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Mein neues Haus.

 

Tja, da sitze ich nun vor meinem PC. Mitten in der Nacht. Ich bin gegen vier aufgewacht und kann nicht mehr einschlafen. Zu viele Gedanken fahren regelrecht eine Rallye durch mein Gehirn. Alle Windungen rauf und wieder runter, immer im Kreis. Ich müsste mir Sorgen machen, wenn diese Schlaflosigkeit private Gründe hätte. Hat sie nicht. Zum Glück habe ich nur beruflich bedingten Stress. Dabei bin ich noch nicht einmal ein Vorstandsvorsitzender einer Bank oder eines DAX Unternehmens, der sich über sinkende Aktienkurse, Renditen oder Boni Gedanken machen muss. Nein, ich bin ein kleines Rad im öffentlichen Dienst. Jetzt wird der Eine oder Andere sich fragen, welchen Stress kann ein öffentlich Bediensteter in Deutschland schon haben? Er hat doch einen sicheren Arbeitsplatz, ein sicheres und ausreichendes Einkommen. Stimmt. Verglichen mit einem chinesischen Bergarbeiter oder mit einem rumänischen Gurkenpflanzer geht es mir sehr gut.

Der Stress, den ich habe, wird durch Ignoranz und Dummheit verursacht, die mir tagtäglich begegnen und die mir meinen Tag so richtig versauen können.

Manchmal ist es auch die Hinterlist, die es mir schwer macht einen schönen Tag zu haben. Der normale Menschenverstand, und ich nehme für mich in Anspruch einen solchen zu besitzen, fragt sich, warum das so ist? Na ja, Ignoranz, Dummheit, Hinterlist oder Tücke sind normale menschliche Eigenschaften. Warum mir gerade diese schlechten Eigenschaften in solch gehäufter Form begegnen, aber viel seltener Intelligenz, Interesse und Ehrlichkeit, bleibt mir wahrscheinlich für immer verborgen.

Ich werde mal versuchen diese Untiefen menschlichen Verhaltens und die Auswirkungen auf mich hier auszuloten. Aller Anfang ist schwer. Einem Außenstehendem die Ursachen zu vermitteln, finde ich sehr schwierig. Das gelingt mir noch nicht einmal bei manchen, sogenannten Insidern.

Ich beginne mit der Dummheit. Ich möchte wirklich keinen beleidigen. Ich sehe zuerst mal nach, wie die Dummheit denn so definiert ist. Dummheit bedeutet mangelnde geistige Fähigkeit oder unüberlegte, dumme Tat. Das sagte schon Forest Gump:  »Nur der ist dumm, der Dummes tut.«

Für Dummheit kann man auch Torheit setzen. In einer Redewendung heißt es so schön, gegen Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens. Eine treffende Beschreibung ist die, dass Dummheit sich umgekehrt proportional zur Intelligenz verhält. Das heißt, wenn die Intelligenz am Höchsten ist, gibt es keine Dummheit. Nimmt die Intelligenz ab, steigt die Dummheit. Leider, oder auch Gott sei Dank, gibt es, analog zum Wasserstands Pegel, keinen Intelligenzpegel. Was würden solche Intelligenzpegel wohl anzeigen, wenn sie an Gebäuden von Behörden und Ministerien angebracht wären?

Irgendwann beginnt mein Dienstherr damit, eine neue Struktur für meinen Arbeitsbereich zu planen. Diese Planung soll alles besser machen, wir Bedienstete sollen den neuen Zeiten angepasst werden. Eine schöne, neue Arbeitswelt soll entstehen. Ich kann das locker mit der Planung für einen Hausbau vergleichen. Jeder von uns weiß, wie ein Haus aussehen muss, damit man es auch Haus nennen kann und nicht Hütte. Der Bauherr legt dafür die Rahmenbedingungen fest, bespricht die Einzelheiten mit einem Architekten, äußert seine Wünsche. Dann legen Profis los, sprich Maurer, Installateure, Elektriker usw. Hier ist läuft es ganz anders.

Ich spiele jetzt mal den Bauherren. Ich möchte ein Haus bauen. Ich habe auch eine Vorstellung davon, wie es aussehen soll. Vier Wände und ein Dach. Viel Geld habe ich nicht, ein Architekt ist mir zu teuer. Mein Nachbar ist ein Büromensch. Vor einiger Zeit hat er sich einen Carport gebaut. Warum sollte er keine Ahnung haben, wie man ein Haus baut? Ich finde, es ist eine gute Idee meinen Nachbarn mit dem Bau meines Hauses zu beauftragen. Gesagt, getan. Mein Nachbar erklärt sich einverstanden, mein neues Haus zu bauen. Auf seine Frage hin, wie das Haus aussehen soll, antworte ich ihm, vier Wände und ein Dach. Schön, jetzt verlasse ich mich darauf, dass es auch ein schönes, meinen Vorstellungen entsprechendes Haus wird.

Der Bau beginnt und ich lasse mir regelmäßig berichten, wie der Hausbau vorangeht. Alles wird gut, sagt mein Nachbar. Ich freue mich.

Die Monate vergehen, der Bau geht voran. Mittlerweile mehren sich die Stimmen, die mir davon berichten, dass es beim Bau des Hauses gravierende Mängel geben wird. Hilfreiche Menschen haben meinen Nachbarn auch darauf hingewiesen. Geflissentlich ignoriert er diese gutgemeinten Tipps. Wir wissen ja, wie solche Tipps zu bewerten sind. Ich vertraue meinem Nachbarn. Ich glaube nicht, dass er zu den ignoranten Zeitgenossen gehört.

