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Döner

(Kurzform von Dönerkebab; aus türkisch:
döner kebap, „sich drehendes Grillfleisch“ entlehnt)




Ich stieg aus dem Zug und hatte Hunger. Der Termin im Verlag, der sich gleich um die Ecke befand, war erst in einer halben Stunde. Genug Zeit also, um schnell noch eine Kleinigkeit zu essen. Über den großen Bahnhofsvorplatz strich ein leichter, böiger Wind, der angenehm die schwüle Hitze der vergangenen Tage vergessen machte. Ich schaute mich um.

Auf der anderen Seite des Platzes befand sich ein kleiner Imbiss, aus dessen Verkaufsraum orientalische Musik-
fetzen nach draußen drangen. Das war es jetzt: ein Dönerkebab. Mich an den alten Werbespruch "Döner macht schöner“ erinnernd, schritt ich über die Pflaster-
steine. Eine warme Mahlzeit kombiniert mit einem Besuch im Beauty-Salon. Was wollte ich mehr?

Am Verkaufsfenster angekommen, musste ich ich nicht lange auf die Speisekarte schauen und bestellte zielstrebig einen Döner mit Schafskäse. „Mit scharf?“, fragte mich der Imbisswirt, und da ich auch nicht wusste – und bis heute nicht weiß – ,welchen Namen diese rote Gewürzmischung aus geraspelten Chilischoten und allerlei anderen pikanten Zutaten hat, entgegnete ich ihm: „Mit allem, auch mit scharf“.

Der Wirt wandte sich dem senkrecht stehenden Drehspieß zu, doch statt eines großen, machetenartigen Messers nahm er etwas in die Hand, das aussah, wie ein zu groß geratener Rasierapparat und begann damit, die äußere Schicht des gegrillten Fleischspießes abzurasieren. Nachdem er mit seiner Gemüsezange neben dem Fleisch auch fein geschnittenen Rotkohl, Salat, Tomaten, Gurken, Zwiebelringe und Schaftskäse in das nun prallvolle Fladenbrot gestopft hatte, goss er noch eine große Schöpfkelle Joghurtsoße darüber. Mit einer winzigen Serviette umwickelt drückte er mir den fertigen Döner in die Hand.

Die Sitzplätze auf den umstehenden Bänken waren alle besetzt, so dass mir mir nichts anderes übrig blieb, als mich mit meinem „Riesen-Döner“ auf eine etwa kniehohe Betonumrandung eines Blumenbeetes zu setzten. Ich hatte große Mühe, das Fladenbrot so zu halten und zum Mund zu führen, dass sein Inhalt nicht auf den Boden fiel. Der Wind zerzauste die Baumkronen der umstehenden Linden und wirbelte feinen Staub über das Pflaster. Mir flog etwas ins rechte Auge. Da ich mit beiden Händen den Döner festhielt, wollte ich es zunächst ignorieren, was ja bei Staub, Mücken oder sonstigen kleineren Flugutensilien,
die hin und wieder ihren Weg in unsere Augen finden, normalerweise kein allzu großes Problem ist. Doch bald merkte ich, wie es anfing im Auge zu brennen. Es waren Pollen.

Als erfahrener Heuschnupfenallergiker hatte ich natürlich Augentropfen in meiner Tasche. Doch wie sollte ich da jetzt herankommen? Ich befand mich gerade in der Phase des Döneressens, in der es unmöglich war, das Fladenbrot in nur einer Hand zu halten, um mit der anderen die Augentropfen aus der Tasche zu nesteln. Da musste ich jetzt durch. Nach einer Weile fing es an, in meiner Nase zu kribbeln, die Nasenschleimhäute schwollen an.

Ein Taschentuch hätte ich jetzt gut gebrauchen können. Doch ich musste mein opulentes Mahl mit allen zehn Fingern umklammern und so ausbalancieren, dass nicht Tomatenscheiben links, Rotkraut und Zwiebeln rechts und Schafskäse in der Mitte auf den Boden fielen. Was nicht immer gelang. Mit feuerroten Augen und triefender Nase kämpfte ich krampfhaft mit dem sich unten allmählich aufweichenden Fladenbrot. Ganz langsam lief die Joghurt-
soße über mein linkes Handgelenk und tropfte auf das dunkelgraue Basaltpflaster. Dorthin, wo sich zwischen meinen Füßen Salat, Gemüse und Fleischbröckchen türmten und zwei Tauben sich an den Essensresten unschädlich hielten.

Als der nun völlig durchgeweichte Döner drohte ausei-
nander zu fallen, krabbelte ein Niesreiz meine Nase empor. Unmöglich, den Kebab jetzt – wohin auch immer – ab-
zulegen. Schon bei der kleinsten Handbewegung zur Seite wäre er sogleich zerbrochen. Also bemühte ich mich, so schnell wie möglich das tropfende Fleisch-Gemüse- Ungetüm zu verschlingen. Da passierte es: Ich musste niesen – laut und herzhaft!

Nachdem der donnernde Schall verhallt war, die er-
schrockenen Passanten ihre Blicke wieder von mir abgewandt und die Tauben sich die Joghurtsoße aus den Federn geputzt hatten, entsorgte ich die Serviette – das einzige, was ich noch in den Händen hielt – in einem der umstehenden Mülleimer.

Ohne mich auch nur ein einziges mal umzudrehen, verließ ich das "Schlachtfeld" und ging auf die andere Seite des Platzes. In einer der kleinen Seitengassen bestellte ich mir an einer Bratwurstbude eine Currywurst – am Stehtisch, serviert im sicheren Pappschälchen, mit kleiner Holz-
gabel und fünf Papierservietten. Pollen, ihr könnt wieder fliegen – ich bin gewappnet.

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Tag der Veröffentlichung: 10.07.2009

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