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Anne war im Dorf. Sie hatte die verschiedensten Dinge zu erledigen, musste Kerzen kaufen, neues Flachs für das Nähen der Arbeitsgewänder der Männer, Salz und Seife. Auch konnte Anne ein paar Worte mit Maria wechseln. Anne war über diese Gespräche die sie mit Maria führen konnte sehr dankbar. Sie war ihr seit ihrer Schulzeit eine gute Freundin, und sooft sich Gelegenheit dazu ergab, redeten Sie sich etwas von der schweren Last des Alltags vom Leib. Und der war weiß Gott schwer genug. Am Hof konnte Anne nicht so frei über die Dinge reden, die Sie bedrückten oder bewegten. Es gab auch gar keine Gelegenheit dazu. Ständig musste alles dem Bauern rechtgemacht werden, der Alltag am Hof war immer ein harter gewesen, alles musste streng nach Zeitplan passieren, immer gearbeitet werden. Aber nach so einem Gespräch mit Maria war alles viel leichter und freier, endlich konnte so vieles, was sich aufgestaut hatte, verarbeitet werden, und das machte es ihr möglich weiterhin ihre Aufgaben zu erfüllen.

Dieses Mal war natürlich diese Seltsamkeit in der Pfarre das Hauptthema. Der Pfarrer Reinfried wollte wie üblich zu Mittag die Glocken läuten, doch brachten diese keinen Ton hervor! Er läutete sooft und so fest er konnte, doch war den Glocken kein Ton zu entlocken. Ein böses Omen, wie gemunkelt wurde. Unter der Hand wurde geredet dass der Zorn des lieben Herrgotts auf das Dorf gekommen wäre, und er dies zeigen wollte indem er einfach den Glocken die Stimme nahm. Das wiederum konnte die verschiedensten Ursachen haben, vielleicht war einer der Bauern gar zu forsch mit den Tieren umgegangen, oder einer der Ministranten hatte in der Pfarre eine Dummheit gemacht, oder aber der Dorfdepp, der Xaver, hatte durch seine Blödheit wieder einmal den Bogen überspannt. Erst letztes Jahr hatte er am Pfarrklo ein Loch in die hintere Bretterwand gebohrt und hat sich dann während der Messe auf die Lauer gelegt, und als die Huberbäurin auf dem Abort Platz genommen hatte war ihr dann sein lautes Atmen aufgefallen, während der Xaver da hinten weiß Gott was gemacht hatte. Aber der Zorn des lieben Herrgotts wegen der Dummheit des Xaver damals war doch ganz bestimmt schon verflogen, hatte doch das ganze Dorf diese Widerwärtigkeit den Xaver büßen lassen indem sie alle gemeinsam auf ihn eingeschlagen haben bis sich der Xaver damals überhaupt nicht mehr gerührt hat. Wie ein Hornissenschwarm waren die Dorfleut aus der Pfarre gestürmt, hatten den Xaver aus seinem Verschlag gezerrt und ihn windelweich geprügelt. Allen voran der Pfarrer Reinfried, der ständig etwas von Hölle und Fegefeuer auf den armen Xaver eingeschrien, und ihm dabei den Weihwasserbehälter immer wieder auf den Kopf geschlagen hat, bis der Xaver ganz still und nass von Weihwasser und Blut dagelegen ist.

Diese Dummheit war also ganz bestimmt gesühnt. Aber man weiß ja nie was im Stillen so passiert, wer wieder was und so, aber der Herrgott sieht ja alles, wie man sagt. Wie der Pfarrer danach beim Kirchenwirt am Mittagstisch ausführte, stieg nach dieser Läutpanne selber in den Turm hinauf, konnte jedoch keinen Fehler feststellen. Das Läutwerk funktionierte wieder völlig normal. Im Ort wurden solche Dinge oft und gern als schlechtes Omen gewertet. Man versuchte aus allem Rückschlüsse auf die weiteren Entwicklungen zu ziehen. Und wenn Kirchenglocken nicht läuten wollen, konnte dies ja nur etwas sehr Schlimmes bedeuten.

