und fing schließlich an, mit dem Tuch zu spielen und darauf herum zu kauen.

„Okay, okay, schon verstanden.“

Ihm vorsichtig das Handtuch entwindend stand ich auf, legte es auf der Theke ab und ging dann mit dem Welpen im Arm los, um ihm eins der Spielzeuge zu holen, die ich in meinem Zimmer gesehen hatte. Dabei entging mir nicht, dass sein Augenmerk auf dem kleinen Hasen aus Plastik lag, welcher in dem Korb neben meinem Bett lag. Als ich ihn aufhob gab er ein schrilles Quietschen von sich. Na ganz klasse. Wenn er sich in das Ding verliebte, konnte ich das schlafen für die nächsten Wochen abhaken. Probeweise hielt ich ihm den Hasen hin und wie ich befürchtet hatte, war er vollauf begeistert. Das würde ich Parker heim zahlen, das hatte sie doch mit Absicht gemacht.

Mich in meine Strafe fügend verließ ich mein Zimmer, ging im Bad vorbei um ein großes Badehandtuch zu holen und bequemte mich dann im Wohnzimmer auf die Couch. Ich streckte die Beine lang aus und breitete dann das Handtuch der Länge nach auf der Couch neben mir aus, sodass es zwischen mir und der Rückenlehne ausgebreitet lag und setzte dann den Welpen darauf. Wenn er sich erleichterte, würde er es darauf tun, denn ich hatte nicht vor, ihn großartig aus den Augen zu lassen.

Eine ganze Weile beschäftigte ich den Welpen mit seinem Spielzeug und überließ es ihm dann, wobei es nicht lange dauerte, bis er das Interesse daran verlor. War wohl nicht so lustig, mit sich alleine zu spielen. Au ja, das kannte ich gut. Sich in meine Armbeuge schmiegend schlief er dann schließlich ein, während ich ihn kraulte und dabei Fern sah. Wenigstens einer, der nicht abgeneigt war sich mit mir auf die Couch fläzen und nichts zu tun. 

 

14

Ich wusste nicht wieso, aber ich lag wieder auf dem Fußboden meines Ateliers und starrte an die Decke. Ich hatte mir ein Kissen geholt und das Thermostat hochgedreht, sodass es nun mollig warm an meiner Rückseite war und mein Kopf bequem lag. Es war mir ein Rätsel, wie es immer passierte, aber Dan trieb mich zur Weißglut. Mal wieder. Wie so oft. Ständig.

Ich wusste nicht einmal, was mit mir nicht stimmte. Ich verstand mich nicht einmal selbst. Manchmal wollte ich bloß nur alleine sein und mich gar nicht erst mit Menschen beschäftigen müssen. Ich verstand diese blöden Dinger eh nicht. Aber ich hatte einen Grund hier zu sein und mir schon als Kind geschworen, niemals aufzugeben und es einfach auszuhalten, egal wie sehr es weh tat.

Nur wusste ich nicht, ob das diesmal auch funktionieren würde. Dan war definitiv genervt von mir, was nichts Neues war, doch dieses Mal hatte ich etwas in seinen Augen gesehen, in seiner Stimme gehört, das mir sagte, dass er mich bald einfach aufgeben würde. Was machte ich bloß falsch?

Mich in einem Elend wälzend, rollte ich mich auf der Seite zusammen und starrte die Bilder an, die ich in die Ecke gefeuert hatte. Mein Atelier war ein einziges Schlachtfeld und eigentlich hätte ich es aufräumen sollen, doch ich wollte nicht. So wie es war, war es im Moment genau richtig. Es drückte alles aus, was ich fühlte. Der Raum selbst war das Kunstwerk.

Ich konnte den nächsten Mittwoch kaum noch erwarten. Ich musste ganz dringend mit jemandem reden und ich wollte mich weder Eric noch Ella anvertrauen, auch wenn die beiden echt okay waren. Eric war ein Sympathisant von Dan, daher waren seine Ratschläge nicht mal die Luft wert, mit der er sie ausatmete. Ella war extrem cool drauf, aber ich hatte bereits gemerkt, dass sie weniger auf der emotionalen Schiene fuhr, daher kam das auch nicht wirklich in Frage und ich würde den Teufel tun und Frank von dem Dilemma erzählen. Eher würde ich mich tatsächlich vom Dach vor meinem Zimmer stürzen.

Der Drang, mich mitzuteilen war so groß, dass ich es schließlich nicht mehr aushielt und zum Telefonhörer griff. Es klingelte genau einmal, bevor abgehoben wurde.

„Lenne?“

„Hi, Doc.“

„Was kann ich für dich tun?“ Direkt auf den Punkt.

„Ähm... also... ich hab da ein Problem und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Ich weiß, dass es eher eine Sache ist, die man seinen Freunden erzählt und ich fühle mich ein bisschen dämlich, das mit ihnen besprechen zu müssen-“

„Lenneth“, unterbrach er mich tadelnd, „du weiß, dass du mit mir sprechen kannst, worum auch immer es geht. Dafür bin ich da.“ Tief atmete ich ein.

„Danke, Doc. Tut mir leid, dass ich angefangen hab, zu brabbeln. Jedenfalls geht es um Dan.“ Und ich begann ihm zu schildern, was ich bei unserem letzten Telefonat ausgelassen hatte. Wie er mir ein wenig von seiner Vergangenheit erzählt hatte, wobei ich großzügig ausließ, was er mir erzählt hatte und blieb lediglich bei den Dingen, die unmittelbar mich selbst betrafen.

„Bedeutet das nicht, dass ich...“, ich stockte. „Dass ich ihm irgendetwas bedeute?“ Ich war mir nicht sicher.

„Das tut es, Lenne. Du bist ihm in einer Weise wichtig, aber du musst selbst verstehen, in welcher. Ich weiß, dass du nicht gut mit Menschen auskommst und sie selten verstehst, das verwundert mich nicht, aber du musst es lernen.“

„Mag sein, aber ich verstehe es manchmal einfach nicht. Und vor allem verstehe ich nicht, wie er diesen Abend mit ein paar einfachen Worten so vom Tisch fegen konnte.“

„Ich fürchte, du hast da etwas missverstanden. So wie sich das für mich anhört, hat er sich dafür entschuldigt, dir so nahe getreten zu sein. Du weißt schon, wegen diesem beinahe Kuss, den du mir beschrieben hast. Du hast es nur so verstanden, dass er sich auf den gesamten Abend bezogen hat, wobei ich dazu sagen muss, dass er sich wohl für dich nicht allzu klar ausgedrückt hat. Das, was dein Hirn nicht unterbewusst tut, musst du selbst tun, Lenne. Weil du die feinen Nuancen nicht selbst heraushören kannst.“

„Aber wieso hat er dann dieses erste ernste Gespräch nicht wieder aufgegriffen? Er hat es nicht mit einer Silbe erwähnt!“

„Er ist ein Mann, Lenneth. Es kann durchaus sein, dass sein männlicher Stolz das nicht zugelassen hat oder er sich aber durch seinen Vollrausch an diesen Teil nicht mehr erinnern kann. Ich kann es nicht sagen, aber wenn du über diese Themen mit ihm sprechen möchtest, dann solltest du den ersten Schritt tun.“

„Ich... ich hab Angst, Doc. Ich will ihm nicht beweisen, dass ich wirklich so blöd und trotzig wie ein kleines Kind bin. Das denkt er ja jetzt schon von mir.“

„Und es ist dir wichtig, was er von dir hält.“ Ich zögerte mit der Antwort, weil ich genau wusste, worauf Doc hinaus wollte.

„Ja“, gab ich letztlich zu. „Wissen Sie, er ist immer so souverän unterwegs und selbstbewusst. Diese Episode letzte Nacht hat mich total aus dem Konzept geworfen. Das war so untypisch für Dan, dass ich zuerst nicht wusste, was ich damit anfangen soll. Er verhält sich immer so... erwachsen, außer wenn er mich anbrüllt, weil ich ihm irgendwie auf den Schlips getreten bin. Meine Güte, ich fühle mich allein schon dumm, nur weil ich das so sage. Im Vergleich zu ihm, fühle ich mich kindisch. Ich will mich beweisen und ihm zeigen, dass ich auch anders sein kann, aber ich denke, ich versage dabei kläglich. Ich mache Dinge lieber, als dass ich sie sage. Ich versuche, ihm kleine Gefallen zu tun, ihm die Dinge leichter zu machen, aber ich weiß nicht, ob er das bemerkt. Im Gegenzug scheine ich Dinge nicht zu sehen, die er tut. Irgendwie verstehen wir uns einfach nicht.“

„Ich fürchte, du hast da ein völlig falsches Bild von dir selbst. Du siehst die großartigen Dinge, die du vollbringst selbst nicht. Du musst erst dich selbst schätzen lernen, bevor du dich weiterentwickeln kannst. Wie wäre es, wenn wir einen zweiten Termin in der Woche einrichten, zu dem du mit Dan gemeinsam kommst, damit wir eure Kommunikationsprobleme beheben können. Ich fürchte, dass ihr beide das alleine nicht ganz hinbekommt.“

„Ich... ich weiß nicht. Ich hab Angst, ihn zu fragen. Er wollte ja schon nicht in die halbe Stunde gehen, die ich mit ihm geteilt habe. Ich konnte ihn ja noch nicht einmal darauf ansprechen, dass er Sie doch kontaktieren soll!“

„Du wirst deine Probleme nicht lösen können, indem du ihnen immer wieder ausweichst. Es gibt Dinge im Leben, denen du dich stellen musst. Und dabei an dieser Stelle anzufangen, ist nicht verkehrt, weil es so schwer nicht ist. Was wäre denn das Schlimmste, was passieren könnte.“

„Dass er meinen Vorschlag direkt ablehnt oder mich anbrüllt. Dass ich ihm einfach nur auf die Nerven gehe und er mich wortlos stehen lässt. Dass er mir nicht einmal zuhört. Ich hab es schon so sehr verbockt, Doc. Ich weiß nicht mehr ein noch aus, dass es mich beinahe zerreißt!“

„Ganz ruhig, Lenne.“ Doc Maverick musste hören können, dass ich wieder kurz davor stand zu weinen. Meine Ängste waren eigentlich völlig unbegründet, aber ich konnte sie nicht beiseite schieben und auch nicht ignorieren. Es tat zu sehr weh, es war so viel Druck.

„Es ist alles nicht so schlimm, wie du es dir ausmalst. Darian ist ein vernünftiger, junger Mann. Es bedeutet zwar nicht, dass er gegen seine eigenen Gefühlsregungen immun ist, aber hat er dich denn jemals direkt abgewiesen, ohne dich vorher anzuhören.“ Ich dachte scharf nach und antwortete dann zögerlich: „Nein, nicht wirklich.“

„Siehst du? Wenn du ruhig an die Sache herangehst und ihm deine Gründe für dein Verhalten genau erklärst, dann wird er sich die Sache zumindest durch den Kopf gehen lassen. Versuch es einfach, Lenne.“

„Okay, Doc. Ich tu mein Bestes. Danke, Doc, das hat mir jetzt wirklich gut getan.“

„Dafür bin ich da, Lenneth. Ruf mich jederzeit wieder an, wenn du etwas brauchst.“

„Danke, Doc. Bis dann, Doc.“

„Bis dann, Lenne und vergiss nicht, mich anzurufen, wenn er sich doch dazu entschließen sollte, mich zu besuchen.“

„Mach ich.“ Damit legte ich auf und legte das Telefon neben mir auf den Boden. Dann rappelte ich mich auf und stellte mich vor die Tür.

Mir war ein wenig übel und ich musste tief durch atmen, um nicht an Ort und Stelle kotzen zu müssen. Schließlich riss ich die Tür auf und ging ins Wohnzimmer, wo ich Dan auf der Couch mit dem Welpen vorfand. Er sah fern, während der Kleine auf einer Decke herumrollte.

Dan sah kurz auf, als ich auf ihn zu ging, wandte seinen Blick dann jedoch wieder dem Fernseher zu. Mir wurde noch übler und ich hätte mich am liebsten unter meinem Bett versteckt und wäre nie wieder hervor gekommen. In meinem Bauch flatterte es regelrecht und es war ganz sicher nicht das gute Flattern.

Ich hoffte, dass mein Gang wenigstens irgendwie selbstbewusst aussah und setzte mich dann dicht neben Dan auf die Couch. Wir berührten uns nicht, aber es hätte nicht viel gebraucht, bis das der Fall gewesen wäre.

Ich zappelte mit den Beinen und kaute nervös an meinen Fingern und sah alles an, nur nicht ihn. Hin und wieder schweifte mein Blick dann doch zu ihm und immer, wenn er dabei auch in meine Richtung schielte, wandte ich meinen Blick wieder ab. Mehrmals holte ich auch Luft, um endlich etwas zu sagen, doch mein Hirn verwandelte sich genau dann in ein großes schwarzes Loch und ich wusste nicht mehr, worüber ich mit ihm eigentlich sprechen wollte. Dann brach Panik aus. Jeder, der die Spongebob-Folge kannte, in der kleine Spongebobs in ebenjenem Kopf herumrannten, um alles zu löschen, was nicht mit Service zu tun hatte, wusste, wie es dann in meinem Kopf aussah. Nur wühlten meine imaginären Spongebobs verzweifelt in ihren Aktenschränken, um irgendetwas zu finden, das menschlicher Sprache ähnelte.

Einmal gurgelte ich sogar aus Versehen etwas Unverständliches, das so klang, als würde man mich gerade würgen, bevor ich wieder verstummte. An einem Punkt reichte es Dan dann und er drehte sich zu mir. Sein Mund ging auf und ich wusste, er würde etwas sagen, was mich völlig entmutigen würde, darum unterbrach ich ihn sofort.

„Hör mal!“ Und da wusste ich nicht mehr weiter. „Ich... also... äh... also ich, ich... es tut mir leid!“ So weit so gut. Das war doch gar nicht so schlecht. Fragend hob Dan eine Augenbraue.

„Ich weiß jetzt, dass ich dich missverstanden habe, als du dich dafür entschuldigen wolltest, dass du mir zu nahe getreten bist! Ich... ich dachte, du hättest alles gemeint, was du mir gestern gesagt hast und da bin ich durchgedreht. Ich... ich hab mich wirklich darüber gefreut, dass du dich mir anvertraut hast, auch wenn das vermutlich nur wegen deinem Vollsuff passiert ist, aber das ist okay! Was ich sagen will ist: Ich hab etwas mit Doc Maverick gesprochen, weil ich nicht mehr wusste, was ich tun sollte. Ich will wirklich, dass das mit uns funktioniert.“ Oh mein Gott, jetzt klang es so, als wären wir ein Paar! „Also, ich meine nicht so funktionieren, wie in so funktionieren, sondern funktionieren wie in als Team. Du weißt schon! Jedenfalls, also, was ich sagen will ist, dass wir uns oft missverstehen, das weiß ich. Und ich wollte einfach ein bisschen mit dir darüber reden, wie es mit uns weitergehen sollte, nach dem, was gestern passiert ist, aber du hast es heute mit keinem Wort erwähnt und dann, was du danach gesagt hast... ich dachte einfach, dass du es dir anders überlegt hast und na ja... ich weiß auch nicht. Ich versteh es ja selber nicht!

Wie wäre es also, wenn wir... wenn wir mal zusammen zu Doc Maverick gehen, um unsere Kommunikationsprobleme zu lösen?“ Ich hatte keine Ahnung, was ich gerade gesagt hatte und nach Dans Gesichtsausdruck zu urteilen, er selbst auch nicht unbedingt, aber ich war so nervös, dass ich kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Ich hoffte nur, dass ich ihn nicht wieder verärgert hatte.

 

 

 

 

 

 Ich wusste schon das etwas nicht stimmt, als sie so komisch auffällig unauffällig ins Wohnzimmer kam. Als sie sich dann direkt zu mir setzte, gingen bei mir die Alarmglocken an. Irgendetwas hatte sie ausgefressen, sonst wäre sie nicht hier, aber heraus zu finden, was es war, würde schwieriger werden, als auf eine ganze Schar von Welpen aufzupassen. Ich dachte das zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich sie fragen wollte, ob es ihr gut ginge und sie mir sofort über den Mund fuhr. Die ganze Zeit schien ich nicht zu Wort zu kommen und als sie dann schlussendlich schwieg, wusste ich nicht mehr was ich sagen sollte? Was zur Hölle...

„Äh... Ich... Keine Ahnung, irgendwie fällt mir grade nichts ein.“

Als ich zu Parker rüber sah, war ihr die Unsicherheit deutlich am Gesicht abzulesen. Ich hatte sie noch nie verunsichert gesehen, was mich wiederum verunsicherte. Und dann ging mir auf, was sie zum Schluss gesagt hatte.

„Was? Das ist nicht dein ernst oder? Du kannst mich nicht wieder zu diesem Doktor schleifen und ganz bestimmt setze ich mich nicht mit dir zusammen da rein.“

Ich konnte beobachten, wie ihr bei meinen Worten erst Wut, dann Demütigung bis hin zu einem Verletzten Ausdruck über das Gesicht wanderte. Logischerweise ging sie gleich in ihren Selbstschutz über, ohne meine Gründe zu hinterfragen.

„Natürlich, wieso auch. Ich bin ja nur die Irre mit der du arbeiten musst. Ich weiß gar nicht, wieso ich dich gefragt habe.“

Da stand sie auf und wollte flüchten, aber ich griff gleich nach ihrer Hand und hätte sie beinahe nicht erwischt, weil sie es mehr als eilig hatte.

„Hey, so war das nicht gemeint okay?“

Irritiert starrte sie auf meine Hand, mit der ich ihre Finger fest hielt.

„Ach nein? Klang aber ganz genau danach.“

„Nein. Meinetwegen kannst du mir einen Knopf an die Backe labern, aber ich lass mich nicht wieder so von diesem Seelenklempner provozieren. Wenn er wieder nach bohrt, weiß ich nicht was ich tue. Wenn mir die Sicherungen durchbrennen tue ich Dinge, die ich später bereue. Ich bereue heute noch Dinge, die ich vor vier Jahren getan habe und ich werd sie mein Leben lang bereuen.“

„Ach ja? Und wo ist bitte das Problem, darüber zu reden?“

„Es ist doch nicht das Problem darüber zu reden, sondern die Gefahr nicht mehr aus dem Loch heraus zu kommen, wenn ich wieder darin lande. Wenn ich um mich schlage, aus Angst und Panik durchdrehe, dann will ich dich nicht in meiner Nähe haben. Ich hab schon so viele Leute verletzt, den Fehler werd ich bei dir nicht machen. Ich will dir nicht weh tun, aber das werde ich, wenn du mich wieder da hin schleppst. Also nein. Ich geh nicht mit dir da hin.“

Bei dem Wort nein, sah sie gleich enttäuscht aus und ich bekam gleich ein schlechtes Gewissen. Das schien ihr verdammt wichtig zu sein, sonst würde sie sich nicht so gehen lassen und ihre Mimik besser verstecken.

„Zumindest nicht bevor du mir schwören kannst, dass dein Doc nicht mehr in meiner Vergangenheit rum wühlt. Und jetzt setz dich wieder hin, du stehst im Bild.“

Demonstrativ zog ich sie wieder neben mich auf die Couch. Sie war darüber sichtlich überrascht und wirkte etwas angespannt, aber sie zog kein Gesicht mehr, was ich als gut deutete.

Um das Eis zu brechen, schnappte ich mir den Welpen und setzte ihn ihr auf den Schoß, wobei ich nicht umhin kam, ihn zu kraulen und dabei zu schmunzeln.

„Hier, ich befürchte er kann dich viel besser leiden als mich. Er fährt voll auf dich ab, siehst du?“

Während der Welpe sich in ihren Pullover kuschelte fuhr sie ihm immer wieder über den Flaum seines Fells und schien sich dabei immer mehr zu entspannen.

„Das ändert aber nichts daran, dass du für ihn verantwortlich bist.“

„Was? Wieso? Sieh ihn dir doch an. Er kann kaum gucken und hängt schon an dir, als würde sein Leben davon abhängen.“

„Er ist klein, er ist darauf angewiesen. Er kann gar nicht anders als an sich das warme Gefühl zu klammern, in der Hoffnung, dass jemand sich um ihn kümmert.“

Sprach sie jetzt wirklich von dem Hand voll Welpen.

„Weiß ich, aber er ist so klein. Ich bin größeres gewöhnt. Brutus und Karlos würden ihn zum Frühstück weg atmen.“

„Brutus und Karlos?“

„Ja, zwei riesige Dobermänner. Frag besser nicht. Ich hätte sie auch anders getauft, aber ich hatte kein Mitspracherecht.“

„Okay. Und wie hast du ihn getauft?“

Den Welpen kraulen deutete sie auf ihn und sah mich dann an.

„Was?“

„Du musst ihm schon einen Namen geben, oder willst du ihn sein Leben lang einfach Hund rufen?“

„Nein, du hast ihn angeschleppt. Ich weiß gar nicht, wieso ich ihn mir hab andrehen lassen.“

„Los Dan, du kümmerst dich um ihn, er ist auf dich angewiesen, vergiss das nicht. Gib ihm einen Namen, das ist wichtig.“

„Nein.“

„Los, mach schon.“

„Nein.“

„Darian!“

„Na gut, dann heißt er eben ab sofort Ben.“

Wieso sie mich so ausdruckslos ansah und schwieg war mir schleierhaft.

„Was?“

„Ben?“

„Ja Ben. Du wolltest einen Namen, da hast du einen.“

„Ben? Ernsthaft?“

„Ja.“

„Und so was von jemandem der mich für blöd erklärt, weil der Name meiner Katze meinem eigenen gleicht.“

„Das ist ja auch schwachsinnig.“

„Ich bitte dich. Ben. Dan. Klingelt da was?“

„Das kann man doch überhaupt nicht vergleichen.“

Außerdem war es mir im ersten Moment gar nicht aufgefallen.

„Klingt auch überhaupt nicht ähnlich, wie komme ich nur darauf.“

„Was denn. Ich kann nichts dafür dass mich ständig alle Dan nennen, ich hab mir den Namen nicht ausgesucht. Ich war von Darian ausgegangen und das hat eben keine Ähnlichkeit mit Ben oder Benjamin.“

„Schon gut, vergiss es. Mir solls egal sein.“

„Was, erst willst du einen Namen und jetzt ist es dir egal? Das ist total widersinnig.“

„Das ist überhaupt nicht widersinnig, ich hab nur einfach beschlossen, mich da raus zu halten, immerhin ist er dein Hund.“

„Er ist der Hund, den du mir ans Bein gebunden hast.“

„Du bist grausam, wie kannst du ihn verleugnen? Sieh ihn dir doch an? Wie kannst du ihn nur verleugnen?“

Um mir zu beweisen, wie süß er war, hielt sie ihn mir direkt unter die Nase. Na gut, er war wirklich zum knuddeln, aber das änderte nichts daran, dass ich ihn eigentlich gar nicht hatte haben wollen.

„Ist ja schon gut, lass ihn wieder runter, bevor er anfängt zu kotzen.“

Die Beine auf die Couch aufgestellt ließ sie den Welpen wieder in ihren Schoß fallen und streckte mir tatsächlich die Zunge raus.

„Du bist so ein Trottel.“

„Danke für das Kompliment.“

Sie zog ein böses Gesicht, also äffte ich sie nach und da schüttelte sie den Kopf, wobei mir nicht entging, dass sie schmunzelte. Ich wusste genau, dass sie sich ertappt fühlte und deswegen ihr Gesicht im Fell des Welpen vergrub, um ihr Lächeln zu verbergen, aber das half ihr nicht. Um sie damit zu konfrontieren nahm ich ihr Ben aus dem Schoß, zog ihn an mich und verbarg ihn in meinen Armen vor ihr.

„Da er mir gehört, bin ich der Meinung, du hast genug mit ihm gekuschelt.“

„Ey! Gib ihn wieder zurück.“

Provozierend zog ich die Brauen hoch und konnte mir mein Lachen nicht verkneifen.

„Sonst was?“

Da blieb sie sprachlos. Ich konnte ihr ansehen, dass ihr etwas auf der Zunge lag, aber aus irgendeinem Grund schluckte sie es runter und entschied sich für etwas anderes.

„Du bist gemein.“

„Erzähl mir was neues.“

„Musst du eigentlich immer das letzte Wort haben?“

„Vielleicht.“

Als ich zu ihr rüber sah grinste ich sie an und da streckte sie mir wieder die Zunge raus.

„Also da wo ich herkomme, heißt das 'Ich liebe dich'.“

Wie erwartet lief sie rot an und kreuzte die Arme vor der Brust. Wieso sie jetzt versuchte physisch dicht zu machen, wusste ich nicht ganz einzuordnen, also würde ich mir später darüber Gedanken machen.

„Also bei uns heißt das eher 'Leck mich'.“

Sie weiter provozierend zog ich einfach nur die Brauen hoch und sagte ausnahmsweise mal nichts. Ich hatte die Befürchtung, würde sie noch röter, würde sie anfangen zu glühen.

„Du Vollidiot!“

Es schien ihr nicht sonderlich zu gefallen, dass ich sie so genau beobachtete, was sie dazu veranlasste, dass sie mich erst boxte und mich dann umwarf. Ich wusste es war nicht fair, aber ich musste liegen bleiben und lachen. Selbst wenn ich es gewollt hätte, ich hätte es mir nicht verkneifen können.

Den Welpen auf meinem Bauch kraulend gab ich ihr einen Moment Zeit, um sich wieder ein zu kriegen. Erst als ich mir sicher war, dass sie mich nicht gleich wieder schlagen würde, setzte ich mich auf, stieß sie mit der Schulter an und grinste.

„Krieg dich wieder ein, war doch nur Spaß. Sei nicht so verklemmt, ich fall schon nicht über dich her.“

Immer noch leicht rot blieb sie schweigend und immer noch mit verschränkten Armen sitzen und strafte mich mit Ignoranz. Ben vorsichtig in eine Hand nehmend hielt ich ihn ihr wieder vor die Nase und ließ ihn für mich sprechen.

„Sei Nicht sauer auf ihn Lenne, er ist ein Trottel und ein Idiot, aber er ist kein schlechter Kerl.“

Mir einen bösen Blick zuwerfend nahm sie mir schließlich nichts sagend den Welpen aus der Hand und bettete ihn wieder in ihrem Schoß. Danach sah sie mich für eine ganze Weile nicht mehr an, allerdings schien sie sich dazu zwingen zu müssen. Ihr ihren Raum lassend lehnte ich mich auf der Couch zurück, legte die Füße hoch und hielt ihr sogar die Fernbedienung hin. Sollte sie sich bemerkbar machen, wenn sie sich wieder gefangen hatte.

15

Meine Güte! In meinem Gesicht war es furchtbar heiß. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich behauptet, hell genug zu glühen, um den gesamten Raum zu beleuchten. Ach was! Die ganze Stadt!

Dazu kam, dass mein Herz heftig klopfte und es seltsam in meinem Magen flatterte. Ich kannte das Gefühl, ich hatte es schon einmal erlebt und war hinterher herb enttäuscht worden. Ich versuchte, mich einzukriegen und es zu unterdrücken, aber das wollte mir nicht so recht gelingen.

Die körperliche Nähe zu Dan half da auch nicht besonders. Ich konnte sowohl sein Shampoo als auch sein Duschgel an ihm riechen gemischt mit seinem einzigartigen Duft. Er roch... männlich. Ich mochte das, das hatte ich schon immer. Außerdem sah er ziemlich verwuschelt aus und hatte einen Bartschatten. Die Stoppeln sahen so unglaublich dicht und rau aus, dass ich sofort den Drang verspürte, mich daran zu rubbeln. Das war gar nicht gut.

Aber ich stellte mir vor, wie sich sein Gesicht vor Überraschung verziehen würde, wenn ich es tun würde. Das ließ mich leise Kichern, was er natürlich hörte. Er hatte Ohren wie eine Fledermaus. Fragend zog er eine Augenbraue hoch, doch ich schüttelte nur lächelnd den Kopf.

Ich entspannte mich immer mehr und verzieh ihm sogar sein vorlautes Großmaul. Mir war es ziemlich egal, was über die Flimmerkiste lief, ich war viel faszinierter von dem kleinen Welpen, der in meinem Schoß lag. Hin und wieder gähnte er und streckte seine niedliche, kleine rosa Zunge dabei heraus. Er kämpfte jedoch tapfer gegen die Müdigkeit an und spielte lieber mit meinen Fingern. Es war so unglaublich süß.

Dan strahlte für meinen Geschmack sogar ein bisschen zu viel Wärme ab, doch das war schon in Ordnung. Ich genoss es eigentlich, neben ihm zu sitzen. So friedlich zwischen uns war es noch nie gewesen. Natürlich enttäuschte es mich, dass Dan nicht mit mir zu Doc Maverick wollte, doch ich war nicht bereit, aufzugeben. Wir hockten ständig aufeinander. Ich war mir sicher, dass ich ihn irgendwann so mürbe bekommen würde, dass er mir meinen Wunsch gar nicht verweigern konnte.

Bis dahin musste ich mir meine Taktik gut überlegen. Dan war gerissen und würde mich in null Komma nichts durchschauen, wenn ich mich doof anstellte. Und leider stellte ich mich sehr häufig ziemlich doof an.

Was also war der erste Schritt, den ich tun konnte, um ihn weich zu kochen? Ich durfte es nicht zu offensichtlich machen, dann würde er Verdacht schöpfen. Naja oder er hielt mich für noch bescheuerter als ich es eh schon war. Da bestand also eine Fifty-Fifty Chance.

Mein Hirn drehte sich im Kreis, während Ben – ich konnte immer noch nur den Kopf über den Namen schütteln – sich letztlich ergab und auf meinem Schoß einschlief. Er war so niedlich, ich hätte ihn fressen können!

Vorsichtig sammelte ich den Kleinen auf und legte ihn Dan auf den Schoß. Dann zog ich die Beine auf die Couch und lehnte mich zurück, wobei ich die Beine auf die Couch und unter mich zog. Die Position verursachte aber so viel Schlagseite bei mir, dass ich mich automatisch an Dan anlehnte.

Dieser zuckte zunächst ein bisschen, blieb jedoch entspannt. Ich konnte seinen Blick regelrecht auf mir spüren, als er mich damit durchbohrte. Vermutlich in der Hoffnung, in meinen verdrehten Kopf rein gucken zu können.

Gerade lief irgendein unsinniger Fernsehfilm, der Dan sehr zu interessieren schien. Seine Aufmerksamkeit galt dem TV, doch hin und wieder spürte ich, wie er den Kopf zu mir drehte und dann zurück zur Flimmerkiste. Ich war so entspannt, dass ich irgendwann meinen Kopf auf seine Schulter legte, was seinen Kopf schneller zu mir herumfliegen ließ, als es ein Düsenjet gekonnt hätte. Nun verspannte er sich ein wenig, weshalb ich ihn in die Seite piekte, was ihn aufschrecken ließ. Ich kicherte, schenkte ihm jedoch nicht besonders viel Beachtung.

Die ganze Sache war bequem und irgendwann musste ich wie der kleine Ben damit kämpfen, nicht einzuschlafen, da es noch nicht einmal wirklich Abend war. Die Sonne ging gerade erst über dem Horizont unter. Ich erinnerte mich an einen alten Song, den ich mal geschrieben, aber nie jemandem vorgetragen hatte.

Er war ziemlich lächerlich und hatte eine so verliebte Note an sich, dass er für meinen Stil viel zu kitschig war. Doch nun konnte ich nicht anders, als anzufangen, ihn zu summen. Bis sich mein Magen lautstark beschwerte. Da erinnerte ich mich daran, dass der Topf mit Suppe vermutlich immer noch vor sich hinkochte.

Also nahm ich den Kopf von Dans Schulter, sah ihn an und fragte: „Hast du Hunger?“ Verwundert zog er die Augenbrauen hoch.

„Hm, ich denke, ich könnte doch was vertragen.“

„Gut, die Suppe kocht bestimmt schon seit Stunden, die wird jetzt richtig gut sein.“ Also stand ich auf und ging in die Küche. Der Topf stand an Ort und Stelle. Er war weder übergekocht, noch explodiert, was ich als gutes Zeichen wertete.

Ich stellte den Herd aus, holte ein Tablett heraus und drapierte darauf, zwei Löffel, ein paar Servietten und zwei Suppenschüsseln. Dazu schnitt ich ein paar Scheiben von dem Baguette ab, das auf dem Küchentresen lag und zum Glück noch nicht hart wie Stein war.

Den ganzen Schmonz trug ich dann ins Wohnzimmer rüber und stellte ihn auf dem Couchtisch ab. Dan setzte Ben vorsichtig auf einem flauschigen Handtuch ab, das auf dem Sofa lag und lehnte sich vor. Wir aßen schweigend, aber ab und zu ließ ich unsere Knie zusammenstoßen. Zugegeben, mein Vorgehen war ein bisschen sehr offensiv, aber ich konnte nicht so gut mit Menschen umgehen, da konnte ich es genauso gut auch auf gut Glück versuchen und hoffen, dass er mich einfach nur für bescheuert hielt.

Hin und wieder hielt ich beim Essen inne und starrte zum Fenster hinaus, wobei ich willkürlich irgendwelche Songs vor mich hinsummte und gelegentlich auch neue Melodien. Es wurde vielleicht Zeit, wieder etwas Neues zu schreiben. Das Malen kompensierte offensichtlich nicht mehr alle meine Gefühlsregungen, daher war es an der Zeit wieder guten, alten Rock zu Wort kommen zu lassen.

„Räumst du das Geschirr nachher weg?“, fragte ich Dan nach dem Essen.

„Sicher.“ Mit einem letzten Lächeln ging ich in mein Zimmer, holte Blemish, Notenblätter und Stifte und wanderte dann rüber in unseren Probenraum. Das war das erste Mal seit wir hier eingezogen waren, dass ich ihn wirklich benutzte und auch, dass ich wieder genügend Inspiration für einen neuen Song hatte. Ich war einer dieser Menschen, die nicht auf Knopfdruck kreativ sein konnten, aber wenn ich es denn mal war, dann kam meistens doch etwas Anständiges dabei heraus.

Ich setzte mich auf den Boden und ignorierte die Stühle und Hocker, die hier herumstanden geflissentlich. Ich begann mit dem Text. Die Worte waren klar in meinem Kopf und ich hatte sie direkt vor Augen. Der Stift flog nur so über das Papier, während sich Vers um Vers dichtete.

Blinded by the sky I reach for it

Ich wusste nicht, worum es in dem Song eigentlich gehen sollte. Manchmal strich ich einen Vers oder vertauschte ihn mit einem anderen. Hin und wieder schrieb ich verschiedene an den Rand und fügte sie da ein, wo sie am besten hinpassten.

Falling into the deepest dark

Meistens verbrachte ich nicht sehr viel Zeit mit Texten, weil die Worte natürlich zu mir kamen. Die Melodie war ein ganz anderes Thema. Bei dieser musste ich mich extrem anstrengen.

Hope and desiere burning alike

Struggling to flare up

Ich hatte absolut kein natürliches Rhythmusgefühl und alles Zählen dieser Welt half da nicht. Es verwirrte mich sogar noch mehr, als dass es mir half und ich konzentrierte mich mehr auf das Zählen als auf das Spielen, weshalb ich es irgendwann aufgegeben hatte. Stattdessen spielte ich komplett nach Gefühl und so, wie es sich gerade richtig anhörte. Das hatte bisher immer ganz gut funktioniert, doch manchmal fragte ich mich, wie weit ich damit wohl noch kommen würde.

Als der Text stand und ich umgeben von verstreuten Blättern war, steckte ich Blemish an, stimmte ihn kurz und begann, verschiedene Takte und Melodien auszuprobieren und zu sehen, ob sie mit dem Text wohl harmonierten. Alles klang nicht so ganz richtig. Hier und da konnte ich eine Melodie mit einer Strophe in Zusammenhang bringen und es klang auch gut, die Schwierigkeit bestand nur darin, die Strophen irgendwie zu verbinden. An manchen Stellen veränderte ich die Takte, die Notenfolge, doch ich steckte fest.

Das passierte mir häufiger. Wie gesagt, ich war nicht so besonders gut darin, Melodie und Text miteinander in Einklang zu bringen. Also saß ich grübelnd auf dem Fußboden des Probenraumes und kratzte mir mit einem Stift am Hinterkopf, während mir einer, der auf der anderen Seite hinter meinem Ohr klemmte herunterfiel.

Meine Finger waren ganz fleckig, weil ich neben Kugelschreiber, Bleistift und Textmarkern auch einen Füllfederhalter benutzte. In der Hinsicht blieb es immer gleich. Egal, ob ich malte oder schrieb, irgendwie saute ich mir immer die Finger ein.

 

 

 

 

 

 Noch lange nachdem sie weg war, konnte ich ihren Kopf noch auf meiner Schulter fühlen. Verdammt, es dürfte nicht so leicht sein sich wieder auf so etwas ein zu lassen, grade nicht jetzt. Wieso also, nahm ich es einfach so hin, dass sie sich bei mir anlehnte, obwohl ich wusste, dass der große Zoff nicht so weit weg sein konnte. Ganz einfach, weil ich ein Vollidiot war. Weil ich mich viel zu lange in mich selbst zurück gezogen hatte und weil ich ein gottverdammter Vollidiot war.

Nachdem ich das Geschirr weg geräumt hatte, hatte ich versucht wieder den Film aufzugreifen, den wir zuvor angeschaut hatten, aber ich konnte dem nicht mehr folgen. Viel mehr beschäftigte mich, wo ihr plötzlicher Sinneswandel her kam. Letzte Nacht hatte sie mich noch abgeblockt, dann hatte sie mich einen Bastard genannt und mir einen Welpen in den Schoß geworfen und dann kam sie an und bat mich darum zusammen mit ihr zu ihrem Therapeuten zu gehen, damit wir unsere Kommunikationsprobleme in den Griff bekamen. Wobei sie im Anschluss für ihre Verhältnisse schon beinahe aufdringlich gewesen war. Was zur Hölle war also in der Zwischenzeit passiert, was ich nicht mitbekommen hatte? Irgendetwas zwischen dem Zeitpunkt, als sie mir Ben anvertraut hatte und jenem, als sie ins Wohnzimmer kam und sich zu mir setzte. Sie war irgendwo in der Wohnung verschwunden gewesen und ich wusste nicht im geringsten was sie gesagt, getan oder gedacht hatte, dass sie so umgepolt hatte. Ich hatte ja nichts dagegen, dass sie nicht mehr so kratzbürstig war, aber der plötzliche Umsprung machte mich irgendwie stutzig. Was auch immer es war, wenn sie wirklich so unbedingt reden wollte, würde sie wohl irgendwann mit der Sprache heraus rücken.

Irgendwann gab ich es auf, darüber nachzudenken und griff nach meinem Handy, das auf dem Tisch lag. Nach dem ersten Klingeln hatte ich es auf Stumm geschaltet und zog jetzt verwundert die Augenbrauen hoch. Siebzehn verpasste Anrufe, drei von Eric und vierzehn von Chase. Ihn rief ich also zuerst an. Es klingelte nur zwei mal, da hob er ab.

„Darian, verdammte Scheiße! Wo warst du!?“

Ich hielt mir den Hörer vom Ohr weg, damit er mir nicht direkt hinein schrie.

„Zuhause, wo sonst.“

„Komm mir jetzt nicht blöd! Scheiße Mann, ich hab mir Sorgen gemacht!“

„Schrei mir nicht so ins Ohr verdammt.“

„Ich schreie so viel ich will und höre erst damit auf, wenn du mir gesagt hast was passiert ist! Ich hab versucht die anzurufen, wieso bist du nicht ran gegangen?!“

„Erst hab ich geschlafen und dann hatte ich zu tun.“ „DU? Weil du mit deinem Kater auch so viel tun kannst.“

„Ja, ich, stell dir vor. Lenneth hat mir einen Hund aufgezwungen um den ich mich kümmern muss.“

„Einen Hund? Mann lass den Hund Hund sein, der kommt schon klar. Sag mir lieber was dieses Biest mit dir gemacht hat, dass du ihr so unterliegst.“

„Er ist drei Wochen alt Chase, der kommt ganz sicher nicht alleine klar. Und sie hat gar nichts gemacht, zumindest nichts, dass sie deiner Meinung nach enttäuschen würde.“

Meine Anspielung auf das, was er ihr letzte Nacht geraten hatte, verstand er sofort.

„Was, sie hat nicht mit dir geschlafen? Ich hab ihr extra davon abgeraten, eigentlich wohl wissend, dass sie es genau deshalb tun würde. Das tut mir wirklich Leid für euch, vor allem weil ihr es schwer nötig habt und wenn es nur dafür wäre, dass ihr euch endlich mal einkriegt.“

„Hör auf so eine Scheiße zu reden Chase. Ich hatte zu viel getrunken um wirklich so weit zu gehen.“

„Der Alkohol hat dich locker gemacht. Komm schon D, wir wissen beide, dass sie dir gefällt, das ist schon lange kein Geheimnis mehr. Grade deswegen hab ich ihr genau jetzt davon abgeraten, ich war felsenfest davon überzeugt, sie würde über dich herfallen.“

„Du bist so ein beschissener Blödmann Chase. Ich will sie doch nicht unbedingt flachlegen, für wen hältst du mich? Du müsstest eigentlich am besten wissen, dass ich aus solchen Dingen herausgewachsen bin. Grade du.“

Und trotzdem hatte ich von ihr geträumt. Ich hatte sie geküsst, dann waren wir auf der Couch gelandet und hatten die Nacht darauf verbracht, aber das würde ich ihm nicht erzählen. Nicht Chase.

„Komm schon D, wir wissen beide, dass es früher oder später passiert. Das würde eine ganz neue Ebene zwischen euch beiden schaffen.“

„Ja, eine Ebene auf der wir kein Wort mehr miteinander wechseln, uns stumm nebeneinander ins Studio und auf die Bühne stellen und uns nicht mal mehr mit dem Arsch ansehen. Vergiss es, ich bin froh so wie es grade ist. Es läuft gut und da lass ich mir nicht von dir rein reden, dieses mal nicht, vergiss es. Hörst du? Ver-giss es.“

„Scheiße Mann du hörst dich an als würdest du anfangen sie zu mögen. Ich hoffe inständig für dich, dass du dich nicht auch noch in sie verliebst, denn dann hast du verloren. Denk darüber nach, sie ist nicht gut für dich.“

Versuchte er mir grade vorzuschreiben was ich zu tun oder zu lassen hatte? Außerdem machte er Parker schlecht. Ich war froh, dass Chase nicht hier war, denn dann hätte ich ihn aus einem Impuls heraus am Kragen gepackt.

„Ich hab dir schon mal gesagt, du sollst aufhören so über sie zu reden. Sie ist wie sie ist, weil andere sie dazu gemacht haben und nicht weil sie so sein will. Du kennst sie überhaupt nicht, also hör auf vorschnell über sie zu urteilen. Weißt du Chase, ich frage mich grade ernsthaft wieso ich dich angerufen habe oder wieso ich mich überhaupt noch mit dir abgebe.“

Sicher, ich hielt ihm das vor, obwohl ich sie schon oft nach dem bewertet hatte, was sie getan oder gesagt hatte, aber nach dem, was ich gesehen hatte, fühlte ich mich dumm und töricht, wenn ich nur darüber nachdachte.

„Ach aber du kennst sie? Was weißt du denn über sie, hä? Darian ich will dir doch nicht davon abraten, nur, dass du darüber nachdenkst. Ich glaube nicht, dass sie die Richtige ist, die diesen Platz in deinem Leben einnehmen sollte und du wüsstest das auch.“

„Das was ich weiß reicht mir um sagen zu können, dass ich sie mögen könnte, wenn sie mich ließe. Es redet doch überhaupt keiner von Liebe. Ich glaube nur endlich jemanden gefunden zu haben, der versteht was ich sage, ohne dass ich es sagen muss. Sie versteht wenigstens was ich durch Musik zu sagen versuche, im Gegensatz zu dir.“

„Du weißt dass das nicht stimmt D. Du weißt, dass ich immer für dich da war, du hast nur meine Hilfe nicht angenommen. Klar hab ich irgendwann aufgehört mit dir über Tessa zu reden. Aber nur weil ich nicht mehr weiter wusste. Wir redeten fünf Minuten über sie und du trauertest fünf Wochen. Irgendwann dachte ich, es wäre besser sie tot zu lassen, denn du hast sie jedes mal wieder taufrisch zurück geholt. Und es hat ja wohl auch geholfen oder? Du hast Abstand genommen. Und jetzt sieh dich an, du arbeitest seit gut einer Woche mit dieser Furie und du sitzt wieder mit blutenden Wunden in dieser Grube.“

„Aber doch nicht wegen ihr? Sie hat mich zu einem Therapeuten geschickt, der hat mich dazu gebracht die Wunden wieder aufzureißen. Außerdem ist sie überhaupt nicht wie Tessa, nicht im geringsten. Sie hätte sich nie im Leben zu mir ins Auto gesetzt.“

„Das sagst du jetzt D. Jetzt mag das vielleicht auch so sein. Aber würde sie dich lieben, bist du dir sicher, sie würde dann immer noch so reagieren? Liebe macht blind Darian, genauso wie Hass. Wenn sie wirklich so leidet wie du sagst, sie würde sich noch viel eher zu dir ins Auto setzen. Sie würde eher mit dir sterben. Und du würdest dieses mal sterben, denn so viel Glück hat man kein zweites mal.“

Ich würde es nicht wieder so weit kommen lassen, es würde kein zweites mal geben. Aber es würden andere Dinge kommen, andere Sachen passieren. Trotzdem wollte ich glauben, dass sie klug genug war um nicht die falschen Entscheidungen zu treffen. Eigentlich wollte ich zu ihr in den Probenraum gehen und sie fragen, was sie getan hätte. Was sie tun würde, wenn... aber der Gedanke, dass Chase recht haben könnte, dass sie genauso handeln würde wie Tessa und dass ich sie genauso verlieren würde, ließ mich vor der Tür zum Probenraum inne halten. Chase schien das zu ahnen und seufzte.

„Ich weiß nicht, was sie betreffend in deinem Kopf vorgeht, aber ich verstehe, wieso du sie so unbedingt beschützen willst. Trotzdem bitte ich dich, denk wenigstens darüber nach.“

Einen ganzen Moment schwiegen wir. Ich würde ganz sicher nicht darüber nachdenken, zumindest nicht jetzt.

„Wir hören uns Chase.“

Ohne weiter darauf zu warten dass er etwas sagte legte ich auf. Es gab nichts mehr zu sagen, zumindest für mich nicht. Ich wollte nicht mit Chase darüber diskutieren was ich tat oder nicht und ganz sicher wollte ich mir nicht länger von ihm irgendwo herein reden lassen. Klar, es war nicht fair einfach aufzulegen, aber alles weitere hätte nur in eine Sackgasse geführt, aus der zum Schluss nur noch einer von uns wieder heraus kam und obwohl ich ihn grade weder sehen noch hören wollte, so wollte ich ihm doch nichts schlechtes.

Frustriert schlug ich mit der Faustkante gegen die Tür zum Probenraum und bereute es gleich als mir aufging, dass Parker ja auf der anderen Seite der Tür war. Ich hoffte, dass sie spielte und es nicht gehört hatte, ich wollte sie nicht stören und erst recht wollte ich nicht, dass sie heraus kam. Chase hatte mich so ins wanken gebracht, dass ich mir nicht sicher war, was ich grade über die ganze Sache dachte. Nur für den Fall, dass sie es doch gehört hatte und auf dem Weg zur Tür war, machte ich mich wieder ins Wohnzimmer davon, sammelte Ben auf, den ich zuvor auf dem Boden abgesetzt hatte, damit er nicht von der Couch viel während ich nicht da war, und setzte mich mit ihm und dem Handy in der Hand wieder auf die Couch. Ben kraxelte gleich an mir hoch und leckte mir die Nase, als wollte er mich trösten, woraufhin ich betrübt lächelte. Zumindest versuchte ich das.

„Du kannst dich so glücklich schätzen Kleiner. Du hast nicht solche Probleme.“

Den Welpen kraulend schmiegte ich den Kopf an ihn und schloss für einen Moment die Augen. Wie oft hatte ich mir so wie jetzt gewünscht irgendwo alleine zu sein, abgeschottet, nur für mich alleine und ohne diese ganzen Gedanken, die mir das Hirn vernebelten.

Ich überlegte ernsthaft ob ich Eric anrufen sollte. Ich wollte mit jemandem reden, der eine unparteiische Meinung vertrat, aber wer garantierte mir, dass er die Dinge für sich behalten würde, die ich ihm erzählen würde? Ich vertraute ihm noch nicht genug, um ihm von letzter Nacht zu erzählen. Von dem, was passiert war und das, was ich daraufhin geträumt hatte. Was heute den Tag über passiert war. Das waren alles Dinge die momentan meinen Kopf füllten und ihn beinahe zum platzen brachten. Dinge die ich loswerden musste und schließlich dazu führten, dass ich mich doch irgendwann mit Parker darüber unterhalten musste. Davor graute es mir am meisten. Deswegen rief ich doch schließlich Eric an. Sie vorerst bei ihm los zu werden war immer noch besser, als mich dem Problem direkt zu stellen. Dem Problem, dass ich nicht wusste, was ich tun sollte.

Als wir eine gute Stunde später wieder auflegten, ging es mir nur bedingt besser. Die Dinge auszusprechen und in Worte zu fassen war schwerer als sie zu denken und sie jemandem anzuvertrauen sogar noch schwerer. Eric verstand es zwar und versuchte mir zu helfen, aber schlussendlich stand ich immer noch vor dem gleichen Problem. Ich musste mit Parker reden, wenn ich das ganze aus dem Kopf bekommen wollte.

16

Glücklich sang ich meinen neuen Song leise vor mich hin, als ich aus dem Probenraum kam. Dan und Ben saßen immer noch auf der Couch, die Augen auf die Matschscheibe gerichtet. Irgendwas schien jedoch nicht zu stimmen. Dans Miene war finster und betrübt und er schien nicht einmal zu bemerken, dass ich den Raum durchquerte, um in die Küche zu kommen. Ich ließ ihn vorerst jedoch Grübeln, auch wenn ich die üble Ahnung hatte, dass sich da nur Bockmist in seinem Kopf zusammenbraute.

Ich holte mir aus dem Kühlschrank eine kleine Flasche Saft und trank sie in einem Zug leer. Dann sang ich leise weiter, während ich mir die Zeit nahm, um aus dem Fenster zu schauen. Mittlerweile war es dunkel geworden, doch es hatte endgültig aufgehört zu regnen. Der Versuchung nachgebend, ging ich durch das Wohnzimmer, öffnete die Terrassentür und trat hinaus, um die saubere Luft einzuatmen. Es roch immer noch nach Regen und nach Frische. Es war herrlich.

Ich lehnte mich an die Brüstung, sang meinen Song vor mich hin und starrte über die hell erleuchtete Skyline der Stadt. Ich hatte mich schon lange nicht mehr so friedlich gefühlt. Indem ich es mir gestattete, einmal nicht an das Durcheinander in meinem Leben zu denken oder wie kaputt Dan und ich eigentlich waren, war ich endlich einmal zur Ruhe gekommen, wenn auch nur kurz. Diese Momente genoss ich am Meisten.

Ich hörte es zu meinen Füßen miauen und blickte herab, um Glen dabei zuzusehen, wie sie mir um die Beine strich. Sie durfte eigentlich nicht hier raus, dennoch nahm ich sie auf den Arm und hielt sie fest. Mit dem Gesicht strich ich durch ihr Fell und kraulte sie unterm Kinn. Meine kleine Freundin schnurrte wie behämmert.

Erst, als ich anfing, zu frieren, ging ich wieder rein, setzte Glen ab und beschloss, mir eine heiße Dusche zu gönnen, vor allem auch, um endlich die ganzen Farbspritzer und Tintenflecken von meiner Haut zu schrubben.

Dan saß noch immer apathisch auf der Couch. Kurz blieb ich stehen und strich ihm über den Nacken, doch ich bekam keine Reaktion. Verwundert und ein wenig besorgt, wiederholte ich die Bewegung, aber noch immer keine Regung. Vorerst beließ ich es dabei, doch wenn er immer noch so sein sollte, wenn ich vom Duschen zurückkam, dann würde ich etwas tun.

Ich wusste nicht, was passiert war, während ich meinen Song komponiert hatte, doch es war sicher nichts Gutes. Dabei hatte ich gehofft, dass er sich zu mir gesellen würde. Ich würde später den Song noch mit ihm durchgehen, weil er sicher Ideen hatte, um die Melodie noch aufzupolieren, immerhin war er unglaublich gut in dem Bereich.

Ich holte mir aus meinem chaotischen Zimmer ein Set Wechselkleidung und hüpfte im Bad unter die Dusche. Ich drehte das Wasser heißer als nötig und genoss, wie es auf meiner Haut brannte. Ein Zittern ging mir durch Mark und Bein, bis sich mein Körper an die Temperatur gewöhnt hatte und meine Haut vor Hitze glühte.

Manchmal fühlte sich dieser Schmerz ganz gut an. Er bewies, dass ich tatsächlich am Leben war. Dass wirklich ich es war, die hier stand und atmete und alles nicht nur ein furchtbarer Alptraum war, auch wenn ich mir manchmal wünschte, es wäre anders. Es wurde besser, so viel war sicher. Auch wenn ich die letzte Zeit wieder schwere Einbrüche hatte, wurde es irgendwie besser.

Dabei setzte ich mich nicht einmal wirklich mit meiner Vergangenheit auseinander, auch wenn ich versuchte, Dan dazu zu bringen, es zu tun. Es war ziemlich scheinheilig, aber mir waren alle Mittel recht, um an mein Ziel zu kommen. Ich versuchte mir einzureden, dass es nicht ultimativ um mich ging, auch wenn ich mich gerne mal in den Vordergrund drängte. Wenn ich Dan dazu bringen könnte, endlich abzuschließen, dann würde sicher alles gut werden.

Ich selbst wollte nicht mehr an meine Kindheit denken oder das Leben als Jugendliche. Ich hatte das oft genug getan und war auf keinen grünen Zweig gekommen. Nur drei Menschen kannten die ganze Geschichte. Doc Harrison, Doc Maverick und der Polizist, der meinen Fall bearbeitet hatte. Und so sollte es auch bleiben. Ich wollte Dan nicht auch noch mit meinen Wehwehchen belästigen. Ich wusste, dass er schon jetzt starke Stimmungsschwankungen hatte und er hatte meine Narben gesehen. Sie hatten ihn gelähmt vor Entsetzten. Mehr durfte ich ihm nicht zumuten, also würde ich, wie ich mir geschworen hatte, zurückstellen.

Immer weiter redete ich mir auf diese Weise Mut zu und langsam war ich auch tatsächlich der Meinung, das durchziehen zu können. Nachdem ich mich eingeseift und abgespült hatte, blieb ich noch eine Weile unter dem heißen Wasserstrahl stehen. Mittlerweile war meine Haut sicher rot wie ein Hummer, doch das interessierte mich nicht so besonders.

Erst, als ich die Auswirkungen des heißen Wassers nicht mehr spürte, stieg ich aus der Dusche und trocknete mich ab. Mit frischen Klamotten wagte ich mich hinaus und ging ins Wohnzimmer. Diesmal blickte Dan sogar auf, als ich hereinkam, doch ich konnte seinen Blick nicht deuten. Er war irgendwie beklemmt und verschleiert zugleich, als wollte er eine bestimmte Regung vor mir Verstecken. Was auch immer vorhin vorgefallen war, wirkte sich sehr stark auf ihn aus, wenn er sich so dermaßen gehen ließ.

Mit schief gelegtem Kopf ging ich zu ihm, nahm ihm Ben ab und setzte den Welpen auf den Boden, wo er fröhlich auf Glen zu robbte, die ihn aufmerksam beobachtete. Dann setzte ich mich neben Dan auf die Couch, wobei ich ihm meinen Oberkörper zudrehte und ihn eindringlich ansah.

Er wich meinem Blick aus, was wirklich ungewöhnlich war und bei mir die Alarmglocken schrillen ließ. Sonst war er der Typ, der auf Konfrontationskurs ging. Etwas war wirklich, wirklich schief gelaufen.

Meine Hände zitterten etwas, weil ich unglaublich nervös war, als mir ein effektiver Plan einfiel, um ihn dazu zu bringen, mich anzusehen. Doch es war gewagt und so was von nicht ich, aber wenn es die einzige Möglichkeit war, seine Aufmerksamkeit zu bekommen, dann würde ich es tun.

Also schluckte ich, stand auf und schob Dans Beine so weit es ging auseinander, um mich dann zwischen ihnen auf die Couch zu knien und meine Hände links und rechts von ihm auf die Lehne zu legen. So schnell wie sein Kopf hochschoss und er mich mit Schock und Verwirrung anstarrte, war die Aktion es sogar wert gewesen. Ich verkniff mir ein leises Lächeln über meine eigene Brillianz und sah ihm tief in die Augen. Diese flogen jedoch sogleich zu allen Seiten davon und versuchten alles zu betrachten, außer mir. Seufzend beließ ich es dabei, doch ich würde aus ihm rausbekommen, was an ihm nagte, wenn es ihn so sehr beschäftigte.

„Sprich mit mir, Dan.“ Er schwieg und das relativ lange. Ich dachte schon, er würde mir gar nicht antworten, bis er sagte: „Ich...“ Da stockte er, verstummte wieder und begann noch einmal.

„Ich weiß nicht, Lenne. Es ist alles einfach nur ein großes Chaos. Ich hab vorhin mit Chase und Eric telefoniert, aber es hat das Durcheinander nur größer gemacht. Ich... ich weiß, nicht weiter und ich...“ Doch er beendete seinen Satz nicht. Jetzt war wohl er an der Reihe nur Blödsinn zu brabbeln.

„Komm schon, Ames, das kannst du besser!“, stichelte ich. Irritiert sah er mich an.

„Ich kann mit dir nicht darüber reden, Parker.“

„Kannst du nicht oder willst du nicht?“

„Ich will nicht, okay? Jedenfalls nicht jetzt!“

„Wann dann?“

„Weiß ich doch nicht!“ Dan war wieder in kürzester Zeit auf hundertachtzig. Ich hatte ihn also in die Defensive gedrängt. Hatte es etwas mit mir zu tun, dass er nicht darüber reden wollte?

Aufgebracht fuhr er sich mit der Hand durch die Haare und verwandelte sie in ein einziges Chaos und schaffte es dabei trotzdem, dass sie unglaublich gut aussahen. Blödmann!

„Fein“, erwiderte ich auf meine patzige Art, meinte es aber nicht annähernd so ernst, wie all die Male zuvor. „Dann friss es weiter in dich rein, aber mach wenigstens was Nützliches draus.“ Damit zog ich ihn mit mir von der Couch und schleifte ihn zum Probenraum.

Dass er mich ließ, erstaunte mich ein wenig. Er war sowohl größer als auch stärker als ich. Er hätte sich mit Leichtigkeit frei machen können, doch er ließ mich gewähren. Das gab mir Hoffnung und machte mich mutig. Ich wollte sehen, wie sehr ich diese Grenze ausreizen konnte.

„Was soll ich hier?“, fragte er genervt, als er mitten im Chaos meiner verstreuten Blätter und Stifte stand. Derweil setzte ich mich auf einen der großen Verstärker und nahm Blemish zur Hand, um ihn noch einmal zu stimmen.

„Ist das wirklich so schwer zu erraten, Ames? Ich habe die letzten Stunden nicht hier drin verbracht und malen nach Zahlen gemacht, das ist dir klar?“ Ungehalten schnaubte er, würdigte mich jedoch keiner Antwort. Daher verdrehte ich die Augen, um ihn noch ein wenig mehr anzustacheln. Es war mir lieber, wenn er wegen mir unendlich genervt war, als dass er vor sich hin grübelte und sich Bullshit einredete.

„Na gut, wenn dir die Intelligenz wirklich so sehr eingeschrumpft ist, verrate ich es dir: ich habe einen neuen Song geschrieben, aber die Melodie dazu ist nicht so gut geworden. Ich bin eher Texter als Komponist und da kommst du ins Spiel. Hilf mir, das Ding zu verfeinern und auf Hochglanz zu polieren.“

„Kann Miss 'Ich bin das Beste, was dieser Welt geschehen konnte' etwa ausnahmsweise etwas nicht?“, spottete er, was mein Auge zucken ließ. Ich unterdrückte meine aufkeimende Irritation jedoch.

„Hast du mir nicht zugehört oder haben sie dir die Ohren amputiert. Ich habe gesagt, dass ich mehr Texter als Komponist bin und ich weiß, dass du damit besser umgehen kannst, als ich. Also schwing deinen Arsch hierher und hör dir an, was ich bisher habe.“

 

Blinded by the sky

I reach for it

Staring up to the bluest dream

That blurs fantasy and reality

 

This road ends here

This road ends now

Breaking free of Darkness' well

I fly higher still

To all the beginning skies

 

Falling into the deepest darkness

I cried for help with all my might

My voice cracked unheard

Desperation became my companion

 

This road ends here

This road ends now

Breaking free of Darkness' well

I fly higher still

To all the beginning skies

 

Hope and desire burning alike

Struggling to flare up

Both quelled by solitude

Both killed by pride

 

This road ends here

This road ends now

Breaking free of Darkness' well

I fly higher still

To all the beginning skies

 

This road ends here

This road ends now

Breaking free of Darkness' well

I fly higher still

To all the beginning skies

 

Ich ließ die letzten Töne langsam ausklingen. Insgesamt hatte ich ein Gemisch aus schnellem Rock und einer langsameren balladenartigen Note verbrochen und wusste nicht recht, ob es so gut war oder nicht. Aber ich hoffte inständig, dass Dan die Bedeutung hinter diesem Song verstehen würde.

Denn der Text war nicht nur ein Spiegel für mich, sondern auch für ihn. Nun lag es an ihm, ob er es sehen wollte oder nicht. Darum hielt ich die Luft an, während ich Dan beobachtete und auf seine Reaktion wartete.

 

 

 

 

 

 Verdammte Scheiße. Mein Kopf war grade die reinste Achterbahn. Rauf, als der Nachmittag ganz gut lief, runter, nachdem ich mit Chase und Eric telefoniert hatte. Ein wenig rauf, weil ich mich mit Ben ein wenig ablenken konnte und ein doppelter Salto mit Schraube, als Parker kam und ihre Show abzog. Was zur Hölle tat sie denn und was glaubte sie damit zu erreichen? Ich wollte sie fragen und ihr erklären was vor sich ging, als sie danach fragte, aber sie drängte mich mit dem Rücken an die Wand, sodass ich es nicht konnte. Meine Blockade, die Mauer in meinem Inneren war genauso schnell hoch geschossen wie mein Kopf, als Parker sich zwischen meine Beine gekniet hatte. Der kleine Zoff im Probenraum ließ es dann wieder bergauf gehen, weil ich wusste, dass das normal zwischen uns war. Dass sie sich allerdings freiwillig meine Hilfe holte, machte mich wieder ein wenig stutzig. Nichts desto trotz hörte ich mir an, was sie die letzten Stunden fabriziert hatte und wusste dann nicht genau, was ich davon halten sollte. Ich wusste, wo diese Worte herkamen, wusste aber nicht, wieso sie sie grade jetzt zu Tage brachte. Sie passten so was von überhaupt nicht zu ihrem Verhalten des Tages, dass ich mich nur wieder fragte, was in ihrem Kopf vorging.

Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen, also holte ich mir das Keyboard vom Ständer an der Wand und setzte mich Parker zu Füßen auf den Boden.

„Deine Melodie ist soweit ganz gut, aber hier und da hast du Kanten drin. Die müssen gebrochen werden und deine Übergänge...“

Ich sah mir ihre Noten durch und korrigierte hier und da eine Note, bevor ich stocksteif inne hielt und die Augen schloss, als sie sich auf meine Schultern stützte. Ich versuchte so zu tun, als dachte ich über ihre Noten nach, aber ich sah auf dem Papier nur Hieroglyphen. Also gab ich es auf, reichte ihr das Blatt und hoffte, es war nicht das gewesen, wo sie die Übergänge drauf notiert hatte.

„Probier es erst mal so, über die Übergänge mache ich mir später Gedanken. An sich ist dein Gedanke mit den kombinierten Melodien nicht schlecht, im Gegenteil, die passen richtig gut. Aber nichts gegen dich, die Übergänge passen so nicht.“

Ich bedeutete ihr, sie solle spielen und begleitete sie mit dem Takt auf dem Keyboard. Parker schien anzunehmen, was ich ihr anbot und nickte sogar anerkennend, als sie merkte wie viel stimmiger die Melodie war, mit den paar geänderten Noten. Allerdings hängte sich der ganze Song auf, als wir beim ersten Wechsel ankamen. Der Takt und die Basstöne zerfleischten sich praktisch. Mir Stift und Papier greifend zerbrach ich mir den Kopf, kritzelte dann los und dachte laut dabei nach.

„Wenn wir wechseln, lassen wir den Takt aus. Beim Einstieg in den langsamen Passagen müssen hier zwei Töne weg, dafür die langziehen. Umgekehrt genau das gleiche Spiel. Kürzer, schneller, härter. Sieht schwieriger aus als es ist, hoffe ich zumindest. Darf ich? Ich will was ausprobieren.“

Fragend und mit gerunzelter Stirn sah ich sie an und sie starrte genauso zurück. Sie zögerte und ich wusste warum. Ich gab meine Gitarre auch nicht gern in andere Hände. Schlussendlich reichte sie mir aber ihren Bass und ich nahm ihn vorsichtig entgegen. Etwas zögern griff ich die Noten, ohne sie an zu schlagen. Es war so tierisch lange her, seitdem ich einen Bass in der Hand gehabt hatte und irgendwie blockierten meine Finger. Ich hatte diese Noten so oft gehört und so oder selbst gespielt, dass sie mir schon im Ohr lagen, bevor ich sie überhaupt gehört hatte. Ich wusste, dass sie für dieses Stück genau richtig waren, aber ich brachte es nicht über mich, sie zu spielen. Deswegen reichte ich ihr den Bass zurück ohne auch nur einen Schlag klingen zu lassen und griff mir in die Haare, wo ich meine Hand verkrallte.

„Vergiss es, das ist deine Aufgabe. Kannst du das mal spielen?“

Eine Faust bildend, um das Zittern in meiner Hand unter Kontrolle zu bringen, deutete ich auf die grade aufgeschriebenen Noten und begann den Takt auf dem Keyboard, ohne auf Parker zu warten. Sie fand sich jedoch schnell ein und sobald die Notenfolge des Wechsels erklang, saß ich nicht länger in unserem Probenraum.

Ich war wieder fünfzehn und saß im Musikladen hinter den Drums, gab willkürlich Takt und Text vor, während Tessa den Bass dazu gab. Als ich dann den Takt wechselte, wechselte sie ebenfalls, suchte sich etwas schnelles heraus, zog es lang und war plötzlich langsam. Ich war damals so davon geflasht gewesen, dass ich inne gehalten hatte und ihr einfach beim spielen zugesehen hatte. Erst als sie bemerkte, dass ich verstummt war sah sie auf und grinste.

„Was, hat es dir die Sprache verschlagen?“

Ich zuckte mit den Schultern und kratze mir am Hinterkopf während sie nur kicherte.

„Das war genial.“

„Ich bitte dich, das ist mehr als einfach.“

„Ja so einfach, das kein Schwein darauf kommt. Deswegen ist es genial. Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, das so zu versuchen.“

„Ich denke, man kann es für vieles verwenden, deswegen war ich davon ausgegangen du kennst es. Du mit deinen magischen Fingern.“

„Ja, klar.“

„Ja. Hier probier es aus.“

Da zog sie mich von meinem Hocker, von einem Instrument zum nächsten und ließ mich auf allem was sie da hatten diese Folge spielen. Sie hatte recht, es war wirklich einfach. So einfach, dass ich über meine Blindheit fluchen wollte. Stattdessen spielte ich wie gebannt und beobachtete Tessa dabei, wie sie die Augen schloss und sich auf der Musik davon treiben ließ. Sie war die einzige, die zu schätzen wusste, dass ich mich mehr als alles andere für Musik interessierte. Sie war die einzige, die mich so akzeptierte und sie war die einzige, die mir sagte, ich solle nicht damit aufhören und so sein, wie ich sein wollte. Die Tage darauf schrieb ich so viele Melodien mit diesem Wechsel, dass sie sich irgendwann alle gleich anhörten. Mir war das egal, denn ich war so davon begeistert, dass etwas so einfaches so brillant sein konnte, dass ich es einfach so lange zerkauen musste, bis ich damit durch war. Danach hatte ich kaum noch daran gedacht, aber jetzt kam es brühwarm wieder hoch.

Die Hand, die durch die Haare an meinem Hinterkopf strichen, holten mich schließlich ins hier und jetzt zurück.

„Dan?“

Die Blätter beiseite legend stand ich auf und sah Parker nicht an. Ich konnte nicht und ich wollte nicht. Hätte ich das jetzt getan, hätte ich sie wieder mit Tessa verglichen und ich hatte mir geschworen, das weder mir noch Parker anzutun. Deswegen und weil sich meine Kehle ausgetrocknet anfühlte, floh ich quasi.

„Ich brauch frische Luft. Tut mir Leid.“

„Dan bleib hier.“

Ich blieb nicht stehen, nicht mal als sie mich darum bat. Ich lief einfach weiter, mit dem Umweg durch die Küche um mir eine Flasche Wasser zu holen, bis ich schließlich draußen auf dem Balkon stand und den Kopf an die kleine Laterne lehnte, die in der Nacht den Aufgang zum Dach erleuchtete. Die frische Luft kühlte mein warmes Gesicht und schien das Chaos in meinem Kopf zu klären. In langen Zügen leere ich die kleine Wasserflasche am Stück, in der Hoffnung, die Flüssigkeit würde den riesigen Klumpen in meinem Magen aufweichen, aber es half nicht. Der Knoten war wie eine eiserne Faust, eiskalt und schwer und schien mich in die Tiefe zu ziehen. Und verdammt, dieses mal war ich es selber Schuld. Ich hatte wie wild einfach die Noten umgeschrieben und mir war erst hinterher aufgefallen, was ich da zu Papier gebracht hatte. Ich hätte es einfach erneut umschreiben können, aber ich wollte nicht. Es passte zu gut und außerdem wollte ich mich selbst auf die Probe stellen. Da war ich wohl glatt durchgefallen.

Ich merkte erst, dass ich nicht mehr alleine war, als sich zwei Arme von hinten um mich schlangen.

„Was auch immer ich gemacht habe, es tut mir Leid.“

Ich schwieg erst und schüttelte dann, immer noch an die Laterne gelehnt, den Kopf.

„Es ist nicht deine Schuld.“

Wieder Stille.

„Willst du darüber reden?“

Wollte ich das denn? Eigentlich nicht.

„Es sind die Noten. Sie sind nicht von mir. Die Erinnerung daran, wo ich sie her habe, lässt so viel Kummer wieder hoch kommen, dabei ist es nicht mal eine schlechte Erinnerung, im Gegenteil. Aber als du sie eben gespielt hast, hat es mich ohne Vorwarnung in die Vergangenheit zurück gezogen. Aus dieser Heilwelt wieder aufzutauchen ist kein angenehmes Gefühl.“

Sie antwortete nicht, aber ich fühlte wie sie mit dem Kopf an meiner Schulter nickte. Sie wusste genau wie das war und deswegen bildete ich mir ein, sie umklammerte mich so, damit ich im hier und jetzt blieb. Wieso sie es in Wirklichkeit tat wusste ich nicht und Ich wollte sie auch nicht danach fragen, weil eine geschönte Lüge manchmal besser war, als die bittere Realität.

Eine ganze Weile blieben wir stehen, ohne uns zu rühren. Ich lehnte immer noch an dem schmalen Mast der mir Halt gab, während Parker sich an meinen Rücken schmiegte. Bis ich es schließlich nicht mehr aushielt. Ich löste ihre Arme, ließ ihre Handgelenke aber nicht los, bis ich mich zu ihr umgedreht und sie wieder an mich gezogen hatte. Ich wollte ihr immer noch nicht in die Augen sehen, deswegen lehnte ich den Kopf an ihren, sodass ich ihr ins Ohr flüstern konnte, aus Angst, meine Stimme würde brechen, wenn ich zu laut sprach.

„Wieso benimmst du dich den ganzen Tag schon so?“

Als Antwort erhielt ich ein vages Schulterzucken, aber das reichte mit nicht.

„Ich kann mich an Tage erinnern, da hast du es schon verabscheut die gleiche Luft zu atmen wie ich und jetzt... Woher kommt dieser Sinneswandel?“

Wieder zuckte sie mit der Schulter, aber dieses mal ließ sie es nicht wortlos in der Luft hängen.

„Wir haben uns gestern alle ziemliche Sorgen gemacht. Auch wenn man mir das nicht angesehen hat, aber sogar ich hab mir Sorgen gemacht.“

„Das ist aber keine Erklärung für das hier.“

„Vielleicht haben wir einfach beide unsere Grenzen erreicht.“ „Ach ja? Und weiter?“

„Bitte Dan, zwing mich nicht dazu, das jetzt in Worte fassen zu müssen. Du weißt wie es sich anfühlt, wie sich das hier anfühlt. Musst du wirklich danach fragen?“

„Alles was ich weiß ist, dass ich zu viel fühle um noch irgendetwas auseinander halten zu können und das ich nicht weiß, was ich darüber denken soll. Letzte Nacht hast du mich abgeblockt, dann erzählst du heute, du willst dass das zwischen uns funktioniert, aber nicht so und dann kommst du mit Gesten, die das Gegenteil behaupten. Ehrlich gesagt, ja, ich muss das fragen, weil es mich sonst zerreißt. Sag mir woran ich bei dir bin, damit ich mich darauf einstellen kann.“

Viel zu lange schwieg sie und dann merkte ich, wie sie das Gesicht abwandte. Ich nahm den Kopf zurück und versuchte ihren Blick aufzufangen, während ich sie festhielt, damit sie nicht davon laufen konnte. Trotzdem wich sie mir aus, also fing ich mit der Hand ihr Kinn ein und zwang sie dazu, mich anzusehen.

„Sag mir, wo ich dran bin, wenn du nicht willst, dass ich alles hin schmeiße.“

„Ich kann nicht.“

Ich sah ihr ins Gesicht und wusste, dass sie es nicht konnte. Das war es, wovor ich mich am meisten gefürchtet hatte. Dass sie es mir nicht sagen wollte, oder sie genauso ratlos dastand wie ich. Verzweifelt legte ich die Stirn an ihre und ich war mir bewusst, dass unsere Lippen zum Schluss nur noch einen guten Zentimeter voneinander entfernt waren, bevor ich inne hielt.

„Bitte. Lass mich nicht leiden.“

Sie war so nah. Ich konnte ihren Atem auf meinen Lippen fühlen und war mir sicher, dass ich ihr Herz rasen hören konnte. Ebenso wie ich trotz der Dunkelheit, die mittlerweile über uns herein gebrochen war, sehen konnte, dass sie die Augen geschlossen hatte. Es machte mich beinahe wahnsinnig.

„Bitte Lenne.“

„Ich weiß es nicht.“

Ich hatte befürchtet, nein ich hatte gewusst, dass sie das sagen würde. Ich hatte gehofft, sie würde etwas sagen mit dem ich etwas anfangen konnte, aber sie war genauso ratlos wie ich. Zitternd ließ ich die Luft entweichen, die ich zuvor angehalten hatte legte die Wange an ihre. Wieder schmiegte sie sich an meine Wange wie eine Katze und ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie es genoss. Verdammt nochmal, wieso konnte das nicht einfach unkompliziert sein?

Seufzend löste ich mich von ihr, ließ sie aber weder los, noch sah ich sie an.

„Wir sollten rein gehen. Die letzten Tage ist es Nachts ziemlich kalt hier draußen gewesen.“

Ich sprach da aus Erfahrung. Parker nickte nur, machte aber keine Anstalten, sich von mir zu lösen. Stattdessen ließ sie ihre Stirn auf meine Schulter sinken und verkrallte ihre Finger vorne in meinem Shirt.

„Es tut mir Leid.“

Und was genau tat ihr Leid? Es gab vermutlich so viele Antworten auf diese Frage, aber mir enthüllte sich nicht eine. Ich wollte ihr wieder sagen, dass es nicht ihre Schuld war, wobei ich mir dieses mal nicht mal darüber sicher war. Alles was ich jedoch hervor brachte war ein Kopfschütteln und dann löste ich mich von ihr. Da ich nicht zurück treten konnte, schob ich sie vorsichtig von mir und dabei entging mir der kurze Widerstand nicht. Ob sie es nun bewusst tat oder nicht, sie tat es und ich wusste nicht, wie ich das einordnen sollte. Es gab momentan so viele Dinge, die ich nicht in Ordnung bekam. Statt mich um das zu kümmern, was am dringendsten war, halste ich mir eher noch mehr auf.

Ich konnte Parker immer noch nicht wieder ansehen, also nahm ich nur ihre Hand und zog sie zur Tür, wo ich erst überrascht und dann fluchend an der Türe zog. Zu.

„Verdammt.“

„Was?“

„Ich war vorhin hier draußen und hab beim rein gehen die Rastsicherung rein gemacht. Ich wollte nicht dass Ben irgendwie hier raus kommt.“

„Na super.“

„Tut mir Leid, aber was meinst du, wieso die Türe nur angelehnt war? Ich wollte dich nicht rufen müssen, wenn ich wieder rein will.“

„Weil das ja auch so eine Qual gewesen wäre.“

Ich merkte, wie die Situation zu eskalieren begann und ließ Parker daraufhin los.

„Was? Nein, weißt du was? Ich will nicht mit dir streiten, wir können es eh nicht ändern und besser machen wir es dadurch auch nicht. Geh nach oben, im Schuppen ist eine Decke. Ich ruf in der Zwischenzeit jemanden an, der uns wieder rein lässt.“

Erst befeuerte sie mich mit bösen Blicken, gab sich dann aber geschlagen und ging nach oben. Ich zog währenddessen mein Handy aus der Hosentasche und wählte die Lobby an, wo ich erfuhr, dass dort niemand eine Schlüsselkarte für unsere Wohnung hatte. Was zur Hölle? Wie paranoid musste Coleman sein, wenn er niemandem außer uns, Eric und Ella eine Schlüsselkarte gab? Am liebsten hätte ich geschrien, was ich mir dann verkniff und bei Eric anrief. Sicher, es würde ein bisschen länger dauern, bis er hier war, aber ich wollte Coleman nicht die Genugtuung geben, uns zusammen auf dem Dach zu finden.

„Hey, was gibt’s?“

Eric's Stimme zu hören beruhigte mich sofort ungemein.

„Du musst herkommen. Wir sitzen auf dem Dach fest, die Tür ist zu. Kannst du uns rein lassen?“

„Wieso rufst du nicht Frank an, der wäre viel schneller da.“

„Machst du es oder nicht? Ansonsten ruf ich Ella an.“

„Klar, bin so gut wie unterwegs. Bis gleich.“

Ich war dankbar dafür, dass er keine weiteren Fragen stellte. Jetzt bereute ich es ungemein weniger, ihm vorhin alles erzählt zu haben.

Einen Blick nach drinnen werfend machte ich mir Sorgen. Ich konnte Ben nicht sehen und ich hatte ihn auch nicht gesehen, als ich aus dem Probenraum geflohen war. Jetzt verfluchte ich mich selbst dafür, dass ich nicht nach ihm gesehen hatte, bevor ich raus gegangen war.

Frustriert ging ich nach oben und sah Parker in der hinteren überdachten Sitzecke auf einem der Sofas sitzen. Sie hatte die Decke um sich geschlagen und die Beine angezogen, die Arme darum geschlungen und den Kopf auf die Knie gelegt. Im näher kommen bemerkte ich, dass sie zitterte und fluchte innerlich, dass ich nur eine dünne Decke im Schuppen untergebracht hatte. Ich war es gewohnt Nachts draußen in der Kälte zu sitzen, sie vermutlich nicht, aber woher hätte ich auch wissen sollen, dass wir zusammen hier oben fest sitzen würden.

Schweigend ließ ich mich am anderen Ende des Sofas nieder und sah hoch in den Himmel, wobei mir ihr Text von vorhin wieder durch den Kopf ging. Seufzend sah ich zu ihr rüber und sah, wie sie sich zusammen kauerte und vor sich hin zitterte. Lange konnte ich das nicht mitansehen, also setze ich mich Quer auf das Sofa, die Seite an die Rücklehne gelehnt, einen Fuß auf dem Boden, während ich das andere Bein anwinkelte.

„Komm her.“

Stur wie sie war schüttelte sie nur mit dem Kopf.

„Es kann noch etwas dauern, bis jemand kommt und uns wieder rein lässt. Also komm her.“

Wieder schüttelte sie nur mit dem Kopf und da stand ich auf, um sie zu holen. Sie wehrte sich nicht, aber leicht war es auch nicht, sie über das Sofa zu mir herüber zu ziehen.

„Mach hier kein Theater, das wird noch kälter werden wenn du da alleine hocken bleibst.“

Ich setzte mich hin wie zuvor, wickelte Parker aus der Decke aus, zog sie dann an mich und schlang ihr die Decke wieder um, wobei ich die Enden hinter meinem Rücken fest steckte, damit sie vollkommen eingehüllt war. Es dauerte einen Moment, bis die Wärme unter der Decke angenehm wurde und sie aufhörte zu zittern, noch viel länger dauerte es, bis sie aufhörte sich dagegen zu sträuben und sich entspannte. Als es dann endlich so weit war und sie die Mauer wieder fallen ließ, die sie aufgebaut hatte, lehnte sie sich an mich und legte den Kopf auf meine Schulter. Unwillkürlich legte ich die Arme um sie, um sie besser war halten zu können und kämpfte innerlich mit dem Zwiespalt, der mich schon den ganzen Tag plagte. Ich war mir nicht sicher, ob ich wollte, dass Eric sich beeilte oder eben nicht, ich wollte nur, dass es nicht noch kälter wurde. Alles was ich grade wollte, war, dass sie nicht wieder anfing zu frieren.

17

Dans Geruch hüllte mich vollständig ein, während ich seine Wärme aufsaugte wie ein Schwamm. Jetzt war es ungemein praktisch, dass er so viel davon abgab, als wäre er ein Heizstrahler. Es blieb lange still zwischen uns. Ich nutzte diese Zeit, um mich ausgiebig anzuschmiegen und nachzudenken.

Das alles war so furchtbar kompliziert. Ich konnte Dan immer noch nicht gut deuten und das würde sich vermutlich nicht sehr bald ändern, aber ich vermutete, dass es ihm mit mir nicht anders ging. Eigentlich wollte ich nur ständig in die Defensive gehen und mich in meinen Panzer wickeln, der mich all die Jahre beschützt, aber auch einsam gemacht hatte.

Wann immer ich jedoch in Dans Nähe war wollte ich beides zugleich. Ich wollte in Sicherheit sein, wissen, dass es in Ordnung war, zu fühlen, wie ich fühlte. Andererseits wollte ich ihn nicht so nahe an mich heranlassen. Ich wollte nicht, dass er sah, was mich so kaputt gemacht hatte, gleichzeitig wollte ich es aller Welt heraus brüllen und verlangen, dass sie mich so sah, als der Mensch, der ich nun war und nicht den Schatten meiner Vergangenheit.

Wie gesagt, es war furchtbar kompliziert. Ich wusste, dass Dan lieber eine klare Antwort gehabt hätte, aber ich war mir selbst nicht sicher und ich hatte so furchtbare Angst davor, ihm eine meiner größten Schwächen anzuvertrauen. Ich wusste, wie er war und doch kannte ich ihn nicht. Was, wenn er sie in einem seiner cholerischen Anfälle nutzte und mir auf eine Weise weh tat, wie ich es noch nie jemandem verziehen hatte? Ich war hin und her gerissen und der Tumult zerrte an meinen Nerven.

„Wen hast du angerufen?“, fragte ich Dan, um die Stille ein wenig zu durchbrechen.

„Eric. Das dauert zwar länger, aber dann müssen wir uns nicht Franks Sticheleien anhören. Er geht mir grad sowieso tierisch auf den Nerv.“ Zustimmend nickte ich an seiner Schulter. Ich wusste immer noch nicht, was mit meinem Bild von Dan passiert war. Ich war mir nur sicher, dass es unsere Wohnung nicht verlassen haben konnte, aber Frank wollte es mir nicht verraten. Ich wollte nicht, dass Dan es fand und vielleicht dachte, dass ich nicht nur verrückt sondern auch noch so was wie eine Stalkerin war. Immerhin hatte ich es zu einem Zeitpunkt gemalt, da wir uns beinahe die Köpfe abgerissen hatten.

Möglicherweise war es Wahnsinn, der mich da packte, doch ich wollte nicht, dass dieser Moment hier endete. Auch wenn nichts zwischen uns geklärt war, absolut nichts mit uns beiden in Ordnung war, so war ich dennoch zufrieden im Hier und Jetzt. Die Zeit hätte stehen bleiben können und mir wäre es egal gewesen.

„Irgendwann...“, begann ich, zögerte jedoch. Dan war allerdings hellhörig. Ich spürte es an seiner Körperspannung und seiner Atmung, sogar an seinem Herzschlag, der an meinem Ohr stetig pochte.

„Irgendwann wirst du mich nicht mehr brauchen. Das hier, ich weiß nicht. Ich...“, mir stockte der Atem und ich musste mehrmals schlucken und neu ansetzen, bis ich den Satz schließlich herausbrachte. „Ich möchte das hier. Sehr gern sogar, auch wenn ich nicht weiß, ob ich überhaupt dazu fähig bin. So etwas... so etwas wie das hier habe ich noch nie gefühlt. Es macht mir Angst. Aber ich weiß auch, dass du mich irgendwann nicht mehr brauchen wirst. Hast du dich niemals gefragt, warum ich keine Freunde habe?“ Ich spürte, wie er schweigend den Kopf schüttelte. Diese Position war unglaublich günstig. Zumindest musste ich ihn so vorerst nicht ansehen.

„Ich lerne Menschen kennen. Menschen, die ich mag und mit denen ich mich verstehe. Alles scheint in Ordnung zu sein, bis sie mich irgendwann einfach zurücklassen. Die Anrufe werden weniger, die Unternehmungen werden weniger. Ich sehe sie immer seltener und niemand hat Zeit, wenn ich sie danach frage. Ich fange an, mich zu fragen, was ich falsch mache, ob ich sie irgendwie verärgert habe. Irgendwann frage ich nach, doch alle verneinen. Und irgendwann bin ich alleine. Jedes Mal wieder aufs Neue. Darum habe ich es aufgegeben. Ich kann das nicht mehr, Dan.“ Meine Stimme zitterte und stand kurz davor zu brechen. Ich räusperte mich mehrmals.

„Ich will diese Gefühle zulassen, Dan, aber gleichzeitig will ich es nicht. Ich will nicht mehr, dass man mir weh tut. Ich will mich nicht mehr verbiegen, verdrehen und alles runter schlucken, damit sie... damit du dich nicht vor mir verschließt. Ich kann das langsam nicht mehr. Aber, Dan. Ich will nicht mehr alleine sein. Es tut weh.“ Leise sickerten meine Tränen in sein Shirt und meine Hände verkrallten sich darin. Der Teufel musste mich geritten haben, während ich ihm das alles erzählt hatte. Ansonsten konnte ich mir nicht erklären, wieso ich ihm diese Schwäche offengelegt hatte. Ich wollte nicht als das bedürftige Mädchen erscheinen, dass immer jemanden brauchte, der ihm die Hand hielt. Ich wollte jemand sein, der von einem anderen gebraucht wurde. Ich wollte jemanden glücklich machen und ihn zum Lachen bringen. Ich wollte ich selbst sein können, ohne mich verstellen zu müssen. War das denn wirklich so schwer?

Dans Arme umfingen mich fester, doch er sagte kein Wort. Als hätte er gewusst, dass ich es nicht hätte ertragen können. Er wusste selbst am besten, dass es Versprechen gab, die man nicht halten konnte und alles, was er hätte sagen können, hätte ich nicht glauben können. Ich war dankbar dafür, dass er mich zumindest in der Hinsicht richtig verstand.

Ich musste eingenickt sein, denn eine ganze Weile später bewegte sich der Untergrund unter mir und ich hörte Stimmen, die einander etwas zuflüsterten, aber ich konnte nicht verstehen, was sie sagten. Es war ein einziges Rauschen, bis alles endgültig still wurde.

 

Blinzelnd öffneten sich meine Augen und ich atmete den Geruch meiner Laken ein und wunderte mich, warum ich in meinem Bett lag. Meine Augen wurden dabei immer größer je mehr ich mich an den vergangenen Abend erinnerte. Das Chaos der Gefühle und die Dinge, die Dan und ich einander nicht sagen konnten. Wir waren ja so kaputt!

Etwas benommen setzte ich mich auf und sah mich in meinem Zimmer um. Überall lagen Kleider verstreut umher, dazwischen unzählige Blätter Papier und verschiedenste Stifte. Ich hatte hier und da sogar ein paar Malutensilien liegen, die meinem Wutanfall nicht zum Opfer gefallen und durch mein Atelier geflogen waren.

Langsam fläzte ich mich dann aus meinem weichen, kuscheligen Himmel und schlurfte mit ein paar Klamotten ins Bad, um eine heiße Dusche zu nehmen, die meinen Kreislauf in Schwung brachte. Gleichzeitig putzte ich mir die Zähne und summte den neuen Song vor mich hin. Er ließ mich nicht mehr los. Seltsamerweise bereitete er mir gute Laune, obwohl er eher melancholischer Natur war.

Frisch geduscht und munter marschierte ich dann in die Küche, während Glen mir um die Beine strich und versuchte, mich zum Stolpern zu bringen. Ich füllte ihren Futternapf und goss frisches Wasser nach, um dann im Kühlschrank nach Eiern, Bacon und Saft zu suchen.

Von einem Topf Petersilie rupfte ich ein paar Stängel ab und hackte sie, während ich Butter in einer Pfanne zerließ und den Kaffee durchlaufen ließ. Dann verrührte ich mehrere Eier und die Petersilie in einer Schüssel und gab sie in das heiße Fett, um Rührei zu machen. Zwischendrin warf ich dann ein paar Scheiben Bacon hinein und ließ sie die restliche Zeit mit dem Ei brutzeln.

Das Machwerk verteilte ich auf zwei Teller und stellte sie warm, weil ich nicht wusste, ob Dan schon wach war. Daher goss ich mir zunächst eine Tasse Kaffee ein, gab großzügig Milch und Zucker dazu und schlurfte diese vor dem Fernseher und schaute Nachrichten.

Irgendwann ging dann am anderen Ende des Flurs eine Tür auf und zu und dann eine weitere. Dan war wohl duschen gegangen. Da es keine Spur von Ben gab, schlief dieser wohl noch in seinem Körbchen oder steckte aber einfach in Dans Zimmer fest, damit er keinen Unfug anstellen konnte.

Kurz ging ich mit meiner Kaffeetasse ins Atelier – ich wäre ohne das Zeug vermutlich eines grausamen Todes gestorben – und stellte die Staffeleien wieder auf und sammelte hier und da ein paar Sachen auf, so gut es mit einer Hand ging. Ich konnte die Unordnung ja nicht ewig liegen lassen, auch wenn mir eigentlich nicht nach Aufräumen war. Ich wusste aber aus Erfahrung, dass ich mich in Bewegung halten musste, gerade wenn ich mich schlapp fühlte. Dadurch ging es mir gleich besser.

Als ich dann zurück ins Wohnzimmer ging und auf die Couch zusteuerte, erhaschte ich noch einen Blick von Dan lediglich in einem Handtuch bekleidet, wie er gerade zurück in sein Zimmer ging. Da mir plötzlich heiß war, öffnete ich die Terrassentür und ließ die frische Morgenluft herein. Es konnte auch nicht schaden, die Wohnung mal wieder durchzulüften, während Ben noch festgehalten wurde und ich Glen im Auge hatte. So konnte es zumindest zu keinen tragischen Tierunfällen kommen.

Gerade als ich mir dann eine zweite Tasse Kaffee holen und das Frühstück fertig machen wollte, hörte ich es in Dans Zimmer rummsen und ein lautes „Verdammt!“ klang durch die Wohnung. Lächelnd schüttelte ich den Kopf und setzte meinen Weg fort. Von meinem neuen Kaffee trank ich einen Schluck, als er gemacht war und stellte ihn auf dem Tresen ab, während ich mich nach einem Teller streckte. Dieser rutschte mir jedoch durch die Finger und fiel scheppernd zu Boden.

„Ach, Mist!“ Leicht genervt ging ich in die Hocke und sammelte die Scherben auf. Glen kam mir dabei jedoch ständig in die Quere und während ich versuchte, sie von den scharfen Kanten fern zu halten, durchzuckte ein plötzlicher Schmerz meinen Finger und ich ließ die Scherbe, die ich grade aufgehoben hatte, zwischen fallen.

Mit pochendem Herzen betrachtete ich meinen Zeigefinger, der aus einem länglichen, feinen Schnitt blutete, dass es auf den Boden tropfte. Mir verschwamm plötzlich die Sicht, mein Atem ging flach und mein Herz donnerte mir in den Ohren. Ich verlor das Gleichgewicht, kippte nach hinten um und schlug mir dabei den Kopf an den Unterschränken an, als ich auf dem Hintern landete.

Nein, nein, nein, nein! Nicht jetzt! Bitte! Ich bekam kaum Luft und keuchte, während ich versuchte, mich hochzuziehen und dabei immer wieder abrutschte und hin fiel. Es war überall. Alles war rot! Ich hörte das leise Tropfen, schmatzende Schritte in den klebrigen Pfützen.

Panisch kroch ich am Boden umher, bis ich es schaffte, nicht mehr auf den dunkelroten Pfützen auszurutschen, zog mich an der Theke hoch und schleppte mich hechelnd zum Spülbecken, wo ich immer wieder daneben griff, bis ich es schaffte, das kalte Wasser aufzudrehen. Ein Pfeifen ertönte in meinen Ohren. Ich hielt meine rot verschmierten Hände unter das Wasser, während die Welt sich drehte und die Ränder schwarz wurden. Das Wasser machte es aber wieder gut. Es spülte das Rot weg und ließ es im Abfluss verschwinden.

Ich bekam wieder besser Luft und meine Sicht wurde wieder scharf. Trotzdem hörte das Pfeifen zunächst nicht auf, bis ich wieder ganz klar sehen und normal atmen konnte. Meine Lungen taten mir jedoch weh und ein leichter Schwindel blieb. Zudem war mir etwas übel und der Appetit auf Frühstück deutlich vergangen.

Blinzelnd legte ich mir eine Hand, die mittlerweile eiskalt war, an die Stirn, während ich die andere unter dem Wasserstrahl ließ. Ich versuchte, zu begreifen, was gerade passiert war und konnte es nicht. Es war doch nur ein kleiner Schnitt. Ein winzig kleiner Schnitt, der mir früher nichts mehr ausgemacht hatte. Warum war es jetzt wieder da?! Wieso?!

Ich war so frustriert und wütend, dass ich heulen wollte, es mir jedoch verkniff. Ich konnte nicht schon wider damit anfangen. Langsam und gleichmäßig atmend hing ich also am Spülbecken, in einer Küche, in der Tellerscherben herumlagen und fürchtete mich davor, meine Hand unter dem Wasser hervor zu holen und einen weiteren Panikanfall zu bekommen. Ich konnte den Anblick des Blutes nicht ertragen.

 

 

 

 

 

 Dafür dass er auf seinem Schlagzeug immer mächtig Krach machte, war Eric ziemlich leise unterwegs. Ich hatte ihn erst kommen hören als er so gut wie bei uns stand. Mit einem vagen Deut auf Parker bedeutete ich ihm leise zu sein und mir zu helfen, uns aus der Decke zu wickeln, wobei ich Parker wieder einwickelte, damit sie von der plötzlichen Kälte nicht aufwachte.

„Ich hoffe du hast die Tür nur angelehnt, sonst haben wir jetzt ein Problem.“

„Sicher, für wen hältst du mich denn?“

Ich warf ihm einen bösen Blick zu und er verstand sofort, was ich ihm damit sagen wollte.

„Schon gut, schon gut. Ihr habt Kommunikationsprobleme, schon verstanden.“

„Sehr gut, beweg dich.“

Mit dem Kopf Richtung Treppe nickend wies ich ihn an voraus zu gehen und lehnte ab, als er vorschlug, Parker zu wecken.

„Nein lass sie schlafen. Sie wird nur Kopfschmerzen haben wenn sie jetzt aufwacht.“

Den einen Arm in ihre Kniebeuge geschoben und den anderen um ihren Rücken hob ich sie hoch, wobei ihr Kopf nicht von meiner Schulter wich. So trug ich sie nach unten in ihr Zimmer, wo ich das Licht ausließ und nur den Schein aus dem Flur nutzte, um das Bett zu finden, wo ich sie schließlich ablegte. Sofort rollte sie sich in der Decke auf der Seite zusammen und gab ein kaum hörbares Seufzen von sich, was mich beinahe aus der Haut fahren ließ. Es lief mir eiskalt den Rücken runter und mir wurde kälter, als es auf dem Dach überhaupt möglich gewesen war, wobei ich für einen Moment lang in einer Starre fest hing. Sie nicht aus den Augen lassend wartete ich darauf, dass sich die Starre wieder löste und ich ihr ihre Decke überlegen konnte. Verdammt, ich wollte gar nicht gehen. Oben auf dem Dach hatte sie so verletzlich gewirkt und sie hatte diese Dinge gesagt. Sie hatte gesagt, sie wolle das alles, hätte aber gleichzeitig Angst davor. Allerdings hatte sie nie wirklich gesagt, dass das alles auf mich bezogen war, somit stand ich immer noch vor der gleichen Frage. Woran war ich bei ihr?

Wohl wissend, dass ich das jetzt nicht heraus finden würde, fuhr ich mir durch die Haare und verließ ihr Zimmer. Das erste was ich dann tat war, nach Ben zu suchen. Mich hin hockend sah ich den Flur rauf und runter, fand ihn aber nicht.

„Ben?“

„Wenn Ben der Welpe ist von dem du erzählt hast, dann liegt der mit der Katze unten im Kratzbaum.“

„Was?“

Irritiert sah ich in die kleine Höhle des Baums der direkt neben mir stand und zog die Brauen hoch. Tatsächlich. Vorsichtig fuhr ich mit der Hand hinein und unter den Welpen, ohne mir einen von der Katze zu fangen und hob ihn ebenso vorsichtig heraus. Das kleine schwarze Bündel streckte sich und gähnte quietschend, bevor er aktiv wurde.

„Hey Kleiner, tut mir Leid, kommt nicht wieder vor.“

Als wollte er mir ein schlechtes Gewissen einreden fiepte er mitleidig und begann dann an meinen Finger zu knabbern. Es war offensichtlich, dass er Hunger hatte, immerhin war ich einige Zeit mit Lenneth im Probenraum gewesen und dann draußen.

Auf dem Weg in die Küche nickte ich Eric zu, der mir folgte und dem ich den Welpen in die Hand drückte, damit ich die Milch anrühren konnte. Während ich das tat, konnte ich Eric mit dem Welpen rum albern hören, was klang, als wollte er ein kleines Kind belustigen.

„Hör auf damit Eric, sonst frisst er gleich nichts.“

„Ach komm, er ist so knuffig. Sieh ihn dir an, hier. Du guckst ja gar nicht.“

„Ja, weil ich weiß wie er aussieht. Ist dir aufgefallen, dass er fast schwarze Augen hat?“

Ohne mich umzudrehen wusste ich, dass Eric ihm genau in die Augen sah.

„Ja hast recht. Sollten die nicht eigentlich blau sein?“

„Sind sie doch, nur ziemlich dunkel.“

„Das ist ne echt abgefahrene Farbe. Was glaubst du, was da später raus kommt?“

„Keine Ahnung, schwer zu sagen. Der Tierarzt sagt, er sieht schwer nach Schäferhund aus, ich sage, da ist noch was anderes mit drin. Die Ohren sind untypisch, sie hängen nicht und für stehende Ohren sind sie zu klein. Genau lässt sich das aber erst sagen wenn er größer ist. Und er wird groß, verlass dich drauf.“

„So groß, dass er die Katze mit einem Haps wegputzt.“

Als ich ihm einen Blick über die Schulter zuwarf, hielt er Ben grade in die Luft und grinste. Er konnte genauso kindisch wie Ernst sein. Unwillkürlich musste ich lächeln und merkte wie ich begann, mich wieder leichter zu fühlen.

„Schön wär's. Die zwei lieben sich jetzt schon, wenn die weiter so aufeinander hängen, sind sie irgendwann unzertrennlich. Ich hab nur die Befürchtung, dass er sich zu viel bei ihr abschauen könnte. Ich seh es schon vor mir, ein riesiges Ungetüm, dass versucht, sich die Krallen an dem verdammten Baum zu wetzen.“

Einen Moment blieb es ruhig, dann räusperte Eric sich und ich wusste, dass er sich grade etwas verkniff.

„Bist du dir sicher, dass du grade von dem Hund redest?“

„Lachst du etwa grade über mich?“

Als ich mich zu ihm umdrehte hielt er sich Ben vor das Gesicht.

„Sieh dir an wie süß er ist.“

„Sei froh, dass du Ben grade in der Hand hast, sonst würde ich dir zeigen, wie süß ich sein kann.“

Erst füllte ich die Milch in den Napf und stellte diesen dann auf dem Boden ab, bevor ich Eric Ben abnahm und mich mit ihm auf den Boden setzte. Dieselbe Prozedur wie am Nachmittag wiederholend saß ich da, lehnte den Kopf an den Schrank und schloss die Augen. Beinahe hätte ich Eric vergessen, hätte er sich nicht bemerkbar gemacht.

„Hab ich das jetzt richtig verstanden, dass ihr zwei euch ein gekriegt habt?“

Schweigend öffnete ich die Augen und sah Eric lange an, bevor ich antwortete.

„Nicht mal annähernd. Ich hab sie gefragt was Sache ist, aber entweder will sie mir nicht konkret antworten oder sie kann wirklich nicht, so wie sie sagt.“

„Das sah aber eben ganz anders aus. Ich meine-“

„Du hast sie doch gesehen. Sie war total am Ende da oben, sie hat panische Angst Eric.“

„Das kann ich mir bei ihr gar nicht vorstellen.“

„So ist es aber und ich kann sie verstehen. Ich kenne meinen Ruf gut genug um alle ihre Befürchtungen zu bejahen, nur stimmt nicht eins der Gerüchte von den unzähligen, die über mich im Umlauf sind. Sie hat ein völlig falsches Bild von mir und ich weiß nicht wie ich das ändern soll.“

„Dann solltest du ihr vielleicht zeigen, dass du nicht der Kerl bist, von dem die anderen reden, wenn sie deinen Namen in den Mund nehmen. Zeig ihr, dass sie keine Angst haben muss, wovor auch immer.“

Das war leichter gesagt als getan. Bei alledem was ich noch nicht wusste, würde ich vermutlich in eine Landmiene nach der anderen treten.

„Sagt der, der dem Mädchen auf das er steht, nicht mal ins Gesicht sehen kann, ohne zu stammeln.“

„Ich hab nicht gestammelt!“

„Ach nein? I-i-i-i-i-i-ich äh...“

Ich gab zu, ich übertrieb, aber hier rum zu blödeln ließ mich wenigstens etwas besser fühlen. Schmunzelnd sah ich zu Eric rüber und da grinste er schon wieder.

„So schlimm war ich gar nicht.“

„Stimmt. Und sie war echt süß, ich glaube ich hätte auch kein Wort raus gekriegt.“

„Du kriegst auch so kein Wort raus.“

„Ja, das ist eine echt fiese Macke. Gewöhn dir so was besser gar nicht erst an, das Leben ist viel zu kurz. Die Schnauze halten kannst du immer noch wenn sie deine Kiste zugenagelt haben und du dir die Radieschen von unten ansiehst.“

Darauf nickte Eric nur. Ich wusste wir ungern er über den Tod sprach, aber irgendwann musste er sich damit auseinander setzen. Je früher er akzeptierte, dass er zum Leben dazu gehörte wie das Atmen, umso besser.

„Hör zu Kumpel, ich will dich nicht raus schmeißen, aber ich glaub ich zieh mich jetzt lieber zurück. Wir reden morgen weiter, alles klar?“

„Klar, sicher. Wir sehen uns morgen.“

Er drehte sich schon um und ich wusste, er fühlte sich abgewürgt. Sofort meldete sich mein Gewissen und ich seufzte.

„Hey Eric, warte.“

Vorsichtig setzte ich Ben ab, damit er die Reste aus seiner Schale lecken konnte und stand auf.

„Danke dass du her gekommen bist. Ich hatte echt keine Lust, dass Coleman uns zusammen auf dem Dach findet, das wäre für ihn ein gefundenes Fressen gewesen und du weißt ja wie er ist. Er versucht aus allem eine Story zu machen und du kannst dir vorstellen was er mit uns machen würde. Da ist er schon ne ganze Weile drauf aus, ich hab ihn sogar schon davor gewarnt, aber das scheint er verdrängt zu haben. Ehrlich gesagt kann ich das momentan nicht brauchen und Lenneth genauso wenig, wenn ich die Situation heute Abend richtig einschätze. Wie auch immer, ich bin dir was schuldig, sorg dafür, dass ich mich demnächst revanchieren kann okay?“

„Ach was, nicht der Rede wert. Das hier ist allemal besser als zuhause zu hocken.“

„Du kannst jederzeit herkommen, die Tür steht dir jederzeit offen. So wie der Probenraum, das Bad. Vergiss nicht den Kühlschrank, der ist immer voll. Egal wie viel du raus nimmst, beim nächsten mal öffnen steht irgendetwas neues drin. Diese Frau kocht, als hätte sie nichts anderes zu tun. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen sie versucht mich zu mästen, damit ich irgendwann im Aufzug stecken bleibe und ihr nicht mehr die Show stehlen kann.“

Es beruhigte mich, dass er wieder grinste, aber trotzdem blieb er ernst dabei.

„Ach was, du weißt das das nicht stimmt. Sie schätzt dich, vermutlich mehr als wir anderen. Du hast gar keine Ahnung wie oft sie dich beim spielen beobachtet, ob nun im Studio oder wenn du auch nur Frank ein paar neue Noten vorspielst.“

„Sie schätzt die Musik, das ist etwas anderes, aber Danke für den Versuch.“

„Na gut, rede dir das weiter ein, glaub daran, ich tu es nicht. Wir sehen uns.“

Er winkte mir zu und dann war er im Aufzug verschwunden. Na toll, jetzt hatte ich ihn vergrault. Hoffentlich würde sich das nicht in irgendeiner Weise bemerkbar machen.

Seufzend schnappte ich mir Ben, der schon versuchte sich vom Acker zu machen, und trug ihn ins Bad. Dort ließ ich knöchelhoch warmes Wasser in die Wanne und setzte ihn für einen Moment hinein, um seine Verdauung anzuregen. Klar, das war kein schöner Job, vor allem nicht den Dreck hinterher wieder weg zu machen, aber besser so, als wenn er meinte, er müsse sich in meinem Zimmer erleichtern.

Nachdem ich den Welpen gut trocken abgerubbelt hatte nahm ich ihn mit in mein Zimmer, wo ich beinahe wieder über den ganzen Kram flog, den Lenneth einfach hatte fallen lassen. Ich musste den Scheiß unbedingt weg räumen. Morgen. Heute würde ich definitiv nur noch ins Bett gehen. Den kleinen Vorraum mit Couch und Fernseher hinter mir lassend betrat ich das Schlafzimmer, wo ich Ben in seinem Korb neben dem Bett absetzte und mich auf das Bett fallen ließ. Die Schuhe kickte ich in hohem Bogen Richtung Tür, zog mir das Shirt über den Kopf und warf es ebenso wie Hose und Socken den Schuhen hinterher. Gott, dieses Bett war bequemer als es gut für mich war, ich wusste schon, wieso ich so selten darin schlief. Beinahe sofort nickte ich ein, wurde aber von einem Winseln wieder in die Realität gezogen. Ein Blick neben das Bett zeigte Ben, zusammengerollt in seinem Korb, wie er vor sich hin zitterte. In dem Moment erinnerte er mich unheimlich Lenneth vorhin. Verdammt.

„Du willst auch nicht alleine sein was?“

Wieder fiepte und winselte er und da entschied ich mich, wenigstens ihm Gesellschaft zu leisten. Ich zog die Decken vom Bett und breitete sie auf dem Boden aus, holte dann die Wolldecken aus meinem kleinen Wohnzimmer und wickelte mich darin ein. Auf dem Boden zu schlafen war zwar nicht die beste Idee, aber da ich Ben nicht mit auf das Bett nehmen wollte, aus Angst er würde runter fallen, blieb mir nichts anderes übrig.

Mich auf dem Boden ausstreckend hob ich Ben aus seinem Korb und setzte ihn auf meine Decke.

„So und jetzt will ich keinen Mucks hören, klar?“

Um mir sein Einverständnis zu geben lümmelte er sich zu mir unter die Decke und schmiegte sich an meinen Hals. Kluger Kerl, da würde er nicht Gefahr laufen, aus Versehen von mir platt gemacht zu werden. Er schien ebenso müde zu sein wie ich, denn er schnarchte nur wenige Momente vor mir.

 

 

 

Das Erwachen war nicht halb so schön wie das einschlafen. Mein Nacken war steif, die Sonne blendete mich unter den Vorhängen her und eine kleines wuscheliges Etwas kaute an meiner Nase.

„Ben hör auf damit.“

Aber er hörte nicht auf. Deswegen und weil ich versuchen musste aufzustehen, nahm ich ihn von meinem Gesicht und setzte ihn in seinem Korb wieder ab. Mühsam und mit knackenden Knochen raffte ich mich auf und stapfte fast blind Richtung Bad, mich daran erinnernd, dass da etwas immer noch meine Tür blockierte, über das ich fallen konnte. Mit zusammen gekniffenen Augen manövrierte ich mich durch den Plunder und kam sogar heile im Bad an. Die Dusche half mir dabei richtig wach zu werden und da ging mir auf, dass ich gar keine Klamotten mitgenommen hatte.

„Was solls, ich wohne hier, wenn ihr das nicht passt, soll sie wegsehen.“

Mit dieser Überzeugung stieg ich aus der Dusche, trocknete mich ab und wickelte mir dann das Handtuch um, um zurück in mein Zimmer zu verschwinden. Mir ein paar der Dinge greifend, die um die Türe rum verteilt waren, ging ich rüber zum Schrank und öffnete eins der unbenutzten oberen Fächer um die Sachen darin unter zu bringen, als mit etwas entgegen kam. Die Tüten fallen lassend riss ich die Arme hoch und blockte die Leinwand ab, die mir ins Gesicht geflogen wäre.

„Was zu Hölle?!“

Nachdem der Rahmen nur knapp meinen Fuß verfehlt hatte hob ich ihn auf und begutachtete das halb fertige Bild. War ich das? Verdammt, ja, das Armband am linken Handgelenk war definitiv meins. Das war nicht lange nachdem ich versucht hatte mich umzubringen gewesen. Ich hatte das breite Lederband angezogen um die Wunden zu verdecken. Scheiße, wie kam das in meinen Schrank? Das Lenneth es gemalt hatte war mehr als offensichtlich, sie war die einzige hier die malte, aber wieso malte sie mich und dann noch eine solche Szene? Und vor allem, wieso erinnerte sie sich so detailgetreu an die Sachen, die ich angehabt hatte? Andererseits, wer sagte mir, dass das Bild nicht schon drei Jahre alt war? Aber so alt konnte es noch gar nicht sein, die Farben waren noch viel zu neu, viel zu frisch. Ich würde sie fragen müssen, wenn ich darauf eine Antwort haben wollte.

Die Tüten grob in den Schrank verfrachtend und mich dann anziehend betrachtete ich das Bild und kam mit den Gedanken nicht hinterher. Schließlich griff ich mir Ben und das Bild und verließ das Zimmer, wobei ich Ben gleich wieder absetzte, weil die Katze mich dazu nötigte. Sie begann sofort mit dem Welpen zu toben und ich konnte nur den Kopf darüber schütteln. Die zwei.

Als ich in der Küche ankam, erwartete mich das Chaos. Der Boden war voller Scherben und Rührei und hier und da entdeckte ich einen kleinen roten Tropfen. Lenneth stand an der Spüle, hielt ihre Hand unter das laufende Wasser und war kreidebleich. Da durchzuckte mich die Panik und ich ließ das Bild fallen, wobei ich nach vorne hechtete und mir ein Handtuch griff.

„Was hast du gemacht?!“

Als keine Reaktion kam, sah ich ihr ins Gesicht und stellte fest, dass sie gar nicht hier war. Ihr immer wieder vor dem Gesicht schnippend versuchte ich ihre Aufmerksamkeit zu bekommen, aber es half nicht. Den Wasserhahn zu schlagend zog ich ihre Hand zu mir ran und untersuchte sie, aber alles was ich fand, war ein Schnitt der nicht aufhören wollte zu bluten. Sofort drückte ich das Handtuch darauf, zog dann einen der Thekenhocker heran und zwang sie beinahe dazu, sich hin zu setzen.

„Bitte Lenne rede mit mir, hey.“

Immer noch keine Reaktion. Nicht gut. Vorsichtig tastete ich ihren Kopf ab und fand am Hinterkopf eine Beule. Na ganz toll. Während ich einen Kühlbeutel aus dem Tiefkühlfach holte begutachtete ich das Chaos und schüttelte dann seufzend den Kopf. Ich wickelte das Kühlpack in ein Handtuch ein und drückte es ihr an den Kopf und da zuckte sie zum ersten mal zusammen.

„Wurde aber auch Zeit.“

Alles was ich von ihr bekam, war ein heiseres „Was?“

Mein Gott, was hatte sie angestellt?

„Was glaubst du eigentlich was du hier machst? Du kannst auch einfach sagen, dass du keine Lust auf Proben hast und lieber mit mir hier bleiben würdest, du musst dich nicht halb dafür umbringen.“

Da kehrte wieder leben in ihr Gesicht und ich grinste.

„Du bist so ein Vollidiot.“

Zögernd löste sie meine Hand an ihrem Hinterkopf mit ihrer ab, also ging ich einen Schritt zurück um sie zu begutachten. Sie war immer noch viel zu blass.

„Ja, der Vollidiot der dich grade ins Leben zurück geholt hat, stets zu Diensten. Du solltest mir dankbar sein.“

Bevor sie etwas erwidern konnte, hatte ich ein Glas Orangensaft gefüllt und es vor ihr hingestellt.

„Trink das, ich will nicht, dass du wieder umfällst.“

Danach machte ich mich daran, die Überreste eines Frühstückstellers zu entsorgen. Sobald der Boden wieder sauber war, wandte ich mich wieder Lenneth zu.

„Lass mich das sehen.“

Ich griff nach ihrer Hand mit dem Handtuch, wickelte ihren Finger aus und atmete erleichtert auf, als ich endlich sehen konnte, dass der Schnitt gar nicht so tief war. Das Blut das jetzt noch austrat sah aus, als würde es sich dazu zwingen hervorzutreten. Etwas zu hektisch durchsuchte ich die Schränke nach dem Verbandskasten, den ich zuvor irgendwo gesehen hatte und hielt erst inne, als ich ihn fand. Ich schnitt ein großzügiges Pflaster ab und drehte mich wieder zu ihr um, wobei mir nicht entging, dass sie mich misstrauisch beobachtete, während ich ihr das Pflaster entgegen hielt.

„Willst du das selber machen oder soll ich?“

Anstatt mir eine Antwort zu geben starrte sie mich nur weiter an, was mich seufzen ließ. Gut, dann machte ich das eben. Schweigend wickelte ich ihr das Pflaster um den Finger, warf das Papier von den Klebestreifen weg und als ich mich danach wieder zu ihr umwandte, starrte sie mich immer noch an, als wäre ich ein Monster oder als hätte sie mich zum ersten mal gesehen.

„Was ist los mit dir?“

Wenn sie nicht bald eine Reaktion von sich gab, würde ich sie mit Verdacht auf Gehirnerschütterung ins Krankenhaus fahren.

18

Ich war tot. Ich musste einfach tot sein und meine Gedanken waren ins Lalaland abgedriftet. Dan war so hektisch und sah so besorgt aus, dass es fast lächerlich war. So hatte ich ihn noch nie gesehen, soweit ich mich erinnern konnte. Hatte er auch so ausgesehen, als er mich aus der Badewanne gefischt hatte?

Ich konnte nicht anders als ihn anzustarren. Mein Hirn war wie eingefroren und ich verstand zunächst nicht einmal, was er von mir wollte. Der Zündschlüssel drehte sich mehrmals, mein Hirn hustete und keuchte und sprang letztendlich doch noch an.

„Ich kann kein Blut sehen“, platzte ich einfach heraus. Nur weil mein Hirn angesprungen war, hieß das nicht, dass es auch so funktionierte, wie es sollte.

„Das ist alles?“, brüllte er fast und völlig entnervt. Mein Gesicht wurde warm und ich nickte, wobei ich alles anstarrte nur nicht das blutige Handtuch oder den Fußboden. So wie ich geblutet hatte, musste es aussehen, wie bei einem Massakerfest.

Dan seufzte laut und deutlich. Ich war ja selbst nicht so begeistert davon, aber ich konnte es auch nicht ändern. Früher hatte es mir nicht viel ausgemacht, aber mir war klar gewesen, dass sich meine Kindheit früher oder später auf meine Gegenwart auswirken würde.

„Gestern bei dem Film war es aber kein Problem“, sagte Dan.

„Naja, wenn es Abbildungen von Blut sind, hab ich auch kein Problem damit, aber der reale Anblick und vor allem der Geruch oder Geschmack davon ist es, was mir Schwierigkeiten macht. Ich werd dann ein bisschen... naja, panisch.“ Ich wusste, dass er unbedingt mit den Augen rollen wollte, sich jedoch aus irgendeinem Grund zusammenriss.

„Na gut, dann geh ins Wohnzimmer oder so, bis ich das hier“, er machte eine Geste, die die Küche umfasste, „aufgeräumt habe.“ Ich nickte nur zustimmend und rutschte vom Hocker, auf dem ich saß, auch wenn ich nicht wusste, wie ich überhaupt darauf gekommen war. Dabei fiel mein Blick auf eine Leinwand, die auf dem Fußboden lag. Ich bückte mich, hob sie auf und drehte sie um. Sie wäre mir da beinahe aus den Händen gefallen.

„Oh, deswegen wollte ich dich was fragen“, begann Dan, doch bevor er zu Ende sprechen konnte, lief ich wie von der Hummel gestochen in mein Atelier und knallte die Tür hinter mir zu.

Verdammt, verdammt, verdammt! Frank du mieser kleiner Flachwichser! Wie konnte er mir das nur antun! Jetzt würde Dan denken, dass ich eine kranke Stalkerin wäre, als wäre sein Bild von mir nicht schon schlimm genug.

Vorsichtig stellte ich das halbfertige Ding auf eine Staffelei und betrachtete es. Nicht mehr viel und es wäre fertig. Es würde Dan zeigen, wie ich mich an ihn erinnerte. Damals, als ich mich ihm noch verbundener gefühlt hatte und wir einander nicht ständig angefeindet hatten. Aber die Situation veränderte sich schon wieder und ich wusste nicht, ob es gut war oder nicht.

Mir war klar, dass ich nicht so fühlen sollte, wie ich es tat, aber wie es so oft der Fall mit diesen Dingen war, konnte man sich nicht dagegen wehren. Lediglich mit dem Schmerz leben.

Während Dan noch in der Küche beschäftigt war, huschte ich schnell in mein Zimmer, holte ein paar meiner Skizzenbücher, meinen Kittel und noch etwas Zeichenkohle und huschte zurück ins Atelier, wo ich die Fenster aufriss.

Dann füllte ich eine der Paletten mit Farbe und begann, das Bild von Dan zu vollenden. Es fehlte nicht mehr viel und ich konnte die Szene mir vor Augen halten, als wäre es erst gestern gewesen. Die Zeit flog dahin, während mein Pinsel über die Leinwand flog und ich mir die Hände mit Farbe vollschmierte.

Als es schließlich fertig war, trat ich ein paar Schritte zurück und betrachtete es glücklich. Es war perfekt. Ich rückte drei Staffeleien in einem kleinen Halbkreis zusammen und platzierte auf jeder jeweils eines der Bilder, die ich vollendet hatte, seit ich hier eingezogen war.

Die Bilder hätten unterschiedlicher nicht sein können, aber sie harmonierten trotzdem irgendwie miteinander. Nachdem ich mein Werk bewundert hatte, hockte ich mich auf den Boden und blätterte durch meine Skizzenbücher.

