Cover


Geschrieben im Jahre 2006
Nachdruck, auch auszugsweise nur nach Genehmigung des Autors
Rechtschreibung nach bestem Wissen und Gewissen
Coverfoto: © / deviantart.com &
Gestaltung, Satz und Bildbearbeitung: Robin Jander




Es war ein lauer, leicht bewölkter Abend. Einer wie er im Herbst normal zu sein schien. Die Sonne verschwand allmählich hinter dem Horizont und die Lichter der Stadt erwachten langsam zum Leben.

Eifrig liefen die Menschen über die immer noch nicht leerer werdenden Straßen. Einige saßen noch im Park oder spazierten um den Teich in seiner Mitte. Die Bäume hier standen in den bunten Farben der Jahreszeit. Sie wachten edel und hochgewachsen über den Park und die umliegenden Häuser. Manch ein fantasievolles Kind hatte bereits geglaubt sie würden die Gebäude regelrecht beobachten.

Eines dieser Gebäude stand auf der Südseite des Parks. Es überragte ihn um einiges und unter seinem Flachdach fanden zwölf Familien ein Zuhause.

Alleine auf dem Dach saß ein unscheinbarer Junge. Für alle, die an dem leicht abgenutzten Achzigerjahrebau vorbeigingen blieb er unbemerkt. Lediglich von den höheren Gebäuden aus konnte man seine Silhouette ausmachen, wie sie sich gegen den grauen Beton abzeichnete.

Er saß gerne hier. Hier kam er immer hin, wenn er seinen Gedanken nachgehen wollte. Der Lärm der Stadt schien hier weit weg. Das Chaos der sich ständig bewegenden und sich verändernden Menschenmaßen konnte ihn hier nicht erreichen.
Unten in der Wohnung würde ihn keiner vermissen. Seine Eltern waren entweder noch auf der Arbeit oder zu sehr mit sich selber beschäftigt um ihn wahrzunehmen. Im Grunde liebte er seine Eltern. Nur vermisste er die nähe zu ihnen. Er wünschte sich mal ein aufmunterndes Wort, einen Blick der ihm verriet, dass er bemerkt wurde. Aufmerksamkeit erfuhr er nur, wenn er mal etwas angestellt hatte. Eine Fünf in Mathe oder ein Brief der Schule, in dem stand, dass er keine Hausaufgaben vorzeigen konnte. In diesen Momenten wurde ihnen wieder klar, dass sie einen Sohn hatten. Dann bestraften sie ihn. Anders kannte er es nicht. Selbst letzte Woche zu seinem fünfzehnten Geburtstag waren sie viel zu beschäftigt gewesen um ihn mal in den Arm zu nehmen oder sich mit ihm zu beschäftigen. Er hatte natürlich Geschenke bekommen, aber nichts was sein Herz hätte höher schlagen lassen. Insgeheim hatte er sich einen Kuchen von seiner Mutter gewünscht, aber sie musste Überstunden im Büro machen. Da war zum Backen einfach keine Zeit mehr geblieben.

Gerne hätte er Freunde zum Geburtstag eingeladen. Nur hätte er nicht gewusst wen er einladen sollte. Natürlich waren da ein, zwei Jungen in der Schule mit denen er sich gut verstand, aber wirklich befreundet war er mit denen nicht. Eigentlich verband sie nicht mehr als einige lose zusammenhängende Sätze am Tag. Trotzdem war er froh, dass er sie hatte. Die anderen in der Klasse bedachten ihn ansonsten nur mit Spott und Hohn. Sie ließen ihn spüren, dass er nicht dazu gehörte. Aber warum gehörte er nicht dazu? Beim besten Willen konnte er darauf keine Antwort finden, soviel er auch darüber nachdachte. Nichts hätte er lieber gewollt als auch einmal dazu zugehören. Aber sie wollten ihn nicht. Er hatte es inzwischen akzeptieren müssen. Und er strengte sich auch nicht mehr an das zu ändern. Es hatte eh keinen Zweck.

