Cover


Geschrieben im Winter 2006
Nachdruck, auch auszugsweise nur nach Genehmigung des Autors
Rechtschreibung nach bestem Wissen und Gewissen
Coverfoto: © /brandon818.deviantart.com
Gestaltung und Satz: Robin Jander




Der Spiegel war zerbrochen. Feine Risse überzogen nun seinen noch vor wenigen Sekunden glatte und makellose Oberfläche. Eine verzehrtes Gesicht schaute mich daraus an. Erst jetzt bemerkte ich, wie Blut meine Hand herab lief und langsam auf die weißen Badezimmerfliesen tropfte. Ich sah mir meine Hand an. Einige Knöchel waren aufgeplatzt und langsam drang ein dumpfer Schmerz in meinen Verstand. Erst jetzt wurde mir wirklich klar, dass ich gerade meinen Spiegel zerschlagen hatte. Schnell wusch ich meine Hand ab und wickelte etwas Klopapier um die immer noch blutende Wunde.
Woher war nur mein so plötzlich aufwallender Zorn gekommen? Ich konnte es mir einfach nicht erklären. Eigentlich hatte ich doch gar keinen Grund zornig zu sein. Eben war doch noch alles gut gewesen. Irritiert setzte ich mich auf den kleinen Hocker, der in meinem Bad stand.
Eigentlich wollte ich noch weg gehen. Ich war auf eine Betriebsfeier eingeladen gewesen. Sicherlich war dies nicht das aufregendste Ereignis, aber es würde sicherlich nett werden. Ich überlegte kurz, ob ich absagen sollte, verwarf den Gedanken dann aber. Für die kaputte Hand, würde ich schon eine Entschuldigung finden. Sie würde ohnehin nur den wenigsten auffallen.
Bei der Feier handelte es sich um das alljährliche Sommerfest des Unternehmens, für das ich arbeite. Ich hatte bereits meine Ausbildung in der Firma gemacht. Die Arbeit machte mir zwar keinen sonderlichen Spaß, aber von dem Gehalt konnte ich gut leben. So hatte ich mittlerweile eine großzügig ausgestattete Wohnung, einen schönen Wagen und einen spitzen Fernseher. Insbesondere hierauf legte ich Wert. Schließlich wollte ich anständig entspannen können, wenn ich abends nach Hause kam.
In meiner Jugend hätte ich mir solch einen gediegenen Luxus nicht vorstellen können. Meine Familie war relativ Arm gewesen, so dass es an dem Meisten gemangelt hat. Von den Markenklamotten, die nun in meinem Schrank hingen, hätte ich damals nur träumen können. Aber zu der Zeit hatte ich mir auch nichts aus diesen Dingen gemacht. Ich hatte immer versucht meinen eigenen zielen und idealen zu folgen. Ein sechzehn jähriger Rebell, der stets versuchte sich gegenüber dem Mainstream abzugrenzen. Mainstream, dass war eines meiner Lieblingsworte gewesen. Die große graue Maße, die aus Gesichtslosen Menschen bestand. Die Menschen, ohne eigene Meinung, die das nachahmten was andere ihnen vor lebten, nur um anerkannt zu werden. So wollte ich nie werden. Genau mit dieser Einstellung ging ich in jener Zeit durchs Leben. Ich eckte an, wo immer ich konnte und sagte den Menschen die Dinge, so wie ich es für richtig hielt. Es war Freiheit. Eine Freiheit, wie sie eben nur ein idealistischer sechzehn jähriger haben konnte, den das Leben noch nicht korrumpiert hatte.
Wie lange kann man so leben? Wie lange ist es möglich sich stets selber treu sein zu können? Wie mir bewusst geworden war nicht sehr lange. Nach Beginn meiner Ausbildung hatte sich vieles für mich geändert. Die flippigen Klamotten waren den Anzügen gewichen. Nun galt es abzuschätzen, ob einen offen ausgesprochene Meinung einem eher schaden oder nützen würde. Selbstverständlich war diese Veränderung nicht über Nacht geschehen, aber mit zunehmenden Alter und Erfahrung war ich immer pragmatischer geworden. War es Verrat an mir selbst gewesen? Es gab Menschen, die dies wohl geglaubt hätten, aber ich sah es anderes. Ich hatte nur gelernt meine Ansichten nicht offensichtlich nach außen zu tragen. Schließlich musste nicht jeder wissen, wie es in meinem inneren aussah.
Die Taktik hatte sich für mich bezahlt gemacht. Und dass im wahrsten Sinn des Wortes. Auch wenn ich wie eingangs erwähnt nicht besonders viel für meinen Beruf übrig hatte, so war ich doch erfolgreich in dem was ich Tat. Umso mehr ich mich in das einerlei des Unternehmens eingefügt hatte, umso besser und schneller wurde auch mein fortkommen innerhalb der Hierarchie. Und schließlich stand ich da, wo ich heute war. Einigermaßen erfolgreich und recht gut bezahlt.
Nur manchmal in einsamen Nächten, wenn ich vor meinem Fernseher saß, keimte das Gefühl in mir auf, dass ich etwas Einsam war.
Ich hatte einige in der Vergangenheit stets einige Freunde um mich herum gehabt. Sie waren die Menschen gewesen, die meine Leidenschaften, meine Träume und meine Ängste geteilt hatten. Und ich war froh gewesen sie zu haben. Ich fühlte mich zu jedem von ihnen auf eine gewisse Art tief verbunden. Ich hätte zu jedem von Ihnen gehen können um mit ihm meine Sorgen und Nöte zu besprechen. Sie waren stets da gewesen. Heute hatte ich zwar auch Freunde aber im Grunde konnte ich das nicht vergleichen. Eigentlich waren sie mehr Bekannte, mit denen mal Abends weggehen und Spaß haben konnte. Eine wahrhaftige Verbindung zu Ihnen fühlte ich nicht. Das war natürlich nicht ihre Schuld. Sie alle waren liebe Menschen. Nur hatte ich einfach nicht die Zeit, mich mit ihnen so intensiv zu beschäftigen und eine Freundschaft so aufzubauen und zu pflegen, wie es früher mal gewesen war. In meinem Beruf war ich sehr eingespannt und so blieb mir nur sehr wenig Freizeit, die gut eingeteilt sein wollte.
Kopfschüttelnd warf ich diese Gedanken bei Seite. Es mangelte mir an nichts. Ich war glücklich so, wie alles war. Und dennoch empfand ich ein stechen, tief in mir drin, so als ob etwas nicht stimmen würde. Als ob mein Leben eben nicht so war, wie ich es empfand. Ich kannte dieses Gefühl, es überkam mich dann und wann. Wenn ich mal nicht so gute Laune hatte, oder einfach sehr ausgelaugt war, schlich sich dieses Gefühl bei mir ein. Ich schob es auch jetzt wieder beiseite, so wie ich es immer zu tun Pflegte und stand allmählich auf.

„Es geht mir gut, ich bin glücklich mit meinem Leben.“
In meinen Gedanken wiederholte ich diesen Satz wie in Mantra damit ich es tatsächlich selber glaubte. Ich schaute nochmal zu Spiegel auf den ich noch vor wenigen Minuten eingeschlagen hatte. Was ich sah ließ mich innehalten. Das Gesicht des Mannes den ich sah hatte nur entfernt Ähnlichkeit mit mir. Es war durch die vielen Risse im Spiegel verzehrt und entstellt.
Nur die Augen waren meine und sie schauten mich traurig an.

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Tag der Veröffentlichung: 24.05.2011

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