Sie enthielten die unterschiedlichsten Motive. Seien es Landschaften, Menschen, irgendwelche interessant aussehenden Dinge, Tiere oder Standbilder von meinen Träumen.

Aus allen Büchern hatte ich jedes bezeichnete Blatt bereits einmal herausgerissen, sodass ich sie nun vor mir auf dem Boden ausbreiten konnte. Ich sah über sie hinweg und betrachtete jedes einzelne genauestens. Manchmal malte ich einige von den Skizzen, manchmal blieben sie einfach nur Skizzen.

Ich konnte mich nicht so recht entscheiden. Keine der Zeichnungen sprang mir wirklich ins Auge. Als ich mich aufrichtete und auf all die Blätter hinab sah, bedeckten sie den Großteil des Bodens vor mir. Das würde anstrengend werden, sie wieder einzusammeln, doch gerade jetzt hatte ich keine Lust dazu.

Stattdessen riss ich noch ein paar Blätter aus den Skizzenbüchern und krakelte irgendwelches Zeug darauf herum, während ich einen von Dans frühen Songs vor mich hinsummte. Die Zeichnungen, die dabei herauskamen, waren ziemlich abstrakte Grütze und manche ähnelten sogar dem, was gelangweilte Teeny-Mädchen im Unterricht auf ihre Blöcke malten.

Mir war momentan wirklich mehr nach Musizieren, als Malen. Als es dann vehement an die Tür klopfte, sammelte ich das letzte der Bücher, das ungeöffnet geblieben war auf und ging hin. Vorsichtig schmulte ich durch einen Spalt in der Tür. Dan stand breitbeinig davor und sah mich streng an.

„Ob du nun fertig bist oder nicht, der Fahrer wartet unten auf uns.“ Ohne weitere Worte zu verlieren, packt er mich am Handgelenk und zerrte mich aus der Wohnung, bevor ich protestieren konnte.

In meinem Malkittel verfrachtete er mich unten in den Wagen, wobei mir auffiel, dass er nicht nur seine Gitarre dabei hatte, sondern auch Blemishs Tasche und Ben vorne aus seiner Jacke herausguckte. War er etwa in meinem Zimmer gewesen?

 

Eric und Ella starrten mich entgeistert an, als sie sahen, wie ich mit Farbe beschmiert das Studio betrat und versuchte, Dan meine Hand zu entringen, aber sein Griff war fest und er ließ nicht los. Ich würde schon nicht flüchten, daher verstand ich nicht, warum er das tat.

Dann starrten sie Dan an oder besser gesagt Ben, der vorne aus Dans Jacke guckte und fiepte wie am Spieß. Das tat er allerdings erst, seit wir das Gebäude betreten hatten.

Frank hingegen grinste breit von einem Ohr zum anderen. Darauf schnaubte Dan abfällig, während ich ihm Blemish endlich abnehmen konnte. Ich verstaute das Skizzenbuch, das ich immer noch im Arm hatte in der Fronttasche und packte meinen Bass aus.

„Das wurde auch langsam Zeit“, sagte Eric seltsam fröhlich. „Wir dachten schon, ihr hättet euch gegenseitig zerfleischt.“ Dan schnaubte nur wieder, doch ich sah, dass seine Mundwinkel zuckten.

Schulterzuckend zog ich meinen Kittel aus und steckte Blemish ein, um ihn zu stimmen und mich einzuspielen. Ich wusste nicht, ob ich ihnen meinen neuen Song zeigen sollte, immerhin hatte Dan ziemlich seltsam darauf reagiert.

Dann zuckte ich mit den Schultern und beschloss, es einfach darauf ankommen zu lassen. Ich wollte hören, wie er sich mit der vollen instrumentalen Besetzung anhörte.

„Hey, Leute“, meldete ich mich zu Wort. „Ich hab da was Neues am Start, das ich euch zeigen möchte.“ Nachdem Frank sich vom Acker gemacht hatte, weil er noch irgendwas zu tun hatte, spielte ich ihnen den Song einmal vor, wobei mir nicht entging, dass Dan dabei plötzlich steif wurde.

Ich sah ihm jedoch beim Spielen in die Augen und ging auf Nummer sicher, dass ich seine Aufmerksamkeit hatte. Er durfte mir jetzt nicht entgleiten und musste sich konzentrieren. Ich wollte diesen Song unbedingt einmal vertont haben. Dass er überhaupt vorzeigbar war, war auch Dan zu verdanken.

Es schien einigermaßen zu funktionieren und Dan starrte die ganze Zeit zurück. Ich konnte seine Miene jedoch nicht lesen. Als hätte er sich in sich selbst zurückgezogen. Das gefiel mir ganz und gar nicht, weil ich all seine Aufmerksamkeit gewollte hatte, aber ich würde mich vorerst damit zufrieden geben. Es war nur fair, nachdem ich ihm auf seine Frage keine eindeutige Antwort liefern konnte. Auch wenn ich nicht wusste, was genau er eigentlich von mir wissen wollte.

Nachdem ich geendet hatte, hatten Ella und Eric sofort Ideen beizusteuern, wie die Melodie zu ergänzen war und wir arbeiteten wie die Irren an einem Arrangement für den Song. Hier und da musste ich wieder etwas an der Melodie ändern, damit das Schlagzug leichter einsteigen konnte, an anderer Stelle passte sich das Keyboard an und so weiter.

Zwischenzeitlich brachen regelrechte Streite aus, aber das war mittlerweile normal unter uns. Meistens hatten Dan und ich uns dabei angegiftet, doch dieses Mal, führten überwiegend Eric und Ella Krieg, während Dan und ich daneben saßen und dabei zu sahen, bis sie sich entweder wieder einkriegten oder einer von uns dazwischen treten musste.

Einmal sah ich bei einer dieser Auseinandersetzungen zu Dan hinüber und wackelte andeutungsweise mit den Augenbrauen, was mir nur einen verwunderten Blick einbrachte. War das denn so seltsam? Gut, es war eine Weile her, dass ich mich hatte gehen lassen können und auch ein wenig herumgetrödelt hatte, aber so unerwartet konnte das doch nicht sein.

Am Ende des Tages lagen die Nerven blank, aber der Song war überwiegend fertig und wir hörten uns abschließend mit Floid und Bob eine vertonte Version davon an. Ich war recht zufrieden damit. Natürlich fehlte noch Franks Urteil, aber der würde erst einmal sein blaues Wunder erleben, wenn ich ihn in die Finger bekam. Erst klaute er mein Bild und dann schmuggelte er es auch noch Dan zu! Der Mistkerl würde noch so was von leiden!

 

Auf dem Weg nach Hause blieb es still, doch ich saß recht nahe an Dan dran. Mir war ein wenig warm, aber ich rückte dennoch nicht von ihm ab. Er war schon eine Weile sehr nachdenklich und still, aber ich ließ ihn einfach in Ruhe. Wenn ich ihn bedrängte würde sicher nichts Gutes dabei herauskommen.

Zuhause kam Glen wie immer angerannt, aber sie rannte dieses Mal zu Dan und stieg ihm halb am Bein hinauf, bis dieser sagte: „Schon gut, schon gut.“ Dann setzte er Ben ab und er wurde zu Glens Nabel der Welt. Keine Ahnung, wann das wieder passiert war, aber ich fand es außerordentlich niedlich.

Ich stellte meinen Bass an der Tür zum Probenraum ab und holte das Skizzenbuch hervor. Ich wollte es in meinem Zimmer verstauen, bevor neugierige Nasen einen Blick hinein werfen konnten. Gerade als ich mich umdrehte, stieß ich jedoch mit Dan zusammen, der wie aus heiterem Himmel hinter mir gestanden hatte und wäre beinahe rückwärts umgefallen, wenn er mich nicht mit einem Arm um die Taille aufgefangen hätte.

Mir war allerdings das Buch aus den Händen gefallen und die Blätter fielen zuhauf heraus und verteilten sich zu unseren Füßen.

„Sorry“, murmelte ich peinlich berührt und bückte mich, um das Debakel schnell aufzusammeln, bevor er sehen konnte, was auf den Blättern zu sehen war. Leider hatte ich nicht so viel Glück und Dan bückte sich selbst mit den Worten: „Nein, nein, war mein Fehler.“ Mir wären dabei fast die Augen aus dem Kopf gerollt, aber ich hatte gerade ein ganz anderes Problem, das sich noch vergrößerte, als er mit ausgestreckter Hand erstarrte.

Das ganze Skizzenbuch war vollgezeichnet gewesen, dementsprechend war auch alles herausgefallen. Jedes einzelne Blatt zeigte Dan. Wie er auf der Bühne stand. Wie er in die Menge winkte. Wie er von haufenweise Mädchen umringt war. Wie er an einem Tisch in einem Café saß und ein Stück Kuchen aß. Wie er mit Rob sprach. Wie er an der Bar lehnte und eine Limo trank.

Mir wurde übel und ich sammelte den Mist noch schneller auf, um flüchten zu können. Gleichzeitig wollte ich nicht länger hier bleiben, aber ich konnte dieses Chaos nicht einfach liegen lassen.

Die Entscheidung wurde mir prompt jedoch abgenommen, als Dan mich am Handgelenk packte, gegen die Wand drängte und mir dabei in die Augen sah. Dabei sah er irgendwie irritiert aus. Oder verärgert? Ich konnte es nicht sagen, mein Hirn lief auf Hochtouren und gleichzeitig kam nur Grütze dabei heraus.

„Was“, begann er sehr langsam und ernst, „hat das zu bedeuten?“

 

 

 

 

 

 Ich hatte es ihr ja noch durchgehen lassen, dass sie einfach abgehauen war, als ich sie nach dem Bild gefragt hatte, aber noch mal würde sie mir nicht davon kommen, vor allem nicht jetzt, wo ich sie an die Wand gepinnt hatte.

„Was hat das zu bedeuten?“

„Lass mich los.“

„Nicht bevor du mir gesagt hast, wieso du ein ganzes Buch mit Zeichnungen von mir hast.“

„Dan bitte, lass mich los.“

„Du wolltest doch den ganzen Tag Reaktionen von mir haben. Jetzt hast du sie und bist trotzdem nicht zufrieden? Kann man dich überhaupt irgendwie zufrieden stellen?“

„Bitte, lass mich los.“

Einen Moment beobachtete ich sie nur, ließ sie dann los und fuhr mir durch die Haare, wobei ich sie nicht aus den Augen ließ.

„Also? Wieso hast du so viele Zeichnungen von mir? Du malst mich, warum?“

Sie zögerte und wich meinem Blick aus. Als ich sie dann dazu zwang mich an zu sehen, fing sie an zu flüstern.

„Das verstehst du nicht.“

„Nein, da hast du Recht, das verstehe ich wirklich nicht. Also klär mich auf, jetzt.“

„Ich verstehe es doch selbst nicht. Ich zeichne so viel, manchmal rutschst du eben dazwischen.“

„Manchmal?“

Skeptisch sah ich auf die ganzen Zeichnungen und Skizzen hinunter, bevor ich sie wieder ansah.

„Ich sagte doch ich zeichne viel. Manchmal mache ich tagelang nichts anderes. So wie du die Dinge aufschreibst, zeichne ich die Sachen die ich aus dem Kopf haben will.“

„Dann muss ich ja ziemlich oft durch deinen Kopf spuken.“

„Nein. Na ja, doch. Verdammt ich weiß es doch selber nicht.“

Sie wusste es nicht. Das hörte ich nicht zum ersten mal.

„Das Bild von heute Morgen, wann hast du das gemalt?“

„Dan hör auf. Das bringt dir doch nichts.“

„Vielleicht schon. Beantworte die Frage. Wann hast du es gemalt?“

Frustriert seufzte sie und reckte dann das Kinn. Ich kannte diese Geste mittlerweile gut, sie wollte stark aussehen, weil sie sich in Wirklichkeit klein und schwach fühlte.

„Letzte Woche, bist du jetzt zufrieden?“

„Letzte Woche.“

Mehr zu mir selbst sagte ich das, fuhr mir wieder mit der Hand durch die Haare und wandte mich dann ab.

„Letzte Woche.“

„Wieso schockt dich das so? Es ist ein Bild von vielen, es ist nichts besonderes, nur weil es auf einer Leinwand gemalt ist.“

Sie spielte es runter, ich hörte es in ihrer Stimme. Sie wusste genauso wie ich, dass es nicht einfach ein Bild war. Kopfschüttelnd drehte ich mich wieder zu ihr um und fing ihren Blick auf.

„Du lügst ziemlich schlecht. Du zeichnest meine Klamotten bis ins kleinste Detail. Das rote Hemd das ich auf dem Bild trage war damals eins meiner besten. Die Flecken die ein paar Wochen später drauf waren, weil ich meinem Bruder mit seiner Fahrradkette geholfen habe, hab ich nie wieder raus gekriegt und hab das Hemd dann schweren Herzens entsorgen müssen. Das Armband was du gezeichnet hast, hab ich nur drei Wochen getragen und dann verbrannt. Erzähl mir also nicht, dass du es so oft gezeichnet hast, dass du das mittlerweile im Schlaf könntest, das kauf ich dir nicht ab.“

„Du hast ja gar keine Ahnung.“

„Ach nein? Wieso nicht? Weil ich ein Blödmann, ein Arschloch oder ein Bastard bin? Weil ich ein verzogener kleiner Schnösel bin, der an jedem Finger eine andere hat und mit jedem Mädchen schlafe, dass meinen Namen kreischt? Weil ich alles habe, nur keine Ahnung. So ist es doch oder?“

„Das sage ich doch gar nicht.“

„Aber du denkst es, weil alle anderen es erzählen. Du glaubst es zu wissen, weil ich mich mit diesen Mädchen unterhalte, weil ich mich mit ihnen an einen Tisch setze und etwas mit ihnen trinke, aber weißt du was? Ich hab nicht eine von ihnen angefasst und schon gar nicht mit nach hause genommen. Und stell dir vor, ob du es glaubst oder nicht, bevor ich mir diesen oberflächlichen Ruf zugelegt habe hatte ich jahrelang eine Freundin der ich die Treue geschworen habe, bevor ich überhaupt wusste, was das ist.“

Sie schwieg nicht lange, aber der Name der ihr dann raus rutschte schnürte mir die Kehle zu.

„Tessa.“

Ich wollte diesen Namen nicht aus ihrem Mund hören, weil es so widersinnig klang, dass ich meinte davon Kopfschmerzen kriegen zu müssen.

„Ja Tessa. Ich weiß, du glaubst ich wäre dazu nicht fähig, aber ich hab sie geliebt, mehr als vermutlich gut für mich war.“

„Und du liebst sie immer noch.“

Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Dass sie so enttäuscht dabei klang, ließ mich zu ihr aufsehen und zeigte mir ihr gequältes Gesicht. Sie versuchte meinem Blick auszuweichen, aber wir wussten beide, dass ich es bereits gesehen hatte.

„Das würde ich vielleicht, wenn sie noch hier wäre, aber das ist sie nicht. Ich hab mich mittlerweile damit abgefunden dass sie nicht zurück kommt, ich hab versucht weiter zu machen, aber mein Schuldbewusstsein erweckt sie in jedem Traum wieder zum Leben, dann ist sie so real und dann lähmt es mich jedes mal aufs neue. Irgendwann habe ich einfach aufgehört zu leben. Ich bin stehen geblieben, hab Musik gemacht und gehofft, das der Rest meines Lebens nicht allzu lange andauert. Und dann kamst du. Du kamst in Rob's Club und hast mir so selbstverständlich meinen Platz streitig gemacht. Ich hab gleich gewusst, dass du mir tierisch auf den Sack gehen würdest, aber ich war auch sofort fasziniert. Du warst in meinen Ohren der erste Bass seit langem, dem ich wieder zuhören konnte, dem ich wieder zuhören wollte. Und verdammt sei es drum, mir ist scheißegal was du singst, Hauptsache du singst. Ich wollte deine Musik nicht mögen, aber es fiel mir schwer das nicht zu tun und verlass dich drauf, das wirst du nie wieder von mir hören, aber eigentlich bin ich froh darüber dass ich mit dir spielen kann, weil es mir zeigt, dass ich nicht alleine da stehe. Das hier ist momentan alles was ich habe. Ich weiß, du denkst ich könnte jederzeit zurück und würde mit offenen Armen empfangen, aber so ist es nicht. Meine Familie schert sich einen Dreck um mich und ich will gar nicht dahin zurück, eher würde ich unter der Brücke schlafen.“

Die letzten Worte hatte ich ihr beinahe entgegen gespuckt, weil ich mich so in Rage geredet hatte, aber hätte ich sie für mich behalten, hätte ich in der Nacht wieder kein Auge zu getan. Wobei ich mich fragte, ob ich das wirklich tun würde, da ich merkte, wie sich ihr mitleidiger Blick in mein Hirn brannte.

„Sieh mich nicht so an, ich will dein Mitleid nicht.“

„Du kriegst mein Mitleid auch nicht, das wäre mir viel zu Schade.“

Sie versuchte zu lachen, aber ich konnte ihre Augen glitzern sehen. Weinte sie etwa?

„Hör auf damit, ich will das nicht sehen.“

„Meinst du, ich mache das extra? Das ist alles deine Schuld.“

Sie keifte, aber trotzdem wischte sie sich hastig über die Augen.

„Weiß ich und deswegen will ich es auch nicht sehen. Ich will dir nicht weh tun, aber ich habe das Gefühl, dass ich mit jedem Schritt etwas anderes falsch mache. Du musst mir schon sagen was Sache ist, damit ich das verhindern kann.“

Seufzend schloss sie die Augen und ließ den Kopf an die Wand sinken.

„Diese Antwort hast du letzte Nacht schon bekommen, jetzt bin ich dran, oder nicht? Wo stehe ich bei dir?“

„Was? Nein, nein, nein, nein, nein. Du hast gesagt, dass du diese Gefühle zulassen willst, du aber Angst davor hast. Das war ein in die Luft gesetztes Statement mit dem ich nichts anfangen kann.“

„Ich bitte dich Dan, muss es noch offensichtlicher werden? Du stehst mittendrin, willst du immer noch behaupten, es ginge hier nicht um dich?“

Es dauerte einen Moment, bis das gesagte vollends zu mir durchdrang. Verwirrt fuhr ich mir durch die Haare. Sie hatte recht, ich war ein Vollidiot. Als sie sah, dass es mir aufging, lächelte sie bitter.

„Applaus bitte, er hat es begriffen.“

„Nein, ich verstehe es immer noch nicht.“

„Schön, dann sind wir schon zwei.“

Immer noch mit geschlossenen Augen lehnte sie an der Wand und schien halt zu suchen. Sie strahlte grade pure Unsicherheit aus und ich konnte dieses Gefühl vollends nachvollziehen. Mir entkam ein freudloses Lachen und da sah sie mich an.

„Drei Jahre und du hast nicht ein Wort des Friedens mit mir gesprochen. Du bist mich immer angegangen und ich hab mich jedes mal gefragt was ich dir getan habe.“

„Was hätte ich denn sagen sollen? Hey Arschloch, stimmen die Sachen die man so über dich erzählt, ansonsten könnte ich was für dich übrig haben? Es ist einfacher dich für die Dinge zu hassen, die du so überschwänglich zur Schau stellst als sich so eine Blöße zu geben.“

„Es ist also eine Blöße andere Leute zu mögen und sich mit ihnen anzufreunden?“

„Dazu habe ich dir letzte Nacht etwas gesagt. Schön dass du es wieder vergessen hast.“

Jetzt standen ihr schon wieder Tränen in den Augen. Diese Meinung die sie von mir hatte, ich hätte sie am liebsten gewürgt. Damit sie nicht davon laufen konnte, so wie sie es grade vorhatte, drückte ich sie wieder mit dem Rücken an die Wand und stützte mich mit den Händen links und rechts neben ihrer Taille an der Wand ab.

„Ich habe noch nie jemanden hängen lassen, vor allem nicht die, die einen Wert für mich haben.“

„Irgendwann wirst du mich Leid sein. Irgendwann wirst du mich nicht mehr brauchen.“

„Das werden wir ja sehen.“

„Musst du eigentlich jedes mal das letzte Wort haben?“

Ich erinnerte mich vage daran was beim letzten mal passiert war, als sie das gefragt hatte.

„Willst du es jetzt wirklich darauf ankommen lassen?“

Demonstrativ rückte ich ein Stück näher und grinste, als sie rot anlief und die Augen schloss.

„Du bist so ein Vollidiot.“

Wie schon letzte Nacht legte ich meine Stirn an ihre.

„Ich könnte dein Vollidiot sein, wenn du mich lassen würdest.“

Sie schwieg und wieder konnte ich ihr Herz schlagen hören. Genau wie letzte Nacht überschlug es sich fast. Ich kam nicht umhin darüber zu lächeln und brachte meine Lippen so nah an ihre, dass sie sich beinahe berührten bevor ich flüsterte.

„So weit waren wir letzte Nacht auch schon.“

Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ja, soweit waren wir letzte Nacht auch schon gewesen.

„Du hättest mich letzte Nacht gelassen, wenn ich es wirklich versucht hätte oder?“

Sie antwortete nicht, dafür vibrierte sie am ganzen Körper. Ich wusste, dass sie Angst hatte, trotzdem nahm ich ihr zitterndes Ausatmen als ja.

„Wir sind beide ziemlich verkorkst, da sind wir uns einig oder?“

Ich hätte es beinahe nicht mitbekommen, aber sie nickte ganz leicht.

„Sehr gut.“

Vorsichtig schob ich meine Finger der einen Hand in ihre und verschränkte sie, bevor ich die andere Hand in ihren Nacken legte und sie küsste. Ich spürte wie sie dahinschmolz und sich daraufhin in meinem Hemd verkrallte. Aber das wichtigste daran war, dass sie mich nicht zurückwies. Im Gegenteil, sie schien sich eher an mir festzuklammern, als hätte sie Angst, ich würde ihr davon laufen. Jetzt würde ich das ganz sicher nicht mehr tun. Dafür fühlte es sich viel zu gut an, außerdem schien die Last verschwunden zu sein, die mich in den letzten Tagen so runter gezogen hatte. Als ich mich dazu zwang, von ihr ab zu lassen und die Stirn wieder an ihre zu legen kam ich nicht umhin zu grinsen.

„Ich hoffe dir ist bewusst, was du dir damit aufgehalst hast.“

„Einen Blödmann, der die meiste Zeit mit sich selbst überfordert zu sein scheint.“

Sie zögerte nicht und zuckte nicht mal mit der Wimper als sie das sagte. Dass sie sich dabei aber an mich schmiegte und mit ihrer Wange über meine strich, machten diese Worte unglaubwürdig. Ich musste unbedingt heraus finden wieso sie das ständig tat und dafür sorgen, dass sie nicht mehr damit aufhörte.

Die Hand aus ihrem Nacken um ihre Taille legend zog ich sie vorsichtig von der Wand weg und merkte, wie sie sich verspannte.

„Komm mit. Ich schwöre dir, ich tue dir nicht weh.“

„Wo willst du hin?“

„Nur zur Couch. Ich weiß nicht, ob ich dich schon wieder loslassen kann und ich will nicht die ganze Zeit hier stehen bleiben.“

„Okay.“

„Was hast du denn gedacht? Ich dachte ich hätte klar gestellt, dass ich nicht der Typ dafür bin.“

„Ja, ich glaube das ist mir grade, wie jeder andere klare Gedanke, abhanden gekommen.“

Darüber konnte ich nur schmunzeln. Sie nicht loslassend wanderte ich die paar Schritte rückwärts durch den Flur ins Wohnzimmer, wo ich mich auf die Couch fallen ließ und sie zu mir runter zog, bis sie ähnlich wie letzte Nacht zwischen meinen Beinen saß, sich an mich schmiegte und den Kopf an meiner Schulter ruhen ließ. Vor zehn Tagen hätte ich nicht im Traum hieran gedacht und jetzt schien das völlig normal zu sein, obwohl es das eigentlich nicht sollte. Verdammt, hoffentlich gewöhnte ich mich nicht zu schnell daran.

19

Als seine Lippen auf meine trafen, klickte es erst in meinem Kopf und dann sprühten Funken und es stellte seine Funktionen ein, bis auf die, die nötig waren, um weiterhin zu atmen und so weiter. Dans Mund war weich und er schmeckte gut. Ein paar Mal hatte ich schon einen Kuss abbekommen, aber keiner war so wie dieser hier. Dieser eine hier schien besser zu sein, als alles, was ich jemals erfahren hatte.

Mein Kopf fühlte sich extrem leicht an und an den Stellen, an denen sich unsere Körper berührten, war es sengend heiß. Viel zu schnell ließ er dann wieder von mir ab und legte seine Stirn an meine. Diese Geste fühlte sich immer so vertraut und intim an, dass ich mich einfach ergab. Ich wollte ihn nie wieder loslassen und nun, da es so weit gekommen war, würde es schon den Teufel und ein Brecheisen brauchen, um mich von ihm los zu reißen.

Der Idiot besaß die Unverschämtheit zu grinsen, aber meine Worte waren nicht annähernd so bissig, wie sie hätten sein sollen. Die Stoppeln an seinen Wangen waren einfach zu verlockend und schrien geradezu danach, von mir berührt zu werden. Hmmm, so wunderbar kratzig.

Ich war immer noch beeindruckt davon, wie einfach er seine Gefühle zu geben konnte, während ich in meinem stillen Kämmerchen jahrelang Zeichnungen von ihm angefertigt hatte, um keine Dummheit zu begehen. Für den Teil mit der Dummheit war es nun zu spät, da ich mit ihm auf der Couch saß und fest in seinen Armen lag, doch ich schwor mir, dass ich mit Pauken und Trompeten untergehen würde, aber auch nicht ohne Kampf.

Zwischen Dans Beinen zu sitzen, war ein bisschen seltsam, aber ich beschloss, nicht zu genau darüber nachzudenken. Ich hörte seinen Herzschlag und spürte ihn an meiner Wange. Es war als wäre ich von einem Kokon aus Dan umgeben und es war wundervoll. Wundervoll nicht daran denken zu müssen, ihn aus meinen Gedanken zu verbannen, meine Hoffnungen aufzugeben und den Schein zu wahren. Vielleicht konnte ich wirklich daran glauben, dass es in Ordnung war, in seiner Gegenwart ich zu sein.

Wir würden uns sicher wieder streiten und viele Auseinandersetzungen haben, aber das ließ sich nicht vermeiden. Mir grauste es bei dem Wissen, dass ich mich nun nicht mehr einfach vor ihm verbergen und zurückziehen konnte. Wenn ich ihn behalten wollte, musste ich mich ändern. Allein der Gedanke versetzte mich in Angst und Schrecken, aber ich wollte das hier. Vielleicht war es einfach Zeit für mich, endlich ein wenig mutiger zu sein.

„Du findest es nicht seltsam?“, fragte ich ihn in die Stille hinein.

„An dir ist vieles seltsam und das meiste verstehe ich nicht wirklich, aber was genau meinst du?“ Ich spürte, wie er ein Lachen unterdrückte und verpasste ihm einen nicht ernst gemeinten Klapps.

„Meine Zeichnungen. Die Bilder. Ich hatte gedacht, dass es dich aufregen würde oder dass du mich für eine verrückte Stalkerin hältst.“ Er zuckte mit den Schultern.

„Ehrlich gesagt, wundert mich das nicht wirklich. Ich weiß, dass du genauso kaputt bist, wie ich und ich weiß, dass du ziemlich seltsam bist, also ist das doch für dich normal. Außerdem beurteile ich Menschen nicht aufgrund einer einzigen Tat. Du hattest deine Gründe und welches größere Kompliment könnte es geben, als gestalkt zu werden?“ Als ich verwundert zu ihm aufsah, grinste er wieder von einem Ohr zum anderen. Er war wirklich ein ziemlicher Trottel.

Mit hochgezogenen Augenbrauen drehte ich mich in seinen Armen, rieb meine Wange über seine so wunderbar kratzige und fuhr mit der Hand von seiner linken Schulter seinen Arm hinab. Auf dem Weg weiter hinunter zog ich seinen Arm von meiner Taille und fuhr über seinen Unterarm. Eine Weile blieb meine Hand den feinen Narben an seinem Handgelenk hängen, die meine Finger sanft streichelten. Er versteifte sich zunächst, entspannte sich aber fast augenblicklich wieder, bevor ich meine Hand weiter wandern ließ und schließlich meine Finger mit den seinen verschränkte, wie zuvor.

Seine Hand war warm und groß und rau. Ich spürte die Schwielen an seinen Fingern, die vom jahrelangen Gitarrespielen kamen. Kein Wunder, dass es sich immer wundervoll anfühlte, wenn er meine Haut mit seinen Händen berührte.

„Warum machst du das immer?“, fragte er dann.

„Was?“

„Warum reibst du immer deine Wange an meiner?“

„Weil du stoppelig bist.“ Das brachte mir ein Stirnrunzeln ein, das mich grinsen ließ.

„Und das magst du?“

„Ja?“

„Wieso?“

„Wieso?“

„Ja, wieso?“

„Hm.“ Ich dachte ein wenig nach. „Ich weiß nicht-“ Dan seufzte vernehmlich und ich verpasste ihm noch einen Klapps. „Lass mich doch ausreden! Stoppeln sind rau und kratzig.“

„Ja und? Ich hab mir sagen lassen, dass Frauen so was gar nicht mögen.“

„Ich schon. Ich find das toll, ich mag das Gefühl.“

„Aha.“

„Was soll das heißen, 'Aha'?“ Mir gefiel sein Ton ganz und gar nicht und ich starrte zu ihm auf.

„Hey, hey, jetzt nicht kratzbürstig werden. 'Aha' ist ein anerkannter Laut, der signalisiert, dass man etwas zur Kenntnis genommen hat. Da stand wirklich nichts dahinter!“ Ich blies die Backen auf, beließ es aber dabei und rieb noch einmal über seine Wange.

Als ich mich wieder entspannt an ihn kuschelte, meinte ich zu hören, wie er 'Sie steht auf Stoppeln' murmelte. Anstatt mich darüber aufzuregen, genoss ich den Moment und beschloss, so gnädig zu sein und den Kommentar zu ignorieren.

Wie alles Schöne, musste aber auch dieser unglaubliche Moment zu Ende gehen, indem der Fahrstuhl ertönte. Dan und ich versteiften uns und nur wenige Augenblicke später, hörte ich Frank wissend kichern. Langsam und mit verengten Augen drehte ich mich zu ihm um. Der Bastard hatte doch tatsächlich den Nerv, zu grinsen!

„Hi, Frank“, sagte ich süßlich, wobei ich spürte, wie sich Dans Muskeln noch mehr anspannten und sich sein Griff um mich festigte. Ich entwand mich ihm jedoch und hörte ihn seufzen, als ich langsam auf unseren dummdreisten Manager zu ging. Frank jedoch war sich seiner sicher und schien die Gefahr nicht einmal zu spüren.

„Ich wusste doch, dass ihr euch zusammenrauft! Wie-“ Bevor er weitersprechen konnte, hatte ich mich schon auf ihn gestürzt, zu Boden geworfen und am Hemdkragen gepackt. So saß ich auf ihm und schüttelte ihn, so fest ich konnte.

„Du elendes Wiesel! Du hattest kein Recht dazu, mein Bild in Dans Zimmer zu verstecken! Du wusstest genau, dass ich da niemals nachsehen würde!“ Ich wollte Franks Kopf gerade gen Fußboden wandern lassen, als ich Dans Hände an meiner Taille spürte, die mich gewaltsam von unserem Manager herunterzogen. Er hielt mich hoch, als wäre ich ein Fliegengewicht, während ich wild strampelte und versuchte, seine Arme von mir zu lösen.

„Lass mich runter, Dan! Ein paar Schläge auf den Hinterkopf haben noch niemandem geschadet!“ Dieser drückte mich jedoch noch fester an sich und murmelte mir ins Ohr.

„Ganz ruhig. Ich würde ihm auch am liebsten den Hals umdrehen, glaub mir, aber wir brauchen ihn noch.“ Ich knurrte und strampelte noch eine Weile weiter, nachdem ich zusehen musste, wie unser Manager sich aufrichtete, den Kragen zurecht zog und dann wieder breit grinste. Ooooohh, wie ich ihn hasste!

Nur langsam kam ich wieder runter und hörte dann auf, mich zu wehren. Dan wartete noch ein wenig ab, bevor er mich wieder auf meine Füße setzte, doch er ließ mich nicht los. Seine Arme blieben fest um mich geschlungen, doch sie waren locker und entspannt. Er wollte mich einfach nur nicht loslassen.

Wenn Blicke töten könnten, wäre Frank schon mehrmals tot umgefallen. Dennoch schien das Wiesel keinerlei Selbsterhaltungstrieb zu haben.

„Ich wusste, dass ihr beide gut zusammen ausseht! Eine Band macht sich immer gut, wenn man eine Lovestory zu erzählen hat und wenn es gut läuft, wird es in unserer sogar zwei geben!“ Wie ein kleines Kind klatschte er in die Hände. Ich spürte, wie Dan sich wieder anspannte und rieb ihm beruhigend über die Arme. Ich drehte mich dann zu ihm um, schlang meine Arme um seine Taille und murmelte ihm zu: „Kümmerst du dich bitte um ihn? Ich stürze mich nur gleich wieder auf ihn und dann werde ich es schaffen, seinen Kopf auf den Fußboden zu knallen.“

„Keine Sorge, den sind wir gleich wieder los“, versicherte er mir, strich mit seiner Wange über meine und ließ mich los.

„Ich hab Hunger. Ich schau mal, was wir noch so haben.“ Damit überließ ich Frank Dan, damit ersterer noch ein bisschen länger Leben durfte und wühlte dann im Kühlschrank. Da war noch der riesige Topf Suppe übrig, aber ich wollte noch etwas Frisches dazu machen.

Also kramte ich alle Zutaten für ein fluffiges Brot aus den Schränken und begann, den Teig anzurühren und mit etwas mehr Gewalt zu kneten als nötig, wobei ich es immer extra laut knallen ließ, wenn ich Frank auch nur sprechen hörte.

Ich holte die Flasche Bier, die ich unter der Spüle versteckte, hervor und gab sie in den Teig, damit er schneller aufging. Zum Glück verdampfte der Alkohol beim Backen und Kochen und Dan würde niemals mitbekommen, dass ich ab und an mal unser Essen mit alkoholischen Getränken zubereitete. Ich wollte mir nicht vorstellen, was er davon halten würde, wenn er wüsste, dass ich ihn theoretisch über sein Essen abfüllen konnte.

Dan und Frank diskutierten eine ganze Weile und ich sah sie zwischsenzeitlich im Probenraum verschwinden. Währenddessen schob ich dann das Brot in den Ofen und ließ es vor sich hinbacken. Als ich eine Weile später die Suppe zum Aufwärmen auf den Herd stellte, um sie aufzuwärmen, schlangen sich zwei starke Arme von hinten um mich.

Ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter und schloss kurz die Augen. „Ist er endlich weg?“

„Jepp.“ Dans Lippen fuhren über meine Schläfe und verharrten dort kurz, bevor er meinen Kopf zu sich drehte und mich küsste. Ich fühlte mich ein wenig seltsam, da das alles doch recht schnell ging, aber ich beschloss, es einfach zuzulassen. Was geschah, würde geschehen und ich wollte meine Zeit mit ihm genießen.

„Immerhin gibt es heute Reste. So oft wie du kochst, dachte ich schon, dass du mich mästen wolltest.“

„Klar, mein fieser, teuflischer Plan beinhaltete, dass ich dich so rund mache, dass du an Herzverfettung stirbst und ich dich dann los bin.“

„Wusste ich es doch!“ Leise lachte er und drückte mich enger an sich. Es fühlte sich an, als wollte er mit mir verschmelzen. Ich grinste. Dann meldete sich der Timer am Ofen und ich musste mich von ihm trennen, um das Brot aus dem Ofen zu ziehen.

„Ich kann nicht dafür garantieren, dass das Teil nicht waffenfähig ist. Im Backen bin ich nicht so gut.“ Noch während ich das sagte, zog ich ein großes Brotmesser aus der Schublade und schnitt es an. Die Kruste war ein wenig dick geworden, aber es war gut durchgebacken und fluffig innen.

„Okay, ich gebe zu, das riecht gut“, sagte Dan, als er die Suppe umrührte und dann zwei Schalen damit befüllte. Ich schnitt uns ein paar Scheiben Brot ab und erinnerte mich daran, die Näpfe unserer zwei kleinen Mitbewohner zu befüllen.

„Wo sind eigentlich unsere Haustiere?“, fragte ich stirnrunzelnd an Dan gewandt, nachdem ich mich daran erinnert hatte, dass ich die zwei schon eine Weile nicht mehr gesehen hatte.

Alarmiert sahen wir uns an und durchkämmten dann das Appartement nach ihnen, wobei wir nicht lange suchen musste. Die zwei hatten es sich auf meinen Zeichnungen bequem gemacht und fläzten sich auf dem Papier.

„Glen“, sagte ich drohend und zeigte auf die Küche, woraufhin sie prompt dorthin und zu ihrem Napf lief. Dan sammelte Ben ein und setzte ihn an seinem Napf ab. So kam es, dass wir im Stehen in der Küche aßen, bis der Kleine fertig war. Dann packte ich das Geschirr in den Spüler, während Dan den Welpen mit ins Bad nahm, um ihn sein Geschäft verrichten zu lassen.

Am Ende saß ich wieder auf der Couch und zappte durch die Kanäle, als er mit dem kleinen Hund auf dem Arm wieder kam und sich zu mir setzte. Sofort schmiegte ich mich an ihn und bemerkte es erst, als mein Kopf auf seiner Schulter lag und Ben an meinen Fingern knabberte.

Es lief wieder ein Fernsehfilm, der ansehnlich war. Wir waren beide in die Handlung vertieft, aber ich konzentrierte mich auch auf Dan. Immer wieder strich ich über die feinen Narben an seinem Handgelenk. Es schien ihm etwas unangenehm zu sein, aber er sagte nichts. Schließlich drückte ich ihm die Lippen an den Hals, genau auf seinen Puls. „Ich bin froh, dass du es nicht geschafft hast.“

Erst schwieg er, aber dann antwortete er: „Das bin ich jetzt auch. Ich hoffe nur, dass das auch so bleibt.“

Ich hatte nicht vorgehabt, die Stimmung so düster werden zu lassen, aber ich wollte es auch nicht ignorieren. Es gab immer noch viele Dinge, die wir nicht voneinander wussten. Aber ich ging davon aus, dass wir Zeit hatten, uns wirklich kennen zu lernen. Ich wollte sehen, wer Dan wirklich war und er hatte mir schon vieles gezeigt, das mich überrascht hatte. Aber ich wollte mehr wissen.

„Du kannst mich haben, solange du mich brauchst und willst.“ Als seine Brust bebte sah ich zu ihm auf. Er grinste breit und unterdrückte ein Lachen, das mir sofort die Hitze in den Kopf schießen ließ.

„Wirklich? Das ist aber ein gewagtes Angebot. Ich weiß, wir kennen uns schon recht lange, aber...“

„Ach, halt die Klappe, du Schwachkopf!“ Das brachte ihn vollends zum Lachen. Ich stimmte mit ein und bekam sogar Seitenstechen davon.

Das ernste Thema versank irgendwie im Fluss des Abends, aber das war okay. Der Film ging zu Ende und ich war totmüde. Der Tag war aufwühlend gewesen und wir beschlossen, zeitig schlafen zu gehen.

Auf halbem Weg zu unseren Zimmern, teilten wir noch einmal einen Kuss, den jeder von uns versuchte, in die Länge zu ziehen, bis wir uns zögerlich trennten und zurückzogen. Ich fragte mich, ob Dan diese Nacht gut schlafen würde. Ich hoffte es. Er sah immer noch die ganze Zeit, wie ein Panda aus.

Ich war zufrieden wie nie zuvor und schlief recht schnell mit einem süßen, flatternden Gefühl im Bauch ein. Nur um mitten in der Nacht aufzuwachen und einen roten Schleier vor den Augen zu sehen. Blinzelnd starrte ich an die Decke, bis der Nachklang der Erinnerung weg war.

Ich konnte mich nicht an meinen Traum erinnern, nur, dass ich furchtbares Grauen verspürt hatte. Nun lag ich schwer atmend im Bett und hörte mein Herz in den Ohren hämmern.

Die Dunkelheit wirkte nun bedrohlich und das Zimmer viel zu groß. Noch vom Schlaf verwirrt, der so abrupt geendet hatte, kroch ich aus dem Bett, zog mir das Shirt über, das am Fußende des Bettes lag und tappste im Dunkeln aus meinem Zimmer.

Dabei wäre ich einmal fast über Glen gefallen, stieß mir den Zeh am Türrahmen und wäre vor meinem Atelier beinahe auf den Zeichnungen ausgerutscht, die dort immer noch verstreut lagen. Vor Dans Zimmer zögerte ich erst und war hin und her gerissen.

Es war gewagt, immerhin hatten wir erst am vergangenen Abend... irgendwas getan. Ich konnte noch nicht einmal richtig benennen, was das zwischen uns jetzt war. Fast wäre ich umgekehrt, doch die Angst vor der Einsamkeit meines Zimmers schreckte mich ab. Also drückte ich die Klinke langsam herunter und erwartete fast, dass die Tür abgeschlossen war. Doch sie war offen und ging ganz einfach auf.

Nachdem ich durchgeschritten war, machte ich sie hinter mir wieder zu und schlich durch das kleine Vorzimmer in Dans Schlafzimmer. Aus dem kleinen Hundekörbchen reckte sich ein winziges Köpfchen, das leise fiepte. Ich bückte mich neben dem Bett und strich Ben über den Kopf. Das brachte ihn dazu, sich wieder hinzulegen.

Dann wandte ich meine Aufmerksamkeit dem Bett zu. Dort lag Dan halb von den Laken bedeckt. Ich konnte einen guten Blick auf seine nackte Brust werfen, da das Licht von draußen genau darauf fiel. Er bewegte sich unruhig im Schlaf und wälzte sich leicht hin und her, aber es schien nicht allzu schlimm zu sein. Vorsichtig hob ich die Laken an und war dankbar dafür, dass er kein Nacktschläfer war. Dann kroch ich zu ihm ins Bett und rückte Stück für Stück an ihn heran, bis ich mich an ihn kuscheln konnte.

Beinahe automatisch legte sein Arm sich um mich und drückte mich an ihn. Ich atmete Dans klaren Duft ein, lauschte seinem Herzschlag und schlief schließlich wieder ein, als auch er zur Ruhe kam.

 

 

 

 

 

 Es war nicht Ben der mich weckte, denn er fiepte überhaupt nicht. Es war die Tatsache, dass meine Decke verschwunden war und ich nicht alleine in meinem Bett lag, die mich schlagartig wach werden ließ. Sicher, am vergangenen Abend hatte ich gewollt, dass sie mit in mein Zimmer kam, trotzdem war ich nicht darauf vorbereitet gewesen, das Bett mit ihr zu teilen und noch weniger war ich darauf vorbereitet gewesen, neben ihr aufzuwachen. Wobei ich nicht mitbekommen hatte, wann oder dass sie überhaupt herein gekommen war. Unweigerlich stellte ich mir die Frage, wieso sie überhaupt hier war. Die Anziehungskraft die zwischen uns herrschte war jetzt nicht mehr zu bestreiten, trotzdem waren wir immer ohne einander ausgekommen, ich konnte mir also nicht erklären, wieso wir uns so urplötzlich gegenseitig anzogen wie zwei Magneten oder wieso ich es nicht schaffte, die Finger von ihr zu lassen. Auch jetzt konnte ich mich nicht davon abhalten, es war wie ein Drang, der mich dazu zwang sie zu berühren und ihr die Strähnen aus dem Gesicht zu streichen. Ich strich die Haare zurück und legte so ihren schlanken Hals frei, an dem ich mit den Fingerspitzen entlang fuhr. Die weiche Haut fühlte sich warm an unter meinen Fingern. Ich wollte sie gar nicht loslassen, aber träge regte Lenneth sich, was mich zurück weichen ließ. Ich wusste nicht wie sie auf die gesamte Situation reagieren würde und ich wollte ihr nicht zum Opfer fallen. Ich hatte gesehen, was sie mit Frank anstellen wollte und ich war dazu geneigt, nicht das gleiche zu erleiden.

Verschlafen öffnete sie die Augen, wobei sie einen Moment zu brauchen schien, bevor sich ihr Blick fokussieren konnte. Erst nachdem ihr Blick einen klaren Ausdruck angenommen hatte, sah sie mich an und runzelte die Stirn.

„Was machst du denn hier?“

Ich stützte mich auf einen Ellenbogen, sah mich demonstrativ um und schmunzelte sie dann an.

„Sieh dich um und sag mir, dass das hier dein Zimmer ist, dann gehe ich.“

Verwirrt drehte sie den Kopf und spähte ins Zimmer, bevor sie den Kopf wieder ins Kissen sinken ließ und die Augen wieder schloss.

„Wie komme ich hier hin?“

„Keine Ahnung, sag mir Bescheid, wenn du dich dran erinnerst.“

Seufzend schlang sie die Arme um das Kissen und streckte sich lang aus. Ich hingegen blieb wo ich war und stützte nur den Kopf auf meiner Hand ab um sie beobachten zu können. Es dauerte nur einen Augenblick, da öffnete sie die Augen und sah mich wieder an.

„Du warst unruhig. Du hast zwar nicht geschrien, aber dafür flüsterst du ihren Namen.“

„Was hast du erwartet? Ich kämpfe seit vier Jahren mit diesen Albträumen. Du kannst nicht ernsthaft glauben du kommst hier her, schläfst eine Nacht in meinem Bett und die Träume verpuffen. Wäre es wirklich so einfach, wäre ich vermutlich meinem Ruf gerecht geworden und hätte jede Nacht eine andere gehabt, nur um nicht träumen zu müssen, aber so einfach ist das nicht.“

Ich versuchte meinen Ton ruhig zu halten, konnte es aber nicht verhindern, das meine Stimme belegt klang. Trotzdem schlang ich einen Arm um ihre Taille als sie sich von mir abwandte, damit sie nicht der Meinung war, sie müsste gehen, weil ich sie nicht zu schätzen schien. Im Gegenteil, sie tat mir gut. Ich konnte mich an ihr festhalten und mir einreden ich wäre nicht alleine, was mich davor bewahrte, mich aufzugeben. Grade jetzt schien ich das gut gebrauchen zu können.

Es brauchte eine ganze Weile, bis sie sich schließlich wieder zu mir umdrehte, sonst aber nichts weiter tat.

„Erzähl mir von ihr.“

Verwundert runzelte ich die Stirn und wusste erst nicht was sie von mir wollte. Als mir dann aufging, dass sie Tessa meinte, stieß ich ein trockenes Lachen aus.

„Das willst du nicht wirklich.“

„Doch, sonst würde ich dich wohl nicht danach fragen oder?“

Skeptisch beobachtete ich sie und erwartete fast, dass sie anfing zu lachen, aber es war ihr voller Ernst.

„Jede andere würde das nicht hören wollen, vor allem nicht im Schlafzimmer.“

„Ich will es aber hören. Ich will wissen, wieso sie einen so bleibenden Eindruck bei dir hinterlassen hat.“

So konnte man das auch charmant umschreiben. Sie wollte es also wirklich wissen ja? Wie sollte ich denn erklären, was ich in meinem Leichtsinn angerichtet hatte. Sie würde doch nie wieder mit mir reden, geschweige denn mit mir arbeiten.

„Komm schon Dan, seit wann sind Worte ein Problem für dich?“

„Es sind nicht die Worte, sondern die Bedeutung die dahinter steckt und die Bilder, die man danach nicht mehr los wird.“

„Ich will doch nur wissen was für ein Mensch sie war. Du tust so als wäre sie ein Monster.“

„Das sage ich doch gar nicht.“

„So hört es sich aber an. Wieso solltest du sonst nicht über sie reden wollen.“

„Du verstehst das nicht, oder?“

„Erklär es mir. Wieso willst du nicht über sie reden? Wieso willst du sie nicht in Erinnerung halten, so wie sie war? Was hindert dich daran, dich an die guten Dinge zu erinnern?“

Ja, was hinderte mich daran? Vermutlich das Wissen, wieso die guten Dinge nicht hatten anhalten können.

„Du weißt nicht, was du mir damit antust.“ „Was, weil ich dich nach deiner Exfreundin frage? Ich kann mir irgendwie nicht vorstellen, dass sie so ein schlechter Mensch gewesen ist, wenn du sie nicht vergessen kannst.“

Sie versuchte mich zu provozieren und es gelang ihr ganz wunderbar. Ich wollte es gar nicht, aber innerhalb eines Augenaufschlags war ich über ihr und stützte mich links und rechts von ihrem Kopf ab, wobei sie noch herausfordernd zu mir aufsah.

„Lenne bitte. Lass es sein.“

„Jemand wie du hat doch irgendwo noch ein Foto und ich glaube kaum, dass du es zuhause gelassen hast.“

Bevor ich darüber nachgedacht hatte flog mein Blick zu dem gerahmten Foto von Jaden, Chase und mir auf dem Nachttisch und ich verfluchte mich dafür, denn das war ihr nicht entgangen, nein sie hatte sogar darauf hin gespielt. Ihr Blick folgte meinem, wobei sie das Foto eine ganze Weile anstarrte, bevor sie den Rahmen vom Nachttisch nahm und die Stirn runzelte.

„Sag mir bitte nicht, dass Tessa jetzt Chase heißt.“

Seufzend nahm ich ihr den Rahmen aus der Hand und löste die Rückwand, bevor ich das Foto hinter dem von meinem Bruder und mir heraus nahm. Ohne einen Blick darauf zu werfen hielt ich es ihr hin, setzte mich auf und stützte den Kopf in die Hände. Einen Moment betrachtete sie das Foto, setzte sich dann ebenfalls auf und lehnte sich an meine Seite.

„Es ist ein schönes Foto.“

„Und das letzte was ich habe. Als sie angefangen haben nach und nach alles verschwinden zu lassen was mit ihr zu tun hat, hab ich das verschwinden lassen, zusammen mit einer Kette die ihr gehört hat. Sie sagten es wäre nicht gut für mich, wenn ich ständig etwas im Blickfeld hätte, dass mich an sie erinnern könnte. Es wäre ungesund für meinen Kopf. Mein Vater hat rigoros alles entsorgt, deswegen hab ich einfach ein anderes Foto davor in den Rahmen gesteckt, er hat das als ersten Schritt der Einsicht gesehen. Ich sah es eher als Bestätigung dafür, wie leichtgläubig er ist. Er denkt er hätte Macht über mich und mein Tun, aber ich lass mir nichts wegnehmen, vor allem nicht von ihm und vor allem nicht Sie. Sie hatte weitaus besseres verdient, als einfach so entsorgt zu werden.“

Zwischen meinen Armen tauchte das Foto auf und zögernd nahm ich es in die Hand. Es zeigte Tessa und mich an ihrem neunzehnten Geburtstag. Sie lächelte auf ihre fröhlich unbeschwerte Art, obwohl ihr Vater erst vier Monate vorher verstorben war und ich stand hinter ihr, hatte Arme um sie geschlungen und drückte ihr die Lippen auf den Hals. Eine ihrer Freundinnen hatte den Moment so perfekt eingefangen, sofort wurde das Bild lebendig. Ich hatte ihren rotblonden Zopf noch nicht ganz nach vorne über ihre Schulter geworfen, die Arme um sie gelegt und ihr einen Kuss auf den Hals gehaucht, da drehte sie sich zu mir um und küsste mich. Sie schlang mir die Arme um den Hals und schmiegte sich an mich. Ich hatte sie hoch gehoben und mich einfach mit ihr in unseren Pool fallen lassen.

„Du frisst alles in dich hinein und behältst sie für dich, das ist auch nicht unbedingt besser. Du lässt sie damit in Vergessenheit geraten oder zumindest beschwörst du ein Bild von ihr herauf, das alle anderen denken lässt, sie täte dir nicht gut, dabei zeigt das Foto etwas anderes.“

Mir dessen schmerzlich bewusst schob ich das Bild zurück in den Rahmen. Was sollte ich denn machen, mir blieb nichts anderes übrig.

„Es tut weh etwas zu preisen, von dem man weiß, dass man es selbst zerstört hat.“

„Das Leben ist kein Ponyhof, manchmal tun die Dinge eben weh und man kann nichts daran ändern. Du wirst immer etwas fühlen, wenn du an sie denkst, aber was das für ein Gefühl ist, bestimmst du alleine. Willst du dich wirklich in fünfzig Jahren noch in deinem Leid suhlen und betrauern, dass sie weg ist?“

Eigentlich wollte ich das nicht, aber ich wusste nicht, wie ich sie loslassen sollte.

„Ich bin nicht dafür gemacht, meine Schuld einfach zu vergessen.“

„Du sollst es auch nicht vergessen, du sollst nur einfach damit abschließen. Richte den Blick endlich nach vorne und quäle dich nicht mit Dingen, die du nicht mehr ändern kannst.“

„Du hörst dich an wie dein Seelendoktor.“

„Dann hast du es wohl bitter nötig, wenn ich schon anfange so zu reden.“

„Ich geh nicht mit dir da hin, ich will nicht mit diesem Typen reden, vergiss es.“

„Ich will ja auch gar nicht, dass du mit ihm redest, ich will dass du mit mir redest. Was bringt es mir denn wenn du dich bei Doc Maverick aus heulst? Ich bin nur diejenige die dich danach wieder zur Besinnung rufen muss.“

Wollte sie damit grade sagen, dass sie etwas von mir wissen wollte? Ganz neue Sitten und auch wenn sie es etwas unwirsch ausdrückte, wusste ich es doch zu schätzen. Es hatte schon lange niemand mehr versucht hinter die geschönte Fassade zu sehen.

„Interessiert dich das wirklich so sehr?“

„Nein ich versuche herauszufinden, was dir den Stoff für deine Texte liefert, damit ich das als Information an Frank weitergeben kann, damit wir dich nicht mehr brauchen. Man natürlich interessiert mich das du Blödmann. Deine gehobene Meinung von mir überwältigt mich.“

„Komm mir jetzt nicht so, bis vor gut einer Woche dachte ich echt noch die wäre berechtigt und andersherum ist es nicht anders gewesen. Wenn du das bestreitest, schimpfe ich dich eine miese Lügnerin.“

„Mach das ruhig, da wärst du nicht der erste. Aber verlass dich drauf, dann erzähle ich überall herum, dass du in der Nase bohrst.“

„Was, was besseres fällt dir nicht ein?“

„Grade nicht, aber ich lass es dich wissen, wenn es soweit ist.“

Sie knuffte mich in die Seite, aber sie lächelte. Mit einem Mal war alles andere unwichtig und ich vergaß alles um mich herum. Wo ich mir die Abende zuvor nicht sicher gewesen war, wusste ich jetzt ziemlich genau, dass ich mir seit langem wieder wünschte die Zeit nicht zurück zu drehen, sondern sie einfach anhalten zu können. Ich wollte ihr sagen wie gut sie aussah wenn sie lächelte, was das bei mir auslöste und dass ich sie nicht mit Tessa in Verbindung bringen wollte, dass ich nicht an Tessa denken wollte, solange sie hier neben mir im Bett saß. Aber sie wollte es wissen und diese kleinlaute Stimme in meinem Inneren flüsterte mir zu, dass es nicht weh tat ihr zu erzählen, wieso Tessa mich so geprägt hatte. Schlussendlich gab ich seufzend nach als Lenne mich erneut fragte, wie ich sie kennen gelernt hatte.

„Ich war zwölf, als ich in den Musikladen ihres Vaters stolperte. Ich war wieder mal von zuhause ausgerissen und brauchte einen Ort, an dem ich mich verkriechen konnte, damit sie mich nicht fanden. Der herunter gekommene Laden schien mir ziemlich perfekt, er sah aus als wäre er dicht, deswegen hab ich versucht durch die Hintertür rein zu kommen. Stell dir mein Gesicht vor, als ich die Türe unverschlossen vorfand. Ich in meinem jugendlichen Leichtsinn freute mich über mein Glück und hab nicht im Traum daran gedacht, dass sich jemand im inneren des Ladens aufhalten würde. Im Verkaufsraum war ich dann umso verwirrter, als ich sie auf dem Tresen sitzend vorfand. Sie saß da und las in einem Buch und als sie mich bemerkte, sah sie mich an, als hätte ich blaue Haut oder so was. Sie rief nach ihrem Vater und ich bekam Panik, wie ich aber nun mal war, versuchte ich zu tun, als wäre ich nicht eben zur Hintertüre rein. Sie hüpfte vom Tresen und kam auf mich zu, ich dachte sie wollte mich fest halten aber stattdessen umrundete sie mich und als ihr Vater den Raum betrat, fing sie an zu grinsen. 'Ich glaube du hast Kundschaft' sagte sie, begann zu kichern und ich hatte das Gefühl, ich würde mir vor Erleichterung gleich in die Hose machen. Als ich sie später mal gefragt habe, wieso sie mich nicht verpfiffen hat, hat sie nur gelächelt und gesagt, es wäre mir anzusehen gewesen, dass ich kein schlechter Kerl sein konnte. Wie auch immer.

Max, ihr Vater nahm mich sofort unter seine Fittiche und führte mich durch den Laden, in der Hoffnung etwas zu finden, dass er mir aufschwatzen konnte. Er ließ mich ein paar Dinge ausprobieren und hatte zum Schluss ganz vergessen, dass er mir eigentlich etwas hatte verkaufen wollen, stattdessen war er hin und weg, beteuerte immer wieder ich sei ein Naturtalent und drückte mir einen ganzen Stapel Bücher und Hefte in die Hand. Mit den Worten, wenn ich sie zurück bringe, kann ich sie mitnehmen ohne was dafür zu zahlen bestärkte er mich darin sie zu lesen. Ich hatte eigentlich nie vorgehabt auch nur eins der Bücher aufzuschlagen, aber nachdem er mir ein paar interessante Dinge darin gezeigt hatte, hatte es nicht nur mich, sondern auch ihn gepackt. Er bestand darauf, mir alles an den Instrumenten zu demonstrieren und animierte mich dazu, es selber auszuprobieren. Schlussendlich lief es darauf hinaus, dass wir den ganzen Tag damit verbrachten, irgendwelche Dinge aus den Büchern nach zu spielen und ich kam zu dem Schluss, dass ich dort einen weitaus besseren Lehrer gefunden hatte als meinen Hauslehrer. Nichts gegen Philip, ich halte es ihm zugute, dass er versucht hat mir etwas über Musik beizubringen, aber er hatte sich selbst beinahe alles was er schlussendlich wusste, aus Büchern zusammen gelesen.

Am Abend nahm ich also die Bücher mit nach hause und las mich Tagelang durch alles durch, was es zu greifen gab, bis ich schließlich eine Woche später alles durch hatte und alles zurück brachte. Dieses mal betrat ich den Laden auf herkömmliche Weise durch die Vordertür und da saß Tessa wieder auf dem Tresen, dieses mal mit einem Bass in der Hand. Sie lächelte mich an als ich auf sie zuging und rief wieder nach Max, wobei sie nicht aufhörte zu spielen. Ich sah ihr eine ganze weile zu und wusste, dass ich das auch können wollte was sie da tat, denn ob du es glaubst oder nicht, sie war damals schon besser als ich heute. Aber was erwartet man auch anderes von der Tochter eines Musiklehrers. Ich war so von ihr fasziniert, dass ich Max gar nicht bemerkte und ich hoch schreckte, als er mir lachend auf die Schulter klopfte. Er sagte, wenn ich mich ran hielt, könnte ich irgendwann zusammen mit ihr spielen und das war es schlussendlich, was mich dazu brachte mir alles anzueignen, was Max mir so bereitwillig hin warf. Ich hab Wochen, ja Monate damit verbracht seine Lehrgänge, Tipps und Tricks zu verinnerlichen, bis ich schließlich nur noch in den Laden ging, um dort zu sein. Ich war nirgendwo lieber als dort, ich hatte in Tessa so was wie eine Schwester gefunden und Max hatte mich vom ersten Tag an bei sich aufgenommen. Wenn ich dort war und wir zusammen spielten verstanden wir uns blind, aber vor allem konnte ich Tessa erzählen was bei mir zuhause abging. Sie hörte mir zu und sagte mir ständig, ich solle mich nicht so davon runter ziehen lassen. Sie war die erste der ich erzählte, was ich davon hielt, dass mein Vater mich zu seinem Nachfolger machen wollte und was ich davon hielt, dass er sich einfach einen anderen Sohn schuf, als ich das nicht wollte. Sie hat mich immer in meinen Zielen bestärkt oder mir gleich gesagt ich hätte sie nicht alle, wenn ich mir etwas zusammen gesponnen hatte. Ich war dort zuhause, ich wusste, dass sie mich dort haben wollten und ich hab mir unzählige male gewünscht, ich könnte sie mit meiner Familie austauschen, bis ich schließlich anfing sie mit anderen Augen zu sehen.

Irgendwann war sie nicht einfach nur noch Tessa. Ich hab angefangen sie wie ein Mädchen zu betrachten. Mir war das nicht geheuer, denn das, was in mir vorging, als ich anfing sie nicht mehr als Schwester zu sehen, gefiel mir zuerst gar nicht. Ich wollte sie nicht auf diese weise mögen, ich wollte nicht immer weg sehen müssen, wenn sie mich anlächelte, ich wollte sie nicht immer nur aus den Augenwinkeln beobachten aber es war mir plötzlich peinlich, dass ich sie mochte. Ich hatte Angst davor, dass sich etwas veränderte und ich wollte das auch nicht, es sollte so bleiben wie es war, weil es mir so gefiel, aber irgendwann wurde mir klar, dass es nicht so bleiben konnte. Es musste sich verändern, weil wir nicht ewig die Kinder sein konnten, die im Laden auf den Instrumenten spielten, auch wenn wir damit Kundschaft anlockten.

Es lief darauf hinaus, dass ich mich aus dem Laden zurück zog, seltener hin ging und zu ihrem sechzehnten Geburtstag habe ich es grade mal über mich gebracht sie anzurufen. Ich hab das eine ganze Zeit mit mir rum geschleppt, bis ich es nicht mehr aushielt. Ich beschloss in den Laden zu gehen und ihr zu sagen was Sache ist, aber als ich da ankam war ich total geschockt. Ich hatte sie wochenlang nicht gesehen und in denen hatte sie sich so dermaßen verändert, dass es mich fast umwarf, vielleicht war es auch einfach nur, weil ich sie nicht gesehen hatte ich weiß es bis heute nicht. Sie war so verdammt schön gewesen und ich war so froh dass sie im Laden so viel zu tun hatten, dass sie nicht vor die Tür gekommen war, nur weil ich die Befürchtung hatte, dass sonst jemand anders sie hätte kriegen können. Als sie mich sah, kam sie auf mich zu gelaufen und ich, dämlich wie ich war, grinste sie an, woraufhin sie mir eine klebte und mich anschrie, wo ich gewesen sei. Sie schlug mir vor die Brust und keifte mich an, sie hätte sich sorgen gemacht, ich glaube, dass sie mir nicht zwischen die Beine getreten hat war alles. Ihr standen sogar die Tränen in den Augen, sie war total zerrissen zwischen Wut und Erleichterung, sodass ich mich dafür schämte, mich nicht gemeldet zu haben. Sie so aufgelöst zu sehen bereitete mir beinahe körperliche Schmerzen und da schwor ich mir, sie nicht wieder alleine zu lassen. Ich sagte ihr, ich würde sie nicht alleine lassen, solange sie mich nicht weg schickte, sagte ihr aber auch, dass ich gehen würde, wenn sie anfing, irgendwelche Typen heranzuschleppen. Da beschimpfte sie mich als blinden, begriffsstutzigen Volltrottel und warf mir an den Kopf, das sie überhaupt niemand anderen wollte. Sie machte mich total zur Sau, wie blöd ich denn sein könnte und wie ich denn glauben könnte, dass sie sich solche Sorgen macht, nur um sich dann irgendeinem x-beliebigen Hansemann an den Hals zu werfen. Was ich mir denn einbilden würde, ob sich alles nur um mich dreht und ich einfach so verschwinde, ohne etwas zu sagen. Sie faltete mich so zusammen und das alles vor der Kundschaft, dass ich am liebsten im Erdboden versunken wäre, Ich wusste ja überhaupt nicht was los war. Was sie denn wirklich gesagt hatte, begriff ich erst später, als sich alles legte. Von da an entwickelte sich das ganze weiter. Wir trafen uns immer öfter außerhalb des Ladens, gingen aus und irgendwann funkte es so gewaltig, dass alles andere unwichtig wurde. Die Bindung die wir aus den Jahren davor kannten entwickelte sich auf eine ganz andere Ebene weiter und ich sag dir, ich hab so unter der Angst gelitten, dass es in die Hose geht, dass ich mir manchmal wünschte, ich hätte es bei der Freundschaft belassen. Aber nachdem es sich eingependelt hatte, war es so verdammt richtig. Wir hatten uns nie wieder in den Haaren wie in diesen paar Wochen und wir waren so aufeinander abgestimmt, dass man meinen konnte, wir wären eine Person. Wenn sie einen Schritt tat, machte ich ebenfalls einen, was auf die umgekehrte Art ebenso der Fall war. Wir ergänzten uns bis ins kleinste Detail, Max meinte immer, er wüsste gar nicht, wie wir je ohne einander ausgekommen waren. Ebenso wie er nicht wüsste, was wir ohneeinander tun würden.“

Ich wusste es mittlerweile und es war mehr als verstörend.

Ich war so sehr in der Illusion meiner Vergangenheit gefangen, dass ich das Klingeln des Aufzugs beinahe nicht gehört hätte. Fragend sah ich zu Lenneth rüber, aber sie schien genauso verwirrt wie ich. Gleich darauf erklangen Stimmen die nach uns riefen und eine von ihnen konnte ich sofort Frank zuordnen. Bei den anderen musst es sich also um Eric und Ella handeln. Es dauerte keine drei Atemzüge, da ging die Türe zu meinem Vorzimmer auf. Ich bedeutete Lenneth leise zu sein und sich hin zu legen, während ich mich selbst hinlegte, sie zu mir ran zog und die Decke über uns warf. Sie hatte grade die Augen geschlossen als ich Frank mit einem überraschten „Oh“ hinter mir ins Zimmer kommen hörte. Ich konnte ihn beinahe grinsen sehen. Leise verließ er wieder mein Schlafzimmer und stieß an der ersten Türe auf Ella.

„Lenneth ist nicht da.“

„Hm, merkwürdig, Dan auch nicht.“

Ach nein? Irgendwie hatte ich erwartet, er würde es ihnen brühwarm unter die Nase reiben. Ich hatte ihn darum gebeten, uns Freiraum zu lassen und vorerst die Füße still zu halten aber irgendwie hatte ich nicht damit gerechnet, dass er sich daran halten würde.

„Wo sind die zwei denn hin, die können doch nicht spurlos verschwunden sein.“

„Du hast sie doch gestern gesehen. Ich hab gleich gesagt, dass sie komisch waren. Ich sag euch, da ist was passiert und wir wissen wohl alle, was das ist.“

Das war Eric und Gott sei ihm gnädig, wenn er nicht die Schnauze hielt. Ich hatte ihm Sachen anvertraut, wenn er sie jetzt ausplauderte, würde ich ihn einen Kopf kürzer machen.

„Lasst uns keine vorläufigen Schlüsse ziehen. Dan ist vermutlich mit dem Hund unterwegs und Lenneth einkaufen. Lasst uns ins Studio fahren, ich werde den beiden schreiben, dass sie früher dort hin kommen sollen als sonst.“

Wieder deckte Frank uns. Was war denn mit ihm los, so kannte ich ihn gar nicht und irgendwie gefiel mir das nicht, das ließ ihm unweigerlich Pluspunkte zukommen.

„Ich habe zig mal versucht Lenneth anzurufen, glauben sie echt, eine SMS würde sie eher mitkriegen?“

„Nein, aber was sollen wir sonst tun?“

„Weiß ich doch nicht, aber wenn sie nicht bald auftauchen können wir den Gig abblasen.“

Gig abblasen? Kein Wunder das Ella angesäuert klang, aber was zur Hölle hatten wir denn verpasst?

„Wir müssen überhaupt nichts absagen, die beiden werden schon auftauchen. Und jetzt lasst uns gehen, es gibt noch ein paar Dinge zu klären und vorzubereiten.“

Grummelnd wollte Ella widersprechen, schien sich aber zu fügen und dann waren sie verschwunden. Erst als ich die Klingel des Fahrstuhls hörte regte ich mich wieder.

„Hast du was davon gewusst?“

Verdutzt runzelte ich die Stirn und schüttelte dann mit dem Kopf.

„Nein, aber Frank hat was er wollte, er wird jetzt so viel Vollgas geben wie er kann.“

„Ach ja und was wollte er?“

„Uns beide, vorzugsweise als Paar.“

„Und du meinst das hat er jetzt?“

Da war ich mir selbst nicht wirklich sicher drüber. Hatte er das jetzt? Das war momentan wohl unmöglich zu sagen.

„Zumindest glaubt er das, wenn wir ihm nicht widersprechen und das wird er erwarten, denn er weiß, dass wir ihn gehört haben.“

„Was macht dich da so sicher?“

„Ich hab gehört wie er an seinem Handy zu Gange war als er sagte, er wolle uns schreiben. Er hat uns aber nicht geschrieben, denn das hätten wir gehört und zwar wir alle, weil ich mein Handy grundsätzlich nicht auf lautlos stelle. Er weiß also, das wir wach waren.“

„Okay und wieso hat er dann gesagt wir wären nicht da?“

„Weil ich ihn darum gebeten habe uns Raum zu geben. Ich hab ihm gesagt, dass er mein Einverständnis dafür hat, seine Story durch zu ziehen, vorausgesetzt du stimmst zu. Außerdem habe ich ihm gesagt, dass die Entscheidung bei uns liegt, das Statement dazu abzugeben. Wir entscheiden, ob wir es bestätigen oder nicht. Sollte er uns auch nur eine Entscheidung aus der Hand nehmen, habe ich ihm damit gedroht, dass dein Angriff gestern erst der Anfang war.“

„Okay. Was? Nein, nicht okay. Du hast ihm nicht wirklich gedroht. Du weißt, dass er uns nur schon deswegen raus schmeißen kann oder?“

„Er hat keinen, der das bezeugen kann, außerdem würde er kein Risiko eingehen. Wir haben ihn vollkommen in der Hand, er würde zu allem ja sagen, nur damit er uns nicht mehr verliert.“

„Na gut, aber ich will für dich hoffen, dass du recht hast. Ich lass mich nicht von denen rum schieben, wie es ihnen grade passt.“ „In unseren Verträgen steht, dass wir jederzeit aussteigen können und glaub mir, das werde ich tun, sobald er irgendetwas tut, das nicht mit mir abgesprochen war.“

„Der Gig war auch nicht abgesprochen.“

„Dazu werde ich ihm noch meine Meinung sagen, aber dieses mal lasse ich es ihm durchgehen denn wenn ich ehrlich sein soll, will ich wieder auf die Bühne. Studio schön und gut, aber ich brauche das Feedback der Menge, immerhin sind wir deswegen hier oder?“

Die Sehnsucht danach, war ihr deutlich am Gesicht abzulesen. Gut dass es nicht nur mir so ging.

„Was glaubst du, was Frank noch alles klären will?“

Ich zuckte mit der Schulter.

„Nicht genug, um Ella's Sorgen zu bestätigen. Zu wenig, um mich zur Eile zu treiben, wir können ihnen also ein wenig Vorsprung lassen.“

„Bist du dir sicher?“

„Und wie sicher ich mir bin. Außerdem hab ich den Moment noch gar nicht richtig genossen, um ihn schon wieder vorbei ziehen zu lassen.“

Sie setzte schon dazu an, zu fragen was ich meinte, da zog ich sie an meine Brust, hakte das Bein hinter ihres und schmiegte das Gesicht für einen Moment an ihres, bevor ich ihr einen vorsichtigen Kuss aufdrückte. Die Hand auf ihrer Taille bemerkte ich, wie sie sich minimal anspannte obwohl sie den Kuss erwiderte, also beließ ich es dabei und streckte mich aus, wobei sie sich trotz zögern an meine Seite schmiegte und den Kopf auf meiner Schulter ruhen ließ. Wortlos legte ich die Arme um sie und ließ einfach alles andere ungesagt in der Luft hängen. Das Leben hatte jetzt so lange darauf gewartet, dass ich es wieder aufgriff, musste es eben noch etwas länger warten.

20

Mir war wieder ein wenig mulmig zu mute, als Dan mich enger an sich zog, geradezu mit seinem Körper einwickelte und einfach nur mit mir beieinander liegen wollte. Die Wärme und seine gleichmäßigen Atemzüge hätten mich beinahe eingelullt. Aber nur beinahe.

Viel zu viele Gedanken rasten durch meinen Kopf und würfelten sich in einem einzigen Chaos durcheinander. Dan hatte mir einen unglaublich großen Einblick in seine Vergangenheit verschafft, mehr als er ahnte. Nachdem ich jahrelang mit Psychoonkeln zusammen gesessen hatte, hatte ich gelernt, aus einer Antwort mehr zu lesen, als der Sprecher eigentlich preisgeben wollte.

Dass Dan Tessa innig geliebt hatte, stand außer Frage. Doch da war mehr. Ich wusste nun, wie es in Dans Familie aussah und ich wusste, dass er sich dort fehl am Platz fühlte. Etwas, das ich ihm nur zu gut nachfühlen konnte.

Tessa war aber so viel mehr für ihn gewesen, als seine Freundin und Gefährtin. Sie hatten einander ergänzt, wie zwei Puzzleteile. Sie waren eine Einheit gewesen, zwei Teile eines Ganzen. Und ich konnte aus Dans Erzählungen schließen, dass Tessa ein guter Mensch gewesen war. Eigenwillig, aber immer besorgt um ihre Mitmenschen und vor allem die, die sie liebte. Sie wäre eine gute Mutter geworden, wäre sie alt genug dafür geworden.

Ich wollte es nicht, aber die Eifersucht schnürte mir die Kehle zu. Ich war nur froh, dass Dan es in unserer Position nicht sehen konnte. Ich fühlte mich wie in einem dieser Filmdramen, in denen eine Frau mit einem Witwer zusammen kommt und ständig mit dem Schatten der verstorbenen Vorgängerin zu tun hatte.

Krampfhaft versuchte ich, meine Gefühl zu unterdrücken, aber es gelang mir einfach nicht. Ich war auch nur ein Mensch, wenn vielleicht einer der schlimmsten Sorte. Aber hier ging es nicht um mich. Es ging einzig und allein um Dan und mein Entschluss stand fest. Dan würde meine einzige Priorität sein. Er hatte mit sich selbst zu kämpfen und konnte sich nicht auch noch um mich kümmern.

Der Moment in Dans Bett war schön, aber er war nicht mehr wie er es letzte Nacht gewesen war. Zumindest fühlte es sich für mich so an, als fehlte etwas. Das lag vermutlich an diesem nagenden Brennen in meiner Brust. Seufzend drückte ich ihn also von mir, setzte mich erneut auf und sah auf ihn hinab.

„Danke, dass du mir einen Teil deiner Vergangenheit mit Tessa anvertraut hast. Ich fürchte nur, dass wir uns jetzt wieder dem alltäglichen Übel stellen müssen.“ Kurz küsste ich ihn, stand auf und verließ sein Zimmer. Mir entging dabei nicht, dass er mich mit gerunzelter Stirn angesehen hatte. Er hatte etwas aufgeschnappt, aber das war wirklich kein Wunder. Immerhin war es Dan, von dem wir hier sprachen.

Grübelnd machte ich mich mechanisch für den Tag bereit. Ich freute mich schon sehr darauf, ihn hinter mich zu bringen und mich in meinem Zimmer einschließen zu können, um nachzudenken. Oder im Atelier. Oder im Probenraum. Hauptsache, ich konnte einfach mal kurz alleine sein, damit ich mir wieder allen möglichen Unsinn einreden konnte.

Bis Dan fertig war, hatte ich bereits Kaffee für uns gemacht, den wir schnell und schweigend tranken, bevor wir uns auf den Weg machten. Wir konnten die anderen nicht länger warten lassen, immerhin war es bereits elf Uhr und damit waren wir saumäßig spät dran.

Der Fahrer stand bereits unten und ich wollte mir gar nicht ausmalen, wie lange schon. Auch die Fahrt zum Studio verlief schweigend, doch hin und wieder streifte ich Dan mit meinem Bein oder strich ihm beinahe beiläufig über die Hand oder den Arm. Im Gegenzug tat er dies auch bei mir. Ich glaubte, dass dem Fahrer keine dieser Aktionen entging, doch er war stoisch und machte keine unangebrachten Kommentare.

Bevor wir aus dem Wagen aussteigen mussten, nahm ich Dans Hand und drückte sie noch einmal fest. Das war die letzte Gelegenheit dazu, bevor wir uns vor den anderen wieder 'normal' benehmen mussten. Wir hatten noch keine Zeit gehabt, über diese Sache zwischen uns ausführlich zu sprechen, was wir uns davon überhaupt versprachen und ob und wie wir es den anderen offenbarten. Das musste noch warten, nun hatten andere Dinge Priorität.

Den ganzen Weg durch das Firmengebäude machte ich mir Gedanken, wie ich mich verhalten sollte, dass es möglichst normal wirkte, aber die beste Lösung war vermutlich, Dan zu ignorieren und ab und an einmal aus der Haut zu fahren, auch wenn ich es nicht so meinte.

„Da seid ihr ja endlich“, rief Ella aufgebracht, als sie uns durch die Tür kommen sah. Sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt und trommelte ungeduldig mit dem Fuß. Wir konnten froh sein, wenn sie uns nicht die Köpfe abriss.

„Ich habe zig Male versucht, euch zu erreichen, aber nichts! Wirklich, Lenne, du solltest mal nicht ständig dein Telefon verlieren!“

„Sorry“, erwiderte ich schulterzuckend, was mir ein Augenrollen von Ella einbrachte, die dann aufgebracht die Hände in die Luft warf. Ich meinte, aus den Augenwinkeln sehen zu können, wie Dans Mundwinkel zuckten, aber das konnte genauso gut Einbildung sein.

„Wie dem auch sei!“, ging Frank gewohnt fröhlich dazwischen. „Sie sind ja jetzt da und es kann losgehen. Aber davor muss ich euch noch mitteilen, dass ich euch euren ersten Liveauftritt als Band habe organisieren können! Wie klingt das!“ Verwundert zog ich eine Augenbraue hoch.

„Wurde aber auch Zeit!“, schauspielerte Dan gekonnt und grinste Eric und Ella breit an, die ihrerseits dämlich zurück grinsten. Ich schüttelte den Kopf und ließ mein Gesicht versteinern. Ich durfte nicht zu fröhlich sein und aus der Rolle als mich fallen.

„Wann soll der Auftritt sein?“

„Nächste Woche Samstag. Ich weiß, dass es recht kurzfristig ist, aber ihr seid neu und da gibt es kein Pardon. Eric hat extra angeboten, seine Stunden zu schwänzen, um mehr proben zu können. Ihr tretet in einem der mittelgroßen Livehäuser hier in der Stadt auf, das für die Größe sehr gut besucht ist. Mit der Location mache ich euch im Laufe der kommenden Woche vertraut, aber wir sollten erst einmal damit anfangen, Songs auszuwählen und die Reihenfolge festzulegen.“ Und so begannen die stressigsten Proben, die ich erlebt hatte, seit Frank mich mit Dan zusammen gepfercht hatte.

 

Am Abend waren meine Finger wund, die Songaufstellung stand und ich war reif für ein heißes Bad. Mir taten die Schultern weh, außerdem zwickte es in meinem Rücken. Ich hatte teilweise viele Stunden in der gleichen Position verbracht und bestimmte Körperhaltungen verursachten mir Rückenschmerzen, wenn man bedachte, dass manche der Muskeln in meinem Rücken nur notdürftig richtig wieder zusammengewachsen waren.

Gerade als Dan und ich uns auf den Weg machen wollten, damit wir die Scharade, die wir den ganzen Tag aufrecht erhalten hatten, wieder aufgeben konnten, nahm Frank uns noch einmal beiseite, während er Eric und Ella zum Abschied winkte, die angeregt miteinander diskutierten.

Auf brüderliche Frank-Art legte er uns jeweils einen Arm über die Schultern und zog uns zu sich heran. In seinen Augen funkelte etwas Verschwörerisches. Mir gefiel schon jetzt nicht, was er wieder wollte.

„Sagt mal, ihr beiden, ihr spielt doch auch Cover?“

„Ja?“, antwortete Dan langsam. Also hatte er auch keinen blassen Schimmer davon, was unser hinterhältiger Manager wieder im Schilde führte.

„Ich hab es schon heute früh, bevor ihr gekommen seid, mit Eric und Ella abgesprochen, aber ich habe da einen Song einer anderen Band, die ich gerne mit in den Liveauftritt nehmen würde.“

„Warum hast du uns dann nicht während der proben darüber in Kenntnis gesetzt?“, fragte ich gereizt. Langsam wurde ich wirklich grummelig.

„Weil er für euch beide deutlich mehr bedeuten wird, als Eric und Ella momentan sehen.“ Als Frank uns dann mitteilte, was für ein Song es war, wäre mir beinahe die Kinnlade heruntergeklappt. Dieser Song war definit bedeutungsschwanger!

Ich hatte das Video dazu oft genug gesehen und ihn sogar noch öfter gehört und im Ohr gehabt. Wenn ich länger darüber nachdachte, traf er recht gut auf Dan und mich zu. Zumindest hatte er das bis vor vierundzwanzig Stunden noch.

„Ich möchte, dass ihr den gleich als erstes bringt. Er wird euch einen markanten Stempel aufdrücken.“

„Besteht nicht viel mehr die Gefahr, dass das Publikum anfängt, unsere Version mit der Originalversion zu vergleichen? Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man Cover grundsätzlich schlechter einschätzt als ihre Originale“, erwiderte Dan skeptisch. Da musste ich ihm recht geben.

„Macht euch mal da keine Sorgen. Ich weiß einfach, dass das gut ist! Habe ich euch bisher jemals enttäuscht oder falsch beraten?“

„Nein“, knurrte ich widerwillig, „aber du gehst mir tierisch auf den Sack!“ Ich spürte, wie Dan mir beruhigen eine Hand auf den unteren Rücken legte und sanft rieb.

„Lass uns das erst Montag Früh in Ruhe ausprobieren und dann werden wir sehen, ob wir ihn spielen oder nicht. Persönlich würde ich es bevorzugen, den Leuten unseren eigenen Sound zu zeigen.“

„Sie sollten aber erst einmal eure Stimmen kennen lernen und wie sollte es besser gehen, als mit einem Song, der schon überall rauf und runter gelaufen ist?“ Diesmal rieb ich Dans Rücken, da er anfing, mit den Zähnen zu knirschen. Dann nahm ich ihn bei der Hand und zog ihn von Frank weg. Ich wollte nach Hause und ich war hundemüde, da wollte ich nicht noch eine lange Diskussion zwischen Dan und unserem schwachköpfigen Manager beobachten müssen.

Auf der Heimfahrt schwiegen wir wieder, aber überwiegend, weil ich fast einschlief und ständig an Dans Schulter immer wieder ein nickte. Den Weg zum Fahrstuhl nach oben musste er mich beinahe schleifen, doch sobald ich heimischen Boden unter den Füßen hatte, fütterte ich Glen, während Dan Ben auspackte und sich um ihn kümmerte.

Dann ließ ich mir ein heißes Bad ein und gab ordentlich Schaumbad dazu. Während ich die Hand im Wasser hängen ließ, um die Temperatur zu regulieren, spürte ich, wie Dan im Türrahmen lehnte und mich beobachtete.

„Du hast aber nicht vor, wieder darin fast zu ertrinken oder?“, fragte er halb scherzend, halb ernst. „Noch so einen Herzinfarkt überstehe ich nicht.“

„Keine Sorge, ich nehme immer Rücksicht auf unsere Senioren. Wir wollen ja nicht, dass du dir die Hüfte brichst, während du mich erneut retten musst.“ Lächelnd sah ich zu ihm auf, doch sein Ausdruck war ernst.

Ich wusste, wo er mit seinen Gedanken war und es gefiel mir ganz und gar nicht. Natürlich wollte ich nicht, dass er Tessa vergaß. Er brauchte die Erinnerungen an sie, um zu heilen und immerhin war sie die Frau gewesen, die ihn zum Teil zu dem Mann geformt hatte, dem ich mich geöffnet hatte, wie niemandem sonst zuvor. Trotzdem musste es mir ja nicht gefallen.

„Keine Sorge, Dan“, sagte ich. „Mir wird nichts passieren. Aber wenn es dich beruhigt, kannst du ja an der Wanne sitzen bleiben und meine Hand halten und aufpassen, dass wirklich nichts passiert.“ Daraufhin zog er eine Augenbraue hoch und grinste.

„Warte kurz, ich bin gleich wieder da.“ Nachdem er weg war, zog ich mich aus und legte mich in die Wanne, die noch nicht ganz voll war. Nur wenige Momenten später, tauchte Dan tatsächlich wieder auf, in Boxershorts und T-Shirt.

„Ich hatte das eigentlich...“

„...nicht wörtlich gemeint. Ich weiß, ich tu es aber trotzdem.“ Noch immer grinste er wie ein Schuljunge an Weihnachten. Dann hockte er sich neben die Wanne und legte die Unterarme auf den Rand, um mich zu beobachten. Die Situation war mir unangenehm, aber ich hatte mich selbst da reingeritten, also würde ich sie auch aussitzen.

Dan sah mir eigentlich nur beim Baden zu, doch sein Blick war bohrend und so durchdringend, dass ich mich nicht entspannen konnte. Dahin war also mein abendlicher Plan, doch es war mir sogar ziemlich egal. Allein die Möglichkeit, so ungestört Zeit mit ihm verbringen zu können, wärmte mich von innen.

Als es Zeit war, aus dem Wasser zu steigen, besaß er den Anstand sich umzudrehen, während ich mich in ein Handtuch wickelte, doch er ließ mich nicht alleine. Als ich fertig war, folgte er mir aus dem Zimmer in meines. Ich wollte ihn eigentlich nach draußen verweisen, damit ich mich anziehen konnte, doch seine Finger strichen über die dicken Narben, die über den Handtuchrand hinaus reichten. Diese kleine Berührung reichte schon aus, um meinen Atem stocken zu lassen.

„Wie ist das passiert?“, fragte er so leise, dass ich es kaum hören konnte. Ich konnte mir aber sein Gesicht vorstellen, wie er die Worte aussprach und wie sich seine Miene verzog.

„Ich habe dir heute etwas über mich erzählt. Da ist es nur fair, wenn du mir etwas von dir erzählst.“ Nein, das war es nicht. Es ging hier nicht um mich. Es ging um ihn! Ich hatte mir geschworen, mich zurückzuhalten und er brachte mich einfach so aus dem Konzept, indem er so etwas sagte! Er brauchte das wirklich nicht zu wissen, nur wie sollte ich ihm das klar machen, ohne alles zwischen uns gleich wieder kaputt zu machen, was auch immer es war?

„Das möchtest du nicht wissen.“

„Oh, doch, sonst hätte ich ja wohl nicht gefragt, oder?“, erwiderte er und schleuderte mir damit meine eigenen Worte ins Gesicht. Ich umklammerte das Handtuch fester und biss mir auf die Lippe. Ich brauchte mehr Zeit, um nachzudenken, ich hatte keine Ahnung, was ich auf die Schnelle sagen oder antworten sollte, das nicht falsch klang oder ein Fehler war.

„Ich möchte dir das nicht erzählen, Dan.“

„Wieso nicht?“ Er klang trotzig. „Ich wollte es auch nicht und habe es letztlich getan. Wie du selbst gesagt hast, sollte man sich so etwas von der Seele reden.“

„Dafür habe ich einen Therapeuten“, erwiderte ich kalt, obwohl ich das gar nicht wollte. Nackte Angst packte mich und mein Herz klopfte so wild in meiner Brust, dass es gleich durch meinen Brustkorb bersten musste. Und mich hoffentlich hiervon erlösen. Ich sah mich geradezu auf einen dunklen Abgrund zurasen, aber die Bremsen waren defekt und taten absolut nichts, um mich aufzuhalten.

„Wie du willst“, sagte Dan kurz angebunden. Dann hörte ich Schritte hinter mir und eine Tür zuschlagen, was mich zusammenzucken ließ.

Ich wollte ihn nicht wegstoßen, aber ich hatte eine Entscheidung getroffen. Verließen mich alle anderen auch aus diesem Grund? Weil ich sie nicht nahe genug an mich heran ließ?

Ich wollte Dan lediglich nicht mit meinem Mist belasten und das hätte er ganz sicher getan, wenn Dan erst davon erfahren hatte. Eine kleine Stimme in meinem Hinterkopf sagte mir, dass Dan mich niemals aufgrund meiner Vergangenheit verurteilen würde, doch sie war so schwach und winzig, dass sie leicht von meinen Schutzmechanismen niedergetreten wurde, die schon seit Jahren das Kommando hatten.

Ich hatte mich auf einen entspannten Sonntag mit ihm gefreut, doch das konnte ich mir wohl jetzt in die Haare schmieren? Wie sollte ich das bloß wieder gerade biegen? Doc Maverick konnte ich nicht schon wieder anrufen. Oder besser gesagt: ich wollte es nicht.

Also zog ich mich rasch an, schnappte mir meinen Kittel und schloss mich in meinem Atelier ein. Ich schloss zum ersten Mal, seit ich hier eingezogen war, eine Tür ab. Ich wollte nicht, dass Dan einfach hereinkam und sah, was ich hier drinnen tat. Wie ich hier drinnen, meinem wahren Ich den freien Lauf ließ. Denn selbst meine Songs waren in Fesseln gelegt. In ihnen hätte ich niemals so frei von meiner Qual sprechen können, wie in meinen Bildern.

Während ich also den Keil zwischen mir und Dan immer tiefer trieb, indem ich mich absonderte, fieberte ich meinem geliebten Mittwoch entgegen. Und gleichzeitig tat ich etwas, von dem ich nicht gedacht hätte, dass ich es noch in diesem Leben tun würde.

Ich malte das erste von vielen, vielen Bildern, das über und über nur so vor scharlachroter Farbe troff.

 

 

 

 

 

 Schön, wenn sie nicht reden wollte, sollte sie doch. Ich versuchte nicht sauer deswegen zu sein und irgendwie verpuffte die Wut auch gleich, nachdem mir aufging, wieso sie mir Dinge verschwieg. Wer wollte jemandem wie mir schon Geheimnisse anvertrauen? Verkorkst bis ins Mark und geplagt von der Vergangenheit. Zur Hölle, nach dem was ich ihr erzählt hatte, hätte sie eigentlich weglaufen müssen. Wobei sie das im Grunde ja getan hatte. Dass ich versucht hatte sie fest zu halten, damit sie mir nicht entglitt, indem ich sie nicht aus den Augen ließ, war ja wohl auch voll nach hinten losgegangen. Ich war so ein Vollidiot.

Jetzt saß ich auf dem Dach mit Ben in meiner Jacke und starrte in den Himmel. Was hätte ich tun können, um das ganze zu verhindern? Vermutlich gar nichts, das hatte ja schief gehen müssen. Mein Karma war so rabenschwarz, dass ich vermutlich für die nächsten zwanzig Leben ausgesorgt hatte, wieso hatte ich mir also eingebildet, dass ich wieder Frieden finden würde? Vermutlich wäre es einfach das beste Abstand zu nehmen, die Dinge aus dem Blickfeld zu schaffen, die man nicht haben kann, damit man nicht doch versucht die Finger danach auszustrecken. Vorerst würde ich es dabei belassen Lenne aus dem Weg zu gehen, aber wenn das nicht funktionierte, musste ich wohl oder übel das Feld räumen. Und ich würde das Feld räumen, denn ich war nicht bereit ihr die Dinge weg zu nehmen, die sie sich erkämpft hatte.

 

 

 

 

 

Die ersten Sonnenstrahlen drangen durch das Fenster meines Ateliers und tauchten es in warmes Licht. Mir war innerlich jedoch eiskalt. Immer länger machten sich die hellen Schlieren, die sich über den Parkettboden und die Plastikplanen zogen. Als würden sie sich nach mir ausstrecken und versuchen, mich ins Licht zu ziehen.

Trotzig blieb ich auf dem Boden sitzen, umklammerte fest meine Knie und starrte das Bild auf der Staffelei an, das einige Meter von mir entfernt mit der Rückseite zu den Fenstern stand. Es warf einen langen Schatten und das, was darauf abgebildet war, war kaum zu erkennen, da ich alle Lichter im Atelier gelöscht hatte. Viele hätten es wahrscheinlich auch nicht erkennen wollen.

Ich hatte beinahe die ganze Nacht nur an diesem einen Bild gearbeitet und hätte es beinahe nicht zu Ende bringen können. Eigentlich war es nichts Spektakuläres. Nur ein herausgeschnittenes Herz auf blutverschmiertem Asphaltboden, darum herum verteilt noch ein paar Andeutungen und Überreste anderer Organe. Das Herz war eines meiner Meisterwerke, da es doch recht realitätsgetreu geworden war. Weder disproportioniert noch seltsam gefärbt.

Es war der Anfang von einer Lawine, die sich nicht mehr aufhalten ließ. Ich hatte nun begonnen und würde keinen Rückzieher mehr machen können. Die Versuchung war groß, doch der Damm war gebrochen. Nun wollten all die Bilder, all die Alpträume, die mich seit Jahren verfolgten und sich immer wieder in mein Leben stahlen, heraus. Es war wohl an der Zeit, damit endlich abzuschließen und die einzige Möglichkeit, das zu tun, war, mich zu stellen. Weglaufen half mir nicht mehr.

Wann immer ich an den Horror in dieser Nacht gedacht hatte, hatte jedoch meine Hand so stark gezittert, dass ich den Pinsel hatte niederlegen müssen, um das Bild, so grauenhaft es auch war, nicht zu ruinieren. So hatte sich das Malen hingezogen, aber ich war nach etlichen Stunden schnell fertig geworden.

Mehr als das eine hatte ich aber nicht zu Leinwand bringen können. Ich hatte es nicht über mich gebracht. Dass alles mit Öl verewigt werden würde, war unbestreitbar, doch nicht alles auf einmal.

Nachdem ich fertig gewesen war, hatte ich mich einem fröhlicheren Motiv widmen müssen. Das einzige, das mir jedoch einfiel, war das Foto von Tessa, das Dan mir tags zuvor gezeigt hatte. So ungern ich diese ewige Rivalin auch malen wollte, so sehr brauchte ich es. Außerdem hing immer noch die Auseinandersetzung mit Dan in der Luft und ich musste die Suppe irgendwie wieder ausbrocken. Das Bild sollte das erste Friedensangebot sein und mir ermöglichen, das Gespräch mit Dan einfacher aufzugreifen.

Das alles war immer noch so neu für mich und ich wusste nicht, wie ich mit so viel menschlicher Gesellschaft umgehen sollte. Sonst war ich immer allein gewesen.

Ich war eine schnelle Malerin und das Bild stand irgendwo abseits und war fast fertig. Es fehlten nur noch die Feinheiten. Nun, wo es hell wurde, war jedoch das blutige Herz in den Fokus gerückt und lenkte mich massiv ab.

Ich starrte das verfluchte Ding an und ließ die Zeit vergehen. Erst als der Himmel in hellem Blau erstrahlte, rappelte ich mich auf und sperrte zum ersten Mal seit Stunden, die Tür auf. Vorsichtig streckte ich den Kopf heraus und sah mich um. Die Wohnung lag still vor mir, daher schloss ich die Tür hinter mir und ging in die Küche, um die Kaffeemaschine anzuwerfen.

Meine Hände waren wie immer voller Farbe, aber ich hielt mich nicht damit auf, sie abzuwaschen. Die erste Tasse Kaffee war genauso schnell verschwunden, wie sie gemacht war. Ich hatte das Zeug bitter nötig, da ich kein Stück geschlafen hatte und vermutlich nun tiefe Ringe die Landschaft meines Gesichtes zierten.

Als eine Tür geräuschvoll aufging, wurde ich panisch, versuchte aber, mich zu beherrschen und nicht davon zu laufen. Dan kam vollständig angezogen in die Küche, würdigte mich keines Blickes und schenkte sich eine halbe Tasse Kaffee ein, die er schnell herunter stürzte.

Dann packte er etwas von Bens Nahrung in eine Tasche ein, die er mitgebracht hatte, wusch die Näpfe aus und steckte auch diese ein. Die Alarmglocken gingen in meinem Kopf los und hämmerten laut in meinen Ohren, doch ich hielt sämtliche Reaktionen zurück.

„Gehst du irgendwohin?“ Die Frage konnte ich mir nicht verkneifen.

„Ich fahre nach Hause, also spar dir die Mühe für mich mitzukochen. Bis morgen.“ Und schon war er weg. Ich hörte noch, wie er Ben aufsammelte, dann bimmelte der Fahrstuhl und ich war alleine mit Glen. Einfach so.

Ich konnte verstehen, dass er wütend auf mich war, aber hätte er mir nicht wengistens ins Gesicht sehen können, während er mit mir sprach? War ich ihm auf einmal so zuwider, dass er mich nicht einmal mehr anschauen wolle?

Noch immer mit dem Becher in der Hand, ging ich zur Kaffeekanne, um mir noch etwas zu nehmen, doch als ich das Gefäß abstellen wollte, verfehlte ich die Tresenkante und das Ding landete krachend auf dem Boden. Statt mich jedoch zu bücken und es weg zu machen, starrte ich die zig Scherben erst an, drehte mich dann um und ging aus der Küche.

Ich spürte nur am Rande, wie Glen sich an meine Beine schmiegte und mich beinahe zum Stolpern brachte. Ich fühlte mich taub, hinter meinen Augen pochte es ganz furchtbar und mir war übel. Dennoch ging ich beständig weiter, bis ich mich wieder in meinem Atelier eingeschlossen und Glen die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte.

Meine Hände zitterten, ich schwitzte wie ein Schwein und mir war elendig heiß. Außerdem atmete ich so schwer, wie schon lange nicht mehr. Es war so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Ich hörte nur meinen Atem und das heftige Pochen meines Herzens.

Mein Magen zog sich plötzlich zusammen und in meiner Brust kribbelte es. Meine Augen wurden auch heiß und ich spürte, wie die Feuchtigkeit herausdrängen wollte, doch ich verbot mir, auch nur eine einzige Träne entkommen zu lassen.

Dann ging ich ins Ecke hinüber, wo sich die bemalten Leinwände stapelten, nahm die oberste mit und stellte sie auf eine Staffelei. Dann verteilte ich großzügig verschiedene Rottöne auf einer Pallette, mischte sie hier und da miteinander und gab ein wenig Wasser aus einer Sprühfalsche darauf, um sie zu verdünnen. Ich nahm mir den dicksten Pinsel, den ich finden konnte, schabte großzügig Farbe von der Palette, holte aus und klatschte sie auf die Leinwand. Das alles, ohne es wirklich wahrzunehmen.

Alles war von einem Schleier überschattet. Ich wusste nicht, ob ich traurig, wütend oder beides gleichzeitig war. Alles, was ich wusste, war, dass es sich unglaublich gut anfühlte, Tessas Gesicht zu sehen, das nun von langen roten Spritzern verziert war, die ihr sogar noch herabliefen. Doch das war noch lange nicht genug, um das wütende Biest, das in mir tobte, zu besänftigen. Ich wiederholte die Prozedur so lange, bis keine Farbe mehr auf der Palette war und Tessas Gesicht wie ein blutiges Schlachtfeld. Aber auch das reichte nicht aus.

Blind vor Wut, die sich mit jedem Schwung des Pinsels hochgeschaukelt hatte, nahm ich mir den Farbspachtel zur Hand und zog ihn mit Schwung durch ihre grinsende Visage. Immer und immer wieder stach ich zu, hackte darauf ein, schrie meinen Frust heraus und schlitzte, was das Zeug hielt. Schließlich warf ich die Leinwand zu Boden und trampelte brüllend darauf herum, bis sie endgültig demoliert war.

Keuchend stand ich über den Überresten und starrte grinsend darauf hinab. Wenn man ganz genau hinsah, konnte man noch Züge von Tessas Gesicht erkennen, doch ich hatte mich an der Schlampe genügend ausgetobt, dass ich zumindest nicht mehr wild um mich schlagen wollte.

So erst einmal befriedigt, warf ich den Spachtel achtlos zur Seite, kam aus dem Atelier und sperrte es von außen ab. Ich wollte nicht, dass Dan auf die Idee kam, dort hinein zu gehen.

Müde ließ ich mich dann im Wohnzimmer auf die Couch fallen und zappte durch die Kanäle. Wie immer blieb ich an den Nachrichten hängen, doch ich schaute nicht einmal in die Richtung des Fernsehers. Mein Blick war an die Decke geheftet. Glen kletterte auf mir herum und maunzte, doch ich ignorierte sie.

Mir wäre zuvor nie der Gedanke gekommen, meine geliebte Katze außen vor zu lassen, doch in diesem Fall würde sie mir nicht weiterhelfen können. Ich bezweifelte sogar, dass Doc Maverick es konnte. Ich wollte allein sein. Ich wollte mich in meinem Leid suhlen und mich selbst hassen. Und das konnte ich hier nicht.

Kurzerhand sprang ich auf, und eilte in mein Zimmer, wo ich andere Klamotten anzog, ohne mich jedoch vorher zu waschen. Dann warf ich prompt ein paar Kleidungsstücke in einen Rucksack, den ich schulterte, ohne darauf zu achten, was ich eingepackt hatte.

In der Küche füllte ich Glens Näpfe so voll, dass sie locker zwei Tage reichen würden und verließ kurzerhand die Wohnung. Draußen nahm ich mir das erste Taxi, das mir unter die Finger kam und ließ den Fahrer einfach so lange fahren, bis wir außerhalb der Stadt waren. Als er mich dann fragte, ob ich aussteigen oder mich weiterfahren lassen wollte, ließ ich ihn in eine bestimmte Richtung weiterfahren.

Das würden horrende Kosten werden, aber ich hatte voll und ganz vor, die Firma diese tragen zu lassen. Sie hatten mich mit Dan zusammen gesteckt und mich in ein tiefes Loch aus Gefühlen und Verwirrung gestürzt, also würden sie wohl auch so eine mickrige Taxifahrt zahlen können.

 

Ich konnte mir genau vorstellen, was Doc Maverick vor sich sehen musste. Ein Mädchen, das vor Wut kochte, dem der Rauch stetig aus den Ohren qualmte und das alles nieder starrte, was ihr vor die Füße kam. Das war ich im Moment, ein einziger schwelender Brandherd.

„Willst du mir nicht verraten, warum du so aufgebracht bist?“, fragte er in seiner lockeren Art, die mich zwang, mich in seiner Gegenwart zu entspannen, doch ich wollte nicht entspannt sein. Viel mehr wollte ich jemandem die Kehle raus reißen. Darum grunzte ich nur als Antwort und brannte mit meinem Blick weiter Löcher in Docs Teppich.

Er seufzte, aber das hinderte ihn nicht daran, zu sprechen und mir weitere Fragen zu stellen. „Ist es wegen Dan?“ Ich grunzte wieder nur, aber dieses Mal bestätigend.

„Hat er irgendetwas gesagt oder getan, das dich so aufgewühlt hat?“ Ich schnaubte und zuckte mit den Schultern.

„Er ist ein Arsch!“ Ich konnte quasi hören, wie Doc in Gedanken 'Heureka!' schrie und sich wie ein Keks freute, dass ich endlich gesprochen hatte. „Ich hab ihn nach seiner Ex, Tessa, gefragt. Hätte ich wohl lieber sein lassen sollen.“

„Was genau hat er dir erzählt?“

„Was ein verliebter Kerl jedem über seine Freundin erzählen würde. Wie wundervoll sie war, wie sie ihn aus seinem Loch rausgeholt hat, wie sie zusammengekommen sind. So was eben. Es war in Ordnung, während ich mir das angehört habe, aber danach...“

„...warst du eifersüchtig?“

„Ja.“

„Und wütend?“

„Ja!“

„Warum?“

„Warum wohl? So wie es klang, lebt er immer noch in der Vergangenheit und weigert sich, Hilfe anzunehmen! Dabei sollte ich sein Fokus, seine Säule sein! Und dabei ist es auch noch total unrealistisch.“

„Einen Moment bitte. Ich denke, ich habe da etwas verpasst. Was genau ist seit unserem letzten Gespräch passiert?“ Also erzählte ich ihm davon, wie sich die Beziehung zwischen Dan und mir innerhalb so kurzer Zeit so stark verändert hatte.

„Interessant“, sagte er, als ich geendet hatte, mit hochgezogenen Augenbrauen. „Es ist natürlich, dass du dich durch seine Ex-Freundin bedroht fühlst und eifersüchtig bist. Und ich kann durchaus nachvollziehen, dass du nicht daran glauben kannst, dass er tatsächlich im Hier und Jetzt lebt. Allerdings würde ich dir raten, ein wenig mehr Vertrauen in seine Worte zu legen. Damit die Beziehung funktioniert, solltest du etwas auf ihn zu gehen. Dass du ihm helfen möchtest, ist doch schon ein guter Anfang.

Ich weiß aber nicht, ob es so gut ist, deine Bedürfnisse so stark zurück zu nehmen, wie du es beabsichtigst. Irgendwann wirst du es ihm erzählen müssen, auf die eine oder andere Weise und du möchtest sicher nicht, dass er durch einen unglücklichen Zufall davon erfährt.

Außerdem beruht eine Beziehung auf Gegenseitigkeit. Du solltest Dan etwas mehr zutrauen als das. Ihr mögt euch zwar schon über drei Jahre kennen, aber ihr habt euch noch nie wirklich kennen gelernt. Was ihr voneinander bisher gesehen habt, war immer die äußere Fassade und das Drumherum. Ihr solltet euch also etwas Zeit nehmen, um euch näher zu kommen und mehr über den anderen zu erfahren. Vielleicht wird es Zeit, dein Geheimnis jemand anderem anzuvertrauen, der weder ein Polizist noch dein Therapeut ist.“

Mir war klar, dass Doc Maverick Recht hatte, aber ich wusste nicht, ob ich mich dazu überwinden konnte. Der Dreh- und Angelpunkt war, dass ich Dan nicht genug kannte, um abschätzen zu können, wie er reagieren würde, wenn er von meinem dunkelsten Geheimnis erfuhr.

So ging meine Stunde am Mittwoch beim Doc rum und ich war nicht einen Schritt weitergekommen. Aber er konnte mir nicht bei allem helfen. Er gab mir immer gute Ratschläge, aber ob ich sie nun umsetzte oder nicht, war mir überlassen. Auch das wie war einzig meine Entscheidung.

Als ich nach Hause fuhr, zerbrach ich mir den Kopf darüber, wie ich es anstellen sollte. Ich wollte Dan natürlich näher kennen lernen, das hatte ich damit bewiesen, dass ich hartnäckig geblieben war, als ich ihn nach Tessa gefragt hatte, aber im Gegenzug konnte ich ihm kaum etwas geben. Zumindest nicht ohne zu enthüllen, wie furchtbar meine Vergangenheit wirklich war.

Es gab einen triftigen Grund dafür, warum ich immer alleine endete. Oder wieso ich Menschen verletzte und sie im Gegenzug auch mich verletzten. Am liebsten wäre ich alleine geblieben, wenn die Einsamkeit nicht so erdrückend gewesen wäre.

Als ich nach Hause kam, war es wie immer still. Ich hatte von Dan in den vergangenen Tagen kaum etwas gesehen. Wir sprachen kaum miteinander und die Proben war auch immer sehr angespannt. Wenn das so weiter ging, würde ich noch durchdrehen. Ich musste etwas tun. Aber wie sollte ich bloß meine grauenhafte Angst überwinden?

 

 

 

 

 

 

Kurz vor Sonnenaufgang ging ich wieder runter in die Wohnung und fütterte Ben, bevor ich duschen ging, mir einen Rucksack schnappte und in die Küche ging, um das nötigste für den Tag einzupacken. Dabei stieß ich bedauerlicherweise auf Lenne. Es fiel mir unheimlich schwer sie nicht zu beachten und noch schwerer fiel es mir, mich bei meiner Antwort nur kurz angebunden zu halten, aber hätte ich sie angesehen, hätte das mein Vorhaben gleich am ersten Tag wieder zunichte gemacht. So bemühte ich mich also gleichgültig zu wirken und machte, dass ich weg kam.

Die dreistündige Autofahrt über starrte ich mehr aus dem Fenster als alles andere und versuchte Ben abzulenken, indem ich ihn halbherzig mit meinen Fingern spielen ließ. Gut, dass Frank mir einen Fahrer zur Verfügung gestellt hatte, sonst hätte ich vermutlich Bekanntschaft mit dem nächstbesten Baum gemacht, so zerstreut wie meine Gedanken waren.

Als wir um Elf Uhr endlich die Stadtgrenze erreichten setzte ich mich auf und genoss den Ausblick bekannter Landschaften. Komisch, ich war nur gut zwei Wochen weg gewesen und doch schien ich die Gegend vermisst zu haben. Ich ließ mich bei Chase absetzen und sagte dem Fahrer, er solle sich einen schönen Tag in der Stadt machen, ich würde ihn gegen acht am Abend anrufen und ihm sagen, wo er mich wieder aufsammeln konnte.

Etwas träge erklomm ich die drei Stufen zu den Klingeln des Mehrfamilienhauses und drückte Chase Klingel, bevor ich es mir anders überlegen konnte. Klar, er war mein Freund, aber der Grund, wieso ich grade bei ihm zuerst aufschlug, würde uns wieder in derbe Diskussionen führen. Es dauerte einen Moment bis endlich der Summer erklang und ich die Türe aufdrücken konnte, schließlich stand ich aber dann im zweiten Stock vor seiner Türe und fing mir einen verschlafenen Blick ein, als er die Türe öffnete.

„Was machst du denn hier? Hast du schon die Schnauze voll oder haben sie dich raus geschmissen?“

„Sehr witzig. Lässt du mich rein oder schlägst du mir die Tür vor der Nase zu und gehst wieder ins Bett?“

„Man beantwortet eine Frage nicht mit einer Gegenfrage. Wie kommst du überhaupt her, es ist Sonntag.“

„Sagte er und fragte selber. Sonntag bedeutet nicht gleich, dass die ganze Welt schläft. Ich bin mit dem Auto hier, die Firma hat mir einen Fahrer gestellt.“

Schulterzuckend deutete Chase in die Wohnung und schloss die Türe hinter mir, als ich eintrat.

„Ich dachte du wolltest dich so wenig wie möglich auf die Firma stützen?“

„Besser so, als drei Stunden selber fahren müssen. Was in meiner momentanen Verfassung ohnehin nicht so ratsam wäre.“

„Drei Stunden? Mein Gott, wo haben sie dich hin gekarrt?“

„Ist doch egal oder? Wenn die Dinge nicht so funktionieren wie ich mir das vorstelle, spiele ich am Samstag den Gig und bin danach wieder hier.“

Den Rucksack feuerte ich unter den Wohnzimmertisch und ließ mich dann auf die Couch fallen. Ben hob ich aus meiner Jacke und setzte ihn zu meinen Füßen ab, bevor ich mich zurück lehnte und darauf wartete, dass Chase sich mir gegenüber fallen ließ und mich löcherte. Lange ließ er nicht auf sich warten.

„Warum? Ist es nicht das, was du immer wolltest? Hier raus kommen, durch die Welt touren, nichts tun außer Musik machen? Erzähl mal was, du würgst mich immer ab und sagst du erzählst was beim nächsten mal.“

„Da gibt es nicht viel zu erzählen. Wir sind viel im Studio. Anfangs um uns aufeinander einzuspielen, mittlerweile schreiben wir an unseren Songs. Samstag sollen wir unseren ersten Gig spielen, aber momentan bin ich mir nicht mal sicher, ob ich es überhaupt bis dahin schaffe.“

„Treiben sie dich so in den Wahnsinn? Ich hatte dich immer für unverwüstlich gehalten.“

„Das ist es nicht.“

„Stimmt. Es ist sie oder? Sie ist dir schon ein Dorn im Augen, seitdem sie dich das erste mal von der Bühne ekeln wollte.“

„Eben das ist das Problem. Sie ist nicht mehr unangenehm und verdammt, das spielen mit ihr ist der Wahnsinn. Nur deswegen würde ich ihr die Bühne sang und klanglos überlassen. Sie hat genauso dafür gearbeitet und sie hat es sich verdient.“

„Und wieso genau meinst du ihr irgendwas überlassen zu müssen? Du hast dir genauso den Arsch aufgerissen.“

„Ich kann sie nicht mehr ansehen Chase. Ich kann ihr nichts an den Kopf werfen, ich kann nicht klar denken wenn ich sie sehe. Wenn sie nur in der Nähe ist, ist mein Kopf wie leergefegt.“

Einen Moment beobachtete Chase mich prüfend und zog dann die Stirn in Falten.

„Ich werde das blöde Gefühl nicht los, dass in den letzten Tagen etwas vorgefallen ist, von dem ich nichts weiß. Was ist passiert, dass es dich so umgekrempelt hat. Du warst beim letzten mal am Telefon schon so komisch.“

„Das ist nicht witzig okay?“

„Ist es auch nicht, ich mache mir Sorgen. Das letzte mal als du so drauf warst, hattest du dich böse mit Tessa verkracht.“

„Wir hatten uns nicht verkracht, wir hatten nur-“

„Ihr hattet euch verkracht, und wie, aber das ist egal. Was hat sie gemacht, dass es dir so den Kopf verdreht?“

Was sie gemacht hatte? Wenn wir ganz zum Anfang gingen, war ich es, der es verbockt hatte. Ich hätte einfach die Finger von ihr lassen sollen.

„Nein warte. Es ist sie oder? Sie selbst hat dir den Kopf verdreht. Sie hat es geschafft deinen Panzer zu knacken und du weißt nicht wie du damit umgehen sollst.“

„Nein so ist das nicht.“

„Und ob, du hast selbst gesagt dass du nicht denken kannst, wenn sie in der Nähe ist. Du kannst immer denken, selbst wenn es dir Scheiße geht denkst du irgendwas.“

„Nein.“

„Doch, hör auf es abzustreiten wie ein Schuljunge. Das Mädchen ist dir schon immer unter die Haut gegangen, ob du willst oder nicht.“

„Und wenn schon, selbst wenn, ändert das überhaupt nichts.“

„Hast du sie damit konfrontiert? Du nimmst sie so in Schutz, da hätte sie grade von dir doch die Wahrheit verdient, findest du nicht?“

Schnaubend ließ ich den Kopf auf die Rücklehne sinken und stieß dann ein bitteres Lachen aus.

„Sie damit konfrontieren sagt er. Genau, ich gehe einfach zu ihr hin und sage was sie bei mir auslöst, vielleicht versteht sie das ja.“

„Das wäre zumindest ein Anfang. Besser zumindest als wenn du irgendwann einfach über sie herfällst.“

Und genau das hatte ich doch getan oder? Sie hatte so darauf gesetzt mir eine Reaktion zu entlocken und dann hatte ich sie an die Wand gedrängt. Der Gedanke an den Kuss ließ mich in Flammen aufgehen, ich ließ den Moment Revue passieren und verfluchte mich dafür. Ein paar Stunden davon kosten, wie es hätte sein können um dann festzustellen, dass ich keine Chance hatte es behalten zu dürfen. Ja, das war eine super Kurzschlussreaktion Ames, große klasse.

Chase' Stimme war es schließlich, was mich wieder aus meiner verschenkten Zukunft zurück in die Wirklichkeit holte.

„Scheiße D was hast du gemacht?“

„Ich hab sie geküsst okay? Bist du jetzt zufrieden? Das ist es doch, wozu du mir immer geraten hast. Es hinter mich bringen und einen Haken dahinter setzen.“

„Das war ein Witz. Meine Güte man sollte meinen bei deinem IQ könntest du Ernst von Ironie unterscheiden.“

Als ich darauf konstant schwieg, seufzte Chase und fuhr dann fort.

„Du hast sie also geküsst und was dann? Ich gehe nicht davon aus, dass sie dir um den Hals gefallen ist.“

„Doch, um ehrlich zu sein schon. Vielleicht nicht ganz um den Hals gefallen, aber sie war nicht abgeneigt, im Gegenteil. Zumindest zuerst.“

Als ich wieder abrupt schwieg schnaufte er.

„Lass dir nicht alles aus der Nase ziehen, sonst setz ich dich vor die Türe.“

„Es hat funktioniert, ganze zwölf Stunden.“

„Ich Bitte dich, was hast du jetzt wieder verbockt? Abgesehen davon, dass du unausstehlich sein kannst.“

„Ich hab keine Ahnung. Im einen Moment wache ich neben ihr auf und im nächsten merke ich, wie sie mir entgleitet. Es war alles gut, bis sie mich darum gebeten hat, ihr von Tessa zu erzählen.“

„Und du bist natürlich voll ausgeflippt.“

„Nein, ich hab ihr gesagt, dass sie das nicht hören will, aber sie hat darauf bestanden.“

„Also hast du ihr von Tessa erzählt?“

„Ja und ab da an ging alles den Bach runter.“

„Natürlich geht es den Bach runter wenn du ihr erzählst, dass du in deinem jugendlichen Leichtsinn jemanden in den Tod geschickt hast. Ich hätte da auch Angst um mein Leben, wenn ich nicht wüsste, dass du seitdem ein anderer Mensch bist.“

„Das hab ich ihr ja noch nicht mal erzählt, so weit kam ich gar nicht, weil unser Manager rein kam. Aber selbst wenn nicht, hätte ich ihr nicht davon erzählt. Sie wollte nur wissen, was für ein Mensch sie gewesen ist, also hab ich ihr auch nur das erzählt was sie hören wollte.“

Dieses mal war es an Chase zu schweigen. Als es unnatürlich lange ruhig blieb sah ich ihn an und erntete ein fassungsloses Kopfschütteln.

„Das ist viel schlimmer. Eigentlich hättest du ihr sogar noch einen Gefallen damit getan, wenn du ihr erzählt hättest wieso sie nicht mehr da ist. Verdammt Dan wie kann man nur so blöd sein.“

„Was? Sie wollte das hören, also hab ich es ihr erzählt.“

„Wie du Tessa als deinen Engel in den Himmel hebst? Das wollte sie ganz sicher nicht hören, verlass dich drauf.“

„Das hab ich überhaupt nicht.“

„Nein natürlich nicht, genauso wie du behauptest, dich nie mit ihr gestritten zu haben.“

„Haben wir auch nicht, wir hatten-“

„Nur gelegentliche Meinungsverschiedenheiten, vor allem in der letzten Zeit. Klar. Weißt du Darian, rede dir das ruhig weiter ein, lebe in deiner kleinen Heilwelt, aber ich hab Tessa auch gekannt, mir kannst du nichts vormachen. Wir wissen beide, dass sie nicht perfekt war, also hör auf sie so darzustellen. Es wundert mich kein bisschen dass Parker dir davon läuft. Ganz ehrlich, welche Frau, die etwas auf sich hält, würde im Schatten einer solchen Vorgängerin leben wollen oder noch viel besser, welche Frau würde mit jemandem zusammen sein wollen, der in seiner Vergangenheit lebt? Du solltest vielleicht erst einmal den Weg ins Hier und Jetzt finden, bevor du drüber jammerst, dass du nicht voran kommst.“

„Das habe ich doch längst! Ich hab doch versucht dieses Aufkeimen von Hoffnung zuzulassen, aber sie hat es platt gemacht, bevor es überhaupt die Chance dazu hatte. Sie ist auf Abstand gegangen und hat sich eingeschlossen, während ich mir den Kopf darüber zerbrochen habe. Du sagst ich wäre selber Schuld, aber hätte ich ihr Tessa ewig verschweigen sollen? Sie war acht Jahre lang teil meines Lebens, das lässt sich nicht ausradieren, vor allem nicht, weil ich ihren Namen schreie wenn ich in meinen Träumen versuche sie aus diesem Wrack zu ziehen.“

„Du weißt dass das so nicht gewesen ist. Du hättest sie nicht retten können.“

„Natürlich weiß ich das, aber es hält mich nicht davon ab zu träumen, dass ich sie hätte retten können! Ich weiß selbst am besten wie es ist, in einem Blechkäfig eingepfercht zu sein, dazu gezwungen zu sehen, was man angerichtet hat, solange, bis sich dieses Bild auf ewig in dein Hirn gebrannt hat! Glaubst du es macht mir Spaß nicht zu schlafen?! Glaubst du es ist lustig, es mal für mal erneut zu durchleben, wenn ich einschlafe?! Ich will doch loslassen, aber irgendetwas hindert mich daran und ich weiß nicht was!“

„Komm mal wieder runter und brüll hier nicht so rum, ich habe Nachbarn.“

„Natürlich, er macht sich sorgen um seine Nachbarn.“

Wutentbrannt schwang ich mich von der Couch, packte mir Ben und meinen Rucksack und steuerte Richtung Tür, wo Chase mir den Weg versperrte.