Dann, nach der Mittagszeit, als die Anne gerade auf Straße war, ist ihr noch ein gefleckter Hund aufgefallen, der bellte und bellte und steigerte sich geradezu in einen Bellrausch hinein, aber es war kein Bellen zu hören. Jetzt konnte es natürlich sein, dass dieser Hund ein gesundheitliches Problem hatte, mit seiner Stimme, oder mit seiner Lunge, oder weiß der Teufel. Aber eigenartig war es schon, und geradezu ein unheimlicher Zufall, zuerst die Kirchenglocken, dann der Hund.

Von Natur aus war Anna kein abergläubischer Mensch, aber die Umstände ihrer Kindheit und das Leben hier im Bergdorf haben schon ihre Spuren hinterlassen. Und so war Sie doch sehr beunruhigt über diese Begebenheit. Auf dem Heimweg zum Hof dachte Anne natürlich ununterbrochen darüber nach. Und obwohl es Anne beunruhigte und beinahe beängstigte, waren es doch willkommene Eindrücke, Abwechslung in ihrem Alltag am Hof. Ein bisschen Aufregung schadete doch niemand, ab und zu, dachte Anne, und schmunzelte, während sie, ziemlich außer Atem, den Aufstieg zum Hof hinter sich brachte.

Anna erreichte nach einer guten halben Stunde den Berghof. Es war ungefähr vier Uhr, und da in zwei Stunden zu Abend gegessen werden musste, beeilte sich Anne, ihre Dinge im Haus zu erledigen und das Essen vorzubereiten. Der Bergbauer und seine 2 Söhne Martin und Xaver waren bereits vom Feld zurück und kümmerten sich nun um die Tiere im Stall. Die Mutter des Bauern, Margarethe, saß am Fenster und stopfte Socken.

Anne war also gut beschäftigt und eifrig am Arbeiten, und wollte gerade Wasser vom Brunnen am Hof holen. Wie die Anne aus dem Haus hinausgegangen ist, hat sie noch ein paar Schritte gemacht, ist dann aber stehen geblieben. Ein Rauschen, begleitet von einem sehr hellen Ton ließ der Anne das Blut in den Adern gefrieren. Wie Sie dann vom Boden nach oben in den Himmel geschaut hat war Sie da! Diese Wand, diesen Anblick wird die Anne ihr ganzes Leben lang nicht vergessen. Man hätte meinen können eine Wolkenwand schiebe sich da daher. Doch diese Dunkelheit der Wolken, dieses derart dichte Gefüge, das konnte keine normale Wolkenwand sein. Dazu dieses helle, summende Geräusch, und dieses helle Zucken alle paar Sekunden. So etwas hatte die Anne noch nie gesehen. Die Wolkenwand war zu diesem Zeitpunkt ca. 5 Meter von Ihr entfernt. Der Augenblick das Haus zu verlassen war leider Gottes genau der falscheste aller Augenblicke gewesen. Die Anne stand wie angewurzelt da, aber für das Weglaufen war es ja eh schon zu spät, im nächsten Moment war die Anne ja schon ganz und gar von dieser schrecklichen Wolkenwand eingeschlossen. Anne hat ja schreien wollen. Sie hat ihren Mund aufgemacht und geschrien. Aber kein Laut war zu hören! Kein Ton! Nur Stille. Die Anne hielt inne, und jetzt