Geschrieben am 10.07.2011
Nachdruck, auch auszugsweise nur nach Genehmigung des Autors
Rechtschreibung nach bestem Wissen und Gewissen
Coverfoto: © /technoranma.deviantART.com
Coverfoto: © /mercz37.deviantART.com
Gestaltung, Satz und Bildbearbeitung: Robin Jander
Es war Nacht. Die Lichter der Stadt zogen rasend schnell an mir vorbei. Schneller als jeder Mensch es jemals vermocht hätte, bewegte ich mich durch Straßen und Gassen. Für die Augen der Menschen um mich herum war ich unsichtbar. Einzig jemand mit der Gabe des zweiten Gesichts würde mich erkennen können. So jemanden traf man allerdings recht selten an.
Ich war auf der Jagd und die Zeit drängte. Das öffnen des Tores hatte mich viel Kraft gekostet. Das war der Preis, der zu zahlen war. Doch nur so konnte ein Geist wie ich den Schleier durchdringen. Jetzt musste diese Energie wieder aufgefüllt werden. Und zwar schnell. In dieser Welt, der Welt der Menschen, konnte ich nicht lange bestehen. Vielleicht eine Stunde noch, dann würde ich ernsthafte Probleme bekommen.
Andere meiner Art umgingen dieses Problem, in dem sie Besitz von menschlichen Wirten nahmen. Mir war das zuwider. Anderes als diese grausamen Wesen hegte ich keinen groll gegen die Menschheit. Ganz im Gegenteil. Ich genoss ihre Gegenwart. Ich genoss es bei ihnen zu liegen. Für meinen Geschmack war dies die beste Art seine Kräfte auf zu frischen. Auf jeden Fall machte es so viel mehr Spaß.
An dem einen oder anderen Fenster hielt ich kurz inne und lauschte. Nicht mit meinem Gehör. Mir standen viel effektivere Sinne zur Verfügung. Ein Gespühr, wie es nur mir und meiner Art vergönnt war. Doch immer wieder zog ich mich wieder zurück. Noch hatte ich nicht gefunen, was ich suchte. Was meine Beute anging, war ich ziemlich wählerisch.
Vor einem Hochhaus stoppte ich abprubt. Wieder dehnte sich meine Sinne aus. Erst vorsichtig, dann immer bestimmter. Ein wohliger Schauer lief mir über den Rücken, als ich den Verstand eines Menschen im Innern berührte. Hier würe ich fündig werden. Da war ich mir ganz sicher. Freudig schwebte ich in Richtung es Fensters, hinter dem meine Beute, mein Mensch, lag. Ohne Probleme glitt ich durch die Wand und fand mich im Innern des Zimmers wieder. Neugierig schaute ich mich um. Trotz der Jahrhunderte, die ich mittlerweile existierte war mir das Konzept einer Wohnung fremd. Bunt bedrucktes Papier hing an den Wänden. Auf ihnen waren Sprüche wie 'From Dusk till Dawn' oder 'Brokeback Mountain' zu lesen. Warum sich Menschen so etwas anschafften, konnte ich nur erraten. Vielleicht dienten sie dazu, den Verstand in neue Welten zu führen? Ich wusste es nicht. In diesem Moment sollte es aber auch egal sein. Schließlich war ich nicht hier um buntes Papier zu betrachten.
Statt dessen wandt ich mich dem Menschen zu, der vor mir auf dem Bett lag. Er wirkte unruig, wälzte sich immer wieder herum. Der Traum in dem er steckte schien nicht gerade angenehm zu sein. Wie zu bestätigung entwich seinem Mund ein leises Wimmern.
Von nun an wollte ich keine Zeit verlieren. Diese gute Seele hatte es nicht verdient zu leiden. Ganz nah ging ich an ihn heran. Mein verstand fixierte ihn. Nicht ausser diesem zerbrechlichen Wesen existierte noch für mich. Einzig sein Geist war noch wichtig. Ihn wollte ich berühren. Langsam glitt ich in ihn hinein. Unsere Seelen vereingten sich.
Der Wechsel vollzog sich von eine Moment auf den Anderen. Es war nicht mehr das abgedunkelte Zimmer, in dem ich mich befand. Schon immer hatte ich den Augenblick des Eindringens am verwirrensten empfunden. Nie konnte man sich sicher sein, wo man heraus kam. Und noch keine zwei Male hatte ich die selbe Szenerie gesehen.