„Ich mache mir Sorgen um dich und unglaublicher weise auch um Parker. Ich weiß, dass du ihr nicht weh tun willst, aber das wirst du wenn du jetzt zurück fährst, wenn du das nicht schon getan hast. So wie ich dich kenne bist du abgehauen ohne ein Wort zu sagen. Wenn sie wirklich was für dich übrig hat, hast du sie damit mehr verletzt als mit der Sache mit Tessa. Du solltest wieder runter kommen und das grade biegen, wenn sie dir wirklich etwas bedeutet und zwar schnell, denn sonst befürchte ich, dass du sie endgültig verlierst. Sollte es wirklich so weit kommen kann ich nur sagen, war schön dich gekannt zu haben, denn dann heißt es für dich Game over mein Freund. Denk wenigstens dieses eine Mal darüber nach, bevor du etwas tust.“

„Geh mir aus dem Weg.“

„Meinst du, du machst es besser, indem du jetzt allem ausweichst? Ich sag dir gleich, das funktioniert nicht, du machst es nur schlimmer. Du musst endlich mit jemandem darüber reden.“

„Damit sie mich wieder einsperren? Vergiss es, nur über meine Leiche.“

„Du hast Angst Darian und zwar nicht davor, dass sie dich wieder festbinden. Du willst sie nicht verlieren, aber das wirst du, wenn du dich nicht endlich in den Griff kriegst. Schließ endlich damit ab, rede darüber und wenn es nur mit ihr ist. Frag sie nach ihrer Meinung aber Herrgott nochmal, lass sie nicht außen vor.“

„Das hab ich doch versucht, verdammt noch mal! Ich hab ihr Dinge erzählt, die ich sonst nur für mich behalte, aber so etwas funktioniert nun mal nicht einseitig. Was soll ich denn machen, wenn sie sich vor mir verschließt?“

„Ihr zwei habt so ein höllisch großes Kommunikationsproblem. Ihr solltet vielleicht erst mal damit anfangen, miteinander zu reden, anstatt euch direkt um den Hals zu fallen.“

„Du bist keine große Hilfe.“

„Und du kommst hier her und überfällst mich. Hätte ich gewusst dass du kommst, wäre ich früher aufgestanden, aber erzählt hätte ich dir das gleiche.“

„Wie gesagt, keine große Hilfe. Und jetzt lass mich durch.“

Seufzend trat er zur Seite und öffnete mir sogar noch die Tür.

„Aber du weißt das ich Recht habe.“

Ich ging nicht weiter darauf ein und verschwand einfach. Ich war eigentlich zu Chase gefahren, weil ich mir irgendeine Hilfe erhofft hatte, aber das war voll nach hinten losgegangen. Sicher wusste ich, dass er Recht hatte, aber das wollte ich gar nicht hören. Im Grunde wusste ich überhaupt nicht, was ich überhaupt wollte. Doch, ich wollte endlich mein Leben leben und zwar so, dass es funktionierte. Ich wollte, dass alles in geregelten Bahnen verlief, ich wollte Abends ins Bett gehen ohne Angst haben zu müssen schreiend wieder aufzuwachen und wenn ich darauf hörte, was mein Bauchgefühl mir zu sagen versuchte, dann wollte ich auch Lenneth. Es tat gut neben ihr aufzuwachen, sie festzuhalten und es war gut gewesen, so wie es gewesen war. Es hatte nur nicht angehalten. War das denn zu viel verlangt gewesen?

Ziemlich ziellos und mit mehr Gedanken im Kopf als mir gut tat wanderte ich den halben Tag durch die Stadt, hielt mich mal hier, mal dort auf und versuchte ein paar Antworten zu finden, bedauerlicherweise erfolglos. Irgendwann am Nachmittag landete ich dann in Rob's Club. Mit Ben unter dem Arm betrat ich am Türsteher vorbei wie selbstverständlich den Club und fühlte mich gleich wohl. An dem kleinen Laden hingen so viele Erinnerungen, dass es mir irgendwie beinahe erdrückend vorkam.

Wie von alleine führten mich meine Füße hinter die Bühne, vorbei an den ganzen Musikern die darauf warteten auf die Bühne zu dürfen, bis hin zu Rob's Büro. Wie immer öffnete ich die Tür ohne zu klopfen, was mir ein unfreundliches Brummen einbrachte, bis er schließlich aufsah, mich erkannte und begann zu lächeln.

„Darian, was machst du denn hier? Heimweh?“

Die Frage hatte ich heute schon ml gehört.

„So was in der Art schätze ich. Wie läuft das Geschäft ohne deine besten Acts?“

Ich grinste ihn an und erhielt ein ebenso breites Grinsen zurück.

„Wie das Geschäft so läuft, wenn man eine enttäuschte Menge davon überzeugen muss, dass die Hauptacts nicht mehr auftreten. Wie läuft es bei den Hauptacts?“

„Frag besser nicht.“

„So schlimm?“

„Wenn das so weiter geht, kannst du mich ab nächste Woche wieder einplanen.“

„Autsch.“

„Jepp. Man sollte meinen, nachdem wir uns einmal ein gekriegt hatten und uns näher gekommen waren sollte es laufen, aber es ist eher noch viel schlimmer. Sie zieht sich noch viel weiter zurück wenn ich sie irgendetwas frage und langsam reicht es mir. Seitdem wir vor gut zwei Wochen hier weg sind versuche ich nett zu ihr zu sein, aber ich habe langsam das Gefühl, sie wehrt sich regelrecht dagegen. Als es dann angefangen hat zu funken dachte ich eigentlich, dass es nur noch besser werden kann, aber wir scheinen vorgestern Abend bereits den Höhepunkt erreicht zu haben, danach ging es schwer bergab.“

„Ihr seid euch also näher gekommen.“

„Ja schwer vorstellbar ich weiß.“

„Nein eigentlich nicht. Wir wussten hier alle dass es irgendwann passiert, es war nur eine Frage der Zeit und der Gegebenheiten.“

„Ach ja? Meinst du nicht, ein Wort der Warnung wäre angebracht gewesen?“

„Ach wieso, ihr passt gut zusammen, was ihr bewiesen habt. Ich frage mich nur, ob das nicht alles etwas schnell gegangen ist. Ich meine, ihr wohnt weniger als zwei Wochen zusammen, zwangsweise. Ich weiß ja nicht wie weit ihr gegangen seid, geht mich auch nichts an, aber so wie du klingst, erwartest du viel zu viel. So etwas braucht Zeit um sich wirklich zu entwickeln und du darfst nicht glauben sie zu kennen, nur weil ihr drei Jahre lang nebeneinander her gelebt habt.“

„Das ist ja das Problem. Sie sagt, sie will dass das funktioniert, gibt aber nichts von sich Preis und wenn ich sie danach Frage, macht sie vollkommen dicht. Ich kann damit nicht umgehen.“

„Natürlich kannst du damit nicht umgehen, weil sie sich nicht so selbstverständlich öffnet anderen gegenüber. Sie bleibt eher für sich, weil sie weiß, dass sie sich auf sich verlassen kann, was sie bei anderen vielleicht nicht erwartet. Sie geht keine Risiken ein und sie wird ihre Gründe dafür haben. Du musst ihr Zeit geben um sich dir zu öffnen, sie ist nicht Tessa weißt du?“

Seufzend schloss ich die Augen und atmete tief durch, um mein Blut in Schach zu halten das drohte, wieder aufzuwallen. Erst als ich mir sicher war, dass ich nicht wieder ausrasten würde, öffnete ich die Augen und sah Rob ins Gesicht.

„Ich weiß, dass sie nicht Tessa ist. Das will ich auch gar nicht, nur irgendwie scheint mir das niemand zu glauben. Ich will ja auch überhaupt nicht, dass sie wie Tessa ist, noch will ich, dass sie sie ersetzt. Ich will einfach nur, dass Lenne ist wer sie ist und dass sie so bleibt, denn sie ist gut so.“

Komischerweise bekam ich darauf nur ein Schmunzeln von Rob. Ich wusste nicht was ihn daran so amüsierte und als ich ihn fragen ansah, schüttelte er nur mit dem Kopf.

„Was denn?“

„Ich finde es nur interessant wie sich die Dinge verändern. Früher habt ihr Gift gespuckt wenn ihr euch über den Weg gelaufen seid. Ihr habt euch beschimpft und es war für euch beide immer eine Qual einander sehen zu müssen, wobei ihr euch immer nur angeschrien habt. Wenn es gut lief habt ihr euch grade mal mit Nachnamen angesprochen, wenn überhaupt und jetzt nennst du sie Lenne.“

„Na und, so heißt sie nun mal, außerdem kann ich nicht mehr genug Abneigung gegen sie aufbringen um sie auch nur noch Parker zu nennen. Ich bin zwar momentan ziemlich angepisst, aber deswegen hasse ich sie ja nicht.“

„Es hat dich wirklich übel erwischt oder? Ich hab dich schon lange nicht mehr so über jemand anderen reden hören.“

„Vermutlich. Kann sein, ich bin mir nicht sicher, was sich da genau zusammen braut, aber ich weiß mit Sicherheit, dass ich sie und auch das ganze Projekt nicht einfach so aufgeben will.“

„Und wieso spielst du dann trotzdem mit dem Gedanken, alles hinzuschmeißen?“

„Weil ich nicht mehr kann Rob. Ich will mich nicht ständig zurück weisen lassen, es fängt an weh zu tun wenn sie sich von mir abwendet und ich weiß, dass ich daran kaputt gehe, wenn ich mich zu sehr da rein steigere. Es ist einfacher jetzt auszusteigen, als am Ende daran zu zerbrechen.“

„Hm, okay. Hast du eine Ahnung wieso sie dich ausschließt?“

„Nein, keine Ahnung. Chase sagt, es liegt daran, dass ich ihr von Tessa erzählt habe, wobei ich ihr wirklich nur von Tessa selbst erzählt habe. Ich bin der Meinung, sie hätte es früher oder später ohnehin erfahren. Ich kann nicht ein drittel meines Lebens verschweigen.“

„Der Meinung bin ich wohl auch. Wie lange läuft da schon was zwischen dir und Lenneth?“

„Ich weiß es nicht genau. Bewusst aufgefallen ist es mir vor vier oder fünf Tagen, schwer zu sagen eigentlich.“

„Ich will dir ja keine Vorwürfe machen, aber du erwartest zu viel. Gib der ganzen Sache, was auch immer sich da zwischen euch entwickelt, einfach mehr Zeit. Du kannst nicht mit dem Finger schnippen und erwarten, dass es läuft. Ihr habt quasi mittendrin angefangen, vielleicht solltet ihr euch erst mal ausgiebig kennen lernen. Wer weiß, vielleicht stellt ihr ja auch fest, dass das anfängliche Geknister wirklich nur das war und das es gar nicht funktioniert.“

„Dumm nur, dass wir beide genau das zu wollen scheinen. Eben dass es funktioniert.“

Wissend nickte Rob vor sich hin und schien ernsthaft darüber nachzudenken, bis er dann schließlich wieder aufsah und die Schultern zuckte.

„Dann bleibt euch wirklich nur, mehr Zeit miteinander zu verbringen. Lade sie zum Essen ein oder geh mit ihr tanzen oder ins Kino, was man halt so macht. Ihr seid jung, ihr habt Zeit, also nutzt sie auch.“

Er sagte das so einfach. Eigentlich war es ja auch einfach. Anstatt einfach zu fliehen, hätte ich sie heute mitnehmen können, oder wir hätten einfach den Tag auf der Couch vertrödelt. Stattdessen war ich abgehauen ohne ein Wort zu sagen und hatte sie nicht mal angesehen. Wie musste sie sich dabei gefühlt haben, als ich sie mit Ignoranz strafte?

„Ich bin so ein Esel.“

„Ich weiß und jetzt auf mit dir.“

„Was? Rob es ist fünf Uhr, der Sonntag ist gelaufen.“

„Dann bleib eben hier, aber dann musst du auf die Bühne.“

„Ich hab überhaupt keine Gitarre mit falls es dir aufgefallen sein sollte.“

Aber ich wusste, das würde ihn nicht hindern. Er hatte jede Menge Instrumente im Hinterzimmer und so wie er mich ansah, wollte er mir links und rechts eine scheuern, wenn ich weiterhin ablehnte. Seufzend ergab ich mich meinem Schicksal und stand auf, wobei ich Ben aus meiner Jacke befreite. Ich erklärte Rob in kurzen Zügen was es mit ihm auf sich hatte und überließ ihn dann ihm. In der Zeit, in der ich mir die Gitarre stimmte, die ich sonst benutzte, wenn ich spontan hier war, schaffte Rob mich so oft zwischen die Gigs und baute mich für den Rest des Abends in die Clubband ein, bis ich mich schließlich von ihm verabschiedete und mich auf den Weg zurück in mein eigentliches Leben machte.  

21

Die ganze Woche war die reinste Tortur gewesen. Ich hatte, abgesehen von gestern Abend ein paar, nicht eine Stunde geschlafen, es war vermutlich einer meiner schlimmsten Wochen. Was die Proben dementsprechend gestaltet hatte. Ich war schlecht gelaunt gewesen, müde und so demotiviert, wie die letzten zehn Jahre nicht. Wenn man bedachte, dass ich Sonntagabend eigentlich mit dem Gedanken zurück gekommen war, alles grade biegen zu wollen, ja dann war alles aus dem Ruder gelaufen, was nur hatte laufen können. Es hatte schon Sonntagabend damit angefangen, dass Lenneth verschwunden und Montagnachmittag erst wieder aufgetaucht war. Während ich in Panik geraten war und sie überall gesucht hatte, war sie in aller Seelenruhe ins Studio gegangen, wo auch immer sie hergekommen war, und hatte mich dann noch dafür angefahren, weil ich zu spät zu den Proben kam. Ich hatte doch keine schlechten Absichten gehabt, wieso ging sie mich also so an? Von da an war es rapide bergab gegangen. Wir schwiegen uns an und egal was ich sagte oder tat, es war alles falsch. Manchmal reichte es schon nur, dass ich einfach da war. Sie sah mich an und fing an zu keifen wie eine wild gewordene. Irgendwann hatte ich mich dann einfach zurück gezogen, was ihr ebenfalls nicht zu passen schien. Dieser rote Faden hatte sich die ganze Woche lang so durchgezogen und ich hatte mehr als ein mal darüber nachgedacht, einfach alles hin zu schmeißen. Chase hatte mir dann jedes mal den Kopf zurecht gerückt wenn ich ihn angerufen hatte, was im laufe der Woche immer häufiger der Fall gewesen war und schlussendlich dazu geführt hatte, dass er nun neben mir stand, während wir den Vorbands beim spielen zusahen.

Als man uns schließlich zusammen rief, damit wir uns fertig machten, klopfte Chase mir auf die Schulter.

„Denk dran, Augen nach vorne, lass dich nicht ablenken.“

„Ich weiß wie man auftritt.“

„Ich weiß, dachte nur es kann nicht schaden dich noch mal dran zu erinnern.“

Mit anderen Worten, egal was sie tat, ich sollte mich nicht aus dem Konzept bringen lassen. Na wenn mir das bei der momentanen Situation mal gelang.

 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

 

Der Soundcheck für den Gig lief problemlos ab, aber ich konnte sehen, dass offensichtlich, dass zwischen mir und Dan etwas nicht stimmte. Die Situation hatte sich über die vergangene Woche nur zugespitzt und bereitete mir Kopfschmerzen.

Selbst Frank war seltsam ruhig und weniger flippig als sonst. Das konnte ich jedoch nur begrüßen, da wir endlich ein mal ein wenig mehr Ruhe hatten und konzentrierter an unsere Arbeit gingen.

Am frühen Abend wurden dann die ersten Gäste eingelassen, die zur Musik des DJ's tranken und tanzten. Dann wurden die Vorbands angekündigt, die vor uns spielen sollten. Wir waren als eine der wichtigeren Bands in der Mitte angesiedelt, wenn die meiste Kundschaft im Haus war.

Aufmerksam hörte ich den Leuten zu, während sie ihr Ding auf der Bühne machten. Sie waren wirklich nicht schlecht und ich verstand, warum sie auftreten durften. Es dauerte nur wenige Songs, bis das Haus gerammelt voll war und die Leute sich vor der Bühne drängten, um die beste Sicht zu haben.

Die Menge tobte bereits jetzt und etliche Hände waren in der Luft, um im Takt der Musik zu winken. Es war atemberaubend. Wenn man bedachte, dass es auch schon ziemlich heiß und stickig im Laden war, hatte der Satz sogar mehr als eine Bedeutung. Aber genau das war es, was ich vermisst hatte, seit ich angefangen hatte, für unser Label zu spielen. Bald war es soweit. Bald konnte ich mich wieder voll ausleben.

Ich erinnerte mich noch an die zahlreichen Proben in der letzten Woche. Die Stimmung war drückend gewesen, da Dan und ich kaum mehr als das Nötigste miteinander sprachen und Eric und Ella die Funken bestimmt sprühen sehen konnten.

Jeden Morgen war ich mit ihm ins Studio gefahren und insoweit verlief das auch problemlos, doch sobald ich ihm in der Nähe von Instrumenten ins Gesicht sah, musste ich mich an Tessa erinnern und was ich mit ihrem Bild getan hatte. Ich fühlte mich gleichzeitig schuldig und war unglaublich wütend und eifersüchtig, dass ich ihn wegen jeder Kleinigkeit anmaulte. Frank hatte sogar die Frechheit besessen, mich zu fragen, ob ich meine Tage hätte. Ich hätte ihn beinahe wieder angesprungen und wirklich erwürgt, wenn die anderen mich nicht festgehalten hätten. Alle außer Dan. Das tat am meisten weh. Dass er mich nicht mehr berührte. Ich wusste, dass er wütend auf mich war, aber ich hatte es bisher noch nicht über mich bringen können, einen Schritt auf ihn zu zumachen.

Abrupt wurde ich aus meinen Erinnerungen gerissen, als Frank mir Blemish in die Hand drückte und mich in Richtung Bühne schob. Die anderen gingen gerade an mir vorbei, um sich bereit zu machen. Wir steckten uns ein, machten uns ein wenig warm und legten mit einer unserer Kreationen los.

Es hatte einen großen Streit über die Songfolge gegeben, nachdem wir das Cover, wie besprochen mit reingenommen hatten. Dan hatte es ums Verrecken nicht als ersten Song gewollt, doch ich wollte es nicht mitten in unseren eigenen Werken haben. Letztlich hatten wir uns alle darauf geeinigt, zwischen unseren Songs mehrere Cover zu spielen, damit dieses eine nicht so stark herausstach.

Die Menge war abgelenkt, als wir begannen und ich konnte sehen, dass wir es mit viel Stammkundschaft zu tun hatten. Dies war die Feuerprobe. Der heutige Abend würde zeigen, ob wir miteinander so gut harmonierten, dass wir auch Wildfremde in unseren Bann ziehen konnten, obwohl wir eine unbekannte Band waren.

Ich glaubte nicht wirklich daran. Nicht, so wie es momentan um uns stand. Das Problem an Bands war immer, dass sich die Mitglieder untereinander verstehen und als Einheit fungieren mussten. Der Großteil aller Bands löste sich bereits in einem frühen Stadium auf, weil die Leute nicht miteinander auskamen.

Obwohl Dan und ich, die eigentlich die Pfeiler des Ganzen sein sollten, völlig im Klinsch lagen, hoben sich bereits nach zwei Minuten die ersten Hände wieder und die Menge begann, nach und nach uns ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Nachdem der erste Song durch war, hingen die ersten bereits am Rand der Bühne und ich hörte es von allen Seiten brüllen.

Wie im Soundcheck gingen wir direkt in den zweiten Song über und absolvierten die Hälfte unseres Gigs ohne Vorkommnisse. Ich genoss den Jubel, sogar die Hitze der Scheinwerfer und den Umstand, dass mir der Schweiß in Bächen am Rücken herunter lief.

Das Blut pulsierte im Takt mit dem Jubel der Zuschauer in meinen Adern, während die Musik tief in mir vibrierte und mich in meiner tiefen Dunkelheit erreichte. Sie fachte das Feuer an, die Leidenschaft, von der ich jeden Tag aufs Neue glaubte, dass sie schon lange gestorben war.

Und plötzlich spielten wir bereits das Intro von 'Just One Yesterday' von Fallout Boy. Ich sah zu Dan hinüber, um zu sehen, ob er für seinen Vocalpart bereit war.

Es war nicht schwer gewesen, den Song aufzuteilen. Wir hatten uns darauf geeinigt, die Strophen abwechselnd zu singen, wie in den anderen Covers auch. Praktischerweise gab es in diesem Song zwei Stimmen, sodass wir ein wenig tricksen konnten. Dan sollte jedoch beginnen.

Als ich ihn so sah, wie er voll konzentriert die Menge beobachtete und alles gab, was er hatte, versetzte es mir einen Stich in der Brust. Bereits als ich ihn das erste Mal gesehen hatte, hatte seine Musik mich berührt. Seine Stimme hatte mich in ihren Bann geschlagen. Ich hatte verstanden, wovon er da sang und das war wohl der Moment gewesen, in dem ich das erste Mal so etwas wie Zuneigung für ihn empfunden hatte.

Als hätte er meinen Blick auf sich gespürt, sah er zu mir herüber, doch seine Augen blieben kalt. Ich meinte, seine Wut darin schwelen zu sehen, doch sicher war ich mir nicht. Aber er hatte wieder diesen Blick aufgesetzt, der aussagte, dass er alle anderen als niedere Kreaturen betrachtete. Dieser Blick, der voller Arroganz war, verursachte bei mir einen Kurzschluss. Ich knirschte mit den Zähnen und trat ans Mikro, als Dan Luft holte, um die erste Strophe zu singen und stimmte sie an seiner statt an.

 

I thought of angels

Choking on their halos

Get them drunk on rose water

See how dirty I can get them

Pulling out their fragile teeth

And clip their tiny wings

 

Ich hörte den kleinen Ruckler, der durch die ganze Band ging, als alles völlig anders lief, als besprochen, doch sie waren professionell genug, ihre Überraschung zu überspielen und flüssig weiterzumachen. Wenn Blicke töten könnten, hätte Dan mich wahrscheinlich in diesem Moment mehrfach umgebracht.

Seine Augen brüllten mich an, wie er es sonst getan hätte. Ich dachte beim Singen jedoch nur an die vielen Male in der letzten Woche, in denen ich vor Tessas zerfetztem Bild gestanden hatte, mit dem Wunsch es noch einmal zu malen, um es noch einmal zerfetzten zu können.

Ständig hatte ich ihr Gesicht vor mir. Stellte mir all die glücklichen Momente vor, die sie mit Dan gehabt hatte und betrachtete meine Zeit mit ihm. Ich hasste sie gleichermaßen, wie ich mich hasste.

Weil ich war, wie ich war, konnte ich ihm nicht das geben, was er mit Tessa gehabt hatte. Ich war genauso kaputt wie er, wie sollte ich ihm jemals helfen, zu heilen? Er würde immer sie sehen, wenn er mich ansah und sich an die schönen Zeiten erinnern, wenn wir uns wieder in den Haaren lagen. Er würde mich unweigerlich wegen ihr verlassen, nur weil ich nicht sie sein konnte! Wie anders hätte ich mir erklären können, dass er sie bis heute nicht vergessen konnte?

Ich bekam es kaum mit, wie Dan den Part anstimmte, den ich hätte singen sollen.

 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

 

Was zur Hölle tat sie denn da? Wieso sang sie meine Zeilen? Ich hoffte fast, dass sie die Zeilen anstimmte weil sie dachte, ich würde mich weigern, wie schon so viele male in der vergangenen Woche, aber ein Blick zu ihr herüber zeigte mir ihren verhassten Blick. Und noch mal, was zur Hölle? Sie warf mir die Worte an den Kopf und spuckte sie mir ins Gesicht und da wusste ich, dass es hier nicht nur um den Song ging. Die Zeilen waren plötzlich viel zu persönlich und ich wusste, dass wir hier nicht heil raus kommen würden. Dumm nur, dass ich nicht genau wusste, was sie mir da an den Kopf warf. Nachdem sie mit meinen Vocals geendet war beschloss ich, es ihr gleich zu tun und mir ihren Text zu nehmen.

 

Anything you say can and will be held against you

So only say my name

It will be held against you

Anything you say can and will be held against you

So only say my name

 

Ebenso wie sie mir meine Zeilen an den Kopf warf, schleuderte ich ihr ihre entgegen und hoffte darauf, dass sie sah wie ernst es mir war. Ich wollte, dass sie aufpasste was sie sagte, weil ich das Gefühl hatte, gleich aus der Haut zu fahren. Außerdem meinte ich zu erkennen, wie sie sich der Meinung aller anderen anschloss. Hatte ich ihr nicht versucht zu erklären, dass ich nicht so war, wie sie alle behaupteten? Aber wie sollte ich ihr das jetzt begreiflich machen, bei dem was sie grade von mir sah. Wie ich auf der Bühne stand, voll auf die Masse konzentriert und darauf bedacht, das Bild von dem Kerl aufrecht zu erhalten, den sie alle sehen wollten. Arrogant, überheblich, aufgeblasen. Ich hatte ihr versucht zu zeigen, wie ich wirklich war, aber das war wohl nicht angekommen. Grade das war es, was mich tiefer traf als alles andere. Ich hatte ihr beweisen wollen, dass sie mich vielleicht hätte mögen können, aber wenn sie das gar nicht wollte, konnte ich es noch so sehr versuchen.

Mit dieser Erkenntnis ließ ich den letzten Funken Hoffnung ziehen und fasste den Entschluss, nach diesem Gig einen Schlussstrich zu ziehen. Ich wusste zwar, dass es nicht gut war, während einer Kurzschlussreaktion solche Entscheidungen zu treffen, aber ich konnte das nicht länger.

Wie besprochen begann ich den Refrain und Lenneth stimmte ein, was ganz gut funktionierte, was aber nur daran lag, dass er zweistimmig war, sodass es keinen Streitpunkt darüber geben konnte, wer ihn sang.

 

If heaven’s grief brings hell’s rain

Then I’d trade all my tomorrows

for just one yesterday

(I know I’m bad news)

For just one yesterday

(I saved it all for you)

Oh, I want to teach you a lesson in the worst kind of way

Still I’d trade all my tomorrows for just one yesterday

(I know I’m bad news)

For just one yesterday

(I saved it all for you)

For just one yesterday

 

Wo ich vorher gedacht hatte, der Refrain würde einigermaßen friedlich ablaufen, hatte ich mich jetzt definitiv geirrt. Wir versuchten uns gegenseitig runter zu putzen und warfen uns die Sätze an den Kopf, als könnten wir uns gegenseitig damit verletzen, was grundlegend ganz gut funktionierte, wobei ich das gar nicht gewollt hatte. Sie hingegen schien genau darauf abzuzielen, was mich nahtlos wutentbrannt in die nächste Strophe fliegen ließ.

 

Letting people down is my thing, baby

Find yourself a new gig

This town ain't big enough for two of us

 

Ich versuchte ihr mit den drei Zeilen einen Vorwurf zu machen, also ließ ich es spöttisch klingen, weil es genau das war, was sie von mir zu sehen schien und es genau das war, was sie blind machte. Ich sang zwar, dass sie gehen sollte, wusste aber, dass ich derjenige war, der an diesem Abend das Handtuch werfen würde. Ich würde gehen und ihr alles überlassen, auch wenn es mir schwer fiel, da mir das alles ziemlich ans Herz gewachsen war. Es würde mir fehlen, mit den anderen im Studio zu sein, mit ihnen zu spielen und mit ihnen rum zu albern. Es würde mir fehlen ein Teil von etwas zu sein, das vielleicht hätte gut werden können, wenn es anders gelaufen wäre. Das würde es vermutlich sein, was mich schlussendlich wieder in meine Grube warf. Alleine sein, nichts mit sich anzufangen zu wissen und darauf hoffen, dass es schnell vorbei sein würde. Ich wollte nicht dorthin, an diesen dunklen Ort, aber ich wusste, dass es sich nicht mehr verhindern ließ.

War ich letzte Woche wirklich noch froh darüber gewesen, dass Chase mich davon abgehalten hatte, mir ein Ende zu setzen? Es konnte nicht mehr lange dauern, bis es wieder dazu kommen würde. Ich gab mir höchstens eine Woche.

Ich überlegte noch, ob ich vergebens versuchen sollte mich dagegen zu wehren, mit dem wissen, dass ich es ohnehin nicht verhindern konnte, oder ob ich mich einfach gleich fallen lassen sollte, als sie mir schon wieder die nächsten drei Zeilen stahl, die eigentlich ohnehin ihre gewesen wären.

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

 

Ich spürte Dans Blick auf mir und sah ihn immer wieder an. Er schien mich die ganze Zeit anzustarren. Die Menge war völlig vergessen, doch die Leute waren so in die Musik versunken, dass sie den Krieg auf der Bühne gar nicht zu bemerken schienen. Der Jubel wurde sogar lauter, wenn mich nicht alles täuschte.

Als er seine Zeilen sang und mich dabei intensiv anstarrte, konnte ich nicht anders, als einen Angriff darin zu lesen. Ich wusste, dass er sauer war, immerhin hatte ich den Song komplett umgeschmissen, aber die gesamte Aussage dieser läppischen drei Zeilen, verstärkten nur diesen Mantel aus Arroganz, der ihn umgab und brachten mich zur Weißglut. Bevor er weitermachen konnte, unterbrach ich ihn und stahl ihm die nächsten drei Verse.

 

I don't have the right name

Or the right looks

But I have twice the heart

 

Auch wenn er nicht erkennen konnte, was er an mir hatte, würde ich mich nicht von ihm unterkriegen lassen. Ich war nun einmal nicht Tessa und würde es auch niemals sein, aber wenn er mich nur ließe, würde ich heller strahlen, als sie es jemals gekonnt hätte!

Lange würde ich mir die kalte Schulter nicht mehr gefallen lassen. Morgens grüßte er mich nicht mehr, nahm sich lediglich den Kaffee, den ich kochte und verkroch sich mit Ben in seinem Zimmer. Er kam auch nicht einmal mehr zum Essen heraus! Nach ein paar Tagen, hatte ich aufgehört, für ihn mitzukochen. Sollte er doch sehen, wo er blieb! Wieso sollte ich mir für jemanden Mühe machen, der nicht einmal versuchte, zu verstehen, warum ich mich nicht einfach öffnen konnte?

 

Anything you say can and will be held against you

So only say my name

It will be held against you

Anything you say can and will be held against you

So only say my name (name)

 

Sangen wir gemeinsam. Für mich fühlte es sich an, als würden wir uns Gegenseitig mit dem Gleichen anschreien und beschuldigen. Als wir den Refrain erneut erreicht hatten, hatten wir uns jedoch insoweit eingekriegt, dass er wie geplant ablief.

 

If heaven’s grief brings hell’s rain

Then I’d trade all my tomorrows

for just one yesterday

(I know I’m bad news)

For just one yesterday

(I saved it all for you)

Oh, I want to teach you a lesson in the worst kind of way

Still I’d trade all my tomorrows

for just one yesterday

(I know I’m bad news)

For just one yesterday

(I saved it all for you)

For just one yesterday

 

Währenddessen ließen wir einander nicht aus den Augen. Das war ein Kampf, den wir auf der Bühne ausfochten und keiner hatte die Absicht, ihn zu verlieren.

Bei der nächsten Strophe, die meine sein sollte, sang ich grade mal die erste Zeile, als Dan dazwischen fuhr.

 

If I spilled my guts

 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

 

The world would never look at you the same way

 

Für mich war der erste Satz der Strophe so ziemlich sehr weit entfernt vom Rest des Textes, trotzdem war ich der Meinung, dass niemand mehr sie so sehen würde, deswegen fuhr ich ihr über den Mund und sang den zweiten Vers, wobei sie sich beim Rest wieder fing und sich einschaltete.

 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

 

Die Worte klingelten in meinen Ohren und mir wurde kurzzeitig schlecht. Ich befürchtete sogar, von der Bühne zu fallen und mich mitten in der Menge zu übergeben. Meine Gedanken wanderten zu den unzähligen Bildern, die nun in meinem Atelier standen.

Ich hatte über die Woche hinweg neue und vor allem größere Leinwände gekauft und angefangen, sie zu bemalen. Es waren Szenen aus der Hölle, die abgetrennte Gliedmaßen, blitzende Messer, Flüsse aus Blut und herausgetrennte Organe zeigten. Ich malte immer nur das Massaker von diesem einen Tag aus verschiedenen Blickwinkeln. Ich hatte so oft neue rote Farbe nachkaufen müssen, dass ich dazu übergegangen war, mehrere Eimer Malerfarbe zu verwenden, statt meiner herkömmlichen Ölfarben.

Danach hatte ich begonnen, auch andere Szenen zu malen, die nicht weniger entsetzlich, aber nicht so bedeutend für mich waren. Ich tat es, ich holte es aus mir heraus, aber es half nicht. Ich war einfach nur taub, wenn ich malte und spürte teilweise meine Finger nicht mehr, wenn ich stundenlang ohne Pause zu Gange war.

Wenn ich daran dachte, dass Dan diese Bilder sehen könnte, wurde mir übel. Wenn ich an die Szenen dachte, während mir Dans gesungene Worte in den Ohren klangen, stellte ich mir vor, wie er mir zu Füßen lag. Die Augen weit aufgerissen und leer, die Haut blass und kalt, das Blut in einer riesigen Pfütze unter seinem Leib, noch heiß und dampfend, während seine Innereien darin verstreut lagen. Die Ränder meines Sichtfelds fransten dabei aus, bunte Punkte hüpften vor meinen Augen und mein Mageninhalt wollte sich mit aller Macht von mir trennen.

Ich zwang mich jedoch im Hier und Jetzt zu bleiben. Dan war nicht tot. Er war weder kalt noch bleich. Er stand neben mir an seinem Mikro, malträtierte seine Gitarre und starrte mich wütend an.

Alles war okay. Alles war in Ordnung. Tief einatmen und wieder ausatmen. Um mich nicht zu verlieren und den Gig zu vergeigen, schaltete ich mich die nächsten Verse der Strophe wieder ein und klammerte mich mit aller Gewalt an meinen Zorn, um an nichts anderes denken zu müssen.

 

And now I'm here to give you all my love

So I can watch your face as I take it all away, away, away

 

Kurz entgleisten ihm die Züge und süße Genugtuung breitete sich in mir aus. Ich wollte ihm einfach nur noch weh tun und wenn dies die einzige Möglichkeit dazu war, dann sollte es so sein.

Mehrmals hatte ich mit ihm reden wollen. Es ihm erklären wollen, auch wenn ich ihm nicht erzählen konnte, warum ich ihm meine Vergangenheit nicht offenbaren wollte. Doch jedes einzelne, verdammte Mal war er ausgewichen, hatte mich ignoriert oder mich mit irgendeiner Entschuldigung abgespeist! Wenn er nicht reden wollte, hätte er es einfach sagen müssen. Einen klaren Schlussstrich ziehen!

Als wir das letzte Mal den Refrain sangen und der Song zu Ende ging, atmeten wir beide schwer, doch keiner wandte den Blick vom anderen ab. Ich konnte ihm ansehen, dass er aufgewühlt war, aber das war ich auch. Wir hatten mit diesem Duell keines unserer Probleme gelöst, doch das war wohl das erste Mal, seit einer ganzen Woche, dass wir ein anständiges Gespräch miteinander geführt hatten, wenn man denn so großzügig war und es so nannte.

Den Rest des Gigs konnte ich nicht mehr so genießen, wie ich es vor gehabt hatte. Aber ich brachte auch keine Unruhe mehr hinein. Das Publikum schien jedoch trotzdem begeistert zu sein. Zumindest hatten sie nichts von ihrem Enthusiasmus verloren, im Gegensatz zu mir.

Ich sehnte das Ende herbei und war unendlich erleichtert, als es kam. Ich verkrümelte mich so schnell ich konnte von der Bühne. Dahinter sah es jedoch auch nicht besonders rosig aus.

Dan packte mich am Arm, als wir hinter dem Vorhang verschwanden und begann mit seiner Tirade.

„Bist du eigentlich völlig bescheuert! Was sollte der Scheiß mit 'Just One Yesterday'? Du hättest uns den ganzen Gig umschmeißen können! Was stimmt bloß nicht mit mir?“

„Mit mir?“, brüllte ich gleichermaßen zurück. „Fass dir doch an die eigene Nase! Komm wieder, wenn du genug Eier in der Hose hattest, um zu einem Therapeuten zu gehen!“ Ich versuchte, meinen Arm loszumachen, doch sein Griff war wie eine Schraubzwinge.

„Das hat ja wohl gar nichts miteinander zu tun!“

„Als ob du das selbst glauben würdest!“ Schallend klatschte meine flache Hand gegen sein Gesicht. Er sah mich entgeistert an und sein Griff lockerte sich, sodass ich mich losreißen konnte.

Den Tränen nahe rannte ich davon und eilte zur Umkleide, die ich mir mit Ella teilte, knallte die Tür hinter mir zu und sank daran zu Boden. Nun liefen mir die Tränen ungehemmt an den Wangen herab und tropften auf meine Hose.

Wie war das alles nur so aus dem Ruder gelaufen? Alles, was ich wollte, war mit Dan zusammen zu sein, aber warum war das nur so schwer?

Wenn nicht ich es war, die ihn fort stieß, dann war er es, der mich mit seinem Schweigen strafte. Es tat so furchtbar weh! So sehr, dass ich einfach nur noch alles beenden wollte.

Ich hatte gedacht, dass die Tage, an denen ich auf Dachkanten stand, vorbei wären, doch nun war ich mir nicht mehr sicher. Ich war mir über gar nichts mehr sicher. Was genau ich eigentlich von mir und Dan wollte. Was ich von diesem Leben wollte. Es lag alles im Dunkeln.

Blind vor Tränen tastete ich mich zu meinen Taschen vor, packte alle meine Sachen zusammen und stieg durch das kleine Fenster, das zum Hinterhof hinter dem Club hinaus ging. Es war nicht sehr hoch, weshalb ich mich herabhängen und dann loslassen konnte. Sobald ich festen Boden unter den Füßen hatte, rannte ich so schnell ich konnte.

Ich wusste nicht einmal, wohin ich rannte. Ich wollte einfach nur weg. Weg von Dan, weg von Frank, Ella und Eric. Weg von meinen Problemen. Weg von dieser Welt.

Ich rannte so lange, bis mir die Lungen brannten und meine Beine weh taten. Bis ich vor Anstrengung keuchte. Ich wollte schreien. Ich wollte hysterisch lachen. Weinen tat ich bereits.

Wie es das Schicksal so wollte, trugen mich meine Beine bis zum Busbahnhof, was nicht sehr weit vom Club entfernt war, da er recht weit außerhalb lag. Kurzerhand ging ich an einen Schalter, holte mir ein Ticket für den Bus, der als nächstes abfuhr und stieg ein.

Ich hielt es einfach nicht mehr aus. Ich konnte das alles nicht mehr. Wie sollte ich es ertragen, jeden Tag Dan zu begegnen, wenn er mich nur noch behandelte, als gäbe es mich nicht? Als wäre ich ein Ärgernis für ihn?

Als der Bus anfuhr, wurde es eng in meiner Brust und ich wusste genau, dass ich mit Weglaufen nichts lösen würde. Aber ich kam ja nicht einmal vorwärts, während ich versuchte, einen Ausweg zu finden. Also konnte ich genauso gut versuchen, vor allem zu fliehen.

22

 Die restlichen Songs leierte ich beinahe nur noch herunter und ich war heilfroh, als wir die Bühne endlich verlassen durften. Sobald wir verschwunden waren wollte ich Lenneth zur rede stellen und fuhr sie dabei an, wobei ich mich verfluchte, weil ich mich nicht unter Kontrolle hatte. Ich hielt sie fest und wollte nicht, dass sie floh, eigentlich wollte ich mich dafür entschuldigen, dass ich sie so rabiat behandelte, aber da hatte sie mir schon eine gelangt und war abgehauen. Um mir nichts anmerken zu lassen blieb ich einfach stocksteif stehen und hoffte, dass die anderen drei nichts sagen würden, aber dass Frank die Füße nicht still halten konnte, war von vornherein klar gewesen.

„Was war das denn?“

Ich sah aus dem Augenwinkel, wie Eric eine abschneidende Bewegung machte um Coleman zum schweigen zu bringen, Ella hielt sich nicht so zurück.

„Frank, ich glaube es ist nicht der richtige Zeitpunkt um die Dinge zu hinterfragen.“

Der Meinung war ich wohl auch, aber er selbst schien nicht sehr an seinem Leben zu hängen.

„Sie war die ganze Woche schon so komisch und schien sich nicht richtig einfinden zu können. Ist irgendetwas zwischen euch vorgefallen?“

Ob etwas vorgefallen war? Das fragte er nicht ernsthaft oder? Klar, er hatte sich die ganze Woche mit fragen zurück gehalten, aber jetzt war der definitiv schlechteste Zeitpunkt um das nachzuholen.

„Das geht sie nichts an.“

„Na ja, im Grunde eigentlich schon, weil ich danach handeln muss. So kann es auf jeden Fall nicht weiter gehen. Ich verstehe ja, wenn ihr euch aus dem Weg gehen wollt, aber wenn sie jedes mal die Auftritte sabotiert, sehe ich mich dazu gezwungen, Lenneth zu ersetzen.“

Bei dem Wort ersetzen, brannten bei mir alle Sicherungen durch. Hier wurde niemand ersetzt und ganz sicher nicht Lenneth. Ich machte zwei Schritte auf Coleman zu und wollte ihn schon an die Wand stoßen, aber Eric hatte schneller geschaltet als ich selbst und trat mir in den Weg.

„Mach das nicht, du würdest es nur bereuen.“

„Was weißt du schon über Reue?“

„Sicher nicht so viel wie du, aber genug um zu wissen, dass du daran zu knabbern hättest.“

„Hast du eine Ahnung.“

Ich wollte Eric beiseite schieben, Coleman hinter ihm trat schon einen Schritt beiseite, aber Eric blieb einfach unbewegt stehen.

„Dann musst du erst an mir vorbei.“

„Du bist ein cleverer Junge, aber du hast dir echt den bescheidensten Zeitpunkt ausgesucht um zu beweisen, dass du auch genauso mutig bist.“

„Das denke ich nicht. Besser du haust mir eine rein als ihm.“

Mir entkam ein kurzes Lachen, weil ich genauso reagiert hätte. Alle anderen aus dem Weg schaffen und für sie einstecken. Das konnte eine ziemlich miese Eigenschaft sein. Noch bevor ich allerdings etwas darauf erwidern konnte, trat Chase dazwischen.

„Hier wird niemandem eine rein gehauen außer dir Darian. Später. Ich freu mich schon drauf. Aber erst müssen wir ausbaden, was du verbockt hast, also komm.“

Er packte mich an der Schulter und wollte mich mit sich ziehen, aber ich blieb wortlos stehen. Ich wusste, dass er nach dem Gig mit Lenneth hatte reden wollen. Ich wusste auch, dass er mir nur helfen wollte, aber wenn er mich jetzt mit ihr in einen Raum pferchte, würde nur einer von uns lebend da heraus kommen, dessen war ich mir sicher.

„Sei nicht so stur und komm mit. Ich halte sie ganz sicher nicht auf und wenn du es nicht tust, dann ist sie weg.“

Was? Mit einem mal hatte es mich aus meiner Welt voller Wut und Verzweiflung heraus katapultiert und alles mit einer Furcht überschattet, die ich nur zu gut kannte. Sofort setzte ich mich in Bewegung und folgte Chase durch die Gänge und bemerkte schnell, dass er auf den Hinterausgang zusteuerte. Mich ergriff wieder diese Panik und da machte ich einen Satz an Chase vorbei.

„Wo ist sie hin?“

Ohne stehen zu bleiben drückte ich die Türe auf und trat in die kühle Nachtluft hinaus.

„Links die Straße runter, immer geradeaus.“

Natürlich. In der Richtung lag der Busbahnhof. Ich hatte mich die Woche schlau gemacht, für den Fall der Fälle, wie ich am besten hier weg käme und mich während des Gigs entschieden, selbst mit dem Bus nach hause zu fahren und meine Sachen zu packen.

„Wie spät ist es?“

Kurzes schweigen.

„Halb zehn.“

Halb zehn. Dann hatte ich noch ein paar Minuten, bis der Bus zu unserer Wohnung fuhr. Trotzdem ließ ich die Füße fliegen und lief solange, bis es mir die Lungen zu sprengen drohte. Erst als ich das Gefühl hatte, keine Luft mehr zu bekommen, machte ich langsamer und bog um die Ecke, in den Busbahnhof hinein. Mein Blick fiel erst auf die Haltestelle, an der Lenneth eigentlich hätte stehen müssen, die aber leer war und dann auf den Bus, dessen Türen sich grade schlossen. Mir schossen zwei Gedanken gleichzeitig durch den Kopf und zwar der, dass sie gar nicht hier war und der, dass sie einfach in einen beliebigen Bus gestiegen war. Bevor ich darüber nachgedacht hatte, setzten sich meine Füße wieder in Bewegung, auf den Bus zu, der grade anfuhr, dabei konnte ich Chase hinter mir brüllen hören, der grade um die Ecke kam.

„Darian, nein!“

Doch ich hörte ihm nicht zu. Wenn sie wirklich in diesem Bus saß, würde ich sie nicht fahren lassen und wenn nicht, riskierte ich grade meinen Kopf für nichts und wieder nichts. Zumindest hätte ich dann meinen Abgang gehabt.

So schnell wie meine Füße mich trugen rannte ich an dem anfahrenden Bus vorbei und geradewegs auf die Straße. Da der Bus jedoch eine Kurve nehmen musste, bevor er auf mich zu kam, war er langsam genug um mich noch zu sehen, wie ich mit ausgebreiteten Armen auf der Straße stand, und machte eine Vollbremsung. Erst als der Bus vollends stand und die vordere Türe aufging, nahm ich die Arme wieder runter und stürmte den Bus. Der Fahrer sah mich entsetzt an und fragte mich, was mit mir nicht stimmte, aber ich ignorierte ihn. Chase konnte ich hörbar hinter mir in den Bus steigen hören, aber auch ihn ignorierte ich und steuerte auf Lenneth zu, die mich ebenso entsetzt ansah wie der Fahrer.

„Was glaubst du, wo du hin willst?“

Ich wollte eigentlich nicht so außer Atem klingen, aber das stechen in meiner Lunge ließ nichts anderes zu. Chase hinter mir klang auch nicht besser, als er versuchte, den Fahrer zu beschwichtigen. Ich bekam nur am Rand mit, wie Chase versuchte mich dazu zu bewegen, wieder auszusteigen, aber meine Aufmerksamkeit galt voll und ganz dem Mädchen, dass da in Tränen aufgelöst vor mir saß. Ich wusste, dass es meine Schuld war und mir drohten die Knie nach zugeben, als Chase mich an den Schultern packte und mich nach draußen schob.

„Kommt schon ihr zwei, der Mann hat zu arbeiten, ihr haltet den ganzen Verkehr auf.“

Ich wollte mich dagegen wehren, denn ich war immer noch nicht bereit, sie einfach so ziehen zu lassen, da bemerkte ich, dass auch Chase so lange wartete, bis sie schlussendlich widerwillig aufstand. Sobald wir draußen waren schlossen sich die Türen hinter uns und der Bus fuhr ohne zögern los. Der Fahrer wollte sich vermutlich einfach so schnell wie möglich vom Acker machen.

Einen Moment lang kämpfte ich mit mir selbst und gab länger als nötig vor, nach Atem zu ringen. Ich wollte nicht sehen, was ich angerichtet hatte, denn ich war definitiv dafür verantwortlich, immerhin war ich der einzige der sie so angegangen hatte. Trotzdem musste ich mich den Tatsachen stellen und sah ihr schließlich ins Gesicht.

„Du kannst nicht einfach abhauen. Wo willst du überhaupt hin, du hast Verpflichtungen und ich glaube nicht, dass deine Katze dort auf dich wartet, wo du hin willst.“

Grade ich fragte sie, wo sie hin wollte, wo ich doch selbst vorgehabt hatte, nach diesem Abend zu verschwinden.

„Was? Willst du noch mehr auf mir rum treten? Bringst du jetzt schon deinen Freund mit, damit er auch was davon hat? Was willst du eigentlich?“

Bevor ich etwas darauf erwidern konnte trat Chase dazwischen.

„Woh ganz langsam. Eigentlich wollte ich mit dir reden Parker. Als ich gesehen hab wie du durch das Fenster kletterst, hab ich ihn geholt. Er läuft schneller als ich, wobei ich grade denke, dass ich dich einfach hätte fahren lassen sollen.“

Dann wandte er sich mir zu und schlug mir an den Hinterkopf.

„Wie redest du überhaupt mit ihr. Kein Wunder das sie abhaut. Mein Gott, du bist ein solcher Idiot.“

„Wieso schlägst du mich? Sie ist diejenige, die sich dünne machen wollte!“

„Nein, du bist derjenige, der schon die ganze Woche droht heute Abend aus zu steigen. Dass sie dir zuvor gekommen ist, ist reiner Zufall.“

„Ach und was macht dich da so sicher?“

„Sieh sie dir doch an. Sieht so jemand aus, der vorhatte sich vom Acker zu machen? Denke ich nicht. Du bist so ein Trottel, du hast sie überhaupt nicht verdient. Du heulst mir die Ohren voll und nimmst sie vor jedem in Schutz, aber ihr selbst gegenüber benimmst du dich wie das letzte Arschloch. Sag mal merkst du noch was?“

„Ich merke, dass du mir grade gewaltig in den Rücken fällst.“

„Ich versuche grade dir zu helfen. Eigentlich solltest du derjenige sein, der ihr sagt, dass du die ganze Woche nicht geschlafen hast wegen ihr. Du solltest derjenige sein der ihr sagt, dass es dir Leid tut und nicht ich. Du musst aufhören zu meinen, dass die anderen ihr die Dinge erzählen, die du über sie sagst und ihr selbst sagen dass du sie bewundernswert findest.“

„Wieso denn, wenn es ohnehin nichts ändert? Sie hasst mich und das ist vielleicht auch besser so. ich bin arrogant, egoistisch und oberflächlich.“

„Nein bist du nicht. Du bist nur einfach ein riesen Idiot, der nicht weiß, wie er sich ausdrücken soll. Man sollte meinen, wo du so gut mit Worten umgehen kannst, würdest du das auf die Reihe kriegen, aber immer wenn es ernst wird, scheinst du die Worte zu verschlucken. Schon irgendwo traurig, wenn man bedenkt, was für ein brillanter Texter du bist.“

„Weißt du was Chase, du kannst mich mal.“

Bevor ich mich vergessen konnte, drehte ich mich um und stiefelte in die entgegengesetzte Richtung davon. Weit kam ich nicht, bevor Chase mich mit seinen Worten dazu zwang, doch noch auf ihn los zu gehen.

„Vielleicht sollte ich ihr die Dinge sagen, die du mir so schön vorgesagt hast. Mal sehen, vielleicht wird ja was draus.“

Sobald er in Reichweite war, packte ich ihn am Kragen und zog ihn an mich ran. Mir kochte das Blut in den Adern, nur bei dem Gedanken daran, dass er es überhaupt bei ihr versuchen würde.

„Lass die Finger von ihr, sonst bekommst du es mit mir zu tun.“

Bei seinem wissenden Lächeln ging mir auf, dass ich ihm voll auf den Leim gegangen war. Ich packte sein Shirt noch fester, um ihm keinen Kinnhaken zu verpassen, aber die Versuchung war groß, vor allem, als er mich dazu einlud.

„Na los, schlag zu. Mal sehen ob es dir danach besser geht. Wenn nicht, schlag noch mal zu. Zeig ihr, was passiert, wenn du restlos die Kontrolle verlierst.“

Es brauchte einen Moment, bis ich meinen Griff lockern konnte und noch mal so lange, bis ich mich wieder unter Kontrolle und ihn vollends los lassen konnte, allerdings nicht, ohne ihn rückwärts von mir zu stoßen.

„Du weißt genau, das ich das nicht mehr bin.“

Dann drehte ich mich um und ging davon. Dabei wollte ich ihn überhören als er mir hinterher rief, aber seine Stimme wurde von den Wänden zurück geworfen, sodass es das überhören unmöglich machte.

„Klar dass du mich nicht schlägst, aber hältst du dich auch bei all den anderen so zurück, die ihr schöne Augen machen?“

Ich wollte ihn ignorieren, aber der Gedanke daran, wie sie von einer Schar Verehrern umwölkt war, ließ es bei mir durchbrennen.

„Weißt du was? Erzähl ihr doch gleich noch wie ich Tessa umgebracht habe. Das nimmt sie bestimmt noch mehr für dich ein!“

Ich drehte mich ein letztes Mal zu ihm um, zeigte ihm den Mittelfinger und drehte mich im gehen wieder nach vorne. Ich kam grade an der Ecke an, als mir ein Mülleimer an einem Haltestellenschild sehr gelegen kam. Ich holte voll aus, schwang durch und trat mit solch einer Wucht vor den Eimer, dass er mit einem lauten Knall davon flog. Gut dass grade kein Auto kam, denn der Eimer landete mit Getöse auf der Straße und ich kam genau drei Schritte weit, als der Schmerz durchkam und ich außer Sichtweite der beiden anderen an der Wand des Bahnhofsgebäudes zusammen sackte.

„Dafür wird er mich so was von hassen.“

„Du bist ja auch genauso ein Idiot wie er, wieso provozierst du ihn auch noch? Weißt du überhaupt was du da anrichtest?“

Ich war definitiv nicht weit genug gekommen, um außer Hörweite zu kommen.

„Ich kenne ihn jetzt zehn Jahre lang, ich kenne ihn gut genug um zu wissen, dass er mir später dafür danken wird.“

Es blieb still, ich konnte beinahe sehen, wie Lenneth die Stirn in Falten legte und ich musste mich beherrschen, um nicht vor Schmerzen auf zu keuchen.

„Sollten wir nicht nachsehen was er zerschossen hat? So wie das gekracht hat, muss das ganz schön weh getan haben.“

„Nein, lass ihn mal machen. Er braucht das manchmal, der kriegt sich schon wieder ein. Besser er tut sich selbst weh, als dass er es an uns auslässt, denn dann würde er im nach hinein nur wieder in Selbstverachtung baden.“

Na große klasse. Vielen Dank Chase. Ich konnte das grinsen in seiner Stimme hören, auch wenn sie wegen der Wände gedämpft klang, aber ich war mir sicher, dass er wusste, dass ich hier saß. Das war viel schlimmer als die Schmerzen, die immer wieder durch meinen Fuß schossen.

„Und wenn du mich fragst, war seine Reaktion mehr als deutlich.“

Es blieb einen Augenblick ruhig, dann sprach Chase weiter.

„Ihr seid beide nicht so ganz helle was das angeht oder? Selbst ich, als absoluter Anti-Romantiker sehe, dass er dabei ist, sein Herz an dich zu verlieren. Er selbst merkt es nicht, leugnet es bei jeder Gelegenheit und du scheinst es nicht sehen zu können. Das ist irgendwie bemitleidenswert.“

„Ich zeig dir gleich was bemitleidenswert ist.“

„Ganz ruhig Hexe, es geht hier nicht um mich, sondern um euch. Ganz ehrlich, ich weiß nicht was er an dir findet, muss irgendetwas sein, was man nicht auf den ersten Blick sieht, aber ihn hat es voll erwischt.“

„Ich glaube wir reden hier von zwei verschiedenen Menschen.“

„Ich bitte dich, du hast gesehen wie schnell er auf hundertachtzig ist, wenn es um dich geht. Mittlerweile ist er so was von empfindlich, wenn es um dich geht und der Trottel bringt es nicht über sich, diesbezüglich irgendetwas zuzulassen. Er hat so eine Heidenangst davor dich zu verlieren, dass er lieber ohne dich weiter macht und hier den Platz räumt und das kam wirklich noch nie vor. Er hat noch nie jemandem freiwillig die Bühne überlassen, du solltest dir also drei Kreuze im Kalender machen.“

„Ja sicher, als ob er sich freiwillig selbst den Stecker zieht.“

„Dann glaub mir nicht, aber ich sag dir eins. Der Junge war so froh, als er endlich mit dir spielen durfte und er hat die ganze Woche über jedes mal so verdammt gequält geklungen am Telefon. Er hatte sich vorgenommen dir alles zu überlassen, aber das hat ihn so gequält, dass er die ganze Woche nicht geschlafen hat, weil er es eigentlich nicht aufgeben will. Er will dich nicht aufgeben und weißt du auch wieso? Weil er mit dir hat, was er mit Tessa nie hatte. Mit dir kann er auf die Bühne gehen und so richtig die Sau raus lassen, das hat er mit ihr nie gekonnt. Sie hat sich immer geweigert, sie war immer viel zu zurückhaltend dafür. Jahrelang hat er versucht sie dazu zu bewegen, mit ihm auf die Bühne zu gehen, aber sie hat sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt. In der Zeit, kurz bevor sie starb, war es besonders schlimm. Stundenlang haben sie darüber diskutiert, was immer darin geendet hat, dass er frustriert das Zimmer verlassen musste. Ich denke das ist es, was ihn schlussendlich davon abgehalten hat, sie davon abbringen zu wollen, zu ihm in das Auto zu steigen. Der rosarote Tessa-Zauber hatte nachgelassen und das hat ihn nachlässig werden lassen. Für die Nachlässigkeit macht er sich heute noch Vorwürfe und es ist egal was du denkst, das ist das einzige was ihn noch an ihr hält. Was ihn jetzt noch von dir fern hält ist schlichtweg die Panik die ihn ergreift, wenn er daran denkt, dass er dich auch verlieren könnte.“

Die Augen schließend lehnte ich den Kopf an die Wand in meinem Rücken und wagte es nicht, mich zu bewegen. Der Kloß der sich in meinem Hals bildete, zusammen mit den Schmerzen die unweigerlich in meinen Fuß schossen, wenn ich mich bewegte, würden mich sofort verraten und ich wollte ganz sicher nicht, dass Lenneth mich so sah. Es reichte mir, dass mir aufging, dass Chase recht hatte. Für sie war es definitiv besser, wenn sie ihm nicht glaubte.

„Sieh mich nicht so an, mir ist es genauso unbegreiflich. Ich weiß nur, dass er daran zugrunde gehen wird. Er wird nicht hier bleiben, wenn er keinen triftigen Grund dazu hat und meines Erachtens nach hat er den nicht. Er will nicht gehen, aber er kann auch nicht bleiben, nicht wenn es so weiter geht wie jetzt, weil er weiß, dass er sich hier kaputt macht. Er weiß, dass er in seine eigene kleine Gruft, wie er es nennt, fallen würde und den Anblick will er dir ersparen. Deswegen und nur deswegen, würde er lieber alles dir überlassen und zuhause alleine, wo ihn keiner sieht, vor die Hunde gehen.“

„Tut mir Leid für dich, aber ich glaub dir kein Wort.“

Und trotzdem klang sie so, als bekäme sie keine Luft. Ich kannte diesen Ton und ich wusste, dass ihr die Tränen in den Augen stehen mussten. Dumm nur, dass ich ihr Gesicht nicht sehen konnte um zu sehen, ob sie ihm wirklich nicht glaubte oder ob es ihr die Luft raubte, grade weil sie ihm doch glaubte.

„Ich weiß, aber jetzt hast du es wenigstens gehört, auch wenn es von mir kommen musste, weil er nicht die Eier dafür hat. Sei ihm nicht böse deswegen, er war schon immer grausig bei so was und ich fürchte, das wird er immer bleiben., aber er hat andere Werte die das definitiv aufwiegen. Du musst ihm nur eine Chance geben, das zu beweisen.“

„Meinst du, das hätte ich nicht versucht? Ich wollte die ganze Woche über mit ihm reden, aber er hat mich jedes mal abgeblockt.“

„Jetzt wird er das nicht mehr tun, da er weiß, dass du es versuchen wolltest.“

„Was macht dich da so sicher? Wie willst du mir versichern, dass er mir zuhört?“

„Komm schon, sag mir nicht, dass dir nicht aufgefallen ist, dass keine Schritte mehr zu hören waren, nachdem er den Mülleimer gekillt hat.“

Ich konnte mir ihr Gesicht grade ziemlich gut vorstellen. Wie sie die Stirn runzelte und sie dann die Augen schloss als ihr aufging, dass ich hier saß und ihnen zuhörte. Ja, Chase würde definitiv dafür leiden müssen. Vor allem weil er mich so weit angestachelt hatte, bis es mit mir durchgegangen war und ich gegen den verkackten Eimer getreten hatte.

„Und ich hab noch gesagt wir sollen nachsehen gehen.“ „Mach dir keine Sorgen, er hat es verdient, so wie er dich eigentlich nicht verdient hätte. Aber ich gönne es ihm, weil ich gesehen hab, wie gut du ihm tust. Das gönne ich ihm wirklich, denn ich denke dass er langsam genug unter Albträumen gelitten hat. Hat er dir erzählt, dass er von dir träumt? Was frage ich überhaupt, natürlich nicht. Na ja, was genau das ist, kann er dir selbst erzählen, wenn ich das nicht wieder für ihn machen muss.“

„Du scheinst nicht an deinem Leben zu hängen. Er wird dir so was von an den Kragen gehen.“

„Soll er das versuchen. Ganz ehrlich? Ich mache mir keine Sorgen darum, dass er in näherer Zukunft nach mir tritt, so wie das gescheppert hat.“

Mir war nicht entgangen, dass die zwei näher kamen und mir konnte genauso wenig sein breites Grinsen entgehen, als sie um die Ecke kamen. Er war noch nicht ganz in meinem Blickfeld, da ging ich ihn schon an.

„Hör auf, blöde Witze darüber zu machen du Arschgesicht, das ist deine Schuld.“

„Nein, das hast du dir selbst eingebrockt und jetzt komm her, ich fahr dich ins Krankenhaus. Das sollte sich jemand mit Ahnung ansehen.“

Als er mir seine Hand reichte er griff ich sie und zog ihn zu mir runter.

„Dafür wirst du so was von büßen.“

„Was, dafür, dass ich deiner Freundin erzähle, dass du sie liebst? Das klingt mir nach einem sehr schlechten Geschäft.“

Trotzdem half er mir auf und dabei konnte ich nicht verhindern, Lenne ins Gesicht zu sehen. Sie sah genauso mitgenommen aus, wie ich mich fühlte, das war aber auch das einzige was ich darin sah. Alles andere schien so schnell zu wechseln, dass ich es nicht benennen konnte. Ich wusste dafür ziemlich genau, was ich meinerseits zur Schau trug. Ich denke, selbst wenn ich gewollt hätte, hätte ich nicht verhindern können, dass sie sah, dass Chase Recht hatte. Ich wollte ihr nicht länger etwas vormachen und mir selbst konnte ich es erst recht nicht mehr, nachdem es mir erst mal aufgegangen war. Ich wollte irgendetwas sagen, aber ich wusste nichts gescheites. „Wenn man solche Freunde hat, braucht man keine Feinde.“ war das einzige was mir grade einfiel, also sprach ich es aus, weil ich irgendetwas sagen musste. Damit versuchte ich die Stimmung aufzulockern, aber ich merkte selbst, dass es mir nicht gelang, also überließ ich Chase das reden.

„Du solltest vielleicht zurück gehen und den anderen Bescheid sagen, was passiert ist. Wenn du seine Würde bewahren willst, kannst du ja erzählen, er wäre mehr als ungünstig umgeknickt. Wenn er Glück hat, ist es wirklich nur verstaucht, aber das glaube ich weniger. Wie gesagt, so wie das gescheppert hat. Du kannst allerdings auch mitkommen wenn du willst, ich hab Platz im Auto. Kannst es dir ja überlegen, wir müssen vorerst ohnehin in die gleiche Richtung.“

Er zuckte überschwänglich mit der Schulter, auf die ich mich stützte, was mich ins wanken brachte und dafür sorgte, das ich lauthals fluchte, als ich mit dem schmerzenden rechten Fuß auftrat.

„Spiel hier nicht den sterbenden Schwan.“

„Der sterbende Schwan zeigt dir gleich, das seine Hände noch sehr gut funktionieren und du dich in gefährlich guter Reichweite befindest, wenn du nicht endlich die Schnauze hältst.“

Beschwichtigend hob er die Hände und stützte mich dann, wobei er sich an Lenne wendete.

„Denk in Ruhe drüber nach. Er ist kein schlechter Kerl, er ist nur zu lange alleine gewesen um zu wissen wie man richtig mit anderen Leuten umgeht.“

„Und er ist direkt neben dir und dreht dir den Hals um, wenn du nicht langsam mal die Fresse hältst. Du laberst zu viel, kein Wunder, dass du keine abkriegst.“

„Der kleine aber feine Unterschied zwischen nicht wollen und nicht können, mein Freund. Wir sind das beste Beispiel.“

„Wie gesagt, wenn man solche Freunde hat.“

Dieses mal sah ich Lenne dabei an, als ich das sagte, ließ den Rest des Satzes aber verklingen, denn ich konnte froh sein, einen Freund wie Chase zu haben, auch wenn seine Methoden nicht immer die besten waren. Außerdem merkte ich, wie mir die Schmerzen anfingen das Bein hoch zu kriechen.

„Können wir bitte gehen, das tut echt verdammt weh und wenn das so weiter geht befürchte ich, dass sie den Fuß abnehmen müssen.“

Ich wusste zwar, dass es nicht dazu kommen würde, aber es tat trotzdem scheiße weh und ich war mir sicher, das mindestens ein Knochen durch war, dementsprechend wollte ich hier einfach nur weg und hoffte dies mit dramatisierenden Andeutungen zu beschleunigen. Zum Glück setzte Chase sich in Bewegung, allerdings nicht, ohne einen entsprechenden Spruch fallen zu lassen.

„Wie kann man auch so blöd sein Mann. Das Ding ist aus massivem Kunststoff und du kickst es durch die Gegend, als wäre es ein Fußball. Wie kommst du auf die Idee, dass das gut gehen kann?“

„Halt einfach die Klappe Chase, sonst sehe ich mich dazu gezwungen dich mit dem Eimer zu erschlagen und selbst ins Krankenhaus zu humpeln.“

„Und du glaubst, das schaffst du in deinem Zustand?“

„Lass es lieber nicht darauf ankommen, du weißt wozu ich fähig bin.“

„Ja, leider. Dann komm, bevor dir der Fuß abfällt.“

Auf dem Weg über die Straße sammelte Chase die Überreste der Tonne auf, legte sie am Rand des Bürgersteiges ab und dann setzten wir langsam den Weg zurück zum Club fort. Es war mir unangenehm, dass Lenne die ganze Zeit über schwieg, aber ich sollte vermutlich froh darüber sein, dass sie uns überhaupt folgte. Ich hoffte nur, dass ich die Gelegenheit dazu bekommen würde, mit ihr über das gesagte zu reden. Ich hatte ein paar Dinge klar zu stellen, über die ich vor Chase nicht reden wollte, weil sie ihn definitiv nichts angingen, außerdem musste ich mich selber erst ordnen. Ich musste mir erst bewusst über die Dinge werden, die er ausgesprochen hatte. Die Dinge die eigentlich ich hätte sagen sollen, zu denen ich aber nicht im Stande gewesen war. Ich war mir ja nicht mal sicher, ob ich überhaupt darüber reden konnte, obwohl sie nun ausgesprochen waren. Aber darüber musste ich mir wohl oder übel später Gedanken drum machen. Jetzt musste ich erst einmal versuchen, nicht vor Schmerzen zu schreien.  

 

 

 

 

 

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Schweigend beobachtete ich das Spiel zwischen Dan und seinem idiotischen Freund, der gar nicht so idiotisch zu sein schien, wie ich zunächst dachte.

Es dauerte eine Ewigkeit, bis wir wieder zum Club kamen, da Dan mit seinem rechten Fuß nicht auftreten konnte. Während Chase ihn in sein Auto verfrachtete, entschuldigte ich mich mit den knappen Worten, dass ich mich um die anderen kümmern und dann nach Hause fahren würde, wo ich auf die beiden warten würde, bis sie aus dem Krankenhaus kamen.

Der Club war immer noch gerappelt voll, aber mittlerweile spielten die letzten Bands und das Publikum schenkte ihnen kaum noch Beachtung. Ich musste mich durch die Menge quetschen, weil ich nicht wusste, wo der Hintereingang war und stieß mit meinem Zeug gegen diverse Leute.

Eine Tusse traf ich mit meiner Basstasche und sie drehte sich zu mir um, um mich anzumeckern, doch dann hellte sich plötzlich ihre mit Schminke verkleisterte Visage auf und sie schrie: „Hey bist du nicht die eine von dieser Band?“ Abgesehen davon, dass ihre Frage sich auf so ziemlich jede Band des Abends bezog, hatte ich keine Lust auf den Mist, auch wenn es schmeichelhaft war, dass ich bereits jetzt schon wiedererkannt wurde.

Die Tussi setzte bereits an, die ganzen Leute um sie herum zu informieren, als ich hochgehoben, wie ein Football unter den Arm geklemmt und durch die Menge transportiert wurde, bis ich hinter der Bühne war. Dann ließen mich die Arme, die mich getragen hatte, herunter und ich sah Stan ins Gesicht, der breit grinste und in Richtung der Umkleiden nickte.

Mitten im Flur standen, Eric, Ella und Frank und diskutierten, dass ihnen die Köpfe heiß laufen mussten. Ich rollte mit den Augen, seufzte und wünschte mir, dass ich lieber mit ins Krankenhaus gefahren wäre. Dummes Verantwortungsgefühl!

Unmotivierter denn je schlurfte ich auf sie zu, was sie hörten und sich zu mir umdrehten. Eric sah erleichtert aus, Ella irritiert und in Franks Gesicht brodelte ein Gewitter.

„Was zur Hölle sollte das heute Abend?“, brüllte er, bevor ich sie ganz erreicht hatte. „Ich weiß ja nicht, was ihr zwei wieder für Probleme habt, aber haltet die gefälligst aus der Arbeit raus!“ Mein ganzer Körper versteifte sich, meine Augen verengten sich und ich hatte sicher nicht vor, mir das anzutun.

„Du wusstest, dass wir nicht gut miteinander auskommen. Hast gewusst, dass es zwischen uns Kriseln wird und dennoch versucht, aus uns eine Zirkusattraktion zu machen. Hast du wirklich geglaubt, alles würde nach deinem Plan laufen? Wir sind hier nicht im Winterwunderland, wo es Zuckerwatte regnet und Einhörner Regenbögen kotzen! Wenn du mit den Konsequenzen nicht klar kommst, dann zieh auch nicht so eine Scheiße ab!“ Frank hob schnell die Hände mit den Handflächen voran und machte einen Schritt zurück, wobei er die Augenbrauen nach oben zog und ein bisschen käsiger im Gesicht wurde.

Eric trat schnell zwischen uns. „Was war vorhin los? Und wo ist Dan?“

„Ich wollte direkt nach dem Gig nach Hause“, log ich ungerührt. Ich bezweifelte, dass man es mir ansehen konnte, immerhin hatte ich bereits diverse Beamte erfolgreich ins Gesicht gelogen. „Dan und sein Freund sind mir nach, aber wie es eben so ist, haben wir drei uns wieder gefetzt. Darauf hin ist mein bescheuerter Partner davon gestürmt, auf einer Pfütze ausgerutscht und es sieht aus, als hätte er sich den Fuß gebrochen.“ Frank wurde noch ein Stück blasser und murmelte Haare raufend: „Das darf doch nicht wahr sein.“

„Chase bringt ihn grad ins Krankenhaus. Ich bin nur noch mal hergekommen, um euch Bescheid zu sagen.“

„Lenne“, sagte Frank dann herrisch, „unter vier Augen. Ihr anderen könnt dann nach Hause gehen.“ Dann marschierte er davon, wobei ich ihm folgte und Eric und Ella entschuldigend zunickte. Ella sah immer noch nicht begeistert aus und ich war mir ziemlich sicher, dass ich mein Handy suchen musste, um eine SMS-Welle über mich ergehen zu lassen.

Frank ging mit mir in eine unserer Umkleiden und schloss die Tür ab, sobald ich durchgetreten war. Dann lief er auf und ab, raufte sich die Haare und murmelte wirres Zeug vor sich hin. Ich packte meine Basstasche noch ein bisschen fester und machte mich bereit, sie als Waffe gegen ihn zu benutzen, wenn er krumme Dinger versuchen sollte. Niemand schloss eine Tür ab, wenn er nur reden wollte.

„Okay, was ich jetzt sage, wir diesen Raum nicht verlassen“, sagte er schließlich. Ich deutete an, meinen Mund zu verschließen und den Schlüssel wegzuwerfen. „Es tut mir leid, dass ich euch beiden so gedrängt habe. Ich hätte voraus schauender sein sollen, aber ich brauchte dringend einen guten Aufhänger, weil die Firma kurz davor stand, mich zu feuern.“ Okay, unser Manager war nicht nur ein Arsch und ein Idiot, er war auch noch schlecht. Was konnte da noch schief gehen?

„Ihr beide müsst aber auch verstehen, dass ihr nicht so weitermachen könnt. Heute Abend ist es noch einmal gut gegangen, weil ihr zwei aufeinander eingespielt seid und solche Spontanreaktionen gut durchziehen könnt, aber wenn ihr groß rauskommen wollt, kannst vor allem du dir das nicht leisten, Lenneth. Das ist Showbiz. Es verlangt bei Zeiten einfach, dass du alle deine Bedürfnisse zurückstellst und deinen Zustand versteckst, damit es funktioniert.“ Mein Auge zuckte und ich war kurz davor, ihm eine reinzuhauen. „Und wenn Dan sich nicht einkriegt und aufhört, mich zu bedrohen, sehe ich mich gezwungen, ihn zu ersetzen.“ Mein Auge zuckte heftiger.

„Sei mal nicht so voreilig. Hast du etwa vergessen, was in unseren Verträgen steht? Wir können aussteigen, wann immer wir wollen. Geh uns auf die Nerven und wir sind raus. Treib es zu weit mit uns und wir sind raus. Was mit dir passiert, ist nicht unser Bier. Ich habe es vorhin schon gesagt: wir leben nicht im Wolkenwunderland und daran wird sich auch niemals etwas ändern. Du solltest langsam lernen, dich auf dich selbst zu verlassen, statt deinen Künstlern zu drohen, wenn dir was nicht in den Kram passt.“

Franks Augen verengten sich. Ich war mir relativ sicher, dass ich mir mit ihm keinen Freund gemacht hatte, aber das manipulative Wiesel hatte es eindeutig zu weit getrieben. Ich ließ mir von niemandem sagen, was ich zu tun oder zu lassen hatte und erst recht nicht bedrohen. So weit kommt's noch!

„Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen“, sagte Frank, als ich die Tür aufschloss und den Schildern zum Hinterausgang folgte. Mir war dabei auch bewusst, dass Stan mir auf den Fersen war und mich draußen zu einem Wagen führte, der bereit stand. Der gute Stan verfrachtete mich dort hinein und fuhr mich heim.

„Sie sollten aufpassen, Miss“, sagte er mitten während der Fahrt, was ungewöhnlich war, da er nicht allzu oft sprach. „Mr. Coleman ist in der Firma dafür bekannt, dass er seine Künstler wie Tiere treibt, weshalb es schon viel internen Disput und mehr als einen Managerwechsel gab. Keiner seiner Künstler, die er hineingebracht hat, hat es lange bei ihm ausgehalten. Mit den neuen Managern sind sie aber deutlich besser ausgekommen, auch wenn sie nie wirklich groß wurden, weil Mr. Coleman zu viele Fäden in der Hand hält.“

„Danke, Stan.“

„Gerne, Miss. Ich mag sie und hoffe, das Beste für sie. Sie machen das schon und sie sind ja nicht allein.“ Der Rest der Fahrt verlief schweigend und ich starrte das nächtliche Panorama an, bis Stan mich zu Hause absetzte, ich den Pförtner müde grüßte und mit dem Aufzug hoch fuhr.

Oben begrüßte mich die Hundesitterin – ja so was gab es wirklich, ich wollte es zuerst auch nicht glauben – und übergab mir Ben. Ich drückte ihr ein paar Scheine in die Hand und verabschiedete sie. Der kleine Hund war bereits gefüttert worden, weshalb ich ihn im Wohnzimmer auf die Couch setzte und Glen dazu verdonnerte, aufzupassen, während ich in der Küche ihren Napf füllte und die Spülmaschine einschaltete.

Dann zog ich diverse Dinge aus dem Kühlschrank und den Schränken und begann, Lasagne zu machen. Es würde sicher noch eine Ewigkeit dauern, bis Dan aus der Notaufnahme kam. Selbst wenn man der Präsident der Vereinigten Staaten gewesen wäre, hätte man dort zig Stunden warten müssen. Also hatte ich Zeit genug, um das Essen zu machen.

Also rührte ich fleißig Sachen zusammen, baute die Lasagne in der Form zusammen und schob sie in den Ofen. Das alles, während ich hundemüde war und fast mit dem Gesicht voran im Hackfleisch gelandet wäre. Sobald der Timer am Ofen gestellt war, packte ich erst die Taschen weg, die ich einfach im Flur hatte stehen lassen und genehmigte mir eine ausgiebige Dusche, bei der ich fast eingeschlafen wäre.

Als ich aus dem Bad kam, tollten Ben und Glen immer noch im Wohnzimmer miteinander auf der Couch umher, sodass ich mich beruhigt umziehen konnte. Bis dahin waren Dan und Chase noch immer nicht aufgetaucht und die Lasagne fertig. Ich stellte den Ofen auf eine niedrige Stufe, sodass das Ding warm blieb ohne zu verkokeln und wusste dann nichts mehr mit mir anzufangen.

Weder Fernsehen noch einfach rumliegen waren besonders verlockend. Die Gefahr, ins Koma zu fallen, war einfach zu groß. Es gab noch viel zu viel zu sagen, zu viel zu besprechen. Ich konnte jetzt nicht einfach halbtot umfallen. Ich hatte außerdem versprochen, zu warten.

Also warf ich letztlich meinen Malkittel über und schlurfte ins Atelier. Eigentlich war das keine so gute Idee, weil ich beim Anblick meiner Bilder schlucken musste, aber ich verbuchte es als Erfolg, dass mir nicht wieder speiübel wurde oder mir der kalte Schweiß ausbrach. Nicht gerade beschwingt, aber von einem Verpflichtungsgefühl angetrieben, rührte ich verschiedene Rottöne an, gab einige andere Farben auf eine ziemlich verschmierte Palette und begann, ohne vorzuzeichnen, das nächste grausige Kunstwerk zu malen.

Ich wusste gar nicht, wie viele Bilder es bereits waren, es waren einfach nur unglaublich viele, die sich in einer Ecke stapelten und andere, die noch auf einer Staffelei standen, um zu trocknen. Die Fenster waren weit aufgerissen und ein kühler Wind ging durch den Raum, der mir Gänsehaut verursachte. Fehlte nur noch ein Gewitter.

Nachdem das Bild, an dem ich malte, halb fertig war, bimmelte der Aufzug und Dan und Chase kamen streitend herein. Was hätte ich auch anderes erwarten sollen? Ich wartete eine Weile, bis sich der Lärm draußen gelegt hatte, bis ich meine Pinsel sauber machte und mit verschmierten Händen hinaus ging.

Dan lag mit hochgestelltem Fuß auf dem Sofa und hatte einen Arm über die Augen gelegt. Als er mich hörte nahm er ihn herunter, versuchte sich aufzusetzen und wäre beinahe von der Couch gefallen.

„Hi“, begrüßte ich ihn.

„Hi“, erwiderte er.

„Wo ist Chase?“

„Äh, in der Küche.“ Das ließ mich aufmerken.

„In meiner Küche?“

„Ähm, ja...“ Sofort stürmte ich in besagten Raum und fand Dans besten Freund vor, wie er in unserem Kühlschrank wühlte.

„Und was denkst du, was du da tust?“

„Nach was zu Essen suchen?“, kam es von ihm zurück. Blödmann. Ich zerrte ihn am Kragen vom Kühlschrank weg und drückte ihm drei Teller in die Hand, sowie Besteck.

„Was soll ich damit?“

„In die Kühltruhe packen. Natürlich ins Wohnzimmer damit!“

„Okay, okay, komm mal wieder runter.“ Damit trollte der Trottel sich. Ich kramte einen großen Untersetzer hervor und platzierte ihn selbst auf unserem Couchtisch, während Chase und Dan mir sitzend dabei zusahen. Dann marschierte ich in die Küche zurück und holte die Lasagne, die ich im Wohnzimmer auf den Untersetzer stellte. Sie sah gut aus, duftete köstlich und dampfte auch noch sehr schön.

Mit einem Pfannenwender zerteilte ich sie und ließ mir von Chase die Teller anreichen und legte auf jeden ein Stück. Dan hatte es mittlerweile geschafft, sich aufrecht hinzusetzten, sodass er sich mit dem Rücken an die Seitenlehne lehnen konnte, während Chase neben seinem eingegipsten Fuß saß. Ich selbst machte es mir auf einem der Sessel bequem und ließ es mir schmecken.

„Boah, das Zeug ist echt gut!“, rief Chase nach dem ersten Bissen. „Jetzt bin ich überzeugt, Alter: du hast sie echt nicht verdient!“

„Schnauze!“, knurrte Dan schaufelte jedoch ungehindert das Essen in sich hinein. Wir vernichteten doch tatsächlich zu dritt die ganze Lasagne. Danach war ich pappsatt und ich war mir fast sicher, dass mir der Teller vom Bauch rollte, so sehr kugelte er sich.

Die Jungs hingen auch im Essenskoma auf der Couch. Es war ruhig und sogar beinahe angenehm. Doch auch das musste ein Ende haben. Chase war so freundlich, das gesamte Geschirr in die Küche zu räumen, bevor er ging.

„Und sprecht euch mal aus!“, rief er, bevor sich die Aufzugtüren vor seinem Gesicht schlossen.

Somit war ich wieder mit Dan alleine und wusste nicht so recht, wo ich anfangen sollte. Ich hatte nicht über die Dinge nachgedacht, die Chase mir am Busbahnhof erzählt hatte. Ich war zu sehr mit meinen Alpträumen beschäftigt gewesen und ich hatte diese Ablenkung dringend gebraucht.

„Und wie lief es mit den anderen?“, fragte Dan und durchbrach damit die Stille.

„Ich hab ihnen in einer geschönten Version erzählt, was passiert ist. Aber ich glaube, wir bekommen noch mal ein echtes Problem mit Frank.“ So erzählte ich ihm, was zwischen mir und unserem Manager vorgefallen war. Wie zu erwarten gewesen war, war Dan außer sich und grummelte und knurrte irgendwelche Dinge vor sich her.

„Wie lief es im Krankenhaus?“, fragte ich dann meinerseits, um ihn ein wenig abzulenken. Dan verzog das Gesicht.

„Wir mussten Stunden im Wartezimmer hocken, bis ich geröncht wurde. Ich hab mir den verdammten Fuß gebrochen. Danach mussten wir noch mal eine Ewigkeit warten, bis ich eingegipst wurde. Sie haben mir Krücken in die Hand gedrückt und mich angewiesen in drei bis vier Wochen wieder zu kommen.“ Dan zeigte auf die Gehhilfen, die hinter der Rückenlehne der Couch hervor lugten. Ich hatte sie gar nicht bemerkt. „Ich werde die nächste Zeit bei jeder Kleinigkeit Hilfe brauchen.“ Missmutig verzog er das Gesicht.

„Na ja, du hättest ja den Eimer nicht treten brauchen.“

„Bitte, nicht du auch noch. Es reicht schon, dass ich mir das von Chase habe anhören müssen.“

„Hast du Schmerzen?“

„Es geht. Sie haben mich noch mit Schmerzmitteln vollgepumpt, bevor ich gehen durfte und ich habe was für die nächste Zeit mitbekommen.“ Ich nickte. Jetzt hatten wir aber nichts Alltägliches mehr zu besprechen. Nichts, das sicher genug war, um sich darüber zu unterhalten und Stille machte sich breit.

„Komm her.“ Mein Kopf fuhr zu Dan herum. Ich starrte ihn an und wusste nicht, was genau er vor hatte.

„Komm her“, sagte er noch einmal und winkte mich zu sich heran, um dann auf eine Stelle auf der Couch neben seiner Hüfte zu klopfen. Misstrauisch stand ich auf, ging um den Tisch herum und ließ mich an der Stelle nieder, auf die er gezeigt hatte.

Dan versuchte nicht, mich anzufassen oder festzuhalten, was mich erleichterte. Ich wusste nicht, ob ich jetzt mit seiner Berührung umgehen konnte.

„Stimmen die Dinge, die Chase mir am Bahnhof erzählt hat?“, fragte ich Kleinlaut. Ich wusste nicht, wie sonst ich hätte anfangen können. Dan schwieg lange. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, weil ich krampfhaft alles andere ansah, nur nicht ihn.

„Ja“, murmelte er dann. „Er hatte mit allem Recht, was er gesagt hat und das gefällt mir nicht.“ Ich versteifte mich. „Versteh mich nicht falsch! Mir gefällt nicht, dass er damit Recht hatte, dass ich zu dumm war, dir all diese Dinge selbst zu sagen. Ich wollte nicht, dass du es auf diese Weise erfährst, aber...“ Er seufzte. „Wir zwei sind einfach nicht so gut darin, miteinander zu kommunizieren.“

„Ich weiß.“

„Ich dachte wohl, dass du mich auch so verstehen würdest. Dass du es einfach sehen würdest, aber da habe ich mich getäuscht. Ich hätte mit dir reden müssen.“

„Ich... ich bin nicht gut mit Menschen“, sagte ich dann. Es war wohl Zeit, dass ich ihm etwas über mich erklärte. „Ich verstehe Menschen vor allem nicht besonders gut. Anders als andere muss ich deutlicher auf sie achten, damit ich nichts falsch mache. Es war bisher einfach leichter, alleine zu sein, als mich diesem Chaos zwischenmenschlicher Interaktion zu stellen. Darum benehme ich mich manchmal in den Augen anderer auch ziemlich seltsam.“ Dans Blick darauf sprach Bände.

„Ich habe mir darum gesagt, dass es ok ist, mir die guten Dinge über Tessa anzuhören. Dass ich anders als andere bin und nicht... eifersüchtig werde. Es war auch total irrational. Wir kennen uns zwar schon eine ganze Weile, sind aber trotzdem praktisch fremde. Ich hätte das nicht fühlen dürfen, vor allem weil ich mich... unzureichend gefühlt habe. Ich mag das nicht. Zwischendurch war ich so dermaßen wütend auf dich, mich und...“ Ich ließ den Namen unausgesprochen, doch er wusste genau, von wem ich sprach.

„Ich wollte mir aber weiter einreden, dass es in Ordnung wäre und dabei hast du unweigerlich was abbekommen, weil ich meine Gefühle nicht unterdrücken konnte.“ Wieder wurde es still.

„Wo warst du letzten Sonntag und Montag? Du bist zu spät zur Probe gekommen.“ Dans Stimme klang neutral, weder anklagend noch wütend.

„Ich musste einfach mal hier raus. Ich hab Futter für Glen da gelassen und bin rausgefahren. Als du so kurz angebunden warst, dachte ich, dass ich es wirklich in den Sand gesetzt hatte und bin in Panik geraten. Du bist einfach weggefahren, ohne ein weiteres Wort.

Ich... musste mir einfach nur ein paar Dinge wieder in Erinnerung rufen, die ich niemals vergessen sollte.“ Ich erinnerte mich genau, wie ich einfach stur aus der Stadt gefahren war, immer weiter und weiter. Bis ich das Örtchen erreicht hatte, in dem ich geboren worden war. Dort war ich dann innerlich taub zum Friedhof gelaufen und hatte das Grab aufgesucht, das ich in meinem Leben unzählige Male besucht hatte. Es erinnerte mich immer daran, dass ich vorsichtig mit anderen Menschen sein musste. Dass es meine Schuld sein könnte, wenn sie aus meinem Leben verschwanden.

„Das ist keine Antwort“, erwiderte Dan tonlos.

„Ich war am Grab meiner besten Freundin. Wir waren noch kleine Mädchen, als sie starb. Der Ort ist ziemlich weit weg von hier, deshalb hat es eine Weile gedauert, bis ich zurück war.“ Kurz sah ich ihn an und erhaschte einen Blick auf Dan, wie er nickte.

„Ich war Sonntagabend wieder hier und wollte mich mit dir aussprechen“, sagte er. „Ich wollte es wieder gut machen, aber du warst nicht da. Als du dann erst Montag mitten am Tag wieder aufgetaucht bist und so getan hast, als wäre nichts, ist bei mir eine Sicherung durchgebrannt. Ich denke, ab da ging es nur noch bergab mit uns.“

Ich nickte bestätigend. Ich hatte auch gemerkt, dass es ab da immer schlimmer mit uns geworden war. So viel, das ungesagt geblieben war und die miese Stimmung hochgeschaukelt hatte.

„Du brauchst dir wegen Tessa wirklich keine Gedanken machen“, sagte er dann plötzlich. „Sie ist meine Vergangenheit. Sie hat mir durch eine schwere Zeit geholfen, aber die ist vorbei. Sie ist nicht mehr da und ich denke, es wird nie wieder jemanden geben, der so ist, wie sie. Aber das will ich auch gar nicht.

Ich will nicht, dass du ein Ersatz für Tessa bist und ich will erst recht nicht, dass du das denkst. Ich mag dich, wie du bist. Du bist gut so, wie du bist. Es macht mir Spaß, mit dir auf der Bühne zu stehen, weil wir gut zusammen sind. Ich finde dein Talent am Bass beeindruckend und dein Selbstvertrauen, dich mit deinen Künsten auf die Bühne zu stellen. So was erfordert Schneid und ich weiß, wie hart du gearbeitet hast, um an den Punkt zu kommen, an dem du bist. Ich habe immerhin gesehen, dass du nicht besonders gut im Komponieren bist.“ Er grinste jungenhaft, doch als ich es nicht erwiderte, seufzte er und fuhr sich mit der Hand durch die Haare.

„Ich will dir glauben“, sagte ich ihm. „Das tue ich teilweise sogar. Aber ich will mehr als das. Ich will dich kennen lernen, wie du wirklich bist. Mit allen Brüchen, Ecken und Kanten. Ich will nicht mehr die Fassade sehen, die du scheinbar allem und jedem zeigst. Und vor allem will ich... will ich einen Partner, der nicht mehr von seiner eigenen Vergangenheit aufgehalten wird. Denn wie soll ich dir vollkommen vertrauen, wenn ich dich nicht kenne, wenn du nachts noch immer vor alten Alpträumen schreist? Wie soll ich dir dann jemals meine anvertrauen können?“

23

 Was hätte ich da noch sagen sollen? Wir wollten eigentlich das gleiche und standen uns doch nur gegenseitig im Weg. Konnte das überhaupt gut gehen? Aber wie sollte ich eine Antwort darauf bekommen, wenn ich es nicht versuchte.

„Ich hatte mir letzten Sonntag fest vorgenommen dich zum Essen oder ins Kino einzuladen.“

„Von dem Geld, das ohnehin nicht dir gehört und auf das ich ebenso zugriff habe?“

„Das ist mein Ernst. Ich wollte Zeit mit dir verbringen, aber das hab ich wohl gewaltig in den Sand gesetzt. Vor allem jetzt.“

Ich wackelte demonstrativ mit dem eingegipsten Fuß und bereute es gleich wieder, weil es scheiße weh tat. Ich kniff Augen und Lippen zusammen um nicht aufzustöhnen, aber es blieb trotzdem nicht unbemerkt.

„Du solltest das sein lassen, wenn es so weh tut.“

„Sagen wir, es erinnert mich daran, was für ein Trottel ich bin. Es geschieht mir also nur Recht.“

„So etwas geschieht niemandem Recht, vor allem nicht, wenn man es hätte verhindern können.“

„Eigene Dummheit, die muss bestraft werden.“

„Wenn du meinst.“

Ich hörte ihr an, dass sie keine Lust hatte, weiter darüber zu diskutieren, also beließ ich es dabei.

„Aber seien wir mal ehrlich, wieso solltest du auch mit mir ausgehen wollen? Ich bin total verkorkst und dämlich und es ist genauso wie Chase sagt, ich hab dich überhaupt nicht verdient.“

„Könntest du bitte endlich damit aufhören?“

Entnervt sah sie mich an und ich zuckte mit den Schultern.

„Womit aufhören? Die Tatsachen aufzuzählen oder mich in Selbstmitleid zu suhlen?“

„Dich so dämlich zu benehmen. Du bist kein Idiot, allerdings bist du grade auf dem besten Weg einer zu werden wenn du nicht bald die Klappe hältst.“

Entschuldigend hob ich die Hände und schwieg. Es konnte nicht gut ausgehen, wenn sie diesen Ton anschlug.

„Wir machen alle Fehler Dan, du bist da keine Ausnahme und du solltest damit aufhören zu glauben, dass dein schiefes Grinsen bei mir zieht.“

Okay.

„Tut mit Leid. Ich hab nur keine Ahnung, was ich sonst grade machen soll. Ich weiß, dass ich ein Trottel bin, sieh mich nicht so an! Ich weiß, dass ich mich benommen hab wie der letzte Arsch und das tut mir Leid. Du machst die ganze Zeit über schon ein so ernstes Gesicht und ich versuche ein wenig die Stimmung zu lockern, aber das geht voll nach hinten los und ich hab immer noch Angst dass du doch noch davon läufst. Am liebsten würde ich dich irgendwo anbinden, wenn ich nicht wüsste, dass du dann erst recht abhaust und... was? Wieso lachst du jetzt?“

Und es war definitiv kein freudiges Lachen.

„Du bist wie ein kleiner Junge. Im ersten Moment ist das neue Spielzeug ganz toll, aber dann landet es wie alles andere in der Ecke und wenn es weg ist, flippst du aus. So ist es immer, aber ich sag dir was. Ich bin kein Ball mit dem du spielen kannst wenn dir danach ist.“

Und dann stand sie auf und ich hätte es beinahe verpasst, sie am Handgelenk zu fassen. Ich war mir sicher, hätte ich das nicht getan, wäre sie weg gewesen und ich hätte sie nicht aufhalten können.

„Hey, sieh mich an. Lenne, bitte sieh mich an, du weißt das das nicht stimmt. Sieh mich an.“

Erst als sie mich ansah zog ich sie wieder vorsichtig auf die Couch zurück. Ihr standen Tränen in den Augen und alleine das machte mich schon wieder weich.

„Du weißt, dass das nicht wahr ist. Du hast doch gehört was Chase gesagt hat-“

„Das ist es doch! Wie soll ich das denn glauben wenn dein Freund mir das erzählt!“

„Weiß ich also lass mich ausreden! Er hat gesagt, dass ich dich liebe und ich will ehrlich zu dir sein. Ich weiß nicht, ob man das Liebe nennen kann, denn wie du selber sagst kennen wir uns kaum, aber ich will nicht dass du gehst. Ich will dass du hier bleibst und wir das irgendwie richten und ich will das, was wir letzte Woche für ein paar Stunden hatten wieder zurück. Ich will eine zweite Chance und ich schwöre dir wenn du mich lässt, werde ich nicht gehen, wenn du das nicht ausdrücklich von mir verlangst.“

Ich wollte ihr die Gelegenheit geben, dass zu verarbeiten, also schwieg ich eine ganze Weile. Als sie aber weiterhin schwieg ergriff ich selbst wieder das Wort.

„Ich weiß, das ist nicht viel, aber ich will es zumindest versuchen. Ich will dich nicht verlieren. Wenn du mich fragst, kommt das dem ziemlich nahe, was alle als Liebe bezeichnen.“

„Das ist ziemlich wenig.“

„Mehr als mein Wort kann ich dir leider nicht geben. Du wirst es nehmen und sehen müssen, was daraus wird, aber ich kann dir versichern, Chase war immer der Meinung ich hätte kein Herz. Wenn er jetzt der Meinung ist, ich hätte doch eines und würde es an dich verlieren, dann kannst du mir glauben wenn ich dir sage, dass er damit Recht hat. Ich hab selbst leider viel zu lange gebraucht um das zu bemerken und jetzt könnte ich es nicht mal mehr verhindern wenn ich das wollte, mal davon abgesehen dass ich das nicht will. Ich wollte dir nie weh tun, das musst du mir glauben.“

„Wie soll ich dir das glauben? Ich habe keine Ahnung was ich überhaupt noch glauben kann.“

„Hey, ich hab dich nie angelogen, egal was du glaubst. Ich bin immer ehrlich zu dir gewesen.“

„Dafür hast du mir ziemlich viel verschwiegen.“

„Du schweigst doch genauso viel. Außerdem hab ich dir von Tessa erzählt als du mich danach gefragt hast, obwohl ich gar nicht wollte, du solltest dir da also drei Kreuze im Kalender machen, denn das erzähle ich eigentlich nicht so freizügig.“

„Und das dir das zwischen uns so wichtig ist, wieso hast du das nicht gesagt?“

„Wie soll ich dir von etwas erzählen, von dem ich selbst nicht weiß, dass es da ist?“

„Weiß ich doch nicht, du bist der mit der Erfahrung von uns beiden.“

„Was? Ich hab die letzten vier Jahre blind vor mich hin gelebt und davor hatte ich eine Beziehung, eine ganze und auch da hätte ich es beinahe vergeigt, hätte Tessa nicht den Mund auf gemacht. Ich bin furchtbar schlecht was diesen vorbeziehungsartigen Kram angeht, also sag nicht, ich hätte Erfahrung da drin.“

„Du bist vierundzwanzig und willst mir erzählen, du hattest erst eine Beziehung?“

„Ich bin ein treudoofer Trottel und ich war glücklich mit Tessa, wieso hätte ich das kaputt machen sollen. Was denkst du denn von mir?“

„Tut mir Leid, aber du hast einen sehr penetranten Ruf.“

„Der nicht der Realität entspricht! Wie oft muss ich das denn noch vorbeten?“

„Solange, bis du mich davon überzeugt hast und das kann je nachdem ziemlich lange dauern.“

„Nein nein nein nein, weißt du was, ich bin hier, kann nicht weg und werde dich ganz sicher nicht anlügen, also frag mich was du willst, frag mich einfach die Dinge, die dich davon überzeugen. Das ist viel einfacher, als wochenlang um den heißen Brei herum zu reden.“

Misstrauisch sah sie zu mir runter, aber ich wartete nur darauf, dass sie die erste Frage stellte, was sie schließlich tat.

„Wieso bist du mit Chase befreundet?“

Sie konnte mich alles fragen und entschied sich dafür?

„Wieso fragst du so was?“

„Du hast gesagt ich darf alles fragen und ich frage mich schon die ganze Zeit, wieso ihr zwei euch miteinander abgebt. Ihr scheint von Grund auf verschieden zu sein.“

„Na gut. Das mit Chase ist so eine Sache. Ein Freund meines Vaters ist mit einer Frau verheiratet, die eine Freundin beim Jugendamt hat. Chase war einer ihrer Fälle und als wir vierzehn waren, hat der Freund meines Vater ihn auf Anfragen der Freundin bei sich aufgenommen. Um Kontakte zu knüpfen, haben sie ihn oft bei uns abgeladen und wir beide waren uns vom ersten Moment an einig, das Eltern ne ganz miese Sache sind. So haben wir uns angefreundet, ich hab ihm beigebracht wie toll es sein kann, seine Wut an einem Schlagzeug aus zu lassen und irgendwie hat sich diese merkwürdige Freundschaft gehalten, auch als sie ihn mit siebzehn wieder vor die Tür gesetzt haben. Ich bin oft zu ihm geflüchtet wenn es mir zuhause zu viel wurde und Tessa selbst zu viel um die Ohren hatte. Das mit Chase ist eigentlich die typische Männerfreundschaft.“

„Ihr helft euch gegenseitig aus der Scheiße und hört sonst nichts von einander.“

„Sagen wir es so, es kommt nichts gutes dabei heraus, wenn wir etwas zusammen unternehmen, deswegen beschränken wir das auf ein Minimum.“

„Das ist lächerlich.“

„Nein, das dient zum Schutz anderer, vertrau mir. Es kann zwei Menschen noch so sehr zusammenschweißen, wenn sie etwas miteinander durch machen, das bedeutet noch lange nicht, dass es gut ist, wenn sie zusammen etwas unternehmen.“

„Na gut, wenn du das sagst. Wieso hasst du deine Eltern so?“

„Na ja, es ist vielmehr mein Vater, meine Mutter steht nur blauäugig zu ihm.“

„Und wieso hasst du ihn dann?“

„Ich würde dir gerne widersprechen aber ich müsste lügen wenn ich sage, dass ich ihn nicht hasse. Mein Vater ist ein eingebildeter Arsch, andere Menschen sind für ihn nur Schachfiguren. Er benutzt, verschiebt, manipuliert und verdreht andere so, wie es ihm gefällt und er macht da nicht mal vor seiner eigenen Familie Halt. Als ich zwölf war, hab ich ihm gesagt, dass er sich seine Scheißfirma sonst wo hin stecken kann, darauf hin hat er sich meine Mutter geschnappt und sich einfach einen neuen Sohn beschafft. Ich meine, wie krank muss man denn sein? Der Mann hat es nicht geschafft, seinen Sohn für sich ein zu nehmen, wie will er das bei einem zweiten schaffen? Jaden hängt viel zu sehr an meinen Versen, als dass er etwas darum geben würde, so zu werden wie er.“

„Das heißt, wenn er deinen Bruder nicht so formen kann, wie er ihn gerne hätte, startet er noch einen neuen Versuch?“

„Ich bete darum, dass er das nicht tut. Es widerstrebt mir aber eigentlich hoffe ich, dass mein Vater wenigstens das bisschen Grips besitzt um zu sehen, dass er seinem Ruf schadet, wenn er es noch mal versucht.“

„Wieso, damit er dich wieder ins Boot holt?“

Fragend sah ich sie an und zog dann die Augenbrauen hoch.

„Ich dachte eigentlich ich hätte zum Ausdruck gebracht, wie gern ich ihn auf seinen Knien sehen würde.“

„Ich wollte nur sicher gehen. Woher soll ich denn wissen, dass du nicht irgendwann doch zurück gehst wenn er dich darum bittet.“

„Ich geh ganz sicher nicht zurück. Ich hab mir geschworen besser zu sein als er, ein besserer Vater zu sein. Zurück zugehen wäre ziemlich kontraproduktiv.“

„Du willst Kinder?“

„Der Gedanke, besser zu sein als er, hat mich mal eine ganze Weile angetrieben. Ist das so abwegig?“

Was sich in dem Moment in ihrem Gesicht abspielte war ein unbezahlbarer Anblick. Erst war sie verwundert, dann schockiert, wobei das irgendwann ziemlich verschlossen wirkte und sie zwischenzeitlich ziemlich rot anlief. Ich musste mir mein Grinsen ziemlich verkneifen.

„Entspann dich, ich glaube kaum, dass ich in diesem Leben noch Vater werde. Ich bin manchmal schon mit mir selbst überfordert, Ben ist schon eine riesen Herausforderung. Außerdem glaube ich, dass man uns beiden keine Kinder anvertrauen sollte, nicht mal wenn es nicht unsere eigenen wären. Wenn wir zwei aneinander geraten, würde das Kind nur zwischen uns zerrieben wie zwischen zwei Felswänden, die aufeinander treffen und wenn ich ehrlich bin, will ich das keinem Kind antun.“

Sie war immer noch ziemlich rot, schien nach Luft zu schnappen und Wörter zu suchen, aber irgendwie schien sie das nicht zu schaffen, also nahm ich ihr das ab und machte mir weiter einen Spaß daraus.

„Oder willst du Kinder? Ich stelle mich zurück, aber wenn du welche willst, bin ich gerne dabei. Ich denke nur, wir sollten damit warten. Wir sollten erst mal zusehen, dass wir das mit der Musik auf die Reihe kriegen, außerdem bin ich grade etwas verhindert mit meinem Fuß und-“

Mit einem Mal pressten sich ihre Hände auf meinen Mund und alles woran ich denken konnte war, dass mein Fuß mich von innen heraus umbrachte.

„Hör auf! Wenn du nicht aufhörst, passiert was!“

Und alles was ich heraus brachte war ein schmerzerfülltes Stöhnen. Scheiße, der Fuß war am anderen Ende meines Körpers und es reichte die kleinste Bewegung aus um ihn in Brand zu setzen.

„Es geht alles den Bach runter und du redest von Kindern! Das ist total hirnverbrannt.“

Mit schmerzverzerrtem Gesicht nuschelte ich unter ihren Händen etwas wie „Ich versuche nur die bitteren Tatsachen herunter zu spielen.“ aber ich verstand mich selber kaum. Ob das aber nun daran lag, dass der Schmerz in meinem Fuß alles überlagerte oder weil sie halb auf mir lag und mir Mund und Nase zu hielt wusste ich nicht. Es war vermutlich eine Kombination aus beidem. Unsere momentane Position konnte ich dabei leider nicht auskosten, weil ich mich darauf konzentrieren musste, nicht zu jammern wie ein kleiner Junge. Erst als der Schmerz abebbte konnte ich Lenne vorsichtig an den Seiten fassen, eigentlich wollte ich sie anheben um die Anspannung aus meinem Körper zu lösen, aber mir fehlte die Kraft dazu. Bei der Berührung zuckte sie jedoch zusammen und ihre Augen sprangen auf, wo sie sie vorher zu gekniffen hatte. Ich sah ihr eine weile nur ins Gesicht, bevor ich langsam meine Hände von ihrer Taille nahm und stattdessen ihre Hände griff, um sie von meinem Mund zu lösen.

„Nur fürs Protokoll. Ich habe nichts getan, dass uns in diese Position gebracht hat.“

„Zu so etwas gehören immer zwei soweit ich weiß.“

„Ich hab nur geredet und dann hast du dich auf mich gestürzt.“

„Da hast du es. Du hast den Mund aufgemacht, das reicht schon.“

„Heißt das, das passiert jetzt immer wenn ich anfange zu reden?“

„Das hättest du wohl gerne.“

„Verdammt, woher weißt du das?“

„Ich bitte dich, du bist so was von leicht zu durchschauen.“

„Ach verdammt.“

Ich grinste und ich meinte ein schwaches Lächeln auf ihren Lippen gesehen zu haben, aber so schnell wie es weg war, hatte ich mir das wohl nur eingebildet. Vorsichtig, ohne sich auf mir abzustützen richtete sie sich wieder auf und da war dieser vertraute Moment wieder vorbei.

„Du flirtest wie ein Weltmeister und willst mir erzählen, dass du keine Ahnung hast, was du tust?“

„Solange ich herumalbern kann ist alles gut. Wenn ich wieder ernst werde, weiß ich wieder nicht was ich sagen soll.“

Ich deutete ein Schulterzucken an und versuchte, mich nicht ruckartig zu bewegen, als sie mit dem Kopf schüttelte.

„Eine Frage musst du mir beantworten.“

„Was immer du willst.“

„Du hast gesagt, du hättest Tessa umgebracht. Was ist passiert?“

Und da war er, der Schlag unter die Gürtellinie.

„Das willst du nicht hören.“

„Ich hab danach gefragt, also will ich es wohl hören oder?“

Irgendwie kam mir das hier ziemlich bekannt vor.

„Vertrau mir, das willst du nicht wissen.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass du sie umgebracht hast, so wie du von ihr erzählt hast. Das passt nicht in das Bild, dass ich bisher von dir habe.“

„Ich hab sie auch nicht umgebracht, ich hab das gesagt, weil ich sauer war.“

„An allem was man sagt, ist etwas dran und so etwas sagt man erst recht nicht einfach so, vor allem nicht du.“

„Glaub mir bitte dieses mal, wenn ich sage, dass du das nicht wissen willst. Ich bin nicht stolz darauf, belassen wir es dabei.“

„Du wirst es mir irgendwann erzählen. Wieso bis zum Tag X warten, wenn du es jetzt hinter dich bringen kannst?“

Gut, das war ein verdammt gutes Argument, aber warum zur Hölle, wollte sie das so unbedingt wissen? Ich wollte eigentlich irgendwie hier weg, dieser Frage ausweichen, und richtete mich daher in eine sitzende Position auf, weiter kam ich nicht. Durch das schnelle aufsetzen protestierte mein Fuß und dahin war das Vorhaben der Flucht. So saß ich ihr schräg gegenüber.

„Wieso zum Teufel willst du das so unbedingt wissen? Können wir es nicht einfach als Fehler abstempeln und begraben? Wieso kramst du das immer wieder raus?“

„Du hast es vorhin zur Sprache gebracht, ich hab nur nachgefragt. Außerdem ist es ganz offensichtlich das, was dir das Hirn weich kocht. Ich versuche nur heraus zu finden wie ich dir helfen kann.“

„Warum willst du mir so unbedingt helfen? Liegt dir wirklich etwas daran, oder was hat das für einen Nutzen für dich?“

„Auf diese Frage antworte ich nicht.“

„Wieso, weil mir die Antwort nicht gefallen würde? Schön, dass du mich verschonen willst, aber ich bin erwachsen und kann damit umgehen.“

„Sagt der, der selbst nicht reden will! Ich will dir helfen Dan. Ich will DIR helfen, das tue ich ganz sicher nicht für jeden. Ich stelle mich schon eine ganze weile zurück, damit ich dir helfen kann, aber du lässt mich nicht. Ich frage dich nach den Dingen die dir das Leben schwer machen und alles was du sagst ist, dass ich das nicht hören will. Glaubst du nicht, so verkorkst wie ich bin, hätte ich nicht selber schon eine Menge scheiße gesehen? Nur deswegen kann ich wohl mit dir mithalten oder? Also sag mir nicht was ich wissen will und was nicht.“

Und dabei blieb sie. Ich schaute ihr ziemlich lange einfach ins Gesicht, aber sie sah nicht einmal weg und ihr Blick blieb die ganze Zeit über gleichbleibend entschlossen. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie nicht nachgeben würde, also gab ich es auf mich weigern zu wollen und lehnte den Kopf an ihre Schulter. Ich wollte ihr Gesicht nicht sehen, wenn sie begriff, wie dumm ich sein konnte.

„Stell dir vor, du hast dich mit deinem Freund gestritten. Du bist so frustriert, dass du einfach verschwindest und deine beste Freundin anrufst, die dich dazu überredet auf eine Party zu gehen. Sie sagt 'Komm schon, das wird lustig und es hilft dir den Kopf frei zu kriegen', also fahrt ihr dort hin. Du trinkt was und tanzt und hast sogar wirklich Spaß dabei, zumindest solange, bis du dir die Seele aus dem Leid kotzt, weil du es übertrieben hast. Es geht dir hundeelend, aber deine Freundin schafft es irgendwie dich wieder auf die Beine zu kriegen und dich aufzumuntern. Bevor sich dein wunderbar peinliches Verhalten auf der Party herum spricht, beschließt ihr zu gehen und macht euch gleich auf die Socken. Da du den Alkohol auf gleichem Wege wieder los geworden bist, wie er rein ging, bist du der Meinung, dass du fahren könntest und deine Freundin, die ihren Alkoholanteil bei sich behalten hat, findet die Idee sofort super, also setzt du dich hinters Steuer deines Autos und fährst einfach los. Ihr fahrt einfach eine Weile durch die Stadt, bis du schließlich irgendwo anhältst und es dauert gar nicht lange, bis dein Handy klingelt. Dein Vater ist dran und schreit dir ins Ohr du sollst nach hause kommen und obwohl du gar nicht willst, fährst du deine Freundin nach hause und fährst dann heim.

Zuhause angekommen bist du noch gar nicht richtig ausgestiegen und wirst schon geschlagen und beschimpft und dann gehen einfach die Pferde mit dir durch. Der Restalkohol zusammen mit deinem zertretenen Stolz und deinem Temperament blasen dir so die Lichter aus, dass du zum ersten mal in deinem Leben wirklich zuschlägst, anstatt es dir nur vorzustellen. Du brichst ihm den Kiefer, beschimpfst ihn und musst dich dann von deiner Mutter daran hindern lassen, noch auf ihn einzutreten, wobei du es nur sein lässt, weil du siehst wie dein kleiner Bruder verschlafen in der Haustüre steht.

Dein nächster und einziger Gedanke ist dann also: einfach nur weg. Du setzt dich also in dein Auto und fährst los, während du deinen Freund anrufst und ihm sagst, dass du die Stadt verlässt und gleich bei ihm vorbei kommst. Als du dort ankommst steht er mit gepackten Taschen vor der Türe und wartet auf dich, weil er sich Sorgen um dich macht und weil er dich nicht alleine fahren lässt. Er versucht dich noch davon abzubringen zu fahren, weil er weiß, dass du was getrunken hast. Er bietet dir an, bei ihm zu bleiben, wenigstens bis morgen, oder dass er selber fährt aber du bist und bleibst stur und setzt dich selbst hinter das Steuer. Dass er einfach auf der Beifahrerseite einsteigt, obwohl er wissen müsste, wie gefährlich das sein könnte, interessiert dich nicht. Alles was du denkst ist, dass er endlich aufhören soll, dich umstimmen zu wollen. Dein Kopf ist voll von Alkohol und den Schuldgefühlen die sich durchbohren, weil du deinen Vater geschlagen hast, außerdem versucht dein Gewissen dir mitzuteilen, dass du deinen Freund eigentlich aussteigen lassen müsstest. Du solltest ihn eigentlich dazu bringen hier zu bleiben, eigentlich solltest du gar nicht erst fahren und alles was du willst ist, dass dein Kopf endlich Ruhe gibt. Du trittst also das Gas immer tiefer in der Hoffnung, dass es dann besser wird, aber da rast du schon über eine rote Ampel und hörst nur noch einen lauten Knall, bevor alles verstummt und du glaubst du wärst blind.

Als du wieder zu dir kommst, versuchst du die Lage zu analysieren und kommst zu den Schluss, das du riesen Bockmist gebaut hast. Du schaust dich um und denkst dir erst gar nichts dabei, dass der Kopf deines Freundes auf deiner Schulter liegt oder das sein Bein, welches komisch um den Schalthebel gebogen ist, beinahe in deinem Fußraum hängt. Dann siehst du weiter zu ihm rüber und alles was du siehst ist eine Masse aus Auto und etwas, das mal ein Körper gewesen ist. Das Auto, dass dir in die Beifahrerseite geflogen ist, hat deinen Freund mit einer solchen Wucht zu dir herüber geschoben, dass er dich an die Türe presst. Du siehst drüben im anderen Auto den Fahrer dessen und stellst dir vor, was er wohl sieht, dass er so geschockt aussieht und dann wir dir erst richtig klar, was passiert ist. Du gerätst in Panik und fängst an zu schreien, bittest deinen Freund darum, dich nicht zu verlassen obwohl du weißt, dass es zu spät ist. Verzweifelt versuchst du dich aus diesem Bild zu lösen, versuchst dich zu befreien, aber es geht nicht, weil der Gurt dich im Sitz fesselt und auch die Türe nicht aufgeht und erst Minuten später, die sich anfühlten wie Stunden kommen sie, um dich endlich aus dem Auto frei zu schneiden. Sie versorgen dich und spritzen dir Mittel, damit du dich beruhigst und die dich erst Stunden später im Krankenhaus aufwachen lassen. Du bist schließlich nüchtern und denkst dir, was das für ein Scheiß Traum gewesen war, doch das Krankenhauszimmer straft dich deiner Einbildung lügen und spuckt dir beinahe ins Gesicht, dass alles von dem, was du glaubst gesehen zu haben, wirklich passiert ist. Alles was du gesehen hast, was du getan hast lässt dich wieder in Panik geraten. Vollkommen hysterisch fragst du nach deinem Freund und bekommst keine Antwort und dann flippst du wieder vollkommen aus. Du fängst an dich wie ein Berserker durch das Krankenhauspersonal zu prügeln, weil sie dir die Antworten verweigern, bis sie dich schließlich einsperren. Schön mit Zwangsjacke in einer Gummizelle, wie es sich gehört.

Erst im laufe der Wochen, im Laufe der Therapie erfährst du, dass du nicht nur für den Tod deines Freundes, sonder auch für den des anderen Fahrers verantwortlich bist. Er war zwar nicht bei dem Unfall ums Leben gekommen, aber er kam mit der Situation nicht klar und hat sich das Leben genommen. Somit bist du Schuld am Tod zweier Menschen und am Unglück all derer Angehörigen. Es dauert Monate, bis du schließlich glaubst, damit klar zu kommen und sie dich wieder gehen lassen, aber sobald sie dir die Medikamente einstellen, fangen die Albträume an. Im Schlaf siehst du immer wieder diese Bilder und jedes mal wirst du schreiend wach und dir wird bewusst, dass du aus diesem Albtraum niemals wieder raus kommst. Du weißt, dass du zwar nicht in diesem Auto gestorben bist, aber dein Leben ist definitiv vorbei. Ob nun vorerst oder endgültig wird die Zeit wohl zeigen aber jetzt, nach vier Jahren zerreißt es dich beinahe, weil da dieser Typ ist, der etwas in dir auslöst und von dem du keine Ahnung hast, wie du damit umgehen sollst, weil er ebenso Probleme zu haben scheint, die ihm das Leben schwer machen. Du weißt, dass deine Zeit endlich weiterlaufen könnte, wenn du es nur schaffst, dass hier nicht zu vergeigen und du merkst dass das sogar funktionieren könnte, bis du es schlussendlich doch vergeigst. Ihr streitet euch und dann ist da dein beschissenes Unterbewusstsein, dass ihn in deine Träume projiziert und plötzlich findest du dich in diesem Autowrack wieder und dieses mal ist es nicht dein Freund von vor vier Jahren, sondern dieser Junge der es geschafft hat, dich wieder lebendig fühlen zu lassen, der da neben dir im Auto sitzt. Du wirst voller Panik wach und dann ist er noch nicht mal da, als du die ganze Wohnung absuchst, die du dir mit ihm teilst. Du kannst nicht mehr schlafen und suchst stundenlang nach ihm, bis in den nächsten Tag hinein und als er wieder auftaucht, ist alles von dem, was du dachtest gefunden zu haben dahin.

Du drehst langsam aber sicher durch, bis du dir eine Woche später den Fuß brichst und am Ende sitzt du mit ihm in eurer Wohnung auf dem Sofa, du alberst rum und versucht etwas zu retten, von dem du nicht einmal weißt, ob es noch da ist und erzählst ihm schlussendlich deine Geschichte, die ganze Zeit in der Hoffnung nicht wieder in die Vergangenheit einzutauchen, wobei du feststellst, dass du erstaunlich gut davongekommen bist. Allerdings bist du dir sicher, dass dich alles wieder einholen wird, solltest du in dieser Nacht schlaf finden. Außerdem versuchst du verzweifelt den Moment hinaus zu zögern, weil du Angst davor hast, dass er geht, wenn du aufhörst zu reden. Deine größte Angst in diesem Moment ist, dass er aufsteht und geht, ohne ein Wort zu sagen. Du kannst ihm nicht mal ins Gesicht sehen, weil du auch davor Angst hast, davor, was du darin sehen könntest. Du fühlst dich total elend und alles worum sich deine Gedanken drehen ist, ob du nun den einzigen Menschen verloren hast, der dir einen Sinn gegeben hat, der dich dazu gebracht hat, nicht mehr einfach auf der Stelle zu treten.

Du fühlst dich wie ein keines Kind und weist nicht, was du tun sollst und irgendwie gehen dir die Worte aus und verdammt noch mal ich drehe gleich durch wenn du nicht bald etwas sagst oder tust und wenn es nur ist, dass du wirklich gehst, dann kann ich mich wenigstens zusammen rollen und auf das Ende warten, aber bitte, tu endlich was.“

Ich war mittlerweile so verspannt, dass mir ein stetiger Schmerz durch den gesamten Körper fuhr und ich konnte es nicht abstellen. Ich lehnte immer noch an Lenne's Schulter und ich wusste, dass sie fühlte wie ich am gesamten Körper zitterte, nur leider konnte ich mich nicht bewegen, weder um zu verhindern, dass sie es weiterhin merkte, noch um sie anzusehen, mal davon abgesehen dass ich nicht wusste, ob ich das überhaupt getan hätte. Eigentlich wollte ich nicht sehen, wie sie darauf reagierte, andererseits gab es diese Stimme die mir sagte, dass sie es nicht so schlimm aufnahm, wie mein Kopf mir das weiß machen wollte. Trotzdem blieb ich wo ich war und zwang mich dazu, mich nicht zu rühren, in der Hoffnung, dass die Erlösung, wie auch immer sie Geartet war, nicht zu lange auf sich warten lassen würde.

