Geschrieben am 24.06.2011
Nachdruck, auch auszugsweise nur nach Genehmigung des Autors
Rechtschreibung nach bestem Wissen und Gewissen
Coverfoto: © /xenushka.deviantart.com & ColdIcePhoenix.deviantart.com
Gestaltung, Satz und Bildbearbeitung: Robin Jander
"Ich habe Dich im Traum gesehen
Deine Augen tief und schön
Alles um den Schein erlicht
Als Du meine Seele küsst"
Centhron: Tanz im Sternenfeuer
Den kurzen Weg zu Tobias nutzte ich um ihn auszufragen. Die Antwort auf meine Frage, was er so triebe wenn er nicht gerade in zwielichtigen Bars Männer auf Ausflüge einlud, verblüffte mich. Er war Referendar an einer hiesigen Realschule für Geschichte und Religion. Soetwas hatte ich nicht erwartet. Natürlich machte nicht gerade den Eindruck auf den Kopf gefallen zu sein, dennoch erstaunte es mich.
„Magst du mit hoch kommen? Wie ich Tim kenne, könnte es noch etwas dauern“, fragte er mich, als wir schließlich vor einem Gebäude angehalten hatten.
Ich überlegte einen Moment lang. Schließlich war es keine einfache Entscheidung. Natürlich konnte ich einfach hier unten warten. Damit würde ich zumindest seiner Familie aus dem Weg gehen können. Allerdins ginge ich somit auch die Gefahr ein mir die Beine in den Bauch zu stehen. Oben hingegen könnte ich womöglich seinen Eltern in die Arme laufen. Hierauf hatte ich nun wirklich keine Lust. Die Wahlmöglichkeiten waren nicht überragend. Pest oder Cholera.
Den Ausschlag gab schlussendlich meine Bequemlichkeit. Die Aussicht Ewigkeiten vor dem Haus herum zu lummern erschien mir wenig attraktiv. Folglich begleitete ich Tobias und wir betratenn gemeinsam eine Wohnung im ersten Stock des Gebäudes. Sofort fielen mir die für Altbauten so typischen hohen Decken, antike Türen und großen Fenster auf. Hiermit hatte ich bereits gerechnet, bevor ich überhaupt das Haus betreten hatte. Was mich jedoch verblüffte war die Einrichtung. Tobi hatte mich ins Wohnzimmer geführt, welchem ich meine gesamte Aufmerksamkeit widmete.
Die Hintere, den Fenstern gegenüber liegende Wand wurde komplett von einem Regal aus Brettern und Ziegelsteinen vereinnahmt. Etwa zwei Meter davor, ganz in jagdgrün gehalten stand ein ältlich aussehendes Sofa und ihm gegenüber ein mit braunem Leder überzogener Sessel. Der Glastisch, der die beide trennte, ich war mir sicher ihn schon einmal bei Ikea gesehen zu haben, hätte längst mal wieder eine Grundreinigung verdient. Ein bunt lackierter hocker, der an der kurzen Seite des Tisches in Richtung Wand seinen Platz gefunden hatte, runete die Sitzecke ab. Im krassen Gegensatz zu diesem etwas mitgenommen wirkenden Mobiliar stand der große Flachbildfernseher, der dem Bücherregal gegenüber an der Wand hing und von zwei großen Fenstern eingerahmt wurde.
Alles hier wirkte weniger wie ein konservatives Elernhaus, als viel eher wie eine Studentenbude. Mit der Annahme Tobi würde noch zu Hause wohnen, hatte ich mich wohl geirrt. Sein kleiner Bruder war bestimmt nur zu Besuch da.
„Warte kurz. Ich schau mal gerade nach Tim. Bin gespannt, was er jetzt schon wieder in seinem Zimmer treibt,“ meinte Tobias und ließ mich verwaist zurück.
