Stenam saß an ihrem Stammplatz im Café Fallada und wartete darauf, dass die Märchen zu ihr kämen.
Manchmal fragten die Kinder sie, ob sie sich nicht schnell eine Geschichte ausdenken könnte, aber dann antwortete sie stets: „Ach, ich könnte doch gar nichts erfinden, das auch nur halb so schön wäre wie die Wirklichkeit. Nein, ihr und ich, wir müssen geduldig sein und warten, bis das Leben kommt und uns etwas ins Ohr flüstert. Da müsst ihr ganz leise sein und gut hinhören, sonst entgeht euch womöglich eine Geschichte, und das wäre doch schade – nicht wahr?“
Die Eltern mochten es nicht, wenn ihre Kinder mit der Märchenfängerin sprachen. Das lag daran, dass Stenam ein samtig braunes und ein leuchtend blaues Auge hatte. Außerdem schien es den Erwachsenen absonderlich, dass sie über ihrem eisengrauen, aufgetürmten Haar immer ein Netz mit Laub, Rosenblättern und Muscheln trug. Die Kinder jedoch liefen jeden Nachmittag ins Café Fallada, schauten Stenam zu, wie sie heiße Schokolade trank und ließen sich von ihr ins Märchenland führen.
Heute hatte die kleine Karina ihre Cousine mitgebracht und stellte sie Stenam vor: „Das ist Anaïs. Sie kommt aus Paris. Das ist die Hauptstadt von Frankreich.“
Da beugte sich die Märchenfängerin lächelnd vor und fragte: „Ach, das ist ja toll! Und sprichst du denn auch unsere Sprache?“
Anaïs nickte und sagte, in einem leicht singenden Tonfall: „Ja, ich kann euch ganz gut verstehen.“
Da lächelte Stenam noch einmal und hakte nach: „Wenn du aus Paris kommst, kennst du denn dann auch Monsieur Laligne?“
Diesmal schüttelte das französische Mädchen den Kopf und erklärte: „Nein, aber es wohnen doch so viele Menschen in Paris, dass man die gar nicht alle kennen kann. Die Stadt ist so groß, dass man überall nur Häuser sieht, selbst wenn man bei einem Wolkenkratzer aus dem fünfzehnten Stock schaut. Wer ist denn Monsieur Laligne?“
Stenam nahm noch einen Schluck heiße Schokolade und begann zu erzählen: „Monsieur Laligne ist ein Maler am Pont Neuf. Das ist eine große Brücke über den Fluss in Paris, die Seine. Es gibt ganz viele Maler in Paris, müsst ihr wissen, aber der Monsieur Laligne ist jemand ganz besonderes. Er ist ein „Wassermaler.“ Die Kinder schauten die Märchenfängerin fragend an.
Darum fügte Stenam hinzu: „Ach, jetzt habt ihr wohl keine Ahnung, was ein Wassermaler ist? Ja, da müsst ihr zuerst wissen, dass alle Maler eine kleine Palette mit sich tragen, auf die sie die verschiedenen Farben tupfen, bevor sie die Pinsel dort hineinstecken. Dazu haben sie eine Staffelei und einen Rahmen, in den sie das leere Bild hängen, damit sie darauf malen können. Jetzt müsst ihr wissen, dass es auf Monsieur Lalignes Palette nur blaue Farben gibt. Hellblau, dunkelblau, blaugrau, blaugrün – alle Blautöne, die ihr euch nur denken könnt, aber keine anderen Farben. Die braucht er auch gar nicht. Er malt nämlich die Seine–also den Fluss – sauber.“
An dieser Stelle rief Karina ungeduldig dazwischen: „Was soll das denn heißen?“
Da zwinkerte Stenam ihr mit dem blauen Auge zu und meinte: „Überlegt mal: Anaïs hat gesagt, dass so viele Menschen in Paris leben, dass man sie gar nicht alle kennen kann; und so viele Menschen verursachen auch ganz viel Schmutz. Er liegt nicht nur in den Straßen, nein, auch der Fluss wird schmutzig, wenn Müll hineingeworfen wird und dazu noch Abwasser kommen. Dann ist die Seine gar nicht mehr blau, sondern braun, und sie stinkt, und es können gar keine Fische mehr darin leben.
Das haben die Leute dort natürlich gemerkt, und es gefiel ihnen gar nicht. Ja, und eines Tages kam ein Fremder mit Jedermann-Gesicht daher, und das war der Monsieur Laligne; der sagte, er könne die Seine saubermalen. Die Leute lachten ihn aus, weil sie ihn für verrückt hielten, aber er nahm sich einfach ein Klappstühlchen, Palette und Staffelei, setzte sich am Pont Neuf ans Flussufer und begann, auf seiner Leinwand herumzupinseln. Und siehe da! Wenn er den Fluss auf seinem Bild blau malte, dann wurde die Seine wieder sauber und das Wasser auch wieder blau.“
Jetzt meldete sich Stachu, der jüngste, aber auch pfiffigste unter den Kindern, die im Café waren, zu Wort: „Ja, aber das geht doch gar nicht, einen Fluss über ein Bild blau zu machen! Wenn ich nachmittags einen Himmel mit Mond und Sternen male, wird es doch auch nicht gleich dunkel!“
„Ja sicher“, pflichtete die Märchenfängerin ihm bei, „deshalb haben ja auch am Anfang alle über Monsieur Laligne gelacht; und als dann die Leute sahen, dass es trotzdem genauso funktionierte, wie ihnen das der Maler versprochen hatte, da fragten sie sich – genau wie Stachu – wie denn das wohl möglich war. Sie versuchten daher, Monsieur Laligne auszufragen, aber der machte aus dem ganzen Vorgang ein großes Geheimnis.“
„Haben sie es denn noch herausgefunden?“ rief Jana-Lena dazwischen.
