Cover

Vorwort



Dieses Buch widme ich den Menschen, die Wölfe nicht zu schätzen wissen. Eigentlich war es ein Traum von mir, was dieses Buch erzählt. Ich war das Mädchen, das den geheimnisvollen Jungen traf und sein Geheimnis herausfand. Ich habe dem Traum noch so einiges hinzugefügt, sonst wäre das Buch eindeutig zu kurz geworden.

Wölfe sind wundervolle Tiere. Immer habe ich geträumt, einem Wolf einmal zu begegnen. Doch die Tiere sind scheu und zeigen sich nicht gerne den Menschen. Niemals würden sie einen Menschen ohne Grund angreifen! Leider gibt es diese wunderschönen Tiere heutzutage nicht mehr so weit verbreitet wie früher. In Deutschland waren sie ausgerottet, doch jetzt kehren sie nach vielen Jahren zurück.
Vielleicht nicht, wie sie in der Geschichte beschrieben werden...
Aber träumen darf man doch, oder?



Kapitel 1




"Mia! Mia, steh auf, du kommst wieder zu spät!", hörte ich Melinda von unten herauf schreien. "Ich komm ja gleich, ich sollte mich vielleicht auch noch anziehn!", rief ich zurück. Mia, das bin ich. Eine 18-jährige Schülerin. Melinda? Manchmal habe ich das Gefühl sie kann mich nicht leiden. Sie ist nicht meine richtige Mutter. Mein Vater hat sie als ich 15 war geheiratet. Meine richtige Mutter? Ich habe keine Ahnung wo sie steckt. Mein Vater hat mich und meine meine kleine Schwester Vanessa alleine groß gezogen, bis dann diese aufgetakelte Tussi zu uns kam. Leiden können wir sie alle nicht, bis auf meinen Vater. Wen ich mit "Alle" meine? Nun, unsere Familie besteht aus meinem Vater, Melinda, meiner 17-jährigen Schwester Vanessa, meinem Hund und mir. Und keiner von uns kann Melinda leiden! Sie ist eingebildet, gemein und denkt sie wäre etwas Besseres.
Wie an jedem Morgen saßen wir nun alle gemeinsam am Tisch. Geredet wurde nie sehr viel, immer nur das nötigste. Mein Vater war Polizist und daher immer selten daheim. Das war auch der Grund warum ich die meiste Zeit meines gottverdammten Lebens im Wald, statt zuhause verbrachte. Ich mag den Wald. Wenn ich dort bin, fühle ich mich einfach viel wohler als zuhause. Manchmal liege ich auch am Waldrand im Gras und träume davon eine richtige Familie zu haben.
Nach dem Frühstück nahm ich meine Tasche und sah zu Vanessa. "Bist du endlich fertig?", fragte ich in einem ziemlich genervten Ton. "Ja Moment!", gab sie ebenso genervt zurück. Melinda kam auf uns zu und drückte mir einen kleinen Zettel in die Hand "Du bist heute mit Einkaufen dran, vergiss es bitte nicht!", sagte sie und sah mich mit einem scharfen Blick an. Wenn Blicke töten könnten, wäre ich in diesem Moment tot umgefallen. Wie sie heute morgen schon wieder aussah, einfach grauenvoll. Ihre blonden Haare nach oben gesteckt, die Augen hellblau geschminkt, die Wimpern unecht lang, ein rosa, sehr anliegendes Top, eine enge, blaue Jeans und dazu noch rote Pumps. Melinda war schon immer so und sie würde wohl auch immer so bleiben. Sie stank nach Parfum und Haarlack und hatte massenhaft Makeup auf ihrem Gesicht. Sie arbeitete in einem Klamottenladen. Müsste ich raten, würde ich sagen sie arbeitet als Prostituierte!
Ich sah Melinda an und steckte den Zettel weg. Gemeinsam lief ich dann mit Vanessa zur Tür und lief hinaus. "Tschüss, bis heute mittag ihr lieben!", rief Melinda uns noch hinterher. Vanessa knallte die Tür hinter sich zu und lief genervt neben mir. "Einfach schrecklich, diese Frau!", sagte sie leise. Ich nickte nur zustimmend. Der Tag heute war schön. Vögel zwitscherten auf ihren Bäumen und es war noch nicht viel Verkehr auf den Straßen. Hin und wieder begegneten wir anderen Schülern. An einer Bushaltestelle wartete eine ganze Schülergruppe. Womöglich machten sie einen Ausflug. Unser Weg führte eine Straße entlang. Rechts und links standen Reihenhäuser. Auf dem Gehweg stand eine ganze Reihe Kastanienbäume. Als wir an einem Hochhaus am Ende der Straße ankamen, bogen wir rechts Richtung Hauptstraße ein. Von weitem sah man schon die vielen Autos. Doch kurz bevor die Hauptstraße begann, bogen wir wieder rechts ein und kamen direkt auf den Schulhof. Einige Schüler waren schon da, die einen standen im Raucherbereich, die anderen standen in einer anderen Ecke. Es waren eigentlich immer Gruppen. Selten sah man einen einzelnen Schüler alleine irgendwo stehen. Auch Vanessa und ich liefen zu unserer Clique, die - wie jeden Morgen - schon am Eingang auf uns wartete. Jeder umarmte jeden und zusammen liefen wir dann ins Schulgebäude zur Cafeteria. Es war noch nicht viel los. Die Cafeteria war nicht zu klein, aber auch nicht zu groß. standen wie immer einzelne runde Tische im Raum verteilt, an jedem Tisch standen 5 Stühle. Die Theke war auf der rechten Seite. Am vorderen Teil konnte man bezahlen und am hinteren Teil gab es eine art Theke, in der sich belegte Brötchen oder Butterbrezeln befanden.
Wir setzten uns an einen Tisch, die Stühle reichten genau aus. Unsere Clique hatte 5 sogenannte "Mitglieder".
Kevin, ein ziemlich großer, gutmütiger und gutaussehender Junge. Er hatte schwarzes, fast immer aufgestyltes Haar und hellblaue Augen. Man sah ihm nicht an dass er deutscher war. Er trug fast immer eine schwarze Jacke und eine weite blaue Jeans. Dann waren da noch Jessy & Robin, ein Zwillings-Geschwister Pärchen. Beide hatten blondes Haar und braune Augen. Jessy hatte ihre Haare meist zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Robin hatte kurze Haare, hatte sie jedoch nie aufgestylt. Und schließlich gab es noch mich und Vanessa.
Vanessa hatte braunes Haar, meist mit künstlichen Locken und blaue Augen.
Ich dagegen trug mein Haar gerne glatt. Ich hatte außergewöhnlich helle blaue Augen, was für unsere Familie nicht typisch war. Naja... ich kannte ja meine Mutter nicht. Daher weiß ich nicht, was sie für Augen hatte.



Kapitel 2



Jessy legte sich mit dem Kopf auf den Tisch. "Ich werde die Arbeit heute so verhauen...", jammerte sie. Robin seufzte nur. Ich sah Jessy an und lächelte. "Komm schon Jess, das bekommen wir schon hin!", versuchte ich sie aufzumuntern. Kevin und Vanessa lachten leicht. Und wie jeden Tag in der Cafeteria, fiel mein Blick auf einen Jungen. Und wieder hatte ich dieses komische Gefühl ihn zu kennen. Er hatte schwarzes, mittellanges Haar und wunderschöne blaue Augen. Er trug meist schwarze Sachen und eine schöne Kette, die einen Wolf darstellte. Immer wenn unsere Blicke sich trafen, hatte ich ein mulmiges Gefühl im Bauch, als würde ich ihn kennen, als wäre er kein Mensch. Seine Augen waren leicht schräg gestellt. Leider wusste ich nicht seinen Namen, doch ich hätte mich eh nie getraut ihn anzusprechen. Dafür war ich viel zu schüchtern. Der Junge erhob sich von seinem Stuhl nahm seine Tasche und lief an unserem Tisch vorbei. Ich sah ihm flüchtig nach, dann sah ich schnell wieder auf den Tisch. Jessy sah mich an und schmunzelte. "Hast du da etrwa was an der Angel?", flüsterte sie mir zu. Ich sah sie an und meine Wangen färbten sich sofort leicht rot. Ich schüttelte den Kopf und sagte: "Nein! Ich kenne den doch gar nicht... ausserdem ist er nicht mein Typ." Doch das war gelogen. Natürlich war er mein Typ. Doch das wollte ich Jessy nicht unbedingt sagen. Ich kannte sie, sie wäre sofort zu ihm hingegangen und hätte ein Date für mich klargemacht. Doch das hätte bei diesem Jungen nicht funktioniert, das spürte ich.
Nach ein paar Minuten ertönte dann die Schulklingel. Wir erhoben uns seufzend von unseren Plätzen und trotteten langsam richtung Klassenzimmer. An der Tür blieb ich wie angewurzelt stehen und traute meinen Augen nicht. Der Junge von der Cafeteria saß in einer der Reihen. In unserem Klassenzimmer! Dabei war er nicht neu, ich hatte ihn schon so oft gesehen. Was tat er hier? Natürlich wollte ich nicht zu auffällig wirken und lief dann zu meinem Platz. Jessy, Kevin, Robin, Vanessa und ich saßen zusammen in einer Reihe. Die Tische bildeten ein U, jedoch standen in der Mitte auch noch 2 Reihen mit jeweils 3 Tischen. Unsere Klasse betrug insgesamt 25 Schüler.
Ich stellte meine Tasche ab und setzte mich auf meinen Stuhl. Die anderen setzten sich auf die Tische und unterhielten sich. Andere lernten noch im letzten Moment für die Arbeit. Doch der Junge saß nur ruhig, nach hinten gelehnt auf seinem Stuhl, hatte die Kapuze seiner Swetjacke auf und sah nach vorn an die Tafel. Ich saß ruhig da und beobachtete ihn. Jessy bemerkte es, wandte sich von der Gruppe ab und rief zu ihm hinüber: "Hey du! Bist du neu auf der Schule?" Ich wurde knallrot im Gesicht und knallte mit dem Kopf unsanft auf den Tisch. Der Junge sah zu uns rüber, musterte Jessy und schüttelte dann den Kopf. Jessy sah ihn etwas entgeistert an. "Sehr freundlich scheint er ja nicht zu sein!", flüsterte sie mir zu. Ich seufzte und sah nach einer Weile wieder zu ihm. Er sah noch immer herüber zu uns und unsere Blicke trafen sich. Wie lange wir uns so ansahen, konnte ich später nicht mehr sagen. Sein Blick fesselte mich. Dann sah er wieder starr nach vorn an die Tafel. Auch ich konnte meinen Blick schließlich abwenden, war aber nun doch etwas verwirrt.
"Guten Morgen, meine lieben! Ich hoffe ihr seid bereit für den heutigen Test?", hörten wir dann unsere Lehrerin sagen. Sie hatte eine piepsige Stimme. Sie war etwas kräftiger gebaut, hatte rote, meist etwas verstrubbelte Haare und trug meist ein Kleid. Im Großen und Ganzen war sie eine sehr nette Person mit der man über alle Schulprobleme reden konnte. Aber sie konnte auch anders. Ihr Name war Frau Mayer.
Alle Schüler holten ihre Sachen hoch, während Frau Mayer die Anwesenheitsliste überprüfte. Sie ging jeden einzelnen Namen durch. Jeder Name war der Klasse vertraut. "Amaroq Daw?", fragte unsere Lehrerin und sah jeden einzelenen Schüler an, bis ihr Blick bei dem Jungen stehen blieb.