Augenblicklich hatte er mit nur wenigen Worten alles umgestoßen, was ich eben noch vermutet hatte. Schließlich konnte es kaum Tobis eigene Wohnung sein, wenn sein Bruder hier ein eigenes Zimmer hatte. Zumindest konnte ich mir das nicht vorstellen. Hierüber nachzugrübeln würde allerdings wenige helfen. Ich würde ohnehin nicht zu einem eindeutigen Ergebnis kommen. Da konnte ich es genauso gut einfach sein lassen. Früher oder später würden die Antworten wohl ganz von alleine folgen. Ausserdem konnte ich froh sein, dass ich hier keinen aufdringlichen Eltern in die Arme gelaufen war, die mich mit überflüssigen Fragen gelöchterten.
Die viel bessere Frage war zudem, warum ich mich überhaupt auf dieses Date eingelassen hatte. Nichteinmal ich konnte mir selber sagen, was ich mir davon erhoffte. Ganz sicher war es nicht der schnelle und unkomplizierte Sex, den ich sonst favorisierte. Dafür war Tobi nicht der Typ und dieses Treffen hatte auch nicht den entsprechenden Charakter. Was also machte Tobias so verdammt interessant und anziehend für mich? Womöglich war es das Gefühl, dass er in mir wachgerufen hatte, als ich ihm das erste Mal ins Gesicht gesehen hatte. Schon sehr lange hatte ich eben jenes Gefühl nicht mehr in mir gespürt. Der Sommer von dem ich noch heute morgen geträumt hatte war das letzte Mal gewesen. Bevor meine Gedanke jedoch noch weiter in diese Richtung abwandern konnte, kam Tobias kopfschüttelnd wieder zurück.
„Es war so klar. Tim sitzt schon wieder seit Stunden vor seiner Glotze. Ich hätte das verdammte Ding nie kaufen sollen. Naja, auf jeden Fall ist er gleich so weit, dass wir los können. Möchtest du vielleicht noch einen Kaffee?“
Wieder ein Stück von einem Puzzel, dessen Bild ich nicht kannte. Warum hatte Tobias den Fernsehr für seinen Bruder bezahlt. War es einfach nur ein Geschenk gewesen oder steckte noch mehr dahinter? Wonach es mich dürstete waren Antworten, nicht noch ein Kaffee. Den hatte ich schon zu genüge in der Kneipe gehabt. Tobias Leben hingegen war etwas, von dem ich bislang noch viel zu wenig mitbekommen hatte.
„Nee, aber trotzdem danke. Sage mal, wie ist das eigentlich? Ist das hier deine Wohnung oder die deiner Eltern.“
„Es ist meine.“
„Und dein Bruder wohnt hier?“
„So ist es. Aber das ist eine lange Geschichte.“
„Wir haben Zeit“ meinte ich leichthin, da ich nicht locker lassen wollte. Endlich kam etwas Licht ins Dunkel. Ein Blick zu Tobias zeigte mir jedoch, dass ich lieber nicht weiter bohren sollte. Sein Gesicht hatte einen gequälte Ausdruck angenommen. Die Bedeutung war klar. Er wollte nicht weiter reden. Andererseits plante ich mit ihm meine Zeit zu verbringen. Obendrein auch noch ohne mit ihm herum zu vögeln. Auch wenn er so gut wie nichts von mir wusste, so meinte ich das Recht zu haben eiwas von ihm zu erfahren. Schließlich wollte er ja etwas von mir. Ich hätte gut und gerne aus der Kneipe gehen können ohne im Nachhinein an ihn zu denken. Zumindest redete ich mir das ein.
Der kurze Augenkontakt, der auf meine Überlegungen folgte ließ mich allerdings von meiner resuluten Art abrücken. Die Traurigkeit, die ich erkennen konnte war einfach entwaffnend.