Ach ja, die Ignoranz. Eine weit verbreitete menschliche Eigenschaft. Tagtäglich kann ich die Ergebnisse von Ignoranz um mich herum sehen. Wie wird denn Ignoranz eigentlich definiert? Man nennt sie auch Unwissenheit oder Beschränktheit. Ignorieren bezeichnet das bewusste oder auch das unbewusste nicht zur Kenntnis nehmen eines Vorgangs oder einer Person. Das muss erst mal nichts Negatives sein. Vielleicht hat der Ignorant seine guten Gründe. Ignoranz kann auch bedeuten, dass der Ignorant unkundig ist, oder dass er sich absichtlich nicht mit einer Sache befassen möchte.

Nein, so ist mein Nachbar nicht. Er weiß, was er tut, da habe ich gar keine Zweifel.

Mein Nachbar ist schon sehr lange Mitglied im VCB e.V., das ist der Verein unabhängiger Carportbesitzer. Einige seiner Vereinskameraden haben meinem Nachbarn einige Tipps gegeben, die er beim Bau meines Hauses unbedingt berücksichtigen müsse. Zum Beispiel hat einer der Kameraden ihm geraten, dass sich beim Haus Fenster einfach besser machen würden. Andere Vereinskameraden bestärken ihn aber darin, so weiter zu machen wie bisher. Mit einem seiner Vereinskameraden ist mein Nachbar gut befreundet. Dieser Freund sagt zu meinem Nachbarn, dass er beim Bau meines Hauses alles richtigmacht.

Komisch ist nur, dass dieser Freund immer dann, wenn mein Nachbar nicht in der Nähe ist, das Gegenteil sagt. Immer wieder spricht er davon, dass man ein Haus nicht so bauen könne, wenn es bewohnbar sein solle. Der Bau eines so mangelhaften Hauses dürfe doch gar nicht genehmigt werden, so seine Worte. Wie gesagt, gleichzeitig bestärkt er seinen Freund darin, so weiter zu bauen wie ich, der Bauherr, es für richtig halte. Ganz egal, was andere ihm raten würden, solange es der Bauherr gutheißt, ist alles in Ordnung, meint dieser Freund.

Schon bin ich bei der Hinterlist oder Tücke angekommen. An dieser Stelle möchte ich es nicht versäumen, mir Gedanken über die Definition der Hinterlist zu machen. Unter Tücke versteht man im Allgemeinen eine versteckte, nicht auf den ersten Blick erkennbare, feindselige Absicht. Die positive Schwester ist die List. Welche Absichten der Freund meines Nachbarn auch verfolgen mag, listig ist er nicht. Hinterlist ist ein Verhalten, dass sich unter Vereinskameraden oder gar Freunden nicht gehört.

Mein Nachbar baut mein Haus also unbeirrt weiter. Ist schließlich auch meine Sache. Schließlich habe ich den Rahmen gesteckt, will ich darin wohnen. Der Tag der Fertigstellung rückt immer näher. Ich bin sehr gespannt.

Es wird viel geredet über den Bau meines neuen Hauses. Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat gehen so ins Land. Viel Gerede dafür, viel Gerede dagegen.

Das Haus ist dann auch schnell fertig. Nach einem Jahr. Endlich! Voller Stolz präsentiert mein Nachbar mir sein Werk. Ich bin begeistert. Genauso will ich es haben, vier Wände und ein Dach. Sogar eine Tür hat er eingebaut, daran hatte ich gar nicht gedacht. Bravo. Das muss gefeiert werden, das lass ich mir was kosten.

Ich muss unbedingt meiner Familie mein neues Haus vorstellen.

Gesagt, getan. Aber ganz überraschend für mich, gefällt meiner Familie das Haus nicht. Da nörgelt einer rum, da sind doch gar keine Fenster drin. Wieso Fenster? Ich will doch gar nicht raussehen, es gibt doch gar nichts Vernünftiges draußen zu sehen und reinsehen soll sowieso keiner. Da ist doch gar keine Heizung drin. Man, man, man, im Sommer brauche ich keine Heizung und im Winter wird mal ein Pullover mehr drübergezogen. Und so geht es in einer Tour weiter. Kein Strom, kein Wasser, kein Keller, kein Bad, keine Küche, keine Möbel und, und, und...

Mein Nachbar, sein Freund und ich sind aber weiterhin davon überzeugt, dass es ein ganz, ganz tolles Haus geworden ist. Ich werde oft gefragt, warum ich ein neues Haus haben möchte? Schließlich habe ich schon ein Haus. Na ja, etwas wirklich Intelligentes kann ich darauf nicht antworten. Sagen wir mal, irgendeiner hat mir gesagt, ich müsste mal ein neues Haus bauen. Das alte hätte es zwar auch noch getan und meine Familie ist auch immer damit zufrieden gewesen, aber was weiß meine Familie schon?

Mir war eben gerade danach.

PS: Ähnlichkeiten mit noch lebenden Personen oder tatsächlichen Begebenheiten, sind rein zufällig und sind nicht beabsichtigt.  Ehrlich?

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Tag der Veröffentlichung: 15.01.2011

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