Geschrieben am 17.06.2011
Nachdruck, auch auszugsweise nur nach Genehmigung des Autors
Rechtschreibung nach bestem Wissen und Gewissen
Coverfoto: © /phyrephoenix.deviantart.com
Gestaltung und Satz: Robin Jander
Die Nacht war hereingebrochen. Das Dorf war verstummt. Wie ausgestorben wirkten die Straßen und Gassen. Einzig das Meer, an welches das Dorf mündete, bewegte sich im ewigen Tanz.
Nur ein Junge saß noch am Pier. Eine warme Sommerbriese streichelte zart seine Haut. Wie häufig hatte er hier schon gesessen? Er konnte es nicht mehr zählen. Immer wenn er er traurig war, kam er hierher. Den Blick auf auf Meer gerichtet konnte er an diesem Ort seine Gedanken schweifen lassen. Stets zog er Trost aus dem Spiel der Gezeiten.
Eine Träne rollte über seine Wange. Innerlich verfluchte er sich selbst. Er hatte nicht weinen wollen. Wiedereinmal zeigte er Schwäche. Schließlich war dies doch der Grund für sein hier sein. Große Jungen weinen nicht. Einmal mehr hatte er also bewiesen, dass er kein echter Mann war. Am Ende behielten also die Anderen doch recht.
Er war ein Weichei und eine Heulsuse. Er war eine Schwuchtel. Kein Mann. Nichteinmal ein Mensch. Sie hatte es ihm ins Gesicht geschriehen. Er war nichts wert. Er war krank und abartig. Nein, er hatte es nicht verdient unter anderen Menschen zu leben. Nichteinmal seine eigenen Eltern wollten mehr etwas mit ihm zu tun haben.
Wie sollte es von hier an nur weiter gehen? Er wusste es nicht. Und das obwohl sich vor nichteinmal zwei Tagen alles noch so richtig angefühlt hatte. Er war verliebt gewesen. Es war kein Mädchen gewesen. Ihn hatte es nicht gekümmert. Zum ersten Mal in den fünfzehn Jahren seines Lebens hatte er dieses Gefühl verspürt und es eifach nur genossen. War es wirklich so schlimm gewesen? Hätte er seine Gefühle ignorieren sollen? Nur weil anderen es von ihm erwarteten?
Sein Glück währte nur einen Abend lang. Ein kurzes Kennenlernen, ein schneller Kuss. Sie hatten ihn gesehen. Schon am Nächsten Morgen waren sie über ihn hergefallen, hatten ihn zerissen. Er hatte es nicht ertragen, war vor ihnen zusammengebrochen. Niemand in der Meute hatte das Leid in seinen Augen sehen wollen. Ganz im Gegenteil. Seine Tränen waren seine Schwäche gewesen. Wie Raubtiere hatten sie sich auf ihn, die geschwächte Beute, gestürzt.
Der selben Schwäche gab er sich auch in diesem Moment wieder hin. Und er hasste sich dafür. Doch er konnte nicht länger dagegen ankämpfen. Der Schmerz war übermächtig. Er wollte hinaus.
Lange saß der Junge da und ließ den Tränen freien lauf. Alle Verzweiflung, all der Schmerz brach sich Bahn. Schließlich blickte er auf. Etwas hatte sich unter das Rauschen der Wellen und sein eigenes leises Wimmern gemischt. Etwas wunderschönes. Zuerst konnte er es nicht ausmachen. Fast so, als wenn er es fühlen, aber nicht bewusst wahrnehmen könne. Minuten lang versucht er es ausfindig zu machen.
Es schälte sich aus den Geräuschen um ihn herum. Zu Anfang noch nicht hörbar, wurde es immer lauter und lauter, bis es überdeutlich an seine Ohren drang. Es war in Gesang; zart und eindringlich. Ihm schien es, als würde diese Stimme nicht in seine Welt gehören.
Und doch kannte er die Stimme. Vor zwei Tagen hatte er sie das erste Mal vernommen. Die war es gewesen, die ihn auf der Stelle verzaubert hatte, die ihn alles hatte vergessen lassen. Alle voruteile waren von hier hinweggewischt worden, hatten nichts als liebe zurück gelassen. Sie gehörte zu dem Jungen, den er geküsst hatte.
Angestrengt lauschte er dem Gesang. Noch nie hatte er etwas derart schönes gehört. Bis zu diesem Augenblick. Diese Stimme, dieser Junge, sang nur für ihn, dass wurde ihm bewusst.
„Sehntsucht ungestillt.
Schmerz sie zu fühlen,
leidest sie zu haben.
Wirf ab die Zweifel.
Frage nicht.
Lebe die Liebe.
Lass dich fallen,
in ewige Tiefe.
Heiße sie willkommen.
Komm' zu mir;
hinab in die Ewigkeit.
Komm' ins Meer."
Nicht länger konnte er sich dem Gesang entziehen. Er drang in sein Herz. In seine Seele. Hier würde er nie sein Leben leben können. Die letzten Tage hatten es bewiesen. Doch die Verheißungen des Gesanges, spendeten Hoffnung. Hoffnung auf ein Leben ausßerhalb all dessen.
Es war ganz einfach. Er musste nur seinen Körper dem Wasser überlassen. Musste nur untertauchen und immer weiter hinab gleiten.
Der Junge ließ sich fallen. Ein letztes Mal.
Tag der Veröffentlichung: 17.06.2011
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