Kapitel 3



"Bist du Amaroq Daw?", fragte sie. Ein paar Schüler lachten über diesen ungewöhnlichen Namen. Ich sah zu dem Jungen und sah wie er ein Nicken von sich gab. Die Lehrerin musterte ihn. "Nun, Amaroq, erzähl uns doch was von dir!", bat sie ihn. Amaroq sah sie eine Weile an dann schloss er die Augen. "Es gibt nicht viel zu erzählen.", sagte er mit einer ruhigen und sanften Stimme, dir bei mir Gänsehaut verursachte. Es war, als wäre er aus einem Märchen oder aus einem Roman entflohen. Er war nicht normal, das war mir von Anfang an klar. Die Schüler tuschelten und flüsterten gegenseitig. Frau Mayer bat die Klasse um Ruhe und seufzte dann. "Ich werde kurz ins Lehrerzimmer gehen und fragen wieso mir nicht Bescheid gesagt wurde, dass wir einen neuen Schüler haben!", sagte sie, stand auf und lief aus dem Zimmer. Amaroq sah ihr nach dann sah er wieder zu mir. Er hatte solch ein sanftes Gesicht. Seine Augen waren geheimnisvoll. Ich ertappte mich wie ich ihm ein Lächeln zukommen lies, wurde aber sofort rot und sah auf meinen Tisch. "Ein komischer Name, findest du nicht auch?", flüsterte mir Jessy zu. Ich nickte nur. Die anderen Schüler sahen Amaroq an und die Jungs der anderen Reihe bewarfen ihn mit Papierkügelchen, doch das schien ihn nicht weiter zu stören. Er war wohl kein Mensch, der sich schnell aus der Ruhe bringen lies.
Nach ungefähr 5 Minuten kam Frau Mayer wieder ins Klassentimmer und setzte sich wieder an ihr Pult. "Nun, Amaroq, da du heute neu in unsere Klasse gekommen bist, musst du die Arbeit natürlich nicht mitschreiben! Ich werde dir eine andere Aufgaben geben. Die anderen holen bitte ihren Block und einen Stift hoch, die anderen Sachen kommen bitte in eure Taschen.", sagte sie. Die Schüler meckerten leicht, dass Amaroq die Arbeit nicht mitschreiben musste. Ich holte meinen Block aus der Tasche und schnappte mir meinen Füller aus dem Mäppchen. Die anderen Sachen packte ich alle wieder in meine Tasche. Die anderen Schüler taten es mir gleich. Frau MAyer teilte derweil die Arbeitsblätter aus. Zum Schluss gab sie Amaroq ein Blatt und erklärte ihm, was er tun musste. Dann sah sie uns an. "Ihr könnt nun beginnen. Ihr habt eine Stunde Zeit! Wenn ihr Fragen habt, dann streckt bitte.", sagte sie und setzte sich wieder nach vorn. Wir drehten unsere Blätter um und fingen an uns die Aufgaben durchzulesen. Frau Mayer beobachtete uns genau, es entging ihr nie wenn einer versuchte abzuschreiben oder einen Spickzettel benutzte.
Amaroq bearbeitete in Ruhe sein Blatt und schien keinerlei Schwierigkeiten mit den Aufgaben zu haben. Auch mir fiel die Arbeit erstaunlich leicht.
Nach einer Stunde ertönte die Pausenglocke wieder. Alle Schüler gaben ihre Arbeiten ab. Frau Mayer sah uns an und sagte: "Ich werde sie dieses Wochenende korrigieren, damit ich sie euch Dienstag nach den Ferien wieder geben kann!" Sie packte die Arbeiten in einen Ordner und den in die Tasche. Dann lief sie hinaus. Die meisten Schüler gingen auf den Pausenhof um eine zu rauchen oder sich mit anderen Schülern zu treffen. Jessy sah mich an. "Kommst du mit raus auf den Schulhof? Ich treff mich gleich mit meinem Freund!", fragte sie. Ich sah sie an und lächelte leicht. "Sorry, nehm lieber Vanessa mit. Du weist doch, wie ich zu Matthias steh.", sagte ich und sah sie entschuldigend an. Jessy lächelte und sagte: "Klar, tut mir leid!" Dann sah sie Vanessa an und beide liefen hinaus. Auch Kevin und Robin waren auf dem Weg nach draussen. Nur ein paar Mädchen aus unserer Klasse, Amaroq und ich waren noch im Zimmer. Amaroq saß wie vorhin, zurückgelehnt auf seinem Stuhl und starrte vor zur Tafel. Ich sah kurz zu ihm hinüber, wandte meinen Blick jedoch sofort wieder ab. Ein Junge aus der Parallelklasse, Marcel, kam ins Klassenzimmer, lief erst zu den Mädchen, dann kam er zu mir. "Hey Mia! Hast du Lust auf ein Date heute Abend?", fragte er und setzte sich auf meinen Tisch. Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück und sah ihn nicht an. "Nein, danke!", sagte ich nur. Normalerweise gab er immer sofort nach. Doch heute war es nicht so. Er packte meine Hand, zog mich zu sich und sah mir in die Augen. "Süße, niemand lehnt ein Date mit mir ab! Manche wären froh, wenn ich sie nach einem Date fragen würde.", sagte er leise und aufdringlich. Ich versuchte mich aus seinem Griff zu befreien, doch er hielt meine Handgelenke zu fest. "Du tust mir weh!", sagte ich und kniff die Augen zu. In dem Moment ging alles schneller als ich schauen konnte. Ich sah noch, wie Marcel mir näher kam. Doch Amaroq war schneller. Er sprang auf meinen Tisch, löste Marcels Hand von meinem Handgelenk und schubste ihn mit voller Wucht nach hinten so dass er unsanft auf dem Boden aufkam. Wie Amaroq so schnell zu mir kommen konnte, wusste ich bis dahin nicht. Ich sah nur verwirrt zu Marcel. Der sah Amaroq an und seine Wut war ihm deutlich anzusehen. Marcel stand auf und sah Amaroq an. "Du wagst es dich mit mir anzulegen?", zischte Marcel. Amaroq grinste nur und sprang von meinem Tisch. Er stand Marcel nun gegenüber und sah ihm in die Augen. Marcel zitterte vor Wut, doch dann waren seine Augen voller Angst. Er rannte nach draussen und Amaroq sah ihm nach. Ich war noch immer wie gebannt. Dann sah ich zu Amaroq. Der drehte sich zu mir um und sah mir kurz in die Augen. Bevor ich etwas sagen konnte kamen Kevin und Robin wieder ins Klassenzimmer und liefen sofort zu mir. "Mia! Ist alles in Ordnung?", fragte Kevin besorgt. Ich nickte und sagte: "Mir geht's gut." Robin sah zu Amaroq, der sich wieder auf seinen Platz setzte. Wieder ertönte die Schulglocke und die anderen Schüler kamen wieder ins Klassenzimmer. Ich lies mir nichts anmerken, auch nicht als die nächste Stunde begann. Die ganze Schulzeit über dachte ich nach und sah immer wieder zu Amaroq. Ich überlegte wie er so schnell bei mir sein konnte, wo er doch viel weiter wegsaß. Als die letzte Stunde vorbei war, packte ich so schnell ich konnte meine Sachen in die Tasche und lief nach draussen. Ich beachtete die anderen Schüler nicht und wollte nur noch hier raus. Auf dem Schulhof atmete ich tief durch und wartete dann auf die anderen. Nach 5 Minuten kamen dann auch Vanessa, Robin, Jessy und Kevin raus. "Sag mal, was ist eigentlich los?", fragte Jessy besorgt. Ich sah sie an und lächelte. "Nichts, was soll denn los sein?", fragte ich, als wäre nichts gewesen. Jessy seufzte nur und ich hörte Matthias schon von weitem nach ihr rufen. Sie sah sich kurz zu ihm um dann sah sie mich an und umarmte mich. "Man sieht sich morgen.", sagte sie und lief dann zu Matthias. Ich sah die anderen an. "Vanessa, läufst du nacher mit Luna? Ich muss noch was erledigen." sagte ich und sah Amaroq nach, der auch gerade das Schulgebäude verließ. Vanessa nickte und verabschiedete sich dann auch von uns. Ich lächelte und verabschiedete mich noch von Robin und Kevin und lief dann Amaroq nach. Er lief einen ganz anderen Weg, als normale Schüler. Den Weg den er nahm, führte hoch zum Wald. Doch ich wollte wissen wer er war. Der Weg führte an Kleingärten vorbei. Ich gab mir Mühe nicht zu aufdringlich zu werden, ihn aber auch nicht aus den Augen zu verlieren.


Kapitel 4



Doch als ich mich einmal umdrehte um zu sehen wie weit wir von der Schule weg waren und mich dann wieder nach ihm umdrehte, war er verschwunden. Ich stand auf einer großen Wiese, mutterseelen allein. Die Wiese war voll von seltenen Blumen. Hier und da flog ein Schmetterling und setzte sich auf eine Blüte. Bienen summten umher und sammelten Blütenstaub. Viele Vögel waren zu hören, auch ein Wanderfalke flog über mir hinweg, richtung Wald. Verwirrt sah ich mich um und fragte mich, wie er auf dieser großen Wiese so plötzlich verschwinden konnte. Ein wenig ärgerte es mich schon, aber dann drehte ich doch um und lief zurück.
Zuhause angekommen hörte ich meinen Vater und Vanessa streiten. Ich schloss die Haustür auf und Vanessa stürmte heraus und rannte die Straße entlang. Ich sah ihr kurz nach, dann betrat ich die Wohnung und merkte sofort, dass etwas nichts stimmte. "Hallo!", rief ich. Mein Vater kam aus der Küche und sah mich an. "Auch mal zu Hause? Ist ja toll! Du hättest heute einkaufen sollen, schon vergessen?", schrie er mich an. Ich sah ihn entschuldigend an. "Tut mri leid, hab ich völlig vergessen. Hatte heut ein wenig Stress in der Schule!", sagte ich. Mein Vater verdrehte genervt die Augen und sagte: "Stress in der Schule! Mädchen, weist du eigentlich was Stress ist?" Ich sah ihn an dann sah ich Melinda die Treppe herunter kommen. "Die Mädchen können gar nicht wissen, was Stress wirklich ist!", sagte sie nur. Ich sah sie an und knallte meine Tasche in die Ecke. "Wisst ihr was? Kauft euren Mist in Zukunft selber! Ich verschwinde hier, und zwar sofort!", schrie ich und rannte die Treppe hinauf in mein Zimmer. Ich knallte die Tür zu und schloss ab. Es reichte mir endgültig. Ich nahm einen Rucksack, tat das wichtigste hinein und schnappte dann die Leine von Luna. Luna war eine Schäferhund-Husky Mischlingsdame. Ihr Fell war braun und ihr Bauch weiß. Sie hatte eisblaue Augen und langes Fell. Ich stürmte die Treppe wieder nach unten, machte Luna an die Leine und nahm mir noch mein Geld aus meinem Sparschwein mit. Es war nicht viel, etwa 10 Euro, aber immerhin etwas Geld um mir etwas zum Essen zu kaufen. Dann lief ich hinaus und knallte die Tür hinter mir zu. Alles was ich dann noch hörte, war das mein Vater mir etwas hinterherschrie. Ich konnte nicht genau verstehen was es war, aber es war mir im Moment auch ziemlich egal. Ich war den Tränen nahe und lief, wie immer wenn ich sauer war, richtung Wald.
Die ganze Zeit dachte ich darüber nach, wie Amaroq so schnell bei mir sein konnte. Und warum Marcel so voller Angst aus dem Klassenzimmer rannte. So viele Fragen schwirrten mir durch den Kopf. Luna lief neben mir und merkte das etwas nicht stimmte. Sie sah mich an und winselte unruhig. Ich seufzte und bog dann in eine Gasse ein. Im letzten Haus der Gasse, wohnte meine beste Freundin Svenja, die leider nicht auf meine Schule ging. Sie machte gerade ihre Ausbildung. Ich stand vor der Tür und klingelte. Ihre Mutter war es, die aus dem Fenster schaute und mit einem Lächeln die Tür öffnete. "Hallo Mia! Schön dich wieder zu sehen. Komm doch rein.", sagte sie und bat mich herein. Ich lächelte, bedankte mich und lief in die Wohnung. Ich machte Luna von der Leine. Svenja kam die Treppen heruntergerannt und fiel mich gleich um den Hals. Ich lachte leicht und hielt sie fest. "Man das ist ja ne ewigkeit her, seit du das letzte mal hier warst!", sagte sie freundlich und fröhlich wie immer. Svenja kam aus Schweden, konnte aber hervorragend deutsch. Sie hatte blondes, feines Haar und grüne Augen. Sie war sehr schlank und wirklich bildhübsch.
Zusammen gingen wir ins Wohnzimmer und setzten uns auf das Sofa. "Wie geht es dir?", fragte mich Svenja sofort. Ich seufzte und begann ihr von heute zu erzählen. Ihr konnte ich wirklich alles anvertrauen. Sie hörte mir aufmerksam zu. Ihre Mutter brachte uns inzwischen ein Glas Apfelschorle. Dann gesellte auch sie sich zu uns und hörte mir zu. Als ich zuende erzählt hatte, war Svenja kurz ruhig und dachte nach. Sie war immer so, bevor sie etwas sagte,oder bevor sie einen Ratschlag gab, dachte sie vorher gründlich nach. Dann sah sie mich an und seufzte. "Der Junge scheint dich sehr zu interessieren, was?", fragte sie vorsichtig und mit einer ruhigen Stimme. Ich nickte. Wieder dachte Svenja nach. "Mich würde interessieren, ob der Name, Amaroq Daw, eine Bedeutung hat!", sagte sie. Ich sah sie an und sagte: "Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht." Sie lächelte, stand auf und nahm meine Hand. "Komm, lass uns nachsehen!", sagte sie und lief mit mir hoch in ihr Zimmer. Es war immer noch wie früher. An den Wänden hingen Poster von ihren Lieblingsbands und natürlich von ihrem Hobby, reiten. Auf der rechten Seite des Zimmers stand ein großes Doppelbett, mit einer Pferdebettwäsche überzogen. Auf der anderen Seite stand ein großer Schreibtisch mit einem Computer darauf. Svenja schaltete den Computer an und setzte sich auf den Stuhl. Ich schnappte mir einen kleinen blauen Hocker, der mitten im Zimmer stand und setzte mich neben sie. Der Computer war schnell hochgefahren. Sie ging ins Internet und ging gleich auf Gooogle.de, wo wir so ziemlich alles suchten und meist auch fanden. Dort gab sie dann in die Suchmaschine nur den Namen "Amaroq" ein.
Gleich erschienen viele Seiten mit dem Wort "Amaroq". Svenja entdeckte eine Seite, die die Bedeutung des Namens in sich stehen hatte. Sie rief die Seite auf und las laut vor:

"Die Bedeutung von "Amaroq"!
Das Wort "Amaroq" ist alaskanisch oder, wie
die dort genannte Landessprache genannt
wird, Inupiaq.