Verschwörerisch lächelnd legte Stenam den Finger auf die Lippen und sagte: „Wart’s nur ab! Wie gesagt, der Maler schwieg sich über dieses Kunststück aus, und das machte die Menschen unzufrieden. Kurz und gut, sie wollten – auf Teufel komm raus – ergründen, was es mit der ganzen Malerei auf sich hatte. Außerdem bezahlten sie ihm ja auch Geld für seine Arbeit. Ohne viel Federlesens stellten sie Pantin, einen stadtbekannten Taschendieb, in ihren Dienst. Monsieur Laligne muss nämlich ganz normal schlafen wie wir auch, und Pantin sollte für eine Nacht die Malsachen stehlen, damit andere Künstler sie untersuchen konnten. Bei Morgengrauen sollte dann alles wieder an seinem Platz sein, als wäre nichts geschehen.“
„Und haben sie etwas herausgefunden?“ fragte Stachu mit großen Augen. Stenam lachte, und es klang wie ein Windspiel, das von einer Brise gestreift wurde. „Oh“, meinte sie, „die Leute haben einerseits etwas gefunden und andererseits auch wieder nicht. Die ganzen Utensilien waren nämlich völlig alltäglich, ganz normal! Da wurde klar, dass das Saubermalen des Flusses direkt etwas mit Monsieur Laligne zu tun haben musste, und den Menschen in Paris war das ein wenig unheimlich.
Am nächsten Morgen stürmten sie abermals mit ihren Fragen auf den Wassermaler ein, bis dieser endlich doch eine Erklärung abgab: „Ich bin nichts anderes als das Zeichen für euer Bemühen. Wenn ihr wollt, dass der Fluss sauber wird und ihr euch wirklich dafür anstrengt, dann bin ich für euch da; wenn es euch aber gleichgültig ist, ob das Wasser verschmutzt wird, dann verschwinde ich zusammen mit eurem Interesse.“
„Das ist alles?“ fragte Karina und klang ein wenig enttäuscht.
„Was hast du erwartet?“ gab Stenam darauf freundlich zurück. „Dachtest du, man könnte jedes Problem eins-zwei-drei mit einem Zauberspruch lösen? Nein, so leicht geht das leider nicht. Monsieur Laligne ist so etwas wie ein Spiegel, in dem die Menschen das Verantwortungsgefühl für ihre Umwelt sehen können.“
Da meinte Anaïs, die einfach nur still zugehört hatte: „Ich habe aber noch nie diesen Maler am Pont Neuf gesehen, und besonders sauber ist das Wasser in der Seine auch nicht.“
Daraufhin blickte Stenam die kleine Französin sehr ernst an und sagte: „Scheinbar haben die Menschen Monsieur Laligne vergessen, und er ist deshalb verschwunden. Da seht ihr, wie wichtig die Geschichte ist. Ihr müsst sie den Kindern und den Erwachsenen weitererzählen, und vielleicht kehrt er eines Tages zurück. Womöglich kommt er auch hierher, denn es gibt außer der Seine noch viele Flüsse mehr, die er saubermalen könnte.“
Es war ein schöner Tag im Café Fallada gewesen. Die Kinder waren zum Abendessen nach Hause gegangen. Während Herr Dienlich das benutzte Geschirr forträumte, erhob sich Stenam, streifte ihre weißen Damenhandschuhe über und schickte sich an, nach Hause zu gehen.
An der Eingangstür blieb sie stehen, blickte hinaus und meinte, sich zum Kellner umwendend: „Schauen Sie nur! Ist das Mädchen dort hinten neu in unserem Viertel?“
Herr Dienlich nickte wie eine aufgeregte Fahne im Wind.
„Sie heißt Liu“, erklärte er, „und ihre Eltern sind vorletzte Woche zwei Stationen über mir eingezogen.“
„Schau an. Nun gut, dann bis morgen.“, lächelte die Märchenfängerin.
Der Kellner seinerseits ahnte, was jetzt geschehen würde. Immerhin kannte er „seine Stenam“ ja schon seit so vielen Jahren, dass sie ein wesentlicher Teil seines Lebens war.
Und er behielt Recht. Die Märchenfängerin trat aus dem Eingang des Café Fallada und ging auf das - noch - fremde Mädchen zu. Dieses hatte gerade eine Münze in einen Süßigkeitenautomaten geworfen, der schräg gegenüber an einer Hauswand hing.
„Hallo“, grüßte Stenam.
Das Kind drehte sich um und erwiderte die Geste ein wenig schüchtern
Als sie jedoch sah, dass da eine Frau stand, die ein Blätter- und Muschelnetz über dem Haar trug und dazu ein braunes und ein blaues Auge hatte, da wurde sie neugierig und sagte: „Der Automat, der hat gerade zwei Schokoriegel statt einem ausgespuckt. Möchten Sie den zweiten?“
Die Märchenfängerin nahm das Angebot dankend an, nickte zum Automaten hin und erklärte: „Scheint, als wäre das Gerät ähnlich freigiebig wie sein großer Bruder.“
Nun schaute Liu ganz überrascht drein und fragte ungläubig: „Bruder? Wie geht das denn bei einer Maschine? Und was soll „freigiebig“ heißen?"
Stenam dachte kurz nach und fuhr fort: „Gut, ich will es dir erklären. Vor ein paar Jahren stand in einer Bibliothek ein Automat, der war viel größer als dieser hier. Dort konnte man nicht nur Süßigkeiten, sondern auch warme Getränke bekommen. Dieser Automat stand gleich unten am Eingang, wo es auch ein paar Tische und Stühle gab, an denen man jeden Tag kostenlos die Tageszeitung lesen konnte.
Genau dort saß regelmäßig ein Mann und studierte die Stellenanzeigen. Er war nämlich schon lange arbeitslos und wollte unbedingt in den Beruf zurück. Der Mann lebte alleine und hatte nur wenig Geld; das sah man schon an den fadenscheinig gewordenen Ellenbogen seines Jacketts.
