Geschrieben im Spätherbst 2008
Nachdruck, auch auszugsweise nur nach Genehmigung des Autors
Rechtschreibung nach bestem Wissen und Gewissen
Coverfoto: © /flyingpeachbun.deviantart.com
Gestaltung und Satz: Robin Jander
Generalüberholt am 02.06.2012
Es ist jetzt über vier Jahre her, dass ich diese Geschichte geschrieben habe. Für den Wettbewerb "Dear Diary" habe ich mich jedoch nochmal dran gesetzt und den Text einer Generalüberholung unterzogen.
Dabei wurde nicht nur die Erzählperspektive komplett auf links gedreht:
Auch zahlreiche Formulierungen, Satzstellungen usw. wurden verändert. Zudem kamen mehrere Absätze hinzu, welche das damals Erlebte, in ein anderes Licht rücken.
Insofern kann sicherlich auch jemand, der die Geshichte bereits kennt, einiges Neues entdecken... ;o)
In diesem Sinne wünsche ich Euch ganz viel Spaß beim Lesen!
LG, Euer Robin
Die Geschichte meines Coming-outs:
Einer der Schlimmsten Tage meines Lebens
oder vielleicht auch nicht?!
Für alle,
die den Mut aufbringen zu sich selbst zu stehen.
Ihr seid nicht alleine!
Ganz genau kann ich mich daran erinnern, wie ich jenen Tag als Vierzehnjähriger erlebt habe:
Ich ging über den Schulflur. Die Blicke die mir folgten, konnte ich kaum ertragen. Verdammt. Was dachten die eigentlich wer ich war? Etwa ein Tier im Zoo, dass man nach belieben angaffen konnte? Jedoch war es immer noch besser sie schauten nur, als dass sie wieder anfingen über mich zu lachen oder, noch schlimmer, zu beleidigen.
Was war an diesem Morgen bloß in mich gefahren? Eigentlich konnte ich mich doch so gut der Sprüche erwehren, die ich hin und wieder kassieren musste. Ich entsprach halt nicht der Norm. Na und? Das musste schließlich auf nichts hindeuten. Und bis zu diesem Tag hatte ich genau das auch immer so rüber bringen können.
„Bist du Schwul?“
Wie oft hatte ich mir diese Frage schon anhören müssen. Nicht ein einziges Mal war ich auch nur auf den Gedanken gekommen die Wahrheit zu sagen. Bis zu jenem Morgen.
Stefan war es gewesen, der mich gefragt hatte. Mitten im Geschichtsunterricht. Vollkommen aus der Luft gegriffen. Noch ehe ich richtig darüber nachgedacht hatte, hörte ich mich selbst auch schon sagen: „Ja bin ich. Na und?“
In diesem Moment hatte es angefangen. Innerhalb der Klasse hatte es sich noch in der selben Stunde herum gesprochen. Unzählige Augenpaare hatten sich auf einmal auf mich gerichtet.
Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Im Grunde hätte mir doch klar sein müssen, was passieren würde.
Und Doch: Es hatte mir einfach gereicht! Warum sollte ich mich vor ihnen verstecken? Was zum Teufel war so verdammt verkehrt an mir? Ich liebte nun mal Jungen. War das eine straf würdige Handlung? Wohl kaum!
Dennoch war mir überdeutlich klar gemacht worden, wie sehr ich mich ins Abseits befördert hatte:
Eine Rauchen gehen, mehr hatte ich gar nicht gewollt. Doch kaum war ich durch die Glastür auf den Hof verschwunden, hatte mich um die Ecke der dunklen Häuserfassade gedrückt um mir eine an zustecken, waren auch schon die Stimmen der Anderen an mein Ohr gedrungen.
„Würdest du dich etwa in der Arsch ficken lassen?“
„Das ist doch ekelhaft.“
„Ganz meine Meinung, Mann. Das ist einfach krank. Der Typ ist einfach krank“.
Natürlich war es dabei um mich gegangen.
So würden sie mich von nun an also sehen. Ich war krank. Krank, weil ich mich zu meinen Gefühlen bekannt hatte. Krank, weil ich mich nicht mehr hatte verstecken wollen. Krank, weil ich genau so geboren worden war.
Schweren Herzens war ich in die Klasse zurück gegangen. Noch während ich einen Fuß vor den Anderen gesetzt hatte, waren mir die wildesten Gedanken zu dem Kommenden durch den Kopf geschossen.
Leider sollte meine Fantasie nicht enttäuscht werden. Als ich eingetreten war, herrschte ein riesiger Aufruhr in der Klasse. Beinahe augenblicklich war mir klar geworden warum. Jemand hatte in riesigen Buchstaben „ROBIN IST SCHWUL!“ an die Tafel geschrieben.
Ich hatte versucht es zu ignorieren, doch wirklich geglückt war es mir nicht. Wie sollte man so etwas auch ignorieren können? Es stand dort. Direkt vor mir. Verhöhnte mich.
Hätte ich darauf reagieren sollen? Damals entschied ich mich dagegen. Die Unsicherheit, die Scham war einer Form dem Trotz gewichen.
Sollten sie sich zu ihren eigenen Schlüssen kommen. Was machte es schon aus, was sie dachten? Wen interessierte es schon?
Mich interessierte es, stellte ich resigniert fest. So ungern ich es mir auch ein gestand, ich machte mir etwas aus der Meinung der Anderen, auch wenn sie noch so schlecht von mir dachten.
Lediglich vier Stunden waren zwischen meinem Outing und dem Moment vergangen, in dem ich über den Schulflur ging.
Es hatte nicht lange gedauert, bis es sich überall herum gesprochen hatte. Keine Zeit war verschwendet worden. Die Pausen, die zweite große Pause hatte gerade geendet, waren mehr als ausreichend gewesen.
Gab es eigentlich noch einen einzigen Schüler, der nichts wusste? Ich konnte es mir nicht vorstellen. Alle schauten mich an. Die gesamte Schülerschaft. Ihre Blicke ruhten schwer auf mir.
Wie sollte ich fortan nur damit umgehen? Was konnte man gegen eine solche geballte Übermacht tun?
Das Schlimmste an diesem Tag waren jedoch nicht die Blicke oder das Gerede hinter meinem Rücken. Es waren die Beleidigungen, die man mir ins Gesicht schleuderte.
„Schwule Sau“, „Arschficker“, „Schwanzlutscher“.
Bei jeder neuerlichen verbalen Attacke schien ein Teil von mir zu sterben. Es tat weh. Es schmerzte mehr, als es jeder Schlag ins Gesicht hätte tun können. Zu jener Zeit schien es mehr zu sein als ich ertragen konnte. Erst die Zeit sollte beweisen, wie sehr ich mich irrte.
Auch heute noch schmerzt es mich an diese Zeit zurück zu denken. Doch habe ich eines gelernt: Worte können verdammt weh tun, sich selbst zu verleugnen schmerzt jedoch noch sehr viel mehr.
Damals war es ein großer Schritt für mich. Zwar ungeplant, aber dennoch der richtige Weg. Mein Coming-out in der Schule, war trotz aller Schwierigkeiten befreiend. Von diesem Moment an musste ich mich nicht mehr verstellen, nicht mehr verstecken.
Und so denke ich nach so vielen Jahren an diesen Tag nicht mehr als meinen Schlimmsten, sondern einen meiner Besten zurück.
Schließlich ist das Leben einfach zu kurz, um so zu sein wie andere einen gerne hätten!
Tag der Veröffentlichung: 04.05.2011
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