Mia war froh. Froh diesen Tag endlich hinter sich gebracht zu haben. Der Tag war hart, der Tag war lang und der Tag war mit Abstand der übelste seit langem. Es hatte schon am Morgen angefangen. Mia hatte wieder mal verschlafen und beim verzweifelten Versuch sich aus ihrer Bettdecke zu schälen, blieb sie hängen und viel der Naselang zu Boden. Fluchend warf sie die Decke zurück auf ihr Bett und hinkte schimpfend ins Bad. Nach einer schnellen Katzenwäsche band sie ihre lange braunen Haare zu einem Pferdeschwanz und warf sich in ihre Arbeitskleidung. Der Tag ging auch so turbulent weiter. Mia arbeitete in einem Dinner. Der einzige in der Kleinstadt Benela Ville. Gerade mal 3,500 Einwohner hatte das Nest. Zum größten Teils ältere Bewohner. Die jungen Menschen nutzten jede Chance von hier weg zu kommen. Entweder der Gang zur Uni, oder durch eine übereilte Heirat oder die letzte Alternative, die jedoch für Mia nie in Frage kam, mit den Geld der reichen Eltern einen Neustart in einer großen Stadt wie Burghtown zum Beispiel. Mia jedoch hatte die Hoffnung schon lange aufgegeben, dass ein hübscher Prinz auf einem Schimmel angeritten kommt, sie hochnimmt und mit ihr aus der verhassten Kleinstadt reitet. Sie hatte sich ihrem Schicksal ergeben und lebte weiterhin ihr tristes Dasein. Tag ein Tag aus. Wie jeden langweiligen Arbeitstag, nahm sie die üblichen Bestellungen der mürrischen Kunden entgegen und gab Getränke für Durstige aus. Dabei flog so mancher blöder Spruch über die Theke. Je mehr Alkohol floss umso lockerer wurden die Zungen und die Kerle. Mia hatte sich mittlerweile daran gewöhnt und die Sprüche prallten an ihr ab. Ohne darauf einzugehen, schenkte sie, ihren Gäste nach. Und da das alles noch nicht genug war, stimmte am Abend die Kasse nicht. Wie oft sie auch nachzählte es fehlten genau zehn Dollar. Mia ärgerte sich wahnsinnig über sich selbst. Also nahm sie den fehlenden Betrag von ihrem dürftigen Trinkgeld und legte es in die Kasse. Total entnervt warf sie ihre Schürze in die Ecke und rief Harry ihrem Chef zu, das sie nun Feierabend machen würde. Sie zog sich ihre Jacke an und verließ das stickige und verrauchte Diner. Draußen blieb sie stehen, legte ihren Kopf in den Nacken, schaute in den sternreichen und wolkenlosen Nachthimmel und atmete die frische kühle Luft ein. Eine Wohltat. Wenn man stundenlang hinter der Theke stand, macht einem der Mief schon echt zu schaffen. Auch nach jahrerlangen Arbeit, gewöhnte sie sich nicht daran. Es war wieder mal spät geworden, die Straßen waren wie ausgestorben. Jeder saß bestimmt schon auf seinem bequemen Sofa und schaute fern. Mia konnte jetzt erst einmal quer durch den ganzen Ort laufen. Aber das störte sie nicht, sie genoss die nächtliche Ruhe. Hier und da hörte man einen Hund kläffen oder Kater die gegeneinander um eine Katze kämpften. Die Rollläden der Fenster waren alle zugeklappt und aus den Schornsteinen stieg langsam, weißer Rauch auf. Gott sei Dank war es nicht windig und die Luft trocken. Sie zog den Kragen ihrer Jacke höher und steckte die Hände in die Jackentasche. Der Heimweg war mit Abstand immer das schönste vom Tag. So schlenderte sie ihrem wohlverdienten Feierabend entgegen.