Eines Tages, es war mitten im Winter, kam der Mann – vor Kälte schnatternd – zur Eingangstür der Bibliothek herein. Durchgefroren, wie er war, schaute er sehnsüchtig nach dem Automaten, aber er wusste, dass er sich kein warmes Getränk leisten konnte.
Als nun der Automat sah, wie schlecht es dem Mann ging, bekam er Mitleid. Mit einem leisen Plopp! ließ er in seinem Inneren einen Becher nach unten fallen, goss heiße Brühe hinein, öffnete das Fach, in dem der Becher stand, und bot dem Mann die Suppe an.“
Mit riesengroßen Augen blickte Liu gebannt die Märchenfängerin an und wollte wissen: „Was passierte dann?“ Da sprach Stenam: „Wen wundert’s? Der Ärmste konnte seinen Augen kaum trauen. Trotzdem nahm er das Geschenk dankbar an. Und natürlich erzählte er seinen Freunden die Geschichte, und die erzählten sie wiederum anderen weiter. In den Tagen darauf kamen mehr und mehr Menschen, denen es ähnlich oder noch schlechter als dem armen Mann ging; sie alle baten den Automaten, ihnen doch etwas abzugeben.“
„Hat er das getan?“ schaltete Liu sich ein.
Da schloss Stenam ihr braunes Auge und bestätigte: „Oh ja, das hat er. Es war schlimm für ihn, Leid und Elend mit anzusehen, und er schenke alles fort, was er besaß, bis er leer war. Nun muss man sich vorstellen, dass die Angestellten in der Bibliothek verärgert waren, weil sich „lichtscheues Gesindel“ – wie sie es nannten – in ihrer Einrichtung herumtrieb. Noch schlimmer war es mit der Firma, die die Getränke und Süßigkeiten lieferte; sie weigerte sich rundweg, den Automaten wieder aufzufüllen.
Der Hersteller war unglücklich über diesen Automaten, der nicht so funktionierte, wie man das von ihm erwartete und wollte das Gerät schon auf den Müll werfen. Im letzten Moment kamen eine Frau und ein Mann mit einer besonderen, einer rettenden Idee zu ihm.“
„Ach?“ machte Liu und atmete auf, während Stenam fortfuhr: „Die beiden sagten, sie seien die Leiter einer Suppenküche für Bedürftige. Da die Essensvergabe immer nur zu den Hauptmahlzeiten stattfand, wünschten sie sich als Ergänzung zu diesem Angebot einen Automaten.
Man kann sich denken, wie erleichtert der Hersteller war, und er gab das „Sorgenkind“ unter seinen Geräten mit Kusshand fort. So kam es, dass der freigiebige Automat schon drei Tage später in der besagten Suppenküche stand – und dort durfte er endlich so handeln, wie es ihm in der Natur lag, zum Vorteil von allen.“
Da strahlte Liu die Märchenfängerin an und rief: „Das ist gut, dass die Sache so ausgegangen ist. Wissen Sie viele solche Geschichten?“
„Nun“, Stenam spitzte den Mund, „wissen kann man das nicht nennen. Manchmal kommen halt die Geschichten zu mir, stumm, klopfen mir auf die Schulter und wollen, dass ich ihnen meine Stimme leihe. Am liebsten sitzen sie nachmittags mit mir dort drüben im Café Fallada, mit ein paar anderen Kindern.“
„Ich werde morgen hinkommen“, versprach Liu und fuhr mit dem Zeigefinger noch einmal über die Oberkante des Süßigkeitenautomatens.
Dann erklärte sie der Märchenfängerin: „Wenn ich später mal arbeite, will ich den Menschen auch etwas geben und ihnen helfen.“
Kam es ihr nur so vor, oder lächelte der Ausgabeschlitz des Automatens?
Auch heute saß die Märchenfängerin Stenam wieder im Café Fallada, trank eine heiße Schokolade und schaute zum Fenster hinaus. Von den vielen Kindern, die sie sonst umringten, war heute nur Jaromir da, denn es regnete schon den ganzen Tag in Strömen, und kaum jemand mochte bei so einem Wetter vor die Tür treten. Kein Wunder also, dass es ungewöhnlich still im Café war – man konnte sogar die große hölzerne Uhr, die an der Wand hing, ticken hören. Just in diesem Moment schlug es vier. Dies wurde angezeigt, indem ein bunt bemalter Holzkuckuck aus einem Türchen über dem Ziffernblatt ausfuhr und laut seinen unverkennbaren Ruf von sich gab.
Da griente der kleine Jaromir: „Die Uhr finde ich lustig! Du auch? Ich hab schon ganz oft drauf gewartet, dass der Vogel herauskommt.“
Stenam nickte so eifrig, dass die Muscheln in ihrem Haarnetz klimperten, rieb sich das braune Auge, als habe sie Traumsand darin und antwortete: „Oh ja, so eine Kuckucksuhr ist schon etwas Besonderes! Weißt du denn auch, wie es überhaupt dazu gekommen ist, dass es solche Uhren gibt?“
Jaromir, der bei der Märchenfängerin eine neue Geschichte witterte, meinte: „Nein, aber das wirst du mir doch ganz bestimmt erzählen, nicht?“
„Aber natürlich sollst du das zu hören bekommen, denn das ist eine ganz besondere Geschichte. Also, pass auf: Das ganze fing im 18. Jahrhundert an; das ist schon so lange, dass da noch nicht einmal die Oma von deiner Oma geboren war. Damals haben die Menschen ganz anders gelebt, musst du wissen. Es gab keine Autos, keine Fernseher, keine Radios, überhaupt keinen Strom und auch keine Fabriken. Wenn die Leute reisen wollten, mussten sie reiten oder Kutschen hinter die Pferde spannen. Solche Sachen wie gute Kleidung, Parfum und alles, was man nicht zu Hause herstellen konnte, wurde in kleinen Werkstätten gefertigt, nicht in großen Frabriken wie heute. Das galt auch für Uhren; es gab Uhrmacher, die jedes Uhrwerk einzeln und von Hand fertigten.