„Ist ja auch nicht so wichtig“, brach ich schließlich ein. Nur um die Stimmung wieder etwas zu lockern fügte ich im plauderton hinzu „Was für Musik hörst du eigentlich?“
Der unausgesprochenen Aufforderung nachkommend eilte Tobias zu einer Mappe, entnahm eine CD und legte sie in den unter dem Fernseher stehenden DVD-Player ein. Um was für eine Platte es sich handelte konnte ich nicht erkennen. Nur dass es sich nicht um eine selbst gebrannte handelte. Ehrlich gespant, was nun kommen würde, ließ ich mich aufs Sofa fallen und wartete. Einige wenige Handgriffe später hatte Tobias die Geräte eingschaltet und harte Bässe, sowie eingängige elektronische Musik fluteten das Zimmer. Mit dem Techno, den ich meistens hörte hatte das ganze allerdings recht wenig zu tun. Es klang viel viel kräftiger, um nicht zu sagen destruktiver. Nichts desto Trotz; ich mochte die Musik.
„Was ist das?“
„Sternenfeuer von Centhron. Ist nicht jedermanns Sache, zugegebn. Aber mir gefällt es. Soll ich vielleicht etwas anderes anmachen?“
„Nein, ist schon in Ordnung. Ich kenne es halt nicht, aber es hört sich ziemlich fett an.“
In der Tat zog mich ie Musik von Minute zu Minute mehr in ihren Bann. Tobias verriet mir, dass es sich bei dem Sound wohl um sogenannten EBM handelte, was wohl eine Mischung aus Techno und Gothic war. Schon seltsam, bis jetzt war Tobi mir garnicht wie eine dieser schwarzen Schreckgestalten vorgekommen. Ich konnte nicht andes als Gedanken auch auszusprechen. Tobis Reaktion hierauf war ein schallendes Lachen.
„Mag schon sein, aber früh lief ich auch mal in langen schwarzen Mänteln herum und war mit Silberkreuzen behangen. Diese Zeiten sind zwar vorbei, aber der Musik habe ich nie abgeschworen. Zudem hängen immer noch einige der alten Klamotten in meinem Kleiderschrank.“
Noch bevor ich irgendetwas erwidern konnte, kam ein etwa einmeterundfünfzig großer junger herein gerast. Irgendwie schien er mir wie eine viel jüngere Ausgabe von Tobias zu sein. Von den Haaren bis hin zum kleinen Bauch sah er ihm verdammt ähnlich. Das die beiden Brüder waren hätte ein Blinder mit Krückstock erkannt. Der Kleine stürmte an mir vorbei, ohne mich überhaupt eines Blickes zu würdigen, direkt auf Tobias zu.
„Ich bin fertig. Können wir endlich los?“
Tobi lächelte ihn beschwichtigend an und erhob sich um seine Bereitschaft zum Aufbruch zu signalisieren.
„Ja, sofort. Ich möchte dir nur noch schnell jemanden vorstellen. Das hier ist Marc. Er begleitet uns heute Nachmittag.
Beinahe fühlte ich mich wie vor einem Schwurgericht, so wie mich der Halbwüchsige musterte. Augenscheinlich hatte ich jedoch die kritische Beurteilung bestanden, den auf seinem Gesicht breitete sich ein warmes Lächeln aus.
„Ist doch toll! Ganz bestimmt wird das mit euch beiden lustig werden. Jetz sitz' da doch nicht so herum, Marc. Der Zoo öffnet gleich.“
Ohne dass ich überhaupt die Chance gehabt hätte der Aufforderung von alleine nachzukommen, hatte er mich auch schon bei der Hand gefasst und zog an mir herum.
Bereits jetzt war klar, dass ich Tim mögen würde. Und das obwohl ich für Kinder ja eigentlich nicht übrig hatte. Offensichtlich stand hier wohl die berühmt Ausnahme von der Regel vor mir.
Lachend ließ ich mich von ihm mitziehen.
„Jaja, ich mache ja schon. Aber denk daran. Du bist mit zwei alten Knackern unterwegs.“
Es versprach wirklich ein guter Tag mit den beiden zu werden.
"Und nur für dich sind diese Worte,
denn es führt kein Weg zu dir,
auf dem ich reisen kann im Leben,
so bleib' ich fern dem Sonenlicht!"