Vor einem weißen Jägerzaun blieb sie schließlich stehen. Der Vorgarten der sich hinter dem Zaun offenbarte wirkte einladend. Links und rechts wuchsen kleine runde Buchsbäumchen. Die Blumenbeete waren noch leer, es machte keinen Sinn sie schon zu bepflanzen. Der Frost würde die zarten Pflänzchen sicherlich zerstören. An der linken Seite vom Haus, wuchs eine alte Eiche. Im Sommer spendende sie wunderbaren und wohltuenden Schatten. Letztes Jahr hatte Mia ein kleines Vogelhäuschen gekauft und es hoch am Baum angebracht. Sie war gespannt ob dieses Jahr, dort Vögel brüten würden. Sie öffnete das Gartentürchen ging über den kleinen Gartenweg hin zum Häuschen. Das sie vor rund fünf Jahren von ihrer Oma geerbt hatte. Bei ihr war Mia seit sie denken kann aufgewachsen. Ihre Eltern hatte sie bei einem Autounfall verloren. Sie alle waren gerade auf dem Weg zu einem Familientag an einem Badesee, als das Unglück geschah. Ein anderes Auto hatte einfach die rote Ampel übersehen und fuhr von rechts ungebremst in ihr Auto. Mum und Dad waren auf der Stelle tot. Von einer Sekunde auf die andere, aus ihrem Leben gerissen. Mia jedoch, hatte in ihrem Kindersitz fast unverletzt überlebt. Nach der Beerdigung ihrer Eltern und der abgeschlossenen Klärung der Hinterlassenschaft, nahm die Oma, die kleine Mia bei sich auf. Gab ihr die ganze Liebe, die sie aufbringen konnte, erzog sie zu einer selbstbewussten Frau, gab ihr die Stärke mit auf dem Weg, die sie in der harten Welt sicherlich gut gebrauchen konnte. Doch auch Oma wurde alt. Und irgendwann fand Mia ihre geliebte Oma in ihrem großen Doppelbett, das sie mal einst mit ihren Mann geteilt hatte. Sie war friedlich im Mittagsschlaf für immer und ewig eingeschlafen. Nun war sie ganz allein. Freunde hatte sie keine und ehrlich gesagt war sie auch nicht scharf darauf. Hier wohnten eh nur ältere Menschen. Und wenn es doch mal jemand in ihrem Alter gab, waren sie engstirnig und verbohrt. Sie hatte sowieso das Gefühl, das der Ort irgendwann in der Zeit stehen geblieben ist. Alles Neumodische wurde negativ abgetan und nicht akzeptiert. Keiner wollte akzeptieren, dass wir bereits im 21. Jahrhundert angekommen waren. Hier zählte nur die Arbeit auf dem Feld, sogar hier bestellten viele Bauern noch mit alten Gerätschaften ihre Felder. Und die ortsansässige Fabrik die Teile für Landmaschinen herstellte, war auch nur geduldet, da die Gründer aus diesem Ort kamen und sich für die Erleichterung der Feldarbeit einsetzten.
Mia stellte in einem kleinen Wasserkessel Teewasser auf, sprang unter die Dusche und als sie mit einem um den Kopf gewickelten Handtuch und ihrem kuscheligen Schlafanzug wieder in die Küche kam, fing der Kessel gerade an zu pfeifen. Sie brühte einen Pfefferminztee auf und kuschelte sich mit einer flauschigen Decke in den alten Ohrensessel ein. Das war immer Omas Lieblingsplatz gewesen. Der Ohrensessel stand am großen Wohnzimmerfenster. Am Tage saß sie immer in der angenehmen wärmenden Nachmittagssonne und abends konnte sie den sternenreichen Himmel betrachten und dabei schwelgte sie immer in Erinnerungen. Mia saß immer als kleines Kind im Schneidersitz vor ihr auf dem Boden und lauschte ihren Geschichten. Wie sie Opa kennen und lieben lernte. Ihre Hochzeit im Spätsommer. Kurz darauf die Geburt von ihrem Sohn, Mias Dad. Sie konnte von diesen Momente nie genug bekommen und Oma hörte immer erst auf zu erzählen, wenn ihr Mund davon trocken wurde. Dann tranken beide zum Abschluss einen heißen frischen Pfefferminztee. Mia wärmte gedankenverloren ihre Hände an der heißen Tasse und ließ den Tag noch einmal Revue passieren und kam zu dem Entschluss, dass auch dieser Tag auf die No-Go-Liste gehörte. Also trank sie ihren heißen Tee und beschloss früher wie sonst ins Bett zu gehen um den Tag so schnell wie möglich zu beenden. Sie freute sich schon auf morgen. Morgen hatte sie ihren freien Tag und den wollte sie in Burghtown verbringen. Einfach mal durch die Straßen schlendern, schauen was es neues gibt. Sie stellte die Tasse ins Spülbecken, ließ heißes Wasser hineinlaufen, schaltete das Licht überall aus und ging hinauf ins Bett. Löschte das Nachtlicht, drehte sich auf die Seite und kuschelte sich in ihre Decke ein und fiel augenblicklich in einen traumlosen Schlaf.