Nun lebte damals irgendwo im Schwarzwald ein Junge, der hieß Zacharias und ging bei einem solchen Uhrmacher in die Lehre, denn an und für sich gefiel ihm dieser Beruf sehr gut. Das Dumme mit Zacharias war nur, dass er selber immer ganz fürchterlich unpünktlich war und morgens ständig verschlief – stell dir das mal vor, ausgerechnet bei seiner Arbeit!“
Jaromir machte große Augen und fragte neugierig: „Ja, hatte er denn keinen Wecker? Dann hätte er doch gar nicht verschlafen können!“
„Tja“, seufzte Stenam, „sein Meister, also sein Lehrer, der war schon ganz verzweifelt und verärgert, weil Zacharias immer so tief schlief, dass er nicht einmal das Klingeln eines Weckers hörte! Der Meister war schon nahe dran, seinen Lehrling hinauszuwerfen. Dann geschah jedoch etwas, das Zacharias seinen Ausbildungsplatz rettete.“
„Was denn?“ platzte Jaromir ungeduldig heraus.
„Nun, es war eines abends, dass Zacharias in den nahen Wald ging und dort einen verletzten Kuckuck fand. Der Vogel hatte sich den Flügel gebrochen. Der Uhrmacherlehrling hatte Mitleid mit dem Tier, nahm es mit nach Hause und schiente ihm den Flügel, so gut er konnte. Und siehe da! Der Kuckuck hatte Glück; die Wunde verheilte sogar so gut, dass er wieder richtig fliegen konnte. Als der Vogel aber ganz gesund war, kehrte er nicht einfach so in den Wald zurück. Nein, jeden Morgen um Schlag 6 Uhr kam er zu Zacharias ans Schlafzimmerfenster geflattert und rief dort genau sechsmal Kuckuck! Da konnte der sonst so unpünktliche Lehrling nicht mehr verschlafen und war fortan immer rechtzeitig bei der Arbeit.“
„Ja, aber wieso gibt es jetzt Kuckucksuhren, wenn der doch immer einen echten Vogel am Fenster hatte?“ hakte Jaromir – scharfsinnig wie immer – nach.
Da fuhr sich die Märchenfängerin durch ihr eisengraues Haar und erklärte: „Die Sache wird jetzt ein bisschen traurig. Weißt du, Vögel können nicht so alt wie Menschen werden, und nach ein paar Jahren merkte Zacharias, wie sein Kuckuck langsam schwächer wurde. Da wusste er, dass sein Vogel nicht mehr lange zu leben hatte und war deswegen ganz unglücklich. Ein bisschen Angst hatte er auch, dass er dann wieder verschlafen und unpünktlich sein würde. Das wäre damals ganz schlimm gewesen, weil er nämlich eine Prüfung abzulegen hatte, um ein richtiger Uhrmacher zu werden. Außerdem musste er für diese Prüfung eine Uhr bauen, etwas Besonderes, damit er beweisen konnte, dass er sein Handwerk richtig gelernt hatte.
Das alles kam damals zusammen, und du kannst dir vielleicht denken, dass Zacharias richtig aufgewühlt von der ganzen Lage war. Ausgerechnet da kam ihm plötzlich die Idee, eine Uhr mit einem Holzkuckuck darin zu bauen. Er machte sich gleich an die Arbeit, setzte alle Zahnräder, und was sonst zu einem Uhrwerk gehört, zusammen und hatte schon bald eine wunderschöne Kuckucksuhr entwickelt, die auch ganz so wie diejenigen funktionierte, die man heute noch kennt.“
„Und hat er seinem Vogel die Uhr gezeigt?“ wollte Jaromir wissen.
Daraufhin sah ihn die Traumfängerin ernst an und sprach: „Das hatte Zacharias vor, aber es kam anders. Am nächsten Morgen war es nicht sein gefiederter Freund, der ihn weckte, sondern der Holzkuckuck in der Uhr. Da gab es für ihn keinen Zweifel, dass der echte Vogel gestorben war. Natürlich musste Zacharias weinen und ging mit ganz roten Augen in seine Prüfung. Dem Lehrmeister und den anderen Gutachtern fiel das allerdings gar nicht auf, denn sie waren viel zu begeistert von der Kuckucksuhr. Sie überhäuften den Lehrling mit Lob, der natürlich die Prüfung mit Bravour bestand, und schon bald wurden überall ähnliche Modelle von Uhren verkauft. Zacharias war der Ruhm jedoch unangenehm, und er hielt sich immer im Hintergrund; er wusste, dass es sein Kuckuck allein war, dem er den ganzen Erfolg zu verdanken hatte.“
Als Stenam geendet hatte, musste auch Jaromir ein Tränchen verdrücken, und betrübt forderte er dazu: „Ich will aber nicht, dass der Vogel sterben musste. Dann hätte ich’s lieber, die Kuckucksuhr wäre gar nicht erfunden worden!“
Verständnisvoll lächelte die Märchenfängerin dem Jungen zu und meinte: „Nein, den Tod vom Kuckuck würde wohl niemand wollen, aber dagegen kann man nichts machen. Alles, was lebt, muss einmal sterben, und Zacharias hat sich ganz richtig verhalten. Zuerst hat er versucht, das Leben des Vogels zu verlängern, als dieser verletzt war, und sich dann an seiner Gegenwart erfreut, so lange er konnte. Zum Schluss aber hat er das Andenken des Vogels mit seiner Uhr in Ehren gehalten. Natürlich hat der Kuckuck ihm letzten Endes auch genutzt, aber darum ging es ihm nicht. Weißt du, Zacharias mag seine Schwächen gehabt haben, was Pünktlichkeit angeht, aber etwas viel Wichtigeres hat er verstanden: wie wertvoll es ist, Hilfe zu nehmen und zu geben."