Amaroq heißt soviel wie 'Wolf'.
Doch da der Wolf, wie andere Tiere, zum
Beispiel Karibu, Polarfuchs, Grizzly, Viel-
fraß oder Luchs, ein Tier des Totempfahls
ist, hat das Wort Amaroq eine noch größere
Bedeutung.

Es ist ebenso ein Begriff für Mut, Stärke, Kraft oder Tapferkeit."

Svenja sah mich verwirrt an. "Wolf?", fragte sie. Ich sah den Bildschirm an und dachte an die Worte Mut, Stärke, Kraft und Tapferkeit. Was hatte das zu bedeuten? Ich sah Svenja an und sagte: "Gib mal seinen Nachnamen ein, "Daw"!" Svenja nickte und gab es in die Suchmaschine ein. Wieder wurden viele Seiten angezeigt und Svenja rief die erste auf. Sie las sich die Seite durch und las dann einen Satz laut vor:

"Daw ist elbisch und bedeutet "Nachtzeit"." Wieder sah sie mich an. Ich starrte auf die Tastatur und dachte nach. Sowas kam normalerweise nur in Büchern vor! Ich war verwirrt. Svenja sah mich an und legte ihre Hand auf meine. "Komm schon, entweder er hat den Namen falsch angegeben oder seine Eltern heißen zufälligerweise "Daw" mit Nachnamen und gaben ihrem Sohn eben den Namen Amaroq.", versuchte sie mich aufzumuntern. Doch ich schüttelte nur leicht den Kopf. "Ich glaube nicht, dass es Zufall ist.", sagte ich. Dann sah ich Svenja an. "Kannst du 'ne Weile auf Luna aufpassen?", fragte ich sie bittend. Sie sah mich an und schmunzelte. "Du wirst wohl keine Ruhe geben, bis du rausgefunden hast, was das für ein Typ ist, was?", sagte sie leicht lachend. "Klar kann ich auf sie aufpassen!" Ich lächelte und umarmte sie. "Danke! Danke für deine Hilfe.", sagte ich und sah sie nochmal an. Sie lächelte mich an und sagte mit einer etwas besorgten Stimme: "Wenn etwas ist, dann rufst du mich sofort auf dem Handy an, verstanden?!", sagte sie. Ich lächelte und nickte. Dann standen wir auf und Svenja begleitete mich hinunter zur Tür.


Kapitel 5



Ich verabschiedete mich nochmal, auch von Luna und lief dann die Gasse wieder zurück. Dann bog ich links ab, richtung Wald. Dort konnte ich am besten über meinen nächsten Schritt nachdenken. Ich lief an zahlreichen Weiden vorbei, und bog dann auf einen Feldweg ein. Hin und wieder kamen mir ein paar Spaziergänger entgegen. Inzwischen dämmerte es schon. Der Himmel färbte sich am Horizont leicht rot, über mir war der Himmel schon leicht dunkelblau und die ersten Sterne standen schon am Himmel. Ob mein Vater sich wohl Sorgen macht? Was meine Freunde wohl in diesem Moment machten? So viele Fragen schwirrten mir im Kopf herum, doch es wäre nicht das Erste mal, dass ich im Wald übernachten würde. Ich war am Waldrand angekommen und sah noch einmal zurück in die Stadt, wo überall die Lichter an waren. Ich konnte von hier aus die Schule und auch die Kirchen sehen. Irgendwo raschelte etwas im Gras und flüchtete bei der Kleinsten Bewegung von mir, wieder in den Wald. Noch einmal drehte ich mich um und lief dann in den Wald hinein.
Um mich herum zirpten Grillen und Zikaden. Immer wieder kam mir ein Glühwümrchen entgegen, die bei uns nur noch sehr selten waren. Angst vor den Raubtieren in diesem Wald, hatte ich noch nie. Obwohl wir Füchse, Wölfe und sogar Bären in unseren Wäldern hatten, fürchtete ich mich nicht vor ihnen. Neben mir knackte etwas im Gebüsch, doch auch das lies mich nur kurz zusammenzucken. Ich lief mitten durch den Wald, meine Augen hatten sich schon an die Dunkelheit gewöhnt und ich sah alles sehr gut. Die Bäume gaben mir Schutz. Ein leichter Wind wehte. Hin und wieder gab ein Waldkauz seinen nächtlichen Ruf ab. Es war beruhigend ihn zu hören. Äste knackten unter meinen Füßen und Blätter raschelten auf dem Boden. Hin und wieder sah ich ein Reh, das jedoch, sobald es mich bemerkte in eine kurze Starre verfiel und dann sofort fliehte.
Nach einem längeren Fußmarsch durch den Wald, kam ich dann an einer Höhle an. Ich ging hinein und nahm mir eine Decke die ich dort gelagert hatte. Ich schlang sie um mich und lehnte mich an die Wand. Wieder dachte ich über ihn nach. Hatte der Name wirklich etwas zu bedeuten? Wolf! Nachtzeit! Ich verstand es nicht. Je mehr ich mir den Kopf darüber zerbrach, desto müder wurde ich. Wie lange ich noch nachdachte, konnte ich später nicht mehr sagen, denn als ich wieder aufwachte war es schon hell.



Kapitel 6



Vögel zwitscherten und hüpften durchs nasse Laub. Es musste heute Nacht ein wenig geregnet haben. Aber heute morgen war der Himmel klar und rein. Die Sonne war noch nicht zu sehen, deshalb war es auch noch ziemlich frisch. Ich streckte mich und stand vorsichtig auf. Die Decke legte ich dann zusammen und legte sie wieder in das Eck in dem sie vorher auch lag. Dann trat ich hinaus und atmete die frische Luft ein. Ich sah mich um und lächelte. Dann hörte ich Stimmen. Männerstimmen! Ich zögerte kurz, dann trat ich aus der Höhle und sah mich genau um. Im Moment war noch nichts zu sehen, aber die Stimmen waren deutlich zu hören. Ich bekam leichte Panik und hoffte nur, dass es nicht solche verrückten waren, die nachts feiern und morgends betrunken nach Hause torkelten. Doch dann hörte ich eine Stimme die mir vertraut vorkam. Ich lauschte geduldig und sah mich nach einer Weile wieder um. Dann sah ich sie. Sie waren alle schwarz gekleidet und schätzungsweise in meinem Alter. Ich versuchte mich zu verstecken. Doch blöderweise trat ich auf einen Ast der laut knackte. Die Jungs drehten sich alle in meine Richtung und blieben starr stehen. Ich sah zu ihnen und mein Herz pochte laut vor Schreck. Noch immer versuchte ich mich zu verstecken, doch die Jungs hatten mich schon längst entdeckt. Sofort rannte sie zu mir und umkreisten mich, wie hungrige Wölfe auf der Jagd. Sie sahen mich starr an, als hätten sie noch nie zuvor ein Mädchen im Wald gesehn. Sofort musste ich an Rotkäppchen denken, die den Wolf im Wald traf. So ging es mir gerade, nur dass ich nicht auf dem Weg zu meiner Großmutter war und dass das keine Wölfe, sondern Jugendliche waren. Noch immer starrten sie mich an. Einer von ihnen hatte ungewöhnlich silbrige Haare und gelbe Augen. Ob das Kontaktlinsen waren? Er war muskolös gebaut, so wie alle von der Gruppe. Ein anderer hatte hellbrauen haare und sehr dunkle Augen. Insgesamt waren es fünf. "Was haben wir denn hier?", fragte einer der Jungs und grinste. Ich drückte mich an einen Baum und sah die anderen an. "Was macht ein hübsches Mädchen wie du denn alleine im Wald?", fragte ein anderer mit einer tiefen, verzaubernden Stimme. Mich packte die Angst. Die Jungs lachten leicht und sahen mich an. Dann hörte ich wieder diese vertraute Stimme. "Stopp! Ihr jämmerlichen Tiere. Ihr wollt doch kein hilfloses Mädchen angreifen oder?", sagte ein anderer Junge der aus einer Richtung zu den Jungs gelaufen kam. Als er mich sah blieb er starr stehen und sah mich an. Auch ich erstarrte als ich ihn sah. Es war Amaroq. Der Junge den ich in der Cafeteria das erste mal sah. Der Junge der Marcel von mir fern hielt. Die Jungs traten zurück und sahen Amaroq an. "Was machst du hier?", fragte er mich und eine leichte Wut war in seinen Augen zu sehen. Ich sah ihn nur an und brachte kein Wort heraus. Amaroq sah die anderen an. Die schienen seinen Blick zu verstehen und liefen weiter. Amaroq sah mich wieder an. "Was machst du hier? Antworte!", befahl er. Ich zuckte zusammen und sah ihn leicht ängstlich an. "Ich habe im Wald übernachtet!", sagte ich automatisch. Amaroq lachte spöttisch. "Im Wald übernachtet, ja? Weist eigentlich wie gefährtlich der Wald bei Nacht ist?", fragte er mich und trat näher. Ich sah ihn an und sagte: "Ich habe keine Angst!" Mein Blick war verängstigt und verwirrt zugleich. Amaroq sah mich an. Er trat noch immer näher, bis er nur noch einige Zentimeter von mir weg war. Er sah mich prüfend an. "Du hast also keine Angst?", fragte er leise und mir einer rauhen Stimme. Ich schüttelte nur den Kopf und sah ihn nicht an. Amaroq legte mir ein Finger unter mein Kinn und drückte meinen Kopf mit sanfter Gewalt nach oben. Ich sah in seine wunderschönen, blauen Augen. "Was willst du von mir?", fragte er ruhig. Ich sah ihn an und ging ein paar Schritte von ihm weg. "Ich will gar nichts von dir! Ich bin nur hierher gekommen weil ich es zuhause nicht mehr ausgehalten habe!", sagte ich mit einer leicht wütenden Stimme. Was bildete der sich eigentlich ein? Dachte er etwa, dass ich auf der Scuhe nach ihm war? Da hatte er sich aber gewaltig geschnitten! Doch Amaroq grinste nur und schüttelte den Kopf. "Vor diesem Typen hattest du Angst, aber alleine im Wald herum zu irren, davor hast du keine Angst?", fragte er. Ich sah Amaroq an. Irgendwo hatte er Recht. Doch stur wie ich war, gab ich das natürlich nicht zu! "Du hast doch keine Ahnung!", meinte ich. Amaroq sah mich an und sagte: "Achso? Da sei dir mal nicht so sicher. Und jetzt geh nach Hause! Deine Eltern machen sich sicher Sorgen um dich." Als er das Wort 'Eltern' erwähnte, wurde mein Blick traurig. Ich sah zu Boden. "Ich darf tun und lassen was ich will, verstanden?", sagte ich mit einem Unterton. Amaroq sah mich wieder an und merkte dass etwas nicht stimmte. Dann drehte er sich jedoch um und verschwand im Wald. Ich sah ihm wieder einmal nach. Wieder war er, einfach so, verschwunden.