Dieses Mal war ich wohl auf einem Schulhof gelandet. Überall waren Kinder und Jugendliche mit schweren Rucksäcken zu sehen. Irgendwo hier würde sich auch mein Menschlein befinden. Doch das Wichtigste zuerst. Ich brauchte noch eine Hülle, in die ich mich kleiden konnte. Kurz konzentrierte ich mich, drang in die Wünsche und Sehnsüchte meines Gastgebers ein. Innerlich musste ich grinsen. Also gut, wenn er es so wollte.
Vor meinem Inneren Auge formte ich meinen Körper für diese Nacht. Ein neunzehn jähriger Junge sollte es sein. Das blonde Haar gelockt und kurz. Eifrig lauscht ich weiter. Aha, die Augen hell blau und hinter eine Nickelbrille verbogen. Etwas größer als er. Nun, 183cm sollte wohl reichen. Kräftig, mit der Andeutung von Muskel. Auch dies stellte kein Problem da. Nun noch die Kleidung. Schwarze Jeans, schwarzes Hemd. Mein Träumer mochte es wohl schlicht. Sollte er bekomen. Zufrieden betrachte ich den Jungen der in meinen Gedanken entstanden war. So sollte es ihm gefallen.
Ich schlug meine Augen auf. Endlich wieder einen Körper. Schon häufig hatte ich meine Brüder über physische Hüllen sprechen hören. Die Meisten empfanden sie als eine Last. Als etwas unvermeidliches, was lediglich ertragen werden musste. Ich hingegen sah es ganz anders. Dieser Körper, diese Hülle war ein Geschenk. Das Geschenk eines Träumers an mich. So überragend meine eigentliche existens auch war, für mich ging nichts über die Fähigkeit etwas anfassen oder richen zu können. Wie sehr ich die Menschen doch um diese Gabe beneidete. Dieses Gefühl alleine war schon meine häufigen Ausflüge hinter den Schleier wert.
Langsam wurde es aber wirklich Zeit meinen Menschen zu finden. Gemächlich schritt ich über den rot gepflasterten Schulhof, den Blick stetig umher wandernd. Irgendwo hier musste er sich verbergen.
Schließlich erweckte etwas eine Aufmerksamkeit. Zwar kannte ich mich mit der menschlichen Gesellschaft nicht besonders gut aus, aber hier stimmte etwas nicht. Da war ich mit vollkommen sicher. Eine abgelegene Ecke des Schulhofes hatte sich gewandelt. Anders als überall sonst herrschte dort tiefste Finsternis. Dicke Gewitterwolken hingegen über ihr und immer wieder schlugen Blitze in den Boden. Ich musste herausfinden, was hier vor sich ging. Ein großer Pulk von Schülern, mindestens fünzig oder mehr, hatte sich um irgendetwas gebildet. So konnte ich leider nicht sehen, was sich in ihrer Mitte abspielte. Was ging hier vor? Ich musste näher heran.
Dan sah ich es. Dies war die Quelle für den unruigen Schlaf meines Träumers. Im Inneren der Menschenmenge fand ich einen Jungen vor, der von vier riesigen dunklen Gestallten umgeben war. Blitze schlugen direkt zu seinen Füßen ein. Wer die Schattenmänner waren, konnte ich nicht erkennen, da ihre Gesichter von schwarzen Masken verdeckt wurden. Sie brüllten den Anderen an. Ihre Stimmen trieften vor Verachtung und Abscheu. Mit jeder neuen Beleidigung legten Sie noch etwas an Größe zu. Immer wenn der Junge zusammenzuckte, wurden ihr Geschrei noch ein Stück lauter. Lange würde es nicht mehr aushalten. Schon jetzt saß er in sich zusammen gesunken an der Wand und schlug die Hände vor sein Gesicht. Er tat mir leid. Ganz sicher hatte er dies alles hier nicht verdient. Warum ihn seine nächtliche Gedankenwelt hier her geführt hatte, konnte ich nur erraten. Doch ganz sicher waren die realen Gegebenheiten, die hinter all dem steckten nicht weniger schmerzhaft für ihn.
Als ob er spühren könnte, dass sich mit meinem Eintreffen etwas verändert hatte, blickte er auf und schaute mich direkt an. Selbst in seiner Verzweiflung sah er noch wunderschön aus. Seine meeresgrünen Augen wurden durch dicke tränen getrübt und liefen rundliche Wangen hinab. Das dunkelblonde, gescheitelte Haar war leicht zerzaust. Im Gegensatz zu mir, war er etwas kleiner. Ich konnte leichte Rundungen unter seinem Shirt erkennen. Was mich jedoch am meisten fesselte, war sein trauriger Blick.