 

 

 

 

 

Ich musste mich unheimlich anstrengen, um nicht loszuheulen. Das war übel. Richtig übel. Dieser blöde Volltrottel schaffte es immer wieder, aber es war noch nie so schlimm wie jetzt gewesen. Das letzte Mal, als ich dermaßen in Tränen ausbrechen wollte, war bei einem romantischen Film gewesen, bei dem das Paar am Ende nicht zusammenkam und ich den Fernseher beinahe demoliert hätte.

Mühsam versuchte ich nicht, zu blinzeln, um Dan nicht voll zu tropfen und scheiterte kläglich. Als ich es endgültig nicht mehr halten konnte, schoss Dans Kopf doch noch hoch und hätte mich beinahe am Kinn getroffen. Erschrocken und betroffen sah er mich an, fasste mein Gesicht und murmelte irgendwelchen Unsinn vor sich hin. Er konnte so was wirklich nicht so gut.

Ich schluchzte wie der letzte Idiot auf Erden und ließ den Tränen freien Lauf. Gott! Der Mann war eine wandelnde Telenovela! Mein Partner war eine Seifenoper. Der Typ, den ich irgendwie mochte und bei dem ich mir mehr erhoffte, war eine Wohnzimmerschnulze auf zwei Stelzen. Konnte es noch schlimmer werden? Abgesehen davon, dass ich selbst ein schlechter Krimi war?

Irgendwann als ich mich ausgeheult hatte, schlug ich seine Hände weg und wischte mir das verheulte Gesicht mit den Händen ab. Als ich Dan dann wieder ansah, war sein Gesichtsausdruck die Inkarnation der Unsicherheit. Irgendwie machte mich das sauer. Erst brachte er mich zum Weinen und dann wagte er es auch noch, mich so anzusehen! Ziemlich sauer, um nicht weiter traurig zu sein, klatschte ich ihm beide Hände an die Wangen, zog ihn, ungeachtet seiner Schmerzen zu mir heran und küsste ihn, so ausgiebig es mir mit meiner mangelnden Erfahrung möglich war.

Erst versteifte er sich vor Überraschung, dann entspannte er sich langsam wieder und erwiderte den Kuss zögerlich. Ich wollte nicht, dass es in eine wilde Knutscherei entartete, weshalb ich mich nach einer Weile, in der ich mir immer wieder 'Nur noch ein Bisschen' sagte, losriss und ihn anfunkelte.

„Du bist ein Idiot! Und wenn du aufgeregt bist, brabbelst du zu viel!“ Dann stand ich auf und marschierte in die Küche, füllte ein Glas mit Leitungswasser und stampfte zurück ins Wohnzimmer, wo ich es fester als nötig auf den Tisch knallte.

„Es mag zwar nur ein Möbelstück sein, aber der Tisch hat auch Gefühle.“ Der Trottel machte weiterhin Witze... Er musste abartig schlecht in Gefühlsdingen sein. Nicht, dass ich besser gewesen wäre, aber musste er ständig Witze reißen? Und vor allem jetzt?

„Nimm deine Schmerztabletten und halt den Rand“, grummelte ich. Ausnahmsweise war er mal zahm und tat, was man ihm sagte. Ich hoffte, er würde sich in der Hinsicht in Zukunft mehr wie Ben entwickeln. Vorausgesetzt er vergeigte die Erziehung des Hundes nicht.

Nachdem er dann die Tabletten genommen hatte, die ich in der Dosierung noch nie zuvor gesehen hatte, legte er sich zurück und seufzte. Ich ließ ihn jedoch nicht lange entspannen.

„Komm schon, ich lass dich sicher nicht auf der Couch pennen. Wo soll ich denn dann Fernsehen?“ Mit etwas Mühe und viel Geächze und Gejammer von Dan verfrachtete ich ihn doch noch irgendwie in sein Zimmer und in sein Bett. Ich musste ihm jedoch helfen, sich ein anderes Shirt anzuziehen und dann war die Hose dran. Ich starrte diese schlabberige Jogginghose an, natürlich weit von seinem Schritt entfernt, und kratzte mich am Kopf.

„Soll ich dir die auch ausziehen?“

„Nein!“ Er musste ja nicht gleich schreien. „Lassen wir die Hose einfach da, wo sie ist.“

„Das Ding ist aber voll schmuddelig, bist du dir sicher?“

„Ja, bin ich.“

„Ist das deine?“

„Nein?“

„Gut.“ Kurz verließ ich das Zimmer, um die große Bratenschere aus der Küche zu holen, kam gemütlich wieder hereingeschlendert und bevor mein armer Idiot sich beschweren konnte, hatte ich ihm schon die Hose vom Leib geschnitten. Ich war noch nie so froh darum, dass er ein Boxershorts-Träger war.

„Was zur Hölle sollte das denn?“

„Die Hose war schmuddelig. In so was schläft es sich sicher nicht gut. Mach dir mal nicht ins Hemd, ich werde dir wohl auch beim Duschen helfen müssen, da kann ich dir ja wohl auch ne Hose vom Körper schneiden. Oder möchtest du lieber, dass sich Eric oder Chase um dich kümmern?“

„Nein!“

„Dachte ich mir. Nacht, Dan.“ Ich hörte, wie er Luft holte, um etwas zu sagen, doch ich hatte seine Tür schon hinter mir zugemacht. Seufzend lehnte ich mich an sie und war kurz vorm Verzweifeln. Was sollte ich bloß mit ihm tun?

Plötzlich saß Ben vor meinen Füßen und lutschte an meinem Hosenbein, während Glen um meine Beine strich. Seufzend nahm ich die beiden hoch und klemmte sie mir unter die Arme. In meinem Schlafzimmer platzierte ich beide in Glens Katzenbett. „Pass gut auf den Kleinen auf.“

Ich ließ die Tür einen Spalt offen, als ich wieder herausging und marschierte direkt in mein Atelier. Sogar beim Reinkommen sah die Szenerie katastrophal aus. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte sogar ich geglaubt, dass hier ein psychopathischer Killer alle seine Verbrechen dokumentierte.

Mir war nicht danach, ein neues Bild zu malen. Das Schlimmste war bereits auf Leinwand festgehalten. Stattdessen nahm ich alle Leinwände von den Staffeleien herunter, kippte diese auf die Seite und legte sie aneinander, sodass sie einen Halbkreis bildeten. Dann arrangierte ich die Bilder daran gelehnt, setzte mich in die Mitte des Halbkreises und erfasste sie alle mit einem Rundumblick. Die Dinger waren wirklich das Abartigste, was ich je gesehen hatte. Schon wieder. Sie riefen alte Geister wieder zum Leben, die besser begraben blieben. Aber ähnlich wie Dan, hatte ich selbst nicht alles aufgearbeitet, obwohl ich meinte, besser klar zu kommen, als mein... Partner, der offensichtlich an Posttraumatischem Stress litt. Dass sie ihn in der Klappse auch noch total verkorkst hatten und seine Familie fürn Arsch war, half nicht unbedingt.

Aber das konnten wir schaffen. Es war nicht so schlimm, als das man es nicht hätte richten können. So kaputt war er ja nun auch wieder nicht. Ach, wem machte ich etwas vor! Er war genauso gestört wie ich! Gleich und gleich gesellt sich gern. So viel dazu.

Müde rieb ich mir die Augen, rappelte mich auf und ging zurück in mein Zimmer. Die Tiere waren zum Glück noch immer da, wo ich sie gelassen hatte und schlummerten in stiller Eintracht miteinander. Ich selbst warf mich in meine Schlafshorts und nicht viel mehr und begab mich zu Bett. Es war ein langer Tag gewesen und eine wirklich harte Woche. Den Schlaf hatte ich mir redlich verdient.

 

„..enne..“ Ich runzelte die Stirn und drehte mich um.

„..ne...“ Schnaubend zog ich mir die Decke über den Kopf.

„Lenne!“ Es folgte vehementes Klopfen, das mich missmutig zur Tür sehen ließ. Sie war jetzt mehr als nur noch einen Spalt offen und Dan stand auf seinen Krücken im Rahmen und sah mich an.

„Mann, du schläfst wie ein Stein!“ Ich zeigte ihm den Finger und drehte mich auf die andere Seite, weg von ihm.

„Komm schon, Lenne. Ich brauch mal eben deine Hilfe. Ich muss duschen.“ Ich konnte trotz meines Zustandes hören, dass er nicht so begeistert von der Vorstellung war. Ich war es auch nicht. Oder? Jedenfalls wollte ich mein warmes, weiches Bett nicht verlassen. Aber gütig, wie ich eben war, fischte ich mir ein T-Shirt vom Boden, richtete mich mit dem Rücken zu ihm und völlig verschlafen auf und zog mir das Teil über den Kopf. Es kümmerte mich nicht einmal, dass er schon wieder die beste Sicht auf meinen nackten Rücken hatte. Es war ja nichts, was er nicht schon gesehen hatte.

Gähnend stolperte ich durch das Zimmer und folgte Dan, der im Übrigen arschlangsam auf den Krücken war, zu seinem Badezimmer. Er humpelte rein und ich besah mir die ganze Sache. Dann drehte ich mich um und holte einen von den niedrigeren Hockern aus der Küche und stelle ihn Dan in die Wanne. Dann bedurfte es einiger Anstrengung von uns beiden, um ihn in die Wanne zu bekommen, wo er sich auf den Hocker setzten konnte. Das Shirt konnte er sich noch selbst ausziehen und bei den Shorts, wollte ich nicht zugucken, doch ich holte für ihn frische Klamotten raus und hoffte, dass ich ihm nicht helfen musste, seine Boxershorts anzuziehen. So weit waren wir in unserer Präbeziehung noch nicht. Denn das war es. Eine Präbeziehung. Wenn auch eine sehr seltsame.

Ich überließ Dan seiner Dusche und hoffte, dass er nicht ausrutschte und sich den Arm brach und machte mir erst einmal, bevor ich irgendetwas tat, einen Kaffee. Noch nie war ein Mensch so glücklich über einen Sonntag. Wenn mir jetzt aber jemand dumm kam, dem würde ich den Kopf abbeißen so wahr ich vor dieser unglaublich tollen Kaffeemaschine stand!

Wie aufs Stichwort bimmelte der Aufzug und mein Auge zuckte. So viel dazu. Eric und Ella kamen in die Küche und letztere begrüßte mich mit: „Du blöde Kuh! Was denkst du dir eigentlich?“

„Dir auch einen wunderschönen guten Morgen“, sagte ich und goss mir eine Tasse Kaffee ein, rührte Sahne und Zucker hinein und nahm einen Schluck, bevor ich sie ansah.

„Also?“

„Also was?“

„Erklär dich!“

„Reg dich nicht so auf, Ella. Sie hatte bestimmt ihre Gründe.“

„Halt die Schnauze, Eric!“ Er verdreht hinter ihrem Rücken die Augen und bediente sich an unserem Kühlschrank.

„Ihr geht nicht wieder weg, bis das geklärt ist, oder?“

„Nein“, erwiderten sie im Chor.

„Dachte ich mir.“ Seufzend nahm ich Ella am Arm und schleifte sie ins Wohnzimmer, wobei ich auf Dans Badezimmer lauschte. Das Wasser rauschte und ich hörte weder Stöhnen, Schreien noch verzweifelte Hilferufe. Musste ein gutes Zeichen sein.

Steif ließ ich mich dann auf die Couch fallen und wartete, bis Ella es sich bequem gemacht hatte. Erst, als sie mir wieder ungeduldige und mörderische Blicke zuwarf, begann ich ihr das ganze Debakel, sogar in Einzelheiten, zu erklären, wobei ich die sehr privaten Dinge, die nichts zur Sache taten wegließ.

„Und wegen so nem Scheiß, seid ihr beide total durchgedreht, sodass wir alle von Frank was abbekommen haben?“, schrie sie, als ich geendet hatte.

„So in etwa.“

„Ihr seid so hohl!“

„Hab ich je das Gegenteil behauptet?“ Entnervt fuhr sie sich durch die Haare.

„Was hat Frank mit dir noch besprochen?“

„Zusammengefasst? So ziemlich, dass er uns, also mir und Dan das Leben zur Hölle macht, wenn wir uns noch einmal so aufführen.“

„Dieses Arsch!“

„Dan?“

„Nein! Frank!“

„Achso.“

„Mann, du bist echt nicht fit. Jedenfalls geht mir Frank tierisch auf den Zeiger.“

„Wem sagst du das? Er ist ein eingebildetes, arschiges Wiesel. Ich würde ihm am liebsten mal den Kopf gegen irgendwas spitzes und scharfes schlagen.“ Dann berichtete ich ihr davon, wie Frank aus Dan und mir eine große Story basteln wollte. Nach dieser Erzählung zuckte nur noch diese Ader an ihrer Stirn, die das immer nur machte, wenn sie richtig sauer war.

„Wie wäre es, wenn wir versuchen, den Manager zu wechseln?“, warf Eric plötzlich mit vollem Mund ein.

„So weit, müssen wir erst einmal kommen“, erwiderte ich. „Soll zwar schon vorgekommen sein, wenn ich Stan glauben kann, aber wie macht man so was?“

„Ich will dafür sorgen, dass der Mistsack gefeuert wird. Viel wird ja wohl nicht mehr fehlen“, sagte Ella mit zusammengebissenen Zähnen.

„Mich würde nichts mehr freuen, als das, aber so weit müssen wir erst einmal kommen und am besten so, dass wir keinen Ärger bekommen.“

„Dann spinnen wir doch einfach eine kleine Intrige, wie Frank es mit uns gemacht hat“, hörte ich Dan sagen. Wir drehten uns Richtung Flur, wo Dan auf seinen Krücken langsam angehumpelt kam. Seine Haare waren fast noch nass und die Art, wie er angezogen war, bewies mir, dass er seine Schwierigkeiten damit hatte.

„Hast du dir den Plastikbeutel auch über den Gips gezogen?“

„Ja habe ich und ist das wirklich das erste, was dir einfällt, wenn du mich siehst?“

„Ja, so ziemlich.“

„Hmm!“

„Wenn ihr zwei Turteltauben dann so weit seid, könnten wir dann zu den wichtigen Dingen zurückkehren.“ Ella und ich machten für Dan auf der Couch Platz, während Eric sich mit einem voll beladenen Teller auf einen der Sessel packte. Vorsichtig legte Dan das Bein hoch und nahm seine Tabletten. Mit meinem Kaffee.

„Meinst du, dass das so gut ist?“

„Wieso? Ist doch nur Koffein.“

„Wenn du meinst.“

„Und? Ne Idee, was wir mit Frank anstellen?“, murmelte Eric um einen vollen Mund herum.

„Am liebsten würde ich ja einfach aussteigen, bevor ich noch einen Mord begehe“, nuschelte ich.

„Dann machen wir das einfach“, erwiderte Ella. „Jetzt, wo wir uns gefunden haben, können wir auch ohne Frank und seine Bonzenfirma groß rauskommen. Die Pappnasen haben mich eh immer nur gebremst!“

„Wir sollten das nicht überstürzen“, sagte da Dan. Er klang sehr vernünftig trotz seines Medikamentennebels. „Wieder als völlig unbekannte Indieband einzusteigen, ist nicht leicht. Lenne und ich haben schon eine Ewigkeit gebraucht, um in der kleinen Stadt, aus der wir kommen, eine der großen Clubnummern zu werden. Wenn wir es noch etwas länger aushalten, ohne Coleman zu töten, können wir an Bekanntheit gewinne und dann groß Aussteigen.“

„Aber ich will ihn leiden sehen!“

„Ich hätte da eine Idee“, kam es von Eric. „Wie wäre es, wenn wir ihn so richtig an der Nase herumführen und die Mittel der Firma nutzen, um uns in der Branche, sagen wir, einen kleinen Vorteil zu verschaffen?“

Ich bezweifelte, dass wir das auch nur in irgendeiner Form umsetzen konnten, aber der Gedanke, Frank nach Strich und Faden an der Nase herumzuführen und ihn in unserem Kielwasser untergehen zu lassen, war mehr als verlockend.

„Hattest du da auch konkretere...“ Mein Satz verebbte, als Dan mir plötzlich seine Lippen auf den Mund drückte und mir einen Kuss gab, der sich gewaschen hatte. Überwältigt und leicht panisch, kniff ich ihn in die Brustwarze und drehte sie.

„Au!“

„Sag mal, hast du sie noch alle!“

Eric und Ella lachten sich lediglich einen Ast. Na toll.

24

 Ich wusste nicht wieso, aber irgendwie hatte ich das übermannende Bedürfnis mich davon zu überzeugen, dass das hier grade wirklich passierte. Mein Hirn war ziemlich vernebelt und irgendwie konnte ich nicht mehr so ganz zwischen Realität und Hirngespinst unterscheiden. Saßen wir wirklich hier und spannen uns Rachepläne gegen Coleman zusammen? Keine Ahnung, Eric und Ella waren auf jeden Fall da. Lenne saß direkt neben mir, aber irgendwie war sie so weit weg und warum zur Hölle hatte sie Ella vorhin nicht erzählt was hier ablief? Ich hatte gehört, dass sie ihr nur das nötigste erzählt hatte und sie hatte definitiv ziemlich viel ausgelassen, was ich irgendwie klar stellen wollte. Deswegen, ich wusste nicht genau wieso, normalerweise war ich dezenter, fiel ich quasi über sie her und meinte klarstellen zu müssen, was hier Sache war. Wieso sie mir dann allerdings beinahe die Brustwarze abriss war mir unerklärlich, ich war der Meinung, nichts falsch gemacht zu haben. Musste mich wohl geirrt haben denn sie fuhr mich an und tippte mir an die Stirn.

„Sag mal, hast du sie noch alle!“

Ich glaubte, die Frage war aus irgendeinem Grund berechtigt, konnte aber nicht sagen wieso.

„Schrei mich nicht so an, ich sitze direkt neben dir und eigentlich höre ich ziemlich gut.“

„Mein Gott, du bist total benebelt. Geh ins Bett und schlaf deinen Rausch aus.“

„Was denn, du hast mir doch die Pillen gegeben!“

„Ja richtig, ich hab sie dir gegeben und du hast sie mit Kaffee genommen, meinem wohl bemerkt.“

„Du hättest mich ja davon abhalten können.“

„Hab ich doch versucht. Ich hab dir gesagt, dass das nicht gut ist.“

„Du hast mich gefragt, ob ich das für eine gute Idee halte. Soll ich jetzt jedes mal raten was du meinst, wenn du was sagst? Ich bin ja intelligent aber ich bin kein Hellseher.“

„Na das war ja mal nicht so super schlau, Mr Ich-weiß-alles und könntet ihr euch mal wieder einkriegen?!“

Das ging definitiv nicht an mich. Musste wohl Eric und Ella gegolten haben, aber wirklich sicher war ich mir nicht, Ben und Glen waren schließlich auch noch da.

„Entschuldige, aber ihr streitet wie ein altes Ehepaar.“

„Sehr witzig, ihr könnt wieder aufhören zu lachen.“

Man, wieso war sie so sauer? War das etwa meine Schuld?

„Tut mir Leid, ich benehme mich wie der letzte Depp.“

Vorsichtig zog ich Lenne zu mir ran, tat weiter aber nichts und da schwankte schon alles.

„Irgendwie sind meine Gedanken total verhangen und mein Kopf ist total schwer. Ich sollte vielleicht wirklich ins Bett gehen.“

Aber da kippte schon mein Sichtfeld, alles wurde schwarz und ich merkte, wie mein Kopf zur Seite kippte und auf Lenne's Schulter landete.

„Dan, mach jetzt keinen Mist.“

Ihre Stimme klang gedämpft, drang aber trotzdem ganz gut zu mir durch, obwohl ich mich fühlte wie in Watte gepackt.

„Mir geht’s gut. Nur müde.“

Jetzt kriegte ich noch nicht mal mehr die Hälfte der Sätze raus, die ich eigentlich dachte. Ella hingegen schien gar nicht mehr zu wissen, was sie sagen sollte. War sie verwundert? Keine Ahnung, auf jeden Fall musste sie ein paar mal ansetzen.

„Du hast ihm die volle Dröhnung verpasst, wenn er vorher nichts gegessen hat, hat ihn das voll umgehauen.“

Dann meinte ich Eric zu hören.

„Der wird schon wieder. Sieh ihn dir an, ginge es ihm schlecht, würde er nicht so friedlich aussehen.“

Dann blieb es einen Moment still und mein Kopfkissen bewegte sich. Sollte das so sein?

„Oh mein Gott, sieh sie dir an Eric. Sie sieht wirklich besorgt aus, hast du das schon mal bei ihr gesehen?“

„Das ist nicht witzig!“

„Doch irgendwie schon.“

Ich konnte Gekicher hören, aber das war dann auch das letzte, danach verlor ich den Faden.

 

 

 

Es gab zwei Dinge, die ich in diesem Moment liebend gerne zur Hölle geschickt hätte. Meinen Fuß, weil er weh tat und Ben, weil er an meiner Trainingshose zerrte. Natürlich an dem Hosenbein, dass vom Tisch herunter baumelte, weil der Fuß dort auf einem Kissen hoch gelegt war.

„Ben hör auf damit.“

„Was?“

Aus der Küche hört ich Schritte und wenige Augenblicke später stand Lenne in der Tür.

„Ich sagte Ben und nicht Lenne und bitte. Der Hund... bitte kannst du ihn da weg nehmen ich komm nicht an ihn ran und er mobbt mich.“

„Der Hund kann dich nicht mobben.“

„Doch, er zerrt an meinem Bein, dazu fühl ich mich als hätte ich einen Kater und er bohrt noch mit seinen kleinen, stummeligen Krallen in der Wunde rum.“

„mein Gott, du hörst dich an wie ein jammernder kleiner Junge.“

Trotzdem kam sie her, hob Ben hoch und setzte ihn mir auf den Schoß. Da fiel mir erst auf, dass außer uns niemand da war.

„Wo sind Eric und Ella?“

„Gegangen. Nachdem sie sich lustig darüber gemacht haben dass du sabberst, wenn du deinen Rausch ausschläfst, hab ich sie raus geschmissen.“

„Gesabbert? Ich sabbere nicht.“

„Weil du das ja auch bemerkst wenn du schläfst.“

Ich verschränkte die Arme. Mehr, weil ich nicht wusste, was ich sagen wollte als aus Trotz.

„Musst du im Laufe der Woche zur Kontrolle? Wenn ja, solltest du den Arzt nach der Dosierung fragen. Ich hatte irgendwie Angst, ich hätte dich ins nächste Leben gebombt.“

„Ich hätte vielleicht vorher was essen sollen. Heute Abend werde ich das auf jeden Fall tun.“

„Du willst das echt noch mal testen?“

„Ich möchte sehen wie du dir den Fuß brichst und das ohne Schmerzmittel über dich ergehen lässt, danach sprechen wir uns wieder. Und es sind ja auch nicht nur die Schmerzen, sondern auch die Trombosespritzen die du jeden Tag über dich ergehen lassen musst. Schön langsam und mit einem brennenden Nachgeschmack.“

„Stell dich nicht an, es gibt weitaus schlimmeres.“

Da hatte sie allerdings recht.

„Lass den Hund nicht von der Couch, ich will nicht dass du mich wieder rufen musst.“

„Ich hab dich überhaupt nicht gerufen und davon mal ab, wo willst du hin, bleib hier.“

„Ich gehe jetzt in die Küche nach dem Essen sehen und du lässt den Hund nicht los.“

„Und was wenn doch?“

„Dann hast du ein Problem.“

„Ach ja?“

„Ja.“

„Wirklich?“

„Dan! Treib es nicht zu weit!“

Wenn sie wüsste. Um dem ganzen die Krone auf zu setzen, ließ ich Ben vor der Couch runter und streckte ihr dann die Zunge raus. Ziemlich fassungslos blieb sie stehen und schien nicht zu wissen, was sie denken sollte. Na gut, ich dachte ja auch nicht unbedingt viel, vermutlich war ich deswegen so mutig ihr Handgelenk zu greifen und sie neben mir auf die Couch zu ziehen, weil sie eben grade in Reichweite gewesen war.

„So und was willst du jetzt machen?“

„Dir vielleicht noch mal in den Nippel kneifen oder deinen Fuß einfach vom Tisch rutschen lassen, tut beides sicher ziemlich weh.“

„Oh, was für wahre Worte. Wäre ich nicht immer noch leicht benebelt, hätte ich vermutlich Angst davor.“

„Das solltest du auch, denn du nimmst dir Dinge heraus, die-“

Um sie am weitersprechen zu hindern drückte ich die Lippen auf ihre, allerdings vorsichtiger als beim letzten mal und glücklicherweise reagierte sie dieses mal nicht so rabiat. Es war eben doch etwas anderes, wenn man alleine war. Zu meiner Erleichterung ließ sie sich sogar ziemlich gehen und als wir aus dem Kuss heraus gingen, hatte sie sich an mich geschmiegt.

„Es tut mir Leid, wirklich. Ich wollte dich gar nicht so vor den anderen überfallen, aber diese Pillen lassen einem wirklich nicht viel Raum zum nachdenken und ich kann dir versichern, es war nicht meine Absicht dich irgendwie bloß zu stellen wenn du das denkst. Ich war nur etwas irritiert, nach gestern Abend und heute morgen warst du wieder so distanziert und ich hab gehört was du Ella erzählt hast und ich weiß nicht, ich denke ich hatte Angst, du hättest es dir anders überlegt und... ich rede schon wieder zu viel. Es tut mir-“

Und dieses mal war es an ihr mich zu küssen. Ich merkte, dass sie sich eigentlich schon relativ früh wieder von mir trennen wollte, aber irgendetwas hielt sie davon ab. Das war mit letzte Nacht schon aufgefallen, nur da hatte ich es als unwichtig abgetan. Schlussendlich war es doch sie, die den Kuss beendete und ich konnte fühlen, wie sich Enttäuschung in mir breit machte.

„Gut, dass das auch umgekehrt funktioniert. Du redest manchmal wirklich zu viel.“

Ich wollte schon zu einem erneuten „Tut mir Leid.“ ansetzen, aber da zog sie die Brauen hoch und ich schluckte es herunter. Stattdessen seufzte ich und entschied mich dann für andere Worte.

„Ich schwöre dir, ich kann das besser. Momentan habe ich nur Angst, du könntest immer noch aufspringen und davon laufen. Ich hab schon immer versucht, meine Unsicherheit mit reden zu übermalen.“

„Das gelingt dir aber nicht sonderlich gut.“

„Ich bin grottenschlecht oder?“

Als Antwort erhielt ich ein zaghaftes Nicken.

„Ziemlich. Aber ich kann dich beruhigen. Ich gehe nicht wieder weg.“

Das klang ziemlich genuschelt aber ich verstand sie trotzdem und als sie den Kopf an meine Schulter lehnte und fort fuhr, konnte ich nur schmunzeln.

„Ich kann dich mit deinem Fuß und Ben ja nicht alleine lassen. Er würde ihn dir abnagen und du würdest anfangen zu weinen.“

„Wow Parker hast du etwa grade einen Witz gemacht? Ich bin schockiert.“

Ich merkte wie sie stockte, da musste ich nur noch mehr grinsen und als sie das sah, knuffte sie mich in die Seite.

„Stell dir vor, das kann ich auch, ja.“

„Nein, kannst du nicht, der war grottenschlecht.“

Und doch machte ich mir einen Spaß daraus.

„Du bist ein Blödmann.“

„Und trotzdem liebst du mich, das sollte dir zu denken geben.“

Klar wagte ich mich mit dieser Aussage auf dünnes Eis. Ich hatte mir letzte Nacht fest vorgenommen, es nicht zu überstürzen und trotzdem hob ich ihr Kinn an, damit sie mich ansah und küsste sie dann, als ich nicht wusste, was ich in ihrem Gesicht las. Aber es war auch egal ob ich nun sie oder mich selbst davon überzeugen wollte, dass es so war, denn sie erwiderte den Kuss und schlang mir die Arme um den Hals. Mehr brauchte ich gar nicht zu wissen. Dummerweise schaltete sich damit mein Kopf aus und ich vergaß alles, was ich mir letzte Nacht immer und immer wieder vorgebetet hatte, weil ich nicht schlafen konnte. Dahin waren also all die Vorsätze und ich wusste, dass ich es vergeigte als ich mich weiter zu ihr hinüber lehnte und sie somit langsam mit dem Rücken Richtung Couch führte. Erstaunlicherweise wehrte sie sich nicht, sie verspannte sich noch nicht mal und ich merkte, wie sie ihre Grenzen auszutesten schien. Wollte sie wirklich jetzt ausprobieren, wie weit sie gehen konnte? Definitiv, denn nach nur wenigen Augenblicken war mehr Zunge mit im Spiel, als ich eigentlich beabsichtigt hatte. Und ich, Idiot wie ich war, konnte nicht aufhören. Ja, verdammt, ich war auch nur ein Mann und wenn ich ehrlich zu mir selbst war, hatte ich sie schon immer anziehend gefunden, was jetzt dazu führte, dass ich mich nicht zurück halten konnte. Und Herrgott, wieso musste sie auch so gut in dem sein, was sie tat, obwohl sie behauptete keine Ahnung von alledem zu haben?

Ich hatte ihr schon eine Hand auf den Rücken gelegt, um sie langsam auf die Couch gleiten zu lassen, als mir aufging was als nächstes passieren würde. Ergeben nahm ich mein Schicksal hin und ließ Lenne in einer fließenden Bewegung auf die Couch nieder, wobei ich den Kuss hastig beendete, dann den Kopf an ihrer Schulter vergrub und die Zähne zusammen biss, bevor mein Fuß endgültig von der Tischkante rutschte. Nur den Bruchteil einer Sekunde später kam er, trotz Kissen, auf dem Boden auf und mir schoss ein beinahe unerträglicher Schmerz durch das ganze Bein, den Rücken hinauf in den Nacken und ich musste mir echt auf die Zunge beißen, um nicht laut zu schreien. Ich erlaubte mir nicht mal ein schmerzerfülltes aufstöhnen, weil das den Moment vermutlich noch viel gründlicher zerstört hätte.

Eine ganze Weile verharrte ich vollkommen verkrampft und mich über Lenne haltend, um sie nicht unter mir zu begraben, bis ich schließlich so oft tief durchgeatmet hatte, dass ich mir das fluchen zutraute.

„Verfluchte Scheiße tut das weh. Warum ist dieser verschissene Gips so schwer und wieso zur Hölle haben sie den Fuß nicht gleich abgenommen? Das wäre deutlich einfacher zu ertragen.“

Mir standen immer noch vor Schmerz die Tränen in den Augen als ich versuchte, mich hoch zu hieven und kläglich daran scheiterte. Ich wollte schon wieder los fluchen und mich gleichzeitig bei ihr entschuldigen, nachdem mein Hirn wieder eingesetzt hatte, hätte ich dabei vermutlich schrecklich genuschelt, aber dazu kam ich ohnehin nicht.

„Denk nicht drüber nach. Der Schmerz vergeht schneller, wenn du dich ablenkst.“

Ja, wie gut das funktionierte, hatte ich grade gesehen, bis ich zwangsweise wieder daran erinnert wurde.

Ich brummte darauf nur und da löste Lenne ihre Arme von meinem Hals und legte mir die Hände an die Wangen, bevor sie meinen Kopf hob und mich dazu brachte sie anzusehen. Mitfühlend versuchte sie mich aufmunternd anzulächeln, was nicht sonderlich gut funktionierte. Ich schnaufte nur und da drückte sie mir einen beinahe gehauchten Kuss auf.

„Du hättest mich eben doch nach dem Essen sehen lassen sollen.“

Natürlich, reib auch noch Salz in die Wunde? Fand sie das etwa lustig? Ihr spitzbübisches Lächeln ließ das vermuten, aber ich wollte ihr keinen Sadismus andichten.

„Und das sollte ich jetzt auch tun, denn so langsam sollte der Eintopf mehr als gar sein, so lange wie ich schon damit auf dich warte.“

Ich sah wie sie zögerte und als ich merkte, wie ihr Blick zu meinem Mund huschte wusste ich, was in ihrem Kopf vorging. Wir wussten beide was passierte, wenn sie das jetzt tat. Oder zumindest wusste ich das, denn dieses mal würde ich dafür sorgen, dass eine solche Unterbrechung nicht mehr vorkam und ganz sicher würde ich mich nicht noch mal von meinem Fuß bremsen lassen, so sehr es auch weh tun würde.

Glücklicherweise, aber eigentlich zu meinem Bedauern, zwang sie sich unter mir hervor und verschwand in Richtung Küche. Ich starrte ihr so lange hinterher, bis sie schließlich aus meinem Sichtfeld verschwand und verfluchte mich innerlich. Ich war viel zu weit gegangen. Wobei ich mir zugute halten musste, dass ich meine Finger bei mir behalten hatten, wobei ich mir sicher war, dass das nicht mehr lange der Fall gewesen wäre, das angehende ziehen in meiner Shorts bestätigte das. Herrgott noch mal, ich war so ein Vollidiot! Ich hielt mich ja schon nicht an das, was ich mir selbst vorgenommen hatte. Was tat ich denn, wenn sie anfing Regeln diesbezüglich aufzustellen? Spätestens dann hätte ich es schlussendlich verbockt, wenn sie nicht jetzt schon dabei war, ihre Sachen zu packen.

 

 

 

 

 

Mit klopfendem Herzen rührte ich im Topf herum und starrte geradeaus ins Nichts. Irgendwas sollte ich mit dem Essen machen, aber ich hatte vergessen, was es war. Wo war Dan gewesen, als ich zur Schule gegangen war? Wenn er damals schon ansatzweise der Mann gewesen war, der er heute ist, hätte ich vielleicht sogar mit ihm gesprochen, ohne einen Angstanfall zu bekommen.

Ich wusste, dass es dumm war, sich wie ein verliebter Teenager aufzuführen und ich wusste nicht, ob es wirklich das war, was ich fühlte. Aber ich vermutete, dass Dans gewagte Worte wahr sein konnten. Natürlich hatte ich mehrfach das Bedürfnis verspürt, ihm ordentlich eine runterzuhauen, aber letztlich hatte ich es nicht getan.

Eine Weile starrte ich ratlos in den blubbernden Eintopf, bis mir einfiel, dass ich ihn ja vom Herd nehmen wollte. Eilig schaltete ich die Herdplatte aus und verschob den Topf auf eine kalte. Dann kramte ich in den Schränken nach Schüsseln, schnitt ein paar Scheiben von dem Aufback-Baguette ab und sortierte alles mit Besteck auf ein Tablett.

Vorsichtig balancierte ich alles zurück ins Wohnzimmer, wo mein Vollidiot es geschafft hatte, seinen eingegipsten Fuß wieder auf den Tisch zu heben. Wie erwartet zerrte und kaute Ben wieder an seiner Hose. Mit schmerzverzerrter Miene schaute Dan mich an.

„Sag nichts!“ Ich hob eine Augenbraue, zuckte mit den Schultern und sagte es trotzdem: „Ich hab's dir doch gesagt.“ Daraufhin verzog er das Gesicht so sehr, dass ich lachen musste. „Und ich werde dir das bei jeder sich bietenden Gelegenheit wieder unter die Nase reiben. Dann hörst du vielleicht nächstes Mal auf mich.“

„Ich hoffe ja sehr, dass es niemals ein nächstes Mal geben wird.“ Kichernd stellte ich das Tablett ab, setzte mich zu ihm auf die Couch und reichte ihm eine Schüssel, einen Löffel und legte zwei Schreiben Brot auf den Eintopf. Dann kümmerte ich mich um meine Portion, bevor ich mich zurück lehnte und durch die Fernsehkanäle zappte, bis ich einen Disneyfilm entdeckte. König der Löwen, echt klasse!

„Das ist ja wohl nicht dein Ernst“, sagte Dan ungläubig und sah mich an, als wäre mir eben ein zweiter Kopf gewachsen.

„Was denn? Ich mag Disney.“ Er starrte einfach weiter, weshalb ich beschloss, ihn zu ignorieren und mein Essen zu essen und einen der tollsten Filme aller Zeiten zu genießen.

Während wir schweigend aßen, lehnte ich mich an ihn. Zuerst war er irgendwie verspannt, obwohl er das zuvor ganz und gar nicht gewesen war, dann wurde er aber locker. Ich würde ihn wohl nie richtig verstehen.

Jedes Mal, wenn die Tiere im Film zu einem Lied ansetzten, verzog Dan das Gesicht, worüber ich nur schmunzeln konnte. Ich mochte am liebsten die Szene mit Simba und Nala, in der sie den Song gesungen von Elton John einspielten. Der Mann hatte einfach eine geniale Stimme. Ich war kein unglaublich großer Fan, aber wer diese Stimme nicht zumindest einmal gehört hatte, der lebte hinterm Mond.

Zwischendurch sah ich auf, weil sich etwas hinter mir bewegte und ich bemerkte, dass Dan mir den Arm um die Schultern gelegt hatte. Es fühlte sich noch immer sehr seltsam an, jemandem körperlich so nahe zu kommen, aber solange es Dan war, war es in Ordnung. Jedem anderen hätte ich dafür den Arm mit meiner Suppenschüssel gebrochen.

Nachdem der Film zu Ende war, seufzten wir beide. Ich weil, alles im Gegensatz zur Realität doch noch ein Happy End genommen hatte und Dan vermutlich, weil der Film endlich vorbei war.

„Ich steh ja auf Musik, keine Frage, aber das ständige Gesinge in diesen Filmen“, nuschelte Dan vor sich hin. „Das grenzt ja fast an ein Musical.“

„Anfangs hat mich das auch ziemlich genervt, aber du musst dich nur drauf einlassen, dann fieberst du richtig mit.“

„Klar“, schnaubte er nur. Ich packte das dreckige Geschirr auf das Tablett und brachte es in die Küche, wo ich es gleich in den Spüler räumte, bevor es noch ewig auf der Theke herumgammelte.

„Lenne!“ Gemächlich schlenderte ich zurück ins Wohnzimmer.

„Was denn?“ Dan machte eine Grimasse und zeigte auf Ben, der doch tatsächlich immer noch an seiner Hose kaute. Entweder war dem Hund langweilig oder er wusste ganz genau, was er Dan für Qualen durchleben ließ. Ich glaubte ja, dass es ein bisschen von beidem war. Sadistische kleine Monsterwelpen braucht die Welt!

Seufzend entfernte ich also den Hund von Dans Bein und setzte ihn ihm wieder in den Schoß. Ich sah den Pappenheimer streng an mit einem Blick, der sagen sollte 'Lass den Hund bloß nicht noch einmal runter'.

„Kommst du eine Weile alleine klar? Ich wollte noch ein bisschen malen, bevor der freie Tag zu Ende geht.“

„Klar. Wenn was ist rufe ich einfach. Oder schreie, je nachdem.“ Mit den Augen rollend seufzte ich, klopfte ihm auf die Schulter und verschwand in meinem Atelier.

Die Bilder waren immer noch genauso angeordnet, wie ich sie aufgestellt hatte. Ich griff mir eine leere Leinwand, meine Zeichenkohle und setzt mich in den Halbkreis und begann, eine Skizze zu zeichnen. Eher untypisch für diese Art von Bild, doch die ganzen Staffeleien waren besetzt, also musste ich sicher gehen, dass ich die Linien nicht verdarb, wenn ich auf dem Boden malte. Nicht, dass es wirklich eine Rolle gespielt hätte. Ich würde die ganzen Bilder, wenn ich jemals damit fertig würde, sowieso verbrennen und endgültig einen Schlussstrich ziehen.

Dieses Bild hier würde jedoch ausnahmsweise keine Massakerszene zeigen. Es war ein Portrait. Ein Portrait einer Frau, die seit langem tot war und hoffentlich niemals als Zombie aus dem Grab zurückkehren würde. Das würde ich nicht überstehen. Ein Portrait einer Frau, die mein Leben so gravierend geprägt hatte, dass ich noch heute daran zu knabbern hatte. Mein gesamtes Verhalten ließ sich auf diese eine Frau zurückführen. Sie war meine Mutter und ich war überglücklich über den Umstand, dass sie zwei Meter tief unter der Erde lag, wobei das noch viel zu gnädig für ihre schäbigen Überreste gewesen war. Wäre es nach mit gegangen, hätte ich ihre Ache ins Meer gekippt.

Viele behände Striche brachten eine Kohleskizze hervor, die sie mit zusammengebundenen Haaren und einem Lächeln auf den Lippen zeigte. Das Lächeln erreichte jedoch niemals ihre Augen. Ein Strich hier und ein Strich dort und schon bekam es einen grausamen Zug. So, wie ich sie immer gesehen hatte. So, wie ich mich immer an sie erinnern würde.

Die Skizze war erstaunlich schnell fertig und ich griff bald nach Farbe und Pinsel. Ich fing mit den Augen an. Diese kalten, grausamen Augen, die mich immer mit Ablehnung angesehen hatten. Es war das Einzige, was sie und ich äußerlich gemeinsam gehabt hatten. Im Gegensatz zu mir hatte sie braune Haare gehabt, ihr Gesicht war scharf geschnitten gewesen und sie war immer irgendwie dürr, aber erstaunlich kräftig, gewesen. Ich hingegen hatte irgendwie etwas Weicheres an mir und meine blonden Haare bildeten den größten Unterschied. Nur die violetten Augen hatten uns beide verbunden. Darum hasste ich meine Augen.

Ich war gerade halb mit dem Gesicht fertig, als ich merkte, dass es stockfinster draußen war. Ich sah auf die Uhr des Telefons und verzog das Gesicht. Im Wohnzimmer war es totenstill, aber ich ging trotzdem hinaus und sah nach Dan, nur um ganz sicher zu sein.

Dieser saß immer noch auf der Couch, hatte den Kopf nach hinten gekippt und den Mund weit offen. Ben hatte sich auf seinem Schoß zusammengerollt und machte im Schlaf kleine niedliche Geräusche. Spontan schnappte ich mir die Schachtel mit Dans Tabletten, nahm die auf der Packung notierte Menge hinaus, setzte mich auf einen Sessel gegenüber von ihm, nahm eine Pille und peilte seinen Mund an. Und tatsächlich ging mein erster Wurf rein! Dan machte ein ersticktes Geräusch, als sie in seinem Rachen landete, schluckte sie aber runter, ohne aufzuwachen. Auch die zweite ging auf diese Weise rein, aber diesmal schluckte er sie, hustete und riss die Augen auf. Röchelnd und hustend sah er sich um, bis seine Augen an mir hängen blieben.

„Was hast du getan?!“

„Ich hab dir deine Tabletten gegeben. Zwei mal am Tag und so“, erwiderte ich und hielt die Packung hoch.

„Du wolltest mich wohl eher umbringen!“

„Nö, ich hab sie dir nur wie beim M&Ms-Weitwerfen in den offenen Mund geschmissen. Wenn du das vermeiden willst, solltest du nicht auf diese Weise auf der Couch einschlafen. Ich schlage vor, du spülst jetzt mit Wasser nach.“ Ungläubig schüttelte Dan den Kopf, während ich seelenruhig aufstand und aus der Küche ein Glas Wasser holte, dass er dann in einem Zug hinunter kippte.

Dann nahm ich ihm Ben vom Schoß und half ihm beim Aufstehen, damit er in sein Zimmer hinken konnte. Ich passte den ganzen Weg auf, dass er sich nicht doch noch weh tat und setzte Ben dann in seinem Körbchen ab.

„Bis morgen, Dan.“

„Nacht, Lenne“, hörte ich aus dem Schlafzimmer, als ich die Tür schon halb zugezogen hatte. Ich ließ sie dennoch einen Spalt offen, nur für den Fall, dass etwas war.

In meinem Zimmer saß ich noch eine Weile an meinem Schreibtisch. Der Tag war lang gewesen und mal wieder das reinste Gefühlschaos. Ich hatte noch gar nicht richtig über die Episode auf dem Sofa nachgedacht. Wenn Dan wirklich gewollt hätte, hätte ich ihn an meine Wäsche gelassen. Das war nicht nur eine Vermutung oder eine Aussage mit einem 'vielleicht' daran. Nein, ich wusste es mit Sicherheit. Und am liebsten hätte ich mir selbst dafür eine runtergehauen.

Der Kerl zerstampfte alle meine jahrelang antrainierten Schutzmechanismen vor der Menschheit und krümelte sie zum Fenster hinaus, ohne es zu merken. Und es war okay für mich. Weil es Dan war. Das war der einzige Grund, weshalb ich ihn noch nicht im Schlaf mit einem Kissen erstickt hatte. Ich hatte ihn schon immer irgendwie gemocht, auch wenn ich es nicht gewollt hatte und jetzt hatte ich die Freiheit, das ausleben zu dürfen.

Ich musste mich nicht mehr verstecken, weil ich mich bei ihm wohl fühlte. Und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er anders als all die anderen mich nicht mit Abscheu ansehen würde, wenn er erstmal alle Facetten meines Lebens kannte. So wie er mir Stück für Stück seine darlegte.

Allein die Tatsache, dass ich, seit ich mit ihm lebte und arbeitete, meine gefärbten Kontaktlinsen nicht mehr trug, war schon ein großer Beweis dafür. Ich hatte sie immer eingesetzt, darauf bedacht, niemandem meine grässliche Augenfarbe zu zeigen. Sie war anders, seltsam und außergewöhnlich, weshalb ich oft angestarrt worden war. Aber da sie mich mit dieser Frau verbanden, war sie auch immer negativ behaftet gewesen. Viele hatten damals meine Verwandtschaft zu ihr allein aus einem Zeitungsfoto und meinen Augen geschlossen. Etwas, das ich niemals vermutet hätte und das mich beinahe in den Wahnsinn getrieben hatte. Von da an, hatte ich sie versteckt. Ich wollte sie niemals wieder der Welt offenbaren, aber mit dem ganzen Chaos, das mir Dan einbrockte, hatte ich es irgendwann vergessen. Es schien einfach nur noch so... banal.

Mittlerweile konnte ich mich sogar ohne Kontaktlinsen im Spiegel betrachten, ohne den Drang zu bekommen, ihn sofort einzuschlagen. Das war gut. Zumindest glaubte ich das.

Ich konnte es mir nicht erklären, aber Dan veränderte einfach alles. Mich überkam das unbeschreibliche Gefühl, irgendetwas daraus zu machen. Mir juckten die Finger, was schon lange nicht mehr der Fall gewesen war. Ich hatte den Drang, zu malen, Blemish mit ihnen zu quälen, aber das Bedürfnis, zu schreiben, hatte mich schon lange nicht mehr heimgesucht.

Also zog ich aus einer Schublade ein paar Bögen Papier hervor, schnappte mir einen Stift und begann, von meiner ersten Begegnung mit Dan zu schreiben. Ich wollte damit nichts Großartiges zu Papier bringen. Ich wollte kein episches Werk voller Emotion und bla bla bla kreieren. Ich wollte es lediglich festhalten. Für mich. Und eines Tages vielleicht, aber nur vielleicht, würde ich es sogar jemandem zeigen.

Ich glaubte da selbst nicht dran, dass es jemals so weit sein würde, aber wer wusste schon, was die Zukunft bringen würde? Das Ganze war eine Reise ins Ungewisse. Eine Parallele zum Leben mit Dan.

Ich war gespannt, was als nächstes passieren würde. Würden wir uns wieder streiten? Würden wir uns wieder knutschend auf der Couch wälzen? Würde eine atomarer Krieg ausbrechen und alles Leben auf der Erde auslöschen?

Irgendwie war es aufregend. Ich fühlte mich doch tatsächlich wieder lebendig. So richtig lebendig. Nicht diese Scheinlebendigkeit, die ich mir sonst jeden Tag aufzwang, um nicht doch noch von einem Hausdach zu springen. Nein. Das war ein ganz anderes Gefühl. Zum zweiten Mal in meinem Leben glaubte ich tatsächlich daran, dass es etwas gab, wofür es sich zu leben lohnte. Ich betete nur zu dem Gott, an den ich nicht glaubte, dass diese Hoffnung nicht wieder in einem unbeschreiblichen Alptraum enden würde. Das könnte ich mir niemals verzeihen.

25

 Wie schon die Nacht zuvor schlief ich nur gut vier Stunden, bis die Schmerzen mich wieder aus dem Schlaf rissen. Dafür, dass diese scheiß Tabletten einen solchen Knock Out Effekt hatten, hielten sie nicht grade lange vor. Und was hatte Lenne sich überhaupt dabei gedacht, wollte sie mich loswerden für die Aktion vom vergangen Nachmittag? Das wäre eine super Art mich los zu werden, Tod durch ersticken an den eigenen Schmerztabletten. Wer würde auch auf die Idee kommen, dass sie mir die Dinger aus der Entfernung in den Rachen warf? Diese Frau würde auf jeden Fall mein Tod sein, auf die eine oder andere Art. wobei Tod durch Verzweiflung sicherlich um einiges schlimmer war. Vielleicht sollte ich auch einfach Chase fragen, ob er mich erschoss. Das wäre zwar feige, aber ich hatte im Anschluss ja nichts mehr damit am Hut.

Über meine lächerlichen Gedanken seufzend richtete ich mich auf und spürte gleich ein unangenehmes brennen im Bauch. Klar, alles anpeilen hatte natürlich nicht geholfen, wie sollte man sich auch anständig eine Trombosespritze setzen, wenn man schon unter leichtem Pillenrausch stand. Das würde vermutlich einen anständigen blauen Fleck geben. Vielleicht konnte ich das ja noch irgendwie benutzen um Lenne damit auf zu ziehen, wobei ich mir nicht sicher war, wie sie reagieren würde, also ließ ich es vielleicht auch einfach besser bleiben.

Nichts desto trotz schlug ich die Decke beiseite und angelte nach meinem Shirt und meiner Hose und Gott segne den hellen Kopf der auf die Idee gekommen war, Reißverschlüsse an Hosenbeinen anzubringen. Na gut, für Ben war es natürlich das gefundene Fressen nach dem Verschluss zu schnappen, aber alles hatte schließlich irgendwo einen Nachteil oder?

Ich zog mir das Shirt über und wand mich in meine Jogginghose zurück, bevor ich nach meinen Krücken griff und mich mit Mühe vom Bett quälte. Jetzt wo ich erst mal stand, konnte ich mir Gedanken darüber machen, was ich tun würde. Ich würde sicher nicht noch eine Nacht damit verbringen wach zu liegen, mich vor Schmerzen hin und her zu wälzen und mir den Kopf darüber zerbrechen, wie es jetzt weiter ging. Und nach dem heutigen Tag, wollte ich ganz sicher nicht wieder darüber nachdenken, wie es in diesen vier Wänden weiter ging. Alles was ich mir ausmalte, würde ohnehin nicht zutreffen weil dieses Mädchen unberechenbar war. Wobei diese kleine Sadistin mich um den verstand brachte ohne es zu wissen, einfach nur, weil sie hier war und unverschämt gut dabei aussah und dass ganz offensichtlich, ohne es zu wollen. Wieso zur Hölle war sie überhaupt noch hier? Nachdem ich sie so überfallen hatte, war ich fest der Meinung gewesen, sie nie wieder zu sehen. Wie auch immer.

Mit etwas Mühe warf ich mir sowohl mein Kissen als auch meine Decke über die Schulter, animierte Ben dazu mir zu folgen und schleppte mich dann in mein Bad. An der freien Wand zu meiner Rechten ließ ich alles fallen und zog die Decke behelfsmäßig mit einer Krücke zurecht, beim hinaus gehen drehte ich die Fußbodenheizung hoch und holte mir dann erst Stift und Papier aus meinem Zimmer und dann die Akustikgitarre aus dem Probenraum. Das ganze kostete mich eine gute dreiviertel Stunde. Mein Gott war ich schnell. Ha ha. Aber wen störte es schon, es war mitten in der Nacht, ich konnte niemanden um Hilfe bitten und Lenne würde ich ganz sicher nicht wecken. Vor allem nicht auf die Gefahr hin, dass sie wieder oben ohne schlief. Wenn sie mir wieder so freizügig ihren Rücken präsentierte, würde ich sie nur wieder danach fragen, ich kannte mich ja und genau das wollte ich nicht tun. Sie würde es schon irgendwann erzählen wenn sie das wollte, wobei ich hoffte, dass sie das tat, immerhin wäre es nur fair.

So saß ich also mitten in der Nacht in meinem Bad auf dem Boden, das Kissen im Rücken an die Wand gelehnt, das Bein in die Decke unter mir gewickelt damit Ben nicht wieder auf die Idee kam am Reißverschluss zu kauen und spielte mit eben diesem. Der Welpe lag auf meinem Schoß auf dem Rücken und balgte sich mit meiner Hand, zwickte und kaute hinein und wand sich dabei. Wirklich sanft war das nicht und ich spürte jeden Ruck in meinem Fuß widerhallen, aber es war nicht so schlimm, als das ich es nicht aushalten würde. Ganz im Gegenteil, der gleichmäßige Schmerz rückte weitgehend in den Hintergrund und Ben lenkte mich zusätzlich davon ab, bis er irgendwann die Lust verlor und sich auf meinem Schoß zusammen rollte. Vorsichtig hob ich ihn an und legte ihn neben meinem linken Bein auf der Decke ab, woraufhin er sich gleich anschmiegte und dann weiter schlummerte. Ich kraulte ihn noch eine weile und hing meinen Gedanken nach, wobei da zugegeben nicht viel bei heraus kam. Der Großteil drehte sich um Lenne, was passierte und wie sich das auswirkte. Alles nur trockene Theorie in meinem Kopf und am Ende verlor ich mich beinahe in meinem Kopfkino. Sicher, eine ganze Stange davon war nicht unbedingt jugendfrei, aber es gab auch verdammt viel, bei dem wir beide unsere Sachen anbehielten. Es fing schon bei ihrem Lächeln an, dass sie nur zeigte wenn sie glaubte, dass es keiner sah und ging über Banalitäten wie die Tatsache, dass sie mich nicht einfach hängen ließ und mir stattdessen half. Was mich daran ein wenig quälte war, dass sie das noch nicht mal als schlimm zu empfinden schien. Sie tat zwar, als würde sie das nerven, aber das schien nicht so zu sein. Ich entdeckte noch Seiten an ihr, die ich an ihr überhaupt nicht vermutet hatte, so wie wir uns drei Jahre lang angeschrien hatten. Sie war gar nicht kalt und unfreundlich, wenn sie ihre Schutzmauern einmal fallen gelassen hatte, auch wenn sie einen ziemlich verqueren Humor zu haben schien. Aber mein Gott, wenn Chase und ich richtig loslegten hielten Eltern in der Umgebung ihren Kindern die Ohren zu. Das war auch nicht grade besser. Was auch immer mit Lenne und mir passieren würde, ich war mir sicher, dass noch eine Menge passieren würde, bevor wir uns richtig eingependelt hatten. Allerdings würde ich dieses mal geduldig bleiben, auch wenn das nicht grade meine Stärke war. Ich würde sie zu nichts zwingen, auch wenn ich ihr heute vermutlich das Gegenteil vorgemacht hatte und ja, ich wusste, dass das keine gute Ausrede war, aber verdammt noch mal ich war auch nur ein Mann und sie war so verdammt süß, wenn sie nicht wusste was sie sagen sollte wenn ich sie überrumpelte.

Um nicht wieder mit den Gedanken zu unserem kleinen zusammentreffen auf der Couch zurück zu kehren nahm ich mir die Gitarre, die ich neben mir an die Wand gelehnt hatte, und begann vorsichtig ein paar Akkorde zu spielen, was gewaltig in die Hose ging. Die Gitarre war zwar nicht schwer, aber ich spürte ihr Gewicht doch auf dem Bein und da ich mit rechts anschlug, spürte ich auch jeden Schlag. Um nicht laut zu fluchen biss ich die Zähne aufeinander und lehnte schließlich den Kopf gegen die Wand. Schön, dann musste ich eben klein anfangen.

 

 

 

Als mir gewaltsam der Kopfhörer aus dem Ohr gerissen wurde, riss ich die Augen auf. Die Sonne schien bereits ins Bad, was ich nicht wirklich mitbekommen hatte, deswegen überraschte es mich nicht, das Lenne mich gleich darauf anfuhr.

„Herrgott noch mal, was tust du hier?!“

„Musik hören?“

„Ich hab die ganze Zeit nach dir gerufen!“

Zögernd hielt ich das offensichtliche hoch, wobei das eigentlich nicht nötig war, da sie mir einen der Kopfhörer selber aus dem Ohr gerissen hatte.

„Du brauchst nicht so zu schreien, ich hör dich jetzt ganz gut.“

„Komm mir jetzt nicht so Darian.“

Dass sie meinen vollen Namen benutzte konnte nichts gutes verheißen, aber ich sah gar nicht ein vor ihr zu kuschen.

„Es tut mir Leid, ich wollte nicht das du dir Sorgen machst. Ich war nur so in die Musik vertieft, da hab ich alles andere ausgeblendet.“ Sogar den Schmerz in meinem Fuß.

„Und warum sitzt du dafür hier im Bad? Du könntest genauso gut im Bett Musik hören.“

„Na ja, ich hatte den ganzen Krempel schon hier rein geschleppt und eigentlich wollte ich spielen aber...“

Bei dem Gedanken daran verzog ich das Gesicht.

„Aber was?“

„Keine Chance. Selbst mit Decke dazwischen drückt die Gitarre auf das Bein und wirkt sich auf den Fuß aus. Anschlagen ist in der Position nicht drin und zupfen geht zwar, aber nur solange ich langsam spiele und auf Dauer wird das ganz schön langweilig. Ich hab also alles nur aufschreiben können was mir so durch den Kopf geklungen hat und musste mir dann den Mp3-Player aus dem Schlafzimmer holen.“

„Wenn du schon da warst, wieso bist du nicht gleich da geblieben?“

Ich zuckte mit den Schultern um es herunter zu spielen, aber ich glaube man konnte so eine Schmach gar nicht klein halten.

„Ich kam nicht so weit runter um Decke und Kissen wieder hoch zu nehmen, also hab ich mich wieder hier hin gesetzt. Außerdem gefällt es Ben hier, ich hab ihm die Duschwanne mit Wasser volllaufen lassen, ich hab festgestellt, er liebt Wasser.“

„Er liebt Wasser. Ganz toll.“

Wieso war sie denn immer noch bockig?

„Hey sei nicht sauer, ich hab mich entschuldigt.“

„Darum geht es doch gar nicht.“

„Ach nein? Worum geht es denn dann, wenn nicht darum, dass du dir Sorgen gemacht hast?“

Trotzig verschränkte Lenne die Arme vor der Brust und sagte nichts, was mich seufzen ließ.

„Komm her.“

„Warum glaubst du eigentlich ständig, dass du mich mit diesen Worten nach deiner Pfeife tanzen lassen kannst?“

„Bitte komm einfach hier runter oder hilf mir auf.“

Sie schien ernsthaft zu überlegen was sie tun sollte und ging dann schließlich sichtlich widerwillig neben mir in die Hocke. Ich nutze das gleich aus und legte ihr eine Hand in den Nacken um sie zu mir heran zu ziehen und sie zu küssen, wonach ich ihr in die Augen sah.

„Es tut mir Leid, okay? Ich hab erst überlegt rauf aufs Dach zu gehen weil du da vermutlich am ehesten nach mir gesucht hättest, aber da sind Stufen die ich vermutlich nicht geschafft hätte ohne über die Brüstung zu fliegen und außerdem konnte ich Ben nicht mit da rauf nehmen. Das nächste was mir also einfiel war das Bad, weil ich ihn hier am einfachsten bespaßen konnte und hier drinnen Musik machen ist echt klasse. Der Klang wir von den Fliesen auf diese bestimmte weise zurück geworfen und-“

„Dan hör auf, du redest schon wieder zu viel.“

Ich erwartete fast, dass sie mich küssen würde um mich zum schweigen zu bringen, aber das tat sie nicht. Sie nannte mich zwar wieder Dan aber irgendwie machte ich mir trotzdem ein bisschen sorgen. Als sie sich dann ohne weiteres wieder aufrichtete und den Weg Richtung Tür einschlug, klingelten bei mir die Alarmsirenen.

„Hey wo willst du hin?“

„Mich für die Arbeit fertig machen.“

„Und was ist mit mir? Willst du mich ernsthaft hier sitzen lassen?“

„Du scheinst das ja letzte Nacht auch ganz gut alleine geschafft zu haben.“

„Ja, aber das hat eine halbe Ewigkeit gedauert.“

„Na dann solltest du es ja in die Küche geschafft haben, bis ich das Frühstück fertig habe.“

Das alles sagte sie ohne sich auch nur einmal zu mir umzudrehen. Gut, ich hätte mich auch nicht umgedreht, damit sie nicht sah wie ich vor mich hin grinste. Denn genau das tat sie. Sie verarschte mich und machte sich auch noch darüber lustig und das direkt vor meinen Augen und ich Trottel ging voll darin auf.

„Du bist eine miese kleine Sadistin Mrs. Ames.“

Ich bemerkte wie sie kurz über meinem Kommentar stockte, nicht sicher ob es war, weil ich sie als Sadistin bezeichnete oder aber weil ich sie mit meinem Namen ansprach. Sie schaute kurz zu Boden, schüttelte dann den Kopf und wandte mir nur kurz das Gesicht zu, sodass ich sie im Profil sah. Sie lächelte.

„Gewöhn dich lieber dran.“

Und da wusste ich, dass sie wegen des Namens gezögert hatte. Aber sie hatte gelächelt und gesagt ich sollte mich lieber daran gewöhnen. Bedeutete das nicht, dass sie zumindest ansatzweise so fühlte wie ich? Aber vielleicht interpretierte ich da einfach zu viel hinein. Ich musste sie unbedingt dazu bekommen endlich Klartext darüber zu reden, sonst verlor ich schon nur aufgrund meiner ganzen Überlegungen den Verstand.

 

 

 

Wie schon in der Nacht brauchte ich einen Moment, bis ich zur Badewanne gerobbt war und mich daran hoch gezogen hatte, nichts desto trotz entschied ich mich dafür, wenigstens kurz zu duschen. Damit Ben mir nicht zwischen die Füße sprang ließ ich handbreit Wasser in die riesige Badewanne laufen und setzte Ben hinein, damit er dort beschäftigt war, zog mir dann mit einer Krücke den Hocker zurecht, damit ich mich hinsetzen und mich ausziehen konnte. Das Shirt war noch einfach, Hose und Shorts waren dann die Herausforderung. Wer sich schon mal im sitzen an- oder ausgezogen hatte, wusste wovon ich rede. Als ich das mit Ach und Krach geschafft hatte, packte ich den Gips ein und drehte das Wasser auf. Das Warme Wasser war die reinste Wohltat und entspannte mich ungemein, allerdings hatte ich nicht sonderlich lange davon. Mir war bewusst, dass ich momentan ziemlich langsam war und wir mussten ins Studio, auch wenn ich überhaupt keine Lust darauf hatte, mir von Frank einen anhören zu müssen. Die Gewissheit auf Ablenkung war es schließlich, was mich aus der Dusche trieb. Vorsichtig hangelte ich nach einem Handtuch und schaffte es irgendwie zum Wannenrand um mich dort zu setzen und mich abzutrocknen. Ben plätscherte hinter mit fröhlich vor sich hin und ich hatte schon Schwierigkeiten dabei, mir das Handtuch um zu binden, weil ich keine sauberen Sachen hier im Bad hatte.

Schließlich hatte ich es grade geschafft das Handtuch fest zu stecken, da klopfte es an der Tür und gleich darauf folgte Lenne's Stimme.

„Dan? Ich hab Sachen für dich, kann ich rein kommen?“

So viel zum Thema ich konnte das alleine. Sie musste gelauscht haben, sonst hätte sie nicht gewusst, dass ich duschen war. Ich wartete einen Moment mit meiner Antwort und hob Ben aus der Wanne, damit ich ihn mit dem Zipfel meines Handtuchs abtrocknen konnte. Ich setzte ihn auf meinem Schoß ab und antwortete erst dann.

„Ja, komm rein.“

Vorsichtig ging die Türe auf und Lenne trat ein, wobei mir nicht entging, das sie mich von unten bis oben musterte. Wörtlich von unten bis oben und das ziemlich gründlich. Als sie mir ins Gesicht sah lächelte ich sie wissend an und da zeichnete sich die röte in ihrem Gesicht ab. Und alles, was ihr armes geflutetes Hirn ausspuckte war: „Hast du etwa mit dem Hund geduscht?“

Ich konnte nicht anders und musste grinsen.

„Neidisch?“

Da wurde sie noch roter und ich schüttelte nur den Kopf.

„Nein hab ich nicht, falls es dich wirklich interessiert. Ich hab ihn in die Badewanne gesetzt damit er mir nicht zwischen die Füße spring.“

Das schien sie eher zu glauben. Hastig legte sie die frischen Sachen auf den Wannenrand, nahm sich ein Handtuch und mir dann Ben vom Schoß, bevor sie wortlos wieder verschwand. Ich grinste immer noch. Während ich mich krampfhaft anzog minderte sich das ab, aber ich konnte nicht aufhören zu schmunzeln. Sie hatte ganz schön neben sich gestanden, das war sicher. Nach einer gefühlten halben Stunde war ich dann endlich auf dem Weg in die Küche und sah auf dem Weg dort hin, wie Ben mit der Katze um einen der Sessel fetzte. Ich würde nie verstehen, was er an der Katze fand.

Als ich die Küche betrat saß Lenne bereits an der Inseltheke und hielt ihren Kaffee fest in der Hand, es sah beinahe aus, als wollte sie die Tasse erwürgen als sie mich sah und meinem Blick dann auswich. Ich setzte mich ihr gegenüber und sah ihr so lange ins Gesicht, bis sie schließlich den Blick erwiderte und ich musste mich erst räuspern bevor ich reden konnte ohne zu lachen.

„Ich beiße nicht.“ Nach kurzem zögern schob ich hinterher: „Zumindest nicht ernsthaft.“ und da wurde sie wieder rot und sah auf ihren Teller.

„Könntest du bitte damit aufhören, langsam wird es lächerlich.“

„Finde ich nicht. Ich finde es süß wie du rot wirst. Genau so.“

„Ich bin nicht süß.“

„Oh doch und du siehst verdammt gut aus, vor allem wenn du lächelst. Schade das du das immer zu verstecken versuchst.“

„Dan, hör auf damit, sonst hast du gleich Kaffee im Gesicht.“

„Wieso, das ist mein Ernst. Ich brauche eine Ewigkeit um das mal zu sagen und du tust es ab, als fiele in China ein Sack Reis um. Das tut weh.“

„Dann nimm deine Tabletten, wir müssen sowieso los.“

„Ich nehm die ganz sicher nicht mehr ohne vorher was zu essen und wir kommen eh wieder zu spät, auf die paar Minuten kommt es auch nicht mehr an.“

„Dann schieb dir deinen Toast zwischen die Zähne und nimm deine Tabletten, wir müssen los.“

Schön, dann blieb sie eben dabei, ich ließ mich trotzdem nicht hetzen. Ich zog es zwar nicht in die Länge, trotzdem brauchte ich einen Moment bis ich zwei Scheiben Toast intus hatte und dann meine Tabletten nehmen konnte. Sobald ich das Wasserglas abgestellt hatte, sprang Lenne von ihrem Stuhl, schnappte sich Ben und schob mich beinahe in den Aufzug. Die ganze Zeit sagte sie kein Wort, bis wir schließlich im Studio ankamen. Ella diskutierte grade mit Coleman und Eric grinste, als er uns herein kommen sah.

„Da sind sie ja, ich hab es euch doch gesagt.“

Augenblicklich verstummten die anderen beiden und wandten sich uns zu, wobei es Ella war, die das Wort ergriff.

„Na endlich. Ich dachte schon er hätte dich einen Kopf kürzer gemacht. Oder dich mit Haut und Haare aufgefressen.“

Bei dem letzten Satz begann Ella zu grinsen und ich hörte, wie Lenne aufseufzte. Sie ließ Ben runter und wollte sich schon abwenden, da hielt Ella sie davon ab.

„Man was ziehst du für ein Gesicht, du solltest dich freuen.“

„Ella lass es sein, ich bin grade echt nicht in Stimmung dafür.“

„Meine Güte Lenne, jede normale Frau würde sich darüber freuen schwanger zu sein und du ziehst ein Gesicht, als hätten wir zehn Tage Regenwetter.“

Was? Bitte lass mich mich grade verhört haben? Hatte sie wirklich grade gesagt...

„Schwanger?“

Ich klang hohl und ziemlich perplex, wobei innerlich bei mir grade Chaos ausbrach. Ich musste mich einfach verhört haben. Mein Blick heftete auf Lenne und ausschließlich auf ihr, weil ich davon ausging, dass sie dazu etwas sagen würde, aber es war wieder Ella, die schließlich sprach.

„Ja schwanger. Hat sie dir das nicht erzählt?“

Ella klang total fröhlich und aufgeregt, aber ich beachtete sie gar nicht. Ich fixierte immer noch Lenne, die aussah als würde sie Ella am liebsten die Augen auskratzen.

„Nein, hat sie nicht.“

Als besagte dann zu mir rüber sah, sah sie ziemlich sauer aus, aber den Schlag unter die Gürtellinie versetze mit der gequälte und mitleidige Ausdruck der sich mir bot. Ich hatte das Gefühl, dass mir mein Frühstück wieder hoch kam und bevor ich mir diese Blöße gab und vor allem, bevor mir sämtliche Züge entgleiten konnten, setzte ich den Rückwärtsgang ein. Schon da streckte sie die Hand nach mir aus, aber ich wich zurück, bevor sie überhaupt so weit kam.

„Dan warte.“

Ich schüttelte nur stumm den Kopf und drehte mich um, um den Raum zu verlassen. An der Türe stolperte ich fast, weil ich sie nicht gleich auf bekam und hörte noch wie Lenne los keifte bevor ich in den Flur trat.

„Klasse Ella, vielen Dank!“

Dann hörte ich Schritte und die Türe, die lautstark zugeknallt wurde, bevor ich wieder Schritte und dann Lenne hinter mir hörte.

„Dan bleib stehen, ich muss dir was erklären.“

Aber ich blieb nicht stehen und eigentlich wollte ich ihr nicht einmal zuhören, selbst nicht wenn ich sie nicht ansah.

„Hey, ich rede mit dir.“

Glaubte sie ernsthaft, dass ich jetzt reden wollte, nachdem sie mir so offensichtlich zwischen die Beine getreten hatte? Herrgott, schwanger? Das würde für heute morgen ziemlich viel erklären. Und ich erzählte ihr noch was von Kindern und was ich für sie empfand und sie trieb sich mit anderen Typen rum.

„Dan, verdammt bleib endlich stehen!“

Da griff sie schon nach meiner Krücke, was mich ins straucheln brachte. Ich fing mich grade noch an der Wand ab und funkelte sie an.

„Sag mal tickst du noch ganz sauber?!“

„Im Gegensatz zu dir grade? Ja auf jeden Fall!“

„Ach ja, dann erklär dich mal! Wer ist der Vater, kenne ich ihn?“

„Verdammt noch mal, es gibt keinen Vater. Wer sollte es denn sein außer dir? Und das wüssten wir ja wohl!“

„Was?“

„Bitte schalte mal dein Hirn ein und denk mal nach. Ella hat sie nicht alle, wieso glaubst du den Scheiß den sie erzählt?“

„Wieso nicht, das klang für mich ziemlich plausibel.“

„Man sie hat das gestern vorgeschlagen um Frank an der Nase herum zu führen. Sie war so davon überzeugt, dass Frank uns dann nicht alle vor die Türe setzt und damit mag sie ja vielleicht recht haben, aber es ist eine echt beschissene Idee.“

„Vielleicht hättest du ihr das sagen sollen.“ „Hab ich ja. Ich hab ihr gesagt dass ich da nicht mitmache, aber sie ist total von dieser Idee besessen.“

Mein Kopf drehte sich wie ein Karussell. Ich wusste nicht was ich glauben sollte, ich wusste nicht mal was ich denken sollte. Schnaubend lehnte ich mich an die Wand in meinem Rücken, schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Ich hatte die Krücke noch nicht ganz los gelassen um mir mit der Hand durch die Haare zu fahren, da spürte ich einen leichten Druck auf der Brust. Als ich den Kopf wieder senkte lagen zwei Hände auf meiner Brust und ihr Kopf ruhte an meiner Schulter.

„Bitte glaub nicht den Mist den sie erzählt. Sie dachte wohl ich hätte dir davon erzählt, weil sie gesagt hat, ich solle das tun, aber die Idee ist so großer Bockmist, da hab ich es eben gelassen.“

Mir schallte immer noch das Wort schwanger durch den Kopf und ich wusste, dass ich ziemlich geschockt sein musste, wenn es so extrem nachhallte.

„Damit bringt sie uns in arge Bedrängnis. Wir hätten nur drei, höchstens vier Monate, bis wir auffliegen würden.“

„Das hab ich ihr auch gesagt, aber sie ist so davon überzeugt, dass sie blindlings drauf los rennt und uns alle mitzieht.“

Ich atmete ein paar mal tief durch und schlang dann den einen freien Arm um ihre Taille.

„Dann bist du also nicht...“

Mir wollte das immer noch nicht alles in den Kopf.

„Nein. Ich weiß ja noch nicht mal ob ich überhaupt irgendwann Kinder will.“

Das war mal eine Info mit der ich etwas anfangen konnte.

„Dann sollten wir das vielleicht vor Coleman klar stellen, ansonsten haben wir ganz schöne Schwierigkeiten. Es sei denn, du willst das jetzt durchziehen.“

„Willst du das etwa durchziehen?“

„Es würde ein paar Vorzüge mit sich bringen, aber ich wende ein, dass wir das zeitlich nicht schaffen würden, weil ich in der Hälfte der Zeit vermutlich nicht mal richtig stehen kann.“

Trotzdem überließ ich ihr die Entscheidung, ob wir das nun durchzogen oder nicht. Mir würde das eine Menge Zeit einbringen, in der ich nicht vorgeben musste, dass ich mich nicht konzentrieren konnte. Denn das konnte ich grade wirklich ziemlich schwer, was nicht ausschließlich nur an Lenne lag. Außerdem würde uns das den einen oder anderen Tag freiräumen, in denen wir unseren Ausstieg planen und dementsprechend handeln konnten. Aber verdammt, drei Monate konnten verdammt kurz sein.

 

 

 

 

 

Er war ja so ein Idiot. Und ich wollte sicher gehen, dass er das auch wusste.

„Du bist so ein Idiot.“ Der Mistkerl hatte wie immer die Unverschämtheit zu grinsen. „Aber ich bin dein Idiot.“ Theatralisch seufzte ich und verdrehte die Augen.

„Ja und manchmal frage ich mich ernsthaft, wieso ich mir das antue.“

„Also? Was machen wir?“

„Ich ziehe das ganz sicher nicht durch. Wir dürfen uns keine Schlampigkeit erlauben, wenn wir unter der Hand handeln und ich will nichts überstürzen müssen. Komm schon, oh großer Held mit dem Gipsfuß, lass uns Frank aufklären, bevor Ella noch mehr Lügen über mich in die Welt setzt.“

Zurück im Probenraum hob besagter Manager erwartend die Augenbrauen und starrte mir auf den Buch. Intensiv. Und es nervte mich. Gewaltig.

„Stimmt das? Du bist schwanger?“

„Nein, war nur falscher Alarm. Der Test aus der Drogerie war positiv, der Arzt konnte das aber nicht bestätigen“, log ich ihm aalglatt ins Gesicht, ohne eine Miene zu verziehen.

„Dann ist ja gut“, erwiderte Frank erleichtert. „An diesem Punkt in eurer Karriere ist definitiv kein Platz für so etwas wie Babys.“ Das verdammte Wiesel drehte sich zu Bob und Floid um, um mit ihnen etwas zu besprechen, während ich Ella mit meinen Blicken erdolchte. Die dumme Kuh zog erst einen Schmollmund und grinste mich dann breit an! Sie war schon fast so schlimm wie Dan. Aber nur fast.

„Kannst du überhaupt ordentlich proben?“, fragte ich unseren sterbenden Schwan. „Heute morgen hast du dich über die Schmerzen beim Spielen beklagt.“

„Schmerzen beim Spielen?“, fragte unser Blödmann von Manager entsetzte und drehte sich abrupt zu uns um.

„Ja. Offenbar vibriert davon sein ganzes Bein und du kannst dir vorstellen, dass sich der Bruch in seinem Fuß darüber freut.“ Panisch wandte der Mann sich an Dan.

„Kannst du nicht einfach mit Links spielen?“ Dan verzog angewidert das Gesicht.

„Ich bin zwar ein Genie in jeder Hinsicht, aber ich bin ganz sicher kein Zirkusaffe. Also nein, das Kunststück kann ich nicht vollbringen. Wir werden wohl einen Ersatzgitarristen brauchen, bis ich wieder schmerzfrei spielen kann. Das Einzige, wozu ich grad in der Lage bin, ist, zu texten und meine Ideen notieren.“

„Na gut, wenn es nicht anders geht. Ich sehe zu, dass ich jemanden auftreibe. Macht derweil mit eurer Routine weiter, so gut es geht. Ich hab jetzt noch andere Termine, immerhin seid ihr nicht die einzigen, die ich betreuen muss.“ Damit ging er und ließ uns einfach stehen.

„Mann, der war vielleicht zickig“, sagte Floid in die Stille hinein. „Ich an eurer Stelle würde aufpassen. Wenn Frank euch auf dem Kieker hat, seht ihr kein Morgen mehr.“ Bob grunzte zustimmend.

„Wäre besser für uns alle, wenn wir ihn endlich los wären“, fügte der immer grimmige Mann hinzu. „Der Mistkerl stand schon so oft kurz vor der Entlassung, weil er einfach jedem hier auf den Sack geht und nicht eine Band halten konnte.“ Ich starrte Bob mit offenem Mund an, bis Dan mit die Hand unters Kinn legte und ihn mir zu machte. Ungläubig starrte ich Bob an. Ich hatte den Mann noch nie so viel am Stück reden hören!

„Was meinst du mit, er konnte noch nie eine Band halten?“, fragte Dan.

„So wie es klingt, Schönling. Jede Band, die er rangezogen hat, hat irgendwann zu einem anderen Manager gewechselt. Entweder firmenintern oder aber sie sind gleich zu nem anderen Label. Die Bosse waren davon natürlich nicht besonders begeistert. Frank Coleman hat zwar ein einzigartiges Auge dafür, Nachwuchstalent zu entdecken, aber er ist das mieseste Schwein, das je auf Gottes grüner Erde gewandelt ist und es würde mich wundern, wenn es auch nur irgendwer mit ihm aushält.“

„Falls es euch zu viel wird, haben wir ein paar Kontakte in der Firma und könnten euch vielleicht an wen anders vermitteln. Sicher ist das aber nicht“, bot Floid an.

„Danke, Kumpel. Wir werden sehen, ob oder vor allem wann das nötig sein wird“, erwiderte Dan und nickte dem schlaksigen Kerl zu.

„Hast du gehört, wie viel er am Stück gesprochen hat?“, fragte ich meinen verhinderten Mitbewohner, während er mich augenrollend in den Probenraum zog, so gut das mit Krücken und einem Gipsbein ging.

 

 

Seufzend ließ ich mich neben Dan auf die Couch fallen, nachdem ich die Tiere gefüttert und gesäubert hatte. Die Probe hatten wir irgendwie mit Ach und Krach hinter uns gebracht, auch wenn wir nicht so gut vorankamen, wie sonst, weil Dan seine Gitarre nicht ohne unerträgliche Schmerzen spielen konnte.

„Irgendwie hab ich Hunger“, sagte Dan unbestimmt in den Raum hinein. Ich seufzte.

„Willst du mir damit irgendwas Bestimmtes sagen?“

„Nein, eigentlich nicht.“

„Dann ist ja gut.“

Schweigend saßen wir eine Weile nebeneinander. Dan ergriff meine Hand, verschränkte unsere Finger miteinander und hielt mich einfach nur fest. Fast so, als wollte er verhindern, dass ich Hals über Kopf floh oder Ähnliches. Ich lehnte mich mit dem Kopf an seine Schulter und atmete seinen Duft ein. Immerhin schaffte er es, jeden morgen zu duschen, auch wenn es viel von ihm abverlangte und ich immer eine Heidenangst bekam, dass er sich doch noch irgendwie den Hals brach. Vielleicht sollte ich Antirutsch-Aufkleber überall befestigen. Ich hatte erst vor Kurzem im Supermarkt welche in Entenform gesehen. Ja, er wäre sicher begeistert davon.

„Ich hab fast einen Herzinfarkt bekommen, als Ella diesen Mist heute morgen erzählt hat.“ Natürlich musste er das Thema wieder ansprechen. Dafür, dass er ein arrogantes, reiches Söhnchen war, war er doch reichlich leicht zu verunsichern.

„Mich erschreckt eher die Tatsache, dass du ihr geglaubt hast. Du hast mir ernsthaft unterstellt, es hinter deinem Rücken mit anderen Typen zu treiben. Dabei solltest du doch am besten wissen, wie... besessen ich von dir die letzten drei Jahre war.“

„Es tut mir leid. Wenn ein Mann so was hört, drehen schon mal alle Sicherungen durch.“

„Das habe ich gemerkt“, schnaubte ich und drückte seine Hand. Sie war groß und warm und rau. Genau wie es sich für einen Mann gehörte. Ich mochte es, dass er größer war als ich und so rau. Das gab mir das Gefühl von Sicherheit. Unglaublich aber wahr, aber das hätte ich zu diesem Zeitpunkt niemals zugegeben, selbst wenn man mich mit einer Waffe bedroht hätte.

„Und nur damit du es weißt: ich hab noch nie... also... ich bin noch... du weißt schon!“ Als er zuerst nichts sagte und sich neben mir versteifte, sah ich ihn an. Dan starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an.

„Du bist noch Jungfrau?“ Gott, der Mann schaffte es immer wieder, dass mit alles Blut in den Kopf schoss!

„Ja.“ Und er starrte mich weiter an als wäre mir ein zweiter Kopf gewachsen.

„Aber du bist zweiundzwanzig!“

„Was hat das damit zu tun?“

„Na ja, ich hätte nur nicht gedacht, dass du so frigide bist.“ Und da war es wieder. Das Bedürfnis ihm eine zu klatschen. Wenigstens bemerkte er seinen Fehler und hob sofort beschwichtigend die Hände. „So war das nicht gemeint!“ Seufzend schüttelte ich den Kopf und ließ es dabei bewenden. Und das alles nur, um nicht mehr alleine zu sein.

„Sieh mich doch an, Dan. Sehe ich so aus, als würde irgendein Kerl, mal abgesehen von dir, jemals Interesse an mir zeigen?“

„Viel zu viele für meinen Geschmack.“ Ich rollte mit den Augen und beschloss, seinen Kommentar zu ignorieren.

„Es gab also nie jemanden, den ich ernsthaft dafür in Betracht gezogen habe. Außerdem kann man den meisten Menschen eh nicht trauen. Sei also unbesorgt, wenn du mich nicht dazu bringst, dich irgendwann doch noch umzubringen, besteht die reelle Chance, dass du als erstes zum Zug kommst.“ Moment! Hatte ich das grade wirklich gesagt? Nein! Doch? Verdammt!

„Äh also... hör auf so doof zu grinsen!“

„Ach komm schon, wie könnte ich nicht, wo du mir doch so ein freizügiges Angebot gemacht hast.“

„So war das doch überhaupt nicht-“

„Rede dir das nur ein“, unterbrach er mich und tätschelte mir doch tatsächlich das Knie.

„Fahr zur Hölle!“ Mein Ausbruch war vermutlich nicht besonders glaubwürdig, da ich weder meine Hand losriss, noch meine Hand losriss. Ich konnte spüren, dass er immer noch grinste. Idiot!

Als es wieder still wurde und ich mich entspannte, spürte ich seine Hand an meinem Gesicht. Er drehte meinen Kopf zu sich und schon lagen seine Lippen wieder warm und weich auf meinen. Ich konnte nicht oft genug betonen, dass er auch echt gut schmeckte. Ich erwiderte den Kuss, öffnete leicht die Lippen und schon hatte sich seine Zunge in meinen Mund geschlängelt und streichelte meine. Ich war bereit, zu experimentieren und nutzte Dan bereitwillig, um dies zu tun. Er schien nicht besonders viel dagegen zu haben.

Schon bald artete der keusche Kuss in eine wilde Knutscherei aus, bei der ich ihm eine Hand in den Nacken legte und näher an mich zog. Langsam aber sicher drückte er mich wieder auf die Couch nieder und ich ließ ihn. Schon wieder. Dieses Mal unterbrach uns aber nicht sein lästiges Bein.

Irgendwie schwirrte mir der Kopf. Als es zu bunt wurde, riss ich mich von ihm los, um Luft zu holen. Dabei bemerkte ich auch, dass Dan klugerweise sein Bein verlagert hatte, sodass der Unterschenkel nun auf der Armlehne ruhte, während er auf mir lag und dass er dazu übergegangen war, an meinem Hals zu knabbern. Das wiederum jagte mir Schauer über den Rücken, die ich nicht unterdrücken konnte.

Er knabberte sich beharrlich seinen Weg nach oben, bis er mich wieder küssen konnte. Ich spürte, dass seine Hände auf Wanderschaft gingen, aber es machte mir nichts aus. Das Atmen hatte nicht wirklich geholfen, mir wieder einen klaren Kopf zu verschaffen und ich ließ ihn einfach machen. Es fühlte sich vor allem gut an, auch wenn ich mich daran erinnerte, dass ich ihn rechtzeitig aufhielt. Wir wollten ja nicht, dass Ellas schamlose Lüge doch noch wahr wurde. Dans Zustand eignete sich für solche Aktivitäten ohnehin nicht.

Als seine Hand unter den Saum meines Shirts rutschte, wollte ich gerade die Stimmung verderben, als er inne hielt. Er seufzte laut, ließ seinen Kopf an meine Schulter sinken und entfernte seine Hand aus meinem Shirt.

„Du solltest mich wirklich nicht so weit gehen lassen. Du wirst bei jeder Gelegenheit rot wie eine Tomate, aber dann machst du so was. Es wundert mich immer noch, dass du noch nicht davon gelaufen bist.“

„Wieso das? Es ist ja nicht so, dass ich das alles hier nicht wollte. Außerdem weißt du offenbar, was du da tust, aber ich werde ja wohl auch ein bisschen genießen dürfen. Sonst lasse ich mich nicht gerne anfassen. Von niemandem.“

„Außer mir.“

„Außer dir. Und meinem Therapeuten.“ Da hob er den Kopf und sah mich aus engen Augen an. Ich grinste und zuckte mit den Schultern, so gut das mit ihm auf mir eben ging.

„Hey, ab und zu brauchte sogar ich eine Umarmung.“

„Solange es nur dabei bleibt.“

„Meine Güte, was du wieder von mir denkst!“

„Bei dir weiß man nie.“ Ich schnaubte. Dan drückte mir einen leichten Kuss auf die Lippen.

„Bin ich schwer?“

„Ja, aber das macht nichts. Ich will mich nicht vom Fleck bewegen.“ Also blieben wir in der Position, in der wir waren und kuschelten auf der Couch. Bald mussten wir uns aber trotzdem bewegen, da es für Dan langsam ungemütlich wurde. Also machte er sich auf dem Rücken auf der Couch lang und ich kuschelte mich einfach wieder an ihn.

„Irgendwie habe ich immer noch Hunger.“

„Willst du mir damit irgendetwas Bestimmtes sagen?“

„Nein, nicht wirklich.“

„Dann ist ja gut.“

 

 

Später in der Nacht, als Dan sich zurückgezogen hatte, saß ich wieder in meinem Atelier und vollendete das Portrait meiner Mutter. Am liebsten hätte ich wie bei Tessas Bild mit dem Farbspachtel darauf eingestochen. Aber dafür war jetzt noch nicht der richtige Zeitpunkt.

Nachdem ich fertig war, machte ich das Licht aus und wusch mir im Bad die Hände, wobei ich ordentlich schrubben musste, um die Farbe herunter zu bekommen. Ich sollte wirklich aufhören, mich ständig damit zu beschmieren. Dann knurrte mein Magen.

Obwohl wir ein reichhaltiges Abendessen gehabt hatten, hatte ich irgendwie wieder Hunger. Darum schlenderte ich in die Küche und genehmigte mir noch einen Joghurt. Ich wollte um diese Zeit nichts mehr Schweres essen. Auf dem Rückweg zu meinem Zimmer hörte ich Dan in seinem fluchen wie einen Bierkutscher. Beunruhigt stürmte ich also sein Schlafzimmer und fand ihn in seinem Bett vor, in die Decken verheddert, die Kissen langen kreuz und quer und er selbst sah aus wie sieben Tage Regenwetter.

„Kannst du nicht schlafen?“ Schweigend schüttelte er den Kopf. Er konnte kaum zu mir auf sehen.

„Willst du noch ein paar deiner Tabletten?“

„Besser nicht. Ich will nicht mehr nehmen, als verschrieben.“ Seufzend setzte ich mich zu ihm aufs Bett, streifte meine Socken und meine Hose ab und legte mich zu ihm.

„Äh, was tust du da?“

„Wonach sieht es wohl aus, Schlauberger?“ Gemütlich schmiegte ich mich an ihn und vermied es dabei, auch nur in die Nähe seines Gipsfußes zu kommen.

„Aber du hast nur ein Höschen an.“

„Ich habe nicht nur ein Höschen an. Siehst du nicht das Shirt, das ich trage?“

„Ja, aber-“

„Sei still, Dan.“ Erstaunlicherweise hörte er auf mich. Als ich ihn anschaute, waren seine Augen jedoch auf meine unbedeckten Beine geheftet. Es war so warm, dass man ohne Decke schlafen konnte, aber ich mochte das Gefühl von etwas Gewicht auf meinem Körper. Also entknotete ich eine der dünnen Decken aus dem Haufen und zog sie hoch genug, dass Dan mein Höschen nicht mehr anstarren konnte. Man hätte meinen können, dass er so was noch nie gesehen hatte. Männer waren echt seltsam.

Müde schlang ich einen Arm um seine Taille, drückte mich dichter an ihn und verabschiedete mich ins Traumland. Ich wusste nicht, welcher Teufel mich geritten hatte, mich wieder zu ihm ins Bett zu legen, wo ich doch nicht einmal schlecht geträumt hatte. Ging ja auch nicht, wenn man vorher nicht geschlafen hatte. Aber ich wollte lieber in seiner Nähe sein und aufpassen, dass nichts passierte. Und wenn es passierte, dass entweder ich es verursacht hatte oder ich sofort einen Krankenwagen rufen konnte.

Auf diese Weise beruhigt entspannte ich mich langsam. Ich spürte noch, dass Dan mir einen Arm um die Schultern schlang und mich drückte, bevor endgültig die Lichter ausgingen.

26

 Was zur Hölle? Wusste sie... nein, vermutlich nicht, sonst würde sie das niemals tun oder? Wobei, es machte ihr offensichtlich Spaß mich zu quälen, also konnte es gut sein, dass sie wusste, was sie mir hier antat. Wieso sonst sollte sie sich so leicht bekleidet zu mir ins Bett legen, wo sie doch wusste, was schon auf der Couch und voll bekleidet passieren konnte. Legte sie es etwa darauf an? Irgendwie konnte ich mir das nicht wirklich vorstellen. Bei vielen anderen vielleicht, aber nicht bei ihr. Oder wollte ich das vielleicht nur nicht glauben? Ich war wohl dazu gezwungen, das heraus zu finden, denn ich wollte sie so wie sie war und nicht so, wie ich sie mir unter Umständen vielleicht vorstellte. Wobei ich sagen musste, dass der Zug der Draufgängerin nicht in ihr Bild passte. Sie war vorsichtig, misstrauisch allen gegenüber die sie nicht kannte und sie gab nicht viel von sich Preis. Aber das, was ich mittlerweile von ihr wusste, nahm mich völlig für sie ein. Sie konnte für sich sorgen und wusste wie man in dieser Welt überlebte, ebenso wie sie wusste, wie schwer das Leben sein konnte. Außerdem konnte sie sich allem und jedem zur Wehr setzen. Ob sie nun damit Erfolg hatte oder nicht, stand wo anders geschrieben, aber sie versuchte es wenigstens und warf nicht gleich die Flinte ins Korn. Das machte sie verdammt mutig und mit jedem mal stärker. Selbst wenn sie mal nicht gewann, so schien sie doch daraus zu lernen und auch wenn sie sich vielleicht schon mal hatte aufgeben wollen, sie war hier oder? Was konnte deutlicher die Stärke widerspiegeln, die sie besaß? Ich würde es vermutlich niemals laut aussprechen, aber ich beneidete sie schon beinahe um diese Kraft. Ich hatte schon versucht mich aus dem Staub zu machen, alles hinter mir zu lassen und dieses Leben nach dem Tod zu beenden, dass ich jetzt seit vier Jahren führte. Ich wurde vom Leben gequält und hatte mich bis hierher geschleppt, während sie einfach weiter zu machen schien, auch wenn es nicht immer einfach war.

Und nun lag sie hier neben mir und schmiegte sich an während sie schlief, vom Schicksal beinahe auf dem Silbertablett präsentiert und ich stellte mir gezwungenermaßen die Frage, ob sie mir wieder entrissen werden würde, einfach nur um mich zu foltern. Wenn ich vorher schon geglaubt hatte, darunter zu leiden, wenn ich sie verlor, wusste ich jetzt mit Sicherheit, dass ich sterben würde, wenn etwas passierte. Das Gefühl des Friedens, dass ich jetzt im Augenblick spürte bewies dies. Diese Ruhe hatte ich eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr empfunden und ich hatte mir schon oft die Frage gestellt, ob ich das je wieder erleben würde. Irgendwann hatte ich mich von dem Gedanken verabschiedet, je auch nur ansatzweise zur Ruhe zu kommen, aber jetzt war sie einfach da und ich fragte mich jetzt, woher das so plötzlich gekommen war. Sie war doch schon so lange da gewesen, diese Frau, die etwas in mir auslöste. Direkt vor meiner Nase war sie aufgetaucht und war das erste nach Tessa's Tod gewesen, das mich wieder bewegt hatte. Unbewusst hatte sie meinen inneren Motor mit einem Funken am Leben erhalten und das einzig, weil sie da war. Jetzt, wo sie mich nicht mehr nur aus der Entfernung antrieb, konnte ich fühlen, wie sich alles in mir wieder in Bewegung setzte. Sie holte mich ins Leben zurück und wusste es vermutlich nicht einmal, dafür wusste ich aber, dass sie mich auch genauso schnell wieder zerlegen konnte. Ich hatte es in der vergangenen Woche erlebt und unheimlich darunter gelitten. Mit jeder Stunde die sie bei mir blieb, würde das schlimmer werden und ich konnte nur darum bitten, dass sie mir nicht entrissen wurde. Ich hatte so lange dafür gebraucht um zu begreifen, was sie mit mir machte und ich war nicht bereit, sie so schnell wieder aufzugeben. Es tat ja schon weh es ein zu sehen, dass ich drei Jahre gebraucht hatte um heraus zu finden, dass sie mir gut tat und verdammt, sie tat mir wirklich gut. Es fühlte sich richtig an, dass sie neben mir lag und ich sie im Arm hielt und es tat mehr als gut zu wissen, dass sie genau dort sein wollte. Ich konnte mir das immer noch nicht erklären, sie wollte das hier, viel wichtiger noch, sie wollte mich, das hatte sie mehrfach durchblicken lassen, auch wenn sie das nie wirklich gesagt hatte. Diese Tatsache ließ mich leise seufzen und mich meine Wange an ihr Haar legen. Hätte ich gekonnt, ich hätte sie noch näher zu mir heran gezogen, aber sie kroch schon praktisch in mich hinein. Sie sah so friedlich aus und ich wusste, dass sie sich hier wohl fühlte. Ich hatte drei Jahre lang beobachten können, wie Leute an ihr vorbei gingen und wie sie an ihnen vorbei ging. Würde sie sich nicht sicher bei mir fühlen, wäre sie gar nicht hier, da war ich mir sicher. Bedauerlicherweise zweifelte ich irgendwie daran, dass sie bei mir wirklich sicher sein würde. Ich war nicht perfekt, ich hatte Fehler, Ecken und Kanten und obwohl sie gesagt hatte, dass sie das alles sehen wollte, hatte ich trotzdem Angst davor, dass ihr das irgendwann zu viel wurde. Ich hatte Angst sie zu verlieren und das würde ich vermutlich immer haben, auch wenn das mit der Zeit weniger werden würde, wenn sich das alles hier festigte, aber ich wusste auch wie schnell die Dinge gehen konnten. Es reichten nur ein paar falsche Worte oder Taten und alles würde sich unwiederbringlich ändern oder enden. Sicher, das war schon immer so und würde es auch immer sein, aber das änderte nichts daran, dass man regelrecht Angst davor haben konnte.

Wieder seufzend schloss ich die Augen und verdrängte die drückenden Gedanken. Ich wollte mich nicht ständig davor fürchten was kommen 'konnte', sondern genießen, was ich hatte, also tat ich genau das. Ich prägte mir das Gefühl ihres Körpers ein, das leise Atmen wenn sie schlief und die Art und weise, wie sie sich an mich schmiegte. Wie gut es sich anfühlte zu wissen, dass sie es war. Ich konnte nicht in Worte fassen, was ich empfand, was mich störte, denn bisher hatte ich immer irgendwelche Worte gefunden, aber das hier konnte ich nicht erklären. Es war einfach Lenne und das einzige was mir einfiel war, dass sie verdammt richtig dort war, wo sie jetzt war. Sie hatte einen Platz eingenommen, von dem ich gedacht hatte, dass er für immer leer bleiben würde. Es war nicht so, dass ich Tessa jetzt vergaß, sie hatte immer noch ihren Platz in meinen Gedanken, guten Gedanken und da würde sie immer sein. Sie hatte mich geprägt, auf gute wie auf schlechte Art und dafür würde ich ihr in Ewigkeit dankbar sein. Aber zum ersten mal seitdem sie nicht mehr greifbar war, hatte ich wirklich das Gefühl sie gehen zu lassen. Ich hatte mich so lange an ihrem Bild festgeklammert und sie nicht gehen lassen wollen, dass ich nicht bemerkt hatte, wie schwer mich diese Last herunter zog. Jetzt spürte ich, wie ich sie los ließ und uns beiden die Chance gab, endlich neu anzufangen. Mit dem kappen dieses Seils, welches ich für lange Zeit für einen Anker gehalten hatte, ließ ich die Last zurück und fühlte, wie der Hauch dieser bitteren Erinnerung mit dem Wind davon getragen wurde. Ich war mir bewusst, dass mich diese Leichtigkeit, die ich in diesem Moment spürte, nicht von jetzt auf gleich von allem befreien würde, aber es war ein Schritt in die richtige Richtung wie ich hoffte, aber vor allem war es ein Anfang.

Mit dem Gefühl, das erste mal seit Jahren frei atmen zu können, dämmerte ich immer wieder weg und ich hatte dieses mal keine Angst davor, was mich im Schlaf erwarten würde. Es dauerte nur ein paar Atemzüge, immer gleichmäßiger werdende Züge, die mich in den Schlaf trugen und das letzte woran ich dachte war, dass ich mich auf eine Zukunft eingelassen hatte, in der ich wieder glücklich werden konnte.

 

 

 

Als ich langsam wach wurde, spürte ich den Nachhall eines Traums. Ich war mir nicht mehr ganz sicher, aber ich meinte, dass es um Tessa gegangen war und es musste etwas gutes gewesen sein, denn ich spürte ein warmes Gefühl und wenn ich die Augen schloss, sah ich sie lächeln, sie winkte mir zu und dann begann sie langsam zu verblassen. Mich durchfuhr ein kurzer Stich, gefolgt von Trauer, aber ich wusste, dass ich sie loslassen musste. Ich würde meine Zeit dafür brauchen, aber jetzt wusste ich, dass ich es konnte, denn ich hatte jetzt wieder etwas, auf das ich mich konzentrieren konnte.

Langsam, um sie nicht zu wecken, drehte ich den Kopf in ihre Richtung und genoss einfach nur den Anblick. Ihr Kopf ruhte immer noch auf meinem Arm, aber im Gegensatz zu gestern Abend lag sie jetzt voll ausgestreckt neben mir auf dem Rücken. Die mir zugewandte Gesichtshälfte sah leicht zerknautscht aus und ihr Shirt war zerknittert, außerdem waren ihre Haare leicht zerzaust und die Decke reichte ihr grade noch bis zu den Hüften. Sie konnte perfekter gar nicht sein und genau deswegen war es Zeit für mich um aufzustehen. Würde ich bleiben, würde ich vermutlich Dinge tun, für die wir beide noch nicht bereit waren.

So vorsichtig wie möglich zog ich meinen Arm unter ihrem Kopf weg und rückte dann beinahe in Zeitlupe von Lenne ab. Ich wollte sie nicht wecken, denn der Wecker hatte heute frei, aber je eher ich mich ins Bad und unter die Dusche geschleppt hatte, umso früher war ich fertig, dann musste sie nicht wieder auf mich warten, sollte sie doch frühzeitig wach werden und ich würde auch ganz sicher nicht zu spät zu meiner Kontrolle im Krankenhaus kommen. Ich hoffte inständig, dass das schnell ging. Wir hatten die Proben zwar nach hinten verschoben, aber ich wollte nicht, dass sie ohne mich anfangen mussten.

Sobald ich die Bettkante erreicht hatte, schnappte ich mir meine Krücken, kraulte Ben kurz am Kopf, woraufhin sich dieser kurz streckte und umdrehte, bevor ich mich vom Bett hoch drückte und mich so leise wie ich nur konnte aus dem Zimmer stahl. Sobald ich die Türe hinter mir geschlossen hatte erlaubte ich es mir, zum ersten mal an diesem Morgen richtig durch zu atmen und dabei entging mir nicht, dass mir Lenne's Duft anhaftete. Verdammt, sollte sie heute Abend nicht bei mir schlafen, würde mich ihr Geruch den ganzen Abend quälen. Na ja, ich konnte zur Not immer noch auf meiner kleinen Couch schlafen.

Nachdem ich das Bad erreicht hatte, schälte ich mich mühsam aus meiner Boxershorts, packte meinen Gips ein und verfrachtete mich unter die Dusche. Ich war heilfroh, wenn ich diesen verdammten Gips wieder los war. Alles was ich tat war mühselig und langsam und ich wollte nicht hilfebedürftig sein. Wie schon die Tage zuvor wusch ich mich so gut es ging und blieb dann einen Moment unter dem warmen Wasserstrahl sitzen, einfach weil es gut tat. Wasser hatte mich schon immer entspannt, ob es nun Zuhause in der Wanne oder unter der Dusche war, oder ob ich schwimmen ging, danach ging es mir eigentlich immer besser, egal wie schlecht ich mich vorher gefühlt hatte.

Erst als das Wasser begann kälter zu werden, stellte ich es aus und hievte mich von meinem Hocker. Auf einem Bein balancierend angelte ich nach meinen Krücken und verließ die Dusche erst, als ich beide in der Hand hatte. Ich hatte eigentlich schon Sonntag Morgen ein Handtuch vor die Dusche legen wollen, damit ich mich nicht lang machte, hatte es aber jetzt schon zum dritten mal vergessen. Ich war echt nicht auf der Höhe. Vermutlich lag es an den Schmerztabletten die ich regelmäßig nahm und bei denen ich mir sicher war, dass sie bei mir gelegentlich Nebenwirkungen auslösten, vor allem, wenn ich vorher nichts aß. Vielleicht lag es aber auch daran, dass in meinem Kopf das reinste Chaos herrschte. So gut wie immer. Zum Beispiel wenn Lenne da war, oder wenn sie nicht da war, aber vor allem, wenn ich mit ihr alleine war. Irgendwie blockierte mein Kopf dann und ich konnte nicht mehr klar denken. Vielleicht sollte ich mich einfach von meinem Verstand verabschieden, denn wenn sie da war funktionierte er nicht und wenn nicht, dann auch nicht und ich bezweifelte, dass ich ihn wieder erlangen würde, wenn sie vollends aus meinem Leben verschwinden sollte.

Ich hatte grade eins der großen Handtücher vom Regal gefischt, mich auf dem Badewannenrand gesetzt und trocknete mir das Gesicht ab als die Badezimmertüre auf ging.

„Finde ich dich jetzt jeden Morgen hier im Bad oder...“

Als sie mich nicht wie erwartet auf dem Boden, sondern auf dem Rand der Wanne vorfand und bemerkte, dass ich gar nicht hier war, weil ich mir die Zeit vertrieb, lief sie hochrot an. Ich wusste, das das Handtuch, welches ich in der Hand hielt, so grade das notdürftigste verdeckte, indem es mir zwischen den Beinen herab hing und genau dort ließ ich es auch um nicht zu riskieren, dass ihr das Blut noch weiter in den Kopf schoss. Stattdessen verkniff ich mir mein schmunzeln und gab mich betont gelassen und zuckte mit den Schultern.

„Na ja, da ich fast jeden Tag duschen gehe, wirst du mich wohl öfter hier antreffen.“

„Du bist so ein..! Du...“

Da kniff sie die Augen zu, hob das Gesicht Richtung Decke und machte dann auf dem Absatz kehrt um zu verschwinden. Wortlos. Das war selten. Erst als sie außer Sicht war erlaubte ich es mir zu grinsen und trocknete mich dann weiter ab. Danach band ich mir das Handtuch um und schnappte mir meine Krücken, um in mein Zimmer zu hinken und mir saubere Sachen an zu ziehen. Von Lenne war dort keine Spur zu finden und ich bezweifelte irgendwie, dass ich sie jetzt irgendwo fand. Nicht nachdem sie mich so offen angestarrt hatte und dann, mal wieder, hochrot angelaufen war. Gut die Krone hatte ich wohl dem ganzen aufgesetzt aber ich wusste schließlich, was ich im Spiegel sah, wenn ich davor stand und ich schämte mich nicht dafür, wieso sollte ich also in Panik geraten, nur weil Lenne den Raum betrat. Außerdem hatte sie die ganze Nacht neben mir gelegen, während ich nur Shorts trug, viel Unterschied machte das für mich nicht mehr. Für sie anscheinend schon, wenn man ihre Reaktion von letzter Nacht mit der von grade eben verglich.

Nachdem ich mich endlich angezogen hatte und mein Zimmer verließ, war immer noch keine Spur von Lenne zu sehen. Ich vermutete, dass sie sich in ihrem Zimmer verbarrikadiert hatte und erst wieder heraus kam wenn ich weg war. Sie hatte ja die Zeit dazu, da wir erst um zwölf anfangen wollten zu proben und ich jeden Moment gehen würde.

In der Küche nahm ich mir eine Kleinigkeit aus dem Kühlschrank die ich aß, damit ich meine Tabletten nehmen konnte und machte mich dann auf den Weg. Als ich an ihrem Zimmer vorbei kam klopfte ich kurz an, wartete auf keine Antwort und drückte vorsichtig die Klinke herunter. Als kein Protest kam, warf ich einen verstohlenen Blick hinein und sah sie mit dem Gesicht in ihrem Kissen da liegen.

„Ich hoffe doch schwer, dass du nicht grade versuchst, dich selbst mit einem Kissen zu ersticken.“

Erst kam nichts, was mich gleich in Alarmbereitschaft versetzte. Als ich die Türe weiter auf drückte drehte sie jedoch den Kopf, allerdings ohne mich anzusehen.

„Geh einfach zum Arzt. Wir sehen uns später.“ Ich wartete noch kurz, aber mehr kam nicht von ihr, also zog ich die Türe hinter mir wieder zu und ging. Ich war so froh, dass wir einen Aufzug hatten und das Haus ebenerdig lag. Keine Stufen.

Unten vor der Haustüre wartete Stan bereits mit dem Wagen auf mich. Als er mich kommen sah, stieg er sofort aus und hielt mir die Türe auf, wartete bis ich eingestiegen war und nahm mir dann die Krücken ab, damit er sie auf die Rückbank legen konnte. Der Beifahrersitz war bereits ganz nach hinten geschoben, sodass ich nicht mal damit Theater hatte. Dieser Mann war echt gut und gleichzeitig ein echt guter Mann, das gab es heutzutage selten. Als er wieder einstieg lächelte er mir zu und fuhr los, dabei entging mir nicht, dass er immer wieder zu mir rüber sah.

„Was ist los Stan, hab ich irgendwas im Gesicht?“

Als ich mir gespielt schockiert ins Gesicht fasste, fing er an zu grinsen.

„Nein, sie sehen nur glücklich aus, das ist ein seltener Anblick.“

„Das bin ich auch irgendwie. Was suspekt ist, wenn man bedenkt wo wir hin fahren.“

„Ich habe Gerüchte gehört. Wenn die stimmen, könnte sie nichts glücklicher machen.“

„Ich weiß nicht was du meinst, klär mich auf.“

„Die Babygerüchte? So etwas spricht sich schnell herum.“

„Ach, das. Alles nur heiße Luft. Es sei denn, sie ist so was wie die Jungfrau Maria.“ Einen Moment hielt ich inne und fügte dann hinzu: „Sagen sie ihr bitte nicht, dass sie gehört haben wie ich das gesagt habe, sie würde mich auseinander reißen.“

„Das werde ich nicht. Im übrigen wird viel über sie alle geredet. Momentan wird jedes Wort dutzende male in den Mund genommen, solange sie das Gesprächsthema sind.“

„So? Na das ist gut zu wissen.“

„Sie scheinen sich davon ja nicht aus der Ruhe bringen zu lassen.“

„Wenn man weiß, mit was man es zu tun hat, kann man das für sich nutzen. Außerdem weiß ich, dass Mr Coleman Dinge über uns erzählt. Das tut er schon seit dem ersten Tag, immerhin will er ja, dass wir bekannt werden.“

Was er ganz offensichtlich geschafft hatte, zumindest Firmeninterna. Wobei das vermutlich nicht schwer war, wenn man einen Ruf wie Frank Coleman hatte. Bei ihm wurde alles bekannt, auch wenn er nicht darüber sprach.

„Das will er bei jedem, solange er die Kontrolle hat. Gefällt ihm nicht, was er sieht, sorgt er dafür, dass man nie wieder etwas von den Leuten hört.“

„Ja, das hab ich auch schon erfahren. Aber keine Sorge, so schnell wird man uns nicht los.“

„Darauf hoffe ich doch.“

Und den Rest der Fahrt über schwiegen wir.

Vor dem Krankenhaus ließ Stan mich dann raus und ich sagte ihm ich würde ein Taxi zum Studio nehmen, weil ich nicht wusste, wie lange ich brauchte. Dann ging ich rein, mit der Hoffnung auch schnell wieder raus zu kommen, aber als ich in den Wartebereich kam, wusste ich, es würde die Hölle werden.

 

 

 

Als ich durch die Gänge des Studiogebäudes hinkte war ich darüber erleichtert, dass ich gleich etwas tun würde, was mir Spaß machte. Die ganze Warterei und der Stress mit röntgen und wieder die Warterei hatte mich irgendwie gereizt. Mein Gott, fast vier Stunden für so ein paar dämliche Bilder. Bekamen die echt so viel Geld dafür? Frechheit.

Als ich dann endlich unser Studio betrat, fielen mir beinahe die Augen aus dem Kopf. Wer war dieser Kerl da in der Kabine, der hinter meinem Mikro stand? Sofort drehte Floid sich zu mir um und begrüßte mich. Wie immer hatte er Ben auf dem Schoß.

„Hey Dan.“

„Hey ihr zwei. Wer ist der Kerl da?“

Sofort fingen beide an zu lachen und... oh mein Gott, Bob lachte!

„Was ist so witzig?“

„Warte, das musst du dir selbst antun!“

Sofort drehte Floid den Ton ab und in der Kabine hoben sich alle Gesichter. Das Lenne mich schwach anlächelte als sie mich sah, ließ mich grinsen. Eric war allerdings der erste, der aus der Kabine kam, gefolgt von Ella, dann der neue und zum Schluss Lenne. Eric war es, der natürlich mit seiner Neugierde heraus brach.

„Und? Wie ist es gelaufen?“

„Abgesehen von todlangweilig und stressig? Alles bestens, auch wenn der Arzt angemerkt hat, dass ich nicht so viel rum hampeln und den Fuß ruhig halten soll.“

Niemand außer Lenne und mir wusste wohl, was genau damit gemeint war und sie schien ziemlich froh darüber zu sein hinter allen anderen zu stehen, denn ich meinte zu sehen, wie sie schon wieder Röte im Gesicht entwickelte.

„Wie auch immer. Wer bist du?“

Der Neue baute sich sofort vor mir auf, was ihm ziemlich schwer fallen sollte da ich ihn mit meinem eins einundachtzig um gut fünf bis zehn Zentimeter überragte. Wieder war es Eric der redete.

„Dan, das ist Riley Asnus.“

Okay, jetzt wusste ich, wieso alle, denen er den Rücken zugekehrt hatte grinsten und sich ihr Lachen verkniffen. Der schien das allerdings nicht zu bemerken und hielt mir ziemlich stolz die Hand hin.

„Hi, du bist also Dan ja? Die reden hier ganz schön viel über dich.“

„Wird wohl daran liegen, dass ich fester Bestandteil der Gruppe bin.“

„Ja, daran wird es wohl liegen.“

Der Kerl war mir gleich unsympathisch. Trotzdem ergriff ich seine Hand und da schien er doch tatsächlich mich mit einem festen Händedruck einschüchtern zu wollen. Er würde schon sehen, was er davon hatte.

„Also Riley, ich gehe davon aus, Coleman hat dich hier her geholt?“

„Oh bitte, nenn mich Guy, das machen alle.“

„Guy? Du nennst dich Guy?“

„Nein das ist mein zweiter Vorname.“

In der Stille die entstand, meinte ich die Grillen zirpen zu hören, die gar nicht da waren, bis ich nicht länger schweigen konnte.

„Das ist ein Scherz, oder?“

„Nein.“

Wie zur Hölle konnte er so ruhig und ernst bleiben, während Lenne im Hintergrund in lautem Prusten ausbrach.

„Das hab ich ihn auch gefragt.“

Mein Gott, sie kriegte sich gar nicht mehr ein. Ella war es schließlich, die sich bei Lenne einhakte und sie in Richtung Tür zog.

„Komm, wir gehen eine Runde raus, damit du dich wieder einkriegst, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.“

Eric schloss sich ihnen an, ebenso wie Floid und ließen mich so mit diesem Deppen alleine. Na gut, Bob war da, aber den interessierte das alles eh nicht. Sobald die Türe hinter den anderen zu ging, verschränkte Riley, Guy, wie auch immer die Arme.

„Die kleine macht sich über mich lustig. Mal sehen wie lange noch.“

Sein Tonfall gefiel mir überhaupt nicht. Skeptisch musterte ich ihn von oben bis unten und kam endgültig zu dem Schluss, dass ich ihn nicht leiden konnte. Mit vorgespieltem Interesse blieb ich vorerst höflich.

„Was meinst du damit?“

„Ich bitte dich, sie wird mir zu Füßen liegen.“

„Das glaubst du doch wohl selber nicht.“ „Sie wird wie warmer Wachs in meinen Händen sein. Dass sie heiß ist, ist ja unbestritten.“

Wie redete er denn über meine... Freundin? Waren wir wirklich schon so weit? Auf jeden Fall war es das erste was mir einfiel, wenn ich an sie dachte, auch wenn ich nicht wusste, ob das zutraf.

„Glaub mir, sie spielt nicht in deiner Liga.“

„Dann hol ich sie rauf in meine Liga, das hab ich bisher bei jeder geschafft.“ ...

„Wenn sie in irgendeiner Liga spielen würde, dann in einer, in der du nie sein wirst, vertrau mir. Sie ist viel zu gut, um überhaupt in irgendeine Liga zu passen.“

„Das werden wir ja sehen.“

Sag mal...

„Hey, sie ist keine Trophäe, klar? Wenn du dir wirklich einbildest, dass sie sich mit dir abgeben würde, dann bist du schief gewickelt.“

Wieso er plötzlich so dämlich grinste fand ich heraus, als er wieder den Mund auf machte.

„Sie hat dich abblitzen lassen, oder?“

Wenn er wüsste. Aber das würde ich ihm nicht unter die Nase reiben, sollte er sich doch die Zähne ausbeißen. Mit einem Schulterzucken, das alles hätte bedeuten können antwortete ich darauf und wechselte dann das Thema.

„Hat Coleman gesagt, wie lange du bleibst?“

„Nein. Er sagte nur, ich solle die Gitarrenparts übernehmen weil du nicht spielen kannst.“

„Und wieso singst du dann meine Texte?“

„Deine Texte?“

„Ja meine Texte, meine Songs. Von mir geschrieben und von mir gesungen.“

„Oh. Weißt du Alter, ich will dir nicht zu nahe treten, aber vielleicht solltest du hier und da noch mal was überarbeiten. Soll keine Kritik sein, ist nur ein guter Rat.“

Was. Zur. Hölle.

Auf diese Art von Gespräch würde ich mich definitiv nicht einlassen.

„Sicher. Weißt du was, ich geh nachsehen wo die anderen sind.“

Ohne auf eine Antwort zu warten hob ich die Krücke und setzte sie auf seinen Fuß, wobei ich tat, als wollte ich mich bewegen und lehnte mich mit vollem Gewicht auf die Krücke. Ich hörte ihn sofort ächzen, was mir ein klein wenig Genugtuung verschafft. Überschwänglicher als dass es noch ernst gemeint sein konnte zog ich die Krücke wieder zurück.

„Oh tut mir Leid. Ich hab die Dinger erst seit drei Tagen, ich muss mich damit erst noch zurecht finden. Du weißt ja sicher wie das ist.“

So arrogant wie er rüber kam, war ich mir sicher, dass er Erfahrung mit gebrochenen Gliedmaßen hatte. Und wenn nicht, würde ich ihm ganz schnell zeigen wie das war.

 

 

 

 

 

Ich hatte furchtbare Schmerzen und schüttelte mich. Ich schüttelte mich vor unkontrolliertem, grölendem Lachen und bekam gleich keine Luft mehr. Da Ella, Floid und Eric genauso laut und eindringlich mit mir lachten, sodass alle im Flur einen großen Bogen um uns machten, war ich zumindest nicht alleine.

Unter viel Gekicher, lautem Luftschnappen und erneutem Ausbrechen in Gelächter kriegten wir uns irgendwann wieder ein und gingen zurück ins Studio. Bob saß gelangweilt am Pult, Dan starrte Löcher in den Neuen und der Neue hüpfte komisch auf einem Bein herum.

Ich starrte ihn erst eine Weile an, was er natürlich bemerkte und mir dieses schmierige Lächeln zuwarf, das so viel aussagte, dass er sich für Gottes Geschenk an die Frauenwelt hielt. Ich konnte mir nicht helfen. Ich starrte in seine matschbraunen Augen, wobei mein Blick immer wieder zu seiner Betonfrisur glitt und brach wieder in hysterisches Gelächter aus. Hier und da hörte ich es noch Prusten, aber diesmal war ich wirklich die Einzige im Raum, die lauthals lachte.

Vor Atemnot und Schmerzen krümmte ich mich vornüber und stützte mich dann sogar an Dan ab, der felsenfest auf seinen Krücken stand, um selbst nicht umzufallen. Ich konnte mich kaum auf meinen eigenen Füßen halten.

„Alles klar, Lenne?“, fragte Dan mich. Ich winkte ab, zeigte auf Asnus und lachte umso heftiger. Dann winkte ich noch einmal und hinkte langsam wieder hinaus auf den Flur, wo ich mich zu Boden sinken ließ und mir die Lungen aus dem Leib lachte.

Irgendwann hing Dans Gesicht ganz weit über meinem und schaute mich belustigt an. Warum war er bloß so weit weg?

„Bist du dann langsam fertig? Oder möchtest du dich noch etwas länger wie eine rollige Katze auf dem Boden wälzen?“ Ich zeigte ihm den Stinkefinger.

„Du kannst mich mal.“

„Ich liebe dich auch, Schatz.“ Oh, hoppla. Und da machte mein Herz einen kleinen Hüpfer. Na gut, eher wollte es sich gewaltsam einen Weg aus meiner Brust bahnen, aber dennoch. Ich wusste, dass er es im Scherz gesagt hatte, aber offenbar bedeutete sogar das mir ziemlich viel, wenn ich das aufgeregte Kribbeln und Flattern in meiner Magengrube richtig deutete. Wow, das hatte ich ja wirklich noch nie gefühlt und es war tatsächlich so, wie sie es immer in diesen schnulzigen Liebesromanen beschrieben.

Mühsam rappelte ich mich auf, klopfte mich ab und ging dann mit Dan zurück ins Studio, der immer noch breit grinste. Ich lächelte zurück, was ihn gleich heller Strahlen ließ.

„Kommt schon, ihr Turteltauben, wir sollten langsam mal zu potte kommen“, sagte Ella und scheuchte uns alle in den Probenraum. Mir entging dabei allerdings nicht, dass Asnus Dan und mir einen abschätzenden Blick zuwarf, der in mir ein unangenehmes Gefühl auslöste.