ist es ihr aufgefallen, dass da einfach gar nichts zu hören war. Obwohl sie sich in diesem Sturm, in dieser Wolkenwand befand, wo man eigentlich ja einen furchtbaren Krach erwarten würde, war hier drinnen einfach nichts zu hören. Kein Rauschen, kein Donnern, einfach nichts. Das machte ihr Angst, große Angst. In einer solchen Wolkenwand würde man ja eigentlich einen furchtbaren Krach erwarten, aber hier drinnen war einfach gar nichts zu hören. Die Anne wollte klarerweise nichts wie raus aus diesem Alptraum hier drinnen. Sie machte einen Schritt auf die Grenze der Wolkenwand zu, aber die hat sich dann leider immer genau in die Richtung bewegt, in die sich auch die Anne bewegte. Anne stutzte. Sie machte einen weiteren Schritt, und wieder hat sich die Wolke mit ihr mitbewegt, so dass sie die Grenze der Wolke nicht erreichte. Da hat die Anne angefangen zu laufen, sie ist so schnell gelaufen, wie sie nur konnte. Sie ist vom Hof runter zum Weg in die Stadt gelaufen, hat versucht mit Haken die Wolke abzuschütteln, doch es half nichts geholfen, die Wolke hat die Anne einfach nicht mehr ausgelassen. Die Anne ist dann weiter in die Stadt gelaufen. Und plötzlich hat Sie bemerkt, dass sich die Wolke verändert hat. Auf einmal war Sie nicht mehr dunkel, sondern fast durchsichtig, die Anne sah sie fast gar nicht mehr. Wieder hat sie versucht zu schreien, aber wie schon zuvor ist kein Laut über ihre Lippen gekommen. Als die Anne in Reichweite anderer Menschen gekommen ist, ist Sie sofort zu ihnen hingelaufen. Aber sie schienen keine Notiz von der Anne zu nehmen. Ja natürlich, jetzt ist es der Anne eingefallen, sie konnten sie ja gar nicht hören. Wie die Anne dann versucht hat zu winken, ist ihr Blick auf Ihre eigene Hand gefallen. Das was sie da gesehen hat, hat die Anne gar nicht glauben können. Sie hat an sich hinunter geschaut und es einfach nichts mehr da von ihr, die Anne war ganz und gar durchsichtig geworden! Durchsichtig und stumm, das war einfach viel zu viel für die Anne, und die hat in diesem Moment so richtig Angst bekommen. Maria! Schnell ist die Anne zum Kreisler hinunter gelaufen, wo die Maria gearbeitet hat. Sie wollte den Laden betreten, aber sie konnte die Türschnalle nicht hinunterdrücken, ihre Hand fuhr geradezu durch die Schnalle durch. Die Anne warf sich gegen die Tür, doch diese bot ihr keinen Widerstand, und so stolperte die Anne durch die geschlossene Tür in den Laden und fiel dort auch noch hin. Als sie nun so vor der Maria dastand, und ihr lautlos ins Gesicht geschrien hat, und sie angefleht hat sie doch zu hören, da sah die Maria kurz von ihren Listen auf, die sie gerade durchging, und hat nach links und nach rechts geschaut, dann aber mit den Achseln gezuckt, und sich wieder ihren Listen zugewandt.