Kapitel 7



Erst ein Knacken in den Büschen lies mich wieder zu mir kommen. Ich sah mich um. Alles kam mir plötzlich vor, als wäre es ein Traum gewesen. Wieder war ich alleine im Wald. Als ich mein Handy klingeln hörte, zuckte ich wieder zusammen und zog es hecktisch aus der Tasche. Auf dem Display war Svenjas Name zu lesen. Ich hob ab. "Hey!", sagte ich noch etwas neben der Spur. "Hey! Ist alles in Ordnung? Ich mach mir Sorgen.", sagte sie besorgt. Ich seufzte leise und kniete mich auf den Boden. "Naja ... ich habe Amaroq wieder getroffen. Im Wald!", erzählte ich ihr. Ich erzählte auch von den anderen Jungs und wie sie Amaroq unterwürfig ansahen, wie rangniedere Wölfe ihren Alphawolf. Svenja war kurz still, als wäre sie ebenso geschockt wie ich. "Amaroq?", sties sie dann hervor. "Was macht der denn im Wald?" Ich zuckte mit den Schultern und sagte leise: "Ich weis es nicht." Svenja hielt wieder einen Moment lang inne. "Also langsam wird es echt unheimlich. Der Name Amaroq bedeutet Wolf. Sein Nachname Daw bedeutet Nachtzeit. Und dann taucht er im Wald mit einer Jungen Clique auf? Mia, irgendwas ist da faul. Entweder das sind total verrückte, oder es gibt wirklich zu viel Fantasie auf dieser Welt.", sagte sie leicht aufgeregt. Das Einzige was ich danach noch hörte, war der Alarmton meines Handys wenn der Akku leer war. Ich sah auf den Display und fluchte laut. Ausgerechnet jetzt musste der Akku den Geist aufgeben. Ich steckte mein Handy zurück in die Hosentasche und sah mich wieder um. Wieder raschelte es im Gebüsch. Ich drehte mich ruckartig um und bekam Gänsehaut am ganzen Körper. Als ich ein tiefes Brummen hörte wurde mir schlecht. Dann sah ich nur noch wie sich ein riesiges Pelzwesen sich auf zwei Beine stellte und mich wütend ansah. Ich sah das Tier an und machte ein paar Schritte zurück, allerdings zu hastik so dass ich über einen Ast stolperte und auf mein Hinterteil fiel. Der Bär lies sich auf die Vorderpfoten fallen und funkelte mich böse an. Dann schritt er langsam auf mich zu öffnete sein gigantisches Maul und entblöste seine Zähne. Er hob drohend die Vorderpfote. Ich sah nur das riesen Tier vor mir und war wie gelähmt. Der Bär brüllte und im nächsten Moment sprang noch etwas pelziges über mich, packte die Vorderpfote des Bären und zog daran. Der Bär brüllte auf und zog die Pfote weg. Ich traute meinen Augen nicht. Ein schwarzer Wolf stand vor mir. Er war groß, größer als ein Schäferhund. Er hatte die Rute aufgestellt und die Ohren drohend zur Seite gelegt. Alles was ich hörte war ein knurren. Der Wolf sah dem Bären in die Augen. Der Bär brummte und zog, ein wenig beleidigt ab. Ich zitterte am ganzen Körper und sah dem riesigen Bären nach. Der Wolf entspannte sich und drehte sich zu mir um. Es war eindeutig ein Rüde. Groß, kräftig und muskulös. Er war tiefschwarz und seine Augen eisblau. Eine Weile sahen wir uns nur an. "Amaroq.", fuhr es mir durch den Kopf. Ich schluckte. Der Wolf sah mich noch eine Weile an, dann trabte er zurück in den Wald. Ich sah ihm nach. Konnte es wirklich sein? Das alles war doch kein Zufall mehr. Ich stand auf, klopfte mir den Dreck von meiner Hose und versuchte dem Wolf zu folgen. Ich hatte ihn schon aus den Augen verloren, doch ich lief einfach in die Richtung in die er gegangen war. Der Wald wurde immer dichter und aus einem Mischwald wurde ein Nadelwald. Die Bäume standen dicht beieinander weshalb es auch ziemlich dunkel war. Die Rinden der Bäume waren teilweise mit Moos bedeckt und ab und zu kam ein Sonnenstrahl durch die Bäume. Hier und da schwirrten Insekten umher. Vögel waren hier nur wenige zu hören. Es knackste ab und zu im Gebüsch. Nach einer Weile kam ich auf eine Lichtung. Es war eine wunderschöne, grüne Wiese, vom Wald umrandet. Ein See war ebenfalls auf der Lichtung, auf dem sich viele Wasservögel befanden. Kaninchen spielten auf der Wiese. Als das größte Kaninchen meine Witterung aufnahm, klopfte es kräftig mit den Hinterläufen auf den Boden und alle verschwanden in den Wald. Und dann sah ich ein altes, fast verfallenes Haus. Ich wunderte mich, da ich von einem Haus in unserem Wald nichts wusste. Das Haus hatte keine Fensterscheiben mehr, das Dach war fast komplett heruntergerissen. Von den Wänden fehlten einige Stücke. Ich traute mich nach langem Staunen ein wenig näher hin.


Kapitel 8



Ich öffnete eine alte Tür die ein lautes Quietschen und Knacken von sich gab. Drinnen waren Spinnweben an den Decken und überall lag Staub auf dem Boden. Ich lief langsam hinein. Der Boden knarzte unter meinen Füßen. Ich traute mich kaum zu atmen, so still war es hier. Hier und da hing eine Spinne in ihrem Netz. Angst hatte ich keine. Ich mochte so ziemlich jedes Tier, auch Insekten, solange sie mir nicht zu nahe kamen. In der Mitte des Raumes stand ein alter Tisch und zwei alte Stühle aus Holz, auch schon sehr verstaubt. Es musste jemand hier gewohnt haben, jedoch scheint schon ewig keiner mehr hier gewesen zu sein. Der Raum war nicht gerade groß. Die Wände und die Decke waren ebenfalls aus Holz. Ich lief noch ein wenig weiter in den Raum. Rechts war ein Bogen der zum nächsten Raum führte. Ich lief langsam zu diesem Durchgang und sah mich im nächsten Raum um. Es musste eine Art Wohnzimmer gewesen sein. Eine Couch und zwei Sessel standen darin. Ausserdem stand zwischen den beiden noch ein kleinerer Holztisch. Links in der Wand war wieder solch ein Bogen. Langsam lief ich näher und blickte in den nächsten Raum. Es war wohl eine kleine Küche gewesen. hier standen ein kleiner Herd, der jedoch nur mit Feuer beheizt werden konnte. Ausserdem stand dort ein sehr altes Waschbecken. Sonst war in diesem Raum nichts. Wieder sah ich mich um. Ein winseln lies mich zusammenzucken. Zumindest glaubte ich, dass es ein Winseln war. Ich bekam Gänsehaut und zum ersten mal, seit ich dieses Haus betreten hatte, packte mich doch ein wenig die Angst. Ich lief zurück zur Haustüre und sah nochmal nach hinten. Gerade wollte ich das Haus verlassen als ich wieder das Winseln hörte. Diesmal war ich mir sicher. Es wäre das beste gewesen hier zu verschwinden, dann wäre mein Leben normal geblieben. Naja, zumindest fast. Denn was in diesem Moment geschah, widersprach jeder Art der Realität. Ein schneeweißer Wolf stand plötzlich vor mir und zog die Lefzen nach oben. Er entblößte sein starkes Gebiss und ein tiefes Grollen drang aus seiner Kehle. Es musste ein Weibchen sein. Sie war ziemlich abgemagert und verletzt. An der rechten Vorderpfote klaffte eine große Wunde. Womöglich war sie deshalb so aggressiv.
Ich drückte mich an die Tür und war wie gelähmt. Gegenseitig sahen wir uns in die Augen. Dann sah ich nur noch, wie die Wölfin losrannte und mich ansprang. Was ich dann noch spürte war ein schlimmer schmerz an meiner Schulter und ein Stechen in meinem Kopf. Dann war alles dunkel.