Illuminate: Nur für Dich
Ich irrte mich nicht. Was als unscheinbarer Flirt angefangen hatte entpuppte sich letzten Endes als Auftakt zu einem überaus gelungenem Sonntag. Tim hielt Tobias und mich ohne Pause in Atem. Erst wollte er unbedingt die Tiger sehen, dann mussten wir schon weiter zu den Bären.
Ohne unterlass löcherte er uns mit den verschidensten Fragen zu dem was er sah, während er uns munter von Gehege zu Gehege scheuchte. Es war jedoch für mich nicht etwa lästig; der gesamte Besuch machte mir einen heiden Spaß.
Erst nach dem Tim auch das letzte Tier gesehen und die letzte Frage in zufriedenstellender Form beantwortete bekommen hatte, machte wir uns daran den Zoo zu verlassen. Die Sonne war bereits untergegangen. Als wir die Pforten des Tierparks hinteruns gelassen hatten, standen wir etwas unschlüssig herum un beratschlagten, was wir als nächstes tun sollten.
„Was meinst du, wollen wir etwas essen? So langsam habe ich wirklich Kohldampf,“ sprach Tobi aus, was ich schon seit einiger Weile dachte.
„Ohja. Lass uns zum 'goldenen M' gehen“, rief Tim begeistert aus.
Tadelnd erhob Tobias den Finger. „Du weißt doch wie ungesund das ist. Ausserdem sollten wir zuerst einmal Marc fragen, ob er überhaupt noch Zeit hat.“
„Also was mich betrifft, ich habe nichts vor.“
„Das hört sich doch gut an. Aber ich glaube ich habe da eine bessere Idee als diesen Fastfood-Dreck. Was hälst du davon, wenn wir zurück gehen und ich uns bei mir etwas koche?“
Damit war ich sehr einverstanden. Einzig Tim schien mit unserer Wahl nicht sonderlich zu Frieden zu sein. Bestimmt hatte er sich schon auf einen saftigen Burger gefreut. Er fügte sich allerdings frohen Gemühtes in sein Schicksal, als er hörte ich würde noch mitkommen. Der kleine schien mich wohl zu mögen. Dabei hatten wir mal gerade einen gemeinsamen Nachmittag verbracht.
Aber auch ich hatte mich für die beiden Brüder erwärmt. Tim war einfach klasse. Ich konnte garnicht sagen, was mir mehr an ihm gefel. Auf der einen Seite schien er ein überaus Gefühlvoller Junge zu sein, auf der anderen war da dieser schier unstillbare Wissensdurst.Ein wenig erinnerte er mich daran, wie ich selber früher einmal in seinem Alter war. Bevor ich mich mit meiner Familie zerstritten hatte und in die Großstadt gezogen war. Für Tim hoffte ich, dass es ihm anders, besser ergehen würde.
Warum ich jedoch für Tobias so viel übrig hatte, war nicht annähernd so offensichtlich. Es war sehr viel weniger greifbar, ja fast schon versteckt. Natürlich fühlte ich mich schon rein körperlich von ihm angezogen, obgleich er eigentlich garnicht in mein übliches Beuteschema passte. Soviel war zumindest klar, aber was den Rest anging, so war ich mir noch nicht sicher ob ich es überhaupt herausfinden wollte.
In dem Taxi, welches wir uns aus reiner bequemlichkeit hatten kommen lassen, sprachen Tobias und ich kein Wort miteinander. Wir kamen garnicht dazu. Tim unterhielt uns die ganze Fahrt über. Zuerst erzählte er dem Taxifahrer in allen Einzelheiten, was er heute alles gesehen und erlebt hatte. Im Anschluss klärte er mich bis ins Detail über die Schule auf, die er besuchte. Derart beschäftigt verging die Fahrt wie im Fluge.
Bei Tobias daheim angekomen, verzog sich Tim auf der Stelle in sein Zimmer. Ich hörte noch irgendetwas über eine Serie, die er nicht verpassen wollte, dann war er auch schon weg. Da Tobi mit Kochen beginnen wollte, wurde ich kurzerhand auf dem Sofa platziert und fand mich von einem Moment auf den anderen alleine wieder.