Was blieben der Anne also noch für Möglichkeiten? Da das Ganze wohl nicht mit rechten Dingen zuging, also geradezu übermenschlich war, hat sich die Anne entschlossen, den Pfarrer Reinfried aufzusuchen. Vielleicht könnte sie mit einem Mann Gottes ja Kontakt aufnehmen, der hatte ja einen besonderen Draht nach oben, dachte Anne.

Als die Anne bei der Kirchen angekommen war, konnte sie natürlich wieder die Türe nicht öffnen, aber die Anne hat schon dazugelernt und ist einfach so durch die zugemachte Tür durchspaziert, als wäre es ein dünner Vorhang. Die Orgelmusik hat die Anne natürlich nicht gehört, aber gesehen hat sie den Pfarrer schon, wie er da oben an der Galerie gesessen hat und ein Stück geübt hat auf der Orgel. Anne ging die Treppen hinauf, konnte aber den Pfarrer dann einfach nicht zum Aufhören bewegen. Hören konnte er sie ja auch nicht, also was sollte sie tun? Anne war erschöpft und lehnte sich an die Orgel woraufhin diese anscheinend verstummt sein musste, nach der Reaktion des Pfarrers Reinfried zu urteilen. Der schien zu schimpfen und zu fluchen, gab dem Messdiener eine Ohrfeige, woraufhin dieser zu weinen anfing und sein Gesicht ganz rot wurde. Und auf einmal war er ruhig, wahrscheinlich ist ihm gerade eben bewusst geworden, dass das heute schon der zweite eigenartige Vorfall in seiner Pfarre war, und das es geradezu ein unglaublicher Zufall war, erst verstummten die Kirchenglocken, und jetzt auch noch die Orgel! Er schaute hinter die Orgel, untersuchte den Blasebalg, und ist dann zum Geländer gegangen und hat in den Kirchenraum hinuntergeschaut. Anne dachte sich, jetzt da der Pfarrer Reinfried endlich zur Ruhe gekommen war und er nun so ganz ruhig dastand, vielleicht würde er jetzt auf sie aufmerksam. Wieder versuchte Anne mit ihrem Geschrei durchzudringen, aber ohne Erfolg. Und so schlug sie ihm in ihrer Verzweiflung auf die Schulter. Es ist eher ein unwillkürlicher Reflex gewesen, dieses Schlagen auf die Schulter, aber Anne spürte den Widerstand, spürte die Hand auf der Schulter aufklatschen. Der Pfarrer Reinfried erschrak aber so fürchterlich, dass er einen Satz machte und aus dem Gleichgewicht kam und in den Kirchenraum hinunterstürzte, wo er dann mit dem Rücken auf einer Kirchenbank aufgeschlagen ist. Die Anne hat gleich einen Schreikrampf bekommen und ist zusammengebrochen. Aber wie sie gerade so im Schreien drinnen war hat sie bemerkt dass sie sich selbst wieder hören konnte, ja die Anne hat genau in dem Moment, als der Pfarrer Reinfried auf der Kirchenbank seinen letzten Atemzug getan hat, wieder Atmen können. Neben ihr hat jetzt auch der Messdiener hinuntergeschaut. Dann hat er die Anne angesehen und hat ihr ins Gesicht geschaut und hat gesagt: „Anne, ich sag nix, mach dir keine Sorgen! Aber du musst jetzt gehen, gleich kommen die Leut!“ Und er hat der Anne noch aufgeholfen, und ihr den Hinterausgang gezeigt, wo die Anne dann auch gleich rausgelaufen ist, und immer weiter gelaufen ist, und den ganzen Weg bis zum Berghof keinen Halt gemacht hat. Glücklicherweise ist ihr auf dem ganzen Weg auch niemand begegnet und eine gute Viertelstunde später hat sie den Hof auch schon erreicht gehabt, so schnell ist sie gelaufen. Irgendwie muss die Anne unter Schock gestanden haben, weil sie hat sich daheim einfach wieder in die Küche gestellt und das Abendessen gekocht, und es ist den ganzen Abend niemandem irgendetwas aufgefallen.

Die ganze Sache war natürlich ein Riesenthema im Dorf, die Leute redeten über Wochen mit unvermindertem Interesse darüber. Nur die Anne verhielt sich ruhig und unauffällig, und verlor kein Wort zu viel über die merkwürdigen Vorfälle rund um den armen Pfarrer Reinfried. Der neue Pfarrer sprach bei seiner ersten Predigt lange über die Vergänglichkeit des Lebens und die Anne saß in der Kirchenbank, zufälligerweise auch genau auf derjenigen, auf der auch der arme Pfarrer sich sein Rückgrat gebrochen hat. Und Anne dachte nach. Der Xaver, der Dorfdepp, war es nun ganz bestimmt nicht gewesen, der den Zorn des lieben Herrgotts heraufbeschworen hat. Wann, dann war es schon der Pfarrer Reinfried selber, Gott hab ihn selig. Und vielleicht hat der ja auch Dinge getan, die den Herrgott erzürnt haben. Die Anne hat sich fast geschämt für diesen Gedanken über einen Mann Gottes. Aber der Messdiener war ja auch nicht wirklich traurig über den Tod des Pfarrers Reinfried gewesen, und hat der Anne heute beim Vorbeigehen in der Kirche sogar ein „Danke“ ins Ohr geflüstert. So ein guter Mensch kann er also gar nicht gewesen sein, der Pfarrer Reinfried. Er hat ihn ja auch gleich geohrfeigt, den Messdiener, und wie er über den Xaver hergefallen ist, da haben ihn auch viele seiner treuen Kirchgänger nicht wiedererkannt, in seiner Wut und Rohheit.

Die Anne hat also in diesem Moment Frieden geschlossen mit sich selbst, und mit dem was da passiert ist. Nach der Messe ist Sie dann gleich Richtung Kreisler gegangen. Die Marie würde Ihr zwar vielleicht nicht glauben, aber reden musste die Anne jetzt mit irgendjemand darüber. Auf halbem Weg zum Geschäft sah sie den gefleckten Hund am Straßenrand sitzen, der ihr auch an diesem denkwürdigen Tag begegnet war. Als er die Anne bemerkt hat, hat er sie lang angesehen. Und dann hat er laut gebellt.

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Tag der Veröffentlichung: 14.08.2011

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