Kapitel 9



War ich etwa tot? Als ich meine Augen öffnete, spürte ich wie mein Kopf schmerzte. Ich sah ein grelles Licht und hörte Stimmen. Ja, das konnte nur bedeuten dass ich tot war. Oder? Nein! Das war die Stimme meines Vaters. Ich drückte die Augen nochmal zu. Dann öffnete ich sie erneut und blickte mich um. "Gott sei Dank!", hörte ich eine erleichterte Stimme, die mich sofort zum Lächeln brachte. Svenja, meine beste Freundin war hier. Ich versuchte mich hinzusetzen, hatte jedoch kaum Kraft und blieb dann doch liegen. Ich sah Svenja fragend an. "Was ist denn passiert?", fragte ich und fasste mir an den Kopf. Svenja seufzte und sah mich besorgt an. "Du bist im Wald von einem Wolf angefallen worden. Du bist wohl gestürzt und hast dir den Kopf stark angeschlagen. Hattest Glück dass dein Retter nicht weit war.", sagte sie erst in einem besorgten Ton, dann grinsend. Ich sah sie verwundert an. Mein Retter? Bin ich jetzt im falschen Film? Mit letzter Kraft setzte ich mich dann doch auf und sah mich um. Ausser Svenja waren noch andere Personen im Raum. Mein Vater, Melinda, Meine Schwester, Kevin und... ich traute meinen Augen nicht! "Ich sagte doch du sollst nicht im Wald bleiben! Warum hast du nicht auf mich gehört?", fragte mich diese wunderschöne Stimme. Ich wurde sofort knallrot. Amaroq! Er war hier. Er? Er soll mein Retter gewesen sein? Amaroq kam auf mich zu und sah mich ernst an. "Mach das nie wieder, hast du verstanden?", sagte er. Ich sah ihn an und aus irgendeinem Grund war ich stinksauer auf ihn. "Ach ja? Kannst du mir dann mal sagen, was du im Wald gemacht hast? Du warst bestimmt nicht auf der Suche nach mir!", sagte ich ein wenig gereizt, merkte aber wie es mich sofort schwächte. Ich hatte Kopfschmerzen. Starke Kopfschmerzen. Und ich war immer gereizt wenn ich Kopfschmerzen hatte. Einmal sperrte ich meine Schwester in einen großen Hasenkäfig und stellte sie auf den Balkon, weil sie mich tierisch genervt hatte.
Mein Vater kam ebenfalls auf mich zu. "Mensch, Mia! Sei ihm dankbar, dass er dich überhaupt gefunden hat. Du warst sehr weit im Wald.", sagte er besorgt. Melinda stand nur da, sagte nichts und kaute nur ihren Kaugummi. Vanessa stand mit besorgtem Blick neben ihr und sah zu mir. Ich sah mich wieder um und seufzte leise. "Also schön. Danke, dass du mir geholfen hast, Amaroq.", sagte ich und es war sogar ein wenig Dankbarkeit in der Stimme. Ich fasste mit der linken Hand an meine rechte Schulter und drückte vor Schmerz ein Auge zu. "Sie hat mich erwischt?", fragte ich. Amaroq nickte und sein Blick traf meinen. Eine Weile sahen wir uns nur schweigend an. Dann kam ich wieder zu mir. "Was ist mit der Wölfin?", fragte ich dann. Amaroq sah zu Boden und sagte traurig: "Man hat sie erschossen... Sie war hungrig und verletzt. Deswegen hat sie angegriffen." Ich war erschrockener als ich dachte, als ich dies hörte. Die Wölfin wurde erschossen? Amaroq schwieg. Er sah aus, als wüsste er mehr, als er preisgeben wollte.
Svenja sah uns an. "Am besten wir lassen euch alleine. Sieht so aus als hättet ihr euch viel zu erzählen.", sagte sie lächelnd und lief zu Vanessa. Die beiden liefen hinaus. Auch mein Vater und Melinda verliesen das Zimmer.
Ausser mir, war kein anderer Patient mehr im Zimmer. Amaroq und ich waren allein. Er setzte sich auf einen Stuhl und sah zu mir. Seine Augen waren noch heller als sonst, was mir erst jetzt auffiel. Amaroq schwieg wieder. Auch ich brachte kein Wort heraus. Ich sah mich im Zimmer um. Es war nicht sehr groß. An den fenstern hingen links und rechts, je ein roter Vorhang, so dass man nach draussen sehen konnte. Viele Bilder schmückten die Wände. Ein großer Schrank stand rechts von meinem Bett. Ein kleiner Schrank stand direkt neben meinem Bett. Darauf stand eine Flasche Wasser und ein Telefon. Dann unterbrach Amaroq das Schweigen und lenkte mein Blick wieder auf sich. "Was wolltest du wirklich im Wald.", fragte er. Ich sah ihn an und seufzte wieder. "Hab' ich dir doch schon gesagt. Ich bin von zuhause weggelaufen. Glaub mir, ich war schon oft im Wald als ich daheim Stress hatte, aber noch nie ist mir ein Wolf zu nahe gekommen. Aber sag du doch mal, was du im Wald wolltest? Und wer waren diese anderen die bei dir waren?", fragte ich neugierig.
Amaroq lächelte und schüttelte den Kopf. "Wenn ich dir das erzählen würde, würdest du mich auslachen, so wie jeder andere auch dem ich es erzählt habe.", sagte er spöttisch. Verwundert sah ich ihn an und legte den Kopf leicht schief. Wieder musste ich feststellen dass er wunderschön war. Sein schwarzes Haar war leicht durcheinander und sein Blick war nachdenklich auf den Boden gerichtet. Dann erfasste ich wieder das Wort: "Und wenn ich dir verspreche, dich nicht auszulachen?" Amaroq's Blick ging wieder zu mir und sah mich prüfend an. "Nein.", sagte er dann. Ich sah ihn etwas enttäuscht an, lies es dann aber sein. Amaroq bemerkte wohl meinen enttäuschten Blick und fügte noch hinzu: "Zumindest jetzt noch nicht!" Ich nickte. Amaroq kramte in seiner Tasche und zog einen Zettel und einen Stift heraus. Darauf kritzelte er irgendwas. Dann stand er auf, lief zu mir und drückte mir den Zettel in die Hand. "Wenn etwas ist, dann rufst du mich sofort an! Hast du verstanden?!", fügte er hinzu. Es war mehr ein Befehl als eine Frage. Ich sah ihm in die Augen und nickte wieder. In der linken Hand hielt ich den Zettel fest. Amaroq lächelte dann lief er ebenfalls zur Türe. "Du solltest dich ausruhen. Du wirst deine Kräfte für etwas anderes gebrauchen.", sagte er und lief dann hinaus.
Ich sah ihm noch eine ganze Weile nach, bis ich dann auf den Zettel sah. Seine Handynummer und sein Name stand darauf. Er hatte eine sehr schöne, geschwungene Schrift. Dann klopfte es wieder an der Tür und der Arzt trat ein. "Hallo Mia! Ich muss dich nochmal untersuchen und den Verband an deiner Schulter und an deinem Kopf wechseln.", sagte er freundlich und lief zu mir. Das bemerkte ich erst jetzt. Um meinen Kopf war ein dicker Verband gewickelt. Womöglich hatte ich eine Platzwunde. Der Arzt beantwortete mir meinen fragenden Blick. "Du hast eine Platzwunde. Um eine Gehirnerschütterung bist du zum Glück drum rum gekommen!", sagte er und führte dann nochmals eine gründliche Untersuchung durch. Eine Schwester betrat nun ebenfalls das Zimmer und lief zu meinem Bett. Der Arzt entfernte dann den Verband und sah sich die Wunde an meiner Schulter nochmal an. "Sie scheint schnell zu heilen.", sagte er verwundert. Ich sah die Wunde an und er hatte recht. Ich hatte sie mir schlimmer vorgestellt. Der Arzt beobachtete die Wunde noch eine Weile, dann wickelte er einen frischen Verband drum herum. Das gleiche machte er mit dem Verband an meinem Kopf, nur dass er da noch verwunderter aussah. "Die Platzwunde ist verheilt."; sagte er nachdenklich. Ich sah ihn mit einem komischen, ungläubigen Blick an und sagte: "Also ich weis ja, dass meine Wunden sehr schnell heilen. Ehrlich gesagt hatte ich bis jetzt noch nie eine so schlimme Wunde. Aber das kann wirklich nicht sein, dass die Platzwunde schon verheilt ist!" Dann drehte ich meinen Kopf zum Spiegel der an der Tür des Kleiderschranks hing und traute meinen Augen nicht. Da war absolut nichts mehr zu sehen. Ich schluckte schwer. Der Arzt musste leicht lachen und sah mich an. "Nun, dann lass ich den Verband unten. Wenn du Glück hast, kommst du morgen schon wieder hier raus. Aber über Nacht wollen wir dich noch hierbehalten, einfach zur Kontrolle.", sagte er und lief dann aus dem Zimmer.
Ich sah ihm nach und legte mich dann wieder hin. Immer wieder erhob ich meinen Kopf und drehte ihn zum Spiegel um nachzusehen, ob sie auch wirklich nicht mehr da war. Doch es war wie es war. Die Platzwunde an meinem Kopf war verschwunden. Ich war froh darüber, aber es lies mir doch keine Ruhe. Ich schloss meine Augen. In diesem Moment dachte ich über so vieles nach. Irgendwann war ich dann eingeschlafen und träumte von weißen Wölfchen.


Kapitel 10



Nach drei Tagen wurde ich endlich entlassen. Am nächsten Morgen in der Schule wurde ich gleich von allen befragt, was denn passiert war. Ich erzählte dass ich gestürzt war und mir eine leichte Gehirnerschütterung zugezogen hatte. Nicht jeder musste wissen dass mich ein Wolf angefallen hatte. Es wussten nur die, die bei mir im Krankenhaus waren.
Als wir im Klassenzimmer saßen sah ich mich sofort nach Amaroq um. Er war noch nicht da. Also drehte ich mich zu den anderen. "Sag mal Mia, hast du heute Abend schon was vor?", fragte mich Kevin. Ich sah zu ihm und überlegte kurz. Dann zuckte ich mit den Schultern. "Eigentlich nicht, wieso?", fragte ich ihn. Kevin grinste. Dann sah er die anderen an und sagte: "Wir wollen mal wieder was zusammen machen. Hättest du Lust ins Kino zu gehen? Oder hast du vielleicht noch einen anderen Vorschlag?"
Ich sah die anderen an und dachte nach. Kino? Ehrlich gesagt hatte ich momentan auf nichts Lust. Aber sollte ich ihnen das einfach so sagen? "Sorry, ich überlege es mir nochmal. Ich weiß nicht ob Kino nach einer Gehirnerschütterung so gut ist!", sagte ich entschuldigend. Kevin nickte. "Kein Problem! Dann vielleicht ein ander Mal.", sagte er lächelnd. Ich nickte. Dann sah ich zur Klassenzimmertüre. Gerade kamen ein paar andere aus der Klasse herein. Wieder war Amaroq nicht dabei. Ich wollte es mir nicht wirklich eingestehen, aber ich machte mir doch ein wenig Sorgen. Schnell zog ich mein Handy aus meiner Hosentasche und schaute auf den Display ob vielleicht eine Nachricht drauf war. Nichts. Ich steckte es wieder weg, da kam auch schon Frau Mayer ins Zimmer. "Kinder, ihr dürft nach Hause gehen!", sagte sie ziemlich aufgewühlt.

Ich sah sie an und stand langsam auf "Was ist denn passiert?", fragte ich erschrocken. Auch Jessy, Vanessa und die anderen standen auf. Zwar freuten sie sich, dass die Schule schon vorbei war, aber trotzdem fragten sie sich was passiert war. Während die anderen nach draussen liefen, lief ich zu Frau Mayer. "Was ist los, warum fällt der Unterricht aus?", fragte ich leise. Frau Mayer hatte feuchte Augen und war ganz blass. "Ein Schüler wurde ermordet.", sagte sie dann leise, so dass es nur ich hören konnte. Ich erschrak und sah sie mit weit aufgerissenen Augen an. "Wer...", fragte ich leise. Es war als würde mir der Atem wegbleiben. Frau Mayer atmete tief durch. "Marcel Schmid.", antwortete sie leise. Nun war ich noch geschockter. Der Junge, der mich vor kurzem erst angebaggert hatte, war tot. Mir schoss sofort der Gedanke durch den Kopf, dass Amaroq etwas damit zu tun hatte. Aber er würde doch keinen Menschen umbringen! "Wissen sie denn schon, wie es passiert ist?", fragte ich leise und bekam kaum einen Ton heraus. Frau Mayer nickte und starrte auf ihren Tisch. Leise antwortete sie dann: "Er muss von einem Tier getötet worden sein. Womöglich ein tollwüter Wolf oder ein Bär." Alles ergab so langsam einen Sinn, aber dann, wenn ich recht darüber nachdachte, verblasste dieser Sinn wieder. Ich schnappte meine Tasche und rannte aus dem Klassenzimmer heraus. Ich rempelte auf meinem Weg viele Schüler an, doch das war mir im Moment egal. Als ich aus dem Schulgebäude herauskam, fing Kevin mich ab. "Hey Mia, was ist los?", fragte er besorgt und legte seine Hände sanft auf meine Schultern. Ich schüttelte nur den Kopf und wich zurück "Ich... muss noch was erledigen.", sagte ich leise und drückte Vanessa meine Tasche in die Hand. "Sag Dad dass ich heute womöglich bei Svenja übernachte.", sagte ich und sah sie bittend an. Bevor sie irgendetwas sagen konnte, lief ich schon richtung Wald. Vanessa, Robin, Kevin und Jessy sahen mir nach.

Den ganzen Weg über dachte ich nach. Wie konnte das alles zusammenhängen? War Amaroq etwa eifersüchtig gewesen? Ach, wer sagte überhaupt, dass Amaroq dieser Wolf gewesen war? Zu viele Fragen schwirrten mir durch den Kopf. Am Waldrand holte ich mein Handy aus der Tasche und suchte Amaroq in meinem Verzeichnis. Dann lies ich es auf seinem Handy klingeln und hielt den Hörer an mein Ohr. Ich wartete. Eine Minute. Dann zwei. Dann meldete sich seine Mailbox, ich legte auf und versuchte es erneut. Wieder wartete ich. Und wieder ging die Mailbox ran. Ich fluchte leise und sah mich um. Tolle Sache, nun stand ich hier und erreichte ihn nicht. Was wollte ich eigentlich bezwecken? Dass er MIR sagte was vorgefallen war? Ob er überhaupt wusste, wovon ich sprach? Verdammt! Ich musste ihn sehen. Jetzt sofort.
Ich dachte scharf nach was ich tun könnte, wo ich ihn finden könnte. Sollte ich einfach wieder in den Wald laufen? Würde ich ihn dort wieder treffen? Mein Handy lies mich aufschrecken, als ich eine SMS empfing. Ich sah auf den Display und darauf las ich: "Amaroq". Ich wurde hektisch und öffnete die SMS und las sie für mich laut vor: "Mia, es tut mir leid! Ich hätte schon viel früher mit dir reden müssen. Ich würde dich heute Abend gerne treffen. Ich hol dich um neun von zuhause ab!" Ich las mir die SMS bestimmt zehn mal durch. Dann steckte ich mein Handy wieder weg und starrte in den Wald. Worüber wollte er mit mir reden? Über den Vorfall? Hatte er etwa doch was damit zu tun? Er holte mich von zuhause ab, also machte ich mich auf den Weg nach Hause. Ich war wirklich gespannt über was er mit mir reden musste.
Nach einer halben Stunde kam ich zuhause an. Vanessa war überrascht, da ich gesagt hatte ich bleibe über Nacht bei Svenja, doch bevor sie überhaupt fragen konnte war ich in meinem Zimmer verschwunden. Ich legte mich aufs Bett und starrte an meine Decke. Ich dachte momentan über so vieles nach, dass ich gar nicht bemerkte, wie ich eindöste.