 

Wir funktionierten mit dem Neuen ausgesprochen gut, wenn man mal davon absah, dass ich jeden Tag, wenn ich ihn zum ersten Mal sah, fünf Minuten rausgehen musste, um meinen Lachkrampf loszuwerden und dass er sich ständig mit Dan in die Haare bekam. Aber das war wirklich nicht schwer, so großspurig, wie er sich aufführte.

Was mir allerdings besonders unangenehm im Verlauf der vergangenen zwei Wochen geworden war, waren diese seltsamen Blicke, die Anus... äh Asnus mir zuwarf, wenn gerade niemand hinsah. Außer mir. Oder die dicken Sprüche, die er ständig klopfte.

„Hey, Kleine, wenn du brav bist und beim Wechsel mit mir mithalten kannst, lass ich dich heute Abend mit mir ausgehen“, hatte er erst gestern zu mir gesagt und es war einzig Dans Voraussicht zu verdanken, dass ich ihm nicht auf der Stelle mit einer von Dans Krücken den Schädel gespalten hatte. Wobei mein... Freund? Ja, ich glaube, so konnte ich ihn nennen. Wobei er so ausgesehen hatte, als hätte er ihn am liebsten selbst umgebracht.

Ich war also immer unglaublich froh, wenn wir Feierabend machten oder später anfingen. Besonders, da Anus... Asnus dazu übergegangen war, mir an Stellen zu grapschen, die noch nicht einmal Dan bisher anfassen durfte.

Und der hatte schon recht viel angefasst, immerhin hatte ich es mir zur Gewohnheit gemacht lieber in seinem Bett mit ihm als in meinem zu schlafen. Ich fühlte mich so unglaublich wohl mit ihm und es war auch ziemlich aufregend. Ich tat es auch teilweise, weil ich hoffte, dass er dann ruhiger schlafen konnte. Und ja, ich bildete mir tatsächlich ein, dass meine Gegenwart beruhigend auf ihn wirkte.

Immer wenn Asnus also handgreiflich wurde, schlug ich seine Hand weg und brachte so viel Abstand zwischen uns, wie möglich. Ich hatte mir schon überlegt, ob ich Dan oder Frank nicht davon erzählen sollte. Erster fiel jedoch flach, weil er Captain Ego sonst mit einem von Erics Drummsticks abgestochen hätte und letzterem würde ich das niemals mitteilen. So wie es zwischen Frank und mir mittlerweile krittelte, würde er mich lediglich auslachen.

Ja, die ganze Situation war schon ziemlich scheiße. Es machte mich auch nicht gerade glücklicher, dass Dan früher weg musste, weil seine Kontrolle auf den Abend verlegt worden war. Ich musste den Mistsack die ganze Zeit ohne ihn ertragen. Eric und Ella waren zwar mit mir im Raum, aber ich fühlte mich nirgendwo sicherer als bei Dan.

Asnus hatte Dreck am Stecken, das wusste ich. Niemand konnte so herumlaufen und sauber sein. Wenn ich ihn richtig einschätzte, dann neigte er dazu, sich einfach zu nehmen, was er haben wollte. Und das machte ihn unglaublich gefährlich.

Am Abend, als die Probe endlich vorbei wahr, gingen Bob und Floid ausnahmsweise vor uns. Sie mussten noch ein paar anderen Tontechnikern aushelfen und Eric und Ella mussten ihren Bus erwischen, weil Stan uns heute nicht zur Verfügung stand. Er hatte irgendeinen Notfall in der Familie oder so etwas Ähnliches. Ich hoffte jedenfalls, dass die Situation sich auflösen würde. Ich mochte Stan sehr. Irgendwie wurmten sich immer mehr Leute in mein Herz, was mich ab und an verwunderte und verstörte.

Ich musste dringend auf die Toilette, weshalb das Tonstudio wie leer gefegt war, als ich zurück kam, um meine Sachen zu holen. Gerade als ich Blemish eingepackt hatte, schlangen sich zwei Arme um mich und ich trat instinktiv nach hinten aus, weil es nicht Dans Arme waren. Ich traf jedoch nur leere Luft und heißer Atem streifte mein Ohr, als Anus mir hineinflüsterte: „Na na, wir sind aber eine kleine Wildkatze. Macht die Eroberung nur umso süßer. Für dich.“

Ich begann, mich mit klopfendem Herzen heftiger zu wehren, doch der Mistkerl war trotz seines mageren Erscheinungsbildes echt stark. Als er mich mit einem Arm um die Taille fester Griff, um die andere Hand frei zu haben und mit ihr an meiner Hüfte entlang glitt, bekam ich wirklich Angst.

Mein Atem ging flach und ich kämpfe mit der Panik. Es rauschte nur noch in meinen Ohren und alles schrie: „Lauf!“ Aber ich kam nicht von ihm los und je mehr ich mich wehrte, umso fester wurde sein verdammter Griff!

Lass los! Lass los! Lass los!

„Komm schon, Süße, du willst es, ich weiß es“, flüsterte er, während er mich auf das Tonpult drückte, meine Handgelenke mit einer seiner Hände festhielt und seinen Körper gegen meinen Rücken drückte, sodass ich nicht von ihm wegkam.

„Hat dir deine Mama nicht beigebracht, dass du dir keine Gewürzgurken in die Hose stopfen sollst, Anus“, knurrte ich, weil ich Angst hatte, wie noch nie zuvor und ganz und gar nicht klar denken konnte. Als seine Hand an meinen Hosenbund wanderte und Gürtel, Knopf und Reißverschluss öffnete, trat ich erneut wie wild um mich, aber ich traf nicht. Ich versuchte, ihm auf den Fuß zu treten, aber der Mistsack wich immer wieder aus.

Dann schlängelte sich seine Hand in meine Hose und unter mein Höschen, während er weiter an meinem Ohr murmelte: „Du sagst 'Nein', aber wir wissen doch beide, dass du geradezu 'Ja' brüllst. Ich weiß, du benutzt deinen kleinen Gitarristenfreund als Ablenkung und jeder scheint zu glauben, ihr wärt tatsächlich zusammen, aber wir beide wissen es doch besser. Aber schäm dich nicht. Keine Schlampe konnte Guy je widerstehen.“

Oh fuck, verdammt! Der Typ war voll irre! Und ich hatte immer gedacht, ich hätte einen an der Klatsche. Der war schlimmer als Dan und ich zusammen. Umso schlimmer war es, dass seine ekelhaften Finger meinen Schritt erreichten und ich mich immer noch nicht befreien konnte. Also... hörte ich auf, mich zu wehren. Ich wurde in seinen Armen schlaff und scheinbar vollkommen entspannt. Innerlich war mir unglaublich kalt und übel. Ich hätte mich am liebsten hier und jetzt übergeben, vielleicht hätte er mich dann losgelassen?

„Jetzt verstehen wir uns. Ich wusste, du würdest es einsehen. Keine Sorge, du wirst es genießen.“

Es war schon seltsam. Wenn deine eigene Welt gerade kurz davor steht, in Trümmer zu zerfallen, wird auf einmal alles langsamer. Du erstarrst innerlich und nimmst alles nur noch in Zeitlupe war. Versuchst dich abzuschotten und deine Gefühle abzutöten, um nicht vollkommen daran zu zerbrechen. Ich kannte das. Ich hatte das schon mehr als einmal getan.

Und diese absolute Kälte half mir über meine Panik hinweg und klar zu denken. Wie schlimm konnte es schon werden? Ich musste hiernach nur zum Krankenhaus gehen, alles nötige in die Wege leiten und schon wäre für Krankheiten und unerwünschte Parasiten vorgesorgt. Ein Abstecher zur Polizei. Eine Anzeige. Und danach lebenslange Therapie und sozialer Rückzug. Waren das nicht tolle Aussichten?

Mir ging tatsächlich all dieser Blödsinn durch den Kopf, während ich wie erstarrt zwischen meinem potenziellen Vergewaltiger und dem Pult eingeklemmt war. Bis ich das dicke Mikro sah. Das Mikro, das auf dem Pult stand. In Griffweite. Und nur mit einem Kabel befestigt war. Nicht angeschraubt. Und ich wusste, dass es noch einen Ausweg gab.

 

Ich wollte es ihm wirklich sagen. Ich wollte ihm wirklich erzählen, was im Studio passiert war. Aber ich konnte es einfach nicht. Es war lächerlich. Ich wusste, dass Dan mich niemals verurteilen würde, aber ich hatte panische Angst. Ich fühlte mich dreckig und schrubbte mir noch in derselben Nacht fast die Haut vom Fleisch. Es war nichts passiert außer ein bisschen Gegrapsche. Es sollte nicht so schwer sein. Es war nicht zum Äußersten gekommen. Warum zur Hölle brachte ich dann den Mund nicht auf!

Ich machte uns wie immer Abendessen, das wir vor dem Fernseher zu uns nahmen. Ich unterhielt mich mit Dan, wie immer. Ich kroch wie immer zu Dan ins Bett. Aber es fühlte sich nichts an wie sonst. Ich hatte das Gefühl, dass er mir ansehen konnte, was passiert war, aber das konnte nicht sein. Er konnte höchstens vermuten, dass etwas nicht mit mir stimmte. In dieser Nacht rückte ich noch näher an Dan heran und versuchte einfach nur, zu vergessen.

 

Ich war in der Hölle. Das musste es sein. Ich war in der tiefsten, grausamsten Hölle. Ich hatte Doc Maverick nicht einmal erzählen können, was vorgefallen war. Ich hätte stärker sein müssen, vorsichtiger. Ich hab doch gesehen, dass mit Asnus etwas nicht stimmte, aber ich hatte geschwiegen.

Am Morgen nach meinem Beinahe-Überfall war Asnus nicht aufgetaucht. Erst am Mittag war er mit einer blauen Gesichtshälfte erschienen und hatte sich damit herausgeredet, dass er in eine Prügelei geraten wäre. Ich konnte den Mistkerl nicht ansehen, aber ich wusste, dass er mir bei jeder Gelegenheit wütende und lüsterne Blicke zu warf. Er würde mich jagen.

Darum ging ich die nächsten zwei Wochen sicher, dass ich niemals wieder mit ihm alleine war oder generell selbst alleine war. Wenn Dan wieder abends seine Kontrolle hatte, ging ich immer etwas früher als die anderen und nahm immer ein Taxi, das mich bis vor die Haustüre brachte.

Ich sah mich ständig nach Asnus um und zuckte immer öfter zusammen, wenn mich jemand nur ansprach. Es war paranoid und alle wussten einfach, dass etwas nicht stimmte, aber ich brachte es einfach nicht über mich, darüber zu sprechen.

Ich konnte nachts kaum noch schlafen und sah meistens Dan dabei nur zu und tat dann morgens so, als wäre ich noch im Traumland, wenn er aufstand. Ich konnte auch kaum noch etwas essen, weil mir ständig übel war und die Angst, wie ein schwerer Klumpen im Magen lag. Sie wurde umso größer, als Frank vor unseren Augen dem Wichser doch tatsächlich eine Schlüsselkarte zu Dans und meinem Appartement gab. Ich spürte von da an, wie das Magengeschwür in mir wuchs.

Jetzt zuckte ich sogar in unserer Wohnung vor den Schatten zurück und ging in Deckung, wann immer der Fahrstuhl bimmelte. Ich wusste, dass es nicht so weitergehen konnte, aber ich wusste weder ein noch aus. Ich musste es jemandem sagen. Das war mir völlig klar, aber mir wollten die verdammten Worte einfach nicht über die Lippen kommen. Wenn es nur jemanden gegeben hätte, der mir nicht so nahe stand, wie alle anderen. Es wäre so viel leichter gewesen!

„Hey, Lenne!“ Wie immer zuckte ich zusammen und drehte mich zu Dan um. Die versammelte Mannschaft im Tonstudio sah mich schräg an. Bis auf Asnus. Er stand abseits in einer Ecke und grinste wissend. Er wartete ab.

„Was hast du gesagt?“

„Ich sagte, dass ich heute mit etwas Glück meinen Gips abbekomme. Der Arzt hat da was vor ein paar Tagen erwähnt, aber ich wollte niemandem falsche Hoffnungen machen. Wenn ich ihn wirklich abbekomme, dann komme ich heute später nach Hause.“

„Oh, okay.“ Nein, war es nicht. „Ist gut.“ Nein, war es nicht!

„Kommst du klar?“

„Sicher“, sagte ich schulterzuckend. NEIN!

„Dann ist ja gut.“ NEIN, VERDAMMT NOCH MAL!

So löste sich die Probe auf und ich fuhr noch ein Stück mit Dan. Stan war so freundlich mich abzusetzen und ich nahm Dans Sachen mit hoch. Dort verstaute ich alles sachgemäß und tigerte dann im Wohnzimmer auf und ab.

Ich wollte nicht alleine sein. Dass ich nicht früher auf die Idee gekommen war, Dan einfach zu begleiten, war mir schleierhaft. Was war bloß los mit mir!

Nervöser denn je ging ich ins Bad, knippste das Licht an und betrachtete mich am Waschbecken im Spiegel. Meine Augenringe waren immer tiefer geworden und ich war fahl. Es war beunruhigend, wie offensichtlich nicht gut es mit ging. Und von Tag zu Tag aufs Neue eine fröhliche Miene aufzusetzen laugte mich ungemein aus.

Am liebsten hätte ich mir die Kugel gegeben. Wäre Dan nicht gewesen, wäre ich schon längst durchgedreht. Ich musste es ihm endlich erzählen. Der Gedanke hing seit Wochen über meinem Kopf und gab mir keine Ruhe mehr. Aber es war so furchtbar schwer! Und beschämend!

Also tat ich das Einzige, das mir sonst noch eingefallen war. Ich hatte mir irgendwann Chases Nummer eingespeichert und zückte das Handy. Ich hatte mir angewöhnt es immer dabei zu haben, denn jetzt brauchte ich wenigstens den Anschein von ein wenig Sicherheit.

Ich wählte die Nummer des besten Freundes meines vermeintlichen Freundes, hielt mir das Gerät ans Ohr und hörte es in der Leitung tuten. Dann klickte es.

„Ja?“ Ich war so erleichtert, dass er ran ging, dass ich beinahe geweint hätte.

„Hey, Chase.“

„Lenne, bist du das?“

„Der Nikolaus bin ich jedenfalls nicht!“

„Schnippisch wie eh und je. Und, was gibt’s? Ist was mit Dan?“

„Nein, ihm geht es gut. Er ist grad im Krankenhaus und bekommt vielleicht endlich den blöden Gips ab.“

„Wurde aber auch Zeit. Was musste er sich auch den Fuß brechen. Also? Warum rufst du an?“ Ich schwieg eine Weile und ging im Bad auf und ab.

„Lenne?“

„Ich bin noch dran.“

„Was ist los? Komm, spuck es aus oder leg auf.“

„Okay. Also, da gibt es eine Sache, die mich schon seit Wochen beschäftigt, aber ich konnte sie bisher niemandem-“ Abrupt brach ich ab und starrte entsetzt in meinen Badezimmerspiegel.

„Lenne? Lenne? Hey, Lenne!“

Es pochte ganz furchtbar in meinem Kopf und mir wurde übel. Gleichzeitig tanzten bunte Punkte vor meinen Augen. Ich konnte nicht weg. Es gab nur einen einzigen Ausgang und den blockierte Asnus.

Als er auf mich zukam, wich ich Schritt um Schritt zurück, bis ich gegen die Amaturen stieß. Dann nahm er mir da Handy aus der Hand und legte auf.

„Ich weiß, wir sind vielleicht ein bisschen schnell gewesen, aber diesmal entkommst du mir nicht mehr. Das Spiel war lustig, aber langsam macht es mir keinen Spaß mehr.“ Dann packte er mich an den Armen und ich trat ihn in den Schritt, was er nicht erwartet hatte. Ich konnte gerade so an ihm vorbeischlüpfen und aus dem Bad rennen.

Aber ich lief nicht zum Aufzug. In Socken – ich hatte mir die Schuhe direkt am Eingang von den Füßen gekickt – rannte ich in eine Ecke der Wohnung, die wir kaum betraten. Sie beherbergte die Tür zum Treppenhaus.

Dan hatte gleich am ersten Tag abgeschlossen und den Schlüssel stecken lassen, weil er keine unerwünschten Besucher haben wollte. Ich drehte das Mistding so schnell ich konnte im Schloss, stieß die Tür auf und rannte über die Treppen nach unten, ohne einmal zurück zu blicken.

Ich konnte Anus' wütendes Gebrüll hören, aber ich schenkte dem keine große Beachtung. In jedem Film ging es schief, wenn man sich umsah, wenn man verfolgte wurde. Obwohl ich vollkommen in Panik war, dachte ich an so etwas Lächerliches und schaute einfach nur nach vorne.

Ich musste weg. Ich musste weg so schnell ich konnte. Ich musste Hilfe holen. Ich musste irgendwo ein Telefon auftreiben und jemanden anrufen. Ich musste irgendetwas tun!

Und all das schoss mir durch den Kopf, während ich zum ersten Mal verfluchte, dass wir in einem verdammten Penthouse wohnten!

27

 Heiliger, ich hätte nie gedacht, dass es sich so gut anfühlen konnte, den Fuß bewegen zu können. Ich konnte wieder auftreten ohne das Gefühl zu haben, dass ich auf etwas drauf trat. Der Gehgips war zwar schon eine wohltat gewesen, nach dem verdammt schweren ersten Gips, aber ohne war es einfach ein Highlight. Gott sei Dank durfte das jetzt sogar so bleiben. Die Kontrollbilder sahen gut aus und mit ein paar Anweisungen zu Übungen und den Worten, ich solle den Fuß nicht wieder sofort voll belasten ließ er mich schließlich gehen. Wirklich gehen. Es war so toll wieder die Hände frei zu haben.

Ich hatte mich grade ins Taxi gesetzt und dem Fahrer unsere Adresse genannt, da klingelte mein Handy. Chase. Wieso rief er mich denn an?

„Hey. Wieso rufst du an?“

„Ich hoffe für dich, dass der Gips runter ist, denn du solltest dich beeilen. Ich glaube irgendetwas stimmt bei Lenneth nicht. Weißt du wo sie ist?“

„Sie sollte zuhause sein, wir haben sie da abgesetzt. Wieso, wie kommst du drauf?“

„Sie hat mich angerufen. Hat mich gewundert, weil wir ja wissen, was sie von mir hält.“

In der Tat.

„Sie wollte mir was erzählen, aber dann hat sie mitten im Satz abgebrochen, ich hörte es rascheln und dann wurde aufgelegt. Ich hab versucht, sie zurück zu rufen, aber sie geht nicht ran.“

„Scheiße!“

Sofort stieg die Anspannung in meinem Inneren und ich merkte, wie mir die Galle den Hals hinauf stieg.

„Dan, ganz ruhig, ich kann mich auch irren, also-“

„Nein, erinnerst du dich an den Typen von dem ich dir vor zwei Wochen erzählt habe? Coleman hat ihm vor ein paar Tagen eine Karte zu unserer Wohnung gegeben.“

Chase wusste sofort, was ich damit zu sagen versuchte, denn dieses mal war es an ihm zu fluchen. Mit dem Handy in der Hand sah ich zu dem Taxifahrer rüber.

„Ich zahle ihnen das doppelte, wenn sie sich etwas beeilen.“

Er schien zu überlegen, ob ich das ernst meinen könnte, da hörte ich Chase sagen, dass ich keine Taxifahrer bestechen konnte, aber der Mann nickte doch tatsächlich und trat aufs Gas. Zu meinem bedauern beruhigte mich das kein bisschen.

„Chase, hast du irgendetwas gehört, hat sie vielleicht irgendetwas gesagt.“

„Sie hat ziemlich schwer geatmet, aber sonst war da nichts, bis auf das Rascheln, als hätte sie das Handy weiter gegeben.“

Wahrscheinlicher war, dass man es ihr abgenommen hatte. Wenn wirklich diese Ratte bei ihr war, würde ich ihn dieses mal endgültig kalt machen. Dieser miese Penner ging mir schon von Anfang an auf die Nerven und Lenne schien regelrecht Angst vor ihm zu haben.

„Wenn er wirklich bei ihr in der Wohnung ist, dann gerät sie in Panik. Ich schwöre dir Chase, ich mache den Typen fertig, wenn er sie wieder anfasst.“ „Was bedeutet wieder und wieso hast du das nicht schon längst getan?“

„Ich kann es nicht beweisen, aber kurz nachdem ich dir von ihm erzählt habe, kam er ziemlich übel zugerichtet ins Studio. Lenneth war tags zuvor total komisch. Sie benahm sich eigenartig und sie schien regelrecht verstört. Von den andern weiß ich, dass sie mit ihr alleine dort gewesen ist. Chase ich kann es nicht beweisen und sie macht den Mund nicht auf, sie sagt immer es sei alles gut, aber ich sehe, dass es ihr nicht gut geht. Das sehen wir alle, aber verdammt noch mal sie sagt einfach nichts. Wenn er wirklich bei ihr ist, dann-“

„Hey, ganz ruhig, wenn du jetzt in Panik gerätst, hilft ihr das auch nicht weiter.“

„Verdammt ich gerate aber in Panik! Der Penner vergreift sich an meiner Freundin! Er hat gleich am ersten Tag gesagt, dass er sie kriegen würde, aber da hab ich das noch für einen Witz gehalten! Herrgott noch mal, er wird sie sich holen, wenn er das nicht schon längst getan hat!“

„Dan, komm wieder runter. Ruf sie an, es wird schon nichts passiert sein. Vermutlich hat sie es sich nur anders überlegt und ist dann nicht ran gegangen, weil es ihr peinlich was, dass sie mich angerufen hat.“

„Hat sie dir gesagt, was sie dir erzählen wollte?“

„Nur, dass es etwas ist, das sie schon seit Wochen beschäftigt und ich glaube sie wollte sagen, dass sie es bisher niemandem gesagt hat, aber da hat sie abgebrochen.“

„Ich bitte dich, wie klingt das denn in deinen Ohren!“

„Schrei mich nicht so an und ruf sie an, verdammt.“

Damit hatte er aufgelegt. Sofort wählte ich Lenne's Nummer und ließ es so lange klingeln, bis die Mailbox ran ging. Drei mal. Danach rief ich wieder Chase an.

„Sie geht nicht ran. Verdammt Chase, sie geht nicht ran!“

„Das muss immer noch nichts heißen.“

„Man, was soll denn noch... Halt! Fahren sie rechts ran. Anhalten!“

Wir waren eine Seitenstraße von unserem Apartment entfernt, in meiner Panik hätte ich es beinahe nicht gesehen und da der Fahrer ganz schön Tempo drauf hatte, wären wir beinahe dran vorbei geflogen. Mit quietschenden Reifen kam das Taxi am Straßenrand zum stehen. Ich riss die Türe auf und sprang heraus, als der Fahrer protestierte. Ich legte auf und warf mein Handy auf den Sitz.

„Behalten sie das, wenn ich nicht wieder komme, aber rufen sie die Polizei mit dem Ding!“

Dann spurtete ich los, den beiden hinterher, die grade in die Seitengasse verschwunden waren. Ich war noch nicht ganz um die Ecke gebogen, da hörte ich, wie Lenne anfing zu brüllen. Er hatte sie in eine Ecke gedrängt und fixierte sie dort und als ich das sah, brannten bei mir alle Sicherungen durch.

„Hey du Penner! Ich hab dir gesagt, du sollst die Finger von ihr lassen!“

Lachend drehte Riley sich zu mir um, blieb aber so stehen, das Lenne nicht aus ihrer Ecke fliehen konnte. Ich konnte nur schwerlich erkennen, dass sie in sich zusammen gesunken war und das sie schluchzte wusste ich nur, weil ich es hörte, aber das reichte vollkommen aus.

„Du einbeiniger Möchtegern Rockstar, du gehst mir so tierisch auf die Eier.“

„Tja, das beruht wohl auf Gegenseitigkeit, obwohl ich behaupten kann, dass ich welche haben, ganz im Gegensatz zu dir, wie man sieht.“

Wie erwartet, kratzte das sofort an seinem Ego. Er baute sich gleich höher auf und kam drohend auf mich zu, was mich nicht sonderlich beeindruckte. Er ließ sich viel zu schnell provozieren, was mir ganz gelegen kam, da ich ihn so von Lenne ablenken konnte. Zu meinem Entsetzen blieb sie allerdings immer noch zusammen gekauert in ihrer Ecke sitzen, selbst als sie hätte fliehen können. Diese Tatsache schnürte mir die Lunge zu und ließ mir eine gewaltige Welle an Wut durch den Körper fluten, was mich dazu brachte, zwei Schritte auf Riley zu zu gehen, bevor ich mich dazu zwingen konnte, wieder stehen zu bleiben. Ich durfte nicht den ersten Schritt machen, sonst käme ich in gewaltige Schwierigkeiten. Also musste ich ihn weiter provozieren.

„Vergewaltigst du alle Frauen, bei denen du weißt, dass du sie anders niemals kriegen würdest? Macht dich das geil?“

„Die wollen das so, allesamt.“

„Und deswegen rennen sie vor dir weg? Damit du sie jagen kannst? Das ist krank!“

„Du hast doch gar keine Ahnung!“

„Oh doch, du hattest noch nie eine Frau, die dich wirklich wollte, sonst würdest du nicht so eine scheiße abziehen!“

„Sie wollen mich alle! Keine hat Guy je widerstehen können!“

„Die wollen dich ganz sicher nicht und erst recht nicht Lenne. Du bist ein kranker Perverser, der sich an Frauen vergreift. Wie kann man so gestört sein? Kriegst du sonst keinen hoch?“

Da lachte er doch ernsthaft wieder und fasste sich in den Schritt.

„Oh er steht wie eine Eins, vertrau mir und die kleine wird eine Menge Spaß damit haben.“

Das waren Dinge, die ich überhaupt nicht hören wollte und ich wusste bis heute nicht, wie ich es geschafft hatte, in diesem Moment so cool zu bleiben.

„Er steht schon? Mein Gott du tust mir Leid, er muss so dermaßen klein sein. Kein Wunder, dass dich keine Frau will.“

Demonstrativ richtete ich meinen Blick auf seinen Schritt und spielte ein wenig mit meiner Mimik, bis ich meinte, dass mir schlecht davon wurde und ich den Blick wieder auf sein Gesicht richten musste. Das war zwar nicht viel besser, aber da sah ich zumindest, wie sauer er wurde, was mir wieder mal meine Genugtuung verschaffte. Gleich hatte ich ihn so weit.

„Du hast keine Ahnung.“

Konnte er auch noch etwas anderes sagen? Mir sollte es egal sein.

„Na ja, eigentlich will ich das auch gar nicht. Meiner muss ja mindestens doppelt so lang sein wie deiner, wenn... Weißt du, das Mitleid das ich für dich empfinde, wird irgendwie immer größer. Aber es muss ja auch die geben, die weniger gut bestückt sind, tut mir Leid, dass es ausgerechnet dich getroffen hat.“

Das war zwar eine glatte Lüge, aber das wusste er ja nicht, außerdem bewirkte er genau das, worauf ich gesetzt hatte, also würde ich ihm das bestimmt nicht sagen.

Wütend kam Riley auf mich zu und als er mich erreichte, hielt ich beschwichtigend die Hände in die Höhe, was glücklicherweise nichts brachte. Er packte mich an meinem Hemd und wickelte sich dieses beinahe in die Fäuste, woraufhin ich nur gewinnend lächelte.

„Fass mich nicht an Riley, sonst wirst du das bitter bereuen.“

„Ach ja? Was willst du machen du Flachwichser?“

Erst spuckte er mir ins Gesicht und dann stieß er mich unsanft gegen die Wand in meinem Rücken. Ich wischte mir mit dem Zipfel meines Hemds das Gesicht ab und sah dabei aus dem Augenwinkel, dass der Taxifahrer mit dem Handy am Ohr am Eingang der Gasse stand. Sehr schön. Vorsichtig lehnte ich mich vor und senkte die Stimme. Ich wollte nicht, dass mir das vielleicht später zur Last gelegt werden konnte.

„Los Riley, schlag zu, das willst du doch schon seit Wochen. Tu es ruhig, wenn dich das geil macht. Ich hab das auch schon mal gemacht, danach ging es mir richtig gut.“

Bevor ich mich irgendwie darauf vorbereiten konnte, landete seine Faust schon in meiner Magengrube, was mich aufkeuchen ließ. Ich hörte wie Lenne daraufhin wimmerte und verfluchte mich dafür, dass ich mich erst hatte schlagen lassen müssen. Ich wollte nicht, dass sie glaubte, dieser Penner hätte eine Chance gegen mich, aber irgendwie musste ich mich ja davon freisprechen lassen, zuerst zugeschlagen zu haben und das ging leider nur so. allerdings, jetzt, wo ich ihn soweit hatte, atmete ich tief durch und fühlte gleich, wie leicht mir das hier von der Hand ging. Mit mehr Schwung als nötig stieß ich Riley von mir fort, was ihn ins straucheln geraten ließ. Um sich nichts anmerken zu lassen, kam er gleich wieder auf mich zu und schwang noch mal in meine Richtung, aber alles was er erreichte, war ein Streifschlag an meiner Seite vorbei und das war auch der letzte Schlag den er landete. Ich stieß ihn noch einmal nach hinten und als er dieses mal auf mich zukam, stieß ich mich von der Wand ab, nutzte den Vorwärtstrieb und hieb ihm mit voller Wucht meine Faust gegen den Kiefer. Ich hörte sofort ein knackendes Geräusch und wusste instinktiv, dass es nicht meine Hand war, die da gebrochen war. Sie tat zwar weh, sodass ich die kurz ausschütteln musste, aber danach war es auch wieder gut. Zumindest bei mir. Riley hingegen wischte sich das Blut von der aufgeplatzten Lippe und sah dann ziemlich panisch zu mir rüber.

„Ich hab dir gleich gesagt, das würdest du bereuen.“

Und da fing er ernsthaft wieder an zu lachen. Der Junge musste echt krank sein. Er rieb sich den gebrochenen Kiefer und stöhnte kurz auf, dann machte er einen Schritt auf mich zu und sah sich dann zu Lenne um, bevor er in ihre Richtung taumelte. Ich trat ihm sofort in den Weg und hinderte ihn daran, sie zu erreichen und da flippte er wieder aus. Er schlug nach mir, aber ich fing den Schlag ab und hielt seinen Arm fest und als er sich zu wehren versuchte, stieß ich ihn mit dem Gesicht voran gegen die Wand.

„Du Pisser hast dich an meiner Frau vergriffen und das wird dir mächtig Leid tun wenn ich mit dir fertig bin und sie dir im Knast den Arsch aufreißen.“

Wieder lachte er nur und erst, als mit der Schmerz durch den Arm fuhr bemerkte ich, dass der miese Wichser ein Messer hatte. Ich packte mir seinen zweiten Arm, die Hand, in der er das Messer hielt und schlug sie so lange gegen die Wand, bis er schließlich schreien das Messer fallen ließ. Sobald ich es außer Reichweite und unter einen der Müllcontainer gekickt hatte, krallte ich eine Hand in sein zu gekleistertes Haar und schlug ihn gegen die Wand. Einmal, zweimal und ließ dann von ihm ab, bevor ich etwas tun konnte, das mich später verfolgen würde. Benommen wie er war, taumelte er rückwärts und stieß dann gegen mich, wobei er erschrocken herum fuhr und nach mir ausholte. Bevor er mich allerdings erwischen konnte taumelte er erneut und brachte sich selbst aus dem Gleichgewicht, sodass ich ihn, mit einem Schlag auf den bereits gebrochenen Kiefer, nur noch zu Boden schicken musste, wo er schließlich reglos liegen blieb. Ihn mit dem Fuß anstoßend überprüfte ich, ob er auch wirklich bewusstlos war und stellte mit bitterer Erleichterung fest, dass ich ihn K.O. geschlagen hatte.

Vorsichtig schüttelte ich die zitternden Hände aus und bemerkte, wie mir das Blut von der Außenseite meines rechten Arm bis zur Hand hinunter lief und von dort aus auf den Boden tropfte. Verdammt. Eilig zog ich mein langärmliges Hemd aus und riss den kaputten Ärmel ab, um ihn um die Wunde zu wickeln, bevor mein Blick auf Lenne fiel und ich automatisch in ihre Richtung ging. Sie kauerte immer noch in ihrer Ecke, die Knie angezogen und das Gesicht hinter den Armen vergraben, was mich wieder in Panik versetzte. Als ich neben ihr auf die Knie ging, um sie langsam aus ihrer Hülle zu holen, fing sie an sich zu wehren.

„Lenne, hey, ich bin's. Sieh mich an, hey. Lenneth, bitte sieh mich an.“

Erst als ich ihr Gesicht einfing und sie dazu zwang, mich an zu sehen, schien sie meine Worte zu begreifen. Sie hörte auf zu schreien, zitterte aber weiterhin völlig unkontrolliert. Ich wischte ihr die Tränen aus dem Gesicht und zog sie dann vorsichtig aus ihrer Ecke zu mir herüber, wobei ich peinlichst genau darauf achtete, sie nur an humanen Stellen zu berühren. Ich wollte gar nicht darüber nachdenken, was diese Schwein mit ihr gemacht hatte, sonst wäre ich vermutlich hingegangen und hätte so lange auf ihn eingetreten, bis er nie wieder aufgestanden wäre. So zog ich sie in meine Arme und da brach es wieder aus ihr heraus. Dieses mal schweigend, vermutlich, damit ich es nicht bemerkte, fing sie an zu weinen, aber mein Hemd war so schnell nass, dass es mir gar nicht hätte entgehen können. Sie klammerte sich an mir fest, als ginge es um ihr Leben und alles was ich tun konnte, war sie fest zu halten und beruhigend auf sie einzureden, bis ich schließlich am Eingang der Gasse Stimmen hörte. Gleich darauf kam jemand von hinten auf mich zu und bleib hinter mir stehen.

„Ich muss sie bitten, aufzustehen, damit wir uns unterhalten können.“

Ich nickte und warf dem Polizisten hinter mir über die Schulter einen kurzen Blick zu, bevor ich wieder leise auf Lenne einredete und sie dann vorsichtig mit mir auf die Füße zog. Erst als ich mir sicher war, dass sie nicht gleich wieder in sich zusammensacken würde, schenkte ich dem Officer meine Aufmerksamkeit, ohne Lenne jedoch los zu lassen. Der Mann beäugte uns kurz aber ausgiebig und als sein Blick auf meinen Arm fiel, schien er besorgt.

„Alles in Ordnung bei ihnen?“

Fragte er das ernsthaft?

„Sie steht unter Schock und mich hat der Penner mit einem Messer erwischt. Sieht es so aus, als wäre alles in Ordnung?“

Ich wusste, dass ich vielleicht besser nicht patzig werden sollte, aber meine Nerven lagen auch beinahe blank und so tat ich es doch, ohne es zu wollen.

„Tut mir Leid. Es geht, ich hab nicht so viel abgekriegt, aber ich mache mir Sorgen um sie. Hören sie, ich weiß, sie wollen eine Aussage und die kriegen sie, aber bitte, lassen sie mich danach mit ihr nach hause gehen.“

„Kommen sie, es ist ein Krankenwagen unterwegs, die Ärzte werden sich ihren Arm anschauen. Während wir warten, können sie mir erzählen was passiert ist.“

Und das taten wir dann auch. Während ich dem Officer meine Geschichte erzählte, vernahm ein anderer den Taxifahrer, der mich her gefahren hatten und noch ein weiterer bewachte den Spinner, der immer noch bewusstlos am Boden lag. Bei Lenne hatten sie es auch versucht, aber sie hatte nur geschwiegen, niemanden beachtet und sich weiter in meinem Hemd versteckt. Irgendwann hatten sie es aufgegeben und mir ans Herz gelegt, ich solle mit ihr aufs Revier kommen, sobald sie sich beruhigt hatte.

Sobald der Krankenwagen eintraf, zerrten sie sie dann von mir weg und checkten sie durch. Erst als man mir versicherte, dass ihr nicht fehlte, abgesehen von ein bisschen wunden Füßen, weil sie keine Schuhe trug, ließ ich einen Blick auf meinen Arm werfen. Mittlerweile brannte er ziemlich unangenehm und als sie ihn auswickelten kippten sie mir gleich ordentlich Alkohol darüber um die Wunde zu säubern, was mir gleich ein Stöhnen entrang und Lenne in Panik versetzte. Ich musste sie mit ziemlich viel Kunst davon überzeugen, dass alles gut war und dass sie mir nur den Arm flickten, bevor sie sich an meine Seite presste und nicht mehr zurück wich, nicht einmal, als wir schließlich in unserer Wohnung standen. Auch hier musste ich sie mit viel Mühe davon überzeugen, dass ich sofort wieder bei ihr war, damit ich die Wohnungstüre wieder verriegeln konnte. Den Aufzug stellte ich um, damit die Leute sich unten in der Lobby ankündigen mussten und ich sie rauf lassen konnte, ebenso wie ich die Klingel abstellte, damit es gar nicht so weit kam. Jeder der und jetzt erreichen wollte, musste das über mein Handy tun.

Erst als ich sicher war, dass ich alles verriegelt hatte, kehrte ich zu Lenne ins Wohnzimmer zurück. Als sie mich kommen sah, stand sie von der Couch auf und kam mit ausgestreckten Armen auf mich zu, woraufhin ich sie wieder in die Arme schloss und zum ersten mal, seit dem ganzen, das Wort an sie richtete.

„Wie lange hat er dich schon belästigt?“

Ich dachte erst, dass sie nichts sagen würde, weil sie so lange schwieg, aber dann hörte ich sie doch leise reden und ihre gebrochene Stimme brachte mich fast um den Verstand.

„Seit Anfang an.“

Ich verfluchte mich dafür, dass ich nichts dagegen getan hatte, obwohl ich so etwas schon vermutet hatte.

„Warum hast du nichts gesagt? Ich hätte ihm doch gleich die Krücken in die Hand gedrückt. Verdammt Schatz, warum hast du den Mund nicht auf gemacht?“

Ich seufzte und beließ es dabei, als ich keine Antwort darauf bekam. Ich wollte nicht, dass sie sich gedrängt fühlte und ich wollte nicht, dass sie sich vor mir zurück zog weil sie glaubte, ich würde ihr Vorwürfe machen. Trotzdem ließ ich sie gewähren als sie sich aus meinen Armen wand und sagte, sie müsse duschen gehen. Als sie dann allerdings stocksteif vor ihrer Badezimmertüre stehen blieb und ich sah, dass darin Licht brannte, trat ich hinter sie und sah ihr Handy auf dem Boden liegen. Da ging es mir auf.

„Du kannst mein Bad benutzen, wenn du nicht hier duschen willst.“

Darauf nickte sie und hauchte ein beinahe unhörbares „Danke“, bevor sie verschwand. Nur wenige Momente später hörte ich, wie die Dusche an ging. Ich konnte mir nur schwer vorstellen, was in ihr vorging, dass sie der Meinung war, sie könnte das alles einfach mit Wasser weg wischen. Mir zitterten immer noch die Hände, wenn ich daran dachte, wie sie in dieser Gasse in ihrer Ecke kauerte. Am liebsten hätte ich diesem Dreckspenner das Genick gebrochen. Womit hatten wir so etwas verdient? Waren wir nicht schon kaputt genug? Musste man uns echt wieder zu Boden treten, wenn wir uns grade berappelten? Das Leben war echt nicht fair. Wobei ich hier noch nicht mal sagen mochte, ob es wirklich das Leben war, dass uns da eine Abreibung verpassen wollte, oder ob es Frank Coleman zu verdanken war, dass ich jetzt darum bangte, meine bessere Hälfte verloren zu haben. Sollte ich heraus finden, dass Coleman davon gewusst hatte, dass Mr Arschloch so gestört war, würde er der nächste sein, den ich mir vorknöpfte.

Vorerst wollte ich jedoch dafür sorgen, dass Lenne nicht den Verstand verlor und nachdem nach zwanzig Minuten immer noch das Wasser rauschte, machte ich mir da ziemliche Sorgen. Ich beschloss alles über Bord zu werfen, was mich vor der Badezimmertüre hatte sitzen lassen, und öffnete vorsichtig die Tür. Das ganze Bad war in Dampf gehüllt, der Spiegel war völlig beschlagen und Lenne stand immer noch in der Dusche, mit der Schulter an die Wand gelehnt und mir den Rücken zugewandt, wobei sie sich verzweifelt versuchte, die Haut vom Körper zu schrubben. Mich durchfuhr gleich das Gefühl von Verzweiflung und das Bedürfnis, ins Krankenhaus zu fahren und zu beenden, was ich angefangen hatte. Die innere Stimme, die mir das ausredete und mich davon überzeugte, dass das viel zu gnädig gewesen wäre überzeugte mich auch schließlich davon, dass ich mir ein Handtuch nahm, an Lenne vorbei das Wasser ausschaltete, ungeachtet der Tatsache, dass es mir dabei die Klamotten durchnässte, und sie schließlich in das Handtuch wickelte. Erschrocken zuckte sie zusammen und ich musste mich dazu zwingen, sie nicht fest zu halten, als sie vor mir zurück wich.

„Ich bin's nur. Du weißt, ich tu dir nicht weh.“

Sie schien sich das erst in Erinnerung rufen zu müssen, was mir einen Stich versetzte, aber ich wollte sie zu nichts drängen, also hielt ich nur die Hände in die Luft.

„Du brauchst nur zu sagen, dass ich gehen soll.“

Auch wenn mich das vermutlich killte.  

 

 

 

 

 

Dans nasses Shirt krampfhaft umklammernd, schüttelte ich den Kopf und wickelte mich fester in das Handtuch und steckte es fest. Dann ließ ich mir von meinem Freund aus der Dusche helfen. Genau. Das hier war Dan. Wir waren zusammen. Irgendwie. Es war seltsam und merkwürdig, aber auch lustig und entnervend. Das hier war Dan. Er würde mir niemals weh tun, selbst wenn ich ihn zur Weißglut trieb. Das hatte ich bisher oft genug getan, also konnte ich mir absolut sicher sein.

Barfüßig tapste ich aus dem Bad, Dan dicht an den Fersen, und ging hinüber in mein Zimmer, um mich anzuziehen. Die ganze Zeit wusste ich, dass Dan in der Nähe war und das beruhigte mich ungemein, auch wenn ich mich momentan wie eine hysterische Furie fühlte. Irgendwie war es schon geradezu lachhaft.

Hier war ich, die große Lenneth Parker, die immer jedem die Stirn bieten musste und knickte einfach so ein. Wie damals, obwohl ich mir geschworen hatte, stark zu sein. Aber ich hatte nicht das Gefühl, mich deswegen schämen zu müssen. Mit Dan war es in Ordnung, einfach weil es Dan war.

Als ich aus meinem Zimmer kam, war der aber nirgends zu sehen. Mir drehte sich ein bisschen der Magen um, bis ich hörte, wie er in der Küche fuhrwerkte. Also folgte ich den Geräuschen und fand ihn am Herd vor.

„Setz dich, ich bin gleich fertig“, sagte er, als er mich bemerkte. Ich stieg auf einen der Hocker am Tresen und schaute ihm zu, wie er schnell ein paar Omelettes machte. Einen Teller damit und ein Glas Orangensaft stellte er vor mich hin, platzierte seine eigene Portion und setzte sich neben mich. Wir aßen schweigend und ich gab zu, dass es gar nicht so übel schmeckte. Bei Omelettes konnte man durchaus so einiges falsch machen, aber Dan schaffte es, welche zu machen, die wirklich gut waren. Also würde ich in Zukunft wohl öfter mal das Kochen an ihn abschieben können. Wenn ich es nicht gerade als Beschäftigungstherapie brauchte.

Ich schlang das Essen geradezu herunter und trank noch zwei Gläser Orangensaft, bis ich endlich satt war. Dan räumte ab, während ich mir Glen schnappte, die gerade an mir vorbei schlich und sie fest an mich drückte. Sie war unglaublich flauschig und warm und erinnerte mich an die unzähligen Nächte, in denen ich mit ihr im Arm geschlafen hatte. Sie hatte mir immer Trost gespendet, aber nun war alles anders. Nicht nur Glen half mir, irgendwie mit diesem ganzen Mist fertig zu werden.

Ich wusste, dass Dan sich unbehaglich fühlte, mir wäre es nicht anders ergangen. Aber es half mir schon ungemein, dass er einfach da war und mir meinen Freiraum ließ. Er wartete einfach darauf, dass ich zu ihm kam, wenn ich bereit dazu war.

Nachdem alles im Spüler verräumt war, ging ich mit der Katze auf dem Arm zu meinem Badezimmer, weil ich ein paar Sachen daraus holen und in Dans packen wollte. Ich wollte den Raum eine Weile meiden. Er fühlte sich einfach nicht sicher an. Aber ich konnte es einfach nicht über mich bringen, hinein zu gehen. Allein der Gedanke daran versetzte mich in Angst und Schrecken. Dans Hand berührte mich an der Schulter und ich drehte mich zu ihm um. Er hätte sich nicht bemerkbar machen müssen, ich hatte gespürt, dass er da war.

„Sag mir, was du brauchst und ich hol es dir.“ Ich schüttelte den Kopf.

„Ich kann mich doch nicht ewig davor verstecken.“

„Es ist nicht mal ganze zwei Stunden her, dass das Arschloch sich an dir vergreifen wollte. Es ist völlig natürlich, dass du erst damit fertig werden musst, also hör auf die Starke zu spielen und lass mich dir helfen.“

„Okay. Ich brauche Zahnbürste, Zahnpasta und den Waschlappen.“

„Alles klar.“ Nachdem Dan das Zeug geholt und in seinem Bad zu seinen Utensilien in den Becher gesteckt hatte, gingen wir in sein Zimmer, er machte sich bettfertig und wir setzten uns auf besagtes Bett.

„Es ist völlig in Ordnung, wenn du heute Nacht lieber alleine schlafen willst.“

Ich schüttelte den Kopf. „Ich will nicht alleine sein. Ich fühle mich sicherer, wenn du bei mir bist.“ Ich hörte ihn seufzen, sah ihn aber nicht. Irgendwie konnte ich die ganze Zeit schon nur auf den Boden starren.

Nach einer Weile des Schweigens legte Dan sich ins Bett und zog mich zu sich. Ich packte Glen zu Ben und streckte mich neben meinem Freund aus. Erst tat ich es nur zögerlich, aber das war lächerlich. Es war immerhin Dan. Also drückte ich mich eng an ihn, schlang ihm einen Arm um die Taille und machte das ganze komplett, indem ich mein Bein über seines legte. Ich fühlte mich ein wenig wie ein klammernder Oktopus, aber das kümmerte mich nicht besonders.

„Lenne“, warnte er noch, aber ich schüttelte den Kopf an seiner Brust.

„Genauso. So ist es richtig.“ Und ich meinte es auch so. „Bitte versprich mir etwas.“

„Alles, was in meiner Macht steht“, antwortete er entschlossen.

„Lass dich bloß nie wieder bei so einer Rauferei aufschlitzen. Ich dachte, er würde dich umbringen“, flüsterte ich und drückte ihn kurz fester. Dann übermannte mich auch schon die Müdigkeit. Ich meinte, ihn schnauben zu hören, aber sicher war ich mir nicht, da mir die Augen bereits zugefallen waren. Das war seit Wochen die erste Nacht, in der ich mit dem Gefühl vollkommener Sicherheit ein- und durchschlief.

 

„-heute nicht ins Studio.“ Pause. „Nein, das ist ja wohl nicht nur eine Kleinigkeit!“ Pause. „Sie haben den Dreckssack doch angeschleppt, also kommen Sie damit klar!“ Es piepte und ich hörte es krachen. Er hatte sein Handy gegen die Wand geworfen.

Ich seufzte, öffnete die Augen und blinzelte gegen die grelle Morgensonne an. Dann drehte ich den Kopf und sah Dan an, der sofort zu mir kam und sich auf die Bettkante setzte. Seine Haare waren niedlich strubbelig und seine Schlafsachen waren zerknittert. Ich wünschte mir sofort, jeden Morgen auf diese Weise aufzuwachen.

„Hey“, sagte er.

„Hey“, antwortete ich und es hörte sich kratzig an, also räusperte ich mich. „Wie war das mit dem Studio.“ Wieder schnaubte er.

„Wir bleiben heute zu Hause. Oder besser gesagt, nehmen frei. Wir müssen noch zum Revier, aber ich werde dich sicher nicht jetzt schon wieder im Studio antanzen lassen. Der Angriff ist noch nicht einmal einen Tag her.“

„Ich kann ja verstehen, dass ich zu Hause bleiben kann, aber du kannst das, weil...?“

„...ich bei dir bleiben muss, weil du sonst vor deinem eigenen Schatten zurückzuckst“, stichelte er.

„Gib doch einfach zu, dass du mich unablässig vermissen und sehnsüchtig nach mir seufzen würdest.“ Das brachte ihn zum Lachen und dieser furchtbar ernste Blick wich endlich aus seinem Gesicht.

„Sicher und wovon träumst du nachts?“

„Vielem“, erwiderte ich frech und wackelte mit den Augenbrauen. Dan wurde kurz wieder ernst.

„Vergiss nicht, mit deinem Therapeuten zu sprechen.“

„Kommst du diesmal mit?“, fragte ich die Chance ergreifend. „Bitte?“ Ich setzte meinen mitleiderregendsten Blick auf, was ihn dazu brachte sich nervös den Nacken zu reiben, schließlich zu seufzen und „Na gut“, zu murmeln. Ich warf mich auf ihn, schlang die Arme um seinen Hals und drückte ihm einen dicken Kuss auf die Wange.

„Du bist so was von unfair.“

„Ich muss eben alles nutzen, was ich in der Hand habe.“

„Geht es dir gut?“

„Na ja, so lala. Ich will mich einfach normal fühlen, können wir also den Tag so stinklangweilig und normal wie möglich gestalten?“

„Alles, was Madame wünscht.“

„Das ist jetzt nur, weil es eine Ausnahmesituation ist oder?“

„Jepp.“

Ich seufzte. „Ich hab es geahnt.“

 

Dan musste draußen warten, während mich der Officer, dessen Namen ich mir nicht merken konnte und der mir so was von egal war, in sein Büro führte. Er bedeutete mir, mich zu setzen und nahm selbst in seinem dick gepolsterten Bürostuhl platz.

„Es freut mich, dass sie kommen konnten, Miss Parker.“

„Na ja, je eher ich das hinter mich bringe, desto eher ist es vorbei.“

„Das ist wahr. Also fangen wir am Anfang an. Wie und wann sind Sie Mr. Asnus das erste Mal begegnet?“ Und so begann ich dem Polizisten die ganze vertrackte Geschichte zu erzählen. Als ich geendet hatte, zitterten meine Hände und ich hatte die Finger in mein Shirt gekrallt.

„Es wäre von Vorteil gewesen, wenn sie sich früher gerührt hätten, aber ich kann verstehen, warum Sie es nicht getan haben. Das sollte ich zwar nicht tun, aber selbst der Justiz sind die Hände gebunden, wenn es keine konkreten Beweise gibt.Wir haben allerdings bereits Fälle, in denen Mr. Asnus wegen sexueller Belästigung angezeigt wurde und einmal wegen Vergewaltigung, aber in letzterem Fall konnte ihm nichts nachgewiesen werden. Hoffentlich bringen wir ihn dieses Mal endgültig hinter Gittern.“

„War es das dann?“

„Ja, ich habe alles, was ich brauche. Sie werden benachrichtigt wegen dem Gerichtsverfahren. Ich wünsche Ihnen noch weiterhin viel Glück, Miss Parker und mein Beileid zu dieser unglückseligen Begebenheit, obwohl Sie schon genug auf dem Tablett haben.“ Ich kniff die Augen zusammen.

„Kenne ich Sie?“ Irgendwie kam mir der Kerl doch bekannt vor.

„Ich war damals an dem Fall mit Ihrer Mutter beteiligt.“

„Ah. Okay.“

„Verzeihen Sie, falls ich Ihnen zu nahe getreten bin, aber es hat mich doch etwas überrascht, Sie wieder zu sehen, auch wenn Sie sich vermutlich nicht an mich erinnern. Damals war ich noch ein Anfänger.“ Ich schüttelte den Kopf.

„Sie sind mir nicht zu nahe getreten. Ich komme mittlerweile damit klar.“

„Das freut mich zu hören.“ Ich stand auf, weil ich langsam keine Lust mehr hatte, alte Kamellen aufzuwärmen. „Einen schönen Tag noch, Miss Parker.“

„Danke gleichfalls.“

Erleichtert seufzte ich auf, als ich Dan erblickte, nachdem ich das Büro verlassen hatte und streckte die Hand nach ihm aus. Er stand sofort auf und nahm sie. Dann gingen wir zusammen hinaus und genossen das gute Wetter. Es war schon irgendwie seltsam wie friedlich alles war und seinen gewohnten Gang ging, obwohl keine vierundzwanzig Stunden zuvor meine Welt einmal wieder aus ihren Angeln gerissen wurde.

„Also, was wollen wir jetzt tun?“, fragte Dan mich, während wir die Straße heruntergingen. Ich sah auf die Uhr meines Handys, das Dan mir heute morgen aus dem Bad geholt hatte. Es war schon Mittag und ich war unglaublich hungrig.

„Wie wäre es mit einem dicken Burger oder einem Steak? Ich habe Lust auf Fleisch.“

„Das heißt wohl, wir gehen essen.“ Da klingelte Dans Handy. Irritiert starrte er das Ding an und ging dann ran. „Hey, Chase, was gibt’s?“ Schweigen.

„Ja, ihr geht es gut.“ Pause. „Wie? Du stehst vor unserer Wohnung? Okay, pass auf, wir wollen essen gehen. Ich habe vorhin ein Steakrestaurant gesehen, das nicht schlecht aussah, fahr einfach in Richtung...“ Den Rest des Gespräches blendete ich aus und sah mir meine Umgebung genauer an.

Seit Stan mich ständig herumfuhr, hatte ich mir keine Zeit mehr genommen, die Stadt zu erkunden, obwohl ich das früher immer gerne getan hatte. Ich kannte mich gerne an dem Ort aus, in dem ich lebte. So wurde es erst zu einem richtigen zu Hause.

Nachdem Dan endlich aufgelegt hatte, schlenderten wir Hand in Hand zu dem Ort, an dem ich mich ordentlich vollstopfen würde. Man glaubte es kaum, aber ich fühlte mich momentan gut. Es war beruhigend zu wissen, dass Anus – ja, ich wusste, dass er nicht Anus hieß – von Polizisten bewacht in einem Krankenhausbett lag und Dan hier war.

Ich hatte ja beinahe einen Herzinfarkt bekommen zu der Panikattacke, als er sich hatte schlagen lassen und dann auch noch von diesem blöden Messer verletzt worden war. Ich hatte ernsthaft gedacht, dass ich ihn verlieren würde und alles nur, weil er versuchte, mich zu beschützen.

Jetzt, wo ich mich wieder eingekriegt hatte, hätte ich ihm am liebsten am Kragen gepackt und durchgeschüttelt und von unten bis oben abgeküsst. Alles auf einmal. Diese Sache mit den Gefühlen war schon echt anstrengend.

„Wie geht es deinem Arm?“, fragte ich ihn. Er lächelte mich an.

„Tut ein bisschen weh, ist aber nichts Ernstes. Ich bin nur froh, dass ich mir nicht schon wieder was gebrochen habe. Endlich wieder gehen zu können, ist einfach eine zu große Gabe.“ Jetzt klang er schon beinahe ehrfürchtig. Trottel.

„Ich freue mich und bin dir dankbar, dass du mich gerettet hast. Ich wüsste nicht, was passiert wäre, wenn du nicht da gewesen wärst. Aber mach so was bloß nie wieder! Ich habe fast einen Schlag bekommen!“

„Mach dir nicht so viele Sorgen, Schatz. Ich weiß, was ich tue.“

„Das will ich hoffen. Ich will auch hoffen, dass du dich nicht überschätzt. Das hätte gestern auch schief gehen können. Immerhin hattest du gerade erst den dicken Gips runter bekommen.“ Ich drückte seine Hand fest, was er erwiderte.

„Keine Sorge, Lenne. Alles wird gut. Wir schaffen das.“ Und ich glaubte es ihm.

Als wir endlich am Restaurant ankamen, stand Chase bereits davor und winkte uns zu.

„Da seid ihr ja endlich! Ich freu mich ja, dass ihr in einsamer Zweisamkeit Hand in Hand durch die Stadt schlendert, aber ihr müsst mich deswegen noch lange nicht warten lassen!“

„Halt die Klappe, Chase“, zischte Dan, aber sein breites Grinsen nahm seinen scharfen Worten jegliche Wirkung. Die zwei packten sich dann an den Unterarmen und gaben sich eine freundschaftliche Umarmung.

„Gibt es etwas, das ich über euch wissen sollte?“, fragte ich, während ich mit den Augenbrauen wackelte, nachdem sie sich losgelassen hatten.

„Ich weiß nicht, was du meinst“, erwiderte Dan und sah mich mit seinem unschuldigsten Blick an. Chase schüttelte nur lachend den Kopf.

Gemeinsam betraten wir das Restaurant und wurden an einen Tisch gesetzt. Es dauerte nicht lange, bis eine Kellnerin unsere Bestellungen aufnahm.

„Ich will meines Medium“, sagte ich. „Besser gesagt, will ich, dass es innen schön rosa und saftig ist, aber so durch, dass kein Blut rausläuft, wenn ich es anschneide oder ein bisschen drauf drücke.“ Die Kellnerin sah mich an, als wäre ich eine Irre, nahm die Speisekarten wieder mit und ging.

„Wir sind aber penetrant“, stichelte Chase. Ich streckte ihm die Zunge heraus. Wir waren in der Öffentlichkeit und an diesem Ort konnte ich leider nicht zu meinem geliebten Mittelfinger greifen.

„Glaub mir, du möchtest ganz sicher nicht, dass sie Blut sieht. Die Panikattacke von gestern reicht“, sagte Dan. Ich kickte ihn unterm Tisch.

„Au! Hey!“

„Was denn? Ich hab doch das Bein getreten, das nicht gebrochen war. Hör auf, mich zu ärgern, dann hör ich auf, dir weh zu tun.“

„Aber es macht Spaß, dich zu ärgern.“

„Und du bist ein Idiot.“

„Seid ihr zwei ganz sicher, dass ihr ein Paar seid?“

„Halt die Klappe, Chase“, sagten Dan und ich im Chor.

Das Essen kam und ich schlang das 400 Gramm Steak nur so herunter und stopfte mir dann die Beilagen rein, während die Jungs mich anstarrten, als wäre ich eine Kuriosität.

„Was denn? Ich habe Hunger!“ Daraufhin lachten sie nur. Blödmänner.

„Also? Was genau war da gestern los? Wenn ihr so freundlich wärt, mich aufzuklären.“ Ich überließ es Dan die dumme Geschichte zu erzählen. Ich hatte keine Lust, den Mist noch einmal zu wiederholen.

Als Dan fertig erzählt hatte, starrte Chase mich ungläubig an. „Und du wolltest tatsächlich mit mir darüber reden, statt mit irgendeinem deiner Freunde?“ Ich zuckte mit den Schultern.

„Ich mag dich nicht und kenne dich kaum. Du warst die beste Option. Es ist leichter, mit Fremden über so etwas zu reden, als mit Nahestehenden.“

„Okay, das leuchtet mir ein. Aber trotzdem...“ Wieder zuckte ich nur mit den Schultern.

„Meint ihr, da steckt euer Manager dahinter?“, fragte Chase nach einer Weile, in der wir schweigend gegessen hatten.

„Keine Ahnung“, erwiderte Dan. „Aber ich traue es ihm zu. Der Mistkerl nörgelt fast nur noch und ich weiß, dass er nicht zufrieden ist, weil er uns nicht wie Marionetten kontrollieren kann.“

„Vergiss nicht, wie er mit mir beim Gig damals in der Umkleide gesprochen hat“, ergänzte ich zwischen zwei Bissen. „Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass er sich dermaßen selbst in den Fuß schießen würde. Immerhin wissen wir, dass er ständig kurz vorm Rausschmiss steht. Die Band zu zerschießen, die ihn davor bewahren soll, wäre mehr als Kontraproduktiv.“

„Vielleicht hätte er auch nur nicht gedacht, dass Riley so weit gehen würde“, wandte Dan ein. „Möglicherweise wollte er nur Unruhe reinbringen und mich raus drängen. Du hast doch gesehen, wie der Mistkerl an Coleman's Lippen hing, als wäre er der Messias persönlich.“

„Das ist ja alles schön und gut, aber das sind bis jetzt nur Spekulationen“, schaltete Chase sich ein. „Ihr könnt ihm nichts beweisen. Was habt ihr also vor?“

„Jetzt, da mein Schatzihasi wieder laufen kann, würde ich ja vorschlagen, endlich einen ordentlichen Plan zu schmieden und unser eigenes Ding aufzubauen, damit wir Frank so bald wie möglich in den Wind schießen können“, sagte ich, während ich mit einer Kartoffel kämpfe, die partout nicht in der Soße ertrinken wollte. Als aber niemand etwas erwiderte, sah ich doch auf und fand mich zwei Männern gegenüber, die mir den letzten Nerv rauben konnten und die mich anstarrten, als wäre mir ein zweiter Kopf gewachsen. Schon wieder.

„Was? Was hab ich denn gesagt?“, fragte ich mit vollem Mund.

„Schatzihasi?“, prustete Chase und kriegte sich vor Lachen nicht mehr ein, während Dan mich weiterhin einfach nur anstarrte. Was war denn jetzt kaputt?

28

 Ich meinte erst, mich verhört zu haben, aber so wie Chase lachte, hoffte ich da wohl vergebens.

„Hallo? Kriegt ihr euch mal wieder ein?“

Chase schien sich erst zu beruhigen, begann dann aber von neuem zu prusten und hielt sich dieses mal vor lachen den Bauch. Ich runzelte immer noch nur die Stirn und wusste nicht, was ich darauf sagen sollte.

„Ihr zwei seid nicht mehr ganz dicht.“

Sagte die, die beinahe missbraucht worden wäre und es allen Anscheins nach abtat, als hätte dieser Penner ihr einen Lutscher wegnehmen wollen. Ich zuckte nur die Schultern, weil ich ja wusste, dass ich sie nicht mehr alle hatte, wurde aber misstrauisch, als sie aufstand.

„Wo willst du hin?“

„Auf Toilette. Willst du mitkommen?“

Äh... ich schüttelte nur verneinend den Kopf und legte dann die Stirn in Falten. Und wieso verdammt lachte Chase die ganze Zeit so? Schulterzuckend trat sie den Rückzug an und ich starrte daraufhin nur Chase an.

„Kannst du mal langsam aufhören? Langsam wird es lächerlich.“

Immer noch lachend wischte Chase sich die Tränen aus den Augenwinkeln.

„Sicher doch Schatzihasi.“

Und dann fing er wieder an.

„Schön, dass du das so lustig findest.“

„Ja, unheimlich. Hat sie noch mehr so coole Namen für dich? Schnuckelmäuschen oder Schweinebäckchen?“

„Was sollte so schlimm daran sein? Sie nennt mich ja nicht ernsthaft so, das wäre ihr viel zu blöd und selbst wenn, was wäre so schlimm daran?“

„Man, wenn du dich schon wiederholst muss es dir wirklich egal sein. Mein Gott, da bin ich vier Wochen nicht da und du verliebst dich Hals über Kopf in das Mädchen, über das du zu Beginn gesagt hast, dass sie nicht mehr alle Latten am Zaun hat. Weißt du, ich wollte dir helfen bei ihr zu landen, dass ich gesagt habe, dass du sie liebst, war eigentlich nicht ernst gemeint. Aber trotzdem freu ich mich für dich, du hast das gebraucht und sie scheint dir wirklich gut zu tun.“

„Das tut sie auch, ich kann wieder regelmäßig schlafen wenn sie da ist, zumindest ein paar Stunden. Ich liege Nachts immer noch oft wach, aber wenigstens nicht, weil ich schreiend aus irgendwelchen Träumen auf schrecke. Ich hoffe, auch das ändert sich jetzt, da ich mir jetzt keine Gedanken mehr darum machen muss, wieso sie sich so komisch benommen hat. Wobei ich mir immer noch nicht sicher bin, ob wir das wirklich schon überstanden haben.“

„Wieso solltet ihr nicht? Der Typ wird polizeilich überwacht und es läuft ein Verfahren.“

„Eben deswegen, solange das nicht abgeschlossen ist, wird das immer wieder hoch gewirbelt werden und außerdem, ich weiß nicht, es ist einfach komisch. Ich meine, es ist keinen Tag her und sie steckt das weg als wäre es nie passiert.“

„Was sollte sie auch sonst tun? Heulend zuhause sitzen?“

„Du verstehst nicht was ich meine Chase. Sie hatte richtig Angst vor diesem Kerl. Sie hatte sogar Angst zuhause, nachdem Frank ihm eine Schlüsselkarte zu unserer Wohnung gegeben hat und das zu recht. Das kann doch nicht einfach weg sein.“

„Du hast selbst gesagt, dass sie eine unglaublich starke Frau ist und dieser Mistkerl wird überwacht, wieso sollte sie noch Angst vor ihm haben?“

„Ich hab noch nie gesehen, dass sie Angst vor überhaupt irgendetwas hätte, es muss also gravierend gewesen sein. Ich glaube ich will gar nicht wissen, was er mit ihr gemacht hat, sonst sorge ich dafür, dass er seinen Lebtag nicht mehr glücklich wird.“

„Meinst du nicht, dass du da etwas übertreibst?“

„Diese miese Ratte hat meine Frau angefasst, wie würdest du denn reagieren?“

„Deine Frau? Weiß sie das auch?“

„Wir schlafen seit geraumer Zeit im gleichen Bett, ich denke da darf ich dann Anspruch drauf erheben.“

„So so, ihr schlaft also im gleichen Bett. Ihr habt also endlich miteinander geschlafen. Na, das würde zumindest so einiges erklären.“

„Chase, ich rede nicht mit dir darüber.“

„Was, ihr habt es immer noch nicht getan? Wie lange willst du denn noch warten?“

„Ich will sie zu nichts drängen und jetzt ist ganz bestimmt kein guter Zeitpunkt dafür.“

„Ihr schlaft zusammen. In einem Bett. Alleine. Nachts. Soll sie sich noch für dich ausziehen, damit du merkst, dass du sie zu nichts drängst? Herrgott im Himmel D, du hast so wenig Ahnung von Frauen, dass es schon wehtun müsste.“

„Vielen Dank, für diese aufmunternden Worte Chase.“

„Ich sag nur die Wahrheit. Ich fasse es ehrlich gesagt nicht, dass du dich so lange zurück halten kannst und es würde mich nicht wundern wenn sie denkt, dass du sie nicht willst. Ich würde sogar davon ausgehen, dass sie es jetzt erst recht will, um diese miesen Erinnerungen abzuschütteln und sie mit etwas besserem zu ersetzen.“

„Du redest so einen Bockmist.“

„Keineswegs. Dan dieses Mädchen himmelt dich an, das scheinst du nicht zu sehen, deswegen bin ich so gut und sage dir das. Ihr seht beide ziemlich verändert aus, seitdem ihr so aufeinander hockt, aber ich denke, ihr solltet euch mal Zeit für euch nehmen. Ihr seid die ganze Zeit zusammen, ihr arbeitet und wohnt zusammen und Sonntags zusammen auf dem Sofa rum lümmeln entspricht nicht wirklich dem, was man Privatleben nennt, im Grunde habt ihr gar keins. Versucht euch irgendwie frei zu nehmen, frag sie was sie gerne macht und unternimm was mit ihr.“

„Wir können uns so etwas momentan aber nicht leisten. Nicht wenn wir diesen Fatzke von Coleman im Nacken sitzen haben.“

„Dann werdet ihn endlich los. Findet seine Schwachstellen heraus, zieht ihn über den Tisch.“

„Du sagst das so einfach. Wie sollen wir das denn anstellen?“

„Du bist jetzt wieder mobil, also macht euch bemerkbar. Du hast in den letzten vier Wochen eine Menge Songs geschrieben, streite es nicht ab, du schreibst immer Songs und ihr werdet im Studio wohl nicht tatenlos rum gesessen haben. Ihr wisst mittlerweile wie ihr zusammen harmoniert und das was ich damals in dem Club gesehen habe, glaub mir wenn ich dir sage, dass ihr gut bei den Leuten ankommt. Die Leute haben euch gesehen und ich würde darauf wetten, dass sie schon im Internet nach euch gesucht haben, also gebt ihnen etwas, das sie finden können.“

„Das ist nicht erlaubt.“

„Was, es ist verboten sich bei schönem Wetter mit seiner Gitarre in den Park zu setzen? Seit wann das? Du spielst, sie singt und die Leute um euch herum erkennen euch wieder. Was ist daran verboten? Wenn die Leute dann mit ihren Handys Videos machen und sie ins Netz stellen? Ich wüsste nicht, dass sie euch dafür belangen könnten, immerhin ist das eure Freizeit, da dürft ihr machen was ihr wollt und wer sagt schon etwas gegen ein Paar dass sich im Park amüsiert?“

„Das... könnte funktionieren, ist aber immer noch verboten. Wenn das überhand nimmt und wir uns nicht einschränken lassen, droht Coleman uns wieder mit dem Rausschmiss.“

„Bis es so weit ist hat die halbe Welt euch gesehen, bevor euer Möchtegern Guru sie alle sperren lassen konnte. Währenddessen nehmt ihr jeden Auftritt wahr, den ihr kriegen könnt.“

„Das geht aber nicht so schnell, wie du dir das vorstellst. So viele Leute haben uns nicht gesehen, dass es so eine Lawine auslösen könnte.“

„Dan mein Freund, ihr zwei...“

In diesem Moment kam Lenne wieder und schmiegte sich an meine Seite, während ich ihr einen Arm um die Schultern legte und Chase auf uns beide deutete.

„...seid bei uns zuhause die Hauptattraktion. Wenn ich bei euren Fans für euch Werbung mache, spricht sich das rum wie ein Lauffeuer. Die werden zu jedem eurer Auftritte kommen und Fotos und Videos machen und sie im Internet teilen, sie werden Freunden davon erzählen und Webseiten für euch erstellen. Du warst vor vier Wochen da und hast gesehen, wie sie ausgeflippt sind, als du in der Abendband gespielt hast.“

„Du warst da?“

„Nein, Rob hat mir davon erzählt, aber darum geht es auch gar nicht. Die Leute wollen euch sehen, euch beiden. Erinner dich an den Abend, als ihr beiden zusammen bei Rob auf der Bühne gestanden habt. Die Menge hat getobt, oder nicht?“

„Schon, aber bei letzterem waren wir noch frei und ersteres war eigentlich verboten. Wir dürfen uns nicht anderweitig engagieren, solange wir für das Label spielen.“

„Deswegen mache ich Werbung für euch. Ihr sorgt dafür, dass euer Manager die Füße still hält und euch Auftritte ran schafft und ich mache die nötige Werbung an den richtigen Stellen. Wenn die Clubs jedes mal brechend voll sind, weil da jede Menge Leute sind, die nur wegen euch da sind, werden sich die Eventmanager um euch reißen, weil sie die Kassen klingeln hören.“

Während ich darüber nachdachte, schaltete Lenne sich ein.

„Alles schön und gut, aber wie werden wir unseren Manager los?“

„Das ist das schwierige an der Sache. Man wird nicht einfach so seinen Manager los. Ihr könnt nur versuchen ihm dezent ein paar Dinge in die Schuhe zu schieben, ihn zu manipulieren. Vielleicht hilft es euch ja, wenn ihr mit anderen in der Firma redet. Lass euch Tipps geben, beherzigt, was die anderen sagen. Mit ein bisschen Glück, wenn Coleman wirklich so verhasst ist, stehen die sogar hinter euch. Wenn ihr euch gegen ihn zusammen schließt, sollte es nicht so schwer sein, ihn raus zu kicken, bevor er auch nur was merkt.“

„Aber das dauert alles eine halbe Ewigkeit und auch dann haben wir keine Garantie dafür, dass es funktioniert.“

„Das, mein Freund, war mir schon klar, als ich angefangen habe hier Verschwörungstheorien zu erstellen. Aber seien wir ehrlich. Gibt es heutzutage überhaupt noch für irgendetwas eine Garantie?“

Da hatte er Recht. Wohl oder übel.

„Okay, sagen wir, wir probieren das. Wie willst du Werbung für uns machen? Du kannst nicht hingehen und überall Plakate aufhängen.“

„Ihr müsst schon dafür sorgen, dass euer Manager ein bisschen Material freigibt, mit dem ich arbeiten kann. Sagt ihm, ihr wollt Fotos machen, Plakate vor den Hallen aufhängen, in denen ihr Spielt. Damit kann ich schon eine Menge anfangen. Wenn ihr ihn dazu kriegt eine Website erstellen zu dürfen, wäre das natürlich ideal. Ich brauche nur das Okay, dann zieh ich euch das Ding auf. Wenn nicht, könnt ihr ihm immer noch vorwerfen, dass er euch ausbremst.“

Das klang alles nach ziemlich viel Spekulation und das gefiel mir irgendwie nicht. Lenne hingegen schien das eher als ich alles in Betracht zu ziehen.

„Na ja, versuchen können wir es ja. Zumindest ist das schon mal ein Anfang, nachdem wir in den letzten Wochen so gar nichts auf die Beine stellen konnten.“

Irgendwie fühlte ich mich grade ziemlich angesprochen, woraufhin ich Lenne einen Blick zu warf, die mir im Gegenzug ein kurzes Lächeln zuwarf und mir dann einen kurzen Kuss aufdrückte.

„Tut mir Leid, das war ein bisschen ungünstig ausgedrückt.“

„Das will ich dir auch geraten haben, ich habe gelitten wie ein Hund.“

„Natürlich. Ist ja auch nicht so, als wärst du selber daran Schuld gewesen.“

Ich streckte ihr grade die Zunge raus, da begann Chase zu sprechen.

„Ich verstehe nicht, dass ihr immer noch nicht...“

Weiter kam er nicht, weil ich ihm mit Schwung vors Schienbein trat. Von Lenne erntete ich nur einen fragenden Blick, aber ich schüttelte nur mit dem Kopf.

„Er hat manchmal furchtbare Wadenkrämpfe.“

„alles klar. Über was habt ihr geredet, als ich weg war?“

Gut, dass ich ohnehin darauf zu sprechen kommen wollte, denn so konnte ich meine ursprüngliche Frage jetzt nutzen, um geschickt das Thema zu wechseln.

„Nichts bestimmtes. Irgendwie kamen wir wieder auf Coleman zu sprechen, aber im Grunde wollte Chase mir erzählen, wieso er eigentlich hier ist.“

Dieser rieb sich immer noch das Schienbein und funkelte mich böse an.

„Ach ja, wollte ich das?“

„Ja wolltest du, denn du fährst nicht extra hier her, um zu sehen wie es uns geht.“

„Erstens war ich in der Gegend und zweitens hab ich mir sorgen gemacht. Nachdem du mich gestern Abend unwissend abgewürgt hast, hast du dich nicht mehr gemeldet.“

„Deswegen fährst du aber nicht extra hier her, wenn du mich nur anrufen bräuchtest. Also, spuck es aus.“

Mit einem mal war Chase überhaupt nicht mehr albern und versuchte zu sticheln. Er rieb sich viel zu lange das Bein und wich meinem Blick aus, bis ich ihn schließlich noch mal aufforderte.

„Spuck es schon aus.“

Seufzend blickte er im Lokal umher bevor er schließlich zu mir rüber sah, meinem Blick aber dennoch auswich.

„Es geht um Jaden. Ich weiß, ich hab dir versprochen auf ihn aufzupassen, aber langsam gerät das alles ziemlich außer Kontrolle. Er wird aufmüpfig, hört nicht mehr auf die Dinge die man ihm sagt.“

„Er kommt in die Pubertät, da ist das normal. Ich bin genauso gewesen und du warst auch nicht viel besser, wenn ich mich recht erinnere.“

„Ja, aber das ist es nicht. Er widersetzt sich eurem Vater und haut ab und ich höre von ihm fast nur noch 'Erst wenn, oder nicht bevor Dan wieder da ist'. Ich meine, wir hatten ja befürchtet, dass das kommt.“

„Aber...?“

„Flipp jetzt bitte nicht aus, okay?“

Das klang nicht so gut.

„Chase, sag es einfach.“

„Nur wenn du schwörst, nicht aus zu flippen.“

„Raus mit der Sprache, sonst flipp ich erst recht aus.“

Ich spürte schon, wie sich die Anspannung in mir aufbaute und ich ungeduldig wurde.

„Schon gut, schon gut. Okay. Er schlägt ihn. Ich hab versucht-“

„Jaden schlägt ihn? Das kann ich mir nicht vorstellen.“

„Nicht Jaden. Dein Vater. Er schlägt ihn, wenn er ihm widerspricht. Ich hab echt versucht-“

„Was? Das kann er nicht machen!“

„Hör mir doch zu. Ich habe versucht mit den beiden zu reden, aber von deinem Bruder kommt immer nur, dass ich nicht sein Bruder bin und er einen Scheiß auf das gibt was ich sage und dein Vater hat mich achtkantig raus geschmissen. Ich will dich nicht dazu bringen, nach hause zu kommen, aber du musst etwas tun, denn wir wissen beide was passiert, wenn dein Bruder versucht dir nach zu eifern.“

Und ob ich das wusste. Jaden würde die Hölle auf Erden erleben, weil dieser Möchtegern Vater ihn wie das Stück Scheiße behandeln würde, dass er in mir sah.

„Und was soll ich deiner Meinung nach bitte machen? Nenn mich einen Egoisten, aber ich bin nicht bereit das hier aufzugeben und du wirst das verstehen, wenn du dich in meine Lage versetzt. Dieser Mann braucht nur jemanden, auf dem er rum hacken kann und wer wäre dafür besser als die zwei Söhne, die ihre eigenen Vorstellungen vom Leben haben?“

„Du sollst Jaden lediglich den Kopf waschen. Fahr hin, oder hol ihn ein paar Tage nach hier, nimm dir Zeit für den Jungen. Er hängt an dir, du kannst ihn nicht hängen lassen.“

„Du kennst meine Beziehung zu dem Jungen Chase, ich kann mich nicht um ihn kümmern, ich habe einen Job, er wäre die ganze Zeit alleine.“

„Das verlangt doch auch keiner, aber überleg doch mal. Du bist seine einzige Bezugsperson in diesem verkackten, viel zu großen Haus gewesen. Du weißt, wie alleine man sich da fühlt kann. Aber du hattest Tessa und du hattest mich, er hat niemanden.“

„Er hat dich.“

„Toll, den viel älteren, besten Freund seines großen Bruders, der ebenfalls berufstätig ist. Sind ja super Aussichten für einen zwölfjährigen Jungen. Ich sag dir, hol ihn hier her, übers Wochenende, über die Ferien, verbring ein bisschen Zeit mit ihm. Du warst der einzige den er hatte.“

„Er hat Freunde in der Schule, wieso unternimmt er nichts mit denen?“

„Ich bitte dich, wir beide kennen deinen Vater, du kennst die Antwort auf diese Frage.“

Leider Gottes ja. Mein Vater versuchte so verzweifelt uns nach seinen Idealen zu prägen, dass er meinte, wir hätten keine Zeit für andere Dinge. Nicht umsonst hatte ich mich mit zwölf von ihm los gesagt und wurde so seinerseits fallen gelassen.

„Ich rücke ihm den Kopf zurecht und schicke ihn dann wieder nach hause und da fängt dann das gleiche Theater von vorne an, weil er merkt, dass er so seinen Willen kriegt. Das funktioniert nicht und ich weigere mich, wieder dort hin zurück zu gehen.“

„Du weißt, dass das nicht stimmt. Du warst immer sein Idol, wenn du ihm die Sache erklärst, wird er Rücksicht darauf nehmen, er ist nicht dumm.“

„Das ist es ja grade. Er ist mir viel zu ähnlich, als das ich ihn unterschätzen würde. Aber er wird einen Weg finden, seinen Willen zu bekommen und ich weiß, worauf das dann hinaus läuft.“

„Du glaubst doch nicht wirklich, dass dein Vater noch mal einen hoch kriegt, um sich noch einen Sohn zu besorgen, mal davon abgesehen, dass er schon riesen Glück gehabt hat, dass Jaden wirklich ein Junge gewesen ist.“

Ich musste unwillkürlich über Chase's Sticheleien meinem Vater gegenüber grinsen, kam aber nicht umhin, bei der Sache zu bleiben.

„Nein, aber ich lass auch nicht zu, dass er Jaden so schikaniert wie mich und das wird er tun, wenn er sich weigert, sein Unternehmen zu übernehmen.“

„Dann musst du ihm eben schmackhaft machen, was es für Vorteile hat, das Unternehmen zu übernehmen.“ „Ich werde ihn ganz sicher nicht dazu zwingen etwas zu tun, das er nicht will. Das hab ich mit mir nicht machen lassen, also mach ich das mit ihm ganz sicher nicht.“

„Das verstehe ich ja, aber du solltest wenigstens dafür sorgen, dass er sich nicht weiter in die Scheiße rein reitet.“

„Ich kann mich nicht um ihn kümmern.“

„Er ist dein Bruder.“

„Komm mir jetzt nicht so.“

„Wie willst du dich später um deine Kinder kümmern, wenn du nicht mal mit deinem Bruder fertig wirst?“

„Erstens hab ich gesagt, komm mir nicht so, zweitens ist das etwas völlig anderes und drittens...“

Ja, was drittens? Wollte ich das Thema jetzt echt wieder aufwärmen? Ich entschied mich für nein.

„Vergiss es einfach Chase.“

„Du versuchst es ja nicht mal. Seit wann ziehst du so den Schwanz ein?“

„Ich ziehe doch nicht den Schwanz ein, ich weigere mich etwas zu tun, das sowieso hoffnungslos ist.“

„Woher willst du das denn wissen, wenn du es nicht probiert hast?“

„Willst du das jetzt echt diskutieren?“

„Nein, ich werde jetzt gehen, weil ich noch etwas zu erledigen habe.“

Er grinste mehr als breit und ich vermutete, dass er irgendetwas ausheckte, ließ ihn aber ziehen als er sein Portemonnaie aus der Tasche zog, seinen Anteil auf den Tisch legte und aufstand.

„Denk drüber nach Dan.“ Zu Lenne gewandt meinte er: „Rede du mit ihm, vielleicht hört er ja auf dich. Wir sehen uns.“

Dann ging er und ich stellte mir ernsthaft die Frage, wieso ich überhaupt mit ihm befreundet war.

Seufzend fuhr ich mir mit der Hand durch die Haare und wandte mich dann an Lenne, die immer noch an mich gelehnt saß und die ganze Zeit über leise gewesen war.

„Geht es dir gut? Du bist so ruhig.“

„Ich habe nur früh gelernt, dass man sich nicht zwischen zwei Jungs stellt, egal um was es geht. Außerdem höre ich dich gerne reden.“

„Sehr geschickt aus der Affäre gezogen.“

„Mhm.“

Erwartungsvoll sah sie zu mir auf und ich konnte nicht anders, als sie vorsichtig zu küssen.

„Lass uns gehen, ich will das Wetter ausnutzen.“

Sie nickte kurz, woraufhin ich dem Kellner zuwinkte, damit dieser uns die Rechnung brachte. Ich zahlte und dann brachen wir auf. Eine ganze Weile schlenderten wir ziellos durch die Gegend, bis ich vorschlug, nach hause zu gehen und Ben zu holen, damit auch er etwas davon hatte. Außerdem war ich ziemlich eigen, was seine Erziehung anging und ihn mit seinen acht Wochen zu lange bei der Hundesitterin zu lassen, gefiel mir nicht.

Zu Fuß machten wir uns also auf den Weg nach hause, wo ich beim betreten des Hauses einen Blick in den Briefkasten warf. Eigentlich hatte ich nicht wirklich mit Post gerechnet, trotzdem fand ich einen dicken Umschlag und als ich einen Blick darauf warf, schnaubte ich entnervt. Er war von Chase und schon was ich fühlte, wenn ich auf den Umschlag drückte, ließ mich fluchen.

„Dafür werde ich ihm so was von in den Arsch treten.“

„Wieso, was ist los?“

Neugierig schaute Lenne an mir vorbei und las die Aufschrift laut vor, bevor ich ihn vor ihr verbergen konnte.

„Viel Spaß damit. Brauchst mir nicht zu danken mein Freund.“

Verwirrt sah sie von dem Umschlag zu mir auf und ich fluchte innerlich.

„Bist du sicher, dass es da nichts gibt, dass ich wissen sollte?“

„Ja, ganz sicher.“

Denn sie würde mir den Arsch aufreißen, wenn sie wüsste, dass ich mit Chase darüber sprach, ob wir miteinander schliefen, da war ich mir sicher. Wobei ich zu meiner Verteidigung sagen musste, dass ich das gar nicht gewollt hatte, weil es ihn nichts anging, aber darauf würde sie vermutlich keine Rücksicht nehmen.

„Lass uns Ben holen gehen.“

Ich steckte den Umschlag in die Tasche und ergriff wieder ihre Hand, um sie zum Aufzug zu ziehen, wobei ich sie vor dessen Türen in eine Umarmung zog und sie einfach festhielt. Sie machte zwar nicht den Anschein, dass sie sich von dem Geschehen des gestrigen Tages beeinflussen ließ, aber ich hatte irgendwie immer noch Angst, dass sie jeden Moment zusammenbrechen könnte.  

 

 

 

 

 

„Was ist in dem Umschlag?“

„Äh... nichts Wichtiges.“

„Aha.“

„Warum klingt dieses 'Aha' so seltsam?“

„Weil du mir nicht sagen willst, was in dem Umschlag ist. Da muss ich doch vermuten, dass Chase kompromittierende Nacktfotos von dir hat und dich jetzt damit erpresst. Warum auch immer.“ Als Dan anfing unkontrolliert zu husten und ich spürte, wie er sich schüttelte, grinste ich breit. Er kriegte sich erst wieder ein, als wir oben im Appartement waren und die Hundesitterin bezahlten. Dann sackten wir Ben, seine Leine und ein paar Tüten ein und machten uns wieder auf den Weg. Mir entging allerdings ganz und gar nicht, dass Dan den Umschlag hochkant in sein Zimmer feuerte, bevor wir gingen. Ich merkte mir den ungefähren Flugwinkel und überlegte, wo er gelandet sein müsste. Dann würde ich Dan nur dazu bringen müssten, erst einmal irgendetwas anderes zu tun, damit ich einen Blick reinwerfen konnte. Soweit ich es gesehen hatte, war der Umschlag nicht einmal richtig zugeklebt gewesen.

Auf dem ganzen Weg nach unten hielt Dan ahnungslos meine Hand und schenkte mir immer wieder ein aufmunterndes Lächeln. Ich kannte dieses Lächeln. Das taten Menschen immer bei denen, die psychisch angeknackst waren oder erst kürzlich ein traumatischen Erlebnis hinter sich hatten. Er wartete darauf, dass ich einknickte und ich wusste, dass es irgendwann passieren würde. Aber das würde noch nicht jetzt sein und auch nicht allzu bald.

Hand in Hand mit Ben an der Leine, der sich furchtbar leicht ablenken ließ und überall hintänzelte und schnüffelte, gingen wir die Straße entlang und genossen das gute Wetter. Wenn Glen keine Katze gewesen wäre, hätte ich sie mitgenommen, aber das mit der Leine hatte ich bei ihr schon versucht und das wäre beinahe in einem Blutbad geendet. Mit meinem Blut versteht sich.

Dafür, dass der kleine Kerl erst acht Wochen alt war, war er schon riesig und begrub meine Katze beinahe unter sich, wenn sie miteinander spielten. Eigentlich hätte mir das Sorgen machen müssen, aber erstaunlicherweise tat ich das nicht. Er würde irgendwann lernen, dass Glen einfach kleiner als er war, wenn es denn so weit war. Bis dahin konnten sie so viel miteinander spielen, wie sie wollten, solange die Möbel dabei nicht in Mitleidenschaft gezogen wurden.

„Was war das eigentlich für eine Sache mit deinem kleinen Bruder? Willst du dich nicht darum kümmern?“, fragte ich Dan, nachdem wir uns dafür entschieden hatten, zu einem der größeren Parks zu gehen, wo Ben mit anderen Hunden toben konnte.

„Ich schätze mal, du hast dir die Situation aus dem Gespräch erschließen können.“ Ich nickte bestätigend. „Ich weiß, er ist mein kleiner Bruder und das klingt jetzt bestimmt ziemlich asozial, aber ich kann mit ihm nicht wirklich viel anfangen. Ich verstehe auch überhaupt nicht, warum er mich so toll findet. Ich habe ihn immer geärgert, als er noch kleiner war und mochte ihn nicht wirklich, einfach weil mein Vater ihn für seine Zwecke gezüchtet und mich einfach so abgeschrieben hat.“ Ich merkte, dass er verleugnen wollte, wie viel das Kind ihm wirklich bedeutete, aber er war nicht wirklich gut darin. Oder aber ich konnte viel leichter in ihm lesen, als es früher der Fall gewesen war.

„Es ist einfach nur so, dass ich mich nicht darum kümmern will oder kann, weil es einfach nur wieder alte Dinge hochkochen lassen wird. Ich kann ihn nicht einfach hierher holen, weil mein Vater mucken machen wird. Ich kann ja froh sein, dass er meine Kontaktadressen momentan nicht mehr hat, sonst würde er mir pausenlos auf den Nerv fallen. Andererseits hast du es ja selbst gehört: Ich will nicht, dass Jaden wird wie ich. Das würde nur bedeuten, dass unser Vater ihm seine Liebe entziehen wird, wie mir und daran möchte ich nicht Schuld sein.“

„Dein Bruder ist jetzt zwölf, richtig?“

„Ja, fast dreizehn.“

„Dann wird es sich nicht vermeiden lassen, dass er rebellisch wird. Das ist nun einmal das Alter, in dem sich alles verändert und ich begreife nicht, wieso dein Vater das nicht sehen sollte.“

„Ganz einfach“, schnaubte Dan. „Der Mann ist ein absoluter Kontrollfreak. Wenn etwas nicht nach seinem Willen läuft, dreht er total durch.“

„Hört sich für mich eher nach einem Kleinkind an.“ Daraufhin lachte Dan.

„Ja, so kann man das wohl auch sehen.“

„Ich möchte ja nicht behaupten, dass ich eine Ahnung von dieser Eltern-Kind-Kiste hätte, aber vielleicht solltest du auf Chase hören und wenigstens einmal hinfahren und versuchen, die Situation zu entschärfen. Ich will jetzt nicht so eine Rede schwingen von wegen 'Dein Vater tut das nur, weil er euch liebt' oder 'Er will nur das Beste für euch', weil ich besser als jeder andere weiß, dass Eltern ihre Kinder vorbehaltlos hassen können.“

„Lenne...“

„Nein, lass mich ausreden. Und genau in solchen Situationen ist es umso wichtiger, jemanden zu haben, dem man sich einfach anvertrauen kann. Kann sein, dass Chase Recht hat und Jaden dich als ultimatives Idol betrachtet, es kann aber auch sein, dass der Junge einfach jemanden zum Reden braucht, der weiß, was er gerade durchmacht. Und das bist nun einmal du. Es gibt mehr als nur Blutsbande, die euch verbinden. Wenn man gemeinsam gelitten hat, schweißt das ungemein zusammen.“

„Sonst bist du immer irgendwie völlig verschroben, aber wenn es um die wichtigen Sachen geht, wirst du plötzlich so ernst und sagst auch noch so kluge Dinge“, murmelte Dan nachdenklich.

„Wenn ich nicht genau wüsste, dass du das absolut nicht ernst meinst, würde ich dir jetzt weh tun.“ Schulterzuckend grinste der Idiot mich an und zog mich an der Hand durch den Eingang zum nächstgelegenen Park zu unserer Wohnung.

Okay, das Wort 'Park' wurde diesem Ding hier nicht gerecht. Es war so abartig gigantisch, dass man sich mit Leichtigkeit drin verlaufen hätte, wenn man keine Brotkrumenspur legte. Grünanlage war dann wohl eher die richtige Bezeichnung.

Normalerweise durfte man seinen Hund ja nirgends ableinen, doch hier entdeckten wir eine spezielle Wiese, die für Hunde gedacht war und dementsprechend auch ordentlich groß war. Ein paar Bäume schienen willkürlich gepflanzt und spendeten den Hundehaltern Schatten in der Sommersonne, während sie ihren Vierbeinern beim Spielen beobachteten. Andere hantierten mit diversem Spielzeug und forderten ihre Haustiere richtig.

Dan und ich entschieden uns, zu einer Gruppe mit jüngeren Hunden zu gehen und machten Ben mit ihnen vertraut. Der kleine Fellball, den ich von der Straße aufgelesen hatte, fand sich gut in die Gruppe ein und Dan machte sogar ein bisschen Smalltalk mit den anderen Haltern, während ich damit zufrieden war, den Hunden zuzusehen und meinen Blick durch die Landschaft schweifen zu lassen.

Natürlich hörte ich dem ganzen Gesabbel zu, aber ich hätte nicht wirklich etwas Nettes beitragen können, weshalb ich einfach nichts sagte, bevor es noch zu Schlägereien kam. Aber eine von diesen blonden Schlampen im Jogginganzug strich Dan auf diese Art über den Arm, auf die es nur Bimbotussen konnten. Wenn Dan nicht versucht hätte, ihre Hand wegzuschieben, hätte ich ihm wirklich weh getan. So richtete ich meine schmalen Augen nur auf die Blondine, die von meinen Laserblicken nichts mitbekommen zu schien und stellte mir vor, wie es wäre, sie zu würgen. Würde bestimmt Spaß machen und wäre lustig. Aber anstatt tätliche Gewalt anzuwenden und vielleicht Ärger dafür zu bekommen, griff ich auf ein anderes Mittel zurück.

„Dein kleiner Ben ist so ein Schnuckelchen“, gurrte die Schlampe gerade, als ich mich einschaltete.

„Das sage ich ihm auch immer“, säuselte ich so süß, dass ich davon Karies bekam. „Ich finde ja, dass wir ihn nicht kastrieren lassen und noch ein paar kleine Bens machen sollten. Mit deiner kleinen Labradorhündin – wie hieß sie noch gleich? Cherry? - würde das sicher ganz wunderhübsche Hundis geben!“

Das Miststück konnte ihren entsetzten Gesichtsausdruck nicht verbergen, bevor sie sich wieder fing und verhalten lächelte.

„Äh, ja, also ich denke, wir sollten dann mal weiter.“ Und damit rannte sie so schnell, dass man nur noch eine Staubwolke am Horizont erkennen konnte.

„Lauf, Schlampe, lauf!“, flüsterte ich, sodass nur Dan und ich es hören konnten. Dieser begann jedoch lauthals zu lachen, wofür wir seltsame Blicke ernteten. Das störte mich allerdings nicht, ich hatte bekommen, was ich wollte.

„Du bist einfach unglaublich“, sagte er atemlos, während er sich ein paar Lachtränen aus den Augen wischte. Dann packte er mich, schwang mich herum und küsste mich. Und es war nicht nur einer der zahmeren Küsse, nein, der hier sagte mir, wie sehr er mich zu schätzen wusste und weil es mir mit ihm nicht anders ging, erwiderte ich den Kuss vorbehaltlos. Bevor es allerdings in eine wilde Knutscherei und Erregung öffentlichen Ärgernisses ausarten konnte, denn das tat es, dem Kribbeln in meiner Magengrube nach zu urteilen, machte ich mich von Dan los und begnügte mich damit, seine Hand fest zu drücken.

Nachdem Ben sich mit den anderen Hunden ordentlich ausgetobt hatte, leinten wir ihn wieder an und gingen nach Hause. Wobei wir allerdings erst im Tiergeschäft anhielten, um ihm noch ein, zwei Spielzeuge für draußen zu besorgen. Man konnte ja nicht immer drauf vertrauen, dass man gerade eine passende Gruppe Hunde aufgabeln konnte.

Ich fragte mich ja, wie lange das Wetter noch gut genug sein würde, dass ich mit Dan hinaus ging, wenn er mit Ben unterwegs war. Ich mochte es nicht, zu frieren und Nässe kam gar nicht in Frage. Es war ein Wunder, dass man mich bei einem warmen Sommerschauer aus dem Haus bekam.

Ich lebte jetzt seit fast zwei Monaten mit Dan zusammen und es hatte sich so unglaublich viel getan. Nicht alles war positiv, wie Anus bewiesen hatte, aber ich nahm alles, wie es kam. Das Beste an der ganzen Sache war natürlich Dan. Ich hatte endlich bekommen, was ich all die Jahre wirklich gewollt hatte. Jetzt musste ich nur noch herausfinden, wie ich ihm klar machen konnte, dass er mich nicht immer wie Zucker behandeln musste.

Es war schön, einen Freund zu haben, der umsichtig war und Rücksicht nahm, aber manchmal brauchte eine Frau auch mal etwas Härteres. Vor allem dann, wenn er anfing, mir den Nacken zu kraulen und ich stark an mich halten musste, dass mich angenehmen Schauer nicht von oben bis unten vibrieren ließen und ein Erdbeben auslösten. Und der Kerl bemerkte es nicht einmal!

Ich gab zu, mein Verhalten begünstigte meinen Wunsch nicht gerade, aber ich konnte ja wohl kaum etwas dafür, wenn das Blut nach oben wanderte und mein Hirn überdurchblutete. Ich hatte nun mal wirklich keine Erfahrung mit Sex und das alles zum ersten Mal mit jemand anderem zu entdecken, war nicht immer peinlichkeitsfrei. Das bedeutete aber nicht, dass man mich wie die Jungfrau Maria behandeln musste. Ich hatte auch meine Bedürfnisse, die momentan etwas kurz kamen. Noch störte es mich nicht und ich konnte mir vorstellen, dass Dan so oder so nichts überstürzen wollte. Aber ich war mir sicher, dass ich ihn mir irgendwann schnappen und vernaschen würde, wenn er mir nicht zuvor kam. Manchmal musste man den Männern wohl den Zaunpfahl vor die Birne hauen, damit sie ihn sahen.

Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis wir der Tierhandlung entkamen, weil Dan sich ständig Zubehör anschauen musste und ich am Terrarium mit den kleinen grünen Geckos hängen blieb.

„Komm schon, Lenne.“

„Aber schau sie dir an!“, rief ich, während ich mir die Nase fast an der Scheibe platt drückte. „Sie sind so klein und faltig und saugnapfig! Ich will sie pieken und kraulen!“

„Saug... napfig?“ Ich sah ihn an und er starrte wiederum mich mit einem Blick voller... ich konnte es nicht benennen, an.

„Was denn?“

„Ach nichts.“ Schulterzuckend sah ich mir noch einmal die niedlichen Geckos an und ließ mich dann von Dan zur Kasse schleifen, wo er eilig zahlte und dann mit mir hinausstürmte. Er befürchtete wohl, ich würde noch einmal zu den Reptilien gehen.

Dann wurden wir allerdings von einer heimtückischen Eisdiele aufgehalten, deren Kühltheke zu ansprechend war, als dass wir sie hätten ignorieren können. Darum waren wir auf dem Weg nach Hause unglaublich langsam, weil wir mehr auf unsere Eistüten als auf den Weg konzentriert waren. Das Eis war aber auch unglaublich gut und ich würde mir diese Eisdiele merken. Es gab einfach kaum etwas Besseres als etwas gutes zu essen.

Aber durch das Herumgetrödel hatte ich genug Zeit, mir eine Strategie zu überlegen, wie ich Dan ablenken konnte, um doch noch einen Blick in diesen verdächtigen Umschlag werfen zu können. Oh nein, die braune Papiertüte meiner Begierde hatte ich nicht vergessen und sie würde mir keine Ruhe lassen, bis ich endlich wusste, was sie beinhaltete. Und wenn es das letzte war, was ich tat.

Zu Hause ließen wir Ben wieder freien Lauf, der sich sofort an Glen vergriff und mit ihr herumtollte, und ich hoffte, dass die lahme Taktitk, die mir in den Sinn gekommen war, funktionierte.

„Machst du uns ne frische Kanne Kaffee, Dan?“

„Klar“, antwortete er nichts ahnend, gab mir Bens Leine und trottete in die Küche. Ich flitzte, so schnell ich konnte in unser Schlafzimmer – es war wohl legitim es so zu nennen, da ich seit Wochen nicht mehr in meinem geschlafen hatte – und ließ meinen Blick durch den Raum schweifen. Hah! Da war es!

Halb unter der kleinen Sitzecke verborgen, lag es auf dem Boden rum. Dan hatte einen guten Wurfarm, wenn er beabsichtigt hatte, dass der Umschlag da landen sollte.

Ich warf die Leine irgendwo hin, hechtete durch den Raum und riss den braunen Umschlag an mich. Dann machte ich ihn auf und schaute hinein.

Huh. Tatsächlich die 'Papiertüte meiner Begierde'. Wer hätte gedacht, dass man das so wörtlich nehmen konnte? Chase war wirklich umsichtig und weil ich nicht wollte, dass er der einzige war, der sich daraus einen Spaß erlaubte, ging ich, den Umschlag in der Hand, in die Küche, wo Dan darauf wartete, dass der Kaffee durchlief.

Als er mich kommen hörte, schaute er auf und das Lächeln, das auf seinem Gesicht spross, gefror. Ich hatte mühsam den neutralsten Gesichtsausdruck auf meine Mimik konstruiert, aber ich stand kurz davor, in Lachen auszubrechen.

Bedeutsam hielt ich den Umschlag hoch und fragte: „Möchtest du mir vielleicht etwas sagen? Zum Beispiel, warum Chase weiß, welche Kondomgröße er dir kaufen muss?“

Dan wurde erst etwas blass, sah dann panisch aus und rang um Worte. „Äh... also... versteh, das jetzt nicht falsch! Das war alles nur Chase!“

Ich ließ ihn noch ein bisschen zappeln, weil ich mich köstlich amüsierte. Dann gab ich dem überwältigenden Bedürfnis nach, grinste von einem Ohr zum anderen und wackelte anzüglich mit den Augenbrauen. Ich konnte die Glühbirne über seinem Kopf praktisch aufleuchten sehen.

„Oh, du kleines Miststück! Gib mir die Tüte!“ Ich stieß mein mädchenhaftestes Kreischen aus und rannte davon.

Dan jagte mich ein paar Mal um die Couch herum durch ein paar Zimmer, bis er mich dann in unserem Schlafzimmer erwischte, mich fest packte und im Kreis herumschwang, wobei ich vor Lachen quietschte.

„Her mit der Tüte!“

„Nein!“ Ich hielt sie hoch über meinem Kopf, während Dan dazu überging mich zu schütteln und zu kitzeln, bis ich mich so sehr wand, dass wir das Gleichgewicht verloren und zusammen umfielen. Dann wälzten wir uns noch ein wenig auf dem Boden herum, bis er mir den Umschlag entriss, ihn durchs Zimmer warf, sodass sich der Inhalt im Raum verteilte und drückte mir einen leidenschaftlichen Kuss auf die Lippen. Bereitwillig öffnete ich meine Lippen für seine Zunge und genoss die Knutscherei auf dem Fußboden.

29

 Wie zur Hölle hatte ich vergessen können, dass sie an diesem Umschlag interessiert gewesen war? Ganz einfach, der Tag war so dermaßen gut gelaufen, dass ich ihn einfach vergessen hatte. Ich war noch so dermaßen davon überwältigt gewesen, wie gut sich so ein stinknormaler Tag anfühlen konnte, dass ich einfach nicht daran gedacht hatte, dass ich das verdammte Ding einfach blindlings unter die Couch gefeuert hatte. Oder zumindest hatte ich ihn in diese Richtung geworfen. War wohl doch nicht ganz drunter gerutscht. Eigentlich hätte ich mir denken können, dass sie keine Ruhe geben würde, bis sie wusste, was darin war, aber irgendwie hatte ich mich für schlauer gehalten und gedacht, ich könnte das vor ihr geheim halten. Wieso musste Chase auch ausgerechnet jetzt mit so etwas ums Eck kommen? Aber vermutlich war er nur deswegen hier gewesen. Pech für mich, dass er sich genau den richtigen Zeitpunkt ausgesucht zu haben schien, denn ich merkte, wie ich grade gefährlich nahe an der Kante zu einem Absturz stand, bei dem ich definitiv nicht zurück konnte. Und verdammt, wenn sterben sich so gut anfühlte, würde ich es jeden Tag wieder tun.

Es war definitiv nicht das erste mal, dass wir so übereinander herfielen. Beim ersten mal hatte mich mein Fuß davon abgehalten noch weiter zu gehen und beim zweiten mal auch. Die male darauf auch und ich wusste, dass ich im späteren Verlauf einfach jedes mal den Fuß vorgeschoben hatte um mich aus der Affäre zu ziehen. Ich wollte das hier nicht tun, wenn ich durch so einen verdammten Gips zurück gehalten wurde und im Endeffekt hatte ich selbst Angst gehabt. Mein letztes mal war schon eine ganze weile her und wenn ich ehrlich zu mir selbst war, wollte ich sie nicht enttäuschen. Man konnte beim ersten mal so einiges falsch machen und das konnte einem die Lust auf mehr, ordentlich verderben. Außerdem kannte ich mich selbst und ich wusste, wenn ich einmal so weit ging, dann wollte ich sie ganz. Genau das war es, wieso ich mich nicht mehr bremsen konnte. Sie schmeckte viel zu gut und fühlte sich viel zu gut unter mir an, als dass ich sie noch einmal hätte gehen lassen können, weder jetzt, noch irgendwann.

Während unsere Zungen miteinander tanzten, fühlte ich jeden ihrer schweren Atemzüge, ich spürte, wie ihr das Herz bis zum Hals schlug und ich wusste, dass es besser nur noch auf eine weise werden würde. Wie schon unzählige male zuvor, schob ich vorsichtig die Hand unter den Saum ihres Shirts und berührte nur mit den Fingerspitzen die warme, weiche Haut ihres Bauchs und wie jedes mal, durchfuhr mich dieser elektrische Schlag, bis in die Kopfhaut. Ich liebte das Gefühl ihrer Haut unter meinen Fingern, ich konnte gar nicht genug davon bekommen und doch hielt ich mich so oft zurück. Hatte ich mich so oft zurück gehalten, jetzt würde sich das auf jeden Fall ändern.

Als sie mir die Arme um den Hals schlang, legte ich die Hand flach auf ihren Bauch und strich nach oben, über ihre Seite nach hinten bis ich schließlich ihre Schulter umfasste und sie an mich drückte, wobei mir nicht entging, dass sie nicht ansatzweise zusammenzuckte, wenn ich dabei über das Narbengewebe auf ihrem Rücken fuhr. Das tat sie schon lange nicht mehr. Unwillkürlich musste ich an ihren Lippen darüber lächelt und ich merkte, wie sie das erwiderte. Vermutlich wusste sie es gar nicht, aber mit diesen kleinen Gesten machte sie mich zum glücklichsten Mann auf dieser Erde.

Mit dem Ellenbogen meines freien Arms stützte ich mich neben ihr ab, unterbrach dann den Kuss, um ihr ein paar Haare aus der Stirn zu wischen und um zu Atem zu kommen, wobei ich sie nicht aus den Augen ließ. Sie rang ebenso nach Atem wie ich und der Glanz in ihren Augen, sprach mehr als Bände. Verdammt, nur meine Angst davor, sie zu verschrecken hielt mich davon ab, gleich hier über sie her zu fallen. Ich wollte schon einlenken, aber das schien sie zu bemerken und riss mir das Steuer aus der Hand.

„Machst du jetzt wieder einen Rückzieher? Sieh mich nicht so an. Du hast keinen triftigen Grund mehr dafür, also werde ich nicht länger so tun, als würde ich das nicht merken.“

Okay, das hatte ja irgendwann so kommen müssen. Herausfordernd löste ich meine Hand von ihrer Schulter, ließ sie den gleichen Weg zurück wandern und wieder hinauf, wobei ich dieses mal mit den Fingerspitzen unter den Bügel ihres BH und am Ansatz ihres Busens entlang fuhr. Diese Mischung aus Wimmern und Seufzen die sie von sich gab war es, die mir den Rest gab. Ich hielt sofort inne und sank mit dem Kopf an ihre Schulter, wobei sie mir die Hände in die Haare krallte und versuchte mich wieder hoch zu ziehen, aber ich blieb wo ich war.

„Wenn du mich nicht willst, dann sag es einfach gleich Dan.“

Wie kam sie denn auf die Idee?

„Wenn es das wäre, wäre ich nicht in der Situation, in der ich jetzt bin.“

„Ach ja?“

Bevor sie weiter reden konnte, drehte ich mich so, dass sie die ausgeprägte Beule in meiner Jeans mehr als deutlich spüren konnte und schnitt ihr das Wort ab.

„Du hast keine Ahnung, wie oft mir das in den letzten Wochen schon passiert ist. Und glaub mir, wenn ich dir sage, wie unangenehm das werden kann das zu verbergen, wenn du mir quasi auf dem Schoß sitzt. Also sag nicht, dass ich dich nicht will.“

Ich spürte wie sie bei diesem Geständnis unter mir noch wärmer wurde. Das Gefühl, dass ihre Reaktion bei mir auslöste veranlasste mich dazu, ihr erst einen Kuss auf ihr Schlüsselbein zu drücken und dann daran zu knabbern, bevor meine Hand sich wieder in Bewegung setzte. Irgendwie erinnerte mich das hier an damals, als ich so durcheinander gewesen war, dass ich nicht klar hatte denken können. Sie hatte so unbedingt eine Reaktion aus mir herausholen wollen, dass es am Ende nur so aus mir raus geplatzt war. Dieses mal würde ich diesen Fehler nicht machen. Diese Frau war viel zu stur, als dass sie nachgab, bevor sie hatte, was sie wollte und was sie wollte, war mehr als offensichtlich.

Während ich immer noch an ihrem Schlüsselbein knabberte und saugte, um ihr einen Knutschfleck zu verpassen, für den sie mich eindeutig schlagen würde, wenn sie ihn entdeckte, begann ich sie vorsichtig durch den Stoff ihres BH zu streicheln, wovon sie nicht sehr viel merken konnte, aber das was sie spürte, schob sie mir immer weiter entgegen. Erst als sie sich krampfhaft um meinen Hals klammerte, ließ ich von ihrem Hals ab und sah ihr in die Augen.

„Sag nie wieder, dass ich dich nicht will.“

Als sie nur mit dem Kopf schüttelte, nickte ich entschieden.

„Gut und jetzt komm.“

Als ich mich neben ihr aufstützte um aufzustehen und sie mit mir hoch zu ziehen machte sich bereits der Ausdruck von Bedauern auf ihrem Gesicht breit, doch ich lächelte nur, zog sie mit mir hoch und hielt ihr dann eins der kleinen Tütchen vor das Gesicht.

„Ich bleibe ganz sicher nicht mit dir auf dem Boden liegen, das ist auf Dauer ziemlich unbequem.“

Ich sah sie noch lächeln, bevor ich ihr wieder die Lippen auflegte, meine freie Hand in ihre schob, den anderen Arm um ihre Taille schlang und sie so rückwärts Richtung Bett dirigierte. Bevor sie jedoch die Bettkante in den Kniekehlen spüren konnte, drehte ich mich um und ließ mich rückwärts auf das Bett fallen, wobei ich sie mit mir zog, sodass sie auf mir zum liegen kam. Auf dem Weg hierher hatte ich den Kuss nicht einmal unterbrochen und das tat ich auch jetzt nicht. Konnte ich gar nicht, weil das bedeutet hätte, sie loslassen zu müssen. Erst als es in meiner Hosentasche vibrierte, löste ich mich mit einem aufstöhnen von ihr. Sie setzte dazu an, den Kuss wieder auf zu greifen und zog dann ein Gesicht, als ich in meine Hosentasche griff.

„Kannst du das nicht ignorieren?“

„Es vibriert. In meiner Hosentasche. Ziemlich ungünstig grade in der Region.“

„Dann zieh sie aus.“

„Das hättest du wohl gerne.“

Als ich es heraus zog und einen flüchtigen Blick auf das Display warf, legte ich auf, schaltete es aus und wollte es eigentlich auf den Nachttisch legen, verfehlte diesen jedoch und das Handy segelte zu Boden. Mit dem Geräusch des Aufpralls entkam mir ein kurzes, raues Lachen und dann hatte ich es schon vergessen.

„Wer war dran?“

„Keine Ahnung, aber er kann ja noch mal anrufen und ne Nachricht hinterlassen. Ich bin beschäftigt.“

„So, bist du das?“

Verstohlen grinste sie mich an, was mich nur noch weiter in den Wahnsinn trieb. Wo zum Teufel war dieses Mädchen nur hergekommen? Ich wusste es nicht und ich wollte auch grade nicht darüber nachdenken, also grinste ich zurück und nickte.

„Ja, ganz schwer beschäftigt.“

Und dann küsste ich sie wieder. Wie schon zuvor ging ich in Flammen auf und riss sie gleichermaßen mit mir, während ich mir die Schuhe von den Füßen kickte. Ich wollte mich nicht selber hetzen, aber jetzt, wo wir in unserem Bett lagen und ich die Zügel einfach losgelassen hatte, konnte ich den Kuss nicht unnötig in die Länge ziehen. Meine Hände verschwanden immer wieder unter ihrem Shirt, strichen ihr über Rücken und Seiten und begannen allmählich, an ihrem Saum zu zupfen, bis sie begriff auf was ich anspielte und sie leicht den Oberkörper anhob, damit ich es ihr über den Kopf ziehen konnte. Sobald ihr Shirt Richtung Boden segelte kam ich nicht umhin, das offen gelegte zu betrachten und ich merkte, wie sie unangenehm hin und her rutschte, was die Anspannung zwischen meinen Beinen nicht sonderlich minderte, ganz im Gegenteil. Ich hielt sie also mit beiden Händen an den Hüften fest und richtete den Blick dann auf ihr Gesicht.

„Das hab ich schon gesehen, erinnerst du dich? Ganz zu Anfang, als wir grade ein paar Tage hier waren? Du bist hier oben ohne rum stolziert, als wäre das dein Reich.“

Sie runzelte die Stirn, schien sich aber zu erinnern.

„Oh ja, du hast den Mund nicht zu gekriegt.“

„Ich war so müde, dass ich dachte, ich hätte mir das eingebildet.“

„Stimmt, du hast ausgesehen wie ein Panda.“

„Es ging mir auch echt beschissen. Aber das gehört jetzt der Vergangenheit an.“

„Ach ja?“

„Wenn das hier so bleibt, wie es ist, und ich werde ganz sicher nichts daran ändern, dann, ja.“

„Schön.“

Das war das einzige, was sie darauf sagte, aber ich hörte daraus heraus, dass sie sich wirklich darüber freute. Ich hatte schon gemerkt, dass ihr viel daran lag, wie es mir ging und das bedeutete mir viel.

Allerdings sah ich ihr an, dass sie sich nicht schlüssig war, wie es nun weiter gehen sollte. Ich tat ihr den Gefallen und übernahm weiterhin die Führung, wobei ich sie zu mir runter in einen Kuss zog, der denen davor in nichts nachstand. Erst, als sie sich wieder vollends auf mir ausgestreckt hatte, tauschte ich unsere Positionen und drückte sie so in die Kissen, wobei ich nur halb auf ihr lag. Bei der schnellen Drehung stockte ihr kurz der Atem, woraufhin ich kurz von ihr abließ und sie prüfend musterte.

„Alles okay?“

Lenne nickte nur und zog mich wieder zu sich runter, was mich grinsen ließ und mich dazu veranlagte, ihr an der Unterlippe zu knabbern. Erschrocken wich sie ein Stückchen zurück und das ließ mich lachen.

„Keine Sorge, ich hab gesagt ich beiße nicht ernsthaft zu, das hab ich auch so gemeint.“

„Hör auf so unverschämt zu grinsen.“

„Tut mir Leid, ich kann grade nicht anders.“

„Sehr witzig.“

„Wenn du wüsstest.“

Ich war grade eher mehr als glücklich, als dass ich das hier witzig fand. Ich genoss das hier richtig. Mich nicht zurück nehmen zu müssen, nicht durch so einen dämlichen Gips behindert zu sein. Ich konnte mich frei bewegen und das erste mal, seitdem wir uns so nahe waren, tun was ich wollte. Zum Beispiel, mich auf ihre Oberschenkel setzen, die Hände mit ihren verschränken und sie dann so über ihrem Kopf fixieren, während ich von oben auf sie herab sah. Wieder musste ich grinsen, hielt jedoch inne, als ich sie von oben bis unten betrachtete. Erst ihre Stimme riss mich wieder aus meiner Trance heraus.

„Du fängst gleich an zu sabbern.“

„Na, es tropft ja wenigstens auf deinen Bauch und nicht aufs Bett.“

„Du bist ein Ferkel!“

„Du hast damit angefangen.“

Streckte sie mir da grade ernsthaft die Zunge raus? Ja, in der Tat. Ich schüttelte den Kopf und beugte mich dann langsam zu ihr runter, quälend langsam, während ich sie immer noch fest hielt. Langsam begann sie zu zappeln, aber ich hielt sie fest und schenkte ihr den nächsten Kuss, woraufhin sie sofort wieder still hielt und bereitwillig die Lippen öffnete. Anstatt die Einladung anzunehmen, verlagerte ich mein Gewicht so, dass ich ihre Handgelenke mit einer Hand hielt und die nun freie Hand wieder über ihre nackte Haut fahren ließ. Ich strich ihr mit den Fingern an den Seiten entlang, über den Bauch, hin und wieder striff ich sogar ihren BH und beobachtete, wie sie enttäuscht drein blickte, wenn ich meine Finger wieder verschwinden ließ. Ich spielte mit ihr, aber vor allem konnte ich es nicht sein lassen, sie einfach zu berühren. Sie gab sich nach außen immer so kalt und hart, aber unter ihrem Panzer war sie weich und zart, was man überhaupt nicht erwarten würde.

Ich hätte stundenlang so weiter machen können, begann dann aber, meine Finger durch meine Lippen zu ersetzen. Erst nahm ich mir nur Hals und Schlüsselbeine vor, tastete mich dann aber weiter, zwischen ihren Brüsten hinab, Richtung Bauchnabel. Ich hauchte ein paar leichte Küsse oberhalb ihres Bauchnabels und sah dann zu ihr auf, wo ich bemerkte, das sie den Kopf in den Nacken gelegt und die Augen geschlossen hatte. Die Hände hatte sie über sich in die Kissen vergraben und ich sah ihr an, dass sie sich zusammen riss. Ich pustete ihr über den Bauch, was ihr eine leichte Gänsehaut verschaffte und zog mich dann wieder zu ihr hoch.

„Hey. Sieh mich an.“

Etwas zögerlich öffnete Lenne die Augen.

„Du musst nur sagen, dass ich aufhören soll.“

Leicht benebelt schüttelte sie mit dem Kopf und legte mir dann die Arme um den Hals. Sagen tat sie trotzdem nichts.

„Entspann dich. Ich will nicht, dass du dich zu etwas zwingst.“

Wieder schüttelte sie nur den Kopf, was mich lächeln ließ. Vorsichtig legte ich die Lippen auf ihre und merkte gleich, wie sie wieder aufflammte. Gut, dann hatte ich es doch noch nicht verdorben.

Ich legte mich wieder ein wenig auf die Seite, damit ich nicht mit vollem Gewicht auf ihr lag, entließ sie jedoch nicht aus dem Kuss, während ich begann, mein Hemd auf zu knöpfen. Ich hatte noch keine drei Knöpfe offen, da bemerkte ich, wie sie das übernahm und mir schließlich das Hemd von den Schultern streifte. Wie es aussah, musste ich sie wohl ein wenig animieren. Irgendwo in meinem Hinterkopf fand ich es unheimlich süß, dass sie erst so kess an die ganze Sache heran gegangen war und jetzt plötzlich nicht wusste, was sie tun sollte. Ihre Hände blieben die ganze Zeit über auf meinen Schultern ruhen, was mich irgendwann dazu brachte sie dort weg zu nehmen, um sie an meine Seiten zu legen.

„Ich gehe schon nicht kaputt, keine Sorge.“

Erst als ich ihr diese Angst genommen hatte, begannen ihre Hände zaghaft zu wandern, was ich nicht verstand, da sie das schon so oft getan hatte, weil ich mit freiem Oberkörper schlief. Was sie vorher jedoch nicht getan hatte war, mir mit ihren Nägeln über die Haut zu fahren und oh mein Gott, das jagte mir erhebliche Schauer über den Rücken. Ich hörte, wie mir zitternd der Atem entwich und sah sie lächeln, als ich die Augen wieder öffnete. Als sie sah, was das bei mir auslöste, wiederholte sie das ganze gleich vier mal und als ich meinte, gleich durch zu drehen, schnappte ich mir ihre Hände.