Um das Beste daraus zu machen, zündete ich ein paar Kerzen an, schob eine CD ein und machte es mir gemütlich. Wiedereinmal merkte ich, wie sehr mir Tobis Musik gefiel. Mein Fuß wippte im Takt, während ich über den vergangenen Tag nachdachte.
Die Zeit verlor ich dabei völlig aus den Augen. Erst als Tobias einen großen Wok vor mir auf den Tisch stellte, kehrte meine Gedanken wieder in Hier und jetzt zurück.
„Soll ich dir beim Tischdecken helfen?“
„Nein, nicht wirklich. Aber du kannst schon einmal Tim holen gehen. Sein Zimmer liegt den Flur entlang links. Meinem direkt gegenüber.“
Schon war er wieder verschwunden. Ihm hinterher zu rufen, dass ich keine Ahnung hatte, wo sein Zimer sei, sparte ich mir. Statt dessen macht ich mich auf auf die Suche nach Tim.
Er hatte ein wirklich schönes Kinderzimmer. Auch wenn es nicht sonderlich groß war, fand man doch hier alles was das Herz eines Jungen höher schlagen ließ. Insbesondere von einer schier riesig wirkenden Stadt aus Lego wurde mein Blick angezogen. Tim ließ es sich nicht nehmen mir alles bis ins Kleinste zu zeigen. Diese Legopole war aber auch wirklich beeindruckend.
Wie lange ich mit Tim auf dem Boden gesessen und über die weitere Bauplanung geredet hatte, konnte ich beim beste Willen nicht sagen. Irgendwann erklang Tobis Stimme hinter uns.
„Also wenn ihr beiden jetzt nicht kommt, dann wird das Essen vollkommen kalt.“
Leicht gegen den Türrahmen gelehnt stand er da und grinste uns breit an. Wer weiß schon wie lange er uns bereits beobachtete hatte.
Obwohl Tim sicherlich gerne noch mit mir da gesessen und über die Planung geredet hätte, standen wir beiden auf und folgten Tobias ins Wohnzimmer. In dampfenden Tellern warteten dort bereits Nudeln und Ente al'a Konton Art auf mich. Für uns Erwachsene Stand eine Flasche Rotwein bereit.
„Ich hoffe du magst Roten?“
„Auf jeden Fall,“ gab ich zurück.
Kochen konnte Tobi wirklich. Das Essen war einfach vorzüglich. Ich schoss alle Ernährungsgewohnheiten in den Wind und nahm mehrfach nach, so gut war es. Ihn schien es aufrichtig zu freuen. Wie sehr er sich ins Zeug gelegt hatte, sah ich jedoch erst, als der Nachtisch kam. Ich konnte es gar nicht richtig fassen, aber Tobias hatte wirklich noch die Zeit gefunden einen Kuchen zu backen. In den folgenden Wochen würde ich wohl Überstunden im Fitnessstudio machen müssen.
Kaum hatten wir alles aufgegessen, ließ uns Tim auch schon wieder alleine zurück. Sein Zimmer war wohl viel spannender, als die Möglichkeit mit uns den Abend zu verbringen. Tobias fing derweil an das Geschirr abzuräumen. Natürlich gebührte es der Anstand ihm dabei zu helfen. Nachdem mir allerdings gesagt worden war, ich solle einfach sitzenbleiben, begnügte ich mich damit den Wein nach zuschenken.
Es war bereits kurz vor acht, wie ein rascher Blick auf die Uhr mir verriet. Der Tag war wirklich schnell vorüber gegangen. Wohin aber hatte er geführt? Mittlerweile war ich mir sehr beinahe sicher was Tobias wollte. Er suchte sicherlich einen Partner für eine feste Beziehung. Ich hingegen konnte mich für so eine Geschichte überhaupt nicht erwärmen. Eine Beziehung war so ziemlich das Letzte was ich wollte. An so etwas wie feste Partnerschaft glaubte ich einfach nicht. Nur ans Ficken. Letzteres war wenigstens ehrlich.