Mia schloss ihren kleinen süßen Twingo ab und entschloss sich erst mal in einem Café einen Milchkaffee zu gönnen. Sie setzte sich vor das Café an einen freien Platz und genoss die ersten warmen Sonnenstrahlen in diesem Jahr. Ja, sie konnte es riechen, der Frühling klopfte zart an. Die Kellnerin kam heraus und nahm die Wünsche von ihr entgegen. Mia lehnte sich gemütlich nach hinten und atmete tief durch. Freier Tag, du kannst kommen. Sie musste lächeln. Kurz darauf wurde ihr der Milchkaffee gebracht, Mia bedankte sich und beglich auch gleich ihre Rechnung. Beim Genießen, beobachtete sie die Leute. Manche rannten hektisch über den Marktplatz. In der einen Hand die Aktentasche und in der anderen das Smartphone. Wild darauf rumwischend hetzten sie von einem Termin zum anderen. Dann sah sie junge Frauen, den Kinderwagen schieben. Unten im Ablagekorb die Einkäufe verstaut. Manche Kinder schliefen, andere zeigten mit ihren kleinen Finger auf Dinge und erlebten die Welt. Dann waren da noch die Rentner. Schwer bepackt mit ihren Einkaufstaschen schlurften sie nach Hause. Mias Blick wanderte über den Marktplatz. Kurz blieb ihr Blick bei den Tauben hängen, die wild durcheinander auf dem Boden liefen und nach Körner suchten, die von Brötchen der Passanten runtergefallen waren. Mia betrachtete die alten Fachwerkhäuser. Die Wohnungen sind bestimmt total schnuckelig und mit ihren schiefen Wänden und Decke besonders charakteristisch. Als ihr Blick wieder weiter wanderte bemerkte sie einen gut aussehenden jungen Mann, der lässig angelehnt an einer Laterne stand. Die Hände in seiner schwarzen Jeans gesteckt. Frech den Blick auf Mia gerichtet. Als sich ihre Blicke kreuzten fing der Mann an zu zwinkern an. Irritiert schaute Mia hinter sich in das Café. Vielleicht meinte er ja gar nicht sie. Doch am Fenster sah sie niemanden. Verwundert schaute sie zurück, doch der Mann war plötzlich verschwunden. „Was war das denn“, fragte sich Mia still. Doch dieser Begegnung schenkte sie keine Aufmerksamkeit mehr. Sie trank ihren Kaffee fertig und schlenderte anschließend durch die Geschäftsstraßen. Sie schaute sich Schaufenster an und in manche Läden ging sie hinein, fand aber nichts. Eigentlich könnte sie sich eine neue Bluse kaufen, dachte sie sich und kehrte in den nächsten Laden ein. Mia entschied sich für eine weiße Spitzenbluse, die einen kecken V-Ausschnitt besaß. Die kurzen Ärmelchen und der runde Bund, verliehen der Bluse ein freches Aussehen und würde perfekt zu ihrer blauen Jeans daheim passen. Stolz über ihren neuen Fund und Ausbeute schlenderte sie die Straße weiter hinauf. Vor einem Schaufenster, in dem Broschen ausgelegt waren, blieb sie stehen. Gerade als sie eine kleine Kobaltblaue Brosche näher betrachtete, bemerkte sie wie sich jemand neben sie stellt. Sie schielte in diese Richtung. Das gibt es doch nicht. War das nicht der Mann den sie vorhin auf den Marktplatz gesehen hatte? Um sicher zu gehen, neigte sie ihren Kopf leicht. Um Himmels Willen, er war es. Schnell wieder nach unten geschaut. Das einzige was sie von ihm wahrnahm war sein Seitenprofil. Sie traute sich ja nicht mal in das Schaufenster zu schauen um einen Blick von vorne zu erhaschen.