Es war wieder einmal Märchenstunde im Café Fallada: Stenam saß bei ihrer heißen Schokolade, und eine Handvoll Kinder umringten sie. Alle hatten ein kleines Eis vor sich stehen, und es ging lustig zu wie immer. Plötzlich jedoch schwang die Eingangstür zum Café auf, und der kleine Jaromir kam heftig schluchzend herein.
Schweigend stand Stenam auf und nahm den Jungen erst einmal tröstend in die Arme, während dieser mehrfach rief: „Es tut mir doch so leid! Das hab ich nicht gewollt!“
Erst, als Jaromir sich ein ganz bisschen beruhigt hatte, forschte die Märchenfängerin nach: „Was ist denn passiert?“
Da schluchzte der Gefragte noch einmal und setzte an: „Ich habe Hannes Drachen kaputtgemacht. Ich wollte ihn auch mal halten, aber ich hab die Leine losgelassen – da ist er in eine Baumkrone geflogen und kaputtgegangen.“
„Oje“, meinte Stenam, „da musst du dich jetzt bei Hannes entschuldigen und ihm einen neuen Drachen kaufen.“
„Aber das ist es ja gerade!“ rief Leopold. „Ich hab doch sofort gesagt, dass es mir ganz fürchterlich Leid tut, aber Hannes hat mich nur angebrüllt. Er will mir nicht verzeihen und überhaupt nicht mehr mein Freund sein.“
„Na“, bemerkte die Märchenfängerin und sah Jaromir aus ihrem blauen Auge an, „das scheint ja, als wäre Hannes dem „streitbaren Leopold“ ganz ähnlich.“
„Wem?“ schniefte der unglückliche Junge, und die anderen Kinder am Tisch spitzten die Ohren – in Erwartung einer Geschichte natürlich.
So begann die Märchenfängerin ihre Erzählung: „Ach, ihr habt noch nie vom streitbaren Leopold gehört? Wisst ihr, das war ein Mann, der im Mittelalter lebte, als es noch Ritter gab und die Könige und Fürsten in Festungen auf Hügeln und Bergen lebten.“
„War Leopold auch ein König?“ wollte die kleine Lena wissen.
Da schüttelte Stenam den Kopf, dass leise in ihrem Haarnetz die Blätter raschelten und die Muscheln klirrten. „Nein, nein“, gab sie an, „der streitbare Leopold war ein Seifensieder. Heute werden Seifen ja in Fabriken hergestellt, aber früher gab es einen richtigen Handwerksberuf dafür. Der streitbare Leopold nun war sehr angesehen, weil er Seifen machen konnte, die besonders gut dufteten und lustig schäumten. Sogar Leute von weit her kauften bei ihm!“
„Warum war er dann streitbar, wenn er soviel Erfolg hatte?“ hakte Jaromir nach, der seinen eigenen Zwist für den Moment vergessen hatte.
Stenam rieb sich nachdenklich über die Lippen und erklärte: „Ja, im Beruf wurde er geachtet, aber als Privatmensch war er gar nicht beliebt. Er konnte nämlich nicht verzeihen. Wenn ein Kind nur einen Apfel aus seinem Garten stahl, hetzte er seinen Wachhund hinterher. Händler, die ihm Zutaten für die Seifenherstellung schickten, zerrte er vor Gericht und klagte von ihnen Entschädigungen ein, wenn sie sich mit der Lieferung nur um einen Tag verspäteten.
Ein Bäcker namens Conrad war sein bester – und vielleicht einziger – Freund. Mit dem aber verdarb er es sich, als sie bei einem Kirchweihfest zu viel getrunken hatten. Da gerieten sie wegen irgendeiner Lappalie in Streit und schrien sich mit „Tölpel“ und „Dorfdepp“ an. Am nächsten Morgen wollte der Bäcker sich bei Leopold entschuldigen, aber der stellte sich stur und wollte nichts davon hören. Danach redeten sie ganze zehn Jahre lang kein Wort miteinander. Überlegt euch das einmal!“
„Ist der gemein!“ fand Kemal. „Den hätte ich bestimmt auch nicht gemocht.“
Verständnisvoll schaute Stenam den Jungen an und stimmte zu: „Ja, sicher, und so wie dir ging es damals auch seinen Mitmenschen. Mit einer Ausnahme. Der Bäcker Conrad, von dem ich schon gesprochen habe, hatte eine Tochter, die hieß Dorothea. Das Mädchen kannte Leopold gar nicht, weil ihr Vater sich ja mit ihm zerstritten hatte und sich die beiden noch immer aus dem Weg gingen.
Eines Tages nun war Markttag in der Stadt. Überall boten Händler ihre Waren an, ein Mann zog auf einem Podium Leuten mit Zahnschmerzen die Zähne, weil es damals noch keine richtigen Zahnärzte gab, und ein paar Gaukler jonglierten mit bunten Bällen. Dorothea war mit ihren zwei großen Brüdern unterwegs. Eigentlich durfte sie nicht mit ihnen alleine auf den Markt, aber sie hatten das Mädchen heimlich mitgenommen.“
„Ja, und was hat sie nun mit dem Leopold zu tun?“ wollte Karina ungeduldig wissen.
„Dazu komme ich gerade“, meinte Stenam. „Irgendwann verlor Dorothea ihre Brüder in der Menschenmenge und bekam Angst. Deshalb wollte sie schnell nach Hause. Sie drehte sich also um und setzte gerade dazu an, loszulaufen, da sah sie, wie ein Taschendieb in die Hosentasche eines Mannes griff – und was denkt ihr, wer da wohl bestohlen werden sollte?“
„Der streitbare Leopold!“ riefen die Kinder einstimmig, und die Märchenfängerin lachte, als streiche jemand über die Saiten einer Harfe.