Und doch fühlte ich tief in mir, wie die Zuneigung zu diesem außergewöhnlichen Menschen mein Denken beeinflusste. Ob ich es wollte oder nicht, ich befand mich auf dem besten Wege in etwas, das ich eigentlich nicht wollte. Wahrscheinlich war es am besten, wenn ich die ganze Sache beendete. Ansonsten würde ich mich noch auf etwas einlassen, von dem ich wusste es würde nicht funktionieren.
Auch wenn es mir schwer fiel stand ich auf und packte meine Jacke. Das unvermeidliche hinaus zu zögern hatte ohnehin keinen Zweck.
„Willst du etwa schon gehen?“ fragt mich Tobias, als er mich zum Aufbruch bereit in der Tür stehen sah.
Wie geknickt er hierüber war stand ihm ins Gesicht geschrieben. Der Gedanke ihm weh zu tun machte es nicht leichter. Umso länger ich jedoch bleiben würde, umso schmerzhafter würde es am Ende für ihn werden. Das mich seine Reaktion nicht kalt ließ bestärkte mich außerdem nur noch in meiner Entscheidung. Besser ich fand jetzt den Absprung.
„Jepp, es ist schließlich schon Abend. So langsam muss ich los. Morgen klingelt wieder in aller frühen der Wecker.“
„Dann will ich dich besser nicht weiter aufhalten. Für alle Fälle schreibe ich dir mal meine Nummer auf. Wenn du Lust hast, kannst du dich ja mal nächste Woche oder so melden.“
Da war wieder dieser sehnsüchtige Blick, vor dem ich nur schwerlich bestehen konnte. Ich musste wirklich weg. Ansonsten würde ich doch noch schwach werden.
Mit einer fahrigen Bewegung steckte ich den Zettel, auf dem Tobis Nummer stand, ein und überreichte zum Abschluss noch eine von meinen Visitenkarten. Es war ein kalkuliertes Risiko. Bisher hatte noch keine Kerl sich getraut auf der Arbeit anzurufen. Tobias würde wohl kaum der Erste sein.
"Ich spüre nichts von Wärme,
die in Menschenherzen wohnt
Das einzig Warme, das mir bleibt,
ist nur ein Traum. Nur die Erinnerung."
Beborn Beton: Eisplanet
In der folgenden Nacht kamen die Träume wieder und mit ihnen die Erinnerungen. Ich befand mich nicht mehr in meiner Atelierwohnung. Noch nicht einmal mehr in der richtigen Zeit.
Statt dessen war ich wieder sechzehn Jahre alt.
Die Sommerferien hatten vor zwei Wochen begonnen und ich besuchte jeden Tag die Ferienspiele. Mich dort anzumelden war eine ausgesprochen gute Idee gewesen. Schon am ersten Tag hatte ich einige Jungen kennen gelernt, mit denen ich mich ziemlich gut verstand. Endlich mal ein paar Freunde zu haben, war ein tolles Gefühl. In der Schule war ich nicht sonderlich beliebt. Da war zum einen meine gute Noten und zum anderen mein Aussehen. Ich war kleiner als die anderen und ganz schön pummelig. Um das ganze komplett zu machen trug ich auch noch eine Nickelbrille und Klamotten aus zweiter Hand. Alles in Allem also nicht gerade das, was man als modisch bezeichnen könnte.
Den Kids hier schien das jedoch nichts auszumachen. Von Anfang an war von meinen gleichaltrigen aufgenommen worden. Und welchen Spaß wir alle miteinander hatten. Zu Beginn der Maßnahme hatte ich noch Bedenken gehabt, dass wir uns mit blöden spielen oder sonst irgendwelchem Kinderkram beschäftigen würden. Die Realität war weit entfernt davon.