Kapitel 11



"Mia? Mia!", hörte ich eine Stimme nach mir rufen. Sie kam mir so vertraut vor. Langsam öffnete ich die Augen und streckte mich. Dann sah ich in ein paar wunderschöne blaue Augen. Ich lächelte zufrieden, als wäre es ein Traum. Doch dann kam ich zu mir und setzte mich ruckartig auf. "Amaroq!", sagte ich und sah ihn mit großen Augen an. Amaroq sah mich mit einem besorgten Blick an. "Mia, tut mir leid wenn ich dich geweckt habe. Deine Stiefmutter hat mich reingelassen.", sagte er leise und mit einer ruhigen Stimme. Ich sah ihn ein wenig misstrauisch an. "Ich kann mich nicht daran erinnern, dir jemals erzählt zu haben, dass Melinda nicht meine Mutter ist!", sagte ich. Amaroq senkte den Blick. Stille. Dann klopfte es an der Tür und Vanessa steckte den Kopf ins Zimmer. "Melinda frägt wer denn dieser gut aussehende junge Mann war, der dich besuchen kommt.", sagte sie wenig begeistert und verdrehte genervt die Augen. Ich sah sie an und wurde knallrot im Gesicht. Dann wurde ich jedoch leicht sauer. "Sag ihr, dass es sie nen feuchten Dreck angeht wer mich besuchen kommt!", fuhr ich Vanessa an, die ja eigentlich nichts dafür konnte. Vanessa sah mich entgeistert an dann schloss sie die Tür wieder.
Amaroq sah mich an. "Du kannst sie nicht leiden, was?", fragte er dann leise. Ich senkte den Blick. "Sieht es etwa so aus, als würde ich sie in irgendeiner Hinsicht leiden können?", fragte ich ein wenig gereizt. Amaroq schüttelte den Kopf.
Ich atmete tief durch und schloss kurz die Augen, sah dann Amaroq wieder an. "Warum bist du hier? Wieso musst du mit mir reden?", fragte ich dann. Amaroq sah mich an und legte seine Hand vorsichtig auf meine. "Das würde ich dir gerne sagen, wenn wir alleine sind.", sagte er leise und sah aus meinem Fenster, von wo aus man den Wald sehen konnte, der jetzt in der Nacht aber nur wie ein dunkler Berg aussah. Ich sah ihn leicht misstrauisch an. Dann stand ich langsam auf, lief zu meinem Spiegel und kämmte mir die Haare. Danach zog ich mir noch eine Weste über mein T-Shirt drüber und sah ihn wieder an. "Dann lass uns gehen.", sagte ich leise. Amaroq sah mich einen Moment lang an, dann erhob er sich und lief zu mir.
Gemeinsam liefen wir die Treppen hinunter. Ich sah kurz zum Wohnzimmer und rief: "Wir sind ein bisschen spazieren!" Dann zog ich meine Schuhe an, nahm meinen Schlüssel und lief mit Amaroq nach draussen. Der schloss die Tür hinter sich.
In einem gemütlichen Tempo liefen wir die Straße hinauf, und bogen dann in einen Feldweg ein der zum Wald führte. Die Straßen waren wie leer gefegt. Ab und zu kam uns ein Auto entgegen. Der Feldweg war komplett leer und sehr dunkel, nur der Mond wies uns den Weg. Vom Wald her hörte man einen Kauz rufen.
Amaroq brach nach einer Weile das Schweigen: "Also... worüber ich mit dir reden wollte ist folgendes.", fing er an. Ich sah ihn gespannt an. Er atmete tief durch. "Du fragtest mich vorhin woher ich wüsste dass diese Melinda nicht deine richtige Mutter ist.", sagte er leise und fuhr fort "Nun, ich weis eigentlich sehr viel über dich. Ich weis was du jetzt denkst, du denkst, wir kennen uns doch gar nicht, woher will dieser Typ wissen wer ich bin?", sagte er und ich hörte wie er ein wenig scherzte. Ich lächelte leicht und schüttelte den Kopf. "Kannst du jetzt etwa schon gedanken lesen?", fragte ich leise und merkte wie ich wieder rot wurde. Amaroq gab ein leises, süßes Lachen von sich. "Nein, das kann ich leider nicht. Mia... hast du dich denn nie gefragt, wieso deine Wunden so schnell heilen? Als dein Bein gebrochen war, als du 6 Jahre alt warst, hast du dich nie gefragt warum es innerhalb einer Woche verheilt war?", fragte er mich und seine wunderschönen Augen funkelten mich an und suchten meinen Blick. Ich sah ihn an, etwas überrumpelt von den Fragen. "Äh... Woher weist du das?", fragte ich, fuhr aber gleich fort "Ich habe mich das oft gefragt, hab mir aber nie weiteres dabei gedacht!", sagte ich etwas angespannt. Amaroq nahm vorsichtig meine Hand in seine. Er merkte wohl, dass ich ziemlich aufgeregt war und mich fragte woher er das alles wusste. "Du hast dich auch all die Jahre gefragt, wer deine Mutter ist, hab ich Recht?", fragte er dann mit seiner wunderschönen ruhigen Stimme. Ich nickte nur, mehr konnte ich im Moment nicht tun. Amaroq fuhr fort: "Ich werde dir alles erzählen. Lass uns uns dort ins Gras sitzen.", sagte er sanft und führte mich zu der Wiese, deren Gras sehr hoch stand. Gleichzeitig liesen wir uns ins Gras sinken. Dann sah ich ihn gespannt an und er begann zu erzählen:
"Dass ich auf eure Schule und ausgerechnet in eure Klasse kam hatte einen Grund. Als du geboren wurdest, waren deine Eltern sehr glücklich miteinander. Doch bald merkte dein Vater dass etwas mit deiner Mutter nicht stimmte.", sagte er. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals. Woher wusste er das alles? Er fuhr fort: "Deine Mutter benahm sich immer komischer und irgendwann war sie auf mysteriöse Art und Weise verschwunden. Dein Vater schaltete die Polizei ein, doch sie wurde nirgendwo gefunden. Dein Vater glaubte sie sei tot. Er heiratete Melinda und Vanessa wurde adoptiert. Deine Mutter verschwand als du 3 Jahre alt warst, dein vater lies dich glauben, sie hätte euch verlassen.", sagte er und machte an der Stelle kurz eine Pause. Ich merkte wie mir die Tränen in die Augen stiegen. Vanessa war adoptiert? Er hatte uns nie etwas davon erzählt. Dann erzählte er weiter. "All die Jahre hattest du gehofft, deine Mutter würde irgendwann wieder zu euch zurückkommen. Aber sie traute sich nicht. Sie hatte Angst euch weh zu tun. Genau wie ich... Ich habe Marcel umgebracht. Er hat mich, nachdem ich ihn von dir fernhielt, aufgesucht. Er hat meine andere Gestalt gesehn. Er wollte flüchten aber...", weiter kam er nicht, denn ich unterbrach ihn. "Deine andere Gestalt?", fragte ich und war sehr verwirrt. Amaroq nickte. "Der Wolf der dich neulich im Wald beschützt hat, das war ich. Die Jungs die du letztens gesehen hast, das war mein Rudel.", sagte er und sah mich an. Ich sah ihn an. Einen Moment lang brachte ich nichts hervor, ich konnte nicht einmal atmen. Dann sah ich zu Boden. Amaroq erzählte weiter. "Ich habe Marcel umgebracht... Er hat meine Wolfsgestalt gesehen und wollte es den Polizisten sagen. Das konnte ich nicht zulassen. Die hätten ihn entweder für verrückt erklärt, oder die hätten mich erschossen und alle Wölfe einsperren lassen. So sah es nach einem normalen Mord aus.", sagte er. Ich sah ihn an und schluckte. "Dann wirst du mich auch umbringen, was? Ich weiß jetzt auch wer du wirklich bist!", sagte ich und zitterte leicht. Ob es vor Angst oder vor Aufregung war, das wusste ich nicht. Amaroq schüttelte den Kopf und legte vorsichtig eine Hand an meine Wange. Ich zuckte leicht zusammen und sah ihm in die Augen. Seine Hand fühlte sich so stark und beschützend aber auch gleichzeitig so sanft und liebevoll an. "Ich könnte dir niemals weh tun, Tala...", flüsterte er. Nun war ich komplett durch den Wind. Wieso nannte er mich Tala? "Tala?", hauchte ich leise. Der Name kam mir vertraut vor, aber auch irgendwie fremd. Amaroq lächelte. Sein Lächeln war wunderschön und lies mich wieder rot werden. "Den Namen hat dir deine Mutter gegeben. Auch er bedeutet 'Wolf'. Dein Vater hat dich immer nur Mia genannt weil ihm der Name und seine Bedeutung nie gefallen hat.", sagte er leise und ein wenig traurig. Ich schnappte nach Luft. "Woher weist du so viel über meine Mutter?", fragte ich dann leise. Amaroq senkte den Blick. "Weil sie es mir erzählt hat. Tala... Deine Mutter ist schwer verletzt. Wir liesen die Jäger glauben, die Wölfin die dich angefallen hatte, sei tot!", sagte er. Ich sah ihn an und mir klappte der Mund auf. "Die Wölfin? Das war... meine Mutter?", fragte ich und mir fiel das Atmen schwerer. Ich konnte es kaum glauben was er da sagte. "Wie geht es ihr? W-wo ist sie?", fragte ich hektisch. Wieder legte Amaroq mir eine Hand an die Wange und versuchte mich zu beruhigen. "Sie ist beim Rudel. Ich weiß nicht wie es ihr im Moment geht, aber es sah nicht gut aus. Sie wurde von einem riesigen Rudel angefallen, die unser Revier einnehmen wollten! Sie haben etwas schreckliches vor. Es gibt einen Leitwolf der alle anderen Wölfe unterwerfen will und dann die Menschen angreifen möchte! Tala, wir brauchen deine Hilfe!", sagte er flehend. Ich sah ihn an. Es kam alles so urplötzlich. Wie sollte ich ihnen denn helfen? Ich war doch nur ein stinknormaler Mensch. Oder vielleicht doch nicht? "Amaroq... wie soll ich euch denn helfen? Ich wüsste nicht wie!", sagte ich verzweifelt. Amaroq näherte sich mir langsam und schloss mich dann in seine Arme. Ich riss die Augen auf und lief wieder rot an. "Das werden wir dann sehen. Aber Tala, bitte hilf uns. Niemand hat es verdient in Angst und Schrecken zu leben! Die Wölfe nicht und auch die Menschen nicht! Alle sollten in Frieden miteinander leben können...", sagte er mit einer leichten Verzweiflung in der Stimme.
Eine Weile war ich ruhig und dachte nur über seine Worte nach. Dann schloss ich die Augen und versuchte mich zu beruhigen. Ich lehnte mich vorsichtig an ihn und genoss seine Nähe unglaublich sehr. "Ich... ich werde versuchen euch zu helfen. So gut es geht!", flüsterte ich leise. Amaroq hielt mich noch fest. "Danke!", hauchte er noch leise, dann sagte er nichts mehr. Ich wusste, dass von nun an nichts mehr so war, wie es früher einmal war. Mein Leben begann von nun an sich schlagartig zu ändern.