„Richtig! Als Dorothea sah, was da vor sich ging, rief sie ganz laut: „Ein Dieb! Ein Dieb!“ und zeigte mit dem Finger auf den Spitzbuben.
Da gab es einen Tumult auf dem Marktplatz, und der Gauner wurde eingesperrt. Der streitbare Leopold rief noch dazu, er würde dafür sorgen, dass der Dieb seine gerechte Strafe bekäme. Dann drehte er sich zu Dorothea, nahm sie an die Seite und sagte: „Ich muss mich bei dir bedanken, daß du diesen Beutelschneider rechtzeitig entdeckt hast, sonst wäre ich mein Geld los gewesen. Dafür sollst du einen Thaler bekommen.“
Dorothea schaute natürlich ganz aufgeregt zu, wie der Mann seine Geldbörse öffnete und hinein griff. Plötzlich fragte sie: „Oh, was ist das denn für ein schöner Ring? Wenn der Dieb den gestohlen hätte, wäre das bestimmt schlimmer gewesen, als das Geld zu verlieren.“
Als das Mädchen das sagte, schaute der streitbare Leopold sie auf einmal ganz merkwürdig an, als habe ihn jemand mit einem spitzen Gegenstand verletzt.“
„Warum das denn?“ wollte Kemal wissen.
Stenam spielte gedankenverloren mit ihren weißen Sommerhandschuhen, die sie außerhalb des Cafés zu tragen pflegte und fuhr fort: „So etwas Ähnliches hat auch die kleine Dorothea gefragt, und der streitbare Seifensieder sah plötzlich gar nicht mehr zänkisch aus, sondern wirkte ganz verloren. Selbst seine sonst dröhnende Stimme klang brüchig, als er antwortete: „Der Ring hat meiner Liebsten gehört. Ich war mit ihr verlobt, aber sie hat mich verlassen und einen anderen Mann geheiratet.“
So, und was sagt euch das jetzt?“ hakte die Märchenfängerin nach.
Fragend zuckten die Kinder die Schultern.
Darum erklärte Stenam: „Die Sache ist doch folgende: Der streitbare Leopold war gar nicht von Natur aus ein streitsüchtiger Mensch, sondern er gab sich die Schuld daran, dass seine Verlobte sich von ihm abgewendet hatte. Ob sie das zurecht oder zu unrecht getan hatte, darüber dürfen wir nicht urteilen; jedenfalls konnte der streitbare Leopold sich selbst nicht verzeihen, und wem das bei sich selbst nicht gelingt, der kann auch anderen nicht vergeben.“
Dann wandte sich Stenam an den unglücklichen Jaromir: „Was ich damit sagen will: Wenn Hannes so heftig reagiert und deine Entschuldigung nicht annimmt, dann steckt vermutlich noch mehr dahinter. Vielleicht ist ihm heute etwas misslungen, so dass er noch wütend auf sich selbst ist. Sprich noch einmal mit ihm, wenn du den Eindruck hast, dass er sich beruhigt hat.“
Da nickte der Junge erleichtert und sagte: „Das werde ich machen – aber was ist jetzt eigentlich aus dem streitbaren Leopold geworden?“
Da glitzerten die Augen der Märchenfängerin – das braune, wie auch das blaue – und sie endete die Geschichte wie folgt: „Nun, der Seifensieder freundete sich mit dem Mädchen an. Als er später erfuhr, dass ausgerechnet der Bäcker Conrad Dorotheas Vater war, gab er seinem Herzen einen Stoß und versöhnte sich mit seinem früheren Kameraden. Da erst wurde ihm klar, wie einsam ihn seine Biestigkeit gemacht hatte, und er legte sie ab, wie ein altes Kleidungsstück. Und fortan hatte er auch einen anderen Spitznamen: Er war jetzt der „scherzende Seifensieder“.
Die Kinder hatten sich wieder einmal im Café Fallada versammelt und warteten ungeduldig darauf, dass sich die Märchenfängerin Stenam einstellte. Sie hatte ein wenig Verspätung, und der Kellner Herr Dienlich und die Kinder begannen schon, sich Sorgen zu machen. Endlich jedoch bog Stenam um die Ecke, wie immer ihr Haar mit einem Netz bedeckt; heute steckten ein paar Hagebutten darin. Natürlich trug sie ihre weißen Handschuhe, und beim gehen schwenkte sie ihren Stock mit dem Silberknauf. Eines war jedoch anders als sonst: Sie trug weder Kleid noch Rock, sondern einen zweiteiligen Hosenanzug, der längs schwarz-rot gestreift war.
Die Kinder und Herr Dienlich staunten nicht schlecht, so anders sah die Märchenfängerin heute aus – und zudem machte sie noch ein leicht verärgertes Gesicht, als sie die Tür zum Café aufdrückte, so dass ihr braunes und ihr blaues Auge funkelte.
„Tut mir leid, ihr Lieben! Ich bin auf dem Weg hierher aufgehalten worden. So ein dämlicher Autofahrer ist direkt neben mir durch eine Pfütze gefahren und hat mich von oben bis unten nassgespritzt. Da musste ich erst noch einmal zurück nach Hause und mich umziehen. Also, da fragt man sich doch wirklich, ob solche Leute nicht aufpassen können, oder ob die mich alle für Declan O’Shea halten!“
„Ob dich die Autofahrer für wen halten?“ schaltete sich Herr Dienlich ein und sprach damit den Kindern aus der Seele.
Diese Frage glättete Stenams Zornesblick und entlockte ihr sogar ein kleines Schmunzeln.
„Ah, Declan O’Shea, das ist ein Freund von mir, der in Irland wohnt.“
„Und was hat der mit Pfützen zu tun?“ wollte Marie-Lena wissen.
