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~ Die Ältesten Wesen ~

Vor dem Anbeginn der Zeit, als Roha aus dem Dämmerschlaf erwachte, schufen die Götter vier mächtige Wesen - den Drachen, das Einhorn, die Harpyie und den Phönix. Es waren völlig reine und makellose Kreaturen, jedem von ihnen verliehen die Götter besondere Kräfte und sie sollten die Ältesten Wesen werden, die alle Zeit überdauern. Nur selten sind sie anzutreffen und kaum jemand bekommt sie je zu Gesicht, so dass sich seit Urzeiten zahllose Legenden um sie ranken. Als erstes, formten sie die Drachen, mächtige geflügelte Wesen, erfüllt mit dem Feuer der Erde selbst und fähig, gewaltige Magie zu wirken. Als die ersten Drachen sich in die Lüfte erhoben und ihr Feuer in den Himmel der endlosen Dunkelheit spieen, lächelten die Götter und sahen, dass ihr Werk gut war. Dann erschufen sie die Harpyien, wundervolle mitternachtsblaue Vogelwesen, Sternenglanz in den Augen und Liebreiz in der Stimme, und ihnen schenkten sie vor allem Weisheit und Klarsicht. Dem kühlen Blau der Harpyien setzten die Götter sodann das goldene Feuer der Phönixe und ihre wilde Lebendigkeit entgegen, und der Lichtfarbenrausch ihres feurigen Gefieders erhellte die Dunkelheit ohne das Licht der Sonne oder der Sterne. Zuletzt jedoch erschufen sie die Einhörner, Wesen voller Unschuld, so rein wie frischgefallener Schnee.
Auch sagt man, dass die Macht und Magie, die Stärke und Eigenschaften dieser Kreaturen sich in jeder Faser ihres Seins widerspiegeln, in ihren Seelen und Herzen wie in ihren Körpern selbst. Vom Drachenblut heißt es, es mache unverwundbar, ihr feuriger Atem verbrenne selbst Stein, ihre Klauen seien schreckliche Waffen und ihre Schuppen unzerstörbar und härter als das härteste Metall der Immerlande. Von den Harpyien künden die Legenden, ihre Federn verliehen unendliche Weisheit, ihr Blut gewähre einem voraussehende Blicke in die Zukunft und ihre Augen hätten die Macht, jedes Wesen vor Furcht erstarren zu lassen. Dem Blut des Phönix und seinen funkelnden Federn hingegen schreibt man wundersame Heilkräfte und die Macht zur Regeneration zu; den goldschimmernden Eiern, von denen er in jedem seiner unendlich vielen Lebenszyklen jeweils nur eines legt, sogar die Fähigkeit, Tote wieder zum Leben erwecken zu können. Dem weißen Haar der Einhörner sagt man hingegen nach, Schutz vor jedwedem Bösen zu gewähren und von ihrem Blut wird berichtet, es halte den Tod fern und verhindere das Sterben, selbst wenn man den Purpurnen Flüssen schon nahe ist. Ihren Hörnern wird die Kraft nachgesagt, alle Gifte zu neutralisieren und jede Krankheit zu heilen.