„Die blaue Brosche ist wunderschön, finden Sie nicht auch“, erklang eine tiefe aber warme Männerstimme. „Entschuldigung, was meinten Sie“, stotterte Mia. Ein Zeigefinger tauchte vor ihren Augen auf, die genau auf diese Brosche zeigte, die sie noch vor ein paar Sekunden zuvor bewundert hatte. War das jetzt Zufall, oder besaß dieser Kerl die Begabung, die Gedanken anderer Menschen zu lesen. Doch diesen lächerlichen Gedanken verbannte Mia gleich wieder. Noch immer hob Mia ihren Kopf nicht, was war nur mit ihr los. So verunsichert war sie doch sonst nicht.
„Oh ja, da haben Sie Recht, sie ist wirklich wunderschön“, gab sie schüchtern zurück.
„Sie würde Ihnen hervorragend stehen“, sagte der Fremde frech zurück.
„Ich möchte jetzt nicht unhöflich wirken“, sprach Mia, „ aber Sie kennen mich doch gar nicht, wie bitte wollen Sie beurteilen, das die Brosche mir stehen würde.
„Passt zu ihren Augen, sie haben fast dasselbe Blau“, hörte Mia ihn antworten.
STOP… wie bitte kann er meine Augenfarbe wissen? Erstens haben wir vorhin auf dem Markplatz mindestens sieben Meter auseinander gestanden und zweitens haben wir uns hier an dieser Stelle nicht ein einziges Mal in die Augen geschaut. Sie kam zu dem Entschluss, dass dieser Kerl ganz schön dreist und frech war und sie der Meinung war, dass dies ihm auch mal gesagt werden sollte. Doch kaum hatte sie sich in seine Richtung umgedreht, bemerkte sie, dass sie wieder alleine vor dem Schaufenster stand. Das gibt es doch nicht. Würde sie jetzt durchdrehen? Sie schaute die Straße hoch und runter, konnte ihn aber nicht erblicken. Sie schaute noch mal die Brosche an und musste feststellen, dass er Recht hatte. Das Blau war wirklich fast dasselbe, wie das ihrer Augen. Ihr Blick fiel auf das kleine weiße Preisschildchen und musste schwer schlucken. Diese kleine Brosche sollte wirklich 195 Dollar kosten. Ein stolzer Preis, doch dieser war gerechtfertigt. Dies war überaus feinste Handarbeit. Und alleine der schöne Topas war sein Geld wert. Sie wandte dem Laden den Rücken zu und entschloss sich langsam wieder zurück zu gehen. Die Sonne wanderte an ihrer linken Seite langsam mit und wenn sie hinter den Häusern verschwand, bemerkte Mia, wie frisch es doch geworden war. Sie gönnte sich in einem Restaurant einen großen Salatteller mit Putenstreifen und Weißbrot. Sie genoss ihren freien Tag in vollen Zügen und tankte aus ihm genug Kraft für die restliche Arbeitswoche. Und die merkwürdigen Begegnungen mit diesem rätselhaften Mann, versanken immer tiefer ihrer Erinnerungen, bis sie ganz aus ihren Kopf verschwunden waren. Als es schon zu dämmern begann, schlenderte sie über den Parkplatz zu ihrem Auto. Mittlerweile war es sehr abgekühlt. Die Luft war feuchter und es bildete sich langsam Nebel. Dunkle Wolken zogen sich zusammen und Mia hatte die Vorahnung, wenn sie sich nicht beeilen würde, würde sie in einen Wolkenbruch geraten. Mia fuhr ungern im Regen. Die Tüte mit der neuerworbenen Bluse legte sie auf die Rückbank, sie hatte gerade die Autotür geschlossen und sich zur Fahrertür gedreht, stieß sie fast mit dem jungen Mann vom Mittag zusammen. Ohne es zu bemerken, hatte er sich an sie heran geschlichen und stand nun rotzfrech an der Fahrertür, er öffnete diese um sie einsteigen zu lassen. Empört starrte sie den Kerl mit bösen Augen an, dieser griff sich theatralisch an den Brustkorb und grinste spitzbübisch zu ihr rüber.