„Das werde ich euch gleich erzählen, aber jetzt brauche ich nach diesem Ärgernis erst einmal eine schöne heiße Schokolade. Wer möchte noch eine?“
Da brauchte die Märchenfängerin nicht lange zu fragen, und fünf Minuten später saßen alle wohlversorgt an ihrem Stammtisch. Jetzt endlich konnte Stenam mit ihrer Erzählung beginnen.
„Als Declan O’Shea noch ein kleines Kind war, da war er ganz fasziniert von seinem Spiegelbild, und er dachte, er könnte irgendwie zu seiner Reflexion hin, wenn er sich nur genug anstrengte. Darum tastete er erst an den Spiegeln in seinem Elternhaus heraum, drückte und klopfte und pochte dagegen – aber alles ohne Erfolg. Im Gegenteil. Zwei Spiegel gingen sogar zu Bruch, und das brachte ihm neben der Erkenntnis, dass er so nicht zum Ziel kommen konnte, noch eine hübsche Gardinenpredigt von seinem Vater ein.“
„Na, der war aber dumm! Das weiß man doch, dass Spiegelbilder nur ganz flach sind und nicht selber leben“, kommentierte Karina das Erzählte.
Gleichzeitig hakte Kemal nach: „Und was hat das dann mit Pfützen zu tun?“
„Dazu komme ich jetzt“, erklärte die Märchenfängerin. „Also, Declan war ja noch jünger als du jetzt, Karina, und da wusste er noch nicht, wie Spiegelungen von Natur aus beschaffen sind. Aber wie gesagt, er hatte herausgefunden, dass seine bisherigen Bemühungen offenbar nicht funktionierten. Aber Declan O’Shea war ein Sturkopf – das ist er noch heute – und er gab nicht auf. Stattdessen überlegte er sich, ob es woanders noch Spiegelbilder gab, mit denen man Versuche anstellen konnte. Na, und was denkt ihr, worauf er kam...?“
An dieser Stelle grinste Stenam herausfordernd in die Runde, und mehrere Kinder, welche die Antwort errieten, krähten vor Vergnügen: „Auf Pfützen!“
Da klopfte die Märchenfängerin lobend auf den Tisch und fuhr fort: „Genau. Er dachte sich: „Pfützen haben Spiegelbilder, und man kann in sie reintreten, das hab ich ja schon oft gemacht. Wenn ich da nur heftig genug springe, dann komme ich vielleicht durch auf die andere Seite.“ So, und dann stellt euch mal vor, was als nächstes passierte. In Irland regnet es oft, und deshalb gibt es dort nie einen Mangel an Pfützen. So schnappte sich denn der gute Declan seine großen, braunen Gummistiefel und suchte sich in seinem Heimatort eine Straße mit unebenem Schotter. Declan lebt übrigens noch heute in dem Dorf; mittlerweile sind die Straßen ganz glatt asphaltiert, aber damals waren die Wege noch nicht befestigt, und es gab richtig tiefe Riesenpfützen.“
„Ja, und was ist dann passiert?“ schnatterte Jaromir aufgeregt dazwischen. „Der ist doch wohl nicht wirklich in eine von den Pfützen reingesprungen!?“
„Ha!“ machte Stenam und stieß mit einem Zeigefinger in die Luft. „Genau das ist passiert. Declan hat so an die zwanzig Schritt Anlauf genommen, ist auf die Wasserlachen zugehechtet, mit voller Kraft abgesprungen, er kam erst auf der Oberfläche und dann auf dem Boden der Pfütze auf ... und dann knallte es auf einmal –WAM! – und die Erde gab unter ihm nach, als ob er durch eine Falltür fiele.“
„Was!“
„Aber das kann doch nicht!“
„Das ist ja verrückt!“
So plapperten die Kinder, die im Café Fallada beisammen saßen, aufgeregt durcheinander. Währenddessen nickte die Märchenfängerin energisch mit dem Kopf, dass die Hagebutten in ihrem Haarnetz hin und her wippten.
„Doch, doch“, fuhr sie fort, „genau so ist es geschehen. Für einen Moment war alles um Declan herum Wasser, und er sah durch die Flüssigkeit nur undeutlich, wie sein Spiegelbild lachend und winkend aus der entgegengesetzten Richtung an ihm vorbeischnellte. Tja, und dann gab es ein platschendes Geräusch, und Declan stand – nass von oben bis unten – in der Spiegelwelt. Ihr könnt euch denken, wie verwirrt er war.“
„Hat er sich denn dann alles angesehen, ob da alles verkehrt herum war und so?“ wollte Marie-Lena wissen.
Nun jedoch schüttelte Stenam den Kopf.
„Das hätte er sicherlich gerne getan“, meinte sie, „aber das war unmöglich. Immerhin war Declan ja in der Spiegelwelt und musste jetzt alles nachmachen, was ihm sein Abbild vorgab. Sie hatten gewissermaßen die Rollen getauscht!“
Die Kinder blickten allesamt ungläubig drein und warteten – gespannt wie die Flitzebogen – auf Stenams nächste Erklärungen.
„Na, das müßt ihr euch jetzt so denken: Egal, was Declans Gegenstück machte und ob da nun eine Pfütze oder ein Spiegel war, wodurch man sich sehen konnte, oder nicht – es gab da ständig einen Zwang bei Declan, der ihn alles exakt spiegelverkehrt kopieren ließ, was in unserer Welt vom Spiegelbild vorgegeben wurde. Zuerst schauten beide ganz verdattert, dann hüpften sie beide fröhlich herum (obwohl sich Declan gar nicht freute, dass er jetzt alles nachäffen musste), und schließlich marschierten beide Richtung Dorf.“
„Aber dieser Freund von dir, der hat das alles doch wieder rückgängig machen können, oder?“
„Na ja“, die Märchenfängerin legte ihre Stirn in Falten, „so einfach ging das nicht, weil Declan ja nichts selbst entscheiden konnte. Da musste schon die Entscheidung von seinem Spiegelbild kommen, dass jeder in seine Welt zurückkehren sollte.