Kapitel 12



Wie lange wir noch so dasaßen, konnte ich im Nachhinein nicht mehr sagen.
Am nächsten Morgen wachte ich in Amaroqs Armen auf. Wir lagen immer noch in der Wiese. Es war frisch geworden. Die Vögel zwitscherten schon ihre Morgenlieder und die Grillen zirpten noch immer im Hohen Gras. Amaroq schlief noch tief und fest. Ich stützte meinen Kopf auf meine Hand und beobachtete ihn. Er sah wirklich süß aus. Lange beobachtete ich ihn und dachte über seine Worte nach. Sie kamen mir vor wie ein Traum. Doch das waren sie nicht.
Tala... Ich war also auch eine von ihnen. Meine Mutter war schwer verletzt, Vanessa war adoptiert und die Wölfe planten einen Krieg gegen die Menschen. Und ausgerechnet ich sollte sie daran hindern?
Ein rascheln im Gras lies mich aufschrecken. Auch Amaroq öffnete nun die Augen und war gleich hellwach. Er stützte sich auf seine Knie, legte einen Arm um mich und drückte mich sanft nach unten. Seine unglaublich wachsamen Augen starrten über die Wiese. Dann stand er langsam auf und hielt mir eine Hand hin. Ich sah ihn kurz an dann nahm ich seine Hand und zog mich hoch. "Wir müssen in den Wald.", sagte er leise und hielt meine Hand fest und beschützend in seiner. Ich nickte nur und war noch etwas verschlafen. Dann liefen wir los richtung Wald.
Nach einer Weile waren wir sehr tief im Wald. Amaroq blieb stehen und stellte sich ein wenig vor mich und sah sich um. Rings um uns herum raschelte es. Dann stockte mir der Atem. Fünf, nein sieben Wölfe, der eine größer und stärker als der andere traten um uns herum und starrten uns zähne bleckend an. Amaroq stellte sich beschützend vor mich und gab ein leises grollen von sich. Ich erschauderte und hielt mich leicht an ihm fest. "Was wollt ihr schon wieder!", knurrte Amaroq. Die Wölfe spannte alle Muskeln an und gaben laute Knurrgeräusche von sich. "Das weist du genau!", knurrte einer, womöglich der Leitwolf. "Such euch woanders ein neues Revier ihr streunenden Hunde!", rief es aus einer anderen Richtung. Die Jungs von letztem Mal und ein paar anderen kamen langsam auf uns zugelaufen und fixierten die Wölfe. Alle sahen wirklich unglaublich gut aus. Amaroq lächelte kurz und sah zu ihnen, dann sah er wieder die Wölfe an "Los verschwindet! Wenn es jetzt einen Kampf gibt, macht ihr die Jäger darauf aufmerksam und wir werden alle getötet!", sagte er drohend. Die Wölfe knurrten. Sie wussten jedoch, dass Amaroq recht hatte und zogen ab. Ich entspannte mich wieder. Die Jungs liefen zu Amaroq und sie begrüßten sich gegenseitig. Dann sahen sie mich an und legten ein schiefes Lächeln auf. "Jetzt weiß sie es wohl, was?", fragte einer. Er musste etwas jünger sein als die anderen. Er hatte schwarze, etwas längere Haare und schöne dunkle Augen. Amaroq nickte. "Ja. Das ist Tala... Lims Tocher.", sagte er und sah mich an. Ich sah Amaroq an. "Lim.", wiederholte ich leise dann sah ich die Jungs an. Einer von ihnen zog die Augenbrauen nach oben. "Und die soll unsere Rettung sein? Du hattest wirklich schon bessere Ideen, Amaroq!", sagte er spöttisch.
Amaroq sah ihn an. "Das war nicht meine Idee sondern die von Lim! Außerdem kennst du Tala überhaupt nicht!", sagte er beschützend. Ich sah die beiden abwechselnd an. Die anderen Jungs musterten mich. "Los, lasst uns zu Lim gehen. Es wird sie freuen ihre Tochter zu sehen!", sagte Amaroq lächelnd und sah mich an. Ich lächelte und lief sofort zu ihm. Gemeinsam liefen wir noch dichter in den Wald.
Das Laub raschelte unter unseren Füßen. Nach einer Weile kamen wir an einer großen Höhle an. Dort wurden wir von ein paar schon etwas älteren Männern und Frauen empfangen. Sie alle hatten etwas dunklere Haut und fast alle hatten schwarze Haare. Und natürlich diese wunderschönen dunklen Augen. Eine zierliche, freundlich aussehende Frau und ein starker, muskulöser Mann kamen auf uns zu. Amaroq lächelte und wurde von den beiden umarmt. Es waren wohl seine Eltern. Dann sahen sie mich an. "Tala. Schön dich wieder zu sehen! Du bist groß geworden.", sagte die Frau und lief auf mich zu, nahm auch mich in den Arm. Ich verstand die Welt nicht mehr. Der Mann lächelte. "Du kannst dich bestimmt nicht mehr an uns erinnern. Du warst ja auch noch so klein.", sagte er mit einer ebenso freundlichen Stimme. Ich sah Amaroq verwirrt und hilfesuchend an. Amaroq lächelte beruhigend. Die Frau legte mir einen Arm um die Schulter und lief mit mir, Amaroq und dem Mann in Richtung Höhle. "Mein Name ist Lain. Und das ist mein Mann Alagos.", sagte sie. Ich nickte nur verwirrt. Sie hatten alle solche tollen Namen. Als wir in der Höhle ankamen, lag eine wunderschöne, blonde Frau auf vielen Decken. Sie sah bleich und schwach aus. Ich sah Amaroq fragend an, der nickte mir nur zu. Langsam lief ich auf die Frau zu und kniete mich neben sie. Vorsichtig legte ich meine Hand auf ihre und strich darüber. Die Frau zuckte mit den Lidern und drehte schwach den Kopf in meine Richtung. Sie kam mir so vertraut und doch so fremd vor. Alle um uns herum waren Still. Die Frau öffnete die Augen und sah mich an. Ein Lächeln zuckte über ihre Lippen und sie versuchte etwas zu sagen, doch sie war zu schwach. Womöglich hatte sie sehr viel Blut verloren. Ich merkte wie die Tränen in mir aufstiegen. Vorsichtig beugte ich mich zu ihr und umarmte sie. Es tat unglaublich gut meine Mutter in den Armen zu halten und auch zu wissen, dass es meine Mutter ist. Sie schloss die Augen wieder, wollte die umarmung erwiedern, bekam aber nicht einmal den Arm hoch. "Tala...", flüsterte sie nur leise. Ich lächelte und mir lief eine Träne über die Wange. Vorsichtig löste ich mich von ihr. Ich strich ihr sanft über den Kopf und sah sie an. Sie hatte die Augen geschlossen, den Kopf zu mir gedreht. Schlief sie wieder? Hatte sie wirklich mitbekommen dass ich hier war? Oder dachte sie es war ein Traum? Eine ältere, etwas mürrisch aussehende Frau trat näher und kniete sich neben sie. Sie murmelte etwas unverständliches, womöglich auf einer anderen Sprache. Amaroq kniete sich neben mich und beobachtete die Frau. "Das ist Kachina. Sie ist indianerin. Ihr Name bedeutet soviel wie 'heiliger Geist Tänzer'.", erklärte er leise. Ich hörte ihm zu und beobachtete sie. Sie muss eine Art Schamanin sein. Die Frau hatte indianische Bemalungen an den Wangen und auf der Stirn und hatte beide Hände auf dem Bauch meiner Mutter.
Amaroq sah mich an. "Lass uns ein wenig nach draussen gehen. Sie muss sich ausruhen.", sagte er leise und stand wieder auf. Auch ich stand auf und sah sie noch einmal an, dann lief ich zusammen mit Amaroq und seinen Eltern nach draussen.
Sie führten mich ein wenig herum. Es war mir, als würde ich den Wald ganz neu kennen lernen und als wäre er schon immer meine Heimat gewesen. Sie stellten mir die 'Bewohner' ihres sogenannten Dorfes vor. "Das ist Koko. Der jüngste unseres Rudels.", sagte Lain und deutete auf einen noch kleinen, frech aussehenden Jungen. Auch er hatte schwarze Haare, aber smaragdgrüne, wunderschöne große Augen. Daneben stand eine Frau. Sie war ein wenig kräftiger gebaut als Lain und hatte ein weißes und ein grünes Auge. Womöglich war sie die Mutter des Kleinen und auf einem Auge blind. "Die Frau ist Kokos Mutter, Mai. Sie hat ihren Mann in einem Kampf mit einem anderen Rudel verloren. Ihr blindes Auge ist angeboren.", erzählte sie. Ich sah noch eine Weile zu ihnen, dann merkte ich dass ein älterer Mann auf uns zugelaufen kam. Er hatte schon ein paar graue Haare und auch sehr dunkle Haut. Auch er hatte diese wunderschönen dunkelbraunen Augen. Lain lächelte und sah zu dem Mann. "Und das ist Mingan. Unser Rudelführer!", sagte Lain und verbeugte sich leicht. Ich tat es ihr gleich und sah Mingan an. Der lächelte und nickte nur kurz. "Du musst Tala sein!", sagte er freundlich. Ich nickte wieder. Mingan lächelte. "Liam und Amaroq haben so viel von dir erzählt.", sagte er. Ich sah Amaroq an, der grinste nur. "Waren nur gute Sachen!", schwor er. Ich lachte leicht, sah Mingan wieder an. Mingan lächelte. "Dürfte ich dich kurz entführen, Tala?", fragte er dann. Es war mehr eine Aussage als eine Frage. Ich sah noch einmal kurz zu Amaroq und seinen Eltern, dann lief ich zu Mingan. Zusammen liefen wir durch den Wald. Hier standen die Bäume sehr dicht beieinander, so dass kaum Licht durchkommen konnte. Der Boden und auch die Baumstämme waren feucht und mit Moos bewachsen. Hier und da schwirrte ein Insekt.
"All die Jahre warst du weg. Deine Mutter hat dich sehr vermisst, Tala.", sagte Mingan dann. Ich senkte den Blick. "Sie hätte mich doch nur holen müssen. Ich wäre freiwillig mit ihr mit!", sagte ich leise. Mingan lächelte, sah geradeaus, wo sich gerade ein Reh zur Flucht bereit machte. Dann fuhr er fort: "Das wollte sie auch, Tala. Aber dein Vater hätte es nie zugelassen. Und so wäre eines zum anderen gekommen und wir hätten uns irgendwann verraten. Sie wollte warten bis du älter bist. Und jetzt bist du hier!", sagte er und sah mich an. Wir waren stehen geblieben. "Wird sie wieder gesund?", fragte ich vorsichtig und mit ein wenig Angst in der Stimme. Mingan sah mir in die Augen. "Wir hoffen es, Tala. Aber sie ist stark, von dem her denke ich auf jeden Fall, dass sie es schaffen wird!", sagte er lächelnd. Ich atmete ein wenig erleichtert auf und lächelte. "Amaroq hat dir alles erzählt, stimmts? Dieses große Wolfsrudel will gegen die Menschen kämpfen.", sagte er und lief mit langsamen Schritten weiter. Ich folgte ihm. "Ja, er hat es mir erzählt. Die werden das nie schaffen! Es gibt inzwischen zu viele Menschen auf der Welt.", sagte ich traurig. Mingan nickte. Eine Weile stummten wir uns an. Dann kamen wir zu einem umgefallenen Baum und setzten uns auf seinen, mit Moos bewachsenen Stamm. "Es wäre so schön, wenn Wolf und Mensch endlich in Frieden miteinander leben könnten. Ich meine, es gibt schließlich nicht nur uns hier im Wald. Die Wölfe die den Aufstand planen sind keine von uns. Das sind richtige Wölfe. Wir sind nur da um den Menschen klarzumachen, dass Wölfe keine Geschöpfe der Hölle sind. Es gibt viele, die uns Wölfe verehren, aber viel mehr, die sie verachten.", sagte er und senkte den Blick. Ich hörte ihm zu. Dann stimmte ich ihm mit einem leichten Kopfnicken zu. "Du hast eine besondere Gabe, Tala. Du hast die Gabe, dich in Menschen und Tiere hineinzuversetzen und sie zu verstehen. Und ihnen dadurch auf eine gewisse Art und Weise zu helfen. Du kannst uns mit dieser Gabe so viel helfen. Aber du musst es auch wollen. Sonst gibt es bald keine Wölfe mehr, zumindest nicht in unserem Wald.", sagte er mit einer bestimmenden, dann doch etwas traurigen Stimme. Einen Moment lang dachte ich nach. Es war wieder still. Kein Vogel war zu hören. Nur das Rauschen des Windes der durch die Bäume schlich. Dann unterbrach ich die Stille mit einem leisen Seufzen. "Ich will euch helfen, Mingan. Aber ich weiß nicht wie. Ich wusste nicht dass ich diese Gabe habe, ich habe es noch nie bemerkt wie ich anderen Menschen oder Tieren geholfen habe.", sagte ich ein wenig verzweifelt. Mingan sah mich beruhigend an. "Lass dich einfach von deinem Herz und dieser Gabe leiten. Es kann sein, dass du sie nie bemerken wirst. Und doch ist sie da und du wirst immer Gutes tun. Du wirst immer versuchen anderen zu helfen, sie zu verstehen. Lass dich einfach leiten, Tala.", sagte er und es hörte sich sehr Weise und logisch an. Wieder dachte ich nach. Vielleicht hatte er recht. "Okay!", sagte ich "Ich werde es versuchen!"
Mingan lächelte und stand auf. Ihm war wirklich anzusehen, wie dankbar er war. Ich wusste zwar noch nicht, wieso meine 'Gabe' wirklich so hilfreich sein sollte, aber das würde sich, wenn es wirklich so war, ja bald heraustellen. Noch eine Weile standen wir nebeneinander, hatten die Augen geschlossen und lauschten dem Wind. Es war, als würde er alte Lieder singen. Als würde er mit uns reden. Dann öffnete Mingan wieder die Augen. "Lass uns zurückgehen. Es wird langsam dunkel und wir brauchen unsere Kräfte heute Nacht!", sagte er und lief los. Ich sah ihm einen Moment lang nach. 'Wir brauchen unsere Kräfte heute Nacht!' schoss es mir durch den Kopf. Was sollte das denn nun wieder bedeuten? Ich lies mich überraschen und folgte Mingan mit raschen Schritten.


