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Staubwolken türmten sich am Horizont. Der Klang von Hörnern schallte durch die Luft, durchmischt von den Rufen der Meute und dem Geschrei der Tiere. Doch ich hörte nichts von alledem. Es war nicht wirklich. Ich vernahm nur den rhythmischen Hufschlag meines Pferdes, das mich fort trug von all den scharfen Worten und den spitzen Waffen, mit denen die Menschen um sich warfen. Mein Pferd kannte die Sorgen, die mich plagten und es ertrug geduldig das Stechen der sengenden Sonne, die ihren Platz am endlosen Blau des Himmels einnahm, ohne auch nur eine kleine Wolke an sich heran zulassen.
Und dann umgab sie mich plötzlich vollkommen. Die stille Stimme der Wüste. Sand war unter den Hufen meines Pferdes und dämpfte jeden Laut. Das Weiterkommen wurde mühsam und heißer Wind machte das Atmen zur Qual.

„Wer bist du, dass du einfach so in mich eindringst?“, hauchte die Wüste in mein Ohr. „Weißt du nicht, dass du sterben wirst, wenn du mich betrittst?“
„Doch“, erwiderte ich unbeeindruckt, denn genau deshalb war ich gekommen. Eine einsame Streiterin unter den Menschen, eine einsame Reiterin in der Wüste, die sich nichts sehnlicher wünschte, als in diesem wogenden Meer aus Sand Erlösung zu finden. „Ich bin Niemand sagte ich, du wirst nicht merken, dass ich da bin, sei unbesorgt!“
„Du magst vielleicht Niemand sein, aber du bist nicht allein!“, bemerkte die Wüste.
„Mein Pferd trägt keinen Namen!“, antwortete ich und atmete trockene Luft mit Sand vermischt, die in meiner Lunge brannte. „Ein Namenloser ist fast so leicht, wie ein Niemand!“
„Nun, so zieht, aber ich habe dich gewarnt“, meinte die Wüste und legte ihren Gesang des Schweigens in mein Ohr, um mir die Zeit zu vertreiben. Und ich hing müde im Sattel meines Pferdes und lauschte den Worten aus geronnenen Wünschen und erstarrten Träumen, die an jedem einzelnen Sandkorn hingen und sich mir in meiner Lebenslustlosigkeit offenbarten.
Durch ein Gebirge aus Sand zogen wird. Endlose Weiten gefüllt mit kleinen gelben Punkten, die vor meinen Augen verschwammen und vom Wind zu immer neuen Dünen geformt wurden. Kaum hob mein Pferd ein Bein, wurden seine Spuren auch schon wieder verwischt. Niemand sollte uns finden. Niemand würde von uns wissen und sich an uns erinnern. Ein Namenloser und ein Niemand hinterlassen keine Fährten für die Jäger unter den Menschen.

Am siebenten Tag ließ ich mein Pferd frei. Es hatte mich weit getragen und ich war nun bereit, das letzte Stück Weg alleine zu gehen. Es hatte alles verlassen müssen, um mich hierher zubringen, es war namenlos und geschwächt von Hitze und Durst. Doch es verstand. Unsere Schicksale waren dicht mit einander verwoben.
Es blickte mich lange aus seinen wunderschönen, aber stumpf gewordenen Saphiraugen an, dann trottete es davon, in die Unendlichkeit der Wüste und ich war allein. Ich war bereit zu sterben in dieser erholsamen Stille und der Abwesenheit jedes menschlichen Wesens. Der beste Ort, um Ruhe zu finden.

Der Abend kam über die Wüste. Und die Nacht. Ich kauerte im kühlen, grauen Sand und vermeinte, das Leben aus meinem Körper weichen zu spüren. Es war gut, wie es war. Meine Sinne schwanden. Jetzt sterbe ich, dachte ich. Dies ist das Ende von Niemand. Niemand liegt hier in der nächtlichen Wüste und wartet auf den Tod. Niemand ist am Ziel. Und ich schlief ein.

Am nächsten Morgen erwachte ich mit dem ersten Sonnenstrahl, der über die weiten Dünen streifte. Ich bin tot, dachte ich, weil ich es wusste, doch zugleich fühlte ich mich seltsam lebendig, ja geradezu wundervoll. Was war geschehen? Ich war tot, dazu war ich in die Wüste gekommen! Sollte ich am Ende nicht einmal das geschafft haben, zu sterben?
Ich öffnete die Augen und erkannte, dass ich sehr wohl gestorben war, aber ich war nicht tot. Ich war nicht mehr ich, aber ich lebte. Ich war eine Oase geworden. Ein kühler Palmenhain mit einer glitzernden Wasserstelle, an der sich mein Pferd labte. Da wuchsen sogar ein paar Grasbüschel und vereinzelt kleine Wüstenblumen.

Da begriff ich plötzlich, dass das Leben viel zu kostbar war, um es einfach so wegzuwerfen und dass es deshalb immer weiter existieren würde. Ich lebte zwar nicht mehr so wie vorher, als Mensch, aber ich hatte Leben in die Wüste gebracht und würde anderes Leben erhalten helfen. Ich war auf der Flucht vor dem Leben gewesen, doch die Zauberkraft der Wüste hatte mir die Augen geöffnet. Denn Leben will gelebt werden, das erkannte ich endlich, und von da an habe ich jeden Tag voll und ganz gelebt.

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Tag der Veröffentlichung: 03.08.2009

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