„Ich glaube nun überspannen sie wirklich den Bogen“, meinte Mia aufbrausend und gab dem Herren Handzeichen, das er doch bitte von ihrem Auto wegtreten soll.
„Wie es die Dame mir befiehlt“, säuselte er in seiner angenehmen Männerstimme. Wenn Mia nicht über diese ganze Situation so empört gewesen, hätte sie den Herren durchaus attraktiv finden können. Aber irgendwas war an ihm unheimlich. Mia konnte es sich einfach nicht erklären.
„Haben sie denn keine anderen Hobbys. Oder ist das eines ihrer Aktivitäten. Frauen nachstellen und ihnen Angst einjagen“, sagte sie eine Spur zu schnippisch.
„Wenn sie das so aufgefasst haben, dann tut es mir leid“, entschuldigte sich der unheimliche Fremde. Mia schob sich an ihm vorbei und setzte sich. Flüchtig schaute sie ihn von unten an und meinte einen Anflug von Traurigkeit in seinen Augen entdeckt zu haben. Doch nach einem blinzeln sah sie ihn wieder spitzbübisch grinsen. Er verbeugte sich tief vor ihrem Auto schloss die Fahrertür und zeigte ihr mit dieser Geste, er ließe sie gehen. Mia verdrehte verächtlich die Augen, legte den ersten Gang ein, gab Gas und fuhr vom Parkplatz. Als sie einen letzten Blick in den Rückspiegel warf, war der schöne Unbekannte schon nicht mehr zu sehen. Wie zum Henker konnte er so schnell sein. Ihr Auto hatte mittig auf dem Parkplatz gestanden. Es wäre unmöglich gewesen, in dieser kurzen Zeit diese Strecke hinter sich zu bringen um dann zwischen den Häusern zu verschwinden. Aber er war definitiv nicht mehr da. So schön wie der Tag gewesen war, umso verwunderlicher endete er zum Schluss.
Mia lag im Bett und bekam kein Auge zu. Sie hatte ihre Decke bis zur Nase hoch gezogen und starrte vor sich hin. Der Vollmond schien durch die Zweige der Eiche, direkt in ihr Schlafzimmer. Sie sah an den Wänden und an der Decke das Tanzen der Äste. Doch daran lag es nicht. Jetzt wo sie zur Ruhe gekommen ist und den Tag Revue passieren ließ, kam sie wieder zurück zu ihrer Frage. Wie zum Henker hatte es der Kerl geschafft, so schnell von der Bildschirmfläche zu verschwinden? Erst am Morgen auf dem Marktplatz, dann am Mittag am Schaufenster und zum Schluss auf dem Parkplatz und der letzte Grund machte sie am meisten wahnsinnig. Wie konnte ein normaler Mensch in einer solchen kurzen Zeit, eine so lange Wegstrecke hinterlegen. Oder war er vielleicht gar nicht normal? Aber bitte was soll er denn sonst sein? Ein abtrünniger Mutant aus einem geheimen Versuchslabor. Sie rief sich selber zur Fasson. Wir leben zwar im 21. Jahrhundert, aber so abgedriftet ist die Welt dann doch nicht. Aber irgendwie war sie sich nicht sicher. Die Schnelligkeit konnte sie nicht niederreden. Sie schüttelte ihren hübschen Kopf, um die verwirrenden Fragen zu verscheuchen. Aber in einem war sie sich ziemlich sicher. Dieser Typ hatte heiß ausgesehen, schon fast lächerlich, dass so einer, auf eine wie Mia abfahren soll. Dann ist er nicht nur unheimlich schnell, sondern auch unheimlich blind, dachte sie und ihre Augen wurden schließlich doch schwer und sie fiel in einen tiefen ruhigen Schlaf. Sie träumte von schnellen Autos die von einem rennenden Mann überholt wurde. Von hübschen Augen, die sie eigentlich gar nicht gesehen hat. Von sinnlichen Lippen, von denen sie gerne naschen wollte. Sie seufzte im Schlaf und dreht sich zur Seite. Der Mond verschwand aus dem Blickwinkel und so wie er weiterzog, löschte er das natürliche Licht im Zimmer. Den plötzlich auftauchenden Schatten vor ihrem Fenster, nahm sie schon gar nicht mehr wahr.