Kapitel 13



Als wir wieder bei den anderen ankamen, war es bereits dunkel. Ein paar, unter anderem auch der kleine Koko und Amaroq, hatten bereits ihre Wolfgestalt angenommen. Ein pechschwarzer Wolf mit eisblauen Augen kam auf mich zu. "Tala.", sagte er "Schließe deine Augen, entspanne dich und denke einfach an etwas schönes. Zum Beispiel an das Wiedersehen mit deiner Mutter. Vertrau mir!" Ich sah ihn an. Mein Herz pochte sehr laut, dass ich dachte man musste es kilometer weit hören. Dann schloss ich die Augen und dachte an vorhin. An meine Mutter. Wie sie mich ansah, wie wir uns umarmten. Dann passierte etwas seltsames. Ich fühlte mich, wie wenn ich einschlafen würde. Ich fühlte mich frei und sicher. Langsam öffnete ich die Augen und war nun auf gleicher Höhe mit Amaroq. Ich sah alles ein wenig verschwommen. Amaroq lächelte auf Wolfsart. Ich schüttelte kurz den Kopf und merkte wie mein Gleichgewicht nachlies und ich zur Seite kippte. Total verdattert schaute ich mich um. Die anderen lachten leicht. Amaroq stupste mich an. "Das war bei mir anfangs auch so, keine Sorge! Du gewöhnst dich daran!", sagte er beruhigend und aufmunternd. Ich lachte leicht und versuchte mich wieder aufzustützen. Ein wenig breitbeinig stand ich dann auf allen Vieren und bewegte meine Ohren. "Das ist toll!", sagte ich begeistert und lief ein paar Schritte vorwärts. Es sah zwar aus wie ein Welpe, aber ich konnte es! Amaroq lachte und stupste mich frech in die Seite, dass ich wieder umfiel. "Hey!", meckerte ich, lachte aber. Dann sprang ich wieder auf und stand nun sicher auf allen Vieren. Amaroq staunte nicht schlecht. Ich wedelte mit meiner Rute und sah nach hinten und versuchte sie zu fangen. Amaroq beobachtete mich und legte den Kopf schief. Ich sah dann zu ihm, ging mit dem Oberkörper nach unten, reckte mein Hinterteil in die Höhe und sah ihn schwanzwedelnd an. "Da staunst du was? Ich bin wie dafür geboren!", sagte ich freudig. Amaroq gab ein helles, freudiges Jaulen von sich und sprang einmal hoch in die Luft. "Los, fang mich doch wenn du kannst!", forderte er mich auf und rannte in eine Richtung davon. Ich bellte und jagte ihm hinterher.
Koko beobachtete uns die ganze Zeit und wollte uns nachrennen, doch Mai, seine Mutter hielt ihn zurück.
Ich hörte noch Mingan, Lain und Alagos lachen, dann war es still um uns herum.
Ich rannte Amaroq weiter nach, bis ich plötzlich, mitten im Wald stehen blieb. Ich sah ihn nicht mehr. "Amaroq?", rief ich leicht ängstlich. Rings um mich herum knackte es. Ich zuckte zusammen und klemmte die Rute zwischen meine Hinterläufe. Wieder knackte es. Ich duckte mich, legte die Ohren ängstlich nach hinten und winselte leise. Ich hatte es oft bei Wölfen beobachtete wie sie sich anderen unterworfen hatten, aber bei mir war es im Moment mehr angeborenes Verhalten. Wo war er blos? Wie konnte er mich nur alleine zurücklassen? War das ein Test? Verunsichert sah ich mich um. Wieder knackte es im Gebüsch, wieder zuckte ich zusammen. Ich sah einen Schatten. "Amaroq?", flüsterte ich hoffend. Ich begann zu zittern und starrte in die Richtung in der ich den Schatten gesehen hatte.
Dann sprang etwas aus dem Gebüsch auf mich zu und lachte laut. Ich kniff die Augen zu und jaulte laut auf. Etwas warf mich auf die Seite und legte sich auf mich. "Hab ich dich erschreckt?", fragte Amaroq lachend. Ich öffnete vorsichtig die Augen und blickte in seine. Ich gab ein lautes Knurren von mir und bleckte die Zähne. "Mach das ja nie wieder!", knurrte ich drohend. Amaroq winselte, legte die Ohren zurück und leckte mir unterwürfig die Lefzen. "Tut mir leid. Hätte ich gewusst, dass du dich so sehr erschreckst, hätte ich es nicht getan!", sagte er entschuldigend. Ich beruhigte mich wieder und gab noch ein leises Brummen von mir. Dann stand ich auf und warf ihn von mir. Amaroq stellte sich neben mir auf und wedelte mit der Rute. Die Ohren steif nach vorn gerichtet, starrte er mich an. Ich linste zu ihm. "Was ist?", fragte ich. Amaroq grinste verlegen auf Wolfsart und legte die Ohren zurück. "Nichts, ich habe mich dir grade nur unterworfen!", sagte er und duckte sich und schlich zu mir. Ich stellte die Ohren auf und sah ihn an. Ich konnte es nicht glauben. Er unterwarf sich mir? Eine Weile starrte ich ihn nur an, während er vor mir auf dem Rücken lag und winselte. Dann setzte er sich vorsichtig auf und leckte mir über die Schnauze. "Es ist noch ungewohnt für dich, stimmts? Aber wenn Mingan mal nicht mehr ist, wirst du die nächste Rudelführerin!", sagte er leise und mit ruhiger Stimme. Jetzt sah ich ihn noch geschockter an. "Ich? Aber wieso? Ich habe doch überhaupt keine Ahnung wie man ein Rudel führt!", sagte ich leicht hektisch. Amaroq stupste mich sanft in die Seite. "Beruhige dich, du wirst im Laufe der Zeit alles mitbekommen was du wissen musst. Und ich bin ja auch noch da.", sagte er beruhigend und sah verlegen zur Seite. Ich versuchte mich zu beruhigen und atmete tief durch. Innerlich spürte ich eine leichte Angst. "Was wenn ich das nicht schaffe?", fragte ich leise und senkte den Blick. Amaroq sah mich an und winselte leise. Er drückte seinen Kopf sanft an mich. "Ich glaube an dich, Tala! Ausserdem sind wir ein Rudel, wir halten zusammen und gemeinsam schaffen wir alles.", sagte er aufmunternd. Ich sah ihn an und lächelte auf Wolfsart. "Danke.", sagte ich leise und schloss kurz die Augen. Amaroq sah mich an und fiebte, dann leckte er mir wieder über die Schnauze. Dann stand er wieder auf und sah mich etwas aufgeregt an. "Los komm! Ich muss dir unbedingt was zeigen.", sagte er und rannte ein paar Schritte vor, drehte sich dann wieder zu mir um. Ich sah ihm nach, dann stand auch ich auf und lief ihm nach. Dann liefen wir schweigend nebeneinander. Nach einer ganzen Weile kamen wir an einen See. Amaroq blieb kurz stehen, sah sich um, streckte die Nase in die Luft und prüfte die Umgebung nach eventuellen Feinden. Ich beobachtete ihn und tat es ihm gleich. Amaroq sah mich dann wieder an und lief weiter in Richtung eines Wasserfalls. Ich blieb kurz stehen und sah ihn mir an. Das Wasser fiel aus schätzungsweise zehn Metern Höhe. Er war schmal und das Wasser des Sees glasklar. Amaroq beobachtete mich kurz, lächelte und lief dann weiter. Ich folgte ihm wieder. Ein schmaler Weg führte hinter den Wasserfall. Dort war der Eingang zu einer kleinen Höhle. Amaroq lief hinein. Der Mond schien hier durch die Bäume und somit auch durch den Wasserfall, so dass die Höhle beleuchtet wurde. Ich sah mich in der Höhle um und lief dann zu Amaroq der sich inzwischen niedergelegt hatte. Ich rollte mich neben ihm zusammen und kuschelte mich an ihn. Amaroq leckte mir sanft über den Kopf und entspannte sich. Ich lächelte und legte den Kopf auf den Boden. Ich schloss entspannt meine Augen. Amaroq legte seinen Kopf auf meinen Nacken und schloss ebenfalls die Augen.
Draussen im Wald schrie eine Eule und von weit her konnte man die Rufe anderer Wolfsrudel hören. Grillen zirpten überall und noch andere Nachtvögel schrien. Irgendwo streifte ein Fuchs durch sein Revier und war auf der Jagd. Es war die schönste Nacht in meinem bisherigen Leben. Und es hatte den Anschein, noch viel viel schöner zu werden.


Mit den Augen eines Wolfes



Seit den Zeiten, als nur Sonne und Mond uns Licht gaben, kannte ich dich. Aus den riesigen und undurchdringlichen Wäldern heraus beobachtete ich dich. Ich war Zeuge, als du das Feuer bändigtest und fremdartige neue Werkzeuge machtest. Von den Kämmen der Hügel und Berge aus sah ich dich jagen und beneidete dich um deine Jagderfolge. Ich frass deine Beutereste und du frasst meine Beutereste. Ich lauschte deinen Gesängen und sah deinen Schatten um die hellen Feuer tanzen. In einer Zeit so weit zurück, dass ich mich kaum mehr erinnern kann, schlossen sich einige von uns dir an um mit dir am Feuer zu sitzen. Sie wurden Mitglieder deines Rudels, jagten mit dir, beschützten deine Welpen, halfen dir, fürchteten dich, liebten dich.

Und für sehr lange Zeit lebten wir so zusammen, denn unsere Wesen waren sich sehr ähnlich. Deshalb hast du die Zahmen von uns adoptiert. Ich weiss, einige von euch respektieren auch mich, den Wilden. Ich sah dich oft gemeinsam mit den zahmen Beute erlegen. In jenen Zeiten gab es alles im Überfluss. Es gab nur wenige von euch. Die Wälder waren gross. Wir heulten zusammen mit den Zahmen in der Nacht. Einige von ihnen kehrten zu uns zurück, um mit uns zu jagen. Einige von ihnen frassen wir, denn sie waren uns fremd geworden. So lebten wir zusammen in langen, langen Zeiten. Es war ein gutes Leben.

Manchmal stahl ich von deiner Beute und du stahlst von meiner Beute. Erinnerst du dich, wie dein Rudel hungerte, als der Schnee hoch lag? Du frasst die Beute, die wir erlegt haben. Das war unser Spiel. Das war unsere gegenseitige Schuld. Manche nannten es ein Versprechen. Wie viele der Zahmen aber, wurdest auch du uns immer fremder. Wir waren uns einst sehr ähnlich, aber jetzt erkenne ich einige der Zahmen nicht mehr und ich erkenne auch einige von euch nicht mehr. Du machtest auch die Beute zahm. Als ich begann deine zahme Beute zu jagen (es waren dumme Kreaturen, auf die die Jagd keine Herausforderung war, aber die wilde Beute war verschwunden), jagtest du mich und ich verstand nicht, warum.

Als deine Rudel immer grösser wurden und begannen gegeneinander zu kämpfen, sah ich eure grossen Kriege. Ich frass jene, die du erschlagen hattest. Du jagtest mich noch mehr, denn für mich waren sie Nahrung aber du hattest sie getötet. Wir Wilden sind nur noch wenige. Du zerstörtest unsere Wälder und brachtest viele von uns um.
Aber ich jage immer noch und füttere meine versteckten Welpen, wie ich es immer getan haben.

Ich frage mich, ob die Zahmen eine weise Wahl trafen, als sie sich euch anschlossen. Sie haben den Geist der Wildnis vergessen. Es gibt viele, viele von ihnen, aber sie sind mir sehr fremd. Wir sind nur noch wenige und ich beobachte dich immer noch, muss dir ausweichen.

Ich denke,
ich kenne dich nicht mehr länger!
(Canis Lupus)


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 21.05.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ein Haus kann eine Villa sein, eine Hütte, ein Zelt oder sogar eine Erdhöhle. Ein Zuhause ist das, wo Menschen leben, in deren Herzen die Liebe wohnt.

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