Es gab diverse Workshops, an denen man sich beteiligen konnte. Unter anderem eine Schreibwerkstatt, einen Musikworkshop und Kunstunterricht. Natürlich gab es auch in Sachen Sport einiges, was man machen konnte, nur war das nichts für mich. Ich machte mir nichts aus Sport. Die Nachmittage hatten wir dann immer zur freien Verfügung. Also konnten wir ganz ungezwungen herumhängen und uns unterhalten.
Genauso war es jetzt. Statt mich zu den anderen zu gesellen, hatte ich mir ein schattiges Plätzchen unter einer großen Eiche gesucht um dort ein bisschen zu lesen. In der Bücherei hatte ich mir „Der Herr der Ringe“ ausgeliehen. Bis jetzt hatte ich noch nichts von dem Buch gehört. Es war mir eher zufällig in die Hände gefallen und hatte sich als wahrer Glücksgriff herausgestellt. Ein solch gutes Buch war mir schon lange nicht mehr unter gekommen. Zugegebener maßen waren die ersten zwei bis drei Duzend Seiten noch sehr langatmig gewesen, aber dann hatte das Buch richtig an Fahrt aufgenommen. Mittlerweile war ich bei der Mitte des zweiten Buches angelangt und konnte kaum noch aufhören zu lesen, so spannend fand ich es.
Ich wischte mir gerade eine Schweißperle von der Stirn, als ich auf eine fast unmerkliche Reflexion auf meiner Brille aufmerksam wurde. Instinktiv drehte ich meinen Kopf zur Seite und sah Felix. Er war mir bereits aufgefallen, als ich ihn zum ersten Mal vor ein Paar Tagen gesehen hatte. Seine kurzen blonden Haare glänzten in der Sonne wie flüssiges Gold und seine blauen Augen strahlten mich an. Etwas verdutzt blickte ich zu ihm auf. Bis jetzt hatten wir beide kaum ein Wort miteinander gewechselt.
Es war nicht so, dass er mir nicht sympathisch gewesen wäre. Ganz im Gegenteil. Er war verdammt heiß, wie ich fand. Nur hatte sich noch keine passende Gelegenheit ergeben und ich war einfach zu schüchtern um ihn einfach so anzusprechen. Also hatte ich die letzte Zeit damit verbracht ihm von weitem schmachtende Blicke zu zuwerfen und seinen tollen Körper zu bewundern. Allein bei seinem Anblick durchfuhr mich jedes Mal ein wohliger Schauer.
„Hi, du bist Marc, oder?“
„Ja stimmt.“
„Was treibst du hier so alleine?“
Ich hob demonstrativ mein Buch in die Höhe. „Lesen.“
„Sag mal, hast du vielleicht Lust auf eine Partie Badminton? Wir spielen ein bisschen Zwei gegen Zwei. Allerdings hat sich gerade mein Match-Partner verabschiedet. Vielleicht hast du ja Lust einzuspringen?“
Am liebsten hätte ich auf der Stelle 'ja' gesagt. Schließlich war das die Gelegenheit meinem Schwarm endlich näher zu kommen. Aber was wenn ich mich schrecklich blamierte? Meine sportlichen Leistungen waren alles andere als überragend. Am Ende würde er mich noch auslachen, weil ich nicht so gut war wie die anderen spielte. Oder wenn er wegen mir gar verlieren würde. Bestimmt wäre er dann sauer auf mich. Außerdem hatte ich ja auch überhaupt keinen Schläger, was ich Felix auch so sagte.
Er grinste mich etwas schräg an und meinte: „Das ist kein Problem. Wir haben noch einen über. Also spielst du mit?
Felix streckte mir einladend die Hand hin. Wie konnte ich jetzt noch nein sagen? Obwohl meine Bedenken nicht verschwunden waren, ergriff ich seine Hand und ließ mir von ihm aufhelfen. Seine Haut fühlte sich weich und warm auf meiner an. An liebsten hätte ich gar nicht mehr los gelassen.
Zusammen gingen wir runter in Richtung Wiese, auf der sich auch ein Badminton-Feld befand.
Tag der Veröffentlichung: 24.06.2011
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