Jetzt war Showtime. Ich konnte einfach nicht zulassen, dass dieser Mensch noch länger litt. Es dauerte nur Sekundenbruchteile die mir inne wohnende Macht zu sammeln. Mein Bewusstsein dehnte sich aus, drang in die tiefsten Winkel meines Träumers ein. Verbandt sich vollends mit seiner Gedankenwelt. Ab diesem Moment übernahm ich das Kommando.
Gemächlich schritt auf die dunklen Monstren zu. Schillernde Farben umgeben mich, als meine Aura aufflammte. Ich brachte das Licht. Die Schattengestallten krümmten sich vor schmerzen, als der helle Schein sie traf. Doch sie waren hartneckig. Wollten sich noch nicht geschlagen geben. Einer ging auf mich los. Ihre Hände wandelten sich zu Tentakeln, die mich umschlingen wollten. Aber nicht mit mir. Ein Gedanke reichte aus um ein Schwert in meiner Hand erscheinen zu lassen. Schnell, schneller als es das Auge wahrnehmen konnte, holte ich aus und schlug zu. Einmal, zweimal, drei Mal. Abgeschlagene Körperteile lagen um mich herum. Für dieses Ding war es zu viel. Unter Schmerzensschreien löste es sich auf.
Herausfordernd schaute ich die anderen an. Würden sie aufgeben? War die Angst meines Träumers zu tiefgehen um einfach so zu verschwinden? Sie war es. Statt sich zu verflüchtigen griffen die Manifestationen mich fast zeitgleich an. Die Intensität ihres Angriffs brachhte sogar mich in Bedrängnis. Nur selten war es derart schwer durch Angst und Schmerz zu einem Menschen durch zu dringen. Doch ein Rückzug kam nicht in Frage.
Immer wieder wich ich ihren Attacken aus. Ewig konnte es so nicht weiter gehen. Ich musste endlich in die Offensive gehen. Dafür musste ich jedoch die Taktik wechseln. Das Schwert war auf keinen Fall die richtige Waffe. Hier würde ich etwas mächtigeres brauchen. Ohne einen weiteren Gedanken an die Klinge zu verschwenden ließ ich sie fallen. Statt dessen streckte ich meine Arme aus und ließ Funken aus puren Licht vor mir entstehen. Rasch wurden es mehr und mehr. Sie umschwirrten die Dunklen, trieben sie zurück. Doch ich war noch lange nicht fertig. Dies war nur der erste Teil meines Planes. Mein Blick glitte gen Himmel, an dem immer noch Blitze umher zuckten. In Gedanken stieß ich die Wolken beiseite. Sofort änderte sich das Bild. Die Blitze verschwanden. An ihre Stelle rückte einer strahlende Sonne. Das reichte allerdings noch nicht. Mein Geist griff auf die gleißenden Strahlen des Sternes zu und verdichtete sie. Dann ließ ich sie mit voller wucht auf die drei Schatten vor mir nieder fahren. Unter wildem Kreischen vergingen sie.
Etwas erschöpft sah ich mich um. Die Schüler waren verschwunden. Einzig der Junge war noch da. Dankbar schaute er mich an.
„Wer bist du“, fragte er mich verwundert.
„Ich bin Angelus“, antworte ich ohne nachzudenken. Bereits seit meinen allerersten Ausflügen verwendete ich diesen Namen. Ein Träumer hatte ihn mir damals gegeben und irgendwie schien es mir richtig, ihn zu verwenden. Der Junge vor mir erinnerte mich sogar ein wenig an meinen Namensgeber.
„Mein Name ist Tom. Danke, dass du mir geholfen hast. Sie haben mich in die Ecke gedrängt. Ich wollte mich ja wehren, aber ich konnte nicht. Es war als könnte ich mich nicht bewegen.“
Verständnissvoll nickte ich. Soetwas hatte ich schon von vielen meiner Menschen gehört. Sie waren starr und bewegungslos; ihren Peinigern unausweichlich ausgeliefert.