„Das macht dir Spaß oder?“

„Ich warte nur noch darauf, dass dir die Augen nach hinten rollen.“

„Nichts da, genug gespielt. Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn du mich so fertig machst.“

„Ich wusste gar nicht, dass man sich konzentrieren muss.“

„Wenn ich dir nicht sofort alles vom Leid reißen will, schon.“

„Ach und wieso solltest du das nicht wollen?“

Ich wollte ihr eigentlich zeigen, wie schnell das hier sonst vorbei sein würde, also legte ich die Hand auf ihren Oberschenkel, der immer noch in ihrer Jeans steckte und fuhr dann langsam an der Innenseite rauf, bis ich nur haarscharf an ihrem Schritt vorbei glitt und dann einen Finger in ihren Hosenbund hakte. Sie bäumte sich mir entgegen und begann plötzlich tiefer zu atmen und bis dahin hatte ich schon vergessen, was sie gesagt hatte.

„Scheiße, wo waren wir grade?“

„Du wolltest dir die Hose ausziehen?“

„Ha, netter Versuch.“

Stattdessen machte ich mich an dem Knopf ihrer Hose zu schaffen, hielt jedoch inne, als sie sich versteifte. Ich sah ihr ins Gesicht und da lichtete sich der Nebel in meinem Kopf so weit, dass mir wieder einfiel, was ich da tat. Ich nahm sofort die Hand weg und stützte mich auf beiden Seiten ihres Kopfes ab.

„Ich kann aufhören, wenn du das willst.“

Sie schüttelte mal wieder nur mit dem Kopf und machte sich dann daran, sich aus ihrer Hose zu schälen. So ging es natürlich auch. Gleich darauf griff sie sich eine meiner Hände und legte sie flach auf ihren Bauch, wobei sie sie immer weiter nach unten schob und da musste ich plötzlich schwer schlucken. Ich merkte, wie ihre Hände zitterten aber sie hielt nicht inne, bis meine Hand auf ihrem Höschen lag.

„Ich hab keine Angst vor dir. Ich hab dir gesagt, dass du mich haben kannst. Du und nur du, kapier das endlich.“

Ich war erst ziemlich verdutzt, musste dann aber Lächeln und beugte mich zu ihr runter, um meine Stirn an ihre zu legen.

„Sei mit nicht böse, aber klingt total kitschig.“

„Mag sein, aber es ist die Wahrheit.“

„Und grade das bringt mich aus meinem sonst so sicheren stand. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie du mich immer wieder umhaust.“

„Das ist es doch, was es ausmacht. Das schafft nicht jeder x-beliebige.“

„Das hat bei mir eigentlich noch nie jemand geschafft.“

„Trotzdem zögerst du immer noch, also kann ich entweder davon ausgehen, dass du lügst, oder dass es etwas gibt, dass dir nicht aus dem Kopf geht.“

Herrgott nochmal, diese Frau kannte mich und das machte mir Angst.

„Mir liegt schon die ganze Zeit etwas auf der Zunge von dem ich weiß, dass ich es aussprechen muss, bevor ich das hier... bevor ich mit dir schlafen kann. Andererseits ziehe ich immer noch in Betracht, dass du aufstehst und gehst. Ich würde das sogar verstehen, immerhin-“

„Dan, sag es einfach. Egal was es ist, ich stehe hier garantiert nicht auf. Ich weiß nicht mal, ob ich da jetzt überhaupt zu in der Lage wäre.“

Verwundert runzelte ich die Stirn und hob dann den Kopf, um ihr ins Gesicht zu sehen. Sie schien das wirklich ernst zu nehmen, also legte ich ihr mit den nächsten Worten mein Herz in die Hand und hoffte, dass sie es nicht zertrat.

„Ich weiß, dass wir beide ziemlich verkorkst sind und ich weiß, dass das hier ziemlich merkwürdig zustande gekommen ist, aber egal was passiert und so sehr du mich irgendwann vielleicht mal hassen solltest, ich liebe dich und da wird sich so schnell nichts dran ändern.“

Ziemlich ausdruckslos sah Lenne zu mir rauf und ich befürchtete das schlimmste. Sie würde mich weg stoßen, aufstehen, ihre Sachen packen und gehen und dann hatte ich sie das letzte mal gesehen. Bis ich ihr schließlich ins Gesicht sah und bemerkte, wie ihre Augen glitzerten.

„Du liebst mich?“

Ich nickte, irgendwie froh darüber, dass sie in diesem ganzen Gebrabbel erkannt hatte, was ich eigentlich hatte sagen wollen.

„Schon ziemlich lange glaube ich, aber jetzt macht es sich besonders bemerkbar und ich weiß, ich habe das nie wirklich gesagt, oder es zumindest nie wirklich ernst gesagt, aber ja. Ich liebe dich. Und ich verstehe wenn dir das jetzt zu viel wird, aber ich musste das loswerden.“

„Nein, das ist gut. So sollte es eigentlich sein, oder nicht?“

Und wieso fing sie dann beinahe an zu weinen? Ich hatte ja gewusst, dass ich es verbocken würde.

„Wenn das auf Gegenseitigkeit beruht schon, ja.“

Ich betete darum, dass sie das ganze genauso empfand wie ich und das schon eine ganze weile. Das war einer der Hauptgründe, wieso ich das hatte loswerden müssen. Ich wollte mich nicht hinein steigern, und später die kalte Dusche dafür kassieren müssen. Als ich sie dann fragend ansah, schaute sie nur ebenso zurück.

„Beruht das denn aus Gegenseitigkeit?“

„Ich hab keine Ahnung Süße, das kannst nur du beantworten, fürchte ich.“

Und ich fürchtete wirklich. Ich hatte solch ein Angst davor, dass sie nein sagen konnte, dass ich meinte, dass das angenehme ziehen in meinen Shorts weniger wurde. Was sich als Fehlalarm heraus stellte, als sie mir die Arme wieder um den Hals schlang und mir beinahe unhörbar ihr „Ich liebe dich.“ ins Ohr hauchte. Es fiel mit einem mal alle Anspannung von mir ab, also zog ich sie so eng an mich wie ich konnte und drückte ihr einen so wilden Kuss auf, als ich an sie heran kam, dass ich meinte, gleich wieder den Verstand zu verlieren. Dieses ganze Rauf und Runter würde mich irgendwann definitiv in den Wahnsinn treiben aber momentan hatten wir es beide plötzlich ziemlich eilig, mich aus meiner Jeans raus zu kriegen. Während sie sich mit Gürtel und Knopf abmühte, zog ich das Kondom aus der hinteren Hosentasche, wo ich es auf dem weg hierher verstaut hatte, und legte es in Reichweite beiseite, damit ich mich aus der Hose strampeln konnte. Die Befreiung war pure Erleichterung und ich wusste genau, wieso ich Boxershorts trug. Man war bedeckt, fühlte sich trotzdem frei und man hatte genug Platz, sich ein Kondom über zu streifen, ohne das man sich dafür ausziehen musste. Wobei ich das ohnehin tat, nachdem ich eins der Laken über uns gezogen hatte.

Jetzt hin ich völlig unbekleidet über ihr und versuchte, sie nicht zu bedrängen, wobei ich merkte, dass sie vor Aufregung zitterte. Ich unterbrach den Kuss, den ich bis jetzt gehalten hatte, um sie von dem abzulenken was ich tat und sah ihr in die Augen, was sie ohne scheu erwiderte.

„Du kannst immer noch nein sagen.“

„Ich will aber nicht sein sagen.“

Dann würde ich mich auch nicht mehr daran hindern lassen.

Vorsichtig zupfte ich am Saum ihres Höschen, zog es Stück für Stück herunter und wartete immer wieder ab, was sie tun würde und musste schmunzeln, als sie es schließlich entnervt weg strampelte und es irgendwo im Laken verschwand.

„Hör auf so dämlich zu grinsen Ames.“

Als sie mich Ames nannte, grinste ich erst recht, auch wenn sich das nach all den Geschehnissen der letzten Wochen ziemlich merkwürdig anfühlte.

„Entschuldige Parker, aber du hast es grade selbst herauf beschworen.“

Na gut, sie wieder Parker zu nennen, fühlte sich nicht minder merkwürdig an. Trotzdem lächelte sie und ich legte meine Stirn an ihre, bevor ich mich endgültig zwischen sie schob und ihr einen Arm um den unteren Rücken legte, um es ihr angenehmer zu gestalten. Ich hatte erst überlegt ihr zu sagen, dass ich sie nicht anlügen wollte und ihr deswegen nicht sagte, dass es nicht weh tat, entschied mich dann aber dafür, einfach vollkommen die Schnauze zu halten. Ich wollte ihr nicht unnötig Angst machen.

Stück für Stück rückte ich immer näher an sie heran und als ich spürte, wie mich bei der alleinigen Berührung ihrer Haut an meiner Erektion ein Schauer durchlief, musste ich noch mal inne halten. Verdammt, das war so lange her, dass ich völlig überempfindlich war. Nichts desto trotz positionierte ich mich vor ihrer Mitte.

„Entspann dich. Sieh mir einfach in die Augen.“

Lenne nickte zwar, aber ich glaubte nicht, dass sie verstanden hatte, was ich von ihr wollte. Schlussendlich legte ich die Lippen auf ihre, legte hinein, was ich hatte und hoffte, dass sie auch ohne Worte verstand, dass ich sie liebte. Sie erwiderte den Kuss bedingungslos, brach ihn jedoch abrupt ab, krallte sich in meine Rücken und verbiss sich in meiner Schulter, als ich in sie vordrang. Ich spürte das kaum, da alles in diesen Druck einfloss, der sich in mir aufbaute, je weiter ich in sie eindrang. Ich wusste, dass sie schreien wollte, aber sie hielt sich gekonnt zurück und auch ich musste mir mein aufstöhnen verkneifen. Sie war so verdammt eng, dass ich meinte durch zu drehen, schaffte es schließlich aber doch, mich vollkommen in ihr zu vergraben. Erst als wir an diesem Punkt ankamen erlaubte ich es mir wieder, inne zu halten. Es herrschte so ein enormer Druck in mir drin, dass ich meinte, gleich darunter begraben zu werden, aber irgendwie schaffte ich es, mich zurück zu stellen und dem noch etwas länger stand zu halten, während ich auf Lenne runter schaute. Sie keuchte schon jetzt und ich ließ ihr ihre Zeit, damit sie sich beruhigen konnte, bevor ich meine Wange an ihrer rieb und ihr dann einen Kuss aufhauchte. Einen Moment später schmiegte sie sich an mich und das war für mich mehr Bestätigung, als alles andere. Sie vertraute mir und mit diesem Wissen, würde für mich jeden Tag die Sonne wieder aufgehen, auch wenn es Scheiße regnete, solange sie nur bei mir war. Ich wollte sie am liebsten nie wieder loslassen und tat es auch nicht, nicht jetzt, nicht morgen und vermutlich generell nie wieder. Ich fühlte mich momentan, als bräuchte ich nichts, außer sie, zum Leben und ich war fest der Überzeugung, dass mir das reichen würde.

Am liebsten hätte ich mich überhaupt nicht mehr bewegt, schlussendlich begann ich aber doch, mich langsam aus ihr zurück zu ziehen und wieder einzutauchen, was ihr einen wohligen Seufzer entlockte. Mit jedem Mal, bei dem ich das wiederholte kam sie mir weiter entgegen und ebenso wie in der Musik, fanden wir auch hier relativ schnell einen Rhythmus, bei dem wir beide nur gewinnen konnten.

Je weiter ich sie trug, umso fester klammerte sie sich an mir fest und ich bekam das Gefühl, dass sie sich ebenso wenig von mir lösen wollte, wie ich mich von ihr und das änderte sich weder, während wir beide in einer Flut von Gefühlen zu ertrinken schienen, noch als ich spürte wie sie kam und mich mit sich riss. Ich wollte mich nicht mal zurück ziehen, als wir schon dabei waren, wieder abzukühlen, weil ich hier ein neues zuhause gefunden und jetzt panische Angst davor hatte, es wieder zu verlieren.

Schließlich zog ich mich dann aber doch aus ihr zurück, weil ich ihr nicht zu sehr auf die Pelle Rücken wollte, auch wenn ich sie trotzdem nicht los ließ. Ich entsorgte mit schnellen Handgriffen das Kondom in dem Eimer neben dem Bett und zog Lenne dann an mich, weil sie zitterte. Zu meiner Überraschung schmiegte sie sich an mich, also wickelte ich uns in das Laken und rieb ihr über die Arme, bevor ich sie in meinen einschloss und beschloss, sie für immer dort fest zu halten.

 

 

 

 

 

Okay, ich hatte ja gewusst, dass es weh tun würde. Immerhin war ich noch Jungfrau gewesen und soweit ich das hatte erkennen können, hatte Dan ein riesiges, gigantisches Rohr in der Hose. Und so fühlte es sich auch an, als er langsam Stück für Stück in mich hinein glitt. Er bemühte sich sehr, sich zu beherrschen und es mir so angenehm wie möglich zu gestalten, aber ich verbiss mich trotzdem in seiner Schulter und klammerte mich an ihn. Es brannte wie die Hölle und zog und zeckte.

Ich konnte erst wieder aufatmen, nachdem er nach einer gefühlten Ewigkeit endlich bis zum Anschlag in mir war. Nun, da er sich nicht mehr bewegte, fühlte ich mich nur noch zum Bersten voll. Dan zitterte über mir und der Schweiß stand ihm auf der Stirn vor Anstrengung. Dennoch überschüttete er mich mit Zärtlichkeiten und wartete auf mich. Er war so einfühlsam und geduldig, dass ich fast geweint hätte. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich jemanden so viel bedeutet hatte oder wann jemand anders mir so viel bedeutet hatte.

Ich hätte niemals gedacht, dass ich genug Vertrauen zu einem Mann würde schließen können, um den körperlichen Akt der Liebe mit ihm zu begehen, aber so war es mit Dan. Mit ihm fühlte ich mich sicher, er brachte mich zum Lachen und ich hätte alles dafür getan, ihn glücklich zu sehen. Er verstand mich, wie niemand zuvor und wegen all dieser Dinge liebte ich ihn. Und ich war selbst davon überwältigt, dass ich zu solchen Gefühlen fähig war. Ich hätte sie mit niemand anderem als Dan teilen wollen.

Als sich meine hektische Atmung etwas beruhigt hatte und der Schmerz zwischen meinen Beinen ein erträgliches Maß angenommen hatte, drückte ich mich wieder fester an Dan, rieb meine Wange an seiner, die so wunderbar rau und kratzig war und gab ihm damit die Erlaubnis, weiterzumachen.

Langsam begann er, sich in mir zu bewegen. Zunächst tat es wieder weh, aber nicht so sehr, wie zu Beginn, als er eingedrungen war. Er nahm einen behutsamen Rhythmus auf, der mir mit jedem seiner Stöße immer mehr Vergnügen bereitete, bis wir uns im Gleichklang bewegten und uns gegenseitig die größtmögliche Freude bereiteten. Ich wüsste, ich würde hiernach furchtbar wund sein, aber das war es mir wert.

Immer höher schaukelten sich die Emotionen, die sich in meinem Bauch zu sammeln schienen. Das angenehme Kribbeln in meinem Unterleib wurde immer intensiver und ich wusste, was kommen würde. Ich hörte Dan nahe meinem Ohr vor Anstrengung keuchen und mir ging es nicht anders. Alles fühlte sich so intensiv an, dass ich mich unwillkürlich mit den Fingern an ihn krallte, als würde die Flut mich davon spülen, wenn ich mich nicht festhielt.

Plötzlich zog sich mein Unterleib fest zusammen und die ganze Spannung entlud sich auf einmal, als ich auf spektakuläre Weise meinen Höhepunkt erreichte. Nur am Rande nahm ich war, wie Dan sich über mir versteifte, sich kurz heftiger bewegte und dann ganz plötzlich inne hielt und laut ausatmete.

Wir atmeten heftig und brauchten lange, um wieder zu Atem zu kommen. Die ganze Zeit hielt ich Dan fest an mich gedrückt und zehrte von seiner Körperwärme. Ich war selten so zufrieden gewesen, wie in diesem Augenblick. Leider musste Dan sich von mir herunter bewegen. Mit ein paar kleinen Griffen entsorgte er das benutzte Kondom und zog dann meinen schlaffen, auskühlenden Körper an sich. Umsichtig wickelte er uns beide in das Bettzeug und hielt mich einfach nur fest.

Die Legende besagte zwar, dass Frauen nach dem Sex voller Energie seien und ständig kuscheln und reden wollten, aber ehrlich gesagt war das eine glatte Lüge. Zumindest war es für meine Umstände eine Lüge. Ich war momentan völlig glücklich mit der Welt und wirklich nichts hätte mich aus meinem endorphininduzierten Zufriedenheitskoma reißen können. Nicht mal, wenn man mir gesagt hätte, dass das Kondom geplatzt war, was es nicht war.

Während mir verschiedenste, seltsame Gedanken durch den Kopf schwirrten, wurden meine Lider schwer und ich driftete langsam ab. Ich spürte nur Dans stetiges Heben und Senken der Brust, das Geräusch seines Atems und seine wunderbare Körperwärme, als ich einschlief.

 

Es kitzelte an meinem Rücken, weshalb ich mich kurz schüttelte und dann zurück ins Traumland driftete. Aber das Kitzeln hörte nicht auf. Sanft wanderte es von einem Ende meines Rückens zum anderen. Fuhr die Buchstaben nach, von denen ich wusste, dass sie unwiderruflich dort eingeritzt waren. Irritiert brummte ich und grub das Gesicht tiefer ins Kissen, aber es half alles nichts.

Als dann etwas Weiches und Nasses meinen Rücken berührte, quiekte ich und schreckte auf. Dans leises Lachen entging mir dabei nicht und ich funkelte ihn verärgert an.

„Was?“

„Du bist so niedlich, wenn du schläfst.“

„Dann lass mich auch weiter schlafen und genieße den Anblick meiner herausragenden Niedlichkeit“, knurrte ich und fiel mit dem Gesicht voran wieder aufs Kissen. Dan machte mit seinen furchtbaren Fingern weiter und streichelte verschiedenste Stellen auf meinem Rücken, bis ich den Kopf drehte und ihn aus einem halb geschlossenen Auge ansah.

„Wie geht es dir?“, fragte er mich auf diese einzigartige Art und Weise und mit diesem Blick, in dem alle möglichen Gefühle rumorten, wie nur er es konnte. Ich würde ihn in Zukunft den 'Dan-Blick' nennen. Seine Stimme war etwas rau, klang aber sanft und ich hörte die Sorge darin mitschwingen, was mich zum Lächeln brachte.

„Alles in Ordnung.“ Ich bewegte meinen Unterleib ein bisschen und spürte das leicht unangenehme Ziehen dort, aber ich vermutete, dass das bald vorbeigehen würde.

„Bist du dir ganz sicher? Ich war nicht zu grob?“

„Wenn du das grob nennst, dann will ich mal erleben, was du unter zärtlich verstehst“, erwiderte ich und grinste nun, auch wenn es sicher komisch aussehen musste, da ich mein Gesicht immer noch ins Kissen drückte.

Beruhigt lächelte er und malte weiter Muster mit seinen Fingern auf meinen Rücken. Ich spürte, dass ihm etwas auf dem Herzen lag, er es aber nicht wagte, es auszusprechen.

„Was ist los, Dan?“

„Nichts. Es ist nichts.“

„Komm schon, das hat die letzten Wochen noch nicht einmal funktioniert. Wieso glaubst du, dass es es jetzt tun wird?“ Er seufzte.

„Na gut. Ich lag hier und habe dir beim Schlafen zugeschaut und mir gingen alle möglichen Gedanken durch den Kopf. Einmal, dass du scheinbar gerne auf dem Bauch schläfst und zum anderen, dass du es gar nicht magst, wenn es auch nur irgendwo zieht. Es war interessant, dich zu beobachten. Aber ich frage mich nun einmal immer noch...“ Er brachte den Satz nicht zu Ende, doch er strich bedeutungsschwanger über die dicken Narben auf meinem Rücken. Jetzt war es an mir, zu seufzen.

„Ich weiß, dass du nicht darüber sprechen müsstest, aber...“

„...du möchtest Antworten auf deine Fragen.“

„So hätte ich es nicht ganz ausgedrückt, aber ja. So in etwa ist es.“ Ich verstand es. Es wäre nur fair gewesen, nachdem er mir sein Herz dargelegt hatte, seine finstere Vergangenheit und mir seinen Schmerz gezeigt hatte.

Seltsamerweise glaubte ich, dass ich mit ihm darüber spechen konnte. Nicht über alles, noch nicht jetzt, aber er verdiente ein paar Antworten. So viel war ich uns beiden schuldig. Er hatte ein Anrecht darauf, die Frau zu kennen, die er liebte. Also tat ich etwas, das ich ansonsten niemandem jemals freiwillig erzählt hätte und weswegen ich mich von anderen Menschen fern gehalten hatte.

„Die Geschichte ist sehr lang und... unheimlich. Bitte verzeih mir, aber ich denke nicht, dass ich schon über alles reden kann. Aber es gibt einige Dinge, die ich dir erzählen kann.“ Verstehend nickte Dan und gab mir damit das Zeichen, zu beginnen. Nur wusste ich nicht so recht, wo. Ich wollte diesen wundervollen Tag nicht mit meiner finsteren Vergangenheit beschmutzen.

Also setzte ich mich erst einmal auf, schüttelte mein Kissen auf und lehnte mich daran. Mir entging nicht, dass Dans Blick prompt an meinen entblößten Brüsten hing. Männer! Die Augen rollend zog ich das Laken höher, bis meine weiblichen Attribute bedeckt waren und meinen Freund nicht mehr die Konzentration raubten. Auch er setzte sich mit einem Kissen im Rücken auf, so nah an mir, dass wir uns fast die ganze Körperlänge entlang berührten.

„Du fragst dich sicher, woher die Narben kommen“, begann ich, weil ich nicht wusste, wo ich ansetzen sollte. Bestätigend nickte Dan, obwohl meine Frage ziemlich redundant war. Dafür liebte ich ihn nur umso mehr. Und es stimmte. Das lustige Flattern in meiner Brust bestätigte das.

„Es war unvermeidbar, dass manche Leute in meinem Leben sie schon gesehen haben. Ich habe sie ausnahmslos alle angelogen und ihnen erzählt, ich wäre als Kind von einem Spinner entführt worden, der seinen Spaß daran hatte, kleine Kinder zu quälen. Du kannst dir vorstellen, dass sie mich danach meistens in Ruhe gelassen haben. Die Wahrheit ist jedoch viel bitterer.“ Tief atmete ich durch und schöpfte Kraft darauf, dass Dan meine Hand ergriffen hatte und mit dem Daumen Kreise auf meinen Handrücken malte. Ermutigend und beruhigend zugleich.

„Fangen wir vielleicht am besten ganz am Anfang an. Meine Mutter war die typische Cheerleaderin, als sie noch zur Schule ging. Hübsch, immer aufgeweckt, beliebt bei den Mädchen und Jungen und hatte noch viel mit ihrem Leben vor. Sie war immer für ein Abenteuer zu haben, habe ich mir erzählen lassen und eine Verführerin obendrein.

Die Jungen in ihrem Alter wurden ihr aber bald langweilig. Sie wünschte sich jemanden mit mehr Ambitionen, mit etwas Weltgewandtheit und der etwas her machte. Und in den Ferien, als sie ihre Großeltern besuchte, begegnete sie dann diesem Typen, der bereits im zweiten Jahr auf der Uni war. Er war einer dieser reichen Typen, die ihre Ausbildung von ihren Eltern bezahlt bekommen hatten und damit frei waren, zu tun und zu lassen, was sie wollten.

Da kam ihm ein junges, hübsches Mädchen, das ein wenig naiv war und nach mehr strebte, gerade recht. Sie verbrachten viel Zeit miteinander, waren in diesen kurzen Wochen praktisch unzertrennlich und da meine Mutter nicht zimperlich war, kam es nun einmal, wie es kommen musste.

Problematisch war dann nur, dass eines Nachts das Kondom riss. Natürlich hofften sie darauf, dass alles gut gehen würde. Was es aber nicht tat. Ein paar Wochen, nachdem die Schule wieder angefangen hatte, entdeckte meine Mutter, dass sie schwanger war.

Natürlich hat sie gleich den Kerl kontaktiert, der ihr auch gleich groß versprach, dass er ja bald mit der Uni fertig sein würde und sich um sie und das Kind kümmern würde.

Bei der nächsten Gelegenheit fuhr sie natürlich wieder hin und wollte sich mit ihm persönlich treffen und Pläne schmieden. Da lief er aber in der Stadt mit einem anderen Mädchen im Arm herum. Du kannst dir vorstellen, wie sehr das meine Mutter geschockt haben musste. Sie wollte ihn zur Rede stellen, doch er tat so, als kenne er sie nicht und stempelte sie als verrückt ab.

Das brach ihr das Herz und beschämt fuhr sie wieder heim. Zuhause konnte sie ihren Zustand nicht lange verbergen und als sie zum Arzt ging, stellte sie fest, dass es bereits zu spät war, um abzutreiben. Also musste sie ihre Schande ihren Eltern gestehen, die natürlich besonders begeistert waren.

Sie versuchten, den Vater des Kindes zur Vernunft zu bringen, doch der verleugnete sowohl meine Mutter als auch das ungeborene Kind weiterhin. Und so endete meine Mutter schwanger und als Schulabbrecherin.“ Mit geschlossenen Augen lehnte ich mit dem Kopf an der Wand, da spürte ich, wie Dan mir den Arm umlegte und mich eng an sich zog. Ich genoss das wunderbare Gefühl von seiner bloßen Haut an meiner und das rhythmische Heben und Senken seiner Brust.

„Als ich geboren wurde, hatten ihre Eltern meine Mutter herausgeworfen, sie war mittellos und hatte keinen Schulabschluss. Mit kleinen Jobs hat sie uns beide über Wasser gehalten und ich kann mich erinnern, dass sie mich ab und zu sogar angelächelt hat, als ich noch ganz klein war.

Das Leben war für sie aber nicht leicht und mit der Zeit wurde sie immer verbitterter. Immer öfter betrank sie sich Abends, um vergessen zu können. Auch war sie der Überzeug, dass sie mit ihrem Schwarm hätte zusammen sein können, wenn ich nicht gewesen wäre. Sie verfluchte meine Existenz geradezu, sagte es mir irgendwann auch direkt ins Gesicht.

Damals begriff ich es noch nicht und hatte einfach immer Angst, wenn sie abends von der Arbeit kam und zum Alkohol griff. Manchmal hatte ich Glück und sie schlief direkt ein, meistens beschimpfte sie mich aber oder verpasste mir eine Ohrfeige. Das war auch gar nicht so schlimm.“ Ich spürte, wie Dan sich da anspannte, aber er ließ mich weitersprechen, ohne mich zu unterbrechen.

„Immer wenn ich ihr zu laut war oder wegen etwas weinte, rastete sie aus. Es dauerte sehr lange, bis ich lernte, meine Gefühlsregungen so gut wie möglich zu verstecken und das bewahrte mich dann meist vor Prügeln. Es half aber nicht, dass sie nie aufhörte, ihrem verlorenen Leben nachzuweinen.

Als mich eines Nachmittags ein paar Jungs böse auf dem Spielplatz ärgerten, konnte ich aber nicht verhindern, dass ich immer noch weinte, als ich nach Hause kam. Es hatten sich so viele Gefühle in mir aufgestaut, dass ich an diesem Abend einfach damit rausplatzte, was im Nachhinein ein großer Fehler war.

Meine Mutter wurde nur so unglaublich wütend und beschwerte sich über meine 'kläglichen Problemchen', dass sie die Kontrolle über sich verlor. 'Warum kannst du nicht einfach still sein?', hat sie mich gefragt. 'Warum kannst du nicht einfach ein braves Mädchen sein und mir keinen Ärger machen? Wenn du nicht wärst, wäre ich gar nicht erst hier!'

Sie steigerte sich so sehr in ihre Wut hinein, dass sie mich in die Küche schleifte, eines der Messer aus dem Block zog und mich an Ort und Stelle zu Boden drückte und malträtierte. Dabei zischte sie aus zusammengebissenen Zähnen immer wieder die Worte 'Brave Mädchen weinen nicht'. Im Nachhinein ist es ein Wunder, dass ich mich überhaupt noch an so viel erinnere. Ich hatte solche Angst, dass ich glaubte, daran sterben zu müssen.“ Kurz schloss ich die Augen und atmete tief durch. Ich genoss Dans Geruch, der mir sagte, dass ich im Hier und Jetzt verankert war, dass ich in Sicherheit war.

Ich wollte nicht wieder in die schäbige und dreckige Küche aus meiner Kindheit zurückgezogen werden. Ich wollte mich nicht daran erinnern, wie mir der heiße Schmerz immer und immer wieder durch den Rücken geschossen war, oder wie ich hinterher die roten Spritzer meines eigenen Blutes an den Küchenschränken angestarrt hatte, während ich katatonisch auf dem Fußboden lag. Die Vision drängte sich vehement in den Vordergrund, aber Dans Hand, die mir sanft über den Rücken strich, rang mit ihr und gewann.

„Deine Narben sind tief“, murmelte Dan und ich spürte seine Worte in seiner Brust vibrieren. Ich hörte sein Widerstreben, mir die Frage zu stellen, aber wäre dieser Vorfall nur einmal vorgekommen, hätte man die Worte heute nicht mehr so klar lesen dürfen.

„Das liegt daran“, fuhr ich fort, „dass sie es öfter gemacht hat. Irgendwann hat sie Worte mit einer Klinge nachgezogen, ohne wirklichen Grund.“ So ganz stimmte das nicht, aber der Grund, warum sie es gemacht hatte, würde mich an einen Punkt führen, an den ich auf gar keinen Fall wollte. Auf diesen Tag waren bereits genug Schatten gefallen und ich wollte Dan nicht mit all meinen Mist auf einmal konfrontieren.

„Wie hat es aufgehört?“ Ich glaubte, dass er wusste, dass ich ihm etwas verschwieg, doch er ließ es dabei bewenden.

„Meine Mutter ist eines Tages gestorben... mit ein bisschen Beihilfe. Danach bin ich zu meinen Großeltern mütterlicherseits gekommen, die mir die ganze Geschichte dann erzählt haben. Die beiden wurden aber nach ein paar Monaten in einen Autounfall verwickelt und von da an bin ich dann zwischen Pflegefamilien hin und her gewandert, bis ich alt genug war, um auf eigenen Beinen zu stehen.“

„Wie alt warst du damals, als deine Mutter das erste Mal... zum Messer griff?“

„Ungefähr acht.“

„Und als sie starb?“

„Ich schätze zwölf oder dreizehn um den Dreh. Wenn man permanent in der Hölle lebt, verliert man recht schnell sein Zeitgefühl.“

„Du verschweigst mir etwas wirklich Großes nicht wahr?“ Ich nickte lediglich an seiner Brust und wir beide schwiegen. Dan hatte mich nicht losgelassen und das tat er auch jetzt nicht. Stattdessen drückte er mich fester an sich.

Erst, als er mich am Kinn ergriff, mein Gesicht zu sich drehte und mir mit der anderen Hand die Nässe vom Gesicht wischte, merkte ich, dass ich geweint hatte. Ich hatte überhaupt nicht wahrgenommen, wie mir die Augen vor Tränen schwammen.

Dann neigte sich Dan zu mir herab und drückte mir einen zärtlichen Kuss auf die Lippen. Er knabberte, saugte und leckte an meinen Lippen, bis ich sie für ihn öffnete und er meinen Mund mit seiner Zunge erobern konnte. In einem zärtlichen Duell rang sie mit meiner, bis mir die Hitze durch den ganzen Körper fuhr und mir ein bekanntes Kribbeln in den Unterleib fuhr.

Als er seinen Mund von meinem löste, murmelte Dan: „Es ist alles gut. Mach dir keine Sorgen. Es ist alles gut.“ Dann zog er mich wieder tiefer unter die Decken, bis ich mit dem Kopf auf dem Kissen lag. Dann lehnte er sich weit aus dem Bett und fischte nach etwas. Als er wieder hochkam legte er ein Folienpäckchen auf den Rand des Bettes und machte sich wieder daran, meinen Mund wund zu küssen.

Gleichzeitig begann er, mir über den Bauch zu streicheln, bis hinauf zu meinen Brüsten und erkundete sie dieses Mal gründlicher. Mein ganzer Körper fühlte sich an, als würde er brennen und die Sehnsucht nach Dan war beinahe unerträglich. Das Kribbeln ging mir von Kopf bis Fuß und die Schauer liefen mir reihenweise über den Rücken.

Mit ein paar wenigen Handgriffen brachte Dan das Kondom zum Einsatz und begann, mich von all den düsteren Gedanken abzulenken. Ich hatte mich noch nie so geliebt gefühlt, wie in diesem Moment.

 

 

30

 Es war stockfinster, sowohl hier drinnen, als auch draußen, als ich von Ben's Fiepen aufwachte. Ich hob den Kopf und warf einen Blick auf den Wecker. Es war kurz vor drei.

„Das ist eine ziemlich unmenschliche Zeit mein Freund.“

Trotzdem würde ich aufstehen. Nachdem ich den Moment zu genüge ausgekostet hatte. Lenne lag noch immer in meinen Armen und bei dem Gedanken, was wir vor ein paar Stunden genau hier getan hatten, durchfuhr mich eine unglaubliche Wärme, die ich so noch nie gefühlt hatte. Ich wollte eigentlich gar nicht aufstehen, aber wenn ich so egoistisch war, würde ich vermutlich Ben's Hinterlassenschaften dafür beseitigen müssen. Auf dem Schlafzimmerteppich kam das nicht so gut.

Vorsichtig, obwohl ich wusste, dass Lenne schlief wie eine Tote, stahl ich mich aus dem Bett und zog mir meine Jeans, so wie mein Hemd über, wobei ich sowohl auf Shorts als auch auf Socken verzichtete und schnappte mir dann meine Schuhe. Ben trottete hinter mir her, während ich das Schlafzimmer verließ und im Vorraum nach der Leine suchte, die Lenne eigentlich hatte weglegen sollen. Bei dem Gedanken daran, wie sie sie einfach achtlos hinter die Tür gefeuert haben musste, wo sie jetzt lag, weil sie so scharf auf diesen verdammten Umschlag gewesen war, musste ich grinsen. Ich wäre vermutlich jetzt nicht so glücklich, trotzdem ich um diese Uhrzeit aufstehen musste, wenn sie nicht so verdammt hartnäckig gewesen wäre. Wobei ich gestehen musste, dass es sich durchaus bezahlt gemacht hatte und zwar für uns beide. Dass sie sich so bereitwillig auf ein zweites mal mit mir eingelassen hatte, bewies das. Auch wenn es erst so ausgesehen hatte, als wollte sie damit die dunklen Gedanken aus dem Kopf schaffen, wusste ich doch, dass sie es vergessen hatte, als ich sie nach höchsten Künsten verführte. Ich hatte versucht ihr zu zeigen, wie es sein konnte, wenn man es nicht einfach nur vorsichtig und langsam anging, war aber auch noch lange nicht auf Hochtouren gelaufen. So viel wie ich ihr geben wollte, ließ sich ohnehin nicht in einem mal unterbringen, also hatte ich sie irgendwann erlöst, auch wenn mir dabei nicht entgangen war, dass sie versucht hatte, es in die Länge zu ziehen.

Ich erwischte mich selbst dabei, wie ich grinste, als Ben mich wieder mit einem Fiepen aus meinen Gedanken riss. Ich stand mitten im Raum und hielt die Leine in der Hand und konnte ziemlich offensichtlich nicht abstreiten, was mir grade durch den Kopf gegangen war. Verdammt auch eins, ich hatte gedacht, davon zu träumen wäre fies, aber sich daran erinnern, wie es wirklich gewesen war, war noch viel schlimmer. Ich seufzte theatralisch und legte Ben dann das Halsband um. Sofort preschte er voraus, bis die Leute ihn schließlich zurück hielt. Der Zwerg wusste viel zu gut was los war, wenn ich ihn anleinte. Er lernte ziemlich schnell und wenn ich nicht aufpasste, würde er mir schon bald auf der Nase herum tanzen, ganz zu schweigen davon, was los sein würde, wenn er ausgewachsen war und dann seinen Willen durchsetzen wollte.

Vorsichtig zog ich ihn an der Leine zurück und blieb stehen, bis er bei mir war, erst dann ging ich weiter und stieg in den Fahrstuhl. Sobald sich dieser in Bewegung setzte, legte Ben sich flach auf den Boden und blieb auch dort, bis wir unten ankamen. Mir war schon mehrfach aufgefallen, dass ihm der plötzliche Höhenunterschied seltsam erschien und auch wenn er keine Angst davor zu haben schien, schenkte er ihm doch immer wieder Aufmerksamkeit.

Sobald wir unten ankamen, preschte Ben wieder voraus, wobei er sich nicht bremsen ließ, erst recht nicht, sobald wir draußen waren. Er hatte überall seine Nase, in der Luft, auf dem Boden, an der Hauswand und in dem Grasstück, das sich um die Ecke befand. Hier und da setzte er sich um Wasser zu lassen und das war ganz schön reichlich. Kein Wunder, dass er gefiept hatte. Ich musste gleich unbedingt seinen Wassernapf kontrollieren, wenn wir wieder in der Wohnung waren. Ich konnte mir nicht erklären, woher das ganze Wasser kam, das er von sich gab und das beunruhigte mich etwas. Wen wusste, was er angestellt hatte während wir... Nein, wenn ich jetzt wieder anfing, darüber nach zu denken, würde ich hier draußen erfrieren. Es war zwar tagsüber schön gewesen und nicht wirklich kalt, aber Nachts war es erheblich kälter und man spürte sofort den Anflug von Herbst in der Luft. Und ich hatte keine Jacke angezogen.

Als Ben begann, mit den Grashalmen zu spielen, zog ich seine Aufmerksamkeit auf mich und dirigierte ihn dann wieder Richtung Wohnung zurück. Ihm war anzusehen, dass er nicht zurück wollte, er wollte viel lieber spielen, aber ich wollte viel lieber zurück in das Bett, in dem eine ziemlich verführerische Frau lag und vermutlich nicht mal merkte, dass ich weg war. Was auch gut so war, denn ich wollte nicht, dass sie aufwachte und sich fragte, wo ich war, immerhin wollte ich auch nicht aufwachen und feststellen, dass sie nicht mehr da war. Nicht mal, wenn sie nur ins Bad ging und vor allem nicht dann, wenn ich mich immer noch in diesem Rauschzustand befand. Denn, ja, genau das war es. Wenn ich mich nicht dazu zwang, kreiste in meinem Kopf nichts anderes außer ihr. Ich kam immer noch nicht ganz darauf klar, dass sie sich mir wirklich so bedingungslos hingab, vor allem, nachdem ich jetzt ansatzweise eine Ahnung davon hatte, was sie durchgemacht hatte. Klar wusste ich, dass sie mir immer noch eine Menge verschwieg, aber alleine das, was ich wusste, reichte mir um zu wissen, dass sie mir wirklich vertrauen musste. Ich an ihrer Stelle hätte mich vermutlich nicht dazu durchringen können, aufrichtiges Vertrauen zu jemandem auf zu bauen, der mir drei Jahre lang die kalte Schulter gezeigt hatte und wenn ich ehrlich war, hatte ich genau das wirklich getan. Ich hatte sie beleidigt und sie regelrecht verspottet, weil ich sie nicht hatte leiden können wollen. Ich hatte sie nicht kennen lernen wollen, weil ich mich in dieser verdammten Starre befunden hatte, gelähmt durch das, was ich angerichtet hatte und nicht bereit, den Platz, der einst Tessa gehört hatte, von jemand anderem einnehmen zu lassen. Wobei ich mir, nach den letzten Stunden definitiv sicher war, dass das hier mehr war, als ich mit Tessa je gehabt hatte.

 

'She was my savior, but you are my life'

 

Diese Zeile schoss mir durch den Kopf und wenn ich sie fasste und darüber nachdachte, erschreckte es mich, wie gut sie zutraf. Tessa war immer für mich da gewesen und hatte mich somit vor vielem bewahrt und ich hatte sie dafür geschätzt. Ich hatte sie geliebt und ich hatte ihr Treue geschworen, aber die Liebe, die ich für Lenne empfand, war eine gänzlich andere und sie überbot das, was ich für Tessa empfunden hatte, um Längen. Das hier hatte nichts damit zu tun, dass ich meinte, Lenne etwas schuldig zu sein, sondern ich wollte sie einfach, so wie sie war, mit allen Ecken und Kanten, ganz zu schweigen davon, dass ich sie begehrte und das schon länger als ich zugab. Vermutlich hatte letzteres dazu geführt, dass ich sie so lange auf Abstand gehalten hatte. Damals hatte ich das durchaus für sinnig gehalten, jetzt fragte ich mich ernsthaft, was in mich gefahren war. Wie hatte ich so blöd sein und mich so lange von ihr fern halten können? Vor allem, wie hatte ich das drei Jahre lang geschafft, wo ich jetzt keine zehn Minuten einen klaren Kopf bewahren konnte? Ich wusste es nicht und ich konnte es mir wegen eben dieser Tatsache nicht erklären.

Während wir vor dem Aufzug zu unserer Wohnung standen, schaute Ben mit schief gelegtem Kopf zu mir auf, als würde er mich mustern. Ich erwiderte seinen Blick und schaute nicht weg.

„Ich bin hoffnungslos verloren.“

Er gab ein helles Kläffen von sich und sprang auf, nur um sich gleich darauf auf meinen Schuh zu stürzen. Er kaute an de Spitze und ich beobachtete ihn erst einen Moment, bis mir wirklich aufging was er da tat.

„Hey, nichts da, damit fängst du garantiert nicht an.“

Ich entzog Ben meinen Schuh und da ging schon der Aufzug auf. Wir stiegen ein und wenige Momente später befanden wir uns wieder in unserer Wohnung. Ich zog ihm das Halsband aus, woraufhin er gleich losstürmte und ich ihm kurz hinterher sah, bevor ich in die Küche ging um seinen Napf zu kontrollieren. Was eine Fehlanzeige war, da da nach wir vor nur klares Wasser drin war. Was hatte ich auch erwartet. Cola? Bier? Hochprozentiges? Moment mal, Cola? Er hatte doch wohl nicht... In der Hoffnung, dass er es nicht getan hatte, schaute ich um die Kücheninsel herum und hoffte vergebens. Der kleiner Scheißer hatte ernsthaft eine der kleinen Colaflaschen angekaut und zerkaut. Der ganze Boden klebte.

„Herrgott noch mal, Ben.“

Als er seinen Namen hörte, kam er sofort auf seinen kleinen Beinen angetappst, oder vielmehr galoppiert und ich fing ihn ab, bevor er wieder durch die Pfütze toben konnte. Jetzt bemerkte ich, dass auch er ganz schön klebte, das war mir vorhin nicht aufgefallen. Ich war mit meinen Gedanken ganz wo anders gewesen und sein schwarzes Fell hatte bestens dazu beigetragen, das vor mir zu verbergen.

„Du kleines Aß.“

Ich setzte ihn hinter mir ab und versuchte ihn dazu zu bekommen, dass er dort sitzen blieb, allerdings ebenfalls vergebens. Er war viel zu aufgekratzt und ich hatte grade definitiv keinen Nerv dafür. Ungeduldig schnappte ich ihn mir wieder und schaffte ihn ins Bad, wo ich ihn in die Wanne packte, in der sein Fell einweichen würde, während ich die Cola weg wischte. Die Flasche warf ich weg und den Boden wischte ich sauber, wobei ich darauf horchte, ob er sich irgendwie aus der Badewanne befreit hatte, aber planschte immer noch vor sich hin, als ich schließlich zu ihm zurück kehrte. Er hatte einen solchen Spaß daran, dass er vermutlich nicht eine Sekunde mit dem Gedanken gespielt hatte zu fliehen. Umso besser. So brauchte ich ihn jetzt nicht einfangen, sondern konnte ihn einfach aus der Wanne heben und ihn abtrocknen, bevor ich ihn mit ihn unser Schlafzimmer nahm. Die Türe zum Vorzimmer schloss ich hinter mir und setzte ihn dann erst ab, wobei ich ihm sofort eins der Stofftiere gab, die wir gekauft hatten. Er begann sofort darauf herum zu kauen wie ein Irrer und ich seufzte. Hoffentlich wusste er zwischen seinem Spielzeug und allem anderen, was so herum lag, zu unterscheiden, sonst hatten wir bald ein ziemliches Problem.

Ich überließ Ben seinem neuen besten Freund und machte mich auf den Weg ins Schlafzimmer, wo ich die Türe nur anlehnte, damit ich hörte, wenn er etwas anstellte. Glücklicherweise gab es nicht viel, außer seinem Spielzeug, dass er hier kaputt machen konnte und zu meiner Erleichterung, schien er auch gleich Ruhe zu geben. Ich zog mich also wieder aus und schlüpfte unter die Decken zu Lenne, wo ich sie an mich zog. Sie fing sofort an sich zu regen und zitterte dann, bevor sie mich verschlafen aus kleinen Augen ansah.

„Wo warst du, du bist kalt.“

„Nur kurz mit Ben draußen. Erklär ich dir später, schlaf weiter.“

Was sie sofort zu tun schien, nachdem sie sich an mich geschmiegt hatte. Ich hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen, von dem sie nichts mehr mitbekam und war mir sicher. Ich würde mit dieser Frau alt werden, wenn sie mich ließe.

 

 

 

Der Wecker klingelte mich ziemlich unbarmherzig aus dem Schlaf. Wieso zur Hölle musste er denn so penetrant klingeln? Ohne mich nach dem Ding umzudrehen schlug ich rücklings danach und machte ihn aus, wobei ich ihn vom Nachttisch fegte und hörte, wie er auf dem Boden mit meinem Handy kollidierte. Das Teil hatte in den letzten Tagen ganz schön was abbekommen, würde mich nicht wundern, wenn es nicht sehr lange hielt.

Vor mich hin brummend streckte ich mich so gut es mir möglich war, mit Lenne auf meinem Arm und ließ die freie Hand dann wieder auf ihr Taille sinken. Sie lag auf der Seite und hatte mir den Rücken zugewandt, was es mir schwer machte, diesen zu ignorieren. Brave Mädchen weinen nicht, so ein Quatsch. Wenn ich könnte, würde ich der Frau, die ihr das auf so schmerzhafte weise eingebläut hatte, mal ordentlich die Meinung geigen.

Um nicht wieder in Versuchung zu geraten, ihr über die Narben zu streichen, zog ich sie an mich und schlang den Arm um ihre Hüfte. Ich hauchte ihr erst einen Kuss in den Nacken und ließ die Lippen dann an ihrer Schulter ruhen. Sie fühlte sich so verdammt richtig an, dass ich wusste, dass das Schicksal mir vergeben haben musste, wenn es mir jemanden wie sie schenkte. Schon die ganzen letzten Wochen hatte ich mich immer wieder gefragt, ob das Leben so grausam sein konnte und sie mir wieder weg nehmen würde, aber jetzt würde ich sie mir ganz sicher nicht mehr weg nehmen lassen.

Erst als sie sich regte, lockerte ich meine Umarmung, ließ sie aber nicht los und zog sie wieder an mich, sobald sie sich zu mir umgedreht hatte.

„Ich dachte du schläfst noch.“

Verschlafen schüttelte sie den Kopf und öffnete dann verschlafen die Augen.

„Der Wecker ist ziemlich penetrant.“

Ja, der Meinung war ich auch. Ich beobachtete sie dabei, wie sie müde wieder die Augen schloss und drehte mich dann auf den Rücken, wobei ich sie mit mir zog, sodass sie mit dem Kopf auf meiner Schulter lag und ihr Arm quer auf meiner Brust lag. Sie atmete tief aus und ich war mir fast sicher, dass sie dabei war, wieder ein zu schlafen.

„Wenn wir ins Studio wollen, sollten wir aufstehen.“

„Also ich will da nicht hin. Ich will hier bleiben.“

Um das zu untermalen rückte sie ihren Kopf in eine bequemere Position und hakte ihr Bein in meins. Bei der Art und weise, wie ihre Haut dabei über meine strich, konnte ich es nicht verhindern, dass mir das Blut begann, ich tiefer gelegene Regionen zu fließen.

„Schatz, das solltest du vielleicht sein lassen.“

Ich wollte ihr nicht weh tun, aber das würde ich vermutlich, wenn ich sie mir jetzt wieder nahm, deswegen, und wirklich nur deswegen, wich ich ihrem Bein aus, das gefährlich nah an gewissen Stellen über meine Haut strich.

„Warum nennst du mich so?“

Ja, warum tat ich das? Ich hatte sie ein paar mal schon so genannt, allerdings mehr aus Spaß, wobei ich es jetzt definitiv ernst meinte. Ich wusste nicht, wie ich ihr das erklären sollte, also zuckte ich mit den Schultern.

„Ich lasse das sein, wenn dir das lieber ist.“

„Nein, das ist okay. Ich wundere mich nur über das warum?“

Sie schlief noch halb, aber trotzdem beharrte sie darauf. Sie konnte so verdammt stur sein. Ich zuckte nur wieder mit den Schultern.

„Ich weiß, es ist total abgegriffen, aber es kommt einfach so. Du bedeutest mir viel und bevor ich wirklich richtig schmalzig werde, greife ich lieber darauf zurück.“

Sie schwieg eine ganze weile und ich seufzte schon, weil ich dachte, dass sie mich gar nicht mehr gehört hatte, aber da rieb sie ihre Wange an meiner Schulter.

„Du liebst mich wirklich, oder?“

„Ich dachte eigentlich, dass ich das klar gestellt hätte.“

Erst schien sie zu zögern, aber dann hob sie den Kopf und sah zu mir auf, während sie das Kinn auf meiner Brust ablegte.

„Ich will es aber hören.“

Irgendwie brachte mich das zum lachen. Nicht weil ich sie deswegen auslachte, sondern eher weil es mich erstaunte. Manchmal war sie wirklich komisch und vor allem zog sie sich viel zurück, auch wenn das in letzter Zeit erheblich nachgelassen hatte und dann gab es Momente, in denen sie mich überraschte, womit sie sich noch tiefer in meinen Gedanken einnistete. So wie jetzt. Mir war klar, dass sie das hören wollte und ich wusste, dass sie es vermutlich hören musste, außerdem stellte ich mir die frage, ob sie das überhaupt schon mal von jemandem gehört hatte. So wie sie darauf reagierte, vermutete ich fast, das ich der erste war, der das je zu ihr gesagt hatte. Grade der Gedanke trieb mich zu meinem grinsen.

„Ja, ich liebe dich.“

Zufrieden nickte sie und legte dann die Wange auf meine Brust, ohne ein Wort zu sagen, was mich noch mehr lachen ließ.

„Hör auf so zu lachen, das wackelt und vibriert.“

Ich sprach nicht aus, woran mich diese Eigenschaften außerdem erinnerten und lachte stattdessen noch heftiger, bis sie mir schließlich in die Seite piekte, ich darunter zusammen zuckte und mein lachen schließlich abebbte.

„Ich mag es wirklich wenn du lachst, aber grade jetzt stört das ungemein, so kann ich dein Herz nicht hören.“

„Mein Herz?“

„Ja, dein Herz. Der Rhythmus lullt einen ein und verleitet dazu, wieder einzuschlafen.“

„Du willst wirklich nicht aufstehen, oder?“

„Hab ich dir doch gesagt. Außerdem glaubt Frank dank dir, dass ich unter Schock stehe.“

„Was du bemerkenswerterweise nicht tust.“

„Ich will nicht daran denken, also tue ich es nicht. Das hier ist ohnehin viel besser.“

Während sie sich enger an mich schmiegte, musste ich ihr im Stillen Recht geben. Das hier war mit Abstand besser, als sie vor einem Nervenzusammenbruch zu bewahren.

„Na gut, dann machen wir eben blau und setzten uns morgen damit auseinander.“

Heute wären wir ohnehin nur bis zwei im Studio gewesen, weil Lenne zu ihrer Therapiestunde ging und ich würde sie da hin schleifen, sollte sie sich aus irgendeinem Grund heute weigern.

 

 

 

 

 

 „Na gut, dann machen wir eben blau und setzten uns morgen damit auseinander.“ Mein Gott! Langsam begann ich, wirklich an einen Gott zu glauben, wenn es bedeutete, dass ich Dan behalten konnte. Jeder andere hätte mich vermutlich aus dem Bett gezerrt, was mir ganz und gar nicht gefallen hätte.

Richtig einschlafen konnte ich jedoch nicht wieder, aber zu Dans Herzschlag zu dösen war auch eine schöne Sache und genoss ich jeden einzelnen Augenblick. Lange würde ich mich aber nicht mit ihm im Bett wälzen können, wenn ich nicht zu meinem Termin bei Doc Maverick kommen wollte.

Irgendwie hatte ich nicht wirklich Lust, mit ihm über die Vorkommnisse der letzten Wochen zu sprechen, die ich wirklich jedem verheimlicht hatte. Aber da ich es endlich geschafft hatte, Dan dazu zu bringen, mitzukommen, indem ich schamlos die Situation ausgenutzt hatte, konnte ich jetzt nicht kneifen. Dan hätte das vermutlich auch gar nicht zugelassen.

Hin und wieder drehte und räkelte ich mich auf Dan, woraufhin dieser mich öfter etwas anders drapierte, um mich von Regionen fernzuhalten, die ansonsten aktiv geworden wären. Irgendwann tat ich es dann mit Absicht, was schließlich darin endete, dass wir durch das Bett tobten. Gnadenlos kitzelte Dan mich, während mir bereits die Tränen übers Gesicht liefen und ich mich krampfhaft versuchte, zu befreien.

„Ich geb auf! Ich geb auf!“

„Ha!“, rief Dan triumphierend, drückte mir einen harten Kuss auf die Lippen und hob mich dann unerwartet hoch, was mich kreischen ließ wie ein Mädchen.

„Wo willst du mit mir hin?“, fragte ich immer noch lachend.

„Unter die Dusche natürlich!“ Erst in der Wanne ließ er mich herunter, drehte das Wasser auf und regulierte die Temperatur. Natürlich hatte der Mistkerl zuerst das kalte Wasser aufgedreht und der Strahl hatte mich voll getroffen. Als ich ihn nur böse anfunkelte, zuckte er mit den Schultern und sagte: „Ich mag es, wenn du quietschst. Das ist echt niedlich.“

„Immerhin hat einer von uns seinen Spaß.“

„Jepp.“

„Stimm mir nicht auch noch zu!“ Er grinste nur breiter und ich fragte mich, wie er das schaffte, ohne, dass ihm das Gesicht einriss.

„Was war das jetzt für eine Sache mit Ben mitten in der Nacht?“, fragte ich dann, während wir uns gegenseitig mit Waschlappen schrubbten.

„Er hat gefiept, weil er mal musste, also bin ich mit ihm rausgegangen. Ich hab dann in seinem Napf nachgesehen, weil er doch ganz schön viel Wasser gelassen hatte, aber der war praktisch unberührt. Es hat sich herausgestellt, dass der Kleine Randale gemacht, eine der Colaflaschen zerkaut und sich den Inhalt einverleibt hat.“

„Oh. Okay.“

„Und das alles habe ich entdeckt, während du wie eine Tote geschlafen hast.“

„Daran bin ja wohl nicht ich Schuld.“

„Solange du von mittelschweren Erdbeben und einem Angriff von Godzilla wach wirst...“ Das reichte. Ich holte mit dem Arm aus und spritzte ihm eine Salve Wasser vom Duschstrahl ins Gesicht. Er prustete und hustete. Dann funkelte er mich an und ging zum Angriff über.

„Na warte, das wirst du noch bereuen!“

Wie zu erwarten war, brach eine Wasserschlacht aus und wir brauchten ewig, bis wir endlich aus der Dusche stiegen. Dan wickelte mich dann in ein großes Handtuch, bevor er sich selbst eins nahm und es sich um die Hüften schlang. Als er gerade dabei war, sich die Haare abzutrocknen, war ich selbst schon fertig, ließ mein Handtuch fallen und schlang die Arme um seinen Torso. Nach dem Duschen roch er sogar noch intensiver nach seinem typischen Dan-Duft und ich nutzte die Gelegenheit aus.

„Ich liebe dich“, sagte ich leise und drückte ihm einen Kuss aufs Schlüsselbein. Natürlich war es absolut keine Kalkulation oder Absicht, dass ich dabei meine Brüste, die mir meist nur im Weg waren, an seine Brust drückte und er zur Salzsäule erstarrte.

„Das solltest du vielleicht nicht gerade jetzt tun“, sagte er mit rauer Stimme, während er versuchte, seine Hüften wegzudrehen. Ich ließ meinen Blick nach unten schweifen und war mit mir ziemlich zufrieden, als ich das Handtuchzelt sah.

„Hmm“, brummte ich. „Ja? Warum nicht?“

„Du weißt ganz genau, was ich meine“, erwiderte er mit zusammengekniffenen Augen. Er atmete angestrengt und sah aus, als müsste er schwer an sich halten. Oh ja, ich war wirklich sehr zufrieden mit mir.

„Geht es dir nicht gut, Hase?“, fragte ich so unschuldig, dass mir nicht mal der dumme Bimbo von gestern das abgenommen hätte. Zischend zog er die Luft ein und wollte gerade etwas erwidern, als ich den Knoten seines Handtuchs löste und es prompt zu Boden segelte.

„Lenne...“, warnte er mich. Ich hatte nicht die geringste Absicht, darauf zu hören.

„Ich weiß ja, dass ich zum hinknien bin, Schatz, aber-“ Zischend zog er die Luft ein, stolperte rückwärts gegen das Waschbecken und versuchte, nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

„Oh verdammt, Lenne!“

 

„Lenne, Dan, schön, dass ihr kommen konntet!“, begrüßte Doc Maverick uns überschwänglich und bedeutete uns, uns zu setzen.

„Und wie geht es dir heute?“, fragte er mich dann, kaum dass mein Hintern das Sitzkissen berührt hatte.

„Ganz gut, Doc“, erwiderte ich und wusste selbst, dass ich über das ganze Gesicht grinste. Dan saß neben mir und hatte seine Finger einer Hand mit meinen verschränkt. Ich war zur Abwechslung mal wirklich zufrieden.

„Das freut mich zu hören. Wie war deine vergangene Woche? Du siehst heute deutlich besser aus, als letzte Woche.“

„Oh, ja... also das, das hat seinen Grund.“ Und so erzählte ich Doc, wenn auch widerstrebend und stockend, was mit Asnus vorgefallen war. Ich ging sogar soweit, den ersten Zwischenfall im Detail zu erzählen, obwohl Dan dabei war und ich spürte, dass er vor Wut vibrierte. Darum drückte ich seine Hand fest, warf ihm einen kurzen Blick zu und schüttelte den Kopf. Eigentlich hatte ich ihm gegenüber das niemals erwähnen sollen, aber ich konnte mir vorstellen, dass er sich schon die ganze Zeit fragte, was genau passiert war und sich das ewig fragen würde. Es war also besser, das von der Palette zu haben, weil ich nicht wollte, dass sich das irgendwann einmal zwischen uns stellte.

„Ich verstehe“, murmelte Doc, als ich geendet hatte. „Wie fühlst du dich jetzt, wenn du daran denkst?“

„Na ja, generell versuche ich das zu vermeiden. Ich will mich nicht dran erinnern, aber ich weiß auch, dass es irgendwann hochkochen wird.“

„Umso wichtiger ist es, es dir von der Seele zu reden, bevor du platzt. Natürlich nur, wenn du bereit dazu bist.“ Ich zuckte mit den Schultern.

„Ehrlich gesagt, will ich mich vor allem nicht daran erinnern, weil ich mir nicht ins Gedächtnis rufen will, wie... machtlos ich dabei war. Gleichzeitig ist es mir echt unangenehm, dass ich so lange den Mund nicht aufbekommen habe. Das Arschloch war einfach so unberechenbar und solange nur ich in seinem Fokus stand, hat niemand anderes darunter gelitten. Auch wenn ich niemandem gegenüber zugeben wollte, wie wenig meine Gegenwehr gebracht hat.“

So ging das die ganze Sitzung. Doc drehte jeden Satz, den ich von mir gab, dreimal um und ließ mich alles Gesagte gründlich zerpflücken, bis ich einsah, dass es nicht mein Fehler war, dass Anus sich an mir vergriffen hatte. So ganz war ich noch nicht überzeugt, aber Doc würde im Laufe der Zeit schon dafür sorgen, dass ich mich nicht davor verschloss. Ganz zu schweigen von meinem Freund, der die ganze Sitzung über schweigend an meiner Seite saß und meine Hand hielt. Es war gut zu wissen, dass er für mich da war. Ich konnte es ihm nicht genug vergelten.

Schließlich fragte Doc: „Wollt ihr noch einen zweiten Termin in der Woche für euch beide?“ Dan und ich sahen uns kurz an und erwiderten: „Nein.“ Verwundert hob Doc die Augenbrauen, auch wenn ich mir sicher war, dass er geschnallt hatte, was los war, als wir den Raum betreten hatten.

„Seid ihr euch sicher?“

„Vorerst“, antwortete ich. „Wenn etwas zwischen uns sein sollte, erfahren Sie es als Erster.“ Dans komisches Geräusper ignorierte ich derweil einfach.

An der frischen Luft atmete ich tief durch und schlenderte mit meinem Freund die Straße entlang. Das Wetter war wieder wunderschön und es war angenehm warm. Ich fühlte mich gut.

„Dir ist ja wohl klar, dass ich ganz sicher nicht mit dir zur Paartherapie gehe. Auch wenn es jetzt mehr Sinn macht, da wir auch tatsächlich ein Paar sind.“

„Warum denn nicht? Das würde uns sicher ganz wunderbar gut tun, sollte es mal dazu kommen.“

„Uns geht es doch gut. Ich möchte behaupten können, dass wir einander gut tun. Wir kriegen das hin.“

„Wenn du das sagst.“

„Tue ich.“

„Musst du immer das letzte Wort haben?“

„Nicht so dringend, wie du anscheinend.“ Entnervt rollte ich mit den Augen und ließ es dabei bewenden.

„Was möchtest du jetzt machen? Die Tiere sind gefüttert, mit Ben bin ich gegangen bevor wir losgezogen sind und der Tag liegt noch vor uns. Wir haben also noch eine ganze Weile Zeit.“ Ich dachte ernsthaft über seine Frage nach. Es kam nur selten vor, dass wir Zeit füreinander hatten und solche Gelegenheiten und das gute Wetter sollten wohl ausgenutzt werden. Aber...

„Ich weiß nicht. Ich hab eigentlich keine Ahnung, was Paare so in ihrer Freizeit machen. Es ist zwar noch etwas früh, aber wie wäre es mit Kino?“

„Sicher. Weißt du, was gerade läuft?“

„Nicht wirklich, aber ich hab zufällig gesehen, dass es einen neuen Disney-“

„Nein.“

„Ach komm schon, warum nicht?“

„Nein. Ich werde mich nicht als erwachsener Mann mit meiner Freundin in einen Kinderfilm setzen. Das grenzt an Pädophilie.“

„Spielverderber!“

„Komm schon, wir gehen einfach hin und schauen mal, was die Plakate da uns so bieten.“ Also schleifte Dan mich zum nächstbesten Kino und wir studierten die Aushänge gründlich und diskutierten. Passanten hätten meinen können, dass wir uns stritten, aber das war ja nun wirklich nichts, was man als Streit bezeichnen könnte. Schließlich einigten wir uns dann auf eine romantische Komödie, die Hollywood neuerdings scheinbar in Massen auskotzte.

Ich hatte mich ein wenig über seine Wahl gewundert, aber schließlich wurde ich erleuchtet, als er gleich nach der Werbung seine Finger nicht bei sich behalten konnte. Wir saßen auch noch in so einem speziellen Saal, in dem es Sitze für Paare gab, die keine Armlehne dazwischen hatten. Es war geradezu wie eine Einladung für Dan. Ich musste höllisch aufpassen, dass seine Hände nirgendwohin wanderten, wo es sich im Kino nicht gehörte. Glücklicherweise gab er sich mit einer wilden Knutscherei zufrieden. Vom Film bekam ich praktisch gar nichts mit.

Mit geröteten Wangen und ein wenig außer Atem wurde ich draußen von der gleißenden Sonne geblendet. Dan ging es da nicht anders. Es war sogar so schlimm, dass er beinahe gegen einen Mülleimer lief. Ich konnte mir den Lachkrampf natürlich nicht verkneifen und er schmollte eine ganze Weile, aber ich wusste, dass er es nicht ernst meinte.

Auf dem Heimweg schmiegte ich mich mit der Wange an Dans Oberarm und umklammerte den Rest mit meinen Händen und fragte ihn dann: „Hast du schon entschieden, was du wegen deinem Bruder machst?“

„Du wirst mir damit keine Ruhe lassen, nicht wahr?“

„Nope.“ Er seufzte theatralisch.

„Nein, habe ich nicht. Und würde ich am liebsten in nächster Zeit nicht.“

„Lass dir nicht zu viel Zeit damit, Dan. Es ist nicht gut, so etwas zu lange schwelen zu lassen. Irgendwann geht dein kleiner Bruder noch an die Decke und dann ist es zu spät.“

„Wirst du aufhören, mich danach zu fragen, wenn ich eine Entscheidung treffe?“

„Wenn sie mir gefällt.“

„Du bist so nervenaufreibend.“

„Sagt der Richtige.“ Wieder seufzte Dan schwer, als trüge er die ganze Last der Welt auf den Schultern.

„Gibst du Ruhe, wenn ich dir sagen, dass ich am Wochenende mal hinfahre und das regle?“

„Vielleicht.“

„Was soll denn das heißen?“ Ich sah ihn bedeutungsvoll an und hob eine Augenbraue.

„Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich dich alleine fahren lasse.“

„Du kommst nicht mit!“

„Damit wir uns nicht falsch verstehen: ich habe nicht vor, deine Familie kennen zu lernen. Du weißt, dass ich versuche, die meisten Menschen einfach auszublenden. Ich will nur sicher gehen, dass dir da nichts passiert. Sowohl in körperlicher als auch in geistiger Hinsicht.“

„Ich kann-“

„Du gehörst mir“, unterbrach ich ihn bedeutungsschwanger. „Das bedeutet, dass ich nicht zulassen werde, dass dir irgendjemand zu nahe tritt. Selbst wenn es deine eigene Familie ist.“ Anstatt mir zu widersprechen, sah er mich lange an und wir starrten einander in die Augen, bis er wieder seufzte. Diesmal resigniert.

„Na gut, dann fahren wir eben am Wochenende mal hin. Aber vorher sollten wir unsere Pläne endlich ins Rollen bringen. Am besten direkt morgen, wenn wir wieder in der Firma sind. Auch wenn ich mich nicht gerade auf Coleman freue.“

„Wer tut das schon?“, schnaubte ich.

31

 Den Rest des Tages verbrachten wir zuhause. Wir saßen eine ganze Weile oben auf dem Dach und grübelten über die Dinge, die Chase uns vorgeschlagen hatte, um uns endlich selbstständig zu machen und ich zog sein Angebot, eine Seite für uns zu erstellen, ernsthaft in Erwägung. Ich wusste was er drauf hatte, immerhin machte er das beruflich, und wenn er das für uns übernehmen würde, wären wir auf jeden Fall schon mal einen Schritt weiter. Außerdem brauchten wir einen neuen Namen, sobald wir Coleman los waren. Sunrise in staircase, ich bitte euch! So ein Scheiß konnte nur von so einem Blödmann kommen. Wir legten uns ein paar Ideen zurück, die wir mit den beiden besprechen würden und legten uns eine Strategie zu, mit der wir unauffällig Aufmerksamkeit auf uns zogen, bevor wir ins Wohnzimmer umzogen, weil es draußen allmählich dunkel und kalt wurde.

Nachdem wir uns etwas zu essen gemacht hatten, mümmelten wir uns auf die Couch, ausnahmsweise mal ohne gleich übereinander her zu fallen, was ich ebenso sehr genoss. Ich lag lang auf der Couch und Lenne lag halb auf mir, halb in der Mulde zwischen meiner Seite und der Couchrücklehne. Die Arme hatte ich ihr umgelegt und die Wange schmiegte ich an ihren Kopf und es hätte besser gar nicht sein können. Während sie durch die Kanäle zappte, hatte ich die Augen geschlossen und konzentrierte mich ausschließlich auf sie. Wie sie sich anfühlte, wie sie sich bewegte, wie sie atmete. Ich wusste, wenn sie irgendwann damit aufhörte, würde ich das auch.

Als sie schließlich ihren Kopf hob, öffnete ich die Augen.

„Schläfst du?“

„Offensichtlich nicht, oder?“

„Du hattest die Augen zu, das ist also eine berechtigte Frage, keine Grund gleich schnippisch zu werden.“

„Berechtigt, wenn ich die Augen zu habe. Du hast gefragt als sie offen waren.“

„Ach vergiss es einfach.“

Damit legte sie den Kopf wieder ab und starrte zum Fernseher. Ich drückte ihr die Lippen aufs Haar und musste lächeln, als sie absichtlich keine Reaktion zu zeigen versuchte.

„Ich genieße nur, deswegen hatte ich die Augen zu.“

Wieder reagierte sie mit striktem ignorieren, was ich damit konterte, dass ich ihr beharrlich mit den Fingern über den Arm strich. Nicht lange darauf war sie wieder vollkommen entspannt, was mir erlaubte, sie weiter zu mir hoch zu ziehen, bis ihr Gesicht auf halber Höhe mit meinen war.

„Ich liebe dich.“

Und da hatte ich meine Reaktion. Sie sah mir ins Gesicht und ich sah, wie ihre Augen begannen zu glitzern, woraufhin ich ihr einen kurzen Kuss aufdrückte, einen zweiten auf die Nase und unzählige über ihr Gesicht verteilt, bis ich schließlich zu ihren Lippen zurück kehrte und sie in einen Kuss zog, der uns beide versengte. Ich spürte sofort, wie das Verlangen, dass mir den ganzen Tag immer und immer wieder durch die Adern geschossen war, wieder aufflammte und Lenne schien es nicht anders zu gehen. Was hier zuhause kein Problem darstellte, war, dass wir uns nicht zurück halten mussten. Ich presste sie an mich und dabei schien ihr die drängende Beule an ihrem Bauch nicht zu entgehen, was sie schamlos grinsen ließ. Ich wusste was jetzt kam, ich hatte das hier schon gesehen. Das war der erste Traum gewesen, der von ihr handelte und nicht von Tessa. Ich hatte sie auf genau diese Couch gedrückt und sie mit unfassbar keuschen Gesten gequält, bis sie anfing sich zu drehen und zu wenden und verdammt, sie hatte sogar gebettelt. Ich hatte sie Stück für Stück entblößt und sie von oben bis unten mit den Lippen erkundet, ich hatte sie geschmeckt und sie anschließend geliebt.

Und genau das tat ich jetzt auch.

 

 

 

Die Hälfte der Nacht hatten wir auf der Couch geschlafen. Zumindest hatte ich auf der Couch geschlafen, Lenne hatte auf mir geschlafen und wäre ich nicht wach geworden, weil ich Durst hatte, wären wir auch nicht ins Schlafzimmer umgezogen. Ich hatte sie in der dünnen Wolldecke eingewickelt ins Bett getragen, etwas getrunken und war gleich darauf wieder neben ihr eingeschlafen. Bei ihr würde ich irgendwann noch mal richtig ausgeschlafen sein. Ich schlief viel besser, seitdem sie jede Nacht neben mir lag, auch wenn ich hin und wieder schweißgebadet aufwachte, aber da wusste ich meistens gar nicht mehr, was ich geträumt hatte.

Als an diesem Morgen der Wecker ging, ging ich nicht so rabiat mit ihm um, da ich schon wach war, sondern schaltete ihn lediglich sofort auf Schlummer, damit er Lenne auf jeden Fall wecken würde, wenn sie wieder einschlafen sollte und machte sie dann wach. Verwundert sah sie sich im Schlafzimmer um und sah dann mich an.

„Wir sind nicht ins Bett gegangen.“

„Wir nicht, nein, aber ich schon. Ich war so gut und hab dich mitgenommen.“

„Wie nett von dir.“

„So bin ich zu dir und jetzt auf mit dir. Ich will nicht riskieren, dass Coleman uns raus schmeißt.“

Als ich aufstand, brummte Lenne widerstrebend und grub das Gesicht ins Kissen. Ich schüttelte nur amüsiert den Kopf und verschwand ins Bad, bevor ich mich dazu entschließen konnte, bei ihr im Bett zu bleiben. Wir hätten vermutlich wieder die Probe geschwänzt, hätte ich mich nicht dazu durchgerungen, duschen zu gehen. Irgendwann kam sie zu mir unter die Dusche und schlang mir die Arme von hinten um die Hüfte. Ich dachte schon, dass sie so wie gestern wieder herum experimentieren würde, aber zu meiner Überraschung behielt sie ihre Hände bei sich. Was wirklich erstaunlich war, denn ich hatte festgestellt, dass sie mindestens so schlimm war wie ich und seitdem auch die letzte Grenze überschritten war, musste ich mich wirklich ernsthaft dazu zwingen, meine Hände bei mir zu behalten.

Wir duschten schweigend zu ende, ebenso wie wir schwiegen, bis Lenne ihren ersten Kaffee hatte. Man sah ihr förmlich an, wie die heiße Flüssigkeit sie zum Leben erweckte und ich kam nicht umhin, darüber zu schmunzeln. Während ich das Frühstück machte, fütterte Lenne die Tiere und nachdem wir gefrühstückt hatten, machten wir uns ins Studio auf. Wie ich es beabsichtigt hatte, waren wir vor allen anderen da. Wo wir die letzten beiden Tage schon nicht da waren, wollte ich heute nicht auch noch als letzter da sein. So saß ich also auf einem der Stühle, Lenne mir zugewandt rittlings auf meinem Schoß, und erklärte ihr, wieso ich sie so zur Eile getrieben hatte heute Morgen, als Eric und Ella rein kamen und uns verdutzt ansahen. Wie immer war es Ella, die das Wort ergriff.

„Wisst ihr, als ich euch kennen gelernt habe, konntet ihr euch nicht ausstehen. Ihr habt diese Ansicht gehörig umgekrempelt und ich dachte eigentlich, ihr könntet nicht mehr schlimmer werden. Aber sieh sie dir an Eric, sie haben es noch getoppt.“

Als Lenne mir daraufhin die Arme um den Hals legte, konnte ich nicht anders und grinste, wobei ich zu den anderen Beiden rüber schielte.

„Siehst du das Lenne. Sie ist eifersüchtig. Ich bin der Meinung, wenn sie sehen würde, wie Eric sie ständig anstarrt, hätte sie das Problem nicht.“

Natürlich flüsterte ich nicht, sodass Ella das auch auf jeden Fall hören musste. Lenne war auch nicht viel besser.

„Vielleicht sollten wir sie mal mit der Nase drauf stoßen. Ich meine, offensichtlicher kann es doch nicht mehr werden oder?“

Ich sah im Augenwinkel nur, wie Ella's Kopf herum schoss und sie Eric fixierte. Dieser wurde daraufhin ziemlich hektisch und versuchte das abzustreiten, aber Ella ließ nicht locker. Ich hörte ab da nicht mehr zu und wandte mich Lenne zu, die in diesem Moment mit ihrer Wange über meine strich.

„Du bist ganz schön fies. Meinst du nicht, er hätte ihr das selbst sagen können?“

„Sagt grade die Richtige. Er hatte lange genug Zeit, manchmal muss man die Leute eben zu ihrem Glück zwingen.“

Ganz offensichtlich. Wir waren ja auch nicht besser gewesen. Ich hatte ihr grade die Arme umgelegt und hielt sie fest, wobei ich den Kopf auf ihre Schulter legte, als Coleman rein kam. Als er uns sah, zeigte er sofort auf uns und er sah verdammt sauer aus. Hatte ich erwartet, allerdings nicht, dass er alle anderen raus warf.

„Ihr zwei, mit euch habe ich zu reden, der Rest verschwindet nach draußen und zwar jetzt.“

Während Eric und Ella sich daran machten, schnellstmöglich nach draußen zu kommen, blieb ich gelassen sitzen und hielt Lenne weiter fest. Sie war genauso von der nun folgenden Standpauke begeistert wie ich.

„Ihr zwei seid raus, sofern ihr mir keinen gescheiten Grund nennen könnt, wieso ihr unentschuldigt bei den Proben fehlt.“ „Wir waren nicht unentschuldigt, ich habe angerufen und die Sache erklärt, das ist wohl kaum unentschuldigt.“

„Die Rede war von einem Tag Dan. Wir haben gestern mit euch gerechnet.“

„Gut, dann ist es eben meine Schuld. Schmeißen sie mich dafür raus, nicht sie, okay. Alles meine Schuld, ich hab sie gezwungen zuhause zu bleiben.“

Und das hatte ich ja nun wirklich. Irgendwie. Auf die eine oder andere Art.

„Ich hab sie gezwungen zuhause zu bleiben, weil ich wollte, dass sie erst mit ihrem Therapeuten spricht und ich bin Schuld. Ich hab mir eben Sorgen gemacht, ist das ein Verbrechen?“

Ich spürte wie Lenne sich anspannte, was blieb mir also anderes übrig, als alles auf meine Kappe zu nehmen? Dass ich das so eindringlich tat und darauf bestand ließ mich zwar klingen, als hätte ich sie nicht alle, aber Hauptsache er ließ seine Wut nicht an ihr aus.

„Wenigstens einer von euch, der Einsicht zeigt.“

„Hey, ich hab gesagt es ist meine Schuld, okay? Tut mir Leid für sie, aber sie hat nichts damit zu tun. Es gibt nichts, dass sie einsehen müsste, also sagen sie nicht, sie wäre nicht einsichtig. Sie hat keinen Fehler gemacht, wohl eher sie, indem sie diesen Perversen angeschleppt haben.“

„Sei vorsichtig mit dem, was du sagst Dan. Man kann den Leuten immer nur vor den Kopf gucken und es ist ja wohl nicht mein Fehler, dass Riley Asnus solche Neigungen hat.“

„Sie sagen es, man kann den Leuten nur vor den Kopf gucken. Also schreiben sie mir eine Kündigung und lassen sie mich dafür zahlen, anstatt Lenne Dinge anzulasten, für die sie nichts kann.“

Langsam war ich wirklich stinkig und ich begann, mich da hinein zu steigern, was ich erst merkte, als Lenne mir die Hände auf die Brust legte.

„Dan, bitte hör auf, du machst es nur schlimmer. Du willst nicht auf der Straße sitzen.“

„Nein, soll er doch machen. Ich brauche ihn nicht, ich hab eine Menge Angebote gekriegt nach dem Gig vor vier Wochen.“

Das war zwar vollauf gelogen, aber das wusste er ja nicht und er sprang auch direkt darauf an.

„Was für Angebote?“

„Was wohl für Angebote? Solche, die andere Manager einem machen, um Neulinge abzuwerben. Ich hatte nie in Erwägung gezogen überhaupt darauf zu reagieren, aber so wie es aussieht, kann ich mir jetzt wohl meine neue Stelle aussuchen.“

Mit schmalen Augen bedachte Coleman mich und ich wusste, was er dachte.

„Sie brauchen gar nicht überlegen ob es stimmt. Sie wissen, wie gut wir sind und das sehen alle anderen auch. Die wollen mich alle haben und jetzt, da ich wieder verfügbar bin, werden sie sich noch mehr um mich reißen. Im Grunde ermöglichen sie mir grade eine ganze Menge, eigentlich sollte ich mich bei ihnen bedanken.“ „Dan, bitte mach das nicht.“

Ich hörte ihrer Stimme an, dass sie kurz davor war zu brechen und es tat mir in der Seele weh, aber ich musste diese Szene hier jetzt durchziehen, sonst säßen wir bald alle auf der Straße.

Als ich aufstand hielt ich Lenne so fest, dass sie mir quasi an der Brust klebte und ließ sie dann langsam auf ihre eigenen Füße runter, als ich stand. Ich fühlte wie sie zitterte, also nahm ich ihr Gesicht in beide Hände und sah ihr in die Augen. Die Panik darin war nicht zu verkennen, also lächelte ich sie beruhigend an und drückte ihr dann vor Coleman einen Kuss auf, der leicht hätte ausarten können, obwohl wir beide uns bisher immer vor allen anderen zusammen gerissen hatten. Zumindest war es nie so offensichtlich gewesen wie jetzt.

„Lässt du mich kurz alleine mit Frank reden? Ich bin sofort wieder bei dir. Dauert keine fünf Minuten.“

Ich dachte erst, sie würde sich weigern, aber dann nickte sie kurz, schlang sich die Arme um sich selbst und verließ beinahe geduckt das Studio. Ich hörte noch wie Ella gleich auf sie einredete und wusste, dass sie nicht alleine war, bevor die Türe zu ging. Mit verschränkten Armen stellte ich mich vor Coleman auf und schüttelte mit dem Kopf.

„Ich weiß, dass sie mich nicht leiden können und ich weiß, dass sie mich schon seit geraumer Zeit raus ekeln wollen. Deswegen haben sie Asnus angeschleppt, das war für sie doch das gefundene fressen, oder? Sie scheinen überhaupt nicht zu sehen, was sie damit angerichtet haben. Sie hätten beinahe meine Beziehung kaputt gemacht und das nehme ich ihnen wirklich übel, abgesehen davon, dass sie dieses Mädchen noch mehr kaputt machen, als sie eh schon ist. Lenne hat es weiß Gott nicht leicht und sie drücken sie auch noch mit dem Gesicht in die Scheiße, das macht mich ziemlich sauer. Ich habe wirklich versucht kooperativ zu sein, obwohl ich wusste, dass sie mit uns nur Geld machen wollen, aber das funktioniert wohl nicht und ich werde mir nicht weiter den Arsch aufreißen um ihnen zu gefallen, denn da draußen gibt es eine Menge Leute, die eine Menge Geld für die Songs zahlen, die ich schreibe. Und ich sage ihnen was, weil ich hoffe, dass sie das nächste mal darüber nachdenken, bevor sie die Leute so herum schubsen wie uns. Wenn ich mich umsehe, werde ich nicht nur für mich nachhören, sondern ich werde sowohl für Lenne, als auch für Eric und Ella rum fragen und ich werde die drei mitnehmen. Vielleicht sehen sie dann ein, dass wir keine Figuren sind, die sie herumschubsen können. Überlegen sie sich also gut, ob sie mich raus schmeißen oder ob sie endlich mal die Eier beweisen und uns wirklich zu dem machen, das sie uns die ganze Zeit versprechen. Denn seien wir mal ehrlich, ich bin nicht der einzige der hier denkt, dass sie es nicht drauf haben.“

Mit dem letzten Satz hatte ich ihn endgültig auf die Palme gebracht und ich musste mir mein siegessicheres Grinsen verkneifen.

„Du scheinst nicht zu wissen, was man als Manager für Verantwortung trägt.“

„Mehr als sie anscheinend, wenn sie noch nicht mal wissen, dass man die Leute betreuen sollte, die auf einen angewiesen sind. Sie sind mehr wo anders, als das sie hier sind.“

„Ich treffe Entscheidungen für euch, wenn ich nicht hier bin, also denke nicht, ich würde nicht für eure Zukunft sorgen.“

„Indem sie uns alleine lassen und uns uns selbst überlassen? Klasse Taktik, vor allem weil das noch mehr für ihre Qualitäten spricht, da wir uns ja hier alleine organisieren. Ihnen fällt gar nicht auf, dass wir das ganze Ding hier alleine schmeißen, aber wie auch, sie sind ja nicht da, oder irre ich mich da? Wissen sie, wenn sich das herum spricht, was es im übrigen schon tut, wenn ich mich nicht verhört habe, dann hinterlässt das einen ganz miesen Eindruck und glauben sie mir, ich schäme mich dafür, dass ich noch nicht mal Schuld daran bin. Wie sie grade merken, ist meine Meinung von ihnen nicht sehr hoch.“

„Versuchst du mir grade zu drohen Dan?“

„Für sie bin ich immer noch Darian, oder Mr Ames und nein, ich drohe ihnen nicht, ich stelle nur fest. Drohen würde ich, wenn ich sage, dass ich sie schlecht mache, was ich gar nicht nötig habe, da sie das sehr gut alleine können.“

„Was willst du dann Darian? Die Weltherrschaft?“

Aha, ich sah einen Lichtschimmer am Ende dieses ekligen Tunnels.

„Seien sie nicht dumm, das wäre mir viel zu viel Arbeit. Ich will lediglich, dass sie uns entweder nach vorne bringen oder mir Rechte einräumen, das selbst zu tun. Wir traten schon auf der Stelle, bevor wir unseren ersten Gig hatten und wir haben keine Gelegenheit gehabt, uns wirklich zu beweisen, bevor sie offenbar beschlossen haben, uns wieder los zu werden.“

„Ich wollte euch nicht los werden, ich wollte dir lediglich zeigen, dass du mit deiner Sturheit nicht weiter kommst.“

„Und wieso ziehen sie dann die anderen da mit hinein? Wenn ich ihnen ein Dorn im Auge bin, wieso riskieren sie dann, dass das ganze Projekt ins Wasser fällt? Damit würden sie sich nur eine weitere Kerbe ins Holz hauen.“

„Du bist neben Lenneth das Gesicht des ganzen, zumal deine Stimme tragend ist und du an allen Songs mitgewirkt hast. Mit dir steht und fällt alles, also trage die Konsequenzen daran.“

„Es gäbe keine Konsequenzen, wenn sie fair bleiben würden. Sie haben doch schon beschlossen, dass das alles viel zu heiß ist, als es bei unserem Gig gekracht hat. Sicher, ich gebe zu, es ist einiges falsch gelaufen, aber sie sehen es selbst. Es läuft alles und ich wüsste nicht, warum es zwischen Lenne und mir wieder krachen sollte. Der Zeitpunkt war sichtlich ungünstig, aber warum lassen sie uns auch auftreten wenn sie sehen, dass wir uns erst noch auf eine Ebene einigen mussten?“

„Willst du mir jetzt die Schuld daran geben, dass ihr euch nicht im Griff hattet?“

„Nein, ich sage lediglich, dass sie das gesehen und uns trotzdem auf eine Bühne gestellt haben. Wobei ich anmerken muss, dass die Menge begeistert gewesen ist.“

„Ihr wart auch grandios, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass es jederzeit wieder zwischen euch krachen kann, da ist niemand vor gefeit.“

„Das heißt dann also, sie wollen uns ohnehin nicht mehr zusammen spielen lassen?“

„Das habe ich nicht gesagt-“

„Das hörte sich schwer danach an. Wieso lassen sie uns dann überhaupt noch proben?“

„Ich lasse euch proben, weil ich sehen will, ob ihr stabil bleibt. Floid und Bob schneiden nicht umsonst alles mit und reichen das an mich weiter.“

„Bedeutet das, wir werden gefilmt? Sie beobachten uns, während wir arbeiten und beurteilen uns nach so einem bescheuerten Video?“

„Das habe ich nie gesagt.“

„Und sie lügen mir so dermaßen schlecht direkt ins Gesicht, das ich gleich lachen muss. Wie lange machen sie das schon? Seit vier Wochen? Seitdem Asnus hier war? Ich wette, sie wollten mich durch ihn ersetzen oder?“

„Du steigerst dich da in etwas herein, dass dir nicht gut tut. Ich wollte dich nie ersetzen, denn niemand könnte deine Stelle einnehmen.“

„Und trotzdem haben sie es versucht. Sagen sie schon, wie lange filmen sie uns schon? Wie viele Kameras sind hier versteckt? Wissen sie eigentlich, dass das verboten ist, wenn wir nichts davon wissen? Sie dürfen das Material gar nicht verwenden.“

Aber jetzt wo ich davon wusste, würde ich das ganz sicher tun.

„Ich hatte nie vor, das zu verwenden, ich habe euch nur kontrolliert.“

„Ziemlich unglaubwürdig, da sie ja so viel zu tun und keine Zeit haben, sich die Proben vollständig anzusehen. Also entweder kontrollieren sie nur stichprobenartig oder jemand anderes macht das für sie. Na, was von beidem trifft zu?“

„Das spielt doch überhaupt keine Rolle. Fakt ist, dass mir aufgefallen ist, wie ernst dir das ganze zu sein scheint. Sowohl das Projekt, als auch Lenne.“

„Dafür hätten ihnen auch die letzten zehn Minuten gereicht.“

Dafür hatte ich gesorgt.

„Es ist mir bewusst, dass du mir nicht glaubst, aber ich wollte euch nie im Weg stehen, das wäre ziemlich kontraproduktiv.“

„Weiß ich, aber aus irgendeinem Grund tun sie genau das. Sie bremsen uns aus. Sie sind ja noch nicht mal auf die Idee gekommen uns Fotos für Plakate machen zu lassen, oder wenn, dann haben sie die Idee verworfen, warum auch immer. Für mich ist das im Weg stehen. Wissen sie, ich mache das hier nicht für mich, sondern für die Familie die ich irgendwann mal haben werde und ich lasse mir von ihnen nicht meine Zukunft verbauen, nur weil ihnen nicht gefällt, dass ich mich nicht kontrollieren lasse. Ich hab mich von meinem Vater schon nicht kontrollieren lassen, also werde ich das von ihnen ganz sicher nicht zulassen. Schreiben sie sich das hinter die Ohren, oder schmeißen sie mich endlich raus.“

„Wie ich schon sagte, ich hatte nie vor dich oder einen anderen raus zu schmeißen.“

„Ach nein? Das hörte sich eben noch ganz anders an.“

„Ich war sauer und das tut mir Leid.“

„Und damit soll alles wieder in Ordnung sein? Sie sagen, dass es ihnen Leid tut und damit ist alles gegessen? Das funktioniert bei mir nicht.“

Coleman seufzte nur und da wusste ich, dass ich ihn hatte.

„Ich kann dir keine Rechte geben Dan, das funktioniert nicht.“

„Dann reißen sie sich endlich den Arsch auf, denn ich bin es Leid. Sorgen sie endlich dafür, dass unsere Gesichter bekannt werden, organisieren sie ein Fotoshooting, ich will Plakate an den Hallen, wenn die Leute in die Clubs kommen, in denen wir spielen. Sie sollen wissen, wer da vorne steht und für gute Musik sorgt.“

„Du bist sehr von dir überzeugt, das habe ich schon immer bewundert.“

„Dann lassen sie mich das ausleben, damit wir beide endlich Profit daraus ziehen. Ich habe keine Lust mehr, weiter meine Zeit zu verschwenden.“

Und damit war das Gespräch für mich beendet. Ich drehte mich zur Tür und ging los, ohne weiter etwas zum gesagten zu äußern, was Coleman, seinem Tonfall nach zu urteilen, allerdings nicht zu gefallen schien.

„Wo willst du hin Dan?“

„Zu meiner Freundin, bevor sie einen Herzinfarkt bekommt. Ich brauch sie noch.“

„Bedeutet sie dir wirklich so viel, oder spielst du uns das alles vor, damit du nicht raus fliegst?“

Beleidigt blieb ich stehen, zog allerdings die Information aus diesem Satz.

„Das wüssten sie, wenn sie die Videos selbst kontrollieren würden.“

Ergeben seufzte Coleman, was ein Geräusch war, dass ich von ihm überhaupt nicht kannte.

„Na gut. Mein Sohn sieht sich die Videos an. Er ist total begeistert.“

„Und er soll ihnen sagen, wenn es aussieht als würde es kriseln?“

„So in etwa.“

„Wie alt ist ihr Sohn?“

„Vierzehn.“

Nickend nahm ich das zur Kenntnis und drückte dann die Klinke runter. Sofort flogen mir besorgte Blicke entgegen, ganz vorne mit dabei Lenne, die mir gleich die Arme um den Oberkörper schlang. Ich erwiderte das und bedeutete den anderen mit einem Nicken, schon mal rein zu gehen und wartete, bis wir schließlich alleine auf dem Flur standen.

„Ich lebe doch noch, wovor hast du Angst?“

„Fragst du das ernsthaft?!“

Als sie mich so anfuhr schwächte sich mein Grinsen zu einem schmunzeln, was mich aber nicht davon abhielt, weiter doof zu sein.

„Wir haben doch nur geredet.“

„Darüber, dass du aussteigst! Sag mal, geht’s noch!“

„Hör auf, so zu schreien, die Wände hier sind nicht so dick wie sie sein sollten und ich hab grade noch beteuert, dass wir uns nicht zoffen.“

„Du bist so ein Vollidiot!“

„Lenne, bitte. Ich bleibe doch hier, was ist dein Problem?“

„Was mein Problem ist?! Dass du mich in den Wahnsinn treibst!“

„Sagst du, während du mir die Luft aus den Lungen quetschst.“

„Halt einfach die Klappe, du!“

Trotzdem ließ sie mich nicht los, was mich wieder grinsen ließ.

„Ich bleibe doch hier, ich weiß gar nicht was du hast. Ich hatte nie vor, zu gehen.“

„Du hättest mich ja wenigstens vorwarnen können!“

„Wie hätte ich das denn machen sollen? Ich wusste doch selbst nicht, dass er so ausflippt.“

„Du hättest mich warnen können!“

„Wie denn?“

Jetzt wurde sie ziemlich irrational. Ich wusste, dass das die Erleichterung war, trotzdem tat es ganz schön weh, als sie mir ihre Faust vor die Brust schlug. Mehrfach. Und immer auf die gleiche Stelle.

„Lenne. Au. Hey! Aua! Hör auf!“

Aber sie hörte nicht auf, bis ich ihr schließlich eine Hand in den Nacken legte und sie küsste und selbst da brauchte es einen Augenblick, bis sie schaltete. Sie war wirklich beinahe in Panik geraten und das machte mir irgendwie Sorgen, auch wenn mich das auf eine andere Art ziemlich berührte.

„Ich weiß, du hast dir Sorgen gemacht, aber ich wollte wirklich nie gehen. Ich hab versucht uns den Arsch zu retten und dabei extrem verstörende aber praktische Infos gewinnen können.“

„Du hättest mich trotzdem warnen können.“

„Tut mir Leid, aber pass auf. Coleman hat uns die ganze Zeit über filmen lassen. Floid und Bob haben die Videos an ihn weiter gegeben, sprich, wenn wir die zwei danach fragen, können wir das verwenden. Ich werde sie ohnehin erst mal zur Rede stellen und sie fragen, wieso sie nie was erwähnt haben und dann werde ich sie bitten, mir Kopien zu machen. Chase kann kleine Clips daraus basteln, vielleicht sogar ganze Musikvideos, je nachdem wie wir uns anstellen. Allerdings müssen wir Coleman im Auge behalten. Ich habe ihn angepfiffen weil er kaum da ist, ich glaube zwar kaum, dass sich daran jetzt viel ändert, weil er offensichtlich Familie hat, was ich mir irgendwie nur schwer vorstellen kann, aber vorsichtig sollten wir trotzdem sein.“

„Du hast recht, das ist wirklich alles ziemlich verstörend.“

Ich zuckte mit den Schultern und und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.

„Wir sind noch schlimmer.“

„Schon, aber mit uns kann ich umgehen. Er ist einfach nur...“

Sie beendete den Satz nicht und zog stattdessen ein Gesicht, bei dem ich nur noch lachen konnte. Erst von einem lauten Räuspern wurde ich unterbrochen. Coleman stand in der Tür und schien auf uns zu warten.

„Können wir dann?“

 

 

 

 

 

Wenn Ella nicht gewesen wäre, wäre ich wahrscheinlich an einem Panikanfall zu Grunde gegangen oder wäre mit fliegenden Fahnen hinein gestürzt, um zu retten, was noch zu retten war. Als der größte Vollidiot, den das Universum je gesehen hatte, dann endlich den Anstand hatte, mich aufzuklären, hätte ich ihm am liebsten den Hals umgedreht und gleichzeitig an Ort und Stelle auf dem Fußboden durchgevögelt. Ich überlegte, ob ich das nicht doch noch tun sollte, sobald wir zu Hause waren.

Erstmal mussten wir aber die Proben hinter uns bringen. Frank blieb ausnahmsweise mal etwas länger als seine obligatorischen fünf Minuten, verschwand aber doch wieder recht schnell. Ich war auch froh darüber, weil ich mich in seiner Nähe genauso unwohl fühlte, wie es anfangs mit Anus – ich schauderte beim Gedanken an die Kackbratze – gewesen war.

Außerdem konnte ich mich so zwischendurch ganz der Aufgabe widmen, Dan zu beobachten. Wenn er Musik machte, ging er ganz in seinem Element auf. Ich konnte durchaus verstehen, dass er unheimlich viele weibliche Fans hatte, nicht, dass ich zugelassen hätte, dass eine von ihnen ihn auch nur mit ihrem kleinem Schlampenfinger anfasste.

Er hatte dann dieses innere Strahlen, von dem viele Menschen sprachen, das einfach die Aufmerksamkeit aller fesselte, die in seiner Nähe waren. Seine Stimme hallte tief in meiner Seele wider und ich konnte es kaum fassen, dass er tatsächlich mir gehörte. Ich hatte mich entschieden. Ich würde niemals jemand anderen wie Dan finden und wenn ihm etwas zustieße, würde ich das nicht verkraften. Der süße Kerl mit dem beschissenen Image, den ich die letzten drei Jahre immerzu angegiftet hatte, weil er mich nicht sehen und niemandem sein wahres Ich enthüllen wollte, war zu meinem Leben geworden. In einer erschreckend kuren Zeit. Aber meine Entscheidung war gefallen. Für mich gab es nur Dan und keinen anderen.

„Willst du ihm nicht gleich die Kleider vom Leib reißen und vernaschen, bevor du das Equipment voll sabberst?“, fragte Ella mich neckend und stieß mich mit der Schulter an, als wir eine kurze Pause machten.

„Ich weiß nicht, wovon du sprichst“, erwiderte ich gespielt ahnungslos, auch wenn meine Augen Dan niemals verließen. Einmal sah er zu mir herüber und lächelte mich an, was ich erwiderte, bevor er sein Gespräch mit Eric fortsetzte.

„Ach komm schon! Sogar ein Blinder mit Krückstock würde sehen, dass du ihn am liebsten einfach auffressen würdest.“ Ich ignorierte Ella's Stichelei, was sie als Aufforderung sah, um weiter zu machen.

„Lenne liebt Dan, Lenne liebt Dan“, sang sie mehr als laut vor sich hin, was besagten Dan breit grinsen ließ. Ich hingegen zog eine Schnute und schubste Ella mit der Schulter, die im Gegenzug zurück schubste. Das konnte ich natürlich nicht auf mir sitzen lassen und das ganze Artete in den Schulterschubskrieg des Jahrhunderts aus, bis wir mit unseren Wasserflaschen da standen, die Beine in den Boden stemmten und versuchten, die jeweils andere um zu schmeißen.

Letztlich mussten Dan und Eric uns trennen, damit wir mit den Proben weitermachen konnten, während Floid sich einen Ast lachte und Bob nur den Kopf schüttelte. So ging der Tag mit viel Blödelei herum, wobei ich es mir nicht nehmen ließ, eine Knutscherei mit Dan anzufangen, wann immer er seine Deckung vernachlässigte. Dann mussten wiederum Ella und Eric einschreiten. Mir entging auch nicht, dass die beiden sich seltsam verhielten. Eric konnte sie kaum ansehen und Ella versuchte immer, ihn zu taxieren. Ich war gespannt darauf, worauf die Sache hinauslaufen würde.

Am Ende des Tages waren meine Finger wund gespielt und ich war rundum glücklich. Ich fühlte mich tatsächlich wirklich gut, auch wenn mir in Gedanken immer vorschwebte, dass ich demnächst noch zum Frauenarzt musste, um mir die Pille verschreiben zu lassen. So sehr ich meinen Freund auch liebte, noch war es nicht Zeit, kleine Dans und Lennes in die Welt zu setzen.

Statt direkt nach Hause zu gehen, warteten wir alle draußen vor der Tür und lauerten Floid und Bob auf, die verwundert drein schauten, als wir sie abfingen. Sie ahnten, dass etwas im Busch war, so wie wir herumzappelten.

„Hey, Leute. Solltet ihr nicht auf dem Heimweg sein?“, fragte Floid sichtlich nervös.

„Sollten wir wohl, aber wir haben noch eine Kleinigkeit mit euch zu besprechen.“

„Oh. Okay, um was geht es denn?“

„Die Frage, warum ihr Überwachungstapes an Coleman weiterreicht.“

„Ich habs geahnt“, brummte Bob missmutig, während Floid nervös lachte und ziemlich bleich wurde.

„Ähm, also ich weiß nicht...“

„Verarsch uns nicht“, sagte ich leise, was ihn augenblicklich grün anlaufen ließ.

„Schatz, guck ihn doch bitte nicht mit diesem Psychoblick an, sonst muss er sich noch übergeben“, bat Dan mich.

„Was für ein Psychoblick?“

„Ach, nicht so wichtig.“

„Was für ein Psychoblick?“ Doch er ignorierte die Frage und wandte sich wieder an die beiden Tontechniker. Bob seufzte resigniert.

„Verschluck dich nicht, Kleiner“, sagte er zu Floid, bevor er seine volle Aufmerksamkeit Dan schenkte. „Du weißt, dass Coleman ein mieses Aas ist, das einem das Leben zur Hölle machen kann. Wir haben das vermieden, indem wir ihm diesen kleinen Gefallen getan haben.“

„Und wo hat er die Kameras überall installiert?“

„Im Probenraum in verschiedenen Ecken, sodass jeder von euch gut zu sehen ist und auch im Vorraum, wo wir sitzen.“

„Moment, heißt das, dass man Anus' Übergriff auf Lenne auf den Tapes sehen kann?“

„Geh ich mal von aus“, brummte Bob. „Und bevor du fragst, ja, wir können euch ein paar Abzüge zukommen lassen. Das ist es doch, was du willst?“

„Ich sehe, wir sprechen die gleiche Sprache.“

„Du kriegst sie morgen Abend, aber pass um Himmels Willen auf, dass Coleman das nicht spitz bekommt. Ich will ihn ungern töten müssen, um meine Ruhe zu haben.“

„Klar.“ Damit war die Sache im großen und ganzen geregelt, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob die zwei uns nicht bei Frank verpfeifen würden. In dem Punkt würden wir ihnen wohl vertrauen müssen.

Zu viert verließen wir das Firmengebäude. Stan wartete draußen bereits auf uns.

„Wenn man die Aktion des Anus auf den Tapes sehen kann, wieso hat Frank dann nichts unternommen?“, fragte Ella, während wir uns vor dem Gebäude noch unterhielten. Dan zuckte mit den Schultern.

„Ich kann mir nur vorstellen, dass der Penner uns wirklich eine Lektion erteilen wollte. Wenn das aber der Fall ist, wird er seinen Lebtag nicht mehr froh werden.“ Ich konnte das Glühen in Dans Augen sehen. Dieses Glühen, dass Gewalt versprach. Einerseits wollte ich nicht, dass er eine Dummheit beging, andererseits fühlte ich mich geschmeichelt. Diese ganze Wut war wegen mir. Er war wegen mir aufgewühlt und er würde mich beschützen und wenn es das Letzte war, was er tat. Ich konnte nicht glücklicher sein, umso wichtiger wurde es mir, es ihm zu vergelten und ihn wissen zu lassen, wie sehr ich ihn im Gegenzug liebte.

„Na gut, kümmern wir uns morgen oder so darum, ich bin müde und habe Hunger“, erwiderte Ella nur und schleifte Eric hinter sich her, als sie davon ging und uns zum Abschied zu winkte. Warum Coleman den beiden keine Fahrgelegenheit spendierte, war mir ein Rätsel, da die Band ohne die beiden nicht funktionierte, aber okay. Er war ein Arsch. Das erklärte vieles.

„Was für ein Psychoblick?“, fragte ich Dan noch einmal, während er mich in den Wagen schob. Er lachte nur, schüttelte den Kopf und küsste mich, als wäre ich das Süßeste, was er je gesehen hatte.

 

Zuhause warf ich mich erst einmal auf die Couch, während Dan die Tiersitterin heimschickte. Ich lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Möbelstück und rührte mich keinen Millimeter. Das hieß, bis Dan mir einen ordentlichen Klapps mit der flachen Hand auf den Po gab und ich quietschend aufschreckte.

„Du bist so ein Arsch!“

„Ich liebe dich auch, Schatz“, lachte er, während er meine Beine anhob, sich auf den frei gewordenen Platz setzte und meine Beine dann in seinem Schoß wieder absetzte.

„Meinst du wir können die Tatsache, dass Frank trotz der Tapes nichts unternommen hat, dazu nutzen, um ihn später loszuwerden?“, fragte ich nach einer Weile, in der wir einvernehmlich geschwiegen hatten.

„Ganz bestimmt. Und es wird mir ein Vergnügen sein, ihm mal richtig eins rein zu würgen.“

„Mach nur keine Dummheit dabei. Ich brauche dich.“ Den letzten Satz nuschelte ich so leise in das Sofakissen, dass er kaum verständlich sein musste, aber Dan hörte immer ganz genau hin.

„Mach dir keine Sorgen, ich kriege das schon hin. Es wird alles gut.“ Ich seufzte.

„Das sagst du immer und aus irgendeinem Grund, glaube ich dir das jedes Mal.“

„Ich bin einfach überragend.“

„Klar.“ Abrupt rappelte ich mich auf und setzte mich rittlings auf seinen Schoß, bevor er auch nur reagieren konnte.

„Du hast schon wieder diesen Psychoblick auf, Lenne.“

„Ach ja? Gut. Ich habe nämlich nicht vergessen, dass du mir heute einen Riesenschreck eingejagt hast.“

„Komm schon, bist du deswegen etwa immer noch sau-“ Weiter kam er nicht, da mein Mund und meine Zunge ihn daran hinderten auch nur ein weiteres Wort von sich zu geben. Er war erst stocksteif und sichtlich verwundert, bevor er sich entspannte, aber damit würde er bei mir nicht durchkommen. Daher biss ich ihn fest in die Zunge, sodass er sich von mir losriss.

„Au! Spinnst du?“

„Glaub mir, Hase, du wirst es noch bereuen, mir so eine Panik eingeflößt zu haben, wenn ich mit dir fertig bin.“

„Äh-“ Mehr ließ ich ihn nicht sagen, bevor ich ihn wider hart küsste und unsere Lenden aneinander drückte. Wenn ich ihn schon nicht windelweich prügeln würde, würde ich eben dafür sorgen, dass er eine Weile nicht mehr heiß duschen konnte.

 

 

„Hast du schon darüber nachgedacht, wann wir am Wochenende zu deiner Familie fahren?“, fragte ich viel später, als es bereits stockfinster war und Dan neben mir im Bett auf dem Bauch lag. Es war ein Wunder, dass wir es bis dorthin geschafft hatten.

„Du lässt einfach nicht locker.“

„Ich bin wie ein fieser Pitbull, der sich in deinen Eiern verbeißt, wenn du nicht aufpasst.“ Daraufhin lachte er lauthals.

„Nein, ich habe noch nicht darüber nachgedacht“, antwortete er, als er sich wieder eingekriegt hatte. Dann zischte er durch die Zähne, als er sich auf die Seite drehte, um mich besser ansehen zu können.

„Musstest du mir den Rücken dermaßen blutig kratzen? Ich dachte, du kannst kein Blut sehen!“

„Kann ich auch nicht und ich hab ja auch nicht hingeguckt. Ich war zureichend abgelenkt.“

„Du hast es aber noch an den Fingernägeln kleben.“

„Die muss ich ja nicht anschauen, bis sie abgewaschen sind. Und hör auf, das Thema zu wechseln.“ Resigniert seufzte Dan.

„Ich will da nur so wenig Zeit wie möglich verbringen. Das beste wird sein, so früh wie möglich los zu fahren, damit wir am Abend oder früh in der Nacht wieder hier sind. Das wird zwar ziemlich knapp, weil wir nur den Sonntag frei haben, aber etwas anders bleibt uns ja nicht übrig. Auch wenn ich am liebsten überhaupt nicht hinfahren würde.“ Beim letzten Satz warf er mir einen vorwurfsvollen Blick zu, den ich mit einem traurigen Lächeln erwiderte.

„Sei mir nicht böse. Es reicht, dass ich eine wirklich beschissene Familie hatte. Ich möchte lediglich, dass wenigstens du etwas Gutes aus deiner mitnehmen kannst. Ich liebe dich.“

„Das weiß ich doch“, antwortete er sanft mit seinem Dan-Blick, beugte sich zu mir herab und küsste mich, was ich glücklich erwiderte. Was ich ihm nicht sagte, war, dass ich ihm nicht immer den Rückhalt würde geben können, den er brauchte. Es würde Zeiten geben, da Chase oder sein Bruder dafür besser geeignet sein würden und ich wollte ihm diese Möglichkeiten nicht verwehren. Ich wollte ihn in jeder Hinsicht glücklich wissen und manchmal bedeutete das, Dinge zu tun, die einem unangenehm waren. Aber er musste es ja nicht allein tun. Ich würde bei ihm sein, solange er mich brauchte und wollte. Und sollte er jemals meiner überdrüssig werden, würde ich ihn dennoch nicht loslassen. Das konnte ich jetzt gar nicht mehr. Dan war mein Leben.

 

In dieser Nacht schlich ich nach Wochen wieder in mein Atelier. Dan schlief tief und fest, aber irgendwie war ich ruhelos. Man könnte meinen, ich würde die Idylle genießen, doch ich war aufgekratzt.

Die Bilder, die unverändert dort standen, verursachten mir leichte Übelkeit, aber ich konnte sie nun mit etwas mehr emotionalem Abstand betrachten. Nicht mehr lange und ich würde die Mistdinger alle miteinander verbrennen.

Achtlos sammelte ich die Teile auf und warf sie in einer Ecke zu Boden, wo sie völlig durcheinander liegen blieben. Dann stellte ich die Staffeleien auf, platzierte eine leere Leinwand auf einer und mischte die Farbe an. Ich hatte keine Lust gehabt, meinen Kittel zu holen, also stand ich hier in einem von Dans großen Shirts. Ich hoffte, dass er es nicht vermissen würde. Es sah schon ein wenig abgegriffen aus, auch wenn es noch intensiv nach ihm roch. Sein Duft beruhigte mich einfach immer ungemein.

Ohne mit Kohle vor zu zeichnen, begann ich im Dunkeln ein Bild zu malen. Dabei war mein Kopf wie leer gefegt und der Pinsel bewegte sich wie von selbst über die Leinwand. Es war ein einfaches Bild mit wenigen, aber aussagekräftigen Farben. Es war sicher nicht akkurat und das sollte es auch gar nicht sein. Während ich es malte, fühlte ich mich innerlich leer, bis auf den kleinen Funken unbändiger Wut, die tief drinnen brodelte.

Die Leinwand füllte sich, während meine Hände und Unterarme immer mehr Farbflecken bekamen. Erstaunlicherweise kleckerte ich kaum auf das T-Shirt, das ich trug. Keine Ahnung, wie lange ich da im Dunkeln rumstand, aber das Bild war sehr spartanisch gehalten, weshalb ich es schnell vollendet hatte. Auch wenn es bloß halbfertig aussah. Aber es sollte weder die Realität wiedergeben, noch wollte ich noch mehr Kräfte daran verschwenden.

Als ich den Pinsel dann endlich zur Seite legte, griff ich die Palette fester und knallte sie Frontal auf Anus' Höllenfratze, die mir in einem Meer aus verlaufenem Feuer entgegen grinste. Nachdem die Palette mit einem Knall zu Boden gefallen war, schnappte ich mir den Farbspachtel und ließ dem Brennen in meiner Magengrube freien lauf.

Ähnlich wie ich es mit Tessas Bild getan hatte, schlitzte ich die verdammte Leinwand mit seiner Fresse kreuz und quer auf, klatschte immer wieder rote Farbe darauf und schlitze weiter, bis der Bespann völlig ruiniert war und im Rahmen komplett durchhing.

Dann schnappte ich mir das Scheißding und feuerte es in die Ecke zu Tessas zerschlitzter Fratze. Ich fühlte mich nicht unbedingt sehr viel besser, aber ich war jetzt ruhiger. Am liebsten hätte ich die Prozedur zwar mit Anus persönlich gemacht, aber ich wollte auf gar keinen Fall wieder in die Nähe dieses schmierigen Schweins. Er sollte nur in der Hölle verrecken!

Nachdem ich auch den Spachtel achtlos auf den Boden geworfen hatte, ging ich ins Bad und wusch mir die Hände und Unterarme gründlich ab. Dann tapste ich zurück ins Schlafzimmer, wo Dan noch immer seelenruhig schlief. Ich zog sein Shirt aus, schlüpfte zu ihm unter die Decke und drückte mich an seinen warmen, festen Körper. Sofort regte er sich und legte mir im Schlaf den Arm um die Taille und zog mich dicht an sich.

Tief atmete ich seinen Geruch ein und entspannte mich. Hier war ich sicher. Hier würde ich immer sicher sein. Ich hatte in Dans Armen endlich ein Zuhause gefunden. Mit diesem wunderbaren Gedanken und einem Lächeln auf den Lippen, schlief ich ein.

32

 Bevor wir am Morgen zum Studio gefahren waren, hatte ich mit Chase telefoniert. Er war nicht so begeistert davon, dass ich ihn geweckt hatte, aber ich hatte ihm gesagt, dass wir seine Hilfe brauchten und das er her kommen sollte, wenn er wollte, dass ich am Wochenende nach hause fuhr, um die Sache mit meinem Bruder zu regeln. Das hatte ihm gereicht und er hatte sich einverstanden erklärt. Auf dem Weg zum Studio hatte ich Lenne von meiner Idee erzählt und hatte vor dem Rest die Klappe gehalten, bis Chase am Nachmittag eingetrudelt war. Wie verabredet hatte er in unserer Pause vor dem Firmengebäude gestanden und ich war mit Lenne, Eric und Ella raus gegangen, weil ich nicht wollte, dass er auf irgendwelchen Videos auftauchte, die Coleman vielleicht irgendwann mal zu sehen bekam.

„Eric, Ella, das ist Chase. Er ist ein Freund von mir und er hat sich bereit erklärt uns zu helfen.“

Bevor ich ihnen erklären konnte, wobei, schaltete Lenne sich ein.

„Die beiden sind best Buddies, die wissen Dinge übereinander, das ist total scary. Ich wüsste ehrlich gesagt immer noch gerne, wieso er deine-“

Ich hielt ihr den Mund zu, weil ich wusste, was sie sagen würde. Um uns allen das ganze zu ersparen raunte ich ihr ins Ohr, dass das hier nicht der richtige Moment dafür war und ließ sie erst wieder los, als sie zustimmend nickte, wobei sie es sich nehmen ließ, mir vorher noch mit der Zunge durch meine Handfläche zu lecken. Sobald ich die Hand von ihrem Mund nahm, streckte sie mir die Zunge raus.

„Spielverderber.“

Ich gab ihr einen kurzen Kuss und zog sie dann an meine Seite, bevor ich mich wieder an die anderen wandte.

„Ich weiß. Also, was ich eigentlich sagen wollte. Er übernimmt den Aufbau und die Wartung unserer Seite im Internet. Er kümmert sich darum, dass alles aktuell bleibt und er kümmert sich um Werbung. Ich werde ihm das Filmmaterial und die Tonspuren geben, die wir von Floid bekommen haben und er sieht, was er daraus machen kann, außerdem kümmert er sich darum, dass wir morgen früher abhauen können. Ich muss nach hause und da etwas regeln, und der Sonntag alleine ist dafür eindeutig zu kurz. Deswegen kommen wir alle morgen ganz normal hier her und wenn Frank weg ist, machen wir Feierabend. Ich weiß, dass ist alles etwas kurzfristig, aber ich denke, ein freier Samstag tut euch auch gut.“

Auf meine Anspielung Eric und Ella gegenüber erntete ich nicht zu deutende Blicke und Chase lachte nur darüber. Eric war derjenige, der das ganze schnell abgeschüttelt zu haben schien und dann seine Bedenken äußerte.

„Alles schön und gut, aber wie will er das machen, ohne erwischt zu werden? Kann man das nicht alles zurück verfolgen?“

„Kleiner, ich mache das beruflich und privat. Ich bin gelernter Grafikdesigner und ich schreib dir Programme für alles mögliche. Den Code auf einem Video zu ändern ist nicht schwer und Anonym eine Homepage im Internet zu erstellen genauso wenig. Klar lässt sich alles irgendwie mit dem gewissen Zeitaufwand zurückverfolgen, aber bis die das geschafft haben, seid ihr schon längst von hier weg.“

„Und du weißt, was du da tust?“

„Du hörst mir nicht zu, Zappelphilipp. Ich hab Grafik- und Kommunikationsdesign studiert und den Master dazu gemacht. Wenn ich keine Ahnung davon habe, dann hat sie niemand.“

Damit das ganze nicht ausartete, was es tun würde, wenn Chase sich weiterhin in Frage gestellt sah, ging ich dazwischen.

„Vertrau mir Eric, er weiß was er tut. Seine Arbeitszeiten macht er sich zwar selber, was allen beteiligten nicht unbedingt zugute kommt, aber wenn ich die Sache jemandem anvertraue, dann ihm.“

„Das bedeutet mir sehr viel mein Freund.“

Theatralisch legte Chase mir die Hand auf die Schulter und ich konnte Lenne an meiner Seite seufzen hören. Ich wusste, dass sie jetzt schon froh war, wenn das Wochenende vorbei war. Dass Chase die Nacht über bei uns bleiben würde und uns morgen bei sich schlafen ließ, war ihr heute Morgen schon zuwider gewesen, aber ich hatte sie davon überzeugen können, dass es für einen guten Zweck war, also hatte sie widerwillig eingewilligt.

„Okay, ich brauche das Bild, das ihr widerspiegeln wollt. Das Dan und Lenne sich nicht auseinander reißen lassen, ist klar. Wie steht's bei euch? Stellen wir euch auch als Paar dar, oder seid ihr unentschlossen, oder wie soll es laufen? Erzählt mir was.“

Eric und Ella vermieden es auf diese Frage strickt, sich anzusehen. Während Eric wieder etwas wie Schnappatmung entwickelte, lief Ella zum ersten mal, seit ich sie kannte, rot an. Es war ein ziemlich absurder Anblick, wenn man bedachte, wie sie eigentlich miteinander umgingen und irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass wir da gestern ziemlich was los getreten hatten.

Als keiner der beiden etwas sagte, seufzte Chase und schüttelte unwillig den Kopf.

„Den beiden muss ich nicht ernsthaft auch auf die Sprünge helfen, oder?“

„Nein, lass die beiden das mal unter sich regeln Doktor Sommer.“

Um meine Worte zu untermalen kramte ich meine Schlüsselkarte sowie den Bund mit Speichersticks aus meiner Hosentasche und drückte sie Chase in die Hand.

„Wenn du schon mal anfangen willst, kannst du zu uns fahren. Wir kommen später alle nach, um ein paar Fotos zu machen, die du verwenden kannst. In der Zwischenzeit kannst du ja mit Ben raus gehen, die Sitterin kannst du nach hause schicken.“

„Ich dachte, ich soll für dich arbeiten und mich nicht um euren Hund kümmern.“

„Du arbeitest nicht für mich, das würde beinhalten, dass ich dich dafür bezahle. Du hilfst uns allenfalls.“

Mit schmalen Augen bedachte Chase mich und zuckte dann mit den Schultern.

„Was auch immer. Ich mach die Aufnahmen für morgen fertig und sehe mal, was ich hiervon benutzen kann. Zusammen mit dem, was ich bei eurem Gig aufgenommen habe, kommt bestimmt einiges zusammen, das man verwenden kann.“

Bei den Worten schien Ella aus ihrer Starre zu erwachen, zumindest sah sie Chase ungläubig an.

„Du hast uns bei unserem Gig aufgenommen?“

„Sicher und ihr wart richtig gut. Es wundert mich allerdings, dass euer Manager nichts dergleichen getan zu haben scheint. Jeder vernünftige Mensch hätte etwas aus den Aufnahmen gemacht, aber er hat wirklich nichts davon verwendet, oder zumindest habe ich nichts gefunden. Er hat das nicht mal auf die Firmenseite hochgeladen.“

„Auf die Firmenseite? Da hast du doch überhaupt keinen Zugriff drauf, oder?“

Ich schüttelte den Kopf und bedeutete Ella, besser nicht danach zu fragen.

„Glaub mir Ella, frag da besser nicht zu genau nach. Sagen wir einfach so viel: Chase hat auf alles Zugriff, wenn es nicht ausreichend gesichert ist, mehr brauchst du nicht zu wissen.“

Als ihr die Tragweite dessen bewusst wurde, starrte sie Chase an, woraufhin dieser grinste und mit den Augenbrauen wackelte.