John Laureate schlenderte gerade über den Marktplatz von Burghtown, als ihm eine wunderschöne junge Frau auffiel. Sie nippte gerade genüsslich an ihrem Milchkaffee. Dabei blieb eine kleine Schaumkrone an ihrer Oberlippe hängen. Sie bemerkte jedoch den kleinen süßen Schaumbart nicht und beobachtete weiterhin unbeschwert das bunte Treiben auf dem Marktplatz. Wie gerne hätte er ihr den Schaum von den Lippen geküsst. Bei jeder ihrer Kopfbewegung spielten die Sonnenstrahlen mit ihren braunen Haarsträhnen. Ihre leichten Wellen wippten hin und her und diese blaue Augen erst. In seinem ganzen Leben, das wahrhaftig schon lang andauerte, hatte er solche Augen noch nie gesehen. John verlangsamte seinen Schritt und blieb schließlich stehen, er konnte nicht den Blick von ihr abwenden. Lässig lehnte er sich gegen die Straßenlaterne und beobachtete das Schauspiel. Plötzlich hatte sie ihn entdeckt und er konnte nicht anders als zu grinsen und zwinkerte ihr zu. Verunsichert schaute sie sich um. Hach sie war wirklich eine Schönheit. Wie sie wohl hieß und woher sie kam, denn sie ist ihm hier noch nie aufgefallen. Schnell wechselte er den Platz. Er beobachtete sie lieber, ohne dass sie davon wusste. Er erkannte es gleich an ihrer Körperhaltung, dass sie eine starke Persönlichkeit besaß. Dank seiner Schnelligkeit, die nicht natürlicher Herkunft war, hatte sie seinen Standortwechsel nicht bemerkt. Irritiert sah sie sich um und suchte die Umgebung ab. Sie sah so verlassen und verletzlich aus. John hatte beschlossen ihr zu folgen, denn er war so von dieser Frau fasziniert, das er gar nicht anders konnte. Er war ihr hoffnungslos verfallen. Das ist ihm in den ganzen 165 Jahren nicht passiert. John stammte von einer uralten und fürstlichen Vampir - Familie ab. Die Ahnentafel reichte bis ins 18. Jahrhundert zurück. Ursprünglich stammten er und seine Landsleute aus dem alten Teile Frankreichs. Doch Anfang des 19. Jahrhundert wurden sie von Jägern, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, Vampiren den gar auszumachen, aus Frankreich vertrieben und fanden nach langer Suche in Amerika eine neue Heimat. Hier konnten sie unentdeckt und unerkannt unter dem Menschenvolk leben. John und seine Familie waren zwar Vampire, aber hatten nichts mit denen gemeinsam, die die Menschen einst erfanden. Natürlich konnten sie auch am Tage wenn die Sonne schien auf der Erde wandeln. Sie konnten auch Kirchen betreten und die Sache mit den Kreuzen war der größte Humbug. Sie ernährten sich auch nicht von Jungfrauen, auch wenn die Menschen diesen Glauben hartnäckig am Leben erhielten. Sie besaßen zwar die berühmten messerscharfen Eckzähne, typisch für ihre Spezies, aber sie benutzten sie schon lange nicht mehr. Sie hatten über Jahrhunderten eine Technik entwickelt, die diesen irrsinnigen Blutrausch überflüssig machte. Sicherlich. Es gab natürlich auch solche, die sich hartnäckig an ihrer alten Tradition festhielten und auch nicht bekehren ließen. Das waren aber keine Vampire, das waren Manchmal sorgte sich John über dieses Problem, denn auch seine Immunität war dadurch gefährdet. Er hatte sich seinen Platz in der Gemeinde hart erarbeitet und war nun am höchsten Posten in seiner Firma angekommen. Er hatte den Sessel des Geschäftsführers vor einem Jahr übernommen. Sein Vorgänger war in Rente gegangen und John hatte sich für diesen Job beworben. Seine Zeugnisse waren so überzeugend, dass er noch während des Vorstellungsgesprächs den Job