„Du willst jetzt bestimmt wissen, was die Typen von mir wollten?“
Langsam schüttelte ich den Kopf. Ich wusste es. Von dem Moment an, als ich mich mit Toms Gedanken vollends verbunden hatte, wusste ich es. Die Schattenmänner standen für seine Angst. Die Angst davor entdeckt zu werden. Tom fürchtete nichts mehr, als das man herausfand, dass er Jungs mochte. Die Furcht vor Verfolgung war größer als der Wunsch in Freiheit zu leben. Niemanden hatte er es bisher erzählt. Ich war der einzige der es Wusste. Irgendwie ehrte es mich, auch wenn er es mir natürlich nicht freiwillig erzählt hatte.
Statt ihn also noch weiter herum stamme zu lassen legte ich meinen Finger auf seine Lippen. Bedeute ihm so, er müsse nicht mehr weiter sprechen.
Bei meiner Berührung trat ein warmer Glanz in seine Augen. In ihnen war eine tiefe Sehnsucht zu erkennen. Nichts wollte er lieber, als Liebe und Geborgenheit zu fühlen. Ich wollte sie ihm gegen. Zumindest für diese Nacht. Meine Hand strich von seinen Lippen über seine Wangen und kam in seinem Nacken zur Ruhe. Mit sanften Druck zog ich Tom zu mir heran. Immmer näher kam sein Gesicht dem meinen, bis es mein Blickfeld vollends ausfüllte. Kurz bevor sich unsere Lippen berührten schloss er die Augen.
Das Gefühl war unbeschreiblich. Sein weicher Körper schmiegte sich an mich an und ich konnte seine Wärme spühren. Zuerst umspielten sich unser Lippen ganz zaghaft, streichelten sich beinahe. Dann öffnete Tom fordernd seinen Mund. Gerne ließ ich meine Zunge hineingleiten strich sanft über die Seine. Tom genoss es, ich konnte es deutlich spühren. Auch mir machte es Freude ihn so sanft zu küssen. Seinen Herzschlag zu fühlen und seinen Geschmack zu genießen.
Als wir uns schließlich von einander lösten befanden wir uns nicht mehr auf dem Schulhof. Ich hatte mich von der Stimmung inspirieren lassen und uns an einen Strand an einem fernen Meer gebracht. Die Luft war warm und duftete nach Salz und Wasser. Es herrscht Nacht. Die Sterne schienen hell, heller als es in der Realität jemals möglich gewesen wäre, am Firmament.
Auf einer Düne legten wir uns nieder. Einen Augenblick lang schauten wir beide einfach nur hinaus aufs Meer und lauschten dem Geräusch der Wellen. Toms Augen strahlten relgelrecht. Es war schön ihn so glücklich zu sehen. Sanft legte ich meine Hand auf seinen Bauch, strich langsam hinauf. Meine Berührungen wurden durch liebevolle Blicke gewürdigt. Alleine diese reichten aus um mich weiter machen zu lassen. Doch ich wollte ihn richtig fühlen. Ohne den störenden Stoff zwischen uns.
Nur ein Gedanken von mir reichte aus. Vollends entkleidet lag Tom vor mir. Auch ich hatte nichts mehr an. Ihm schien der Anblick ziemlich zu gefallen. Auf jeden Fall kam Bewegung in ihn. Statt einfach nur weiterhin neben mir zu liegen, drehte er sich vollends zu mir um. Seine Hand kraulte meine Brust, ging weiter hinuter zu meinem Bauch und wieder zurück. Hiernach hatte ich mich gesehnt. Die zarte Berührung eines Menschen. Sie war so voller Zuneigung. Nichts in dieser Welt oder der Anderen ging über dieses Gefühl. Auch ich wollte ihn jetzt spühren. Ich rückte noch ein ganzes Stück weiter heran. Gerne ließ ich meine Hände über seinen Körper wandern. Jede meiner Berührungen entlockten Tom ein geräusch der Verzückung. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus und legte mich vollends auf ihn. Wieder berührten sich unsere Lippen. Dieses mal sehr viel leidenschaftlicher und fordernder. Es war die pure Extase.
Vollends gab sich mir Tom hin.
Etwas wegmühtig zog ich mich aus Toms Verstand zurück und fand mich in seinem Zimmer wieder. Die Zeit mit ihm war wunderschön gewesen. Doch jetzt wurde es Zeit nach Hause zurück zu kehren. Dennoch konnte ich nicht anders als nochmal einen Blick auf Tom zu werfen. Er sah süß aus, wie er dort ganz ruig lag und schlief. Ein sehliges Lächeln lag auf seinen Lippen. Er war glücklich, da war ich mir ganz sicher.
Dann wand ich mich ab und verließ diese Welt.
Tag der Veröffentlichung: 10.07.2011
Alle Rechte vorbehalten