Tag ein Tag aus schritt er mit hängenden Schultern durch die dunklen Schulflure. Einige Lehrer sagten ihm häufig er solle doch Haltung annehmen. Er würde seinen Rücken durch seine Haltung schädigen. Die meisten aber bemerkten ihn kaum. Selbst während des Unterichtes, wenn er mal eine Antwort wusste und sich meldete, übersahen sie ihn häufig.

Er sah zu den Lichtern der Stadt hinüber und bemerkte das leben, dass sich dort unten abzeichnete. Dort unten waren Menschen, die feierten, trauerten oder einfach nur nichts taten. Sie alle waren da und wussten doch nichts voneinander. Von hier oben aus schien es dem Jungen fast, als ob es ein Muster gäbe. Einen großen Zusammenhang, eine Verbindung zwischen allen diesen Lichtpunkten. Es hätte nur jemand die Punkte miteinander verbinden müssen und alles das hätte ein überwältigendes Bild ergeben.

Aber wo war er in diesem Bild? Kein Lichtpunkt signalisierte, dass er hier war. Würde jemand von einem anderen Haus aus auf die Lichter schauen, würde man ihn nicht entdecken. Es war so, als ob er gar nicht da war. Er war der unbemerkte Betrachter der Lichter. Er konnte sie sehen und ihre Schönheit bewundern, jedoch nie eines von ihnen sein.

In gewisser Weise glich er den Bäumen im Park. Sie sahen tagtäglich die Menschen. Sie sahen sie, wenn sie frierend durch die Straßen eilten oder sich an einem warmen Sommertag ausgelassen im Teich tummelten. Und obwohl sie da waren, für jedermann sichtbar, so blieben sie nachts doch verborgen im dunkel der Nacht.

Während der Junge sich all diesen Gedanken hingab, regelrecht in sie versank, rollten tränen über seine Wangen. Im Grunde seines Herzens wusste er, dass er niemanden hatte. Niemand war da, wenn er Hilfe braucht. Niemand baute ihn auf, wenn er unsicher war oder tröstete ihn. So viele Menschen, die er kannte, so viele die Tag ein Tag aus um ihn herum waren. Und doch war er allein.

Er spürte es tagtäglich. Er spürte es, wenn er in die Schule ging oder beim Abendessen mit seinen Eltern. Es war immer um ihn herum. Meistens bemerkte er es nicht, denn er war zu abgelenkt um fühlen zu können, dass es da war. Aber bei Gelegenheiten wie dieser, merkte er es. Es war fast überwältigend.

Heute jedoch war noch etwas anderes dabei. Eine Hoffnung. Eine Hoffnung wie er sie schon viel zu lange nicht mehr gespürt hatte. Ihm war bewusst, dass die Einsamkeit die er fühlte nicht ewig andauern würde. Sie würde verfliegen, so wie alles irgendwann vorbei geht. So wie die Bäume irgendwann ihr Laub abwerfen, so würde er auch dies abwerfen. Er würde glücklich sein und vergessen was war. Einem Engel gleich, der unter den Mensch lebt, aber nie einer der ihren ist. Ein Engel, der genug Liebe in sich trägt um die ganze Welt zu retten aber selber ungeliebt bleibt. Ein Engel, der seine Flügel wiederbekommt und höher und höher aufsteigt. Hin zum Licht, wo nur Liebe und Ewigkeit ist. Wo er endlich den Frieden hat, der ihm so lange fehlte.

Der Junge fühlte sich wie dieser Engel, der seine Flügel ausbreitet um sich in die Lüfte zu erheben. Erleichtert und aufgeregt zugleich. Er konnte spüren wie er fliegt, wie die Luft um seine schwingen gleitet, immer weiter dem Licht entgegen strebend.

Er sah die letzten Strahlen der untergegangen Sonne, die einen kleinen Punkt am Horizont in ein tiefes Rot tauchten. Und während er sein Ziel auf sich zukommen sah, schien es als würden die Bäume ihr Laub verlieren als Zeichen, dass sie ihn sahen und seinen Verlust betrauerten.

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Tag der Veröffentlichung: 04.05.2011

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