hatte. Nun saß er mitten in Burghtown im größten und höchsten Gebäude der Firma Stonewell. Stonewell entwickelte für andere Firmen teure Sicherheitssoftware, die es den Hackern besonders schwer machte in den Betriebsgeheimnissen zu schnüffeln. Als letztes hatten sie den großen Automobilkonzern BMW an Land gezogen. Nun saßen Johns Mitarbeitern in ihren Büros und tüftelten an einer neuen Software, die verhindern sollte, dass Entwicklungs- und Designerpläne an die Öffentlichkeit geraten. Noch bevor der neue BMW auf der Teststrecke gefahren werden konnte, wurde er von Foto-Journalisten, den sogenannten Erlkönig-Jägernenttarnt. Doch der Ideendiebstahl in der Entwicklung war weitaus tragischer. Andere Autohersteller stellten Spione an, um dann die herausgefundenen Informationen für ihre eigene Entwicklung zu nutzen. Der Schaden ging in die Milliardenhöhe. John war aber mit seinen Mitarbeitern auf dem besten Wege, dieses Problem zu lösen und wenn es bedeuten würde, bis tief in die Nacht zu arbeiten, dann würden sie das auch tun, ohne wenn und aber. Sie arbeiteten fieberhaft an diesem Auftrag und gaben ihr bestes. John überarbeitete zum Feierabend hin die Fortschritte und war deshalb immer der letzte seiner Crew der die Firma verließ, nur die Putzkolonne arbeitete bis tief in die Nacht und war verschwunden wenn die ersten Mitarbeiter morgens das Gebäude betraten. John fuhr müde nach Hause, am Rande von Burghtown. Doch dort wartete keiner auf ihn, niemand der in der Türe stand und sich freute, wenn er die Auffahrt hoch fuhr. Niemand der mit ihm am Tisch saß und ein gutes Essen genoss. Niemand mit dem er tiefgründige Gespräche führen konnte. Niemand mit dem man Blödsinn machen konnte. Er war allein. Natürlich hatte er genug Freunde und Bekannte, aber eine Frau an seiner Seite fehlte ihm. Er hatte wirklich keine hohen Ansprüche, was das Aussehen betraf. Er wollte nur eine Frau, die intelligent war, Humor besaß und das Gewisse etwas mitbrachte. Was genau, konnte John so gar nicht beantworten. Es musste einfach klicken, wenn er sie sah. Das war heute auf dem Marktplatz passiert. Und genau aus diesem Grund war er ihr mit seinem Auto gefolgt. Er wartete bis die Lichter im Haus ausgingen, kletterte an der alten Eiche hinauf und sah ihr die ganze Nacht beim Schlafen zu. Obwohl er nichts von ihr wusste, hatte er sich Hals über Kopf in sie verliebt. Nun hatte er aber die Bedenken, dass er sie mit seiner Stalkerei verunsichert hatte. Nun musste er einen Weg finden, wie er ihr näher kommen konnte, ohne dass sie schreiend das Weite suchte. Er schenkte sich ein Glas Wein ein, machte es sich schließlich auf seinem Sessel
bequem und verlor sich in seinen Gedanken.
Die große Mittagsflut war gerade vorüber und Mia hatte das große Chaos, das die hungrige Meute hinterlassen hatte, beseitigt, als die Tür mit Schwung geöffnet wurde. Der Dunst wirbelte vom Luftzug umher und die Gardinen an den Fenstern tanzten mit dem Wind. Erschrocken fuhr Mia herum und traute ihren Augen nicht. Das konnte doch nicht war sein. Da stand er wieder, der bestaussehendste Mann, der ihr jemals über den Weg gelaufen war und wieder stand er grinsend lässig an der Türe und sah sie mit seinen Augen tiefgründig an. Ihr blieb fast die Luft weg. John trat einen Schritt nach vorne und schloss die schwere Holztür. Wenn er jetzt noch einen Schritt näher kommt, dachte Mia, würde sie laut schreien. Und er kam einen Schritt näher, aber über Mias Lippen kam keinen Ton.