„Und hat sich das Spiegelbild das überlegt?“ fragte Kemal staunend.
Dies brachte Stenam zum Lächeln, und sie erläuterte: „Weißt du, Kemal, man denkt ja oft, andere hätten es besser als man selbst. Kinder wollen erwachsen sein, und Erwachsene wollen Kinder sein – und so ähnlich hatten Declan und sein Spiegelbild auch übereinander gedacht. Dabei hatte sich keiner überlegt, dass auch beide Seiten ihre Nachteile haben. Declan sah schnell ein, dass es keinen Spaß machte, keinen eigenen Willen über sein Tun zu haben.
Doch auch sein Spiegelbild entdeckte schon ein paar Minuten eine Schattenseite seiner neuen Welt. Declan war als Kind nämlich in seinem Dorf ein Außenseiter, und alle hackten auf ihm herum – die Mädchen und die Jungs. Am schlimmsten trieben es für gewöhnlich der giftzwergige Toby Fitzpatrick und die grobschlächtige Nelly O’Sullivan mit ihm. Nun, und genau auf diese beiden stieß Declans Abbild. Jetzt muss ich dazusagen, dass in der Spiegelwelt alles gleich aussieht und sich alles nur seitenverkehrt verhält, aber man riecht und schmeckt und hört und spürt nichts.“
„Echt?“ warf Karina ein, und Stenam nickte, während sie fortfuhr: „Oh ja, und genau das sorgte bei Declans Spiegelbild für eine schmerzhafte Erfahrung. Toby Fitzpatrick und Nelly O’Sullivan hatten nämlich eine Zwille gebastelt.“
„Eine WAS?“ fuhr Jaromir dazwischen.
Also wiederholte die Märchenfängerin: „Eine Zwille. Das ist eine kleine Handschleuder; sie besteht aus einem kleinen gegabelten Ast, zwischen dessen Enden man ein Gummiband gespannt hat, und mit diesem Gummiband kann man dann kleine Geschosse abfeuern. Anfangs klappt es meist nicht mit dem Zielen, aber Toby und Nelly verstanden etwas vom Schießen mit einer Zwille, und in ihren Taschen hatten sie runde Steine und ein paar Kastanien als Geschosse gesammelt. Kaum hatten die beiden Kinder ihren „Feind“ entdeckt, da rannten sie auch schon auf das Spiegelbild zu und legten an.
Declans Spiegelbild wusste Nelly und Toby zwar einzusortieren, aber auf den Schmerz von Stein- und Kastaniengeschossen war es nicht vorbereitet. Gleich beim ersten Treffer heulte es auf und rannte weg, wie ihr euch sicher denken könnt. In der Spiegelwelt tat es ihm Declan, der nichts gefühlt hatte, natürlich nach. Als nun das Spiegelbild seine Peiniger abgeschüttelt hatte, war es sich keineswegs mehr sicher, dass es in unserer Welt bleiben wollte. So stand es eine Weile da, zweifelnd, einen Finger im Mund. Zum Schluss überlegte es sich, dass es lieber wieder zurückkehren und Declan nachahmen wollte, statt ihm umgekehrt jede Handlung vorzugeben. Das erschien im besser als irgendwelche Schmerzen. So kehrte das Spiegelbild zu der Pfütze zurück, durch die es gekommen war, sprang mit aller Wucht hinein und tauschte mit Declan erneut die Plätze.“
„Da waren sie dann beide froh, dass alles wieder beim Alten war, nicht?“ rief der kleine Jaromir.
Langsam nickte Stenam und merkte zwinkernd an: „Ich denke schon. Wobei Declan es vielleicht auch zwischendurch bedauert haben mag, wieder in seiner Welt zu sein. Als er nämlich nach Hause kam und pitsche-patsche-nass von der Pfütze war, hätte er es sich wohl gerne erspart, die Schimpfe seiner Eltern zu hören. Immerhin hatte er aber für sich an diesem Tag Erkenntnisse gewonnen, die ihm so leicht keiner glauben konnte. Aber so ist es oft mit verrückten Fragen und Ideen. Da steht man nämlich recht alleine, und manchmal kommt man zu Ergebnissen, die einem nicht recht gefallen – aber es kann sich ja auch lohnen und einen etwas völlig Unerwartetes entdecken lassen. Man weiß ja nie.“
Es war ein ganz besonderer Tag: In der Schule hatte es Zeugnisse gegeben, und daher konnte Stenam davon ausgehen, dass die Kinder scharenweise ins „Café Fallada“ strömen würden, um über ihre Noten zu sprechen. So wies die Märchenfängerin Herrn Dienlich an, auf zwei der sechseckigen Tische Schalen mit Keksen zu stellen. Der Kellner lächelte, fand einmal mehr, dass sein Arbeitsplatz der schönste der Welt war und tat eifrig, wie ihm geheißen.
Kaum zehn Minuten später kam ein richtiger Pulk von Kindern herein, unter ihnen Stachu, Marie-Lena, Jaromir, Kemal und Karina. Binnen Sekunden war die Luft im „Café Fallada“ von fröhlichem Geschnatter erfüllt. Einzig Marie-Lena hielt sich still abseits. Das entging Stenam natürlich nicht.
Darum nahm sie das Mädchen an die Seite und fragte: „Na, welche Fächer sind es denn?“
Marie-Lena bekam ganz feuchte Augen und sagte, schwer schluckend: „Mathe und Sachkunde. Da hab ich eine Vier minus.“
„Oje, und hast du schon mit deinen Eltern gesprochen?“ fragte die Märchenfängerin.
Verlegen wickelte sich das Mädchen eine rotblonde Locke um den Finger und antwortete: „Nein, das kann ich so nicht machen