Die Harpyien

Wie Einhorn, Drache und Phönix, so ist auch die Harpyie eines der Ältesten Wesen der Immerlande. Ihre Leiber erinnern an schlanke Frauenkörper, doch ihre Rücken, ihre Schultern und Arme sind mit dichtem, silberblauem Gefieder bedeckt und über ihren schmalen Gesichtern tragen sie riesige, gebogene Schnäbel gleich Masken, als wären Frau und Vogel zu einem einzigen Wesen verschmolzen. Harpyien besitzen kräftige Schwingen und Klauen anstelle von Händen und Füßen, nicht weniger furchteinflößend als die der Drachen. Einige alte Sagen erzählen gar davon, Harpyien wären bösartige Kreaturen, die mit der kalten Schönheit ihrer Gesichter die Männer verführten oder Kinder des Nachts aus ihren Betten stehlen würden, doch das sind nichts als Schauermärchen, um die Kinder damit zu schrecken und nichts davon entspricht der Wahrheit. Harpyien mögen andersartig und auch furchteinflössend wirken, doch sie sind sehr anmutig und besitzen eine ganz eigene Schönheit. So, wie die Drachen für die Kraft, das Einhorn für die Reinheit und der Phönix für die Lebendigkeit stehen, steht die Harpyie für die Weisheit, denn sie ist das klügste aller Wesen. Von ihren Augen jedoch heißt es: Nichts spiegelt sich in diesen hellen Silbertiefen, kein Funke, kein Leben, kein Licht, und viele Legenden berichten auch vom "bösen Blick" der Harpyie, dessen Bann sich niemand entziehen kann.
Harpyien haben nur ein Geschlecht, sie sind alle weiblich. Nachdem sie erschaffen worden waren, waren sie angewiesen auf ihre Unsterblichkeit, um nicht zu vergehen und ihre Art zu erhalten. Sie gelten als die Weisesten aller Wesen und es heißt von ihnen, sie verstünden alle Sprachen, die je gesprochen wurden, besäßen Kenntnis von den tief verborgenen Mysterien der Zeit und könnten in die Zukunft blicken. Und auch, dass allein sie die Antwort auf jedes Rätsel kennen, das je ersonnen wurde. Vor allem heißt es jedoch in den Sagen, dass es einst, vor langer Zeit, die Harpyie und der Phönix waren, die gemeinsam die Vögel erschaffen hätten. Da jedoch allein die Götter Roha mit lebendigen Wesen bevölkern durften, mussten die beiden ältesten Wesen dafür eine harte Strafe in Kauf nehmen: die Harpyie bezahlte mit dem Liebreiz ihrer Stimme, der Phönix mit seiner Unsterblichkeit für ihre Tat. Seither muss er in einem immerwährenden Kreislauf aus Werden und Vergehen sein Dasein fristen und verbrennt sich selbst zu Asche, aus der er wieder aufersteht. Am Anfang der Zeiten zogen die Harpyien noch zu vielen ihre Kreise an den Himmeln und warfen ihren Schatten auf die unendlichen Weiten Rohas. Meist zogen sie in kleinen Scharen umher und wachten über das Land. Von anderen Wesen haben sie sich jedoch von jeher schon ferngehalten, und als die Völker der Zentauren, Zwerge und Riesen, der Kobolde und Feen und schließlich auch der Menschen zahlreicher wurden, zogen sie sich in die einsamen Höhen der Gebirge zurück. Doch irgendwann - und niemand, nicht einmal die Weisesten aller Weisen, könnten sagen, warum - verschwanden sie aus den Immerlanden. Wohin sie gezogen sind und ob sie je wiederkehren, ob sie überhaupt noch existieren, weiß niemand zu sagen. Nur eine einzige blieb, und sie bewacht seit dem Großen Krieg am Ende des Vierten Zeitalters das Tor zur Unterwelt im Tal der Nebel.


Die Phönixe


Der Phönix wurde als prächtiger Vogel geschaffen und scheint nur aus purem Gold und Feuer zu bestehen, so herrlich strahlt sein kostbares Gefieder. In alten Mythen heißt es, Shenrah selbst habe ihn aus den glühenden Strahlen der Sonne geschaffen. Die Gestalt des Phönix gleicht der eines riesigen Adlers mit einer Flügelspannweite von gut drei Schritt, nur ist er eleganter und schlanker und seine Klauen leuchten in feurigem Rot. Sein wunderbares, seidiges Gefieder mit den langen, geschwungenen Schwanzfedern ist überaus prachtvoll anzusehen und strahlt in den reinen Farben des Feuers in denen sich jeder noch so kleine Lichtstrahl zu funkelnden Kaskaden bricht. Von den Göttern als mächtiges, unsterbliches Wesen erschaffen, steht er von jeher als Symbol für Feuer und Leben.

Als Ältestes Wesen ist der Phönix aller Sprachen mächtig und es heißt, er sei fähig, in den Geist seines Gegenübers einzudringen, dessen Gedanken zu lesen und auf mentaler Ebene mit ihm zu kommunizieren, doch seine Stimme habe den Klang einer gewaltigen goldenen Glocke, die jedem Wesen, an das er das Wort richtet, durch Mark und Bein zu gehen scheint. Auch besitzt er die Fähigkeit, Magie zu erspüren, zu erkennen und auch abzuwenden, was ihn fast unverwundbar macht. Ohnehin ist er durch seine Magie und Weisheit kaum zu besiegen und trotz seiner ätherischen Erscheinung ein äußerst wehrhafter Vogel.

Mit Magie, Intelligenz, prunkvoller Schönheit und gewaltigen Fähigkeiten ist er ausgestattet und seinen feurig goldenen Federn und den zartgoldenen Eiern wohnen gar sagenhafte Kräfte inne, wenn man damit umzugehen versteht. In vergangen Zeiten waren die Phönixe im ganzen Süden der Immerlande verbreitet, doch nach den gewaltigen Zerstörungen am Ende des Vierten Zeitalters zogen sie sich tief in die geheimnisvollen Dschungelwelten der Sommerinseln zurück, denn sie lieben von jeher das Sonnenlicht, die Wärme und das dichte Grün des Urwalds gleichermaßen. Dort, auf den warmen, tropischen Inseln vor der Südostküste der Immerlande erfahren sie seither besondere Verehrung und ihnen werden oftmals sogar prunkvolle Schreine und Tempel errichtet. Dennoch findet man nur selten ihre Spuren in Form von einzelnen goldenen Federn und niemand weiß genau, wo sie leben und wie viele ihrer Art noch existieren. Nur Glück und Zufall lassen gelegentlich eine der prachtvollen feurigen Juwelen seines Gefieders ans Tageslicht und in die Hand der Suchenden gelangen.
Auch bei der Erschaffung der Welt spielte der Phönix neben der Harpyie eine wichtige Rolle, denn zusammen mit ihr erschuf er die Vögel. Doch der Preis dafür war hoch, denn so wie die Harpyie ihre schöne Stimme für immer aufgeben musste, verlor der Phönix sein ewiges Leben. Seit diesen Tagen verbrennt er sich jährlich in seinem eigenen Glutfeuer einmal zu Asche, um kurze Zeit später als neues und prächtiges Wesen wieder aufzuerstehen.