„Mann tut, was Mann kann.“

Mir entging nicht, dass Chase Ella bei seinen Worten mehr als offen musterte. Eric entging das ebenso wenig und es schien ihm nicht zu gefallen, so wie er sich Chase ins Blickfeld stellte. Ich schüttelte darauf nur seufzend den Kopf und wandte mich an Lenne, die sich vollkommen heraus zu halten schien.

„Er tut es schon wieder. Ich verstehe nicht, wie er so viele Leute miteinander verkuppeln kann, aber selbst keine Frau findet.“

„Ganz ehrlich, ich verstehe nicht, wieso du ihn überhaupt leiden kannst. Er ist unausstehlich.“

„Das frage ich mich selber ziemlich oft und ich hab bis heute keine Antwort darauf gefunden. Muss wohl dran liegen, dass ich sie selbst nicht alle habe.“

„Ja, daran muss es liegen.“

Als ich Lenne gespielt bestürzt ansah, grinste sie mich an und ich merkte, dass sie schon die Flucht antreten wollte, was ich verhinderte, indem ich die Arme von hinten um sie schlang und sie festhielt, grade als sie loslaufen wollte. Sie quiekte und beinahe hätten wir uns lang gemacht, wobei wir uns im letzten Moment noch fingen. Ich presste die Lippen auf ihren Hals und fing dann an, ihr die Flanken zu kitzeln, woraufhin sie nur noch mehr zappelte, aber ich ließ ihr keine Chance zu entkommen. Erst die anderen hielten mich davon ab, vollkommen in dieser kleinen Kabbelei zu versinken und alles um mich herum zu vergessen. Wobei ich auf Chase's wissendes Grinsen hätte verzichten können.

„Na gut, ich mache mich dann mal an die Arbeit und das solltet ihr vielleicht auch tun, bevor man euch vermisst.“

Mit Lenne im Arm warf ich einen Blick auf mein Handy und zuckte dann gleichgültig die Schultern.

„Floid und Bob sind vermutlich froh, wenn die Pausen mal länger dauern, als nur ein paar Minuten, aber ich will dich nicht weiter aufhalten. Wir sehen uns also später bei uns.“

„Alles klar, dann bis später.“

Chase winkte kurz und verschwand dann. Wie immer war es Ella, die ihren Senf dazu abgab.

„Er ist komisch. Ich weiß nicht, was ich von ihm halten soll.“

„Chase ist ein guter Kerl, man muss nur mit ihm warm werden. Lenne hat das auch noch nicht ganz geschafft, aber die Chancen stehen gut, denke ich.“

Besagte drehte sich in meinen Armen zu mir um und funkelte mich an, während ich grinste und sie dann küsste, bis Ella sie mir schließlich beinahe aus den Armen riss.

„Und ihr seid furchtbar schlimm in den letzten Tagen!“

Sowohl Lenne als auch ich protestierten, ließen es aber dann schweigend über uns ergehen und folgten Ella zurück ins Gebäude, wobei ich Lenne beim rein gehen wieder an meine Seite zog.

 

 

 

Die restlichen Stunden waren ziemlich anstrengend. Während Lenne und ich zeitweise alleine in der Kabine standen und uns gegenseitig ergänzten, hingen Eric und Ella im Vorraum und schienen sich nicht einig werden zu können. Die ganze Zeit über diskutierten sie hin und her und ich befürchtete fast, dass sie uns verraten könnten, aber selbst während sie sich zofften, kurvten sie geschickt mit den Worten herum und ließen nicht eins darüber fallen, worum es denn nun eigentlich ging. Was mich störte war, dass wir jedes mal dazwischen gehen und sie in die Kabine holen mussten, damit sie sich abreagieren konnten, allerdings wirkte sich das erheblich auf das Gesamtergebnis aus. Als ich die beiden dann irgendwann beinahe anging, weil sie sich schon wieder in den Haaren lagen, musste Lenne einschreiten. Mit dem Kommentar, dass wir uns einfach die Köpfe frei spielen sollten stimmte ich ihr schließlich zu, was auch die anderen beiden zur Vernunft zu rufen schien. Zumindest für ein paar Minuten. Länger schienen sie es nicht aus zu halten und danach ging das ganze von vorne los. Als sie dieses mal die Kabine verließen seufzte ich nur und setzte mich mit Lenne auf dem Schoß hinters Keyboard. Ich wartete einen Moment, in der Hoffnung, dass die beiden sich wieder einkriegen würden, aber ich sah durch die Scheibe, dass Ella schon wieder los legte und Floid erschöpft den Kopf in den Nacken fallen ließ. Ich seufzte erneut und griff dann um Lenne herum, um an die Tasten zu kommen und spielte die ersten Töne von einem Song, den ich schon so oft nachgespielt hatte, dass ich ihn sogar im Schlaf hätte spielen können, bis ich schließlich so darin vertieft war, dass ich alles andere um mich herum vergaß und die ersten Zeilen anstimmte.

 

 

I need another Story

Something to get off my chest

My life gets kind of boring

Need something that I can confess

 

'Til all my sleeves are stained red

From all the truth that I've said

Come by it honestly I swear

Thought you saw me wink, no

I've been on the brink, so

 

Tell me what you want to hear

Something that will light those ears

I'm sick of all the insincere

So I'm gonna give all my secrets away

This time

Don't need another perfect line

Don't care if critics ever jump the line

I'm gonna give all my secrets away”

 

 

Ich ging voll darin auf, die Finger über die Tasten tanzen zu lassen und ich war vollends davon ausgegangen, dass Lenne den Song aufgreifen und die nächste Strophe anstimmen würde, so wie sie den Takt mit dem Fuß wippte, aber als ich verstummte ließ sie mich ein paar Töne weiterspielen und stimmte dann einen anderen Text an. Dass ich vollkommen nahtlos mein Spiel anpasste überraschte mich selbst ein wenig, ließ mich aber davon nicht aus der Ruhe bringen.

 

 

Maybe I know, somewhere deep in my soul

That love never lasts

And we've got to find other ways to make it alone

Or keep a straight face

 

And I've always lived like this

Keeping a comfortable distance

And up until now I had sworn to myself

that I'm content with loneliness

Because none of it was ever worth the risk

 

But you are the only exception

You are the only exception

You are the only exception

You are the only exception”

 

 

Ich ließ ihren letzten Satz verklingen und spielte ihre Takte einen Moment weiter. Dass sie ausgerechnet diesen Text sang, griff bei mir ziemlich tief und die Tatsache, dass sie es ernst meinte ließ diese Wärme in mir aufkommen, die mir sagte, dass ich nicht mehr alleine sein würde. Bevor sie jedoch ihre nächste Strophe singen konnte, schwenkte ich wieder um.

 

 

My God, amazing how we got this far

It's like we're chasing all those stars

Who's driving shiny big black cars

 

And everyday I see the news

All the problems that we could solve

And when a situation rises

Just write it into an album

Seen it straight to gold

But I don't really like my flow, no, so”

 

 

I've got a tight grip on reality

But I can't let go of what's in front of me here

I know you're leaving in the morning when you wake up

Leave me with some kind of proof, it's not a dream, oh”

 

 

Tell me what you want to hear

Something that will light those ears”

 

 

But you are the only exception”

 

 

I'm sick of all the insincere

So I'm gonna give all my secrets away”

 

 

You are, the only exception”

 

 

This time

Don't need another perfect line”

 

 

You are the only exception”

 

 

Don't care if critics ever jump in line

I'm gonna give all my secrets away”

 

 

You are the only exception”

 

 

Got no reason

Got no shame”

 

 

You are the only exception”

 

 

Got no family I can blame”

 

 

You are the only exception”

 

 

Just don't let me disappear”

 

 

You are the only exception”

 

 

I'mma tell you everything”

 

 

And I'm on my way to believing”

 

 

I'm gonna give all my secrets away”

 

 

Oh, and I'm on my way to believing”

 

 

Ich ließ das außerplanmäßige Mashup in einem langen Outro enden, dass beide Songs gleichzeitig heraushören ließ und doch ganz anders klang. Die Töne hallten noch in meinem Kopf wieder, als ich schon die Arme um Lenne geschlungen und den Kopf an ihre Schulter gelehnt hatte. Dieses Gefühl der Ruhe und Vollkommenheit hätte meinetwegen ewig anhalten können, aber das sollte es nicht, denn Ella kam herein und brüllte gleichzeitig in den Vorraum zurück.

„Floid, sag mir bitte, dass ihr das mitgeschnitten habt, sonst flippe ich aus.“

Seine Antwort hörte ich schon nicht mehr, da ich die Augen schloss und alles andere ausblendete. Wenn man sich seinen Tod aussuchen konnte, wäre ich am liebsten jetzt gestorben, denn es hätte keinen besseren Moment geben können als diesen. Ich fühlte mich leer, aber gleichzeitig voll ausgefüllt und wie konnte man besser sterben als vollkommen mit sich im reinen und mit dem in Händen haltend, das einem am meisten bedeutete?

Ich fühlte mich wieder wie ein kleiner Junge, so wie Lenne mir gedankenverloren immer wieder mit der Hand durch die Haare strich. Zeit hatte für mich keine Bedeutung mehr, ich war alleine mit Lenne in meiner eigenen kleinen Welt. Zumindest bis Ella sich wieder in mein Bewusstsein drängte.

„Die zwei sind vollkommen weggetreten.“

„Komm schon Ella, lass die beiden in Ruhe.“

„Willst du sie einfach so da sitzen lassen? Irgendwann müssen sie doch wieder auf die Erde zurück kommen. Außerdem müssen wir so langsam mal weiter machen.“

„Wenn ihr zwei euch nicht endlich einkriegt, mache ich überhaupt nichts mehr mit euch.“

Da darauf nichts kam, öffnete ich die Augen und sah zu Ella rüber, die sichtlich geschockt schien und sie schien auch in nächster Zeit nicht aus diesem Zustand heraus zu kommen, also fuhr ich unbeirrt fort.

„Ich hab es echt bis oben stehen. Ich weiß, wir waren nicht anders, aber grade das ist es ja. Du kannst entweder ja oder nein sagen, ist eine ganz einfache Entscheidung, was gibt es da so lange zu diskutieren? Nimm ihn oder lass es sein Ella, aber mach hier keine riesen Szene, das können wir uns im Moment nicht leisten.“

„Du sagst das so einfach.“

„Wo liegt denn bitte das Problem? Ihr schmachtet euch schon wochenlang gegenseitig an, wenn der andere es nicht sieht und jetzt wo es raus ist, macht ihr einen mega Akt daraus.“

„Das ist eben nicht so einfach.“

„Was ist denn daran schwer, entweder ja oder nein.“

„Ich will ja, aber er ist jünger als ich.“

Und das war der Moment, als es aus Eric heraus brach. Normalerweise war er das ruhigste Gemüt von uns allen, aber jetzt schien sein Fass grade über zu laufen.

„Bitte? Das ist ein schlechter Witz, oder?! Du hast sie ja nicht alle?!“

„Tut mir Leid, dass mir das eben wichtig ist!“

„So was ist dir wichtig?! Das kann nicht dein ernst sein! Sieh dir die zwei an, zwischen denen liegen zwei Jahre und du machst dir wegen fünf Monaten in die Hose?!“

„Hör auf so zu schreien Eric!“

„Was sonst?! Außerdem bist du ja wohl kaum besser!“

Ich ließ die Stirn nur an Lenne's Schulter sinken.

„Bitte mach, dass sie aufhören.“

Gleich darauf stand Lenne auf, krallte die eine Hand in Ella's Haare und packte mit der anderen Eric im Nacken und schleifte die zwei unter Protest der beiden nach draußen in den Flur. Ich hörte nur, wie die Türe zu geschlagen wurde und dann kam Lenne schweigend wieder zu mir in die Kabine. Ich zog sie wieder auf meinen Schoß und legte das Kinn auf ihrer Schulter ab.

„Danke.“

„Keine Ursache.“

„Müssen wir uns jetzt einen neuen Schlagzeuger und eine neue Keyboarderin suchen?“

„Abwarten.“

Also warteten wir. Ziemlich lange. Als die beiden eine halbe Stunde später immer noch nicht wieder da waren, beschloss ich nach ihnen zu sehen. An der Türe zum Flur lauschte ich erst, in der Hoffnung vorab eine Info zu kriegen, wie es momentan stand, aber ich hörte keinen Mucks. Ob das nun gut oder schlecht war, wusste ich nicht, aber ich würde das ja jetzt heraus finden. Vorsichtig streckte ich den Kopf aus der Tür und zog die Brauen hoch. Von den beiden völlig unbeachtet zog ich den Kopf wieder rein und schloss die Türe. Lenne stand hinter mir und wartete auf eine Antwort, allerdings musste ich mich erst entsinnen, ob ich das wirklich gesehen hatte.

„Ich glaube, wir können Feierabend machen, die zwei kriegen wir heute ganz sicher nicht mehr zum spielen.“

Ungläubig drängte Lenne mich zur Seite, warf selbst einen Blick auf den Flur und sah dann genauso irritiert aus, wie ich mich fühlte.

„Glaubst du, wir sollten die beiden bremsen, bevor sie sich mitten auf dem Flur die Kleider vom Leib reißen?“

Ich hob die Hände und zog die Brauen hoch.

„Ich mische mich da jetzt ganz sicher nicht ein.“

„Feigling.“

Lenne grinste und ich fing sie ein und hielt sie fest, bevor sie weglaufen konnte.

„Ich weiß nur wie lästig es sein kann, wenn man gestört wird. Das hat nichts mit Feigheit zu tun.“

Ich strich ihr mit den Lippen über den Hals und geriet dann ins Lachen, als Floid sich einschaltete.

„Ihr fangt aber jetzt nicht auch noch an, oder? Ganz ehrlich, ich mag euch, euch alle, aber irgendwo hab ich auch meine Grenzen.“

„Keine Sorge, wir können uns beherrschen.“

„Gut. Was machen wir dann jetzt, wenn die zwei ausfallen?“

„Nach hause gehen? Wir hätten ohnehin nur noch eine gute Stunde.“

„Das ist eine gute Idee. Für die wir garantiert Ärger kriegen.“

„Ich bitte lieber um Vergebung, als um Erlaubnis.“

„Das ist natürlich auch eine Option.“

„Ich weiß und deswegen sind wir jetzt raus für heute.“

Also packten wir unsere Sachen und machten uns davon. Eric und Ella bemerkten nicht mal, wie wir an ihnen vorbei Richtung Ausgang gingen. Ich kannte dieses Gefühl nur zu gut. Wenn man alles um sich herum vergaß und den Dingen einfach ihren Lauf ließ. Ungünstig war es allerdings, wenn einem das in der Öffentlichkeit passierte. Na ja, die beiden würden schon merken, wie peinlich das werden konnte, wenn sie bemerkten, was sie taten. Mich interessierte da nur die Reaktionen, wenn ihnen aufging, dass wir das alles aus erster Hand mitbekommen hatten. Erst am Auto erlaubte ich es mir, wieder etwas dazu zu sagen, als ich Lenne die Tür aufhielt.

„Kannst du dir vorstellen, dass wir genauso schlimm sind?“

„Nein, wir sind nicht... Nein, das will ich mir gar nicht vorstellen.“

„Tja Schatz, willkommen in der Welt der Gefühle. Hier tust du Dinge, über die du im Nachhinein lieber nicht nachdenkst.“

Einen Moment blieb es still, dann piekte Lenne mich in die Seite.

„Das ist alles deine Schuld.“

Ich grinste.

„Ich weiß.“

Und ich wollte es auch gar nicht anders haben.

 

 

 

 

 

Chase fläzte sich auf der Couch mit seinem Notebook auf dem Schoß und hackte wie irre drauf ein und traktierte die Maus. Er schien uns gar nicht zu bemerken, als wir hereinkamen, also ließen wir ihm erst einmal seine Ruhe.

Ich hoffte nur, dass Eric und Ella ihre Beziehung in den Griff bekommen würden. Wenn ich darüber nachdachte, weshalb sie sich zunächst nicht zusammen raufen konnten, legte ich die Stirn in Falten. Das war im Vergleich zu Dans und meinen Differenzen ja die reinste Kinderkacke. Aber nur weil eine Verletzung weniger schlimm aussah, bedeutete es nicht, dass sie nicht ebenso sehr schmerzte. Besonders für emotionale Dinge galt das. Eine der wenigen Erkenntnisse, die ich in meinem Leben geschlossen hatte.

Ich begann Abendessen zu machen, nachdem ich noch einmal nach den Tieren gesehen hatte, während Dan Chase Gesellschaft leistete und die beiden noch ein paar Dinge wegen des Webauftritts besprachen. Da ich keine große Lust hatte, etwas Aufwändiges zu machen, obwohl es noch früh war, würden sich die Jungs mit Nudeln mit Soße zufrieden geben müssen. Ich ließ allerdings noch ein Baguette mit Kräuterbutter in Ofen aufbacken.

Das Essen nahmen wir dann gemeinsam im Wohnzimmer ein, wobei Dan und ich eng beieinander saßen, während Chase auf seiner anderen Seite saß und immer wieder von uns abrückte, wenn wir begannen, zu schmusen.

„Ich versuche hier zu essen!“, protestierte er zum etlichsten Mal, als wir wieder etwas zu freundlich miteinander wurden. Mir entgingen jedoch nicht die seltsamen Blicke, die Chase mir immer wieder zuwarf. Ich dachte mir jedoch nichts dabei, da ich wusste, dass er mich für irre hielt. Da konnte es schon mal vorkommen, dass er starrte, als hätte ich drei zusätzliche Köpfe.

Nachdem wir dann gemeinsam ab- und die Spüle eingeräumt hatten, saßen wir zusammen im Wohnzimmer, während Chase uns lang und breit erläuterte, wie er die Fotos brauchte, zu denen wir doch nicht mehr kommen würden, da Eric und Ella damit beschäftigt waren, übereinander herzufallen.

„Da wir davon ausgehen können, dass die zwei sich endlich eingekriegt haben, dachte ich mir, dass wir als großen Aufhänger verwenden können, dass die Band aus zwei Pärchen besteht. So was hat man nicht alle Tage und das ist etwas, wofür sich die Menschen begeistern können. Deshalb wollte ich auch mehrere Fotos mit aufnehmen, die euch vier klar in eurer Paarkonstellation zeigt.“ Ich überließ es Dan, sich mit Chase zu beraten, da ich davon nicht viel Ahnung hatte und meine Gedanken nie lange bei einem Thema blieben, wenn es mich nicht interessierte. Und es gab wirklich nur wenig, für das ich mich interessierte.

Erst die Hand, die wiederholt vor meinem Gesicht auf und ab glitt, riss mich wieder ins Hier und Jetzt. Verwirrt sah ich mich um und stellte fest, dass die Jungs mich anstarrten.

„Was? Ist was?“

„Nicht wirklich“, antwortete Dan, „du wirktest nur so weggetreten. Beschäftigt dich etwas?“

„Ehrlich gesagt... ja.“

„Du weißt, du kannst mit mir über alles reden.“ Ich kaute an meiner Unterlippe und sah ihn unschlüssig an. Er lächelte mir nur aufmunternd zu und drückte mich an seine Seite. Seufzend gab ich nach.

„Ich will nur wissen, woher Chase deine Kondomgröße kennt.“ Dan zog die Augenbrauen überrascht in die Höhe und dann seufzte er resigniert, während Chase in schallendes Gelächter ausbrach.

„Das beschäftigt dich wirklich, nicht wahr?“ Ich nickte, während mein Freund wieder nur seufzte und seinen Freund vollkommen ignorierte. „Ich verspreche dir, ich erzähle es dir irgendwann. Aber nicht, während der Idiot da dabei ist.“ Chase kugelte sich immer noch vor Lachen und es sah so aus, als würde er nicht sehr bald aufhören.

Zärtlich küsste ich Dan, machte mich von ihm los und stand auf. „Ich werde ein bisschen malen oder so, während dein Freund sich einen Ast lacht.“ Dann holte ich aus meinem Zimmer meinen Kittel und huschte in mein Atelier.

Nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, sah ich mich um. Es war eigentlich ein einziges Chaos, aber irgendwie fühlte ich mich trotzdem hier wohl, auch wenn ich meistens nur meine negativen Gefühle bisher verarbeitet hatte. Aber so war es nicht immer gewesen. Und ich wollte es auch hiermit offiziell ändern, indem ich wieder etwas wirklich Schönes zu Leinwand brachte.

Allerdings fiel mir auch auf, dass etwas nicht ganz in Ordnung war. Ich bildete mit ein, dass die Tür geschlossen gewesen war, nachdem ich das letzte Mal hinausgegangen war, statt nur angelehnt, aber ich konnte mich auch irren. So etwas mitten in der Nacht zu tun, konnte schon ganz schön verwirren. Aber die Bilder in der Ecke, die ich achtlos dort hingeworfen hatte, sahen auch aus, als wären sie bewegt worden. Oder ich war endgültig paranoid geworden.

Schulterzuckend machte ich die Utensilien bereit und begann, mit Kohle eine Skizze vorzuzeichnen. Wie immer hatte ich ein klares Bild vor Augen, wie es hinterher aussehen sollte. Und auf dieses Bild freute ich mich ganz besonders, denn es war ein Anblick, den Dan mir einmal geboten und der sich seitdem in mein Hirn gebrannt hatte. Ich wollte es festhalten, damit ich es niemals wieder vergaß.

Der Tag, an dem Dan das Kino verlassen und von dem grellen Licht geblendet worden war. Er hatte zum Himmel aufgesehen und seine Augen mit der Hand beschirmt. Es war ein unglaublicher Anblick gewesen, während ich hinter ihm gestanden hatte. Statt in einer Großstadt voller Hochhäuser stellte ich ihn mir jedoch auf einer weiten Wiese vor mit nichts als der Weite des Horizonts vor sich.

 

Als ich aus meinem Atelier kam, war Chase alleine im Wohnzimmer und ich auf dem Weg in die Küche. Ich hatte so unglaubliche Lust auf einen Kaffee.

„Wo ist Dan?“, fragte ich im Vorbeigehen.

„Dein Schatzihasi hat sich mit seiner Gitarre aufs Dach verzogen“, erwiderte er abwesend. Wieder sah er mich so seltsam an, dass ich nichts damit anfangen konnte.

In der Küche goss ich die alte Kanne aus, spülte sie und stellte sie wieder in ihre Halterung, um eine frische zu machen. Das würde nun ein bisschen dauern, darum setzte ich mich auf einen der Küchenhocker und starrte die Maschine an.

Da kam Chase schon angeschlendert und lehnte sich lässig an die Tresenkante neben mir. Ich wusste nicht, was er wollte und eigentlich interessiertere es mich auch nicht, daher ignorierte ich ihn. Mir war allerdings klar, dass er mich aus den Augenwinkel intensiv anstarrte. Keine Ahnung, wie Dan mit ihm befreundet sein konnte, aber langsam glaubte ich, dass mein Lover sich zu verschrobenen Idioten hingezogen fühlte. Immerhin war ich das beste Beispiel dafür und mit mir ging er ins Bett.

„Was ist?“, fragte ich irgendwann entnervt, weil ich wollte, dass er aufhörte, mich anzustarren.

„Weiß er es?“, fragte Chase kryptisch, aber mit ungewöhnlich ernstem Tonfall.

„Wer soll was wissen?“

„Weiß Dan, was deine Mutter getan hat?“ Plötzlich versteifte ich mich und drehte mich nur langsam zu ihm um. Ich versuchte, möglichst teilnahmslos zu wirken, aber ich hatte das Gefühl, dass Chase mir ansah, dass ich in diesem Moment unglaublich wütend und angespannt war.

„Was soll sie denn getan haben?“, fragte ich ihn im Gegenzug mit verengten Augen.

„Du brauchst keine Spielchen zu spielen. Ich habe die Zeitungsartikel und Polizeiakten gelesen.“ Das beruhigte mich kein bisschen.

„Ich dachte, du wärst Grafikdesigner. Wie solltest du an Polizeiakten kommen?“

„Sagen wir einfach, ich bin Grafikdesigner mit erweiterten Fähigkeiten.“

„Aha.“

„Beantwortest du noch heute meine Frage?“ Schweigend starrte ich Chase an, der mich unverwandt ansah. In seinen Augen lag ernsthaftes Interesse und ich wusste, dass es ihm nur um Dan ging. Dennoch gefiel es mir nicht, dass er einfach in meiner Vergangenheit gewühlt hatte. Dazu hatte er einfach kein Recht. Und dann auch noch mit gesetzeswidrigen Mitteln.

„Nein, er weiß es nicht. Er weiß nur, dass es etwas gibt, dass ich ihm nicht sage.“

„Du solltest es tun, bevor es eure Beziehung noch belastet.“

„Das sagst du so einfach. Ist dir vielleicht mal in den Sinn gekommen, dass ich mit der Sache noch nicht durch bin?“ Er zuckte nur mit den Schultern.

„Du warst jung, du gehst in die Therapie. Ich hatte angenommen, dass du damit umgehen kannst.“ Abfällig schnaubte ich.

„Wenn ich damit klar kommen würde, würde ich wohl kaum noch zur Therapie gehen! Keine Sorge, ich werde es ihm schon noch sagen. Aber nicht jetzt. Es gibt wichtigere Dinge als mich oder hast du etwas vergessen, wohin wir morgen fahren?“

„Das habe ich ganz sicher nicht vergessen, aber Dan hat ein Recht darauf, alles über den Mist zu erfahren. Immerhin weißt du auch alles über ihn und Tessa.“ Jetzt machte er mich langsam richtig sauer.

„Mag sein. Aber wir haben jetzt anderes zu tun, Wichtigeres, da sollte er sich nicht auch noch mit meinem Mist herumschlagen müssen.“

„Glaubst du ernsthaft, du wärst weniger wichtig als Jaden oder euer Job?“, fragte Chase. Die Ungläubigkeit schwang in jeder Silbe mit. Als Antwort zuckte ich nur mit den Schultern. Dann goss ich mir schweigend einen Becher Kaffee ein und verschwand in meinem Zimmer. Ich hatte keine Lust mehr, mich mit ihm auseinander zu setzen und erst recht keine, über dieses verkackte Thema zu reden. Es war schon schlimm genug, dass ich es nicht vergessen konnte. Niemals vergessen würde, wo ich doch nicht einmal den Anblick eines blutigen Stakes ertragen konnte.

Mit meinem Kaffee setzte ich mich an den Schreibtisch und starrte aus den Fenstern über die Skyline hinweg. Mir war klar gewesen, dass ich meine Vergangenheit nicht einfach so abschütteln konnte. Mir war nur nicht klar gewesen, wie sehr sie mich verfolgen würde. Darum hatte ich mich ursprünglich von anderen Menschen abgeschottet. Damit sie niemals erfuhren, wie sehr meine Geschichte mit Blut getränkt war.

Seufzend nahm ich einen Schluck von meinem lebensspendenden Gebräu und verbrannte mir sogleich die Zunge. Mann, tat das weh! Mürrisch stellte ich die Tasse ab, zog ein paar Bogen Papier und einige Stifte hervor und begann wahllos irgendwelches Zeug auf die weiße Fläche zu kritzeln. Mal waren es ein paar einfache Verse, mal einfach nur unverständlicher Blödsinn. Hier und da malte ich auch ein Galgenmännchen in den die Ecke oder Strichmännchen, die mit kleinen Messern auf andere Strichmännchen einstachen. Keine hohe Kunst, aber es beschäftigte mich.

Zumindest so lange, bis zwei starke Arme sich von hinten um mich legten und mich beinahe vom Stuhl rissen. Dan schmiegte sein Gesicht in meine Halsbeuge und drückte mir einen sanften Kuss auf den Puls.

„Hast du schon gepackt?“

„Noch nicht, aber viel brauche ich ja nicht.“

„Dann mach das noch und komm ins Bett. Ich warte auf dich.“ Damit ließ er mich alleine und ich tat, was er vorgeschlagen hatte. Ein Blick zur Uhr verriet mir, dass es später war, als ich gedacht hatte. Schnell stopfte ich alle nötigen Dinge von Wäsche bis Handtücher in eine kleine Reisetasche und warf sie im Gehen vor meine Tür.

Chase war nirgends zu sehen, was bedeutete, dass er es sich in seinem Gästezimmer bequem gemacht haben musste. Auf dem Weg zu unserem Schlafzimmer kontrollierte ich noch einmal, ob die Tür zu meinem Atelier auch richtig geschlossen war, bevor ich mich beruhigt auf eine angenehme Nacht mit Dan freuen konnte.

Der lag bereits ausgestreckt in unserem Bett mit nichts als seinen Shorts bekleidet. Lächelnd streifte ich meine Klamotten ab, bis ich nur noch mein Höschen anhatte und schlüpfte zu ihm unter die Decke.

„Deine Hände sind voller Farbe“, murmelte er mir ins Ohr, während er mich an sich zog.

„Sie ist trocken.“

„Das meinte ich damit nicht. Willst du sie dir nicht runterwaschen?“

„Kann ich doch auch morgen machen.“

„Wie du meinst.“ Damit er endlich aufhörte, über die Farbe an meinen Händen zu reden, stemmte ich mich in seiner Umarmung hoch und drückte ihm meine offenen Lippen auf den Mund. Er ließ mich auch sogleich herein und ich genoss es, mit meiner Zunge seinen Mund von neuem zu erforschen und ihn zu schmecken. Dan roch und schmeckte immer so unglaublich gut, dass ich oft das Bedürfnis bekam, ihn aufzufressen oder in ihn hinein kriechen zu können, damit nichts uns jemals wieder trennen konnte. Das hätte ich nicht überlebt.

„Wir dürfen nicht“, murmelte er nicht gerade überzeugt, nachdem er sich von mir losgemacht hatte. „Früh raus, lange Fahrt und so.“ Gespielt beleidigt pustete ich die Wangen auf, was ihn zum Lachen brachte.

„Bald. Versprochen.“

„Das will ich auch für dich hoffen“, grummelte ich. Ich wollte ihn. Jederzeit und überall. Dieses Gefühl war so überwältigend, dass es mir an manchen Tagen etwas Angst machte. Dann aber erinnerte ich mich daran, wie wunderschön es mit Dan immer war und ich fragte mich, wovor ich mich da eigentlich fürchtete.

Immer wieder strich Dan mir über den Rücken, die Arme, jede Stelle, die er erreichen konnte. Seine Berührungen waren so zart und gefühlvoll, dass ich fast angefangen hätte zu weinen. Fast.

„Stimmt etwas nicht?“, fragte ich ihn, weil ich spürte, dass etwas ihn beschäftigte.

„Nein, alles bestens. Schlaf, Lenne, ich bin hier.“

„Das weiß ich doch“, brummelte ich, bevor mir die Augen zufielen und ich langsam ins Reich der Träume glitt.

 

Den ganzen Morgen über sah Dan mich mit besorgten Augen an, was mich furchtbar nervte. Chase mit seiner scheinbar ewig währenden guten Laune war genauso nervig.

Ich war mit tiefen Augenringen und einer heißeren Kehle aufgewacht, als hätte ich stundenlang gebrüllt. Als ich Dan mit rauer Stimme fragte, was denn los sei, hatte er nur den Kopf geschüttelt und mich weiterhin besorgt angesehen. Als ich ihm dann mit Sexentzug drohte, rückte er endlich mit der Sprache raus. Offenbar hatte ich in der Nacht angefangen, mich hin und her zu wälzen und wie am Spieß zu schreien, aber ich war nicht aufgewacht und war auch nicht wach zu bekommen gewesen. Ich konnte mich an all das klarerweise nicht erinnern. Ich wusste nur, dass ich etwas Grauenhaftes geträumt hatte, doch ich erinnerte mich nicht mehr daran, was es gewesen war. Ich wollte es auch gar nicht, wenn ich ehrlich sein sollte.

Jedenfalls war Dan fürchterlich besorgt und fragte mich ständig, ob ich mir sicher sei, heute mitzufahren. Als ich ihm dann vorwarf, dass er mich ja bloß loswerden wollte, verstummte er endlich. Ich wusste, dass das nicht fair gewesen war und ich ihn damit verletzt hatte, aber ich konnte kaum einen klaren Gedanken fassen und war so unglaublich müde.

Ich konnte mir auch überhaupt nicht erklären, wie das zu Stande gekommen war. Ich hatte seit Jahren keine so drastischen Alpträume mehr gehabt und seit ich mit Dan zusammen war, waren die Schatten der Vergangenheit wie weggeblasen. Wieso sie also so plötzlich wieder aufkamen, war mir ein Rätsel.

Während der Proben ging es mir auch nicht besser. Ich schaffte es gerade so, mein Spiel nicht komplett in den Sand zu setzen, aber ich war weit davon entfernt, in Höchstform zu sein. Das merkten die anderen auch, aber sie waren so vernünftig mich in Ruhe zu lassen und mir nicht auf den Senkel zu gehen. Das lag vermutlich an meinen Blicken, die ich ihnen zuwarf, wenn sie auch nur auf die Idee kamen, etwas sagen zu wollen. Wenn Blicke töten könnten...

Es war geradezu lächerlich, wie erledigt ich von einer einzigen Nacht, in der ich schlecht geschlafen hatte, war. Ich bekam kaum mit, wie wir nach den Proben unser Zeug in Chases Wagen packten und losfuhren.

Chase fuhr, während Dan auf dem Beifahrersitz saß. Er hatte mich gefragt, ob er bei mir hinten sitzen sollte, doch ich hatte lediglich den Kopf geschüttelt.

„Du solltest aufpassen, dass er uns nicht um einen Baum wickelt“, hatte ich gesagt. Es sollte witzig klingen, aber stattdessen kam es nur müde heraus.

Auf der Fahrt warf Dan immer wieder besorgte Blicke zu mir nach hinten, doch ich ignorierte das meistens. Ich war heilfroh, als die Erschöpfung mich derart übermannte, dass ich den Kopf gegen die kühle Seitenscheibe lehnte und mir die Augen zufielen. Ich meinte, dieses Mal in einen traumlosen Schlaf zu fallen und betete, dass das auch der Fall sein würde. Es wäre wenig amüsant, wenn wir anhalten müssten, nur weil ich als schreiende Irre die Konzentration des Fahrers störte.

Nun verstand ich zumindest im Ansatz, warum Dan noch vor ein paar Wochen das Schlafen so abgelehnt hatte.

33

 Die ganze Fahrt über starrte ich aus dem Fenster, wenn ich mich nicht grade davon überzeugte, dass bei Lenne auf der Rückbank alles in Ordnung war. Was man dann so unter 'in Ordnung' verstand. Sie schrie zwar nicht so wie letzte Nacht, aber sie schien doch unruhig zu sein, was wiederum mich unruhig machte. Chase blieb das nicht verborgen.

„Mach dir keinen Kopf, wir schlafen alle mal schlecht. Du weißt wie das ist.“

Ja, ich wusste sogar sehr gut, wie das war. Grade deswegen ging ich Chase an.

„Du erzählst mir, dass du Nachforschungen über sie angestellt hast und legst mir ne ganze Mappe vor, mit den Worten, ich solle mir das ansehen und gleich darauf sackt sie vollkommen ab. Wenn du mir erzählst, du hättest nichts damit zu tun, lügst du mir ins Gesicht. Ich kenne dich und ich kenne sie mittlerweile gut genug, ich weiß, dass du sie darauf angesprochen hast.“

„Hast du dir die Dokumente wenigstens angesehen?“

„Nein! Und das werde ich auch nicht. Ich vertraue ihr und wenn sie irgendwann bereit ist darüber zum reden, dann werde ich ihr zuhören und für sie da sein. Ich setze nicht mein Leben mit ihr aufs Spiel, nur weil du meinst, ich müsste die Dinge unbedingt wissen, die dich so schocken.“

„Aber du bist trotzdem beunruhigt.“

„Natürlich, ich mache mir Sorgen, weil sie die ganze Nacht geschrien hat.“

„Aber das warum scheint dir unbegreiflich zu sein. Sie hat immer noch nicht damit abgeschlossen Dan, sie ist immer noch gebrochen.“

„Ich werde in manchen Nächten auch immer noch schweißgebadet wach, aber ich merke, dass es besser wird. Wir sind beide Kaputt, aber grade deswegen ergänzt sie mich. Ich wüsste nicht, wieso das bei ihr anders sein sollte.“

„Die Zeitspanne zwischen ihrem Vorfall und dem jetzigen Zeitpunkt ist viel größer als deine, das kannst du nicht miteinander vergleichen.“

„Ihr letzter 'Vorfall' wie du es nennst, ist noch gar nicht so lange her. Du hast die Aufnahmen gestern Abend gesehen, dieser Penner hat sie immer wieder angefasst und...“

Ich ballte die Hände zu Fäusten und versuchte nicht so auszurasten, wie ich es getan hatte, als Chase mir die Szenen am vergangenen Abend gezeigt hatte. Ich war total ausgeflippt, hatte mich schließlich aufs Dach verzogen und mir selbst geschworen, würde ich dieses Schwein je wieder sehen, würde ich ihn umbringen.

„Das scheint sie ja ziemlich gut weg zu stecken, aber das tut grade nichts zur Sache. Man sollte meinen, nach all den Jahren hätte sie sich langsam damit abgefunden, aber das scheint ja nicht der Fall zu sein. Ich hab nicht mal viel gesagt und sie leidet gleich unter Albträumen. Was ist denn, wenn sie wirklich irgendwann wieder damit konfrontiert wird?“

„Dann werde ich da sein und sie davor bewahren. Ich fürchte nur, sie kann nie wirklich damit abschließen wenn solche Idioten wie du immer wieder darauf herum reiten.“

„Ich verstehe ja, dass du sie in Schutz nimmst, aber du beginnst den gleichen Fehler wie bei Tessa zu machen. Du hebst sie in den Himmel und versuchst sie vor allem zu beschützen, das funktioniert nicht, man sollte meinen, du hättest das gelernt.“

„Was weißt du schon? Sowohl sie als auch ich weiß, wie schwer das Leben sein kann, wir sind einfach glücklich, gönn uns das doch einfach. Aber das kannst du gar nicht, oder? Was hast du schon für eine Ahnung davon, wie schwer einem das Schicksal mitspielen kann?“

Ich bereute die Worte schon, als sie mir heraus rutschten. Ich wollte ihn nicht anfahren und erst recht wollte ich ihn nicht mit solchen Worten unterbuttern, denn er wusste es genauso gut wie ich.

„Tut mir-“

„Nein, lass stecken, du hast deinen Standpunkt klar gemacht.“

„Nein, es tut mir Leid.“

„Und ich sage, vergiss es. Glaub du weiter an dein sadistisches Schicksal und ich bleibe dabei, dass jeder für sein eigenes Leben verantwortlich ist. Es war dumm von mir, mich in deines einmischen zu wollen.“

Ich hatte es mal wieder geschafft. Ich verfluchte mich für mein Temperament und mein unglaublich großes Mundwerk und hätte mich am liebsten selbst dafür geschlagen. Es wunderte mich, das Chase das noch nie getan hatte, bei dem was er bei mir mitmachte.

Ich hätte einfach die Klappe halten sollen.

 

 

 

Nachdem Chase das Radio lauter gemacht hatte, hatten wir geschwiegen, bis wir schließlich vor seiner Wohnung anhielten. Er schaltete den Motor aus und ich warf einen Blick auf die Rückbank. Lenne schlief immer noch.

„Eigentlich will ich sie nicht wecken.“

„Du hast letzte Nacht gar nicht geschlafen, willst du wirklich den barmherzigen Samariter spielen?“

„Darum geht es doch überhaupt nicht.“

„Dann lass sie schlafen. Ich mache die Fenster einen Spalt auf und du klebst ihr ne Notiz an die Kopfstütze, die wird sie wohl finden, wenn sie aufwacht.“

Fassungslos sah ich zu Chase rüber. Das hatte er nicht grade ernsthaft vorgeschlagen, oder?

„Du bist sauer auf mich, also lass deine schlechte Laune nicht an ihr aus.“

Er zuckte nur mit den Schultern und schwang sich dann aus dem Auto. Als ich meine Türe öffnete sprang Ben gleich aus meinem Fußraum und wuselte herum. Ich dirigierte ihn Richtung Kofferraum, wo Chase unsere Rucksäcke heraus holte, doch er schickte mich weg, als ich sie ihm abnehmen wollte.

„Weck sie auf. Ich geh schon mal hoch und lass den Schlüssel stecken.“

Dann nahm er mir Ben ab und ging. Ich wollte erst gar nicht darüber nachdenken, also tat ich es nicht. Stattdessen kletterte ich vorsichtig zu Lenne auf die Rückband und hob ihren Kopf behutsam von der Scheibe, bis sie schließlich gegen mich sank.

„Lenne, wach auf, wir sind da.“

Immer und immer wieder strich ich ihr mit der Hand durch die Haare und flüsterte ich unzusammenhängende Dinge ins Ohr, bis sie sich schließlich regte.

„Wir sind da Schatz.“

Lenne sagte nichts, schmiegte sich dafür aber enger an mich. Sie umklammerte mich so fest, dass ich befürchtete, sie würde mich zerdrücken, wenn sie noch mehr Kraft aufbrachte.

„Ich bin hier und egal was ist, ich gehe nicht weg. Versprochen.“

Sie nickte nur und ließ sich dann von mir aus dem Auto ziehen. Ich stellte sie auf ihre eigenen Füße und hielt sie noch einen Moment lang fest, bevor ich mich vorsichtig von ihr löste und ihr dann in die Augen sah. Sie sah immer noch ziemlich unsicher aus, was mich wieder beunruhigte, was ich mir aber nicht anmerken ließ. Ich wollte nicht, dass sie sich noch zusätzlich Sorgen zu dem machte, was auch immer grade in ihrem Kopf umher ging.

„Lass uns rauf gehen, Chase ist schon mit Ben vorgegangen.“

Wieder nickte sie nur, also ließ ich sie nicht los. Weder auf dem Weg in Chase's Wohnung, noch als wir da ankamen und danach auch nicht.

„Da meine Wohnung nicht so groß ist wie euer tolles Penthouse, kann ich euch Leider nur die Schlafcouch anbieten. Eure Taschen hab ich im Sessel deponiert. Wollt ihr irgendetwas trinken?“

„Was hast du da?“

„Wasser, Cola, O-Saft. Alkoholisches.“

Das letzte ließ er wie eine Frage klingen und ich wusste, dass er es nur aufzählte, weil ich gefragt hatte was er da hatte, nicht weil er es mir ernsthaft anbot.

„O-Saft.“

Nickend verschwand Chase in der Küche und ich setzte mich mit Lenne auf die Couch, während ich Ben dabei beobachtete, wie er alles inspizierte. Ihn schien nichts aus der Fassung bringen zu können. Außer vielleicht Aufzug fahren. Vollkommen automatisch fuhr ich Lenne wieder durch die Haare und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn.

„Was hältst du davon, wenn wir was essen gehen, bevor wir uns mit dem unvermeidlichen auseinander setzen?“

Sie musste sich erst räuspern bevor sie sprechen konnte. Ich versuchte mich damit zu beruhigen, dass sie jetzt wenigstens wach und klar zu sein schien.

„Das ist eine gute Idee.“

„Okay. Ich kenne da ein Diner, in dem man super essen kann.“

„War klar.“

„Was?“

„Das du das Diner vorschlägst.“

Ich verstand es nicht. Als sie meinen verwirrten Blick auffing, bekam ich das erste aufrichtige Lächeln an diesem Tag.

„Ich hab dich ziemlich oft da sitzen sehen. Es war nicht weit von meiner Wohnung weg, erinnerst du dich?“

Jetzt wo sie es sagte.

„Ja, das leuchtet ein.“

„Du warst häufig da, wenn ich von der Arbeit kam.“

„Die machen da echt super Apfelkuchen.“

„Das hat man dir angemerkt. Es wundert mich, dass man dich noch nicht durch die Gegend rollen muss.“

„So kann nur jemand reden, der ihn noch nicht probiert hat.“

„Hab ich auch nicht, ich bin nie rein gegangen.“

Skeptisch sah ich Lenne an, was mir ein Schulterzucken einbrachte.

„Du warst fast jeden Tag da und ich hab versucht dir aus dem Weg zu gehen. Die Gefahr, dir zufällig über den Weg zu laufen, war mir viel zu groß.“

Bevor ich darauf etwas erwidern konnte, kam Chase mit einer Flasche Orangensaft und Gläsern ins Wohnzimmer und er klang genauso begeistert, wie er aussah. Nämlich überhaupt nicht.

„Euer Hund kaut an meinen Küchentüchern.“

Als wir beide lachten, sah Chase noch angesäuerter aus, also nahm ich den Arm von Lenne's Schultern, streckte mich, um an meinen Rucksack zu kommen und zog dann eins der Spielzeuge heraus. Ich ließ es kurz quietschen und da kam Ben schon aus der Küche angeflogen. Er liebte dieses Ding und ich wusste nicht wieso, mir ging das Gequietsche schon nach den ersten zwei Minuten auf den Zwirn, trotzdem überließ ich es ihm und er machte sich gleich darüber her.

„Das nimmst du ihm aber wieder weg, wenn wir schlafen gehen oder?“

Ich überlegte erst, ob ich nein sagen sollte, weil Chase so doof fragte, beließ es aber dann bei einem „Sicher“ und lehnte mich dann wieder auf der Couch zurück.

„Ach, bevor ich es vergesse.“

Ich runzelte die Stirn und fragte mich, was Chase wollte, da war er verschwunden und tauchte nur Momente später wieder auf. Grinsend hielt er die Pappschachtel in die Luft und als ich erkannte, was es war, seufzte ich. Er warf sie mir zu und als ich sie fing, hielt ich sie anklagend in die Höhe.

„Du kannst mich nicht damit provozieren Chase.“

„Ich wusste ja nicht, ob ihr regelmäßig in den Briefkasten schaut und ich will ja nicht, dass ihr euch hier zurück halten müsst, weil du sie zuhause vergessen hast.“

Ohne Chase aus den Augen zu lassen, hielt ich Lenne die Packung hin, die sie mir aus der Hand nahm und sie dann auf den Sessel warf.

„Dass wir sie gefunden haben, ist dir doch spätestens seit gestern Abend klar und du müsstest mich eigentlich besser kennen. Ich vergesse nichts.“

Grinsend verschränkte Chase die Arme vor der Brust und wackelte dann mit den Augenbrauen, bevor Lenne sich einschaltete.

„Ich wüsste jetzt endlich gerne, wieso er das weiß. In meinem Kopf haben sich mittlerweile so viele Theorien zusammen gesponnen, dass mir mittlerweile schlecht davon wird, wenn ich darüber nachdenke.“

Lachend ließ Chase sich nur auf den kleinen gepolsterten Hocker fallen und ich ließ den Kopf in den Nacken fallen, bevor ich die Augen zusammen kniff und mir auf die Lippen biss.

„Ich weiß ja nicht, was du dir alles zusammen gesponnen hast, aber es ist nur halb so spektakulär oder ekelhaft, wie du vielleicht denkst.“

„Zwischen Tessa und ihm lief es nicht so. Weißt du, wir Männer entwickeln die Angewohnheit, immer Kondome dabei zu haben, wenn die Frauen sich nicht so für Sex interessieren. Nur für den Fall, dass es sich doch irgendwie ergeben sollte.“

„Chase! Halt die Klappe!“

„Nein, wieso? Sie hat ein Recht darauf, das zu erfahren.“

„Na gut, na gut! Also, ich hatte Zoff zuhause, deswegen bin ich abgehauen und zu Chase gegangen. Wir haben was getrunken und Abends vor dem Fernseher, ich weiß gar nicht mehr, welcher Film es war. Weißt du das noch?“

„Nope.“

„Auf jeden Fall kamen Luftballontiere darin vor. Bescheuert wie wir nun mal sind und betrunken wie wir waren, hab ich die Kondome aus meinem Portemonnaie gekramt und wir haben versucht sie auf zu pusten und Tiere daraus zu knoten. Das ist alles, ich schwöre es.“

„Und funktionieren tut es auch nicht, also verschwende die Dinger bloß nicht junge Frau.“

Lenne schwieg. Ich wusste nicht, ob das gut oder schlecht war und als ich sie ansah, schien sie noch ernsthaft darüber nach zu denken.

„Das ist so bescheuert, dass man sich das gar nicht ausdenken kann.“

„Wieso sollten wir uns das ausdenken? Was hast du denn erwartet?“

„Du hast sie ganz schön lange schmoren lassen Dan, sie hat vermutlich so ziemlich alles erwartet.“

„Ich hatte so viele Theorien, aber die war definitiv nicht dabei. Ich war zwischendurch schon davon ausgegangen, ihr hättet...“

Bei ihrem Gesichtsausdruck, zog sich bei mir alles zusammen.

„Was? Nein!“

„Was, nein? Du hast so ein Geheimnis darum gemacht, was hätte ich denn denken sollen?“

„Doch nicht so was! Ich meine, ich bitte dich! Du schläfst mit mir. Mit solchen Hintergedanken? Herrgott, was zur Hölle?!“

„Na ja, ihr hattet doch die Kondome und-“

„Nein! Stopp! Ich liebe dich wirklich aufrichtig, aber das! Das will ich nicht hören! Niemals, niemals nimmer und nie im Leben. Bitte tu mir das niemals wieder an und stell solche Theorien über mich an. Und verdammt, wieso mit Chase! Sieh ihn dir doch an, er hat an jedem Finger eine andere und kann die nicht mal vierundzwanzig Stunden halten! Nichts gegen dich Chase.“

Der zuckte nur mit den Schultern und schien sich köstlich über uns zu amüsieren. Alleine bei dem Gedanken, ihn auch nur ansatzweise auf diese Art und Weise zu betrachten trieb mir einen Schauer über den Rücken und ich verspürte regelrechte Übelkeit dabei. Plötzlich von Bewegungsdrang getrieben sprang ich beinahe von der Couch und packte mir Ben. Ich brauchte frische Luft.

„Ich glaube, du hast grade seinen Stolz zwischen deinen Fingern zerrieben.“

Und Chase das Schwein lachte auch noch herzlich dabei, als er das sagte.

„Du solltest das nicht so lustig finden, immerhin bist du angeblich beteiligt.“

„Solange ich weiß, dass es nicht stimmt, wen kümmert es?“

Wieder raste mir eine Gänsehaut den Rücken hinauf und ich trat die Flucht an.

„Dan, wo willst du hin.“

„Frische Luft schnappen, was essen, vielleicht zu Rob, anstatt nach hause? Keine Ahnung, Hauptsache diese verstörenden Gedanken loswerden.“

Und wieder brach Chase in schallendes Gelächter aus, während Lenne hinter mir her hechtete.

„Hey, warte auf mich.“

Ich rieb mir schockiert über das Gesicht und sah sie vorwurfsvoll an, als sie bei mir an der Türe ankam, während ich ihr die Türe auf hielt.

„Das ist das schlimmste, das du mir je antun konntest.“

„Tut mir Leid.“

Das schlimme an dieser Entschuldigung war, dass es ihr wirklich Leid tat. Sie zog ein entschuldigendes Gesicht und klang mehr als ernst dabei. Sie hatte gar keine Ahnung, was sie da getan hatte.

„Tu mir das nie wieder an.“

 

 

 

Nach dem Schwur, dass wir dieses Thema für immer begraben würden und einem ordentlichen Essen im besten Diner der Stadt, hatten wir uns zu Fuß zu mir nach hause auf gemacht. Mit jedem Schritt, den wir näher an mein Elternhaus heran kamen, wurde ich langsamer, bis Lenne mich irgendwann praktisch hatte zerren müssen, bis wir schließlich vor dem eisernen Tor mit Tastenfeld ankamen. Eigentlich hatte ich nie wieder hier her kommen wollen und jetzt stand ich hier mit Frau und Hund und hoffte, dass sie meinen Code noch nicht aus dem System gelöscht hatten. Probeweise gab ich meinen Code ein und irgendwie unerwartet ging das Tor mit einem Klicken auf.

„So weit so gut, allerdings werden wir nicht lange unbemerkt bleiben. Der Wachschutz bekommt Bescheid, wenn das Tor auf geht und außerdem-“

Zu mehr kam ich gar nicht, da schon zwei riesige Dobermänner auf uns zu geschossen kamen. Ben nahm ich vorsichtshalber hoch, weil ich nicht wollte, dass er unter den beiden begraben wurde und vor Lenne blieb ich stehen, weil ich nicht wusste, wie sie auf sie reagieren würden. Erst nachdem die beiden riesen mich angesprungen und neugierig die Nasen in Richtung meiner Arme hoben, ließ ich Ben langsam runter. Als ich ihn auf dem Boden absetzte, kauerte er sich zusammen und drängte sich an meine Beine, während die beiden anderen ihn aufgeregt beschnüffelten. Wir waren vollkommen vergessen.

„Wenn man die Namen Brutus und Karlos hört, denkt man sich, die armen Tiere, wieso sollte man sie so strafen wollen. Aber das hier sind eindeutig Brutus und Karlos.“

Als die beiden ihre Namen hörten, sahen sie sofort auf und schnüffelten nach Lenne, woraufhin sie den beiden die Hand hinhielt. Sie schnüffelten kurz daran und hängten sich dann wieder an Ben. Dieser, sichtlich nicht mehr ganz so von den beiden Riesen eingeschüchtert, tollte um deren Beine, was die beiden bedenkenlos mit sich machen ließen. Ich ließ sie noch einen Moment gewähren, nahm Ben dann wieder hoch und schickte die beiden Dobermänner fort, die daraufhin Richtung Haus zurück trotteten.

„Die hören auf dich, als hättest du sie ausgebildet.“

„Wenn mein Vater Hausarrest verhängt und mir alles weg genommen hat, hab ich viel Zeit mit den beiden verbracht.“

Ich zuckte mit den Schultern und ließ das so im Raum stehen, nahm Lenne dann bei der Hand und zog sie mit mir Richtung Haustür. Ich sah ihr an, dass ihr das riesige Haus nicht behagt, aber sie wollte ja unbedingt mit. Sie hatte mich ja erst hier her gezwungen, also musste sie jetzt auch da durch. Allerdings wollte ich auch gar nicht alleine hier sein, deswegen war ich froh, dass sie da war.

Wir waren noch nicht ganz an der Türe angekommen, da ging diese schon auf, aber zu meiner Erleichterung war es nicht mein Vater, der da an der Tür stand. Ich bewahrte eine kühle Miene während ich die drei Stufen zur Veranda erklomm, ließ Ben dann wieder runter und reichte die Leine an Lenne, bevor ich ihre Hand los ließ. Etwas zu förmlich bezog ich vor der Frau, die in etwa so groß war wie ich, Stellung und deutete dann eine Verbeugung an, bevor ich ihr ins Gesicht sah.

„Guten Abend Ma'am.“

Bei der Anrede stemmte die Frau mir gegenüber die Hände in die Hüften und tippte mit dem Fuß ungeduldig auf den Boden.

„Hast du mich grade Ma'am genannt, mein Freund?“

„Ich doch nicht Mum, was denkst du von mir.“

Ich ließ das Mum absichtlich nach Ma'am klingen und begann zu grinsen, als sie das auch tat. Als sie dann die Arme ausbreitete, nahm ich sie in den Arm.

„Wo warst du Darian, wir haben uns Sorgen gemacht.“

„Es geht mir gut. Ich lebe, ich arbeite, nur eben nicht hier.“

„Du hast nichts gesagt, du hast dich nicht mal verabschiedet.“

„Und du weißt wieso. Er hätte mich niemals gehen lassen.“

„Du weißt, dass das nicht wahr ist.“

„Mum, wir wissen beide, dass es wahr ist. Lass uns nicht darüber reden, ich bin nicht wegen ihm hier.“

Seufzend ließ meine Mutter mich wieder los und sah dann an mir vorbei. Sie musterte Lenne von oben bis unten, was ihr sichtlich unangenehm war, bis ich sie schließlich unmissverständlich an meine Seite zog.

„Mum, das ist Lenne.“

Freundlich und offenherzig wie immer hielt sie Lenne die Hand hin und ergriff ihre.

„Hi, ich bin Marissa. Ich kenne dich, du hast doch im selben Club gespielt wie Darian, oder?“

„Hi, ja hab ich.“

Um ihr weiteren Smalltalk zu ersparen, schaltete ich mich sofort dazwischen und deutete ins Haus.

„Sollen wir nicht rein gehen? Wir setzen uns einen Moment und ich bringe dich auf den neusten Stand, was hältst du davon?“

„Das klingt gut und dann kannst du mir gleich erzählen, wieso du eigentlich hier bist.“

„So offensichtlich, dass ich nicht nur hier bin, um euch zu besuchen?“

„Ziemlich offensichtlich, ebenso wie die Tatsache, dass du nicht vor hast zu bleiben.“

„Ach nein?“

„Nein. Du bist mein Sohn, ich kenne dich besser als jeder andere und wieder nach hause zu kommen, wäre das letzte, was du tun würdest.“

„Tja, erwischt.“

„Ich bin dir nicht böse darum, das weißt du.“

Ja das wusste ich, leider wusste ich auch, dass sie die einzige war, die mir nicht böse deswegen war.

Wir folgten meiner Mutter ins Wohnzimmer, wo wir uns setzten, während sie Getränke organisierte, obwohl ich ihr gesagt hatte, dass wir nicht lange bleiben würden. Ich erzählte ihr also, was in den letzten Wochen so vorgefallen war, wie ich von hier weg geholt wurde und wie sich die Dinge mit der Musik entwickelten, ließ aber alles persönliche aus, auch wenn ich wusste, dass sie grade das interessierte. Auf ihr nachfragen hin warf ich ihr die Bröckchen hin, dass das ganze noch frisch war und wir nicht wussten, wo wir miteinander hin wollten, was sie mir nur zögernd abnahm. Ich wusste, sie wartete darauf, dass ich ihr mehr erzählte, aber das würde ich nicht tun.

„Genug von uns. Wo ist Jaden? Chase hat erzählt, er macht Terror.“

„Er macht keinen Terror, er kommt in die Pubertät, das ist normal.“

„Mum, Chase hat gesagt, dass er geschlagen wird. Das ist ganz sicher nicht normal.“

„Bitte, misch dich da nicht ein Darian.“

„Ich lass nicht zu, dass er Jaden schlägt, glaubt er wirklich, dass er Jaden so dazu kriegt, dass er kuscht?“

„Chase hat dir die Situation anscheinend völlig falsch erklärt.“

„Willst du also abstreiten, dass er ihn geschlagen hat? Ich glaube irgendwie nicht, dass Chase sich so was aus den Fingern saugt, vor allem nicht, wenn er das von Jaden selbst weiß.“

„Dein Bruder denkt sich das aus, Kinder machen so was, er will Aufmerksamkeit haben.“

„Aus dem Alter ist er raus und er ist viel zu clever dafür, er würde sich nicht so etwas banales einfallen lassen.“

„Seitdem du weg bist, denkt er sich nur noch solche Dinge aus Darian. Er vermisst dich und er hat gehofft, dass du zurück kommst, wenn diese Geschichten zu dir durchdringen. Du sagst selbst, dass er ein schlauer Junge ist und er hat sein Ziel ja jetzt wohl erreicht, immerhin bist du hier.“

„Tut mir Leid Mum, aber das glaube ich erst, wenn ich selbst mit ihm geredet habe. Wenn du uns also jetzt entschuldigst.“

Ich war schon im begriff aufzustehen, als meine Mutter sich erhob.

„Meinst du wirklich, dass das so gut ist? Du hast nicht vor zu bleiben, du würdest ihn nur enttäuschen.“

Ohne darauf zu antworten stand ich auf und zog Lenne hoch, bevor ich mir Ben unter den Arm klemmte.

„Dann muss er lernen, damit um zu gehen.“

Ich wartete nicht darauf, dass meine Mutter noch etwas sagte, denn ich wusste, dass sie nur versuchte, mich davon ab zu halten. Dass Jaden noch nicht hier herum schwirrte war mir gleich komisch vorgekommen und dass sie versuchte, mich davon ab zu bringen mit ihm zu reden, hatte es nicht besser gemacht. Ich zog also Lenne mit mir durch das Haus, bis wir schließlich vor Jaden's Türe standen. Als ich die Klinke runter drückte, tat sich nicht, also rief ich durch die Tür.

„Jaden, ich bin's. Mach die Türe auf.“

Sofort hörte ich gepolter im Zimmer.

„Dan? Bist du das?“

„Ja, mach die Türe auf.“

„Geht nicht, ich hab keinen Schlüssel, du Schlauberger.“

Irritiert sah ich Lenne an und fiel dann aus allen Wolken.

„Das darf nicht wahr sein.“

„Deswegen wollte sie dich wohl davon abhalten, mit ihm zu reden.“

Ein klopfen an der Türe ließ mich den Blick wieder auf Jaden's Türe richten.

„Hey, wer ist denn da bei dir?“

„Warte mal kurz.“

Ich tastete auf dem Türrahmen nach dem Zimmerschlüssel, aber da war keiner.

„Jaden, geh von der Türe weg.“

„Okay.“

Ich wartete einen Augenblick und dann trat ich die Türe auf. Man sollte meinen, dass das bei einer massiven Eichentüre nicht so einfach sein sollte, aber ich war echt sauer.

„Hey, sag mal spinnst du? Die hätte mich fast getroffen!“

„Ich hab dir gesagt, geh von der Türe weg. Von der Türe weg bedeutet, weg, nicht einfach einen Schritt nach hinten.“

„Du hättest ja sagen können, was du vorhast!“

„Ich hab dir gesagt, geh von der Türe weg, das ist doch offensichtlich, oder nicht?“

„Nicht unbedingt. Bei dir ist ja nichts offensichtlich!“

„Ich hätte dich auch da drin lassen können!“

„Hey, könnt ihr zwei mal aufhören? Ihr seid ja schrecklich.“

Verwundert sah ich zu Lenne rüber. Irgendwie hatte ich ganz vergessen, dass sie da stand. Auch Jaden schien einzufallen, dass wir nicht alleine waren, allerdings würdigte er diese Traumfrau nur eines minimalen Blickes.

„Hey cool, ein Hund. Ist das deiner?“

Er fiel sofort auf die Knie und fing an, mit Ben zu toben. Ich sah Lenne an und die schüttelte nur mit dem Kopf, was mich verteidigend die Hände heben ließ.

„Schau mich nicht so an, er hat die gleichen Gene wie ich, aber auf meinem Mist ist er nicht gewachsen.“

„Das will ich dir auch geraten haben.“

„Immer wieder schön zu sehen, wie hoch deine Meinung von mir ist.“

„Du kannst eben nicht abstreiten, dass ihr verwandt seid. Meine Güte, er sieht aus wie du.“

„Wie gesagt, die gleichen Gene und jetzt komm, ich will meine Sachen holen und hier weg sein, bevor mein Vater kommt.“

Ich schnappte mir Ben und nahm Lenne wieder an der Hand und steuerte dann den Gang hinunter, bis Jaden mich anhielt.

„Und was ist mit mir?“

„Du kommst mit. Pack ein paar Sachen zusammen, wir schlafen bei Chase.“

Er war von der Idee sofort begeistert und eilte in sein Zimmer, Lenne war es nicht. Ich zog sie ein paar Türen weiter in mein Zimmer und schloss die Türe hinter uns, wobei ich Ben runter ließ.

„Ich dachte, du wolltest mit ihm reden.“ „Und das werde ich. Bei Chase. Sie sperren ihn ein Lenne, ich kann ihn nicht hier lassen. Ich muss mir was überlegen, aber das kann ich hier nicht, nicht wenn ich unter Druck stehe, da kommt nichts gutes bei raus.“

Verständnisvoll nickte sie schließlich. Ich nahm daraufhin ihr Gesicht in beide Hände und legte die Lippen auf ihre. Ich hätte es weitaus schlimmer treffen können. Nicht jede hätte wohl Verständnis dafür gehabt.

„Danke. Ich mach es wieder gut.“

„Das wirst du ganz sicher.“

Ich grinste.

„Sicher.“

Dann löste ich mich von ihr, damit ich das nicht gleich hier tat und fing an, nach meinem Notebook zu suchen. Schnell hatte ich es gefunden, unter dem Bett heraus gezogen und es in einen Rucksack gepackt, ebenso wie das dazugehörige Kabel und meine schnurlose Maus. Ich wollte grade mein Sparbuch aus dem Schrank kramen, als Lenne's Stimme mich davon abhielt.

„Wow, das sind ganz schön viele Ordner.“

Mein Blick folgte ihrem zu dem Regal, das unter dem Gewicht das es tragen sollte, ziemlich einsank.

„Ja, was Texte und Kompositionen angeht, bin ich ein ziemlicher Messi.“

„Bei deinen Saiten scheint das nicht anders zu sein.“

„Na ja, an jedem Satz hängen seine eigenen Erinnerungen, irgendwie schaffe ich es nicht, mich davon zu trennen.“

Während Lenne weiter den Blick durch mein Zimmer wandern ließ, öffnete ich die Schranktür und zog die sich darin befindende Schublade komplett raus. Was man weder von vorne, noch von oben sah, war, dass die Schublade zwei eingeschobene Böden besaß. Ich drehte die Schublade auf den Kopf und zog den unteren Boden heraus und nahm das Sparbuch an mich, dass schon seit Ewigkeiten zwischen den beiden Böden einstaubte. Triumphierend hielt ich es in die Höhe, wo Lenne es mir aus der Hand nahm.

„Da ist unser Notfallgroschen.“

Ich schob den Boden wieder ein, schob die Schublade zurück an ihren Platz und warf den Krempel wieder herein, der heraus gefallen war und hörte sie dann keuchen.

„Das nennst du einen Notfallgroschen? Das ist ein fünfstelliger Betrag. Ein großer fünfstelliger Betrag.“

„Tu nicht so schockiert, du nennst mich nicht umsonst Schnösel. Außerdem hat mein Vater aufgehört darauf ein zu zahlen als ich zwölf war, sonst wäre noch mehr drauf.“

„Das ist eine Menge Geld Dan.“

„Das ich nur in Notfällen benutzen werde, also vergiss es einfach wieder.“

„Warum nimmst du es dann mit, wenn du es nicht verwenden willst?“

„Weil ich mir nicht sicher bin, was Frank alles ausheckt und ich gehe eben gerne auf Nummer sicher.“

Als ich alles wieder eingeräumt hatte stand ich auf, zog Lenne das Sparbuch aus der Hand, warf es auf das Bett zu meiner Tasche und zog sie dann in meine Arme.

„Ich hoffe auf das beste, rechne aber immer mit dem schlimmsten. Das ist eine durchaus lästige Angewohnheit, aber sie hat mir schon so manches mal den Arsch gerettet.“

„Gott sei dank.“

Ich nickte zustimmend und küsste sie dann, wobei mir das grade nicht vergönnt sein sollte, da mein Bruder rein kam.

„Sie ist also doch deine Freundin. Und ich dachte schon, du wärst schwul, seitdem Tessa abgehauen ist.“

Ich wollte schon los und ihm den Hals umdrehen, doch Lenne hielt mich fest und drehte mein Gesicht so, dass ich sie ansehen musste. Sie erdreistete sich doch ernsthaft zu lachen.

„Ich bring ihn um.“

„Ganz ruhig, großes.“

„Nur damit wir uns verstehen, das ist deine Schuld.“

„Für einen guten Zweck und so?“

Sie grinste immer noch, was mich den Kopf schütteln ließ.

„Lass uns einfach von hier verschwinden.“

Sie nickte, also taten wir das auch.  

 

 

 

 

 

 

34

 Ich war schon eine ganze Weile wach, auch wenn ich die Augen die ganze Zeit geschlossen ließ, als ich aus dem Nebenzimmer Bewegung aufkommen hörte. So wie Lenne ausatmete und sich regte, schien sie auch schon wach zu sein, also zog ich sie an mich und schmiegte die Wange an ihr Haar.

„Wenn du noch liegen bleiben willst, solltest du die Augen zu machen und hoffen, dass sie drauf rein fallen.“

Lenne drückte sich nur noch dichter an mich und schlang mir einen Arm um die Hüfte. Das war mehr als unmissverständlich. Ich drückte ihr grade einen Kuss auf den Hals, als die Türe zu Chase's Schlafzimmer aufging.

„Denk dran, sei leise Jaden. Ich hab keine Ahnung wie lange die beiden noch gezaubert haben.“

„Als ob die zaubern könnten.“

Trotzdem hörte ich wie er am Sofa vorbei schlich und keinen Ton von sich gab, bis er an der Wohnungstüre ankam.

„Glaubst du, ich darf Ben mitnehmen?“

Wo wollte er denn hin?

„Lass ihn mal lieber hier. Du kannst Dan ja fragen, ob er dich nachher mitnimmt, wenn er mit ihm raus geht.“

„Manno.“

„Beschwer dich nicht, sei lieber froh, dass er hier ist.“

„Ist ja gut.“

Dann hörte ich die Türe und es wurde ruhig. Zumindest einen Moment. Dann lehnte Chase sich an die Rücklehne des Sofas.

„Er geht nur Brötchen holen.“

„Gut, ich dachte schon, du schickst ihn nach hause.“

Ich öffnete die Augen und da regte Lenne sich.

„hast du nicht grade gesagt, wir wollten so tun, als würden wir noch schlafen?“

„Sorry Schatz, aber wenn er weiß dass wir wach sind, haben wir ohnehin keine Chance.“

Frustriert schnaufte sie und kuschelte sich dann sowohl in die Decke, als auch in mich rein. Dass sie ihre Hände dabei nicht bei sich behielt, war mir schon klar gewesen, bevor sie angefangen hatte, mit den Fingern unter mein Shirt zu gleiten. Ich hielt sie schnellstmöglich auf, bevor sie zu Stellen kam, bei denen ich mich vergessen würde und setzte mich dann auf.

„Wir sollten duschen gehen, solange Jaden weg ist.“

Lenne seufzte protestierend, aber ich zog sie mit mir hoch und schnappte mir dann unsere Rucksäcke. Als ich sie hinter mir her zog, jammerte sie beinahe, also zog ich sie im Flur an mich und fuhr mit meiner freien Hand unter ihr Top.

„Könntest du bitte aufhören so zu jammern? Du bist ja schlimmer als eine rollige Katze.“

„Vielleicht bin ich ja eine rollige Katze.“

„Du weißt aber schon, was das rollig sein meistens nach sich zieht?“

„Pech für die Katze, wenn sie zu doof ist, um Verhütungsmittel zu benutzen.“

Ich lachte und schüttelte den Kopf.

„Du bist unglaublich.“

„Aber du liebst mich trotzdem, vielleicht sollte dir das zu denken geben.“

„Ich muss nicht darüber nachdenken. Du bist gut so, wie du bist.“

Um das zu untermalen, legte ich die Lippen auf ihre und legte alles in diesen Kuss, was ich hatte. Innerhalb von Sekunden hatten wir uns gegenseitig in Flammen gesetzt und als ich rückwärts ins Bad taumelte und die Türe hinter uns abschloss, war ich mir nicht sicher, ob wir überhaupt zum duschen kommen würden.

 

 

 

Ich trocknete Lenne grade die Haare, als es an der Türe klopfte, gleich darauf erklang Chase's Stimme.

„Seid ihr bald mal miteinander fertig, sonst frühstücken wir ohne euch.“

„Wir sind gleich da.“

Als ich das Handtuch runter nahm, fuhr Lenne sich mit der Hand durch ihre Haare. Behutsam schlang ich ihr das Handtuch um den Oberkörper und steckte es fest, bevor ich die Arme um sie schlang, ihren Rücken an meine Brust zog und ihr einen Kuss auf den Nacken hauchte, dabei ließ ich ihren Blick im Spiegel nicht ein einziges mal los. Ihr Gesicht war noch immer von einem angenehmen rot überzogen und ihre Augen glänzten, aber das beste war das Lächeln, dass sie mir durch den Spiegel zuwarf. Sie sah glücklich aus. Das war das wichtigste an der ganzen Sache. Vorsichtig ließ ich die Lippen von ihrem Nacken über ihren Hals wandern, zog dann nach oben weiter und drückte ihr noch einen Kuss auf die empfindliche Stelle unter ihrem Ohr. Der Schauer der sie dabei durchfuhr, sprang ebenso auf mich über und ging mir durch Mark und Bein, dabei ließ ich es mir aber nicht nehmen, sie ein bisschen auf zu ziehen.

„Sind das etwa Nachbeben?“

Benommen schüttelte sie mit dem Kopf und ließ ihn dann nach hinten, auf meine Schulter sinken.

„Es geht eher wieder von vorne los. Wenn du also wirklich vor hast, aus diesem Bad heraus zu kommen, solltest du damit aufhören.“

Wollte ich das denn? Nein, eigentlich nicht. Also knabberte ich mich von ihrem Ohr abwärts, saugte einen Moment an ihrem Puls und wanderte dann nach hinten auf ihre Schulter. Als sich unsere Blicke im Spiegel wieder trafen, sah sie noch benommener aus als vorher. Unwillkürlich musste ich grinsen und neckte sie dann weiter.

„Du siehst aus, als würde dir gleich der Kreislauf weg gehen. War dir das Wasser zu heiß?“

Als sie nach hinten griff und mir in die Seite kniff, zuckte ich zusammen.

„Das hat wohl nicht am Wasser gelegen.“

„Willst du mich jetzt etwa beschuldigen?“

„Du bist überhaupt Schuld an allem.“

„Wenn wir genau sein wollen, bist du Schuld hieran. Wärst du nicht so verdammt sexy und süß, hätte ich nicht ständig das Bedürfnis, über dich her fallen zu wollen.“

Mit verengten Augen sah Lenne mich an und da merkte ich, wie ihre Hände zu dem Knoten im Handtuch an ihrer Vorderseite wanderten. Sofort packte ich ihre Hände und verschränkte ihre Finger mit meinen.

„Was glaubst du, was du da vor hast?“

„Ausnutzen, dass du vollkommen von Hormonen überflutet bist?“

„Ganz bestimmt nicht, du kannst ja kaum selber stehen.“

Als ich provokant mit der Handfläche über das Handtuch über ihrem Unterleid fuhr, gab sie sich sichtlich Mühe, aber ich sah, wie sie die Zähne zusammen biss, dann meckerte sie mich an.

„Du stellst dich schon an wie ein Mädchen.“

„Und du versuchst den harten Mann zu spielen.“

„Besser der harte Mann, als das kleine Mädchen.“

„Irgendwie hört sich das beides nicht sehr verlockend an, ich bin weder schwul noch pädophil.“

Lachend drehte sie sich in meinen Armen zu mir um und schlang dann die Arme um meinen Nacken.

„Und das ist auch gut so, denn du gehörst mir und niemandem sonst.“

„Dir und nur dir, bis das der Tod uns scheidet.“

Auf ihren erschrockenen Gesichtsausdruck konnte ich nur lachen.

„Ich... Das... Irgendwie...“

„Hast du nicht darüber nachgedacht, obwohl du schon gedroht hast bei zwei Kindern aufzuhören.“

„Ja. Ich...“

„Denk nicht drüber nach, das reicht wenn ich das tue.“

„Nein.“

„Was, nein? Glaubst du wirklich, ich will, dass man unseren Kindern vorwirft sie wären unehelich.“

„Dan, ich...“

Ich wartete mit hochgezogenen Augenbrauen darauf, dass sie ihren Satz beendete, aber als nichts mehr kam, schmiegte ich die Wange an ihre.

„Vergiss einfach, dass ich davon angefangen habe. Es ist noch viel zu früh, um sich darum Gedanken zu machen.“

Zögerlich löste Lenne sich so weit von mir, dass sie mir nüchtern aber doch ziemlich aus der Fassung ins Gesicht sehen konnte.

„Nein, warte. Hast du mich grade gefragt, ob ich dich heirate?“

„Na ja, genau genommen eigentlich nicht. Ich habe Andeutungen gemacht, ja, aber gefragt habe ich nicht und das werde ich auch nicht. Zumindest nicht hier im Badezimmer meines besten Freundes und ganz sicher nicht nackt. Aus welcher Hosentasche soll ich denn den Ring ziehen, den ich, zugegeben, erst noch besorgen muss?“

Ziemlich verdutzt dachte sie über meine Worte nach und sah mich dann böse an, bevor sie mir vor die Brust schlug.

„Du bist so ein Blödmann.“

„Ja, aber du hast mich jetzt am Hals, also gewöhn dich dran.“

Als Lenne mir die Zunge raus streckte, legte ich ihr eine Hand in den Nacken, zog sie zu mir ran und sog sie in meinen Mund. Sie wollte sich erst erschrocken daraus befreien, gab sich dem aber relativ schnell hin und bevor wir uns wieder darin verrennen konnten, löste ich mich von ihr.

„Wir sollten uns anziehen.“

„Dann hör auf, immer wieder anzufangen, sonst kneif ich dir wieder in den Nippel.“

Sofort verschränkte ich schützend die Arme vor der Brust. Ich wusste wie weh das tat.

„Du bist eine mieses, sadistisches, kleines Miststück.“

„Ich weiß.“

Bevor ich hätte reagieren können, hatte sie mir in die Seite gekniffen. Glücklicherweise nicht ernsthaft fest. Allerdings hatte sie wieder diesen Psychoblick aufgesetzt.

„Manchmal machst du mir irgendwie Angst.“

Mit den Schultern zuckend langte sie schlussendlich nach ihrer Tasche, die ich einfach ins Waschbecken hatte fallen lassen. Sie kramte darin herum und förderte schließlich ihren BH zutage, ließ das Handtuch fallen und streifte ihn dann über, wobei sie mehr als provokativ an mich heran rückte.

„Kannst du mir den zu machen?“

Ich konnte nichts anderes als lachen.

„Und zu mir sagst du, ich soll aufhören.“

 

 

 

Eine geschlagene Viertelstunde später schafften wir es dann aus dem Bad. Schuld an der Verzögerung war wie immer der Drang, sie anfassen zu müssen. Das ging doch mit Sicherheit als Krankheit durch, ob man sich dafür auch krank schreiben lassen konnte?

Wir lachten beide, als ich Lenne vor mir den Flur entlang schob, bis wir schließlich im Wohnzimmer ankamen und uns auf die Couch fallen ließen. Jaden sah nur verwirrt drein und ich lobte immer noch seine unschuldigen Gedanken, weil er nicht im geringsten zu ahnen schien, wieso wir so gute Laune hatten. Bei Chase war das anders. Er schüttelte mit dem Kopf und legte sein Brötchen weg.

„Danke, jetzt hab ich keinen Hunger mehr.“

„Was denn? Wir machen doch gar nichts.“

„Ihr seid unmöglich. Ich glaube ihr wart mir lieber, als ihr noch nicht miteinander geschlafen habt.“

Jaden gab in seinem Sessel ein angewidertes Geräusch von sich und hielt sich dann die Ohren zu.

„Ich will das gar nicht hören!“

„Ihr zwei stellt euch an wie kleine Mädchen.“

Als ich von Lenne einen irritierten Blick kassierte, zuckte ich mit den Schultern.

„Was? Bei den beiden kann ich das sagen, mit denen gehe ich nicht ins Bett.“

„So so.“

„Ja, so so.“

Ich bewegte mich schon wieder auf Lenne zu und sie grinste, bis Chase dazwischen ging.

„Stopp! Ihr hört sofort damit auf, sonst wird mir schlecht.“

„Du bist doch nur neidisch.“

„Nein, ihr seid so eklig süß, dass mir ernsthaft schlecht davon wird. Du bist seit Ewigkeiten mal wieder mehr als freizügig und sie fördert das auch noch. Ich hätte kein Problem damit wenn ihr euch auf den Boden werft und euch gegenseitig das Hirn raus vögelt, aber dieser Gefühlskram dabei macht mich ernsthaft krank.“

Mehr zu Lenne als zu den beiden anderen sagte ich schließlich: „Siehst du und das ist der Grund, warum Chase keine Frau findet, bei ihm sind Gefühle gleich null.“

Schließlich war es aber doch Chase, der darauf reagierte.

„Und ich bin mehr als glücklich damit. Wer braucht schon eine Frau, die einem ein Haus und Kinder aufschwatzt, wenn man eigentlich frei sein kann? Ich hab noch nie begriffen, was du so toll daran findest.“

„Ich will es eben besser machen als meine Eltern, wohingegen du dich schon vor dem Versuch drückst, überhaupt die Gegebenheiten dafür her zu stellen.“

„Dann besteht hinterher auch nicht die Gefahr, dass ich sie alle erschieße, wenn sie mir zu viel werden. Ich bin und bleibe eben vorsichtig, du weißt ja, wie das mit den Genen ist.“

Ja, das wusste ich gut. Der beste Beweis dafür, saß mir gegenüber im Sessel und hielt sich immer noch die Ohren zu. Spontan nahm ich mir eins der Sofakissen und warf es nach ihm, wobei er gleich protestierte.

„Ey!“

„Du kannst die Hände wieder runter nehmen.“

„Wird aber auch Zeit!“

„Werd nicht frech du Zwerg.“

„Ich geb dir gleich Zwerg!“

„Na, dann lass mal sehen.“

Jaden sprang schon von seinem Sessel und ich machte mich darauf gefasst, dass er sich auf mich werfen würde, aber da schritt Chase bereits ein.

„Hey, nicht in der Wohnung, hier ist kein Platz für so was, geht gefälligst raus, wenn ihr euch kloppen wollt.“

Beinahe gleichzeitig meckerten wir und dann warf ich Jaden wieder mit dem Kissen ab.

„Ich frühstücke erst, danach gehe ich mit Ben raus, und dann mach ich dich fertig du Wicht.“

„Das werden wir ja dann sehen.“

„und wie wir das sehen werden. Mit dir habe ich ohnehin noch ein Hühnchen zu rupfen.“

„Uhhhh, jetzt hab ich aber Angst.“

Ich ließ Jaden nicht aus den Augen, wie ein Hund der versuchte, einen anderen nieder zu starren, dachte mir aber dann, dass der Klügere nachgab und widmete mich dann dem Frühstück. Während wir aßen, war es so ruhig, dass man eine Stecknadel fallen hören konnte, bis Ben sein Spielzeug fand. Er begann wie wild darauf herum zu kauen und jedes mal, wenn er darauf biss, quietschte das Teil. Nach nur wenigen Momenten flippte Chase schon darüber aus, was Jaden dazu veranlasste, sich zu Ben auf den Boden zu setzen und erst recht mit ihm zu spielen. Der Junge konnte genauso provokativ sein wie ich. Als ich dann bemerkte, dass Lenne mich von der Seite angrinste, sah ich sie verwirrt an.

„Was denn?“

„Ach, gar nichts.“

„Dir liegt unheimlich viel daran, oder?“

„Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viel.“

Sowohl Chase als auch Jaden sahen uns verwirrt an und es war offensichtlich, dass sie nicht wussten, worüber wir redeten. Woher auch. Als ich Lenne wieder ansah, zog sie nur herausfordernd die Brauen hoch, was mich erst seufzen und dann aufstehen ließ.

„Ist ja gut. Komm Jaden, wir gehen mit Ben raus.“

„Echt jetzt?“

Das fragte er, als er schon mit Ben unterm Arm da stand.

„Ja, komm schon.“

„Cool.“

Bevor ich mich Richtung Flur bewegte, warf ich Lenne noch einen Blick zu, den sie mit einem aufmunternden Lächeln erwiderte. Ich wollte schon noch mal umdrehen und sie küssen, aber Chase schaffte es immer wieder, solche Momente zunichte zu machen.

„Warte, ihr wollt mich mit ihr alleine lassen?“

„Sie wird dir schon nicht an den Kragen gehen.“

Ich wollte sie schon fragen, ob sie mir zustimmte, aber der Blick, den sie Chase zuwarf, ließ mich in dieser Überzeugung wanken.

„Schatz, bitte sei nett. Ob du willst oder nicht, aber wir brauchen ihn.“

Sie kam gar nicht dazu, etwas darauf zu erwidern, da Chase aufsprang.

„Nein, vergiss es, ich schließ mich mit meinem Laptop in meinem Schlafzimmer ein, bis ihr zurück seid. Nichts gegen deine Frau Dan, aber sie tötet mich, solltest du mich je mit ihr alleine lassen.“

„Selber Schuld.“

„Was? Nein! Was hab ich denn gemacht?“

„Wir wissen alle, was du gemacht hast.“

Als Jaden sich zu Wort meldete, galten irgendwie alle Blicke ihm.

„Nein, ich nicht. Aber ich glaube, ich will es auch gar nicht wissen, so wie ihr mich alle anseht.“

„Nein, willst du auch nicht.“

Damit schob ich ihn mit einem kurzen „Bis später“ auf den Flur, leinte Ben an und verschwand nach draußen. Ich steuerte zielstrebig den Park an, in dem wir immer viel unterwegs gewesen waren, bevor ich von hier weg gegangen war und legte mir auf dem Weg dahin die Worte zurecht, kam aber nicht dazu, sie los zu werden, weil Jaden mir zuvor kam.

„Lenne ist komisch.“

„Im Sinne von lustig oder im Sinne von seltsam?“

Eigentlich brauchte er darauf nicht antworten, weil ich schon wusste, was er meinte.

„Sie ist seltsam.“

„Wer ist das bei dir nicht?“

„Nein, sie ist wirklich seltsam. Aber du magst sie, oder? So richtig, meine ich.“

„Ja.“

Mehr sagte ich nicht, weil ich wusste, dass er auf irgendetwas hinaus wollte.

„Also bist du mit ihr zusammen?“

„Ich denke schon, ja.“

„Du denkst?“

„Jaden, was willst du wissen? Spuck es aus.“

„Wie lange seid ihr schon zusammen?“

„Das sind alles Fragen, die einen zwölfjährigen eigentlich nicht interessieren sollten.“

„Beantworte sie doch einfach.“

Resigniert seufzte ich, ergab mich aber dann dem Verhör.

„Ein paar Wochen, warum?

„Bleibst du mit ihr zusammen?“

„Das ist der Plan.“

„Gut.“

Er sah ganz schön entschlossen aus, fast so wie Lenne, als sie verkündet hatte, dass sie mich mit Jaden zusammenschweißen wollte.

„Warum ist das gut?“

„Es scheint dir besser zu gehen. Bevor du weg gegangen bist, warst du immer mies drauf. Jetzt lachst du und du isst und du siehst aus, als würdest du regelmäßig schlafen, außerdem hab ich dich nicht einmal schreien hören letzte Nacht.“

„Und du glaubst, das wäre alles wegen ihr?“

„Na ja, Mum hat mir erzählt, dass du wegen Tessa so mega mies drauf wärst und dass du nur jemanden bräuchtest, der dir darüber hinweg hilft. Dann verschwindest du und kommst mit ihr wieder. Was soll ich denn sonst glauben?“

Einen Moment schwieg ich und warf meinem Bruder einfach nur einen Seitenblick zu. Der schwang allerdings nur fröhlich die Leine und schien sich auf Ben zu konzentrieren.

„Du bist viel zu intelligent für dein Alter.“

„Mum sagt, du warst in dem Alter auch schon so klug.“

„Vergleicht sie dich oft mit mir?“

„Nein, das ist eigentlich nur Dad. Er zählt immer die Dinge auf, die du falsch machst, dabei finde ich die Hälfte davon nicht mal falsch.“

„Sagst du ihm das auch.“

„Sicher. Ich sage ihm immer, dass er dich machen lassen soll, was du willst.“

„Und dann wird er sauer, oder?“

„Ja. Er fängt dann immer an laut zu werden, das nervt ganz schön.“

„Schlägt er dich auch?“

Als Jaden auf die Frage schwieg, drückte ich nach.

„Jaden, sei ehrlich, schlägt er dich?“

Auch dieses mal blieb er ruhig, zuckte dann aber doch mit den Schultern.

„Er hat mir an den Hinterkopf geschlagen. Nicht feste, aber auch nicht grade leicht.“

„Hat er dich sonst noch irgendwie geschlagen, oder dir weh getan?“

„Na ja, eigentlich nicht direkt, aber ich weiß wie er immer auf dir rum gehackt hat. Er hat dich geschlagen.“

„Und du hast jetzt Angst, dass er das mit dir auch macht?“

Wieder zuckte er nur mit der Schulter, aber jetzt versuchte er mir auch auszuweichen.

„Jaden, wenn er anfängt dich zu schlagen, dann musst du das jemandem sagen.“

„Hab ich doch, ich hab es Chase gesagt und du weißt es auch.“

„Nur können wir da nichts machen. Du musst das einem bei der Polizei sagen.“

„Das will ich aber nicht. Da glaubt mir doch eh keiner, mir glaubt doch so schon keiner.“

„Die müssen dir da glauben, bis man das Gegenteil beweisen kann.“

Dass sie ihm erst wirklich glauben würden, wenn man das beweisen konnte, verschwieg ich ihm hier geflissentlich.

„Ich will das aber keinem erzählen.“

„Dann musst du aufhören ihm zu widersprechen. Tu einfach was er sagt.“

„Das will ich aber auch nicht. Das ist total langweilig, ich will lieber Sachen machen, die Spaß machen.“

Ich seufzte, weil ich genau wusste, was er meinte. Ich hatte auch immer nur Musik machen wollen und das hatte ich im Endeffekt auch getan, aber unser Vater hatte mich nie vergessen lassen, dass mir das Leid tun sollte. Sicher, er war mir damit tierisch auf die Nüsse gegangen, aber Leid getan hatte mir das nie.

„Ich weiß, dass das keinen Spaß macht, aber du kannst dir das leider nicht aussuchen.“

„Ach, aber du durftest das? Du musstest das nie machen, du hast immer nur Musik gemacht.“

„Doch, ich musste auch machen was er sagt, bis ich das nicht mehr wollte und du weißt wie er mit mir umgeht, weil ich nicht so bin, wie er das gerne hätte.“

„Ja, aber du hast wenigstens Spaß.“

„Schon, aber das Leben besteht leider nicht nur aus Spaß, auch wenn du das gerne hättest. Es tut mir ehrlich Leid, dass der ganze Mist auf dich zurück fällt, aber du hast leider keine Wahl Jaden.“

„Das heißt, du lässt mich hier sitzen und haust mit deiner Freundin wieder ab.“

„Nein, das sage ich gar nicht.“

„Na wenigstens sagst du dieses mal Bescheid.“

„Jaden ich will dich nicht anlügen. Klar fahre ich mit Lenne wieder nach hause-“

„Hier ist dein Zuhause!“

Wieder seufzte ich. Dieser Junge war so eine verdammte Klette. Es tat niemandem von uns gut, dass er so an mir hing.

„Ich weiß, dass du das nicht hören willst, aber das hier ist schon lange nicht mehr mein zuhause.“

„Du sagst immer, zuhause ist man da, wo jemand auf dich wartet. Ich warte doch die ganze Zeit, aber du kommst trotzdem nicht zurück.“

„Du bist noch zu jung um das zu verstehen.“

„Das höre ich ständig! Du bist zu jung, du bist zu klein, du bist zu, ach leck mich doch!“

„Hey so was will ich von dir nicht hören!“

„Warum, bin ich da auch zu jung für?“

„Nein, so was gehört sich einfach nicht. Vor allem nicht für jemandem in deinem Alter.“

„Also bin ich doch zu jung.“

„Mach doch bitte nicht so ein Theater daraus.“

„Warum, nervt dich das? Bist du deswegen mit Lenne abgehauen ohne was zu sagen?“

„Ich bin nicht abgehauen. Man hat mir angeboten für ein Plattenlabel zu spielen und ich habe das angenommen. Glaub mir, ich wollte Lenne gar nicht dabei haben, dass sich das alles so entwickelt hat, war gar nicht geplant.“

„Aber jetzt bereust du es ganz sicher nicht, dass du sie mitgenommen hast.“

„Ich hatte gar keine Wahl, ich musste mich mit ihr arrangieren, weil man uns in die gleiche Wohnung gesteckt hat. Aber ja, du hast recht, ich bereue das nicht.“

„Deswegen gehst du wieder mit ihr weg und lässt mich hier alleine.“

„Du bist nicht alleine, Chase ist da.“

„Und weil der so viel Zeit hat, sitze ich so oft alleine zuhause in meinem Zimmer fest.“

Herrgott, er machte mich wahnsinnig.

„Versprich mir, dass du dich unserem Vater nicht mehr widersetzt.“

„Nein. Ich will nicht alleine hier bleiben.“

„Ich kann dich nicht mitnehmen Jaden, das funktioniert nicht. Du gehst hier zur Schule und ich kann nicht auf dich aufpassen, ich muss arbeiten.“

„Ich kann doch da irgendwo auf eine Schule gehen und ich kann zuhause bleiben, wenn du nicht da bist.“

„Das geht nicht und das weißt du.“

„Du willst mich nur einfach nicht mitnehmen, sag das doch einfach.“

„Was glaubst du denn, wie das ablaufen soll? Ich hab nicht mehr so viel Zeit, um alles mögliche zu unternehmen, ich hab ja kaum noch Freizeit, das geht alles für die Arbeit drauf.“

„Du willst mich also wirklich alleine lassen? Ich will aber nicht alleine bleiben.“

„Du bist nicht alleine, Philip ist da, du hast die Hunde, lade Freunde ein. Hör auf, so an mir zu klammern.“

„Das ist aber alles langweilig und doof.“

„Pass auf, ich mach dir einen Vorschlag. Du hältst vorerst die Füße still und ich überlege mir was, okay? Du bleibst hier und tust, was dir gesagt wird und wenn Chase am Wochenende zu uns kommen sollte, fährst du einfach mit ihm, oder ich komme am Wochenende hier her, bis mir eine akzeptable Dauerlösung eingefallen ist. Aber gib mir ein bisschen Zeit, ich muss mir erst etwas einfallen lassen.“

Irgendwie hatte ich befürchtet, dass er weiter diskutieren würde, aber der Junge war zu schlau, um nicht über ein solches Angebot nach zu denken. Er schwieg eine ganze Weile, während wir durch den Park wanderten, bis er schließlich entschlossen das Kinn hob.

„Wenn ich Dad sage, dass du gesagt hast, dass ich auf ihn hören soll, glaubst du, er ist dann weniger sauer auf dich?“

„Keine Ahnung, vielleicht.“

Ich wusste, dass es falsch war, Jaden in diesem Glauben zu lassen, aber es war eben besser, wenn er nicht alles wusste.

„Okay. Dann versuche ich mich zusammen zu reißen, aber nur wenn du versprichst, Lenne mit zu bringen, wenn ihr wieder her kommt.“

„Was? Du hast gesagt, du findest sie seltsam.“

„Ja, aber sie kann lustig sein und sie schaut Disneyfilme. Du schaust die nicht.“

„Ganz genau und ich liebe diese Frau, aber ihr werde ich das auch noch austreiben.“

„Nein, dann habe ich ja gar keinen mehr, der die mit mir guckt.“

„Tja, das ist dein Problem.“

„Du bist gemein.“

Trotzig verschränkte Jaden die Arme, vergaß seinen Trotz aber gleich, als ich ihm die Leine hin hielt. Sofort griff er danach und raste mit Ben über die nächste Wiese und kam auch so schnell nicht wieder. Während ich den beiden dabei zusah, wie sie über den rasen fetzten, setzte ich mich auf eine der Bänke und merkte gleich, wie alleine ich mir vor kam. Allzu lange würden wir nicht hier bleiben, erstens, weil mir furchtbar etwas an meiner Seite fehlte und zweitens, weil ich eigentlich noch zu Rob wollte, bevor der Tag gelaufen war.

 

 

 

 

 

Wie versprochen, verkroch Chase sich in seinem Zimmer, sobald die beiden Jungs zur Tür hinaus waren. Wahrscheinlich, um sich irgendwelche Pornos reinzuziehen, das Ferkel!

Damit blieb ich alleine im Wohnzimmer zurück und langweilte mich schon gleich. Ohne Dan gab es nicht viel, womit ich mich unterhalten konnte, also schob ich einen der Disneyfilme von gestern wieder ein und legte mich auf die Couch. Die Dialoge und das Gesinge, das ich leise im Hintergrund laufen ließ, lullte mich ein und ich verbrachte meine Zeit damit, zwischen Dösen und Wachen hin und her zu wechseln.

Ich bildete mir sogar ein, einmal richtig eingeschlafen zu sein. Zumindest war mir nicht bekannt, dass man beim Dösen träumen konnte. Es war kein angenehmer Traum, aber ich erinnerte mich bei meiner Wachphase nicht mehr daran, worum es darin überhaupt ging. Ich wusste nur, dass Blut darin vorkam.

Als ich verschlafen und zugegeben, ziemlich schlecht gelaunt, die Augen öffnete, stand Chase über mir wie ein Axtmörder.

„Mann! Fehlt nur noch, dass du das große Fleischermesser über den Kopf hältst“, brummte ich missmutig und rieb mir die Augen.

„Bilde dir nichts ein, ich wollte nur nach dir sehen, weil ich neben den Disneygeräuschen nur noch Ächzen und Stöhnen gehört habe. Hätte ja sein können, dass du irgendwelche perversen Sachen machst. Zu Kinderfilmen.“

„Und wovon träumst du nachts?“

„Oh, da gäb es so einiges...“

„Ja ja, behalt's für dich.“ Mürrisch setzte ich mich auf und rieb mir über das Gesicht. Als ich wieder aufsah, wunderte ich mich darüber, dass Chase mir in einem Sessel gegenüber saß und mich eindringlich ansah.

„Nichts gegen dich, aber ich hoffe, dass du Dan gegenüber bald die Karten auf den Tisch legst. Wenn es dich schon nur belastet, wenn man dich darauf anspricht, dann hat er ein Recht darauf zu wissen, wie das euer Leben beeinflussen wird.“

„Das werde ich schon noch“, erwiderte ich grantig. Chase ging mir tierisch auf die Nüsse. „Zu gegebener Zeit.“

„Und wann wird das sein? Wenn du einen Nervenkollaps hattest und heulend bei deinem Therapeuten sitzt?“

„Du bist so ein Arsch!“

„Danke, das höre ich öfter.“

„Das war kein Kompliment!“

„Nicht?“

„Nein!“ Wenn Dan und Jaden nicht bald zurückkamen, würde ich eine Leiche beseitigen müssen. Und das hätte ich ungern getan, da wir Chase, wie Dan richtig angedeutet hatte, noch brauchten.

„Wieso wärmst du das Thema immer wieder an?“, fragte ich, um das Thema zu wechseln.

„Das tue ich doch gar nicht ständig. Das war jetzt das zweite Mal. Ich möchte nur nicht sehen, dass es Dan zerreißt, nur weil du das Maul nicht auf bekommst.“ Ich wusste, er hatte Recht, aber gerade weil es von Chase kam, stemmte mein Verstand sich dagegen, diese Sache zu akzeptieren.

„Hör auf zu nörgeln, ich hab Dan erlaubt, sich die dämliche Mappe anzusehen, die du ihm zu geschustert hast. Außerdem habe ich ihm versprochen, ihm alle seine Fragen zu beantworten, wenn er das getan hat.“

„Das ist ziemlich feige.“

„Und wenn schon? Es tut ja keinem weh.“ Ich sah aus dem Fenster und seufzte. „Es wird einfacher sein, wenn es eine Grundlage gibt, von der ich ausgehen kann. Es bloß zu erzählen, scheint mir der Sache nicht gerecht zu werden.“

„Ach und aufgetakelte Zeitungsartikel und nüchterne Polizeiakten werden es?“ Wieder seufzte ich. Diesmal aus Frust.

„Ich sagte doch, sie bilden eine Grundlage. Manchmal braucht man eben auch nüchterne Fakten und aufgetakelte Berichte. Das Sachliche und das Ausmaß des Schreckens.“ Daraufhin schnaubte Chase lediglich. Ich hätte ihm am liebsten den Hals umgedreht.

„Hör zu, Lenne, ich will dich damit doch nicht ärgern oder dich in ein tiefes, finsteres Loch stoßen. Aber du hast doch gesehen, wozu es geführt hat, als Dan dir nicht alles über Tessa erzählt hat. Ich hab das Portrait gesehen und was du damit gemacht hast. Ich möchte nur nicht, dass ihr den gleichen Fehler wiederholt.“

„Das weiß ich doch. Und für ein Arschloch bist du sogar ganz okay. Ich kann uneingeschränkte Loyalität sehen, wenn sie mir einen Zaunpfahl vor den Latz knallt. Es ist nur... Ich...“ Mann, Seufzen konnte glatt mein neues Hobby werden.

„Ich schäme mich dafür, okay? Es kommt mir nur so vor, als wäre das ganz Debakel damals meine Schuld gewesen. Du kannst dir gar nicht erst vorstellen, wie oft ich gedacht hatte: 'Wenn es mich nur nicht gäbe' und ähnliche Dinge. Es lag nicht wirklich an den vielen Opfern, die meisten kannte ich nicht einmal, aber unter ihnen war nun einmal auch meine beste Freundin. Ich weiß also sehr gut, wie sich Dan wegen Tessa gefühlt haben muss. Oder es vielleicht noch tut. Ich weiß es.“

„Davon war nun wirklich nirgendwo die Rede.“

„Ich war noch ein Kind und das hätte ich nun wirklich nicht jedem auf die Nase gebunden. Es gibt einfach Dinge, die die Welt und die sensationsgeilen Medien nichts angehen.“

„Das stimmt. Aber Dan werden sie sehr wohl was angehen.“

„Komm schon, wozu hast du die blöde Mappe überhaupt erstellt, wenn du eh willst, dass ich es ihm persönlich in allen Einzelheiten erzähle?“

„Ähm... na ja...“

„Ja, das hab ich mir gedacht.“

„Na gut, mach du halt wie du meinst. Wir werden sehen, inwiefern das gut geht.“ Damit verzog sich Chase wieder in sein Zimmer und ließ mich mit schlechter Laune zurück.

Chase schien ein guter Freund mit sehr viel Durchblick zu sein, doch ich hatte auch das Gefühl, dass er nicht ganz Begriff, was das zwischen mir und Dan war. Ich begriff es die meiste Zeit zwar auch nicht, aber ich war mir sicher, dass Dan mich verstehen würde.

Gereizt warf ich den nächsten Disneyfilm ein und wartete darauf, dass Dan und das Ding... äh Jaden endlich wiederkamen.

 

Es schien eine halbe Ewigkeit zu vergehen, bis ich die Tür hörte und die beiden Brüder kabbelnd hereinkamen. Dan ließ Ben in der Wohnung laufen, während Jaden sich in einen Sessel warf. Dann kam er zu mir und gab mir lächelnd einen Kuss, den ich bereitwillig erwiderte.

„Hey! Hier sind Kinder anwesend!“

„Ich sehe nur eins“, erwiderte ich grinsend.

„Haarspalterei!“

Da kam Chase mit seinem Laptop aus dem Zimmer geschlurft und nickte Dan einmal zu und setzte sich dann selbst ins Wohnzimmer. Dan zog mich hoch und schlang die Arme um mich.

„Ich will noch zu Rob, bevor wir heimfahren. Kommst du mit?“

„Klar komme ich mit.“ Dan warf Chase daraufhin einen Blick zu, doch bevor er etwas sagen konnte, unterbrach letzterer ihn schon.

„Ja, ja, ich bespaße deinen Bruder derweil. Haut endlich ab.“

Überrascht zog Dan die Augenbrauen hoch, doch er zuckte lediglich mit den Schultern und zog mich zur Tür. Wir gingen zu Fuß zum Club und ich wunderte mich ein wenig darüber, wie fremd mir die Stadt jetzt vorkam, obwohl ich jahrelang hier gelebt hatte.

Es war noch viel zu früh, um zu öffnen, doch der Sicherheitsmann stand trotzdem vor der Tür. Er lächelte, als er uns erkannte und nickte uns zu, während wir durch den Haupteingang gingen. Das Barpersonal war schon fleißig am Saubermachen und Organisieren. Einige begrüßten uns, als wir an ihnen vorbei gingen und uns nach hinten vorkämpften. Die Stühle und Tische standen noch kreuz und quer.

Hinten in der Nähe des Büros hörten wir dann Rob's Stimme. Er schien zu telefonieren und seinen Gesprächspartner beruhigen zu müssen.

„Das hast du dir doch selbst eingebrockt. Ich verstehe nicht, wieso du dich beschwerst. Sie sind Künstler und die sind nun mal eigensinnig.“ Stille und ein lautes Seufzen von Rob.

„Hör zu, ich muss hier langsam weitermachen. Im Spielplan stimmt schon wieder was nicht, wir telefonieren wann anders weiter, ja Frank? Sicher. Ja. Ja. Bis dann.“ Erst als Rob aufgelegt hatte, klopfte Dan an und steckte den Kopf rein.

„Oh Dan! Schön dich zu sehen! Lenne? Bist du das?“ Lächelnd ging ich etwas zögerlich hinein. Rob kam um seinen Schreibtisch herum und klopfte Dan auf die Schulter, während er mich völlig überraschend in den Arm nahm und kurz an sich drückte. Völlig verdattert starrte ich ihn an. Dan lachte natürlich lauthals, weshalb ich nach ihm trat, aber natürlich nicht fest.

„Es ist schön euch beide zu sehen und ihr zofft euch gar nicht.“ Da wurde ich rot und sah alles an, nur nicht die beiden Kerle.

„Aha, ich sehe schon, wie das gelaufen ist. Dann stimmt es doch, was man sagt: Was sich liebt, das neckt sich.“

Ich schnaubte: „Das konnte man ja wohl kaum 'necken' nennen. Wir haben uns schon ziemlich üble Schimpfwörter an den Kopf geworfen.“

„Wow und so viel an einem Stück hab ich dich auch noch nie reden hören.“

„Ach Mann! Jetzt ist aber mal gut!“ Dan und Rob lachten nur, während ich ihnen den Stinkefinger zeigte. Idioten.

35

 Es tat echt gut, wieder im Club zu sein. Es wirkte alles so stinknormal und vertraut, im Vergleich zu dem Stress und dem Chaos, dass bei uns im Studio herrschte. Es gab nur zwei Dinge, die sich unheimlich merkwürdig anfühlten. Erstens die Tatsache, dass ich nicht hier war, um zu spielen, sondern einfach nur, um alte Erinnerungen ins Gedächtnis zu rufen und zum anderen, dass ich zum ersten mal mit Lenne hier war, ohne dass wir uns anschrien. Jedes mal, wenn ich daran dachte, wie wir uns ständig beinahe an die Gurgel gegangen waren, musste ich unheimlich grinsen, was mir jedes mal einen komischen Blick, entweder von ihr oder von Rob, einbrachte.

„Wisst ihr, es ist ziemlich merkwürdig euch so ruhig zusammen im gleichen Zimmer zu sehen.“

„Ehrlich gesagt, Rob, warte ich immer noch darauf, dass sie vollkommen ausflippt, mich anschreit und geht. Aber irgendwie tut sie das einfach nicht.“

„Hey, soll das etwa heißen, du willst mich los werden?“

„Was denkst du denn von mir? Du weißt, ich würde das nicht mal denken.“

Um das zu untermalen, zog ich Lenne an mich und drückte ihr einen Kuss auf die Schläfe, woraufhin sie mir einen bösen Blick zu warf, bis ich sie schließlich richtig küsste. Als Rob dann wieder anfing zu lachen, fragten wir beide unisono im leicht genervten Tonfall: „Was?“

Er hörte zwar auf zu lachen, konnte sein Grinsen aber nicht verbergen.

„Gar nichts, wollt ihr euch nicht setzen? Wollt ihr was trinken?“

Zuerst misstrauisch, es dann aber mit einem Schulterzucken abtuend, zog ich Lenne mit mir zu der kleinen Couch, setzte mich dann und zog sie neben mich. Ich legte ihr einen Arm um die Schultern, woraufhin sie sich gleich an meine Seite schmiegte. Rob hingegen holte Wasser und Cola aus seinem kleinen Kühlschrank, so wie Gläser aus dem Schrank und stellte sie auf dem niedrigen Tisch vor uns ab.

„Bedient euch und dann erzählt mal. Was treibt euch her?“

Lenne schenkte ich ein Glas Wasser ein und mir selbst nahm ich Cola, bevor ich mich wieder zurück lehnte.

„Nichts besonderes eigentlich. Wir waren in der Gegend und wer schaut denn nicht mal in seinem alten Heim vorbei?“

Denn für mich war es wirklich mehr ein zuhause gewesen, als jeder andere Ort. Ich hatte hier gearbeitet, ich hatte hier gespielt und wenn es wirklich hart kam, hatte ich sogar hinter der Bühne geschlafen. Rob und der Club waren eine ganze Weile alles gewesen, was ich gehabt hatte. Zumal war Rob immer gut zu mir gewesen, obwohl ich eine Menge auf dem Kerbholz hatte, aber er hatte mich so genommen wie ich war und dafür war ich ihm dankbar.

„Ihr wart also in der Gegend. Komisch, ich dachte immer, wenn du es erst mal geschafft hast, von hier weg zu kommen, würdest du nie wieder einen Fuß in diese Stadt setzen.“

„Mein Bruder hat Schwierigkeiten zuhause und ich bin genötigt worden, mich darum zu kümmern.“

Mehr als deutlich warf ich Lenne einen tadelnden Blick zu, obwohl ich ihr gar nicht böse darum war. Ich wusste ja, dass sie es gut meinte, auch wenn es mir immer noch irgendwie unbehaglich war, mich um Jaden zu kümmern.

„Lenne hat dich dazu überredet? Das sind ja ganz neue Sitten, das kennt man von dir ja gar nicht.“

„Ja, unglaublich aber wahr, ich lasse mich von ihr zu so ziemlich viel überreden, ich weiß auch nicht, was mich da immer treibt.“

„Sie macht noch einen ganz anderen Menschen aus dir.“

„Ich versuche nur, ihm zu helfen, ich will ihn nicht verändern.“

„Du hast ihn schon verändert, du hast ihn eigentlich vollkommen umgekrempelt.“

Ach ja?

„Ach ja?“

„Na ja, der Darian Ames, den ich die letzten drei Jahre kannte, war ein mürrischer, desinteressierter Kerl, der sich für nichts begeistern ließ, außer Musik und selbst das schien zwischendurch auf der Strecke zu bleiben, obwohl er für Musik lebt. Jetzt ist er fröhlich, offen und vor allem sieht er viel besser aus, nicht so, als würde er jeden Moment zusammen brechen. Wenn du mich fragst, ist das schon eine arge Veränderung.“

Irgendwie hatte ich nicht wirklich das Bedürfnis, dass wir uns hier über mich unterhielten, daher wechselte ich das Thema, bevor wir uns darin vertiefen konnten.

„Veränderung hin oder her, wir sind hier und es ist alles gut so, wie es ist. Erzähl uns lieber, wieso Frank Coleman dich angerufen hat, oder wieso deine Gig-Liste schon wieder nicht in Ordnung ist.“

„Frank ruft mich ständig an, in letzter Zeit sehr häufig, weil er sich von mir irgendwelche Tipps erhofft. Er fragt mich ständig, wie er mit euch umgehen soll, aus irgendeinem Grund ist er der Meinung, dass ich für euer Tun verantwortlich bin. Ihr seid ihm wohl zu selbstständig, als er hier war und euch beide gesehen hat, dachte er wohl, das wäre ein Kinderspiel, dabei habe ich noch versucht, ihm das aus zu reden. Er war felsenfest davon überzeugt, dass er euch mit Leichtigkeit unter Kontrolle haben würde. Ich wusste gleich, dass er sich damit ins eigene Fleisch schneidet.

Und das mit der Liste, sagen wir einfach, ich hatte keine Lust die immer und immer wieder gleiche Diskussion mit ihm zu führen. Die Liste funktioniert als Ausrede immer sehr gut, hat mir schon oft weiter geholfen.“

Bitte was?

„Ich will schwer für dich hoffen, dass er die Idee, Lenne belästigen zu lassen, nicht von dir hat Rob, sonst sehe ich mich dazu gezwungen, dir schmerzlich bewusst zu machen, was für eine Schnapsidee das war.“

„Was? Was soll das heißen, Lenne belästigen zu lassen? Ich schwöre dir Dan, ich habe nichts damit zu tun.“

Seine Bestürzung schien echt zu sein und der Schock, der ihm ins Gesicht geschrieben stand, verriet mir, dass er mehr wusste, als er sagte.

„Ich weiß es nicht sicher, aber ich bin fest der Überzeugung, dass er jemanden angeheuert hat, der Lenne...“

Ich wusste, dass Lenne das Thema nicht schon wieder anfangen wollte und als sie den Kopf an meiner Schulter zu vergraben schien und dabei unangenehm hin und her rutschte, wusste ich sofort, dass ich schon wieder den Finger in die Wunde drückte. Ich drückte sie an mich, fuhr dann aber trotzdem fort, darauf bedacht, das ganze so schnell wie möglich wieder in der Versenkung verschwinden zu lassen.

„Ich hab keine Ahnung, ob Coleman wusste, dass er Lenne an die Wäsche wollte, aber er steckt da auf jeden Fall mit drin, sonst hätte er etwas unternommen, immerhin muss er davon wissen, weil er uns im Studio überwachen lässt.“

Rob versuchte, eine neutrale Miene auf zu setzen, aber sein Seufzer hatte ihn verraten, bevor er überhaupt den Mund auf gemacht hatte.

„Bist du dir da sicher?“

„So sicher wie ich mir sicher bin, dass du mir etwas verheimlichst. Spuck es aus Rob, mach es nicht schlimmer, als es eh schon ist.“

Wieder seufzte er und ließ sich dann eine Menge Zeit, bevor er sprach.

„Frank ist ein ziemlicher Kontrollfreak.“

„Was du nicht sagst.“

„Ja, aber das hat alles seine Gründe. Ihr solltet wissen, dass Frank es nicht leicht hatte. Er hat schon damals in der Schule immer einstecken müssen. Ich will nicht mal raten, wie oft er mit dem Kopf im Klo gehangen hat und in der Uni war es nicht besser. Aus irgendeinem Grund hatten es immer alle auf ihn abgesehen.“

„Vielleicht, weil er ein Arsch ist?“

„Nein, er war ja nicht immer so. Er war mal ein richtig netter Typ und er hat seinen Job mal richtig gut gemacht, auch wenn ich der Meinung bin, dass er nie diesen Posten hätte bekommen dürfen. Wenn ihr mich fragt, war es nur eine Frage der Zeit, bis er seinen Standpunkt ausnutzen und sich besser als alle anderen dar stellen würde. Nachdem seine Frau ihn dann für einen anderen hat sitzen lassen und deren Sohn bei ihm zurück gelassen hat, na ja, was soll ich sagen, da kam altes wieder hoch und diesmal ist er endgültig in dieser Phase hängen geblieben. Ich hab noch versucht, ihm gut zu zu reden, aber er lässt sich von niemandem was sagen. Es ist traurig, weil wir uns eigentlich immer gut verstanden haben, aber wenn er so weiter macht, werde ich die Verbindung zu ihm abbrechen.“

Ich versuchte mir ernsthaft ein Bild von Coleman zu machen und versuchte mir vor zu stellen, wie aus ihm das geworden war, was er jetzt nun mal war. Lenne hingegen schien sich da nicht für zu interessieren und schaltete sich dazwischen.

„Du hast also wirklich noch Mitleid mit diesem Spinner?“

„Nicht dafür, dass er ist, wie er ist, sondern dafür, dass er so geworden ist. Ich bin der Meinung, wenn sein Leben nur ein wenig anders verlaufen wäre, wäre er heute noch der nette Kerl, der er mal gewesen ist.“

Rob schien immer nur die guten Seiten in jemandem zu sehen, selbst, wenn sie nicht mal mehr da waren. Ich selbst war ihm sehr dankbar für diese Einstellung, aber sah er denn nicht, dass bei Frank Coleman Hopfen und Malz verloren war? Was ich dazu dachte, behielt ich für mich und überließ stattdessen Lenne das Reden.

„Das Leben ist aber eben kein Wunschkonzert und es kann sich ja wohl jeder selbst aussuchen, wie er sein will. Nichts gegen dich Rob, aber was du da erzählst ist Schwachsinn. Dieser Mann ist und bleibt ein mieser, egoistischer, manipulativer Arsch.“

Nickend musste ich ihr da zustimmen, was Rob schließlich schweren Herzens ebenfalls zu tun schien.

„Es ist schade um den Mann, er war mir mal ein richtig guter Freund. Bedauerlicherweise scheint er jetzt nur noch darauf aus zu sein, alle anderen von oben herab zu betrachten.“

„Und genau das wollen wir uns nicht gefallen lassen. Wie Lenne schon sagt, er ist egoistisch, er denkt nur an seinen Profit, an seinen Erfolg, dass wir dabei auf der Strecke bleiben, ist ihm völlig egal. Wir hingegen wollen bekannt werden und unsere Musik unter die Leute bringen, wobei es uns mittlerweile egal ist, was für Frank Coleman dabei raus springt.“

„Das hatte ich bereits befürchtet. Eigentlich wollte ich ja, dass ihr diese Chance als Sprungbrett benutzt, ich wollte, dass ihr endlich den Absprung schafft, dass ihr euch nicht mehr in so einem kleinen Club ab kämpfen müsst. Allerdings hatte ich auch gehofft, dass ihr es länger mit Frank aushaltet, damit ihr euch seine Mittel zunutze machen könnte, aber das scheint wohl nicht zu funktionieren. Ihr scheint euch einfach nicht helfen lassen zu wollen, selbst dann nicht, wenn man sie euch unauffällig unterjubelt.“

Wie klang das denn? Lenne schien das ebenso komisch aufgenommen zu haben wie ich, denn sie wollte schon aufstehen und auf Rob zu gehen, hätte ich sie nicht neben mir auf der Couch gehalten. Am reden konnte ich sie allerdings nicht hindern.

„Soll das heißen, wir halten uns zu gut, als dass wir es nicht für nötig halten, Hilfe von anderen an zu nehmen?“

„Ganz ruhig Schatz, ich bin mir sicher, wir haben Rob beide falsch verstanden.“

„Ich glaube nicht. Hört sich fast so an, als wollte er sagen, wir wären zu doof um uns helfen zu lassen.“

„Ich glaube nicht, dass er das damit sagen wollte.“

„Dann frag ihn doch.“

Trotzig verschränkte Lenne daraufhin die Arme, wich mir aber nicht von der Seite, was mich grinsen ließ. Um ihre Herausforderung an zu nehmen, wollte ich mich eigentlich an Rob wenden und die Sache klar stellen, aber der grinste seinerseits nur vor sich her und schüttelte den Kopf.

„Kaum zu glauben, dass ihr euch mal aufs Blut nicht ab konntet. Wie ihr euch verhaltet, wie soll ich das beschreiben? Es ist, als wärt ihr zwei eine Person. Wenn sich einer von euch bewegt, tut es auch der andere und wie ihr euch ergänzt. Ihr habt schon wie zwei Puzzleteile ineinander gepasst, als ihr beide euch zum ersten mal gesehen habt, eine Schande, dass ihr so lange gebraucht habt, bis ihr das auch selbst erkannt habt.“

Ich dachte einen Moment darüber nach und konnte mich nicht daran hinter, mir unser Gespräch noch mal durch den Kopf gehen zu lassen, denn irgendwie klang er merkwürdig. Als mir dann seine Worte durch den Kopf hallten, hätte ich mir wegen der Offensichtlichkeit beinahe vor den Kopf geschlagen. Ich ließ das allerdings bleiben und deutete dann, mit schmalen Augen und erhobenem Zeigefinger, auf Rob.

„Du! Du hast das so gedreht, gib es zu!“

Verteidigend hob Rob die Hände, grinste aber immer noch.

„Ich weiß nicht, wovon du sprichst.“

„Das weißt du ganz genau! Du hast vorhin selbst gesagt, dass dir deine Gig-Liste schon so manches mal behilflich war. Du hast an der Liste rum geschraubt, damit wir zusammen auftreten, oder?!“

Lenne an meiner Seite schien das wirklich zu schocken, wobei sie sich ziemlich schnell fing und in meinen Armen anfing zu zappeln. Ich hingegen fand das ganze eher ziemlich amüsant, weil es so einiges erklärte.

„Du Wiesel, ich dreh dir den Hals um! Du hast uns die ganze Zeit verarscht!“

Lachend und mit vollem Körpereinsatz hielt ich Lenne auf dem kleinen Sofa gefangen.

„Nein Süße, das tust du nicht, weil wir ihm jetzt, da wir das wissen, eine Menge schuldig sind.“

„Ihr schuldet mir überhaupt nichts, denn ihr habt das beide bitter nötig gehabt. Im Gegenteil, eigentlich schulde ich euch etwas, immerhin habt ihr mir meinen Club immer gut voll gehalten und nachdem ich euch hab ziehen lassen, muss ich ehrlich sagen, sind meine Einnahmen zurück gegangen. Leute wie euch zu finden, ist unheimlich schwer oder eigentlich schon beinahe unmöglich, weil das Publikum euch will und es dauert viel zu lange, um sie auf andere Künstler an zu regen, wenn das überhaupt möglich ist. Ihr habt gar keine Ahnung davon, wie oft ich schon nach euch gefragt worden bin. Ständig kommen Leute hier rein, fragen, wann ihr wieder auftretet und ziehen dann mit hängenden Gesichtern wieder ab, weil ich ihnen sagen musste, dass ihr hier nicht mehr auftretet.“

„Schon gut, ich hab es verstanden, ich kann zwischen den Zeilen lesen.“

„So? Und was sagst du dazu?“

„Kann ich nicht sagen, weil ich das nicht alleine entscheide.“

Fragend schaute Lenne zwischen Rob und mir hin und her und warf sich schließlich dazwischen.