„Ich hätte gerne einen Kaffee“, sagte John „ bekomme ich den hier?“
„ Oh, da muss ich sie enttäuschen, wir verkaufen nur Büroartikel, Kaffee bekommen sie beim Buchhandel“, fauchte Mia John entgegen. John hob abwehrend die Arme „Das habe ich verdient“, meinte John, „ich muss sie gestern ganz schön verängstigt haben, wenn ich ehrlich bin war der Kaffee nur vorgeschoben, ehrlich gesagt, wollte ich sie wieder sehen, und mich bei ihnen entschuldigen“.
„ Das ist ja wohl das mindeste, nicht nur das sie mir gestern den ganzen Tag nachgestellt haben, sie waren auch unheimlich aufdringlich gewesen und das mag ich ganz und gar nicht. Und überhaupt, woher wissen sie denn wo ich arbeite und vor allem wohne.“, fragte Mia mit wachsender Panik.
„Bitte werden sie jetzt nicht böse“.
„Nicht werden? Da muss ich sie wohl enttäuschen, ich koche, ich brodele. Ich soll nicht böse werden? Das wäre verdammt noch mal harmlos ausgedrückt“, unterbrach Mia den Fremden und so wie sich ihre Verfassung verdunkelte, zogen draußen schwarze Wolken auf, in der Ferne konnte man den Donner grollen hören.
„Lassen sie es mich doch wenigstens erklären.“, beruhigte John und warf einen Seitenblich durch das Fenster. Mia verschränkte die Arme und konnte es kaum erwarten was der Rüpel nun von sich geben wollte.
„Nachdem ich sie gestern Abend auf dem Parkplatz so unglücklich angesprochen habe und mich Ihnen nicht mehr vorstellen konnte, bin ich ihnen nachgefahren“, das er ihr die ganze Nacht am Fenster beim schlafen zu gesehen hatte, verschwieg er lieber.
„Sie sind mir gestern gefolgt? Zu mir nach Hause“, japste Mia und nun übermannte die Angst komplett ihren zarten Körper, wenn sie so darüber nachdachte, das dieser Kerl nun wusste, wo sie wohnte und arbeitete, fühlte sie sich im Leben hier nicht mehr sicher. In Gedanken packte sie schon ihre sieben Sachen und verlies Benela Ville Hals über Kopf.
„Ja, aber bitte, glauben sie mir. Ich bin kein durchtriebener Serienkiller, ich bin auch kein Sexualtriebtäter. Ich bin nur ein Mann der es verlernt hat, eine Frau anzusprechen, um sie näher kennenzulernen“, unterbrach er Mias Gedankenfluss, er wirkte zerknirscht und diesmal war er es, der ihr nicht in die Augen schauen konnte. Mia konnte nicht glauben was sie da hörte. Endlich interessierte sich ein Mann für sie und dieser entpuppte sich als Psychopath. Mias Gedanken ähnelten dem eines Sturmes. Wilde Fetzen jagten ihr durchs Gehirn, zu schnell zum fassen. Ungeordnet. Das plötzliche Verlangen zu fliehen, diesen Ort hinter sich zu lassen. Diese Unruhe bemerkte auch John und es tat ihm in der Seele weh, alles falsch gemacht zu haben.
„Ist wohl besser wenn ich jetzt gehe, es tut mir wirklich sehr leid, dass ich sie verängstigt habe und das müssen sie mir glauben, das war das Letzte was ich erreichen wollte.“, und kaum hatte er es ausgesprochen, drehte er sich auf dem Absatz um und beim öffnen der Tür, schlug ihm der kalte Wind entgegen. Blätter wirbelten herein, die vom Regen aber sofort wieder am Boden kleben blieben und Mia blieb fröstelnd alleine im Diner zurück.
Tag der Veröffentlichung: 30.03.2014
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