Die Einhörner

Noch bevor die Götter,
die die Götter formten,
sahen, wie das erste Morgenrot verlief,
da ward mein Weiß herausgenommen
aus dem Leib des Mondes...
Die Einhörner wurden als letzte der Ältesten Wesen erschaffen und in den uralten Legenden heißt es: Nachdem die Drachen über den Himmel zogen, die Harpyien ihre Lieder sangen und der Phönix mit seinem Strahlen die Dunkelheit erhellte, ruhten die Götter einen Augenblick und erfreuten sich an den ersten Wesen Rohas. Doch schließlich erhob Faeyris, die Mondenmutter, ihre Stimme zu einer Melodie so rein und strahlend, dass alle anderen zunächst nur schweigen konnten. Die Göttin nahm eine Handvoll Nachtwind und sprach zu ihm: Forme dich, und du wirst zu einem wundervollen Geschöpf werden! Sie nahm das reinste Weiß aus dem silbernen Mondtau, der noch niemals von der Sonne berührt, noch keinen Tropfen seines Silberlichtes vergossen hatte und gab es dem Nachtwind zur Gestalt. Nun fielen auch die anderen Götter in ihr Lied ein und die Einhörner wurden geschaffen.
Äußerlich gleichen sie auf den ersten Blick edlen weißen Pferden und nur jene, die in ihren Herzen rein und voller Unschuld sind, können ein Einhorn erkennen - es sei denn, es offenbart sich selbst. Für alle anderen wird es nur ein außerordentlich schönes, aber ganz und gar gewöhnliches weißes Pferd sein.
Die Augen eines Einhorns sind schwarz wie die Nacht und weder Licht, noch Sterne spiegeln sich darin. Auf ihren edlen, schmalen Köpfen tragen sie ein elfenbeinweißes, gedrehtes Horn, lang und mattschimmernd und tödlich spitz. Mähne und Schweif sind sehr lang und leicht gewellt, die kleinen, festen Hufe über den schmalen Fesseln eisenhart und schwarz. Kein anderes Tier der Immerlande vermag zu laufen wie ein Einhorn und die Legenden künden, es fliege ohne Flügel, wurde es doch aus dem Nachtwind selbst geformt. Nichts Böses vermag in den Hain eines Einhorns einzudringen, nichts Böses kann einem Einhorn ein Leid zufügen. Die Einhörner jedoch vertreiben die Finsternis und zerstören das Dunkel wohin immer sie gehen und heiligen mit ihren Hufen den Boden... So heißt es in einem alten Lied der Elben, jenem Volk, das die Einhörner von jeher sehr verehrt hat. Die Weisesten der Alchemisten sagen, das Blut eines Einhorns könne jemanden am Leben erhalten, selbst wenn er nur eine Handbreit vom Tode entfernt ist. Ebenso besitzt das Horn sagenumwobene Kräfte: es habe die Macht, alle Krankheiten zu heilen, jedes Gift zu erkennen und seine Wirkung zu bannen, so erzählt man sich. Dennoch würde es niemand wagen, das Sakrileg zu begehen und ein Einhorn zu töten, denn jeder, der Hand an diese wunderbaren Wesen legen würde, wäre verflucht und verdammt auf immer. Manchmal jedoch mögen Großmut und Güte ein Einhorn veranlassen, die Bitte eines Notleidenden zu erhören und ihm aus freien Stücken beizustehen. Einst, als die Einhörner die ganzen Immerlande durchstreiften, fanden sie den Dunkelwald und blieben fortan im Schatten seiner Bäume. Sie sind die Bewahrer uralten Wissens, die Hüter jener Unschuld, die nur reinen Herzen innewohnt, doch ihr Sanftmut trügt, ebenso wie die scheinbare Idylle ihrer geheimnisvollen Heimat - auf der Suche nach jenen wundersamen Kreaturen fand schon so mancher in den grünen Tiefen des Dunkelwaldes einen grausamen Tod.

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Tag der Veröffentlichung: 17.02.2011

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