„Wow, Moment, ich hab grade irgendetwas nicht mitbekommen, könnt ihr mich bitte aufklären?“

„Im Grunde bietet Rob uns an, hier zu spielen. Wenn ich darüber nachdenke, bringt uns das nur Vorteile. Wir können endlich vor Publikum spielen, wir gewinnen an Bekanntheit, wenn sich das rum spricht, Rob kriegt seinen Club wieder voll und Coleman guckt aus der Röhre.“

„Dass Frank aus der Röhre schaut, ist ein angenehmer Bonus, ja. Aber es ist ziemlich riskant.“

„Alles, was wir hinter seinem Rücken veranstalten, ist riskant, aber wo sollte es besser funktionieren als hier? Hier kennt man uns schon, es ist weit außerhalb von Frank's Reichweite, hier haben wir meinen Bruder als Alibi, außerdem kann ich mich dann darum kümmern und Rob hält auch dicht, weil es dumm von ihm wäre, wenn er sich ein regelmäßig volles Haus durch die Lappen gehen ließe. Korrigier mich wenn ich falsch liege, aber besser kann es kaum sein, oder?“

Lenne, inzwischen wieder ruhig und gefasst, rückte sich neben mir auf der Couch zurecht und boxte mir dann gegen den Arm.

„Wofür war das?“

„Dafür, dass ihr hier eure Pläne schmiedet und mich vollkommen außen vor lasst.“

„Hey, ich hab selbst bis grade nicht gewusst, dass er seine Finger in der Sache drin hat und so wie sich das ganze anhört, klingt das verdammt so, als wäre Chase auch bis zu einem gewissen Grad beteiligt.“

Prüfend schaute ich zu Rob, aber der grinste nur freudig vor sich hin.

„Irgendwie musste ich euch ja hier her kriegen, ohne direkt bei euch anzurufen. Chase war so gut und hat euch her gebracht.“

„Und weil euch klar war, dass ich nicht wieder fahre, ohne hier vorbei zu schauen.“

„Du bist eben berechenbar Darian.“

„Ja, nur, dass Lenne mich dazu überredet hat, hier her zu kommen und nach meinem Bruder zu sehen.“

„Früher oder später wärst du auch so hier er gekommen, weil Chase deinen Bruder nicht zu dir gebracht hätte. Lenne hat das ganze nur beschleunigt und dafür bin ich sehr dankbar, weil uns das ebenfalls sehr zu gute kommt.“

Freudig lächelte Rob sie an, woraufhin er sich einen finsteren Blick einfing, der ihn allerdings nicht aus der Fassung brachte.

„Ja, toll. Nichts desto trotz, liegt die Entscheidung nicht nur bei mir. Lenne muss damit einverstanden sein und dann sind da noch zwei, die das etwas angeht. Ich werde nicht über die Köpfe der beiden hinweg entscheiden und außerdem will ich selbst noch mal in Ruhe darüber nachdenken. So toll sich das auch grade anhören mag, will ich erst alle Für und Wider abwägen.“

„Sicher, ich verlange ja auch gar keine sofortige Entscheidung, ich biete euch lediglich diese Gelegenheit, was ihr daraus macht, liegt bei euch. Mir war nur wichtig, dass mit euch persönlich zu besprechen. Außerdem wollte ich mich selbst davon überzeugen, was Frank da so beschwärmt und ich muss ihm Recht geben, ihr seht wirklich gut zusammen aus.“

Ich wusste, dass Rob das ernst meinte, aber grade deshalb hatte ich das Gefühl, ihm etwas schuldig zu sein, auch wenn er das eben bestritten hatte. Hätte er Lenne und mich nicht praktisch dazu gezwungen, miteinander zu spielen, wäre das Ganze nicht ins rollen gekommen und dann wären wir vermutlich immer noch hier und würden uns gegenseitig an die Kehle gehen. Außerdem hatte er uns ein Angebot gemacht, das nicht ohne war und wir konnten alle anständig damit vor die Wand fahren, Rob eingeschlossen. Da ich wusste, dass es Rob in erster Linie nicht um den Gewinn ging, ließ die Tatsache, dass er uns trotz des Risikos dieses Angebot machte, mein schlechtes Gewissen nur noch größer werden.

„Ich werde ein paar Tage darüber schlafen, wir werden uns mit den anderen beiden zusammen setzen und dann melde ich mich bei dir. Ich weiß, dass ich nicht nur für mich spreche, wenn ich sage, dass wir so schnell wie möglich von Frank weg wollen, aber so viel Zeit muss sein.“

Wieder hob Rob die Hände in die Luft, stand aber dieses mal auf.

„Wie gesagt, das überlasse ich euch und ich muss jetzt langsam nach vorne, gleich geht die Tür auf. Ihr könnt euch ja unter die Menge mischen, da gibt es sicher ein paar Leute, die euch gerne sehen würden. Vielleicht könnt ihr ja ein paar Andeutungen machen, sich mit anderen zu unterhalten, ist ja schließlich nicht verboten.“

Grinsend und mit den Augenbrauen wackelnd drehte Rob sich um und ging. Einen Moment herrschte schweigen, das ich schließlich brach.

„Unter die Menge mischen klingt zumindest nach einem Anfang.“

„Ich hasse Menschenmengen.“

„Ich weiß und deswegen kriegt es jeder, der dich nur schon ansieht, mit mir zu tun.“

„Das klingt irgendwie nur halb so beruhigend, wie es vermutlich sein sollte.“

„Komm schon Lenne, es ist lustig, das ganze mal von der anderen Seite aus zu betrachten.“

Ohne sie ihren Widerspruch aussprechen zu lassen, zog ich sie hoch und mit mir mit, wobei ich es mir nicht nehmen ließ, ihr auf dem Weg nach draußen einen zärtlichen Kuss auf die Lippen zu drücken.

„Halt dir einfach vor Augen, dass es weitaus schlimmeres gibt. Das wird lustig, vertrau mir.“

Sie murrte, was ich mit einem weiteren Kuss erstickte und sie dann in den Club führte.

 

 

 

 

 

Wenn ich etwas in Zukunft davon gehabt hätte, hätte ich Dan hier auf der Stelle aufgefressen. Da lohnte es sich sogar zu tun, als würde ich es absolut furchtbar finden, mich mit ihm unter die Leute zu mischen, obwohl das gar nicht wirklich stimmte. Nur drückte er mir gerne mal einen leckeren Kuss auf die Lippen, wenn ich missmutig brummte. Ich konnte nicht genug davon bekommen. Wie gesagt: am liebsten hätte ich ihn aufgefressen. Oder von oben bis unten abgeschleckt.

Eigentlich hätte ich es wissen müssen, aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass, sobald wir den Raum betraten, die ersten Leute, die da waren, auf uns aufmerksam wurden und uns auch noch erkannten. Es dauerte nicht lange, da wurden wir bereits in eine Ecke gedrängt, an einen Tisch bugsiert und von aufdringlichen Menschen nur so überrannt.

Am liebsten hätte ich sie alle erwürgt. Besonders die kleinen Schlampen, die sich geradezu darum schlugen, an Dans anderer Seite sitzen zu dürfen, während er sich problemlos mit allen unterhielt. Wie er das machte, war mir ein Rätsel. Ich dachte immer nur Mädchen wären so aufnahmefähig, aber da ich selbst gerade ziemlich überfordert war, traf das ja wohl mal so was von nicht zu.

Immer wenn ich was gefragt wurde, antwortete ich mit einem verkrampften Lächeln und einer kurzen Erwiderung. Irgendwie waren mir so viele Fremde einfach nicht geheuer. Ich konnte meine Aufmerksamkeit nicht auf alle verteilen. Ich war ja schon fast überfordert, wenn ich mit mehr als einer anderen Person sprach.

„Schau doch nicht so drein, als wollten sie dich gleich häuten“, murmelte mir Dan irgendwann ins Ohr. Ich drehte den Kopf, sodass ich die Lippen an seine legen konnte.

„Dann hättest du mich nicht hier raus schleifen dürfen.“ Dann zog ich einen Schmollmund, den er ausnutzte, indem er mir eine Hand in den Nacken legte und mich zu sich ranzog und mir die schlechte Laune regelrecht ausküsste. Erst blinzelte ich nur überrascht, während um uns herum Leute anfingen, anzüglich zu pfeifen, Sprüche abzulassen und die Schlampen lautstark ihren Unmut darüber klar machten, dass Dan vergeben war. Tjaja, ihr kleinen Schlampen, der hier gehört mir.

Ein bisschen komisch war es schon, zwischen einem Haufen Menschen zu sitzen und ausgiebig zu knutschen. Aber Dan schaffte es einfach immer wieder, mich von meiner Umgebung abzulenken. Allein dadurch, dass er so gut schmeckte – etwas minzig von seiner Zahnpasta noch, aber dennoch unvergleichlich Dan – und so gut roch. Das Duschgel, das er benutzte brachte seinen natürlichen Duft noch stärker zur Geltung und ich hätte mich am liebsten drin gewälzt oder ein Parfüm draus gemacht und es überall in die Wäsche gegossen.

Irgendwann riss Dan sich aber von mir los und drückte mich fest an seine Seite, sodass ich deutlich weniger Bewegungsspielraum hatte. Mir fiel auf, dass einige der Leute nun betreten wegschauten und ein paar der Schlampen rosige Wangen hatten. Oh, oh, sag mir nicht, ich war schon wieder drauf und dran gewesen, Dan zu besteigen! Als ein Kerl ihm auf die Schultern klopfte und so etwas wie „Gut gemacht“ sagte, war ich mir sicher. Meine Güte, ich wollte im Boden versinken! Oder nach Hause gehen und Dan wirklich vernaschen.

Ich war heilfroh, als wir unsere PR-Aktion beendeten und verschwinden konnten. Es wurde auch langsam Zeit, das wir uns auf den Weg nach Hause machten. Immerhin hatten wir immer noch einen Job, auch wenn dieser sich langsam als Tortur herausstellte.

Chase wartete sogar bereits mit unseren gepackten Taschen vor dem Club mit Jaden und Ben. Den Kleinen würden wir dann zu Hause absetzten, bevor wir alle fuhren. Die nächsten Tage würde ich wohl Chases Anwesenheit ertragen müssen, da er von uns noch Fotos machen wollte und bei uns die Website aufziehen. Außerdem brauchten wir dringend diese Fahrgelegenheit.

Jaden murrte und meckerte die ganze Zeit auf dem Weg und ich war die Leidtragende von allen, da ich auf der Rückbank neben ihm saß, während Dan sich vorne mit Chase leise unterhielt. Irgendwann ging der Zwerg mir so sehr auf die Nerven, dass ich ihn knuffte, was dazu führte, dass er sich wehrte und es zu einem Kleinkrieg zwischen uns ausartete. Ich wusste nicht wie, aber plötzlich begannen wir uns wieder darüber zu streiten, welche Disneyfilme besser waren.

Ich und vermutlich die Jungs vorne waren heilfroh, als wir Jaden zu Hause absetzten. Dan bot noch an, mit zur Tür zu kommen, doch der Junge winkte nur ab und trotte mit hängenden Schultern davon. Obwohl er mir tierisch auf den Zweig ging, hoffte ich, dass sein Vater ihm nicht allzu viel Ärger machen würde. Eltern konnten schon ne ziemlich beschissene Sache sein. Ich wusste es besser, als alle anderen.

 

Der Boden unter mir schwankte und ich drückte meine Wange fester an die warme, duftende Oberfläche an meinem Gesicht. Hin und her wiegte mich die Bewegung und lullte mich tiefer ins Traumland. Irgendwann bekam ich noch mit, wie ich auf einer weichen Oberfläche zu liegen kam, obwohl ich mich gar nicht von der warmen duftenden Quelle trennen wollte.

Der gleiche Duft ging jedoch von einem weichen Klumpen neben mir aus, den ich sofort an mich zog und fest an meinen Körper presste. Es war nicht halb so gut, wie das andere, aber es erfüllte seinen Zweck.

Statt jedoch in tiefen Schlaf zu verfallen, driftete ich immer an der Grenze zwischen Schlafen und Wachen. Es war dieses leichte und schwerelose Gefühl, das man hatte, wenn man wusste, dass man bald aufwachen würde, sich aber immer noch an den Schlaf klammerte.

Wenigstens blieb mein Dösen traumlos. Als ich dann schließlich doch irgendwie wach wurde, war es stockfinster und ich registrierte vage, dass ich in unserem Bett lag. Voll bekleidet. Also machte ich mich daran, im Liegen die Klamotten abzustreifen, was bei Zeiten von außen sicher lustig aussah.

Das wurde mir bestätigt, als ich leises, tiefes Kichern aus Richtung der Tür vernahm. Dan war gerade hereingekommen, ohne dass ich es mitbekommen hatte und sah mir lässig dabei zu, wie ich mit meiner Hose kämpfte, die mir halb um die Knie hing.

Als ich nur mürrisch grummelte, erweichte er sich dazu, zu mir zu kommen und mir mit ein paar geschickten Handgriffen aus der Hose zu helfen. Jetzt lag ich nur noch in Unterwäsche vor ihm und das Glitzern in seinem Blick sagte mir, dass ihm gefiel, was er sah. Dann rieb er sich jedoch seine Bartstoppel und beugte sich zu mir herunter. Ehe ich registrierte, was eigentlich los war, hatte er mir schon den BH geöffnet und ausgezogen und mein Höschen segelte gleich darauf auch davon.

Voll bekleidet kniete Dan sich auf das Bett, stützte die Arme neben meinem Kopf ab und küsste mich. Es war ein sanfter, aber heißer Kuss, der voller Begehren und Sehnsucht steckte. Mit meiner Zunge erkundete ich Dans Mund und genoss seinen wunderbaren Geschmack, ließ mich von seinem Duft einhüllen, während mein ganzer Körper anfing, zu brennen.

Dans kühle Hand, die über meinen Bauch strich, ließ mich erzittern, was für ihn Anlass war, den Kuss zu vertiefen. Er raubte mir wortwörtlich den Atem und bald drehte sich alles. Als er mich Luft holen ließ, geschah das nur, weil er federleichte Küsse an andere Stellen meiner Anatomie drückte, die wunderbare Schauer auslösten.

„Ich liebe dich“, keuchte ich und vergaß sogleich, was ich eigentlich von mir gegeben hatte, während Dan sich über mich hermachte. Erst heute früh hatten wir uns so intensiv geliebt, dass mir fast die Tränen gekommen wären und eine süße Trägheit mich die Hälfte der Zeit begleitet hatte. Dass ich jetzt schon wieder so für ihn brannte und mich geradezu nach ihm verzehrte, sollte verboten sein.

Als sich unsere Zungen das nächste Mal duellierten, vergaß ich das alles jedoch. Es gab einfach nichts Besseres als Dan, der mich umhüllte und unter sich begrub. Dan, der mich nieder drückte und uns beiden unglaubliche Freunden bereitete. Dan, der mich tatsächlich so liebte, wie ich war. In diesem Moment hätte die Zeit stehen bleiben können, denn er war vollkommen.

Während mein Verstand sich jedoch langsam verabschiedete, wurde ich das Gefühl nicht los, dass wir lediglich etwas sehr Wichtiges vor uns herschoben. Doch darüber würde ich mir morgen Gedanken machen. Wenn ich es denn wieder konnte.

36

 Ich hätte wissen müssen, dass der Tag nicht weiterhin so idyllisch wie der Morgen sein konnte. Alles war gut und ich war die Ruhe selbst, bis Coleman das Studio betrat und direkt anfing zu keifen wie ein Irrer.

„Glaubt ihr eigentlich, dass ihr mich verarschen könnt?“

Als wir uns alle nur schweigend fragende Blicke zuwarfen, fauchte er weiter.

„Wo wart ihr am Samstag, verdammt noch mal!“

Scheiße, wie waren wir denn aufgefallen? Blieben nur zwei Möglichkeiten, entweder war er noch mal hier gewesen, oder es war aufgefallen, dass wir ihm einen anderen Samstag unter gejubelt hatten. Was auch immer zu traf, ich war derjenige, der sich in die Breche warf.

„Ich hatte etwas zu erledigen, deswegen habe ich vorgeschlagen, dass wir früher gehen.“

„Und ihr glaubt, wenn ihr mir ein falsches Tape rüber spielt, würde das nicht auffallen?“

Ich wusste nicht, wann ich je so dankbar war, dass Ella so schnell schaltete und ihre Klappe nicht halten konnte.

„Was für ein Tape?“

Natürlich hatte ich den anderen beiden erzählt, dass Coleman uns überwachen ließ, aber das wusste er ja nicht, daher kam er ziemlich ins schwitzen, bis ich ihm noch Salz in die Wunde rieb.

„Er überwacht uns. Er hat hier überall Kameras angebracht und spioniert uns aus.“

„Nein, echt? Ist das nicht verboten? Ich kann mich nicht erinnern, so etwas zugestimmt zu haben.“

„Dem hat keiner von uns zugestimmt Ella.“

Ich musste mir mein Lachen ernsthaft verkneifen, als Coleman begann zu kriseln.

„Ich spioniere euch doch nicht aus. Ich zeichne euch auf, damit ich euch bewerten kann, auch wenn ich nicht da bin. Irgendwie muss ich meine Abwesenheit doch ausgleichen.“

Das hatte er sich ja schön zurecht gelegt.

„Aber dazu braucht man trotzdem die Erlaubnis der Betreffenden.“

„Danke Eric, dass hab ich ihm auch schon gesagt. Ich war eigentlich davon ausgegangen, dass er euch darauf ansprechen würde, nachdem ich das selbst heraus gefunden und ihn zur Rede gestellt hatte.“

„Das heißt, du hast dem zugestimmt?“

„Nein, eigentlich nicht und weißt du was? Das kann sogar bewiesen werden, weil es aufgenommen worden ist.“

Als Coleman anfing, hektisch zwischen uns allen hin und her zu sehen, konnte ich mir mein Grinsen nicht mehr verkneifen. Lenne's diabolisches Grinsen, ja es war wirklich diabolisch, wusste ich mir erst nicht zu erklären, bis sie schließlich ausspuckte, was ihr durch den Kopf schwirrte.

„Ich stimme dem zu, aber nur, wenn ich Kopien davon kriege und zwar wirklich alle, nichts geschnittenes.“

Ella sprang gleich darauf an.

„Au ja, ich auch. Ich könnte ein visuelles Tagebuch daraus machen. Wie alles begann. Das wäre echt cool.“

„Wenn ich das zu sehen kriege, habt ihr auch mein Okay.“

„Vergiss es Eric, du willst mich doch nur begaffen.“

„Klar, was sollte ich sonst mit deinem Tagebuch.“

Selbst wenn ich jetzt noch nein sagte, wäre ich trotz allem überstimmt. Meine größte Sorge war eigentlich nur gewesen, dass ich meinen Trumpf verlieren würde, wenn ich zugab, dass ich die Aufnahmen hatte, aber Lenne hatte das geschickt aus der Welt geschafft, zumindest, wenn Coleman dem zustimmte. Was er rein theoretisch nur tun konnte, da jetzt offiziell alle davon wussten und wir ihn unter Druck setzen würden, wenn er nicht damit aufhörte, wenn wir das so wollten. Sein zögerndes Schweigen beunruhigte mich allerdings, deswegen setzte ich wieder ein Grinsen auf, zog die Sache auf und spielte sie runter.

„Ihr müsst wirklich von euch überzeugt sein, wenn ihr euch selbst beim spielen zuschauen wollt.“

„Das hat damit nichts zu tun, Mr ich-kann-alles.“

„Ach, nicht, Miss ich-kann-die-Klappe-nicht-halten?“

„Nein. Denn im Gegensatz zu dir, kann ich dann in zwanzig Jahren da sitzen und meinen Kindern diese Aufnahmen zeigen und sagen: So hab ich angefangen.“

„Meinst du nicht eher: Das war ich mal?“

„Ha ha, sehr witzig. Mann, eure Kinder tun mir Leid, nichts gegen dich Lenne.“

Lenne warf Ella daraufhin nur einen bösen Blick zu, was mich dazu veranlasste, dem nach zu setzen.

„Unsere Kinder werden eure mit Leichtigkeit in den Schatten stellen.“

„Das werden wir ja sehen.“

„Könnt ihr bitte damit aufhören, über Kinder zu reden, die es noch gar nicht gibt? Das ist mehr als merkwürdig.“

Das Gesicht, das Lenne bei diesen Worten zog, war unvergleichlich. Verwirrt, unschlüssig und vielleicht sogar ein bisschen irritiert und angeekelt. Um die Falten in ihrer Stirn zu vertreiben zog ich sie an mich heran und drückte sie dann an mich, wobei ich an ihren Lippen grinste.

„Das lässt sich ändern. Geht ganz schnell.“

„Das hättest du wohl gerne.“

„Du hast mir welche versprochen. Zwei Stück, mindestens.“

„Ich habe gar nichts versprochen, ich sagte maximal zwei und ganz sicher nicht jetzt Freundchen.“

Trotzdem schlang sie mir die Arme um die Brust und erwiderte den Kuss, den ich ihr gab, bis Ella uns schließlich jedem eine Hand auf die Stirn legte und unsere Köpfe trennte.

„Macht das zuhause, das will hier keiner sehen.“

Wir beide sahen sie gleichermaßen böse an, was Ella nur mit einem Schulterzucken abtat.

„Zurück zum Thema, ich will diese Aufnahmen.“

Wir gaben uns schließlich geschlagen, wobei ich Lenne weiterhin in meinen Armen festhielt. Ich ließ mir von Ella ganz sicher nichts verbieten, ich würde mich nur fürs erste beherrschen. Auf diese offensichtliche Provokation zuckte sie wieder nur mit den Schultern und wandte sich dann an Frank, was diesen aus seinen Gedanken zu reißen schien.

„Also, was ist jetzt? Kriegen wir die Aufnahmen?“

„Ihr wisst, dass ich das nicht machen kann.“

Bevor Coleman sich irgendwelche Gründe ausdenken konnte, fuhr ich ihm in die Parade.

„Na ja, ich wüsste eigentlich nichts, was dagegen sprechen sollte. Immerhin sind es nur ein paar Aufnahmen, die könnten wir genauso gut zuhause machen, wenn es also darum geht, dass wir sie nicht nur für private Zwecke verwenden. Das ist es doch, was sie befürchten, oder? Außerdem weiß doch außer uns niemand von den Aufnahmen oder? Wer sollte also Ärger deswegen machen. Ich meine, wenn niemand davon weiß und wir sie nur für uns benutzen, wieso sollte es die Leute kümmern?“

Wenn er gekonnt hätte, hätte Coleman mich mit seinen Blicken vermutlich getötet.

„Eigentlich meinte ich, dass ich die Aufnahmen nicht mehr habe. Die ältesten habe ich gelöscht und von den neueren habe ich nur die Brauchbaren behalten.“

So leicht sollte Coleman mir nicht davon kommen. Ich deutete auf Bob und Floid und die schienen sich schon dagegen gewappnet zu haben.

„Aber ihr habt doch sicher irgendwo die Tapes oder? Ihr gebt sie doch an ihn weiter.“

Ohne groß darüber nach zu denken nickte Bob.

„Sicher. Alles archiviert, so wie er das wollte.“

Gut, dass die zwei Tontechniker Coleman genauso leiden sehen wollten wie wir.

„Na also. Macht Kopien davon und alle sind glücklich.“

Zumindest alle, bis auf Coleman, denn sein Missfallen war ihm deutlich an zu sehen.

„Na gut, Moment. Ihr könnt die Aufnahmen meinetwegen haben, aber nur, wenn ich vorher einen Sicherheitscode darauf legen lasse. Ich will nicht, dass das Material im Netz landet und wenn doch, will ich das zurück verfolgen können.“

Ich zuckte nur mit den Schultern.

„Soll mir recht sein. Ich hatte nicht vor, die Sachen ins Netz zu stellen.“

Oder zumindest hatte ich nicht vor, genau diese Aufnahmen ins Netz zu stellen. Wenn wir genau waren, stellte ich ja ohnehin nichts ins Netz, sondern Chase, aber wir wollten ja nicht kleinlich sein.

Grummelnd verschränkte Coleman die Arme, gab sich dann aber doch geschlagen.

„Ich werde sehen, dass ihr die Kopien im Laufe der Woche bekommt.“

„Und alle weiteren Aufnahmen.“

„Das auch, wenn es sein muss.“

„Ja, muss es, sonst stehen wir in zwei Monaten an dem selben Punkt wie jetzt.“

„Na schön! Hauptsache ihr gebt endlich Ruhe und fangt an zu arbeiten!“

Damit stapfte Coleman davon und knallte die Türe hinter sich zu, als er ging. Ich grinste nur triumphierend und beugte mich dann zu Lenne runter.

„Du bist ein Genie.“

„Erzähl mir was neues.“

Als ihr verschmitztes Lippenkräuseln zu einem ausgewachsenen Lächeln heranwuchs, konnte ich mich nicht daran hindern, ihr einen zärtlichen Kuss auf die Lippen zu hauchen. Immer wenn ich dachte, dass es besser nicht mehr werden konnte, setzte diese Frau noch einen drauf. Langsam fragte ich mich wirklich, womit ich mir sie verdient hatte.

 

 

 

Es war ein milder Nachmittag, als wir zum Feierabend das Gebäude verließen. Nachdem Coleman abgehauen war, war er wie üblich nicht wieder gekommen, womit wir den Rest des Tages für uns hatten. Da wir jetzt offiziell die Tapes bekamen, spielten wir Songs, die wir für uns verwenden wollten und die wir schon zuvor gespielt hatten, damit Chase etwas daraus machen konnte. Für mich bedeutete das, dass ich mich dran setzte, ein paar neue Songs zu entwickeln, die ich mit den anderen abstimmen würde. Wir würden sie wohl bei uns proben und sie dann bei den Proben unauffällig zwischen andere Songs schieben, damit sie nicht auffielen, wir sie aber trotzdem aufgenommen bekamen. Wenn wir Glück hatten, würde das nicht mal auffallen. So war es zumindest in der Theorie. Ob das in der Realität auch wirklich so funktionierte, stand auf einem anderen Blatt Papier.

„Und was macht ihr zwei jetzt noch?“

Als ich das fragte, drehte Ella sich erschrocken zu mir um und sah mich an, als hätte ich etwas verbotenes gesagt.

„Wir? Wie kommst du darauf, dass wir etwas zusammen unternehmen?“

„Ich hab gar nicht gesagt, dass ihr zusammen los zieht. Ich habe lediglich gefragt, was ihr jetzt noch macht, das Wort zusammen, habe ich nicht benutzt.“

„Gut, denn das sind wir nicht.“

Der arme Eric sah ziemlich erschrocken aus, als Ella das sagte, was Lenne nicht entging und sie zum Lachen brachte. Da sie sich nicht ein zu kriegen schien, ergriff ich das Wort und sprach vermutlich aus, was sie dachte.

„Heute Morgen hast du aber nicht abgestritten, das deine Kinder gleichzeitig eure Kinder sind.“

„Was? Dann hab ich dich wohl irgendwie falsch verstanden.“

„Nein, ich glaube nicht. Ich sagte eindeutig 'eure Kinder' und du hast nicht widersprochen. Gib einfach auf, du kannst es nicht abstreiten. Außerdem, sieh dir Eric an, er wird schon ganz blass. Ich glaube er geht davon aus, dass du ihm grade einen Korb gegeben hast.“

Sofort flog Ella's Blick in seine Richtung und gleich malte sich der Ausdruck von Bedauern auf ihr Gesicht.

„Sieh es ein Ella. Es ist zwar irgendwie niedlich, dass du versuchst, das vor uns zu verstecken, aber ihr seid schon letzte Woche aufgeflogen, als ihr wie zwei wilde mitten im Gang übereinander her gefallen seid.“

Augenblicklich wurde Ella rot, was ich allerdings nicht belächeln konnte, da Lenne mir mit mehr Wucht, als ich es ihr zugetraut hätte, gegen den Arm boxte.

„Hast du sie grade niedlich genannt?“

Oh oh.

„Was? Nein.“

„Natürlich. Du hast gesagt 'irgendwie niedlich'.“

„Ja, schon. Aber nicht in dem Sinne niedlich.“

„Ach nein? Wenn du nicht niedlich meinst, dann sag auch nicht niedlich.“

Ich konnte nichts anderes als seufzen. Da hatte ich mir ein böses Eigentor geschossen.

„Mir fiel kein anderes Wort ein. Was hättest du denn gesagt.“

„Auf jeden Fall nicht niedlich.“

„Lenne, mach bitte keine Szene daraus.“

„Mache ich doch gar nicht.“

„Und wie du das machst, du hast schon wieder diesen Psychoblick aufgesetzt, das bedeutet bei dir nie etwas gutes.“

„Was für ein Psychoblick?“

Wieder seufzte ich. Ich konnte ihr ja schlecht einen Spiegel vorhalten und sagen „Dieser Psychoblick“. Deswegen schob ich sie Richtung Auto, oder zumindest versuchte ich das. Denn weit kamen wir nicht, bis sie sich schließlich zu mir umdrehte.

„Du versuchst vom Thema ab zu lenken.“

„Nein, tu ich nicht.“

„Doch. Erst nennst du Ella niedlich und dann hältst du mir schon wieder diesen Psychoblick vor, von dem du mir immer noch nicht erklärt hast, was du damit meinst.“

„Vergiss es einfach.“

„Nein. Wenn du es mir nicht erklären willst, frag ich eben die anderen.“

Lenne wollte schon an mit vorbei und zu Eric und Ella zurück, die uns ziemlich irritiert hinterher schauten. Ich hielt sie jedoch fest und zog sie weiter in Richtung Auto.

„Nein, das wirst du nicht, weil das etwas zwischen uns ist und die beiden nichts angeht.“

„Da ich nicht weiß, was du meinst, ist das wohl kaum etwas zwischen uns beiden.“

„Lenne, bitte. Vergiss es doch einfach.“

„Nein.“

Manchmal hatte ich einfach nur das Bedürfnis, sie zu würgen. Statt diesem Impuls nach zu geben, zerrte ich sie weiter, öffnete dann die Autotür und hielt sie ihr auf, wobei sie keine Anstalten machte ins Auto zu steigen.

„Muss ich dich echt dazu zwingen?“

Trotzig sah sie zu mir auf und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Versuch es doch.“

Irgendwie hatte ich geahnt, dass sie das sagen würde. Nichts desto trotz fing ich an zu grinsen, was sie die Augen zu Schlitzen verengen ließ. Ich sah schon ihren Fluchtinstinkt darin aufblitzen, also schnappte ich sie mir, bevor sie dem nachgeben konnte und begann, sie zu kitzeln. Als sie sich daraufhin automatisch vorn über beugte, bugsierte ich sie auf die Rückbank und segelte gleich hinterher, wobei ich es nicht mehr verhindern konnte, halb auf ihr zum liegen zu kommen. Ohne es zu wollen, blitzten Bilder von Dingen vor meinen Augen auf, die in solch einer Position eine Menge Spaß gebracht hätten, was aber gleich von einem Räuspern vom Fahrersitz unterbunden wurde.

„Ich gehe davon aus, dass ich euch nach hause fahre?“

Ich ignorierte Stan's Frage und richtete mich stattdessen an Lenne.

„Du schaffst es immer wieder, uns in solche Situationen zu bringen.“

„Dazu gehören meines Wissens nach immer noch zwei.“

„Du bist ein kleines Monster.“

„Damit wirst du leben müssen.“

Ich schüttelte erst mit dem Kopf und drückte ihr dann einen Kuss auf, bevor ich mich irgendwie ziemlich umständlich aufrichtete, um sie nicht unter mir zu zerquetschen.

„Ja, fahr uns nach hause Stan. Ich muss sie irgendwo weg sperren, damit sie nicht noch mehr Unfug anstellt.“

Während Stan daraufhin nur lachte, half ich Lenne in eine sitzende Position und die ganze Fahrt über kabbelten wir uns spielerisch auf der Rückbank, bis nach hause, wo wir im Penthouse angekommen, schließlich von einem angenervten Chase unterbrochen wurden.

„Hört ihr auch irgendwann mal damit auf? Das ist ja nicht zum aushalten.“

„Du könntest dir ja eine eigene kleine Wohnung suchen, dann müsstest du nicht hier rum hängen.“

„Sehe ich aus, als hätte ich einen Goldesel im Garten stehen?“

„Bei dir würde ich vieles erwarten, aber keinen Goldesel.“

„Vielen Dank auch.“

„Keine Ursache.“

Obwohl ich nicht wollte, ließ ich Lenne schließlich los, woraufhin sie sich in die Küche auf machte und ich mich neben Chase auf das Sofa fallen ließ.

„Und was hast du den ganzen Tag so gemacht?“

Sofort drehte er mir seinen Laptop zu und klickte ein paar Fotos an.

„Ich hab ein paar gescheite Fotos aus dem Filmmaterial gebastelt, das du mir gegeben hast. Da kamen ein paar interessante Bilder bei raus. Mehr von euch beiden, als von euren Kollegen, da die zwei sich vor der Kamera nicht zusammen zu zeigen scheinen.“

„Das wirst du auch nicht sehen, zumindest nicht so bald, da werden wir wohl wirklich Fotos machen müssen.“

Das beantwortete Chase nur mit einem Schulterzucken und klickte dann durch die Bilder. Die meisten zeigten Lenne und mich, wie wir förmlich aneinander klebten, wobei nur ein paar einzelne, wirklich gute Motive abgaben. Da war zum Beispiel das von letzter Woche, als ich mit ihr am Keyboard gesessen hatte. Von außen betrachtet, sah der Moment, den er da eingefangen hatte, genauso privat aus, wie er sich angefühlt hatte. Weder Lenne noch ich schienen uns für irgendetwas zu interessieren, außer uns, obwohl wir wussten, dass wir sowohl von vier Leuten beobachtet, als auch von mehreren Kameras eingefangen worden waren.

Ein weiteres zeigte uns doch tatsächlich, wie wir uns nur gegenüber standen. Wir hatten beide die Arme vor der Brust verschränkt und starrten uns gleichermaßen stur gegenseitig an. Ich wusste wann das war, es war noch gar nicht so lange her, da hatte Lenne versucht mich dazu zu bringen nach hause zu fahren und mich um die Sache mit meinem Bruder zu kümmern. Ich für meinen Teil hatte dagegen gehalten. Die Mühe hätte ich mir sparen können, wenn diese Frau sich etwas in den Kopf setzte, hielt sie nichts davon ab.

Bei dem nächsten Foto allerdings, kam mir nur ein Gedanke: „Nein.“

Chase hatte sich ernsthaft dazu erdreistet, ein Bild zu bearbeiten, dass beinahe haargenau das wiedergab, was das versteckte Foto in meinem Bilderrahmen zeigte. Nur dass es nicht Tessa sonder Lenne war, die ich da im Arm hielt und mit dem Unterschied, dass Lenne lächelte, eben weil ich sie im Arm hielt und nicht, weil sie ein schickes Foto machen wollte. Außerdem sah sie nicht direkt in die Kamera, auch wenn es nahe dran war. Die Fotos schienen zwar beinahe das selbe zu zeigen, aber die Geschichten, die dahinter standen, waren so unterschiedlich, wie die beiden Frauen, die sie zeigten.

„Was nein?“

„Das kannst du gleich wieder löschen.“

„Wieso?“

„Tu nicht so doof Chase, du weißt genau wieso.“

„Nein, ich weiß nicht, was du gegen das Foto hast. Es ist ein klasse Bild.“

„Willst du, dass ich dir dafür die Fresse poliere?“

„Ich weiß beim besten Willen nicht, was dein Problem ist.“

„Oh komm schon, wie lange hast du nach dieser Pose gesucht? Du hättest das Bild nicht bearbeitet, wenn du durch Zufall drüber gestolpert wärst.“

„Aber genau so ist es gewesen.“

„Das glaubst du doch selber nicht. Du hast in den letzten Tagen meine Gefühle für Lenne ziemlich oft angezweifelt und das ist jetzt nicht anders, aber ich sage dir was, du kannst mir das nicht mies machen, indem du sie mit Tessa vergleichst.“

„Und du bist dir wirklich sicher, dass du nicht nur das hübsche äußere liebst? Du kennst sie doch gar nicht wirklich.“

„Ja ich bin mir sicher und es pisst mich gewaltig an, dass du das immer wieder in Frage stellst.“

„Das sagst du jetzt, aber sagst du das auch noch, wenn du die Fakten über sie kennst?“

Da hielt er mir schon wieder diese verdammte Mappe unter die Nase.

„Herrgott nochmal Chase, du gehst mir auf die Eier!“

Beinahe schon mit Gewalt riss ich ihm die Mappe aus der Hand und schlug sie ihm ins Gesicht, bevor ich sie zusammen rollte und mich davon abhielt, sie ihm ein zweites Mal durch das Gesicht zu ziehen. Stattdessen stand ich vom Sofa auf und stapfte Richtung Dachterrasse. Dass die Scheibe der Glastüre nicht sprang, als ich sie mit Schwung hinter mir wieder zu schob, war ein Wunder. Ebenso wie die Tatsache, dass ich die Mappe weder vom Dach warf, noch dass ich sie anzündete, denn das waren eigentlich meine ersten Impulse. Allerdings wusste ich, dass Chase keine Ruhe geben und den ganzen Mist einfach neu ausdrucken würde, also schwang ich mich auf meine Liege und feuerte die Mappe für den Moment darunter. Mir war ja bewusst, dass er mir zu helfen versuchte, aber er ging mir dabei tierisch auf die Nüsse. Konnte er Lenne nicht einfach akzeptieren wie sie war? Vor allem, wieso machte er so eine Szene daraus und sagte nicht einfach, was ihn so schockierte, anstatt mich dazu zu nötigen, in Lenne's Vergangenheit zu wühlen. Sie hatte schon ihre Gründe, wieso sie nicht darüber reden wollte, aber das schien Chase nicht zu interessieren. Was das anging, war er schlimmer als die Frauen.

Ich brauchte ein paar ziemlich lange Minuten, um wieder runter zu kommen und erst, als ich mir sicher war, dass ich nicht wieder an die Decke gehen würde, angelte ich nach der Mappe unter meiner Liege. Es widerstrebte mir immer noch hinein zu sehen und anfangs überflog ich auch nur die Schlagzeilen.

 

 

'Kind vermisst!'

 

'Suche hält an!'

 

 

Das schien alles überhaupt nichts damit zu tun zu haben und ehrlich gesagt, waren es anfangs nur ganz schön viele Vermisstenanzeigen. Erschreckend war allerdings, dass es alles Kinder im Alter von sechs bis zwölf waren. Erst die späteren Anzeigen würdigte ich eines etwas genaueren Blickes.

 

 

'Wenn Sie den kleinen Michael gesehen haben, rufen Sie folgende Nummer an.... Jeder Hinweis hilft!'

 

 

'Die sechsjährige Abbie verschwand am XX.XX.XXXX. Zuletzt wurde sie von Freunden auf dem XXX-Spielplatz am späten Abend gesehen...

 

...Untersuchungen haben ergeben, dass die Leichenteile tatsächlich zu Abbie gehören, jedoch konnte ihre Leiche noch nicht vollständig rekonstruiert werden.'

 

 

'Wieder ein Kind verschwunden!

 

In den vergangenen Jahren sind auffallend viele Kinder in ein- und derselben Gegend verschwunden. Nach einer mehrjährigen Pause verschwand am XX.XX.XXXX die zwölfjährige Lee Ann Taylor. Wie beim Fall der kleinen Abbie vor einigen Jahren, wurde sie zuletzt auf dem XXX-Spielplatz gesehen. Seitdem fehlt von ihr jede Spur...'

 

 

Für den Bruchteil einer Sekunde dachte ich fast, dass das alles auf Lenne's Konto ging, bei der Szene, die Chase um das alles machte. Der Blick auf die verschiedenen Daten jedoch rückte mir den Kopf wieder zurecht. Lenne konnte nicht viel älter gewesen sein, als die Kinder, die da verschwunden waren. Außerdem passte es nicht in das Bild, das ich mittlerweile hatte. Der Bericht auf der nächsten Seite, gab mir dann die Bestätigung zu meinem Verdacht.

 

 

Kindermörder endlich entlarvt!

 

Am XX.XX.XXXX stürmten Einsatzkräfte ein kleines Haus am Rande der Stadt. Nachbarn hatten vermehrt Schreie und Unruhen aus dem Haus vernommen und die Polizei alarmiert.

Als die Einsatzkräfte das Haus betraten, war zuerst nur Stille zu vernehmen. Ein stechender Gestank lag in der Luft, „Wie verrottendes Fleisch“, berichteten Zeugen. Nach einer gründlichen Untersuchung der überirdischen Stockwerke, die jedoch keine Spuren ergaben, machten die Polizisten im Keller des Hauses einen grausamen Fund.

Der Verwesungsgeruch entsprang ebendiesem Keller, dessen Wände mit Blut getränkt waren. Im Halblicht waren diverse kleine Leichenteile zu erkennen. Der Boden war mit ihnen geradezu gepflastert. Die einzige vollständige Leiche war die, einer Frau mittleren Alters, die in einer distinktiven Blutlache lag. Und inmitten all diesen Schreckens stand ein blutüberströmtes Kind, ein großes Messer noch in der Hand und starrte die Polizisten, die fassungslos das Massaker betrachteten, aus ausdruckslosen Augen an...

 

...Die zwölfjährige Lenneth Parker, Tochter der mutmaßlichen Täterin, Elaine Parker, war das einzige Kind, das lebend aus dem Keller geborgen werden konnte. Spezialisten sind immer noch im Begriff, die Leichen der entführten Kinder zu rekonstruieren. Offenbar wurden sie so stark zerteilt, dass eine Identifikation nur durch DNA-Analysen möglich ist.

 

 

Nach dem Artikel musste ich erst mal eine Pause einlegen. Gut, ich hatte gewusst, dass es schlimm war, immerhin wusste ich, was es brauchte, um so verkorkst zu werden, wie wir es waren, außerdem hatte ich Lenne's Rücken mittlerweile mehr als hundert mal gesehen. Trotzdem war es irgendwie erschreckend, das alles faktisch dar gelegt zu bekommen. Ich hatte bisher immer selbst versucht die Lücken zu füllen, die sich mir ergaben, aber damit hätte ich sie definitiv nicht gefüllt. Ehrlich gesagt, weigerte sich mein Verstand irgendwie zu glauben, dass so etwas wirklich in der Welt da draußen geschah und viel mehr noch wollte ich nicht glauben, dass Lenne durch diese Hölle hatte gehen müssen. Auch die Zeugenaussage machte es nicht besser und eigentlich wollte ich sie gar nicht lesen, konnte mich aber andererseits nicht davon abhalten.

 

 

Aussage, Lenneth Parker, 12 am XX.XX.XXXX, XX:XX Uhr:

Sie hat Lee getötet. Das hätte sie nicht tun dürfen.

 

 

Aussage, Lenneth Parker, 12 am YY.YY.YYYY, YY:YY Uhr:

Mom war schon immer so. Sie mochte mich nicht, darum hat sie mich oft geschlagen oder... na ja.. Sie haben ja sicher Fotos von meinem Rücken gesehen.

Ich glaube, sie mochte deswegen Kinder allgemein nicht. (Schulter zucken) Weiß nicht. Jedenfalls hat das angefangen, als ich noch jünger war. Weiß nicht genau, wie alt. Ich hab nachts oft Schreie aus dem Keller gehört. Manchmal hab ich auch die Blutflecken auf ihrer Kleidung gesehen.

Irgendwann, wenn sie wütend war, keine Ahnung warum wieder, hat sie mich mit in den Keller geschleift und uns dort eingesperrt. Ich „durfte“ zusehen, wie sie die anderen Kinder auseinander genommen hat. Wie diese Mastschweine, die man in den Dokus immer sieht.

Am Anfang da hab ich noch versucht, um Hilfe zu rufen und nicht hinzusehen. Aber wenn man merkt, dass das nichts bringt, gibt man irgendwann auf. (Schulter zucken) So war es eben...

 

...Lee Ann war meine Freundin. Meine einzige. Ich hab sie auf dem Spielplatz kennen gelernt und ihr geholfen, als ein paar Jungs sie geärgert haben. Wir haben oft zusammen gespielt. Mom hat uns aber einmal zusammen gesehen. Kurz darauf ist Lee nicht mehr zu unseren Treffen gekommen.

Als Mom mich dann eines Nachts wieder mit in den Keller geschleift hat, lag da Lees Kopf in der Nähe vom Abfluss.

Lee Ann war die einzige, die ich hatte und ich war wütend, sie so zu sehen.

„Siehst du, was mit deinen Freunden passiert?“, hat Mom mich da gefragt und sich daran gemacht, Lees Körper noch weiter zu zerstückeln. Sonst hätte er nicht in den Müllsack mit den anderen Teilen gepasst, wie sie immer wieder gesagt hat.

Während sie abgelenkt war, war ich so sauer, dass ich nicht wusste, was ich tun sollte. Also hab ich mir von ihrer „Werkbank“ ein Messer gegriffen und den ganzen Scheiß endlich beendet.

Warum ich nicht die Polizei gerufen habe? (Schulter zucken) Hätten die mir denn geglaubt? Erwachsene nehmen Kinder nicht ernst. Das ist der Grund, warum es da draußen tausende gibt, die misshandelt werden. Selbst wenn sie sich an wen wenden, wer würde sie ernst genug nehmen, um ihnen zu helfen?

 

 

Ich wusste eine ganze Weile nicht, was ich denken sollte. Als nach und nach die Wörter in meinen Kopf zurück kehrten, waren 'oh mein Gott', so wie 'erschreckend' und 'schockierend' ganz vorne mit dabei. Solche und ähnliche Worte waren ziemlich lange die einzigen, die mir immer wieder durch den Kopf gingen, bis ich schließlich dazu überging zu versuchen zu begreifen, was jemanden dazu trieb, solche Dinge zu tun. Wie konnte man so skrupellos andere Menschen töten? Und als wäre das nicht schlimm genug, wieso vergriff man sich an Kindern? Das wollte mir nicht in den Kopf und das würde es vermutlich nie. Zumindest verstand ich jetzt, wieso Lenne so strikt gegen Kinder war. Oder zumindest glaubte ich, es zu verstehen. Welcher der zig Gründe, die mir auf dieses Wissen hin einfielen, auch zutraf, mir gefiel kein einziger. Alles was ich wusste, war, dass ich sie davon überzeugen würde, dass das mit unseren Kindern nicht passieren würde und wenn ich dafür drauf ginge.

 

 

 

Als ich Schritte auf der Treppe hörte, verzog die Sonne sich grade hinter den Horizont. Ich war jetzt schon seit Stunden hier oben und ich war nicht mal zum Essen runter gegangen. Was auch immer Chase gesagt hatte, es hatte gewirkt, sonst hätte Lenne nicht so lange die Füße still gehalten. Dementsprechend konnte ich bei der schwachen Terrassenbeleuchtung einen äußerst besorgten Ausdruck auf ihrem Gesicht ausmachen, als sie auf mich zu kam. Als sie gut zwei Schritte von mir entfernt stehen blieb, streckte ich die Beine aus, die ich bis jetzt angewinkelt hatte und hielt ihr die Hände entgegen.

„Komm her.“

Schweigend überwand sie auch den letzten Abstand und ließ sich dann von mir auf die Liege ziehen, wo sie quer zwischen meinen Beinen saß. Sie sah mehr als unschlüssig aus, deswegen zog ich sie zu mir ran, bis sie sich schließlich an mich schmiegte und ihr Kopf an meiner Schulter lag. Was mir nicht gefiel, war, dass sie sich nicht entspannte, als ich die Arme um sie schlang.

„Was ist los?“

Als sie auf meine Frage nur die Schultern zuckte, sah ich ungewollt dieses kleine Mädchen aus der Aussage vor mir, was mir einen Hieb versetzte. Zum Glück antwortete mir eine durchaus erwachsene Stimme und das ohne Angst, dafür eher mit Sorge.

„Weiß nicht, sag du es mir. Als du das letzte mal so lange alleine hier oben warst, ging es dir ziemlich dreckig.“

„Ich brauchte einfach Zeit für mich.“

Nickend nahm sie das zur Kenntnis, bohrte aber nach.

„Das hat Chase auch gesagt. Was ist passiert? Ich hab dich nur schreien hören und als ich ins Wohnzimmer kam, hat nur noch die Scheibe hinter dir vibriert.“

„Chase hat es nur wieder zu weit getrieben, das ist alles.“

„Was hat er gemacht?“

„Er ist einfach nur stur und genauso unnachgiebig wie du, wenn du dir etwas in den Kopf gesetzt hast. Er wird dann immer ziemlich provokant um zu erreichen, was er will.“

„Hat er sein Ziel denn erreicht?“

„Alles was er erreicht hat ist, dass ich von meinem Entschluss nicht abrücken werde. Mir ist immer noch egal, was in dieser verdammten Mappe steht und für mich hast du nichts mit diesem Mädchen zu tun, von dem ich da einen Eindruck gewonnen habe. Ich kriege das nicht in Verbindung gesetzt und eigentlich will ich das auch gar nicht. Ich sehe in dir nach wie vor eine starke, unabhängige Frau, ich wüsste nicht, wieso ich dieses Bild mit solchen Aspekten verfälschen sollte, denn das bist du nicht mehr. Klar sind das da alles Fakten, die Chase da ausgedruckt hat, aber meines Erachtens nach, sollte man die Dinge irgendwann mal ruhen lassen. Es ist eben passiert, man kann es nicht mehr ändern, aber viel wichtiger ist, dass es vergangen ist. Du bist schon lange nicht mehr dieses Mädchen, auch wenn dich das vielleicht hin und wieder einholt. Wir können uns alle nicht von unserer Vergangenheit frei sprechen, aber das sollten wir auch nicht, selbst wenn wir es könnten, denn immerhin sind wir nur hier, weil die Dinge nun mal das aus uns gemacht haben, was wir heute sind. Wer weiß, wenn die Dinge anders gelaufen wären, wären wir vermutlich nicht hier. Ich ganz sicher nicht, auch wenn ich jetzt, im Nachhinein betrachtet, behaupten will, dass das mit Tessa nicht ewig gehalten hätte, dafür haben wir uns in unseren letzten Monaten viel zu oft gestritten. Aber eigentlich will ich gar nicht darüber nachdenken. Ich kann es nicht mehr ändern, wieso sollte ich mir also einen Kopf um das was wäre wenn machen?

Alles in allem, hat sich für mich nichts geändert, außer vielleicht, dass ich diese Nacht vermutlich nicht schlafen kann.“

„Das tut mir Leid.“

„Dir muss nichts Leid tun, dich trifft überhaupt keine Schuld.“

„Ich wollte nicht, dass dich das vom schlafen abhält.“

„Mein Kopf muss nur die ganzen Informationen verarbeiten. Morgen sieht das alles schon wieder ganz anders aus.“

„Ja, denn morgen wirst du wieder aussehen wie ein Panda. Du wirst gewaltige Ringe unter den Augen haben.“

„Ich habe in der letzten Woche schon weniger schlaf bekommen, als die Wochen davor, dafür habe ich mich ziemlich gut gehalten. Eine schlaflose Nacht mehr oder weniger wird da nicht auffallen.“

„Ich finde das grade nicht sonderlich witzig.“

„Und ich finde das grade ziemlich erschreckend, dass du nicht auf diese Anspielung anspringst. Wer bist du und was hast du mit meiner Lenne gemacht?“

„Das ist mein ernst, das ist nicht witzig.“

„Wenn es dich beruhigt? Wenn du es nicht getan hättest, hätte ich das ganz sicher. Ich will gar nicht darüber nachdenken, was sie mit dir gemacht hätte, wenn sie weiterhin frei hätte agieren können. Es ist vermutlich verwerflich, so etwas zu sagen, aber du hast meiner Meinung nach nur richtig gehandelt. Du hast dich zur Wehr gesetzt und das war dein gutes Recht, außerdem hast du dadurch nicht nur dir selbst geholfen, sondern noch ziemlich viele andere Kinder vor ziemlich schrecklichen Dingen bewahrt.“

„Du sagst das, als wäre ich eine Heldin, dabei habe ich meine Mutter getötet.“

„Diese Frau mag dich zur Welt gebracht haben, aber sie war ganz sicher nicht deine Mutter. Eine Mutter tut solche Dinge nicht, im Gegenteil, wenn es um ihre Kinder geht, werden Mütter regelrecht zu Löwinnen, um sie zu beschützen. Sie kämpfen bis ans letzte und deswegen bin ich mir sicher, dass du irgendwann eine super Mum wirst. Du kannst es abstreiten, solange du willst, aber du kämpfst um das, was dir gehört, das tust du bei mir schon mehr als deutlich und das wird bei unseren Kindern nicht anders sein. Niemand nimmt dir deine Kinder weg, solange du das nicht zulässt, zumal die alle erst an mir vorbei müssen.“

„Ich wünschte, ich wäre da so zuversichtlich wie du, aber ich habe trotzdem Panik davor. Was, wenn ich so werde wie sie? Es sagen immer alle, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, ich glaube also nicht, dass ich das kann.“

„Es war für dich die Hölle, also glaube ich nicht, dass du das anderen zumuten willst. Du hast bei diesem verkackten Grapscher schon den Mund nicht auf gemacht, um niemand anderen zu belasten, da bürdest du das schon gar niemandem auf und schon gar nicht deinen eigenen Kindern. Außerdem bin ich schließlich auch noch da, zusammen werden wir das Kind schon schaukeln.“

„Ha ha.“

„Das ist mein voller Ernst. Genauso wie es mein Ernst war, dass ich dafür gesorgt hätte, dass nie wieder jemand diese Frau zu Gesicht bekommen hätte, die dich Jahre lang terrorisiert hat. Und wenn wir mal ehrlich sind, wer will schon so was als Schwiegermonster? Da lebe ich lieber ohne, auch wenn es mir ein wenig unfair erscheint, dass du dich mit meiner Mutter rum plagen musst.“

Lenne entkam ein kurzes auflachen und hätte ich nicht bemerkt, dass mir bereits die ersten Tränen auf mein Shirt getropft waren, hätte ich spätestens jetzt gewusst, dass sie weinte.

„Ich will dich immer noch heiraten Lenne, früher oder später irgendwann, wenn alles einen festen Gang angenommen hat und ich verspreche dir, dass ich dir einen anständigen Antrag machen werde, mit Ring und einem schicken Essen und allem was dazu gehört, wenn du das willst. Es ist mir total egal was Chase sagt, auch wenn ich jetzt schon weiß, dass er sagen wird, dass ich diese Entscheidung unmöglich schon nach einem Monat treffen kann. Genauso egal ist mir, was alle anderen denken, wie meine Eltern, wenn sie je etwas von deiner Vorgeschichte erfahren, was sie meiner Meinung nach nicht werden, weil wir so wenig Zeit wie möglich bis gar keine, dort verbringen werden. Mir ist vollkommen Latte was andere von dir halten, denn für mich bist du gut so wie du bist und ich würde dich nicht anders haben wollen, auch wenn ich manchmal das Bedürfnis habe, dich würgen zu wollen. Ich weiß, dass nicht immer alles einfach sein wird, aber selbst das ist mir egal, solange ich weiß, dass du zuhause auf mich wartest und du kannst mir glauben, ich würde eher sterben, als dich noch mal gehen zu lassen.“

„Das sind ganz schön viele Worte um zu sagen, dass du mich liebst.“

„Ich fürchte, mit einem einfachen ich liebe dich ist das leider nicht mehr getan. Das kann das alles irgendwie nicht mehr abdecken. Aber weil ich weiß, dass du das so gerne hörst. Ich liebe dich Lenne. Also bitte hör auf zu weinen, weil es mir jedes mal das Herz bricht, auch wenn es, so wie jetzt, eigentlich nicht schlimm ist.“

Wie erwartet, verkroch Lenne sich eher noch tiefer in meinem Shirt. Ich war ihr nicht böse darum, meine einzige Sorge war, dass ihr vielleicht kalt werden könnte. Bis dahin würde ich sie bestmöglich warm halten und nicht aufhören, ihr beruhigend durch die Haare zu fahren.

 

 

 

 

 

Angst zu haben, ist eine beschissene Sache. Seit ich mit Dan zusammen bin, schien das jedoch ständig vorzukommen. Als er nicht zum Essen wieder gekommen war, hatte ich angefangen, mir ernsthaft Sorgen zu machen. Ich wollte nachsehen, ob es ihm gut ging, doch Chase, die Socke, schaffte es immer wieder, mich derart zur Weißglut zu bringen, dass ich wartete und Dan seine Zeit ließ, auch wenn ich wie eine Irre auf und ab lief und versuchte, Kerben in den Fußboden zu laufen.

Chase hatte sich darüber natürlich lustig gemacht, doch ich ignorierte ihn die meiste Zeit. Erst Stunden später dann, räumte der Sack das Feld und ich konnte nach Dan sehen. Vor Nervosität hätte ich mir am liebsten die Finger abgebissen. Diese Mappe lag neben ihm und er starrte auf seiner Liege nur ins Leere, aber reagierte nicht anders auf mich als sonst. Und was er da sagte... An manchen Tagen zweifelte ich, ob er sie noch alle hatte. Dann rief ich mir in Erinnerung, dass sein Schrank genauso frei von Porzellan war wie meiner.

Und nun saß ich hier schon wieder, seine Arme waren fest um mich geschlungen, und weinte in sein Shirt. Diese Szene kam mir nur allzu bekannt vor und eigentlich hatte ich gehofft, das nicht wiederholen zu müssen. Weinen war echt uncool und hinterher brannten einem die Augen immer so gemein. Doch was er da sagte, was er mir mit jeder Faser seines Körpers vermittelte, war jede einzelne Träne wert. Ich wusste da, dass ich mich richtig entschieden hatte.

 

Es war warm und kuschelig, als ich die Augen aufschlug, die sich geschwollen anfühlten und leicht brannten. Was auch sonst. Mein Kopf lag auf Dans Brust, den Arm hatte ich um seine Taille geschlungen, genauso wie ich mit dem Bein seine Hüfte umklammerte. Dans starker Arm hielt mich noch immer fest und ich sog die Wärme, die sein Körper abstrahlte geradezu in mich auf.

Daran, wie sich sein Brustkorb hob und senkte, konnte ich spüren, dass er nicht schlief. Wie versprochen. Also stützte ich das Kinn auf seiner Brust auf und sah zu ihm hoch. Es war stockdunkel und die Lichter der Stadt erhellten das Zimmer nicht wirklich, aber ich konnte dennoch Dans Pandaaugen erkennen. Trotzdem lächelte er auf mich herab, drückte mir einen Kuss auf die Stirn und starrte dann wieder an die Decke. Ich machte es mir wieder bequem und begann, mit den Fingern Muster auf seinem T-Shirt zu malen. Warum er es trug war mir allerdings nicht ganz klar. Ich mochte es viel lieber, ihn Haut an Haut spüren zu können. Außerdem war es irgendwie ein bisschen zu warm, wenn ich länger darüber nachdachte. Also setzte ich mich auf und zog mein Shirt aus, wobei ich bemerkte, dass ich darunter nur ein Höschen trug.

Dans einzige Reaktion war, die Augenbrauen zu heben und meine Brüste anzustarren. Um dem noch ein bisschen mehr Wirkung zu verleihen, stützte ich mich auf seiner Brust auf und beugte mich über ihn, um ihm tief in die Augen zu sehen. Er starrte indes weiter auf meine Oberweite, die ihm nun ungemein näher gekommen war. Triumphierend lächelnd beugte ich mich noch weiter zu ihm herab und küsste ihn. Es war nur ein leichter Kuss. Ein sanfter Kuss auf die Lippen, in dem meine Dankbarkeit dafür lag, dass er da war. Nach einer Weile löste ich meine Lippen von seinen, setzte mich rittlings auf ihn und malte wieder Muster auf sein Shirt.

„Ich bin so froh, dass es dich gibt“, flüsterte ich so leise, dass ich mich fragte, ob er mich hören konnte. „Du bist mein Fels in der Brandung. Wann immer ich mich einsam oder unsicher fühle, muss ich nur an dich denken und es wird mir warm ums Herz. Und ich kann an fast nichts anderes mehr als an dich denken. Du bist in jedem meiner Atemzüge, in jedem meiner Herzschläge, in jeder Faser meines Seins. Du warst es, der mir gezeigt hat, was es wirklich bedeutet, zu leben. Du warst es, der mir gezeigt hat, dass das Leben nicht nur aus Schmerz und Einsamkeit besteht. Du warst es, der mich von den lebenden Toten zurückgeholt hat. Ich hätte niemals gedacht, jemanden so sehr lieben zu können. Du bist mein ein und alles. Ohne dich bin ich nichts. Und darum werde ich auch für immer nur dir gehören. So wie du mir gehörst. Ich liebe dich, Dan. Für immer.“ Dann senkte ich meinen Mund wieder auf seinen, doch dieses Mal, ließ ich meine ungezügelte Leidenschaft heraus. Es wurde ein ungestümer und feuchter Kuss. Ein Ringen der Zungen und ein Erkunden unsere Münder. Gleichzeitig rieb ich meine heiße, bedürftige Mitte an dem kleinen Dan, der gerade zu vollem Leben erwachte. Mein ganzer Körper brannte, ich bekam kaum Luft und mir schwamm der Schädel, aber das alles war so wundervoll, dass ich wieder hätte weinen können.

Stattdessen verlieh ich jedoch meiner Ungeduld, mit ihm eins zu sein, Ausdruck, in dem ich ihm die Boxershorts bis knapp unter die Hüften zog, den Schritt meines Höschens beiseite schob und mich ohne Umschweife auf ihn sinken ließ. Dan keuchte überrascht, packte mich an den Hüften und zwang mich so, still zu halten.

Dann war seine Zunge wieder in meinem Mund. Leckte, saugte, küsste, wie nur Dan es konnte. Ganz langsam lockerte er seinen Griff und wir wiegten uns im Gleichtakt unserer Herzschläge. Ich war so überwältigt von diesem vollkommenen Augenblick, dass mir die Beine zitterten und ich den Kopf zurück warf. Es war einfach zu viel. Dan ließ nicht zu, dass ich das Tempo änderte. So bewegten wir uns in langsamen, tiefen Bewegungen aneinander, eine Ewigkeit und noch viel länger. Das hier... das fühlte sich wie die wahre Bedeutung der Worte „Liebe machen“ an.

 

Ich hatte absolut keine Lust, ins Studio zu gehen, aber Dans furchtbarer Wecker klingelte so niederträchtig, dass mir keine andere Wahl blieb, als ebenfalls aufzustehen. Wie immer duschten wir zusammen, frühstückten dann mit Chase, der uns daran erinnerte, dass er noch Bildmaterial brauchte und ließen uns dann von Stan ins Studio fahren. Dass Frank uns den Fahrer noch nicht weggenommen hatte, obwohl wir dem Mann so dermaßen auf den Nerv gingen, wunderte mich ein bisschen, aber ich hinterfragte es nicht. Es wäre mir viel zu blöd gewesen, die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen.

Das erste, was uns im Studio erwartete, war ein Stapel DVD-Hüllen. Bob erklärte uns grummelig, dass das sämtliche Aufnahmen waren, die Frank von uns mit seinen Big Brother Cams gemacht hatte.

„So schnell?“, fragte Dan überrascht. Ich hatte auch nicht dran geglaubt, dass wir sie so bald bekommen würden. Viel mehr hätte ich erwartet, dass das Wiesel die Herausgabe hinauszögerte. Aber okay, besser nicht hinterfragen. Chase würde seinen Spaß haben, das ganze Zeug zu sichten.

Floid zuckte als Antwort auf Dans Frage mit den Schultern. „Japp. Keine Ahnung, was in Coleman gefahren ist, aber freut euch, dass er mal keine Mucken macht. Aber ich ahne, dass er noch irgendwas Fieses im Petto hat.“ Mit einem weiteren Schulterzucken beließ er es dabei.

Während der Probe liebäugelten Eric und Ella die ganze Zeit miteinander, was mich vor die Frage stellte, was denn zwischen gestern und heute passiert war. Hatte die knallharte Ella sich doch noch zu Eric bekannt?

Zwischendurch jammten wir zwischen den geplanten Songs, obwohl das, soweit ich das Dans Augen entnehmen konnte, nur ein Vorwand war, um ein Arrangement für neue Songs zu kreieren. Stück für Stück dichtete er sogar spontan ein paar willkürliche Lyrics. Man musste erst die Reihenfolge der Strophen durcheinander würfeln, um herauszufinden, dass da eigentlich schon vollständige Lieder in der Mache waren. Dann wiederum musste man die Musik völlig neu verteilen, um diese Lieder zu hören. Mein Dan-Bär war gerissener als man meinen könnte und ich war so stolz und scharf auf ihn, dass ich ihn am liebsten schon wieder besprungen hätte. Meine Güte, es wurde wirklich Zeit, dass ich zum Frauenarzt ging. Ich sah die Katastrophe schon kommen. Irgendwann hätten wir ein kaputtes, benutztes Kondom und nach neun Monaten einen Riesenärger. Irgendwas sagte mir, dass Dan mich sehr gründlich und überzeugt dazu überreden könnte, das Kind zu bekommen, statt es abzutreiben.

Ich war der Ansicht, dass Abtreibung ein legitimes Recht der Frau zur Selbstbestimmung war, aber wenn ich genauer darüber nachdachte, hätte mir ein Unfall nicht so viel ausgemacht, solange es nur Dans Unfall war. Das wiederum erschreckte mich so sehr, dass mir ein Schauer über den Rücken lief. Wozu man nicht alles aus Liebe bereit war.

Etwas verwunderlich war, dass Frank während unserer gesamten Probe nicht einmal aufkreuzte. Ich war gleichzeitig erleichtert, als auch irritiert. Vielleicht hatte Floid wirklich Recht und da war irgendwas im Busch. Wenn das der Fall war, würde es mir ganz sicher nicht gefallen. Jetzt hieß es jedoch abwarten und Tee trinken. Solange noch nichts geschehen war, würde ich mir keine unnötigen Sorgen machen.

Als wir eine kurze Pause machten, klingelte mein Handy. Ich trug es mittlerweile immer mit mir herum und auch sehr nahe am Körper. Man wusste ja nie, wann jemand wieder versuchte, einen zu vergewaltigen.

Die Nummer war mir unbekannt, doch ich ging trotzdem auf den Flur raus und nahm an. „Ja?“

„Lenne?“

„Ding?“

„Was?“

„Äh, ich meine Jaden!“ Hoppla! Vom anderen Ende der Leitung hörte ich nur empörtes Schnauben. „Warum rufst du an und viel wichtiger: woher hast du meine Nummer?“

„Ich hab meine Mittel und Wege“, antwortete er kryptisch und ich konnte das Schulterzucken geradezu hören.

„Aha. Und warum rufst du jetzt an?“

„Na ja... es gibt da was, was ich mit dir besprechen wollte. Dan frisst dir ja geradezu aus der Hand und ich dachte mir, dass du ihn eher dazu überreden könntest.“

„Ich bitte ihn nicht, für dich Alkohol zu kaufen!“

„Was? Nein! Du spinnst doch! Ich hab nächste Woche Herbstferien und wollte zu euch kommen, anstatt hier zu versauern und mich von meinem Alten in meinem Zimmer einsperren zu lassen. Ein Wunder, dass ich grad überhaupt ans Telefon kann.“

„Hast du kein Handy?“, fragte ich verwirrt.

„Hat er mir schon weggenommen. Genauso wie die Videospiele.“ Entsetzt keuchte ich. Videospiele waren manchmal das einzige, das einen Menschen auf den Beinen hielt! Und kochen!

„Also? Hilfst du mir nun, Dan zu überzeugen?“

„Wenn du keine schlüssige Argumentation hast, nicht. Was willst du ihm denn wegen eurer Eltern sagen? Du kannst ja schlecht einfach verschwinden und ich bezweifle, dass dein alter Herr dich einfach ziehen lässt.“ Da kam nur undeutliches Brummen.

„Ich dachte mir, dass ich ihnen erzähle, ich wär bei einem Freund oder so. Ein Kumpel aus meiner Klasse hat sich sogar bereit erklärt, das zu machen.“

„Und seine Eltern etwa auch?“

„Na ja... ich hab es eben noch nicht ganz durchdacht, okay?“

„Das hab ich befürchtet. Sag mir bitte nicht, dass du Dan das für dich ausdiskutieren lassen wolltest.“

„Na ja... nicht wirklich. Ein bisschen vielleicht. Oder ne Ideenanregung, was ich meinen Eltern erzählen könnte.“

„Wie wäre es mit der Wahrheit?“

„Klar, damit Dad mich gleich wieder in meinem Zimmer einsperrt.“ Ich seufzte. Das Ding, äh, der Junge war echt anstrengend.

„Na gut, da mir auf die Schnelle nichts einfällt und meine Pause gleich rum ist, werd ich mal mit Dan reden. Mehr Köpfe sind besser als einer.“

„Ich glaube, das sagt man ein bisschen anders.“

„Mir egal, ich sag es so.“

„O...kay.“

„Ich oder Dan rufen dich dann wieder an, wenn wir zu einem Ergebnis gekommen sind.“

„Okay, aber macht nicht zu lange. Ich hab schon nächste Woche Ferien.“

„Ja, das hab ich verstanden. Bis dann, Kleiner.“

„Ciao, Irre.“ Unverschämtes Ding! Schnaubend legte ich auf und ging zurück in den Probenraum, wo ich prompt gegen Dan lief, der mich auffing, bevor ich rückwärts umfallen konnte.

„Alles in Ordnung?“

„Ja, nichts passiert. Wenn wir wieder zu Hause sind, muss ich was mit dir besprechen.“ Daraufhin warf er mir einen sehr seltsamen Blick zu, den ich nicht deuten konnte.

„Ja, das muss ich auch.“ Als ich ihn nur fragend ansah, beugte er sich zu mir vor und flüsterte mir ins Ohr. „Tut mir leid, aber ich bin so müde, dass es mir heute morgen nicht aufgefallen ist. Erinnerst du dich an deine stürmische Aktion letzte Nacht?“ Zögerlich nickte ich. Dan sah sich dann mehrmals um, als befürchtete er, dass jemand uns belauschen könnte und sah mich dann ziemlich nervös an. „Wir haben was dabei vergessen.“ Ratlos starrte ich ihn an und wurde aus seinem Geplapper nicht Schlau.

Dann sagte er nur noch ein einziges Wort zu dem Thema: „Luftballontiere.“ Meine Augen wurden groß, in meinem Kopf dröhnte nur noch 'Bido, bido, bido' und bunte Sirenenlichter kreisten.

„Ach, fuck Mann!“

37

 Chase konnte einem beinahe Leid tun. Aber nur beinahe, immerhin hatte er sich das alles selbst zu zu schreiben. Wieso provozierte er Lenne auch, er wusste doch, wie sie reagierte. Ich für meinen Teil, hielt mich aus den Zankereien der beiden heraus, wartete, bis sie fertig waren und schlang dann wieder die Arme um Lenne. Das Bedürfnis sie bei mir zu wissen und sie nicht los zu lassen, war noch viel penetranter als sonst und hätte sie sich nicht selbst so da hinein gelehnt, hätte ich befürchtet, irgendwie aufdringlich zu sein. Chase zumindest schien das so zu sehen, den Blicken nach, mit denen er uns bedachte. Ich wusste es zu schätzen, dass er dieses mal den Mund hielt und beim Thema blieb.

„Also, wie schon gesagt. Drohe ihm, dass du Dinge über ihn ins Netz stellst. Wenn da einmal was drin landet, kriegst du es nie wieder da raus, vertrau mir. Dein alter Herr weiß das, im Gegensatz zu dir.“

„Du tust fast so, als hätte ich keine Ahnung vom Internet.“

„Hast du auch nicht. Was das angeht, kommst du aus der Steinzeit.“

„Hey, ich habe immerhin einen Laptop.“

„Ich weiß und wir wissen beide, dass da haufenweise Musikprogramme, Texte und Noten drauf sind, aber du hast keine Ahnung, wie du das Browserfenster auf kriegst.“

„Sehr witzig Chase.“

„Ich sage nur, wie es ist.“

Und Lenne schien ihm das wirklich zu glauben, dem verwirrten Ausdruck in ihrem Gesicht nach.

„Glaub ihm das ja nicht Schatz, er erzählt nur Lügen. Du weißt ja wie er ist.“

„Du bist so brillant und spielst den ganzen Tag über verteilt immer wieder Fetzen von einem neuen Song, trotz deiner Müdigkeit, aber du hast keine Ahnung wie das Internet funktioniert?“

„Das ist dir aufgefallen?“

„Dass du an etwas arbeitest? Sicher. Sobald du etwas anpackst, drückst du ihm deinen Fingerabdruck auf, außerdem hatte das alles ein ziemlich eindeutiges, charakteristisches Muster. Wobei ich zugeben muss, dass du das ziemlich gut untergerührt hast. Ich glaube nicht, dass das sonst jemandem aufgefallen ist.“

„Dir hätte das eigentlich auch nicht auffallen sollen.“

„Ich kenne dich mittlerweile gut genug, um zu wissen, wenn du etwas ausfrisst. Da hättest du dir schon etwas besseres einfallen lassen müssen.“

„Ach verdammt. Dahin ist die Überraschung.“

„Das sollte eine Überraschung sein? Wozu das?“

„Dann hätte ich etwas gehabt, womit ich dich hätte beeindrucken können.“

„Als hättest du das noch nötig.“

„Ich will einfach nur nicht, dass du mich langweilig findest.“

„Ich hab dich bereits gehasst, dich verflucht und ich habe dir eine Menge Dinge an den Kopf geworfen, bei denen ich mich heute frage, was mich da geritten hat, zudem wollte ich dir bis vor geraumer Zeit, bei jeder sich mir bietenden Gelegenheit irgendwas ins Kreuz werfen. Dass ich dich liebe und du das beste bist, was mir je passiert ist, muss ich wohl nicht extra aufführen, auch wenn du manchmal viel zu übervorsichtig bist. Aber langweilig warst du noch nie.“

Es brauchte nur einen Sekundenbruchteil, bis es in meinem Kopf klickte.

„Hast du mich grade um tausend Ecken herum als Weichei bezeichnet?“

„Nein. Na ja, im übertragenen Sinne vielleicht, denn rein physisch hast du gebührend das Gegenteil bewiesen.“

Ich hatte schon Luft geholt, um zu kontern, aber da stand Chase mit so viel Schwung auf, dass ich meinte, die Couch wäre ein Stück nach hinten gerutscht.

„Das reicht, ich geh kotzen.“

Herausfordernd zog ich die Brauen hoch, wandte den Blick allerdings nicht von Lenne ab. Irgendwie konnte ich das nicht.

„Ihr beiden seid echt ekelhaft. Wenn ich mir so ein Gesülze anhören wollte, würde ich mir ne Schnulze ansehen. Scheiße Mann, ihr seid die reinste Seifenoper. Ich weiß ich sagte das bereits, aber bei euch wird mir schlecht.“

„Krieg dich wieder ein, wir können nichts dafür, dass du solche Gefühle nicht zulassen kannst.“

„Darum geht’s gar nicht. Ich will mir nur nicht anhören, wie sie anfängt, von deinen Eiern zu schwärmen und da wird es unweigerlich drauf hinaus laufen, wenn ich jetzt nicht kotzen gehe. Es ist manchmal schon belastend zu wissen, wie groß dein bestes Stück ist, wenn du Spaß damit hast, ich muss hier also nicht weiter zuhören. Nichts gegen euch, aber das wäre wie ein echt schlechter Porno mit meinem besten Freund und seiner Freundin als Hauptrollen. Das ist der Albtraum eines jeden Mannes und wenn ich ehrlich sein soll, war mir Tessa diesbezüglich eindeutig lieber.“

Jetzt hatte Chase es doch geschafft, meine volle Aufmerksamkeit zu erregen. Allerdings war ich mir sicher, dass der Blick, den ich ihm zuwarf, nicht grade freundlich war.

„Was das betrifft, war Tessa regelrecht verklemmt.“

„Damals hat dir das nichts ausgemacht, denn du hast sie geliebt, also rede nicht so über sie.“

„Eigentlich will ich gar nicht über sie reden. Ja, ich hab sie geliebt und sie bedeutet mir immer noch viel, aber auf einer ganz anderen Ebene. Das kann man nicht vergleichen und ich weiß nicht, wie oft ich dir das noch sagen soll, aber hör verdammt noch mal auf, meine Gefühle in Frage zu stellen. Das will ich nicht hören, das will Lenne nicht hören und Tessa würde das auch nicht hören wollen, also nimm es endlich wie ein Mann, Mann.“

„Du gehst mir tierisch auf die Nüsse D.“

„Aber du weißt, dass ich Recht habe und das geht dir noch viel mehr auf die Nüsse.“

„Mir geht hier grade so ziemlich alles auf die Nüsse.“

„Könnt ihr zwei bitte aufhören, von Nüssen zu reden, davon krieg ich Hunger.“

Mir blieb gar keine Zeit, um Lenne einen verwunderten Blick zuzuwerfen, da ich mich gegen was auch immer wappnete, weil Chase darauf konterte.

„Dann iss die Pizza, dafür habe ich sie bestellt.“

Dieser kurze Satz veranlasste Lenne gleich dazu, wieder auf ihn los zu gehen. Dieses mal trat sie nach ihm. Und ich durfte mir von Chase einen anhören.

„Hey! Halt sie gefälligst davon ab, wenn du siehst, dass sie mir an den Kragen will!“

„Ich denke gar nicht dran. Wenn du sie reizt, musst du auch mit den Konsequenzen leben.“

„Du bist mir ja ein toller Freund.“

„So bin ich eben.“

Chase schüttelte nur den Kopf und wandte sich dann ab.

„Ich geh pinkeln und danach muss ich euch etwas zeigen.“

Bevor ich dem zustimmen konnte, weil ich ja wusste, dass Chase mir noch etwas hatte zeigen wollen, bevor ich zu Lenne ins Schlafzimmer gegangen war, schaltete Lenne sich ein.

„Wenn es etwas mit dem zu tun hat, was du im Badezimmer veranstaltest, wollen wir es gar nicht wissen.“

Daraufhin zeigte Chase nur den Mittelfinger, ohne uns jedoch dabei an zu sehen. Noch bevor Lenne aufspringen konnte, schlang ich die Arme fester um sie und hielt sie an Ort und Stelle fest. Sie wehrte sich zuerst dagegen, nahm es dann aber hin, allerdings nicht ohne mir einen erbosten Blick zuzuwerfen. Ich schmunzelte nur, schmiegte meine Wange an ihre und flüsterte.

„Du willst ihm gar nicht weh tun.“

„Wenn du jetzt sagst, dass ich ihn eigentlich leiden kann, muss ich dir leider weh tun.“

„Nein, ich brauche euch beide einfach noch, das ist rein egoistischer Natur.“

„Warum muss er noch mal hier wohnen?“

„Weil es unfair wäre, ihn sich selbst etwas suchen zu lassen, wo er uns schon hilft, ohne etwas dafür zu nehmen. Außerdem gehört das zu den guten Manieren, die mir eingebläut wurden, ich könnte ihn also nicht mal vor die Türe setzen, selbst wenn ich das wollte.“

„Du bist ein so unverschämt gutherziger Kerl, man sollte meinen, das Schicksal meinte es besser mit dir.“

„Momentan meint das Schicksal es extrem gut, ich weiß gar nicht, wie ich das verdient habe. Ich war mal ein ganz schönes Arschloch, weißt du. Ich hab mich für was besseres gehalten, weil meine Eltern Geld haben und ich davon profitieren konnte, ich habe mir etwas auf meine Intelligenz und mein Talent, Musik zu machen, eingebildet und ich habe alle schlecht gemacht, die mir nicht in den Kram gepasst haben. Tessa hat mir nach und nach den Kopf zurecht gerückt und es tut verdammt weh, zugeben zu müssen, dass die wirkliche Einsicht erst kam, nachdem ich für ihren Tod verantwortlich war. Jedes mal, wenn ich darüber nachdenke, dass ich es hätte verhindern können, wenn ich nicht so ein Arsch gewesen wäre, wird mir schlecht.“

„Du gibst dir immer noch die Schuld daran.“

„Sicher, weil es meine Schuld ist. Aber mittlerweile glaube ich, damit umgehen zu können. Es wird immer meine Schuld bleiben, aber ich habe mich damit abgefunden, auch wenn du mir dafür erst vor den Bug schlagen musstest.“

„Ich habe gar nichts gemacht. Ich war eher eifersüchtig, dass du immer noch so an ihr fest hältst und das bin ich immer noch, nur damit du es weißt.“

Ich musste lächeln, als sie das sagte, weil ich genau wusste, dass es sie immer stören würde, wenn ich von Tessa sprach. Deswegen war ich wirklich überrascht, als sie weiter sprach.

„Aber sie hat dich zu dem gemacht, der du bist und dafür bin ich ihr dankbar. Sie hat aus dir den Mann gemacht, den ich liebe und es tut mir Leid, dass du sie dafür verlieren musstest. Ich habe das selbst noch nie durchmachen müssen, weil ich nie so jemanden an mich heran gelassen habe, aber ich weiß, dass ich sterben würde, wenn ich dich verliere und ich glaube, das kommt dem ziemlich nahe, was du wegen Tessa empfindest. Ich kann dir das nicht abnehmen und selbst wenn ich es könnte, würde ich es nicht, weil das ein Teil von dir ist und das muss ich akzeptieren, so wie du akzeptierst, was ich hinter mir habe.“

„Du kannst aber nichts dafür, was deine Mutter getan hat. Du hast dich nur zur Wehr gesetzt.“

„Und du kannst nichts für diesen Unfall. Wären deine Eltern für dich da gewesen, wäre aus dir nicht dieser verbitterte Junge geworden. Wir sind nur so gut wie das, was andere aus uns machen, das hast du selbst gesagt.“

„Wann hab ich das denn gesagt?“

„In irgendeiner deiner schwülstigen Reden, die du immer schwingst, wenn du emotional aufgeladen bist. Aber das ist auch egal, denn viel wichtiger ist: Wir sind nur, was wir sein wollen, aber andere verleiten uns erst dazu, etwas sein zu wollen. Wie sollst du wissen, wer du sein willst, wenn sich keiner dafür interessiert, wer du bist?“

Ich musste unweigerlich grinsen.

„So was sage ich?“

„Ja und das kann tierisch nerven. Vor allem wenn ich darüber nachdenke, weil ich jedes mal denke, dass du Recht haben könntest.“

„Das ich recht haben 'könnte'?“

„Spiel dich nicht so auf, du bist auch nur ein Mensch, du hast nicht mit allem Recht, was du sagst.“

„Du hältst mich für einen Gott, also habe ich automatisch mit allem Recht, egal was es ist.“

„Na Klasse, jetzt wirst du auch noch größenwahnsinnig. Was habe ich mir da nur ans Bein gebunden.“

„Du wolltest das so und vor wenigen Augenblicken hat es dich nicht gestört, wie ich bin. Du hast gesagt, dass du mich liebst und dass du mich nicht anders hättest haben wollen.“

„Ich weiß was ich gesagt habe und das habe ich auch so gemeint. Ich weiß allerdings nicht, wie mir das passieren konnte.“

„Dass du mich liebst, oder dass du das gesagt hast?“

„Beides.“

Wieder musste ich grinsen und zog sie dann mit ihren eigenen Worten auf.

„Ich bin eben das Beste, dass dir je passiert ist.“

Sie schlug mir mehr spielerisch als ernsthaft auf die Brust und da hatte ich ihre gespielt distanzierte Fassade durchbrochen und sie lächelte.

„Du bist doof.“

„Ich weiß. Wäre ich das nicht, hätte ich mich damals nicht auf Coleman's Angebot eingelassen und dann wären wir nicht hier. Also haben wir irgendwie alle etwas davon, oder nicht?“

„Du kannst nicht ernst bleiben.“

„Bei Gefühlsdingen? Nein, da war ich schon immer ziemlich schlecht, aber kann das überhaupt ein Mann? Ich glaube, wir sind da eher praktisch veranlagt.“

Lenne schüttelte nur den Kopf und murmelte vor sich her, wobei ich meinte zu hören, wie sie mich nachäffte. Ich dachte erst, sie wäre beleidigt, da sie sich aus meinen Armen frei kämpfte, hätte es aber besser wissen müssen, als sie nicht aufstand, so wie ich es eigentlich erwartet hätte, sondern einfach nur ihre Position wechselte und sich stattdessen rittlings auf meinen Schoß setzte. Die Reaktion meinerseits ließ nicht lange auf sich warten, also ließ ich den Kopf auf die Rückenlehne fallen.

„Du machst mich fertig Lenne.“

„Wenn du den Kopf ausschaltest, bist du besonders praktisch veranlagt.“

„Man sollte meinen, dass dir die Lust darauf vorerst vergangen wäre, aber du bist wie eine rollige Katze.“

„Ganz offensichtlich, scheinst du kein Problem damit zu haben.“

„Hast du keine Angst, dass ich mich benutzt fühlen könnte?“

„Tust du das denn?“

Die Art und weise, wie sie diese Frage stellte und auch wie sie sie untermalte, riefen weiterhin ziemlich eindeutige Reaktionen bei mir hervor. Dass sie sich an mich schmiegte und sich dabei mehr als demonstrativ an die größer werdende Beule zwischen meinen Beinen drückte, machten es mir nicht sonderlich einfach, einen klaren Kopf zu bewahren, daher dachte ich nicht mal über meine Antwort nach und schloss stattdessen die Augen.

„Nein eigentlich nicht.“

„Na also. Ich hätte auch nur ein schlechtes Gewissen, wenn ich dich erst gezielt dazu bringen und das dann ausnutzen würde, aber da wir beide damit bisher immer mehr als einverstanden waren, denke ich nicht-“

„Lenne hör auf, ich hab aufgehört dir zuzuhören, als du gefragt hast, ob ich mich benutzt fühle, deine Worte kommen nicht mehr zu mir durch.“

Ich hörte sie zwar, aber ich verstand kein Wort mehr von dem, was sie sagte. Es war wirklich erbärmlich, wie schnell ich mir die Lichter ausknipsen ließ.

„Das hab ich mir gedacht.“

„Bemerkenswert, dass du noch denken kannst.“

„Ich bin eben ein Naturtalent.“

Ich wusste zwar schon nicht mehr, worum es ging, trotzdem stimmte ich ihr zu, was ihr ein Lachen entlockte. Wieso lachte sie denn? Keine Ahnung, aber ich liebte diesen Klang, am besten hörte sie gar nicht mehr damit auf.

Gleichzeitig erleichtert und enttäuscht seufzte ich auf, als sie den Druck weg nahm, den sie aufbaute. Gleich darauf spürte ich etwas über meine Wange streichen und als ich die Augen öffnete, nahm Lenne's Gesicht meine ganze Sicht ein. Ihre Haare strichen mir über das Gesicht, sie war so nah, dass ich nicht viel hätte tun müssen, um sie zu küssen, aber ich hielt mich zurück, was ihr nicht verborgen blieb.

„Was ist?“

„Ich werde nicht auf der Couch mit dir schlafen, zumindest nicht heute.“

„Du willst nicht?“

Demonstrativ sah ich zwischen ihr und mir auf meinen Schoß hinunter, bevor mein Blick wieder zu ihr zurück kehrte.

„Das ist eine Lüge. Ich will nur keinen Quickie und da ich Chase töten muss, wenn er dich nackt sieht, müssen wir uns noch etwas gedulden.“

„Woher bist du dir so sicher, dass er wiederkommt?“

„Er hat seinen Laptop hier gelassen. Das würde er nicht tun, wenn das nicht vorhätte.“

Entnervt schnaufte sie und ich sah ihr an, dass sie Chase wirklich los werden wollte. Wenn das so weiter ging, würde es nicht lange dauern, bis wirklich etwas passierte, ich musste mir also dringend was einfallen lassen. Um sie fürs erste zu beruhigen, schlang ich ihr endlich die Arme um die Taille und zog sie zurück auf meinen Schoß, nah genug, um ihr Versprechungen zu machen, aber weit genug entfernt, um mich nicht selbst in Bedrängnis zu bringen.

„Ich will nur sehen, was er gefunden hat. Er hat gesagt, es würde mich brennend interessieren und in der Regel hat er da Recht.“

Was wir danach tun könnten oder würden, ließ ich bewusst unausgesprochen, da ich hörte, wie Chase zurück kam.

„Und das wird dich interessieren, vertrau mir. Ich sage schon mal vorweg, dass das Aufnahmen von vorletzter Woche sind.“

Als er um die Ecke kam und uns sah, blieb er auf der Stelle stehen und musterte uns prüfend, bevor er langsamer auf uns zu kam.

„Wenn ich verdächtige Körperflüssigkeiten auf der Couch finde...“

Provokativ wie immer, schlang Lenne die Arme um meinen Hals, schmiegte sich wieder an mich und warf Chase dann einen bösen Blick zu.

„Was dann?“

Gott sei Dank ging Chase nicht darauf ein und setzte sich dann in gebührendem Abstand zu uns wieder auf die Couch, nahm seinen Laptop wieder auf und klickte sich durch ein paar Ordner, bevor er ein Video öffnete. Es zeigte den Vorraum unseres Studios und Asnus, wie er grade unsere Sachen durchsuchte. Wie es aussah, schien er nicht fündig zu werden, was auch immer er suchte, auch wenn er sich zahlreiche Blätter aus meinem Rucksack einsteckte.

„Dieser Penner, ich hab gedacht, ich hätte die Songs verlegt oder weg geschmissen.“

„Warte ab, das ist nicht, worauf ich hinaus will.“

Nachdem er alles wieder so hergerichtet hatte, wie es vorher gewesen war, zückte Riley sein Handy, tippte eine Nummer ein und wartete dann ungeduldig, dass auf der anderen Seite abgehoben wurde. Als das der Fall war, hielt er sich nicht lange mit einem Hallo auf und so patzig wie er anfing, schien sein gegenüber nicht erfreut zu sein, dass er anrief.

„Ich rufe an, weil ich keine Ahnung habe, was ich in dem Zeug dieser Loser hätte finden sollen. Da ist nichts interessantes drin, nur Müll und jede Menge schlechte Songs.“

In der kurzen Pause die entstand, war er sichtlich unruhig.

„Das ist mir scheißegal. Wenn sie mir gesagt hätten, was ich suche, hätte ich nicht anrufen müssen.“

Wieder eine kurze Pause.

„Nein, da war nichts.“

Pause.

„Dann müssen sie selbst etwas finden, dass sie gegen die verwenden können. Ich werd mich ganz sicher nicht wieder mit diesem Miststück anlegen, sie hat mir das Mikro durch mein hübsches Gesicht gezogen, ohne Skrupel.“

Wieder Pause.

„Alles hat seinen Preis und ich werde mir ganz sicher nicht noch mal den Arsch aufreißen lassen, vor allem nicht von ihr. Wenn sie also wollen, dass ich weiterhin solche Risiken eingehe, müssen sie schon das doppelte zahlen.“

...

„Nur, falls ihnen das noch nicht aufgefallen sein sollte, entweder kicken sie beide raus, oder keinen von denen. Sie geht nicht, solange er da ist und umgekehrt, diese Gelegenheit haben sie verstreichen lassen. Ich empfehle ihnen, einen Grund zu finden, diese kleine Schlampe raus zu schmeißen, nur so funktioniert es, denn ihn kriegen sie nicht raus, solange sie bleibt.“

Irgendetwas schien Anus im Sinn zu haben, denn das Grinsen das er zeigte, war mehr als schmierig.

„Ich mache ihnen ein Angebot. Sie zahlen mir einen Bonus und ich bearbeite ihnen diese Schlampe so weit, dass es ein leichtes ist, sie zu feuern. Sie wird so labil sein, dass sie nicht mehr aufrecht stehen kann und wenn sie sie raus haben, wird dieser Möchtegern Gitarrist ihr auf Schritt und Tritt folgen. Er ist so auf sie fixiert, er würde ihr überall hin folgen, nur damit er ihr an die Wäsche kann. Allerdings bezweifle ich, dass er noch Gelegenheit dazu bekommen wird, diese Hure durch zu ficken, wenn ich mit ihr fertig bin.“

Rieb er sich da ernsthaft den Schritt? Gott, dieser Kerl war so abartig, dass mir davon schlecht wurde, allerdings war die Wut, die mich durchflutete viel größer, als alles andere. Ich knurrte schon beinahe mit zusammen gebissenen Zähnen.

„Mach das aus.“

Ich setzte mich aufrechter hin, weil ich nicht länger entspannt bleiben konnte, wobei ich Lenne nicht los ließ, was ich recht schnell bereute.

„Dan, Vorsicht. Du zerquetscht...“

Den Rest des Satzes ließ Lenne verklingen, aber es war auch egal ob sie sich oder das eventuelle Baby meinte. Die Arme, die ich ihr um die Taille geschlungen hatte, umklammerten sie jetzt wie ein Schraubstock und in meinem Kopf schrie nur ein Gedanke. Ich tat ihr weh. Sofort ließ ich sie los, löste ihre Arme, die um meinen Hals lagen und schob sie beinahe grob von meinem Schoß, bevor ich aufstand und mit einem „Ich brauch frische Luft“ quasi nach draußen floh. Das Dunkel und die frische Luft, die mich draußen an der Treppe zur Dachterrasse erwarteten, klärten mir zwar den Kopf, milderten aber nicht die Wut, die mit jedem Herzschlag durch meine Adern schoss. Dass ich von drinnen die Streiterei zwischen Lenne und Chase hörte, half auch nicht wirklich.

„Lenne, lass ihn im Ruhe.“

„Ich lass mir von dir nichts sagen.“

„Er braucht einen Moment für sich, gib ihm den. Er steckt diese Sache mit diesem Arsch viel schlechter weg als du, er hat das verdrängt, aber das kommt grade alles wieder hoch.“

„Wieso zeigst du ihm den Scheiß dann?! Ist es dir so wichtig, einen Keil zwischen uns zu treiben? Wenn du ein Problem mit mir hast, dann sag es einfach, aber lass diesen Scheiß sein!“

„Er ist mein Freund, ich will ihm nicht weh tun, aber das ist bedeutendes Videomaterial.“

„Ein toller Freund bist du, wenn du ihm diesen Mist in den Rachen stopfst!“

„Du hörst mir nicht zu! Ich wollte ihm nichts unter die Nase reiben, ich hab ihm das gezeigt, weil es wichtig ist! Wir haben etwas gegen den und euren Manager in der Hand, eigentlich sollte euch das freuen.“

„Das hast du ja gut hingekriegt.“

Als ich hörte, dass ihre Stimme näher kam, versuchte Chase sie wieder daran zu hindern, zu mir raus zu kommen.

„Lenne, gib ihm Zeit. Ich sage das nicht, weil ich euch auseinander halten will, sondern weil er sich nicht unter Kontrolle hat, wenn er so ausflippt.“

„Na sicher.“

„Du verstehst es nicht. Er will dich beschützen, aber bei dieser Sache hat er auf voller Linie versagt. Gib ihm nicht noch mehr Gründe, sich Sorgen um dich zu machen, indem du ihm die Chance gibst, dir weh zu tun.“

„Er würde mir nie weh tun.“

„Klar will er das nicht, aber du willst nicht begreifen, dass er sich grade nicht im Griff hat. Lenne, nein, lass es.“

Und dann hörte ich ein lautes Klatschen. Ohne Zweifel hatte sie ihm grade eine geklebt und das tat mir verdammt Leid, weil Chase wirklich nur versucht hatte, zu helfen.

„Schön, dann geh doch, du kennst ihn ja besser.“

Das war das letzte was ich hörte, bevor ich Schritte hinter mir hörte und dann ihre Stimme erklang.

„Dan.“

„Er hat Recht, du solltest rein gehen.“

„Ich werde aber nicht rein gehen. Wenn ich dir nicht in die Parade fahre, tut es sonst auch niemand und ich bin nicht bereit, diese Nacht alleine zu schlafen, nur weil du hier oben hockst und in Selbstmitleid badest.“

„Zu Recht.“

„Willst du dir auch eine einfangen? Bei Chase hat das geholfen.“

„Wenn du glaubst, dass dir das weiter hilft, nur zu. Wäre nicht das erste mal, dass du mir eine verpasst.“

Ich wusste noch genau, wie feste sie zuschlagen konnte, wenn sie sauer war, aber ich blieb stehen und machte keine Anstalten, mich zu wehren. Wenn es ihr half, sollte sie doch, dann ging es wenigstens einem von uns besser. Anstatt mich jedoch zu schlagen, verschränkte sie nur die Arme vor der Brust und reckte das Kinn vor, was mir den Schmerz in die Eingeweide trieb. Ich kannte diese Geste, die sie zeigte, wenn sie stark sein wollte. Ich hatte sie schon verletzt, indem ich sie nur weg gestoßen hatte.

„Lenne, Chase hat-“

„Das ist mir scheißegal. Du hast gar keine Schuld, also krieg dich ein und komm gefälligst wieder rein.“

„Ich hätte dir helfen müssen.“

„Wie denn, wenn du keine Ahnung hattest? Ich hab die Schnauze nicht auf gemacht, also ist es nicht dein Fehler gewesen. Außerdem hast du mir geholfen, schon vergessen? Du hast den Kerl fertig gemacht.“

„Als es beinahe zu spät war.“

„Ich werde nicht mit dir darüber diskutieren.“

Ohne Zögern griff sie nach meinem Handgelenk und versuchte, mich nach drinnen zu ziehen, aber ich blieb wo ich war und entzog ihr mein Handgelenk wieder.

„Lass das. Wieso verstehst du nicht, dass ich dir nicht weh tun will.“

„Du tust mir nur weh, indem du gehst.“

Das war alles was sie sagte, aber es steckte so viel Schmerz und Vorwurf darin, dass es mir die Brust zu schnürte. Ganz egal, was sie daraufhin in meinem Gesicht gesehen hatte, es veranlasste sie dazu, weiter zu reden.

„Mach nicht den gleichen Fehler wie ich und geh mir aus dem Weg. Ich kann alles ertragen, nur das nicht. Wenn du also jetzt auf dieses Dach gehst, kannst du dir gleich eine hübsche Todesanzeige ausdenken.“

„Das ist etwas drastisch, findest du nicht?“

„Wenn es mir dabei hilft, dich wieder auf den Boden der Tatsachen zurück zu holen, ist mir alles Recht.“

„Ganz offensichtlich.“

„Willst du dich jetzt mit mir darum streiten, dass ich Angst davor habe, dich zu verlieren? Da ziehst du den kürzeren, das kann ich dir versichern.“

„Wem willst du was beweisen? Dir? Mir? Chase? Oder der ganzen Welt?“

„Ich will niemandem was beweisen, ich will nur nicht wieder tatenlos rum sitzen und darauf warten, dass du dich einkriegst, wenn ich das alles beschleunigen kann, indem ich dich damit konfrontiere.“

„Und du glaubst, dass Konfrontation eine so gute Lösung ist?“

„Zumindest scheint die Diskussion darüber dich runter kommen zu lassen.“

„Was? Das ist schwachsinnig.“

„Nein, ist es nicht. Oder weißt du noch, wieso du eigentlich hier draußen bist?“

Wenn ich ehrlich war, musste ich einen Moment darüber nachdenken, bis mir einfiel, wieso ich nach hier draußen geflohen war.

„Du musst überlegen, also wag es dich ja nicht, mich anzulügen.“

Das würde ich nicht tun.

„Gut, muss ich eben überlegen, aber vergessen habe ich es nicht und es ändert auch nichts an meiner Einstellung.“

„Dein zögern nimmt dem die Wirkung.“

„Lenne, hör auf.“

„Nicht, bevor du endlich wieder rein kommst. Am besten jetzt gleich, weil es wird echt kalt hier draußen, es hat nicht jeder eine eingebaute Heizung so wie du und ich werde nicht wieder rein gehen, bevor du nicht aufhörst zu bocken.“

Dass sie sich grade jetzt die Arme um den Oberkörper schlang, war da wohl kein Zufall.

„Damit kriegst du mich nicht rum.“

„Willst du es drauf ankommen lassen?“

Irgendwie wurde mir das zu doof. Ich wollte nicht mit ihr streiten und ganz sicher wollte ich sie nicht verletzen, aber sie ging mir grade nur tierisch auf den Wecker, also schwieg ich einfach.

„Sollte ich schwanger sein, könnte ich das Baby verlieren.“

Tat sie das grade wirklich?

„Das kannst du zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht sagen...“

„Das wäre dann deine Schuld, weil du so stur bist.“

„...und das ist Erpressung!“

„Ich frage nur ungern nochmal, aber willst du es echt darauf ankommen lassen?“

Wieso konnte sie nicht einfach ruhig sein und rein gehen? Ganz einfach. Weil sie Lenne war. Und weil Lenne eben Lenne war, lehnte sie sich einfach an die Hauswand und wartete, während ich mich mit den Händen auf die Brüstung stützte und über die Stadt hinaus starrte. Was glaubte sie denn, damit zu erreichen? Ob ich nun hier draußen verzweifelte oder drinnen, was machte das für einen Unterschied? Hier draußen hätte ich wenigstens einen klaren Kopf, drinnen fühlte ich mich eingeengt und das obwohl die Wohnung sich über die gesamte Etage ausbreitete. Ich konnte drinnen einfach nicht in Ruhe nachdenken. Wobei ich das hier draußen auch nicht konnte, solange Lenne hinter mir an der Wand stand und auf irgendeine Reaktion wartete.

Als sie dann begann, mit den Zähnen zu klappern, riss mir der Geduldsfaden. Ich wandte mich zu ihr um und pinnte sie quasi an der Wand fest, indem ich mich mit jeweils einer Hand neben ihren Armen abstützte und sie der Länge nach an die Wand drängte.

„Du bist so verdammt stur!“

„Das sagt grade der richtige.“

„Geh rein, drinnen ist es warm.“

„Du kennst meine Bedingung dafür.“

Herrgott noch mal, wieso musste sie so dickköpfig sein. So schnell, wie ich sie festgenagelt hatte, ließ ich sie wieder los, drehte ihr den Rücken zu, fuhr mir mit der Hand in die Haare und verkrallte sie dort. Ich wollte nachdenken, bekam es aber nicht hin, weil mein Kopf blockierte. Dass sie dazu stichelte, half auch nicht sonderlich weiter.

„Dir läuft die Zeit davon Dan.“

Das war das schlimmste an meinem Zwiespalt. Ich wusste, dass es eigentlich alles Schwachsinn war, womit sie versuchte, mich unter Druck zu setzen, aber sie injizierte mir diesen Unglauben so glaubhaft, dass es mir meinen Kopf total durcheinander warf.

„Willst du dir wirklich diese Last auf die Schultern laden? Das müsste nicht sein und das weißt du.“

Damit brachte sie das Fass zum überlaufen. Ich wandte mich wieder zu ihr um und drückte sie wieder an die Wand, wobei ich sie dieses mal nicht zu Wort kommen ließ, da ich mich zeitgleich zu ihr runter beugte und ihren Mund mit meinem schloss. Ich wusste, dass ich ziemlich rabiat war, dass ich ihr die Luft auf der Lunge drückte, als ich sie an die Wand stieß bewies das und auch der Kuss war ziemlich aggressiv, aber ich hatte sie gewarnt.

„Hab ich jetzt endlich gewonnen?“

Ziemlich ungestüm hob ich Lenne zu mir rauf, wobei sie sofort die Beine um meine Hüften schlang und die Wand in ihrem Rücken gab ihr zusätzlichen Halt.

„Halt endlich die Klappe, sonst passiert was.“

„Soll das eine Drohung sein?“

„Sieh es als solche an.“

„Ich zittere schon vor Angst.“

„Dir ist einfach nur kalt, das ist alles.“

An der Art, wie sie Luft holte wusste ich schon, dass sie zu einer Erwiderung ansetzte, aber so weit ließ ich sie nicht kommen. Ich verschloss ihre Lippen erneut, zog sie dann an mich und schlang ihr die Arme um, wobei sie ihre um meinen Hals legte. Sobald ich mir sicher war, dass ich sie fest im Griff hatte, löste ich sie von der Wand, was ihr einen erschrockenen Laut entlockte und trug sie dann nach drinnen. Die Türe schloss ich noch gewissenhaft und vergaß mich dann, als ich feststellte, dass von Chase keine Spur zu sehen war. Ich erwog schon, Lenne einfach auf die Couch zu werfen, entschied mich dann aber doch, sie bis ins Schlafzimmer zu verschleppen.

 

 

 

 

 

Hier war es arschkalt, verdammt! Und der sture Idiot wollte einfach nicht reinkommen! Blöder Esel, aber er sollte schon sehen, was er davon hatte. Immerhin hatte ich die Sturheit erfunden, auch wenn er sie scheinbar mit Löffeln gefressen hatte.

Und was sollte der Mist denn von Chase! Als würde Dan mir jemals weh tun! Ich wusste einfach, dass er mir niemals etwas antun würde, nicht einmal, wenn er völlig außer sich war. Auch wenn beide glaubten, dass er dazu in der Lage wäre, ich wusste es eben besser. Aber hörten sie jemals auf mich? Neeeeeein! Natürlich nicht. Warum auch?

Gleich würde Dan noch anfangen davon zu reden, dass er nicht gut für mich wäre und alles seine Schuld wäre und mich verlassen wollen! Hätte ich gewusst, dass mein Pandabär diesen verdammten Edward-Cullen-Komplex entwickeln würde, hätte ich Stephanie Meyer einen Auftragskiller auf den Hals gehetzt, bevor sie die Gelegenheit gehabt hatte, das verkackte Buch über glitzernde Vampire zu schreiben. Glitzernde Vampire! Finde den Fehler.

Darum war es mir viel lieber, dass er mir viel zu fest die Arme umschlang und mich mit seinem heißen Mund zum Schweigen brachte. Dass ich einen Freifahrtschein nach drinnen bekam, war auch nicht zu verachten, auch wenn mein Mund bald geschwollen und wund sein würde, aber das war es mir alle mal wert.

Kurz zögerte Dan an der Couch, doch dann schwenkte er ab und steuerte aufs Schlafzimmer zu. Perfekt! Da ich die Beine um ihn geschlungen hatte, konnte ich genau spüren, dass der kleine Dan, der wirklich nicht so klein war, immer noch seinen Kopf nach oben reckte und mir damit genau in die Hände spielte. Wenn Dan wirklich glaubte, er könnte sich einfach so von mir abwenden, dann hatte er sich gewaltig geschnitten.

Unzeremoniell wollte Dan mich im Schlafzimmer aufs Bett werfen, doch ich war vorbereitet und hielt ihn mit den Beinen fest umschlungen, was ihn zum Straucheln brachte und er direkt auf mich fiel.

„Herrgott, Lenne!“, brüllte er außer sich, doch ich drückte meinen Mund nur auf seinen und zog ihn in einen brutalen Kuss, während eine meiner Hände in seine Haare fuhr und kräftig dran zog. Mit einem Knurren erwiderte er meine Bemühungen und drückte mich mit seinem ganzen Gewicht in die Matratze und machte mich damit praktisch bewegungsunfähig.

Ich hatte allerdings noch genug Spielraum, um meine verlangende Mitte an ihm zu reiben, was tief in seiner Brust ein dunkles Grollen auslöste. Knurrend riss er seinen Mund von mir los und kam mit seinen Lippen meinem Ohr ganz nahe.

„Das willst du nicht tun, Schätzchen. Ich bin ganz und gar nicht in der Stimmung für Spiele.“ Schnaubend rieb ich mich weiter an ihm und biss ihm mitsamt T-Shirt in die Schulter. Grunzend packte er mich an den Haaren und zog meinen Kopf weg.

„Ich wusste schon immer, dass du ein Biest bist“, murmelte er zornig, bevor sein Mund auf meinen krachte und brutal küsste. Seine Zunge zwängte sich in meinen Mund und ich schickte mich an, mit ihm mitzuhalten. Während wir Zungencatchen veranstalteten, drückte er die Beule in seinem Schoß fest zwischen meine Beine und rieb sich hart und fordernd an mir.

Plötzlich drehte er mich auf den Bauch, fing meine Handgelenke in seiner Hand ein und fummelte erst eine Weile rum, bevor er mir die Gelenke mit seinem Gürtel auf den Rücken fesselte. Dann legte er sich mit seinem ganzen Körper wieder auf mich und flüsterte mir ins Ohr.

„Ich hab dich gewarnt, aber du hast es ja nicht anders gewollt.“ Nicht ganz so zärtlich biss er mir ins Ohrläppchen, was mich laut aufkeuchen ließ. Dann knabberte er sich seinen Weg meinen Hals hinab, leckte und saugte dabei, bis mir der Puls in den Adern dröhnte und das Blut in mir förmlich brannte.

Meine Position machte es mir schwer, Luft zu holen, aber das war mir gerade völlig egal. Keuchend lag ich unter Dan, bis er sich erhob, mir Hose und Höschen bis zu den Knien herabzog und dann an der Nachttischschublade hantierte. Eine leere Folienhülle landete neben meinem Kopf und dann presste er sich auch schon ohne Umschweife in mich. Gut, dass ich ihn praktisch immer und überall wollte, sonst wäre es etwas unangenehm geworden, wenn ich nicht feucht genug gewesen wäre. Aber dieses Problem hatte ich mit Dan nie. Er brauchte mich nur ansehen und ich war bereits Feuer und Flamme für ihn.

Keuchend lag ich hilflos unter ihm und nahm ihn vorbehaltlos in mich auf. Seine Stöße waren zunächst langsam, aber kräftig. Als ich feuchter für ihn wurde, beschleunigte er sein Tempo und stieß ungezügelt in mich. Jedes Mal musste ich schwer an mich halten, um nicht lauthals aufzustöhnen oder zu kreischen. Es fühlte sich einfach zu gut an. Dass Dan zudem auch noch voller Adrenalin und Aggression war, machte den Akt nur umso süßer. Er völlig zügellos, hielt nichts von seiner Leidenschaft zurück und verlieh mit all seiner Kraft Ausdruck. Es hatte ganz eindeutig seinen Reiz, gefesselt unter ihm zu liegen und zu nehmen, was er mir gab.

Der Sex war unglaublich heiß und schnell. Es dauerte nicht lange, bis wir beide lautstark zu unseren Höhepunkten fanden. Schüttelnd drückte Dan sich vollkommen in mich, als er seinen erreichte und hielt sich noch lange in mir, während ich in die Matratze keuchte und kaum noch Luft bekam. Erst eine ganze Weile später, glitt er aus mir heraus und fiel erschöpft neben mich. Auch er atmete schwer und seine Augen waren so glasig, dass ich nicht erkennen konnte, ob er seine Umgebung überhaupt wahr nahm.

Ich wusste nicht, wie es ihm ging, aber ich war so dermaßen befriedigt und erschöpft, dass ich auf gutem Wege ins Traumland war, obwohl ich immer noch ziemlichen Hunger hatte. Die Matratze war aber noch nie so bequem gewesen und ich hatte keine Lust, noch einmal aufzustehen, um was von der Pizza zu essen, die Chase erwähnt hatte.

Zufrieden mit mir und der Welt, wollte ich gerade weg driften, als ich plötzlich Dans besorgtes Gesicht vor mir hatte und er mich leicht schüttelte. Stöhnend drehte ich mich auf die Seite und sah ihn entnervt an.

„Mach's bloß nicht kaputt“, warnte ich ihn, auch wenn das nicht besonders beeindruckend aussehen musste, wenn man bedachte, dass meine Hände noch immer gefesselt waren.

„Lenne, ich-“

„Sag. Es. Nicht. Hast du verstanden? Mach mir das hier jetzt nicht kaputt.“ Verwirrt zog mein Pandabär die Augenbrauen zusammen und sah mich ratlos an. Irgendwie war er ja niedlich. Trotzdem seufzte ich etwas entnervt.

„Schmeiß mal das Kondom weg, das dir noch da runter hängt und mach mich los, dann reden wir.“ Ausnahmsweise tat er tatsächlich, was ich von ihm wollte und als ich wieder Herrin über meine Hände war, zog ich den Rest meiner Klamotten aus und kletterte ins Bett. Dann klopfte ich auf den Platz neben mir und sah Dan erwartungsvoll an. Dieses Mal war es an ihm, zu seufzen, doch er streifte seine Klamotten ab, bis auf seine Shorts, was mir gar nicht gefiel und legte sich zu mir. Ich kuschelte mich an seine Brust und sofort schlangen seine starken Arme sich um mich.

„Jetzt hör mir gut zu, Doofus. Ich bin nicht aus Zucker. Ich geh nicht kaputt, wenn du mich mal ein bisschen grober anfasst, wie du gerade eben ja gesehen hast. Vielleicht bin ich ja zu doof dafür, nicht gleich heulend und zitternd in einer Ecke zu kauern, wenn mich ein Kerl anfasst. Ich hab nicht vergessen, was Arschritze mir angetan hat und das werde ich auch so bald nicht. Das bedeutet aber nicht, dass es mir etwas bringt, mich davon beherrschen zu lassen. Ich habe schon ziemlich viel Mist hinter mir, wie du weißt, genauso wie du. Nur neige ich nicht dazu, mir alle Schuld dieser Welt auf die Schultern zu laden. Und ich möchte auch nicht, dass du das tust, auch wenn das scheinbar irgendein dringender Fetisch ist, den du da betreibst.“ Dan schnaubte brüskiert, was seine Brust unter meiner Wange zum Wackeln brachte, aber er blieb still und wartete darauf, dass ich weiter sprach.

„Ich weiß doch, wie du bist. Ich weiß auch, dass du mich beschützen willst. Sei es vor allen Gefahren dieser Welt oder auch vor dir. Aber das wirst du nicht immer können und ich will nicht, dass du dir angewöhnst gleich vor Schuldgefühlen zu vergehen, wenn ich mir mal mit einem Blatt Papier in den Finger schneide, wenn wir texten oder ähnliches, während du daneben sitzt und dir dann Vorwürfe machst, dass du es hättest verhindern können.“

„Also da übertreibst du jetzt aber.“

„Tue ich nicht. Ganz tief drinnen weißt du, dass ich Recht habe, du göttliches Geschenk an mich. Was ich aber sagen will ist Folgendes: Unfälle passieren. Schlechte Menschen gibt es. So ist die Welt, aber das sollte uns nicht daran hindern, unser Leben zu leben und das Beste daraus zu machen oder unser Glück mit jemand anderem zu finden. Erst, seit du in mein Leben getreten bist, stand ich nicht mehr an all diesen Dachkanten, mit der tatsächlichen Absicht, hinunter zu springen. Du hast mein Leben so viel lebenswerter gemacht. Du hast mir so vieles geschenkt, dass ich ein Leben lang in deiner Schuld stehen werde.

An manchen Tagen will ich dir so nahe sein, dass ich wünschte, in dich hineinkriechen zu können. Wenn du also aufgewühlt und sauer bist, will ich daran teilhaben. Ich will, dass du mit mir redest, damit ich dir helfen kann. Ich will für dich eine genauso große Stütze sein, wie du es für mich bist. Und es bringt weder dir, noch mir etwas, wenn du irgendwo auf einem Dach sitzt und deine Gedanken zu Tode denkst.

Also bitte, wende dich nie wieder von mir ab. Ich weiß genau, dass du mir niemals etwas antun würdest. Nicht einmal im Affekt. Du kannst es gar nicht. Ich weiß es, vertrau mir, Dan. Vertrau mir.“ Ich war vielleicht eine Idiotin wirklich daran zu glauben, aber so war es.

Manchmal war ich so einsam und verzweifelt gewesen, dass ich die Welt aufgegeben hatte. Aber egal, wie finster es gewesen war, ich hatte schon immer, mein ganzes Leben lang, an die einzig wahre, große Liebe geglaubt. Ich hätte nur nie gedacht, dass sie mir tatsächlich einmal begegnen würde. Das hier war es. Da war ich mir sicher. Diese eine Begegnung im Leben, die einfach alles veränderte und die mich so glücklich machte, wie ich es noch nie zuvor gewesen war.

Dan schwieg lange und sah mich lediglich an. Ich wusste nicht, was er versuchte, in mir zu lesen, doch ich wandte den Blick nicht ab. Entschlossen sah ich ihm in die Augen und wartete darauf, dass er verarbeitete, was ich ihm gerade gesagt hatte. Schließlich zuckten seine Mundwinkel und sein Blick wurde weicher. Er hatte wieder diesen Dan-Blick in den Augen und ich wusste, dass ich zumindest irgendwas in seinem dicken Sturschädel bewirkt hatte.

„Hast du schon immer so viel geschwafelt?“

„Das kommt doch nur von dir. Du bist ansteckend.“

„Als ob“, schnaubte er, wurde dann aber wieder ernst. „Ich versuche mein Bestes, Lenne, aber du weißt, wie gerne ich mich selbst geißele. Eine alte Gewohnheit.“

„Also doch ein Fetisch, aber es reicht mir vollkommen, wenn du es wirklich versuchst. Wenn ich einen von Schuld zerfressenen, Emo-Glitzervampir als Lebenspartner hätte haben wollen, dann würde ich mit einem Pappaufsteller von Edward Cullen ins Bett steigen und nicht mit dir.“ Daraufhin lachte Dan lauthals und ungeniert. Ich lächelte ihn an und wartete darauf, dass er sich unter Tränen wieder einkriegte.

„Aber wenn du wirklich unbedingt einem Fetisch frönen möchtest“, fuhr ich fort, „können wir ja das nächste Mal Seile und Kerzenwachs statt deinem Gürtel benutzen.“ Schlagartig wurde sein Blick finster und ich hätte ihm am liebsten wie Chase eine gescheuert. Vielleicht würde ich das ja doch noch machen.

„Habe ich dir auch nicht-“

„Nein“, wehte ich kategorisch ab, bevor er ausreden konnte. „Ich bin nicht aus Zucker, Dan. Aber wenn es dir dann besser geht, kann ich dich ja hier ausgebreitet ans Bett fesseln und meine Spielchen mit dir treiben, sobald du mir was von der Pizza geholt hast, von der Chase gesprochen hat. Ich bin am Verhungern.“ Er zog lediglich skeptisch die Augenbrauen hoch und rührte sich kein Stück.

„Ich meine das ernst. Ich habe Hunger.“ Um meine Worte zu betonen, trat ich ihm so lange gegen das Bein, bis er seufzend aufgab und aus dem Bett stieg.

 

„Das war wirklich gut“, seufzte ich, als ich den Teller wegstellte. Ich hatte extra aufgepasst, nicht ins Bett zu krümeln oder Soßenflecken zu machen. Dan lag neben mir und beobachtete mich. Nun rieb er mir mit der Hand und einem nachdenklichen Blick über den Bauch.

„Das hat dir wirklich gefallen?“, fragte er mich leise. Ich wusste genau, was er meinte.

„Du hast wirklich nicht viel Ahnung von Frauen oder? Gut, nicht jede mag es, aber ich habe mir sagen lassen, dass es doch Frauen gibt, die ihren Spaß an den einen oder anderen Fesselspielchen haben.“ Ich rutschte etwas tiefer, sodass ich meinen Kopf neben Dans legen und ihn ansehen konnte.

„Weißt du, dass ich an dir besonders mag, dass du nicht nur einfühlsam bist, sondern auch größer und stärker als ich? Ich genieße den Kontrast zwischen uns beiden. Ich finde, das macht dich noch männlicher und ich möchte eben das eine oder andere Mal, dass du diese Männlichkeit mir gegenüber auch zeigst. Nur weil ich eine labile Irre bin, heißt das nicht, dass du mich mit Samthandschuhen anfassen musst. Eventuelles Baby mal außen vor gelassen.“ Zärtlich strich ich ihm mit den Händen über seine breite Brust, die er dann einfing und an seine Lippen führte.

„Ich liebe dich“, sagte er mit einem Lächeln auf den Lippen. So gefiel er mir schon viel besser. Am liebsten hätte ich ihn immer lächeln oder lachen sehen. Ich wollte, dass er ohne Reue und mit Freude durchs Leben ging und ich würde mit jedem meiner Atemzüge dafür sorgen, dass mein Wunsch wahr wurde. Wenn er glücklich war, war ich es auch. So einfach war es.

„Ich liebe dich auch... Also? Wann können wir das mal wiederholen? Das war wirklich heiß!“ Lachend zog er mich in seine Arme und drückte mich fest an sich. Als wollte er mich nie wieder loslassen. Gut so. So schnell würde er mich auch nicht mehr los werden.

„Du bist einfach unmöglich!“, rief er glucksend und schüttelte sich vor Lachen.

„Ich weiß“, erwiderte ich lächelnd.  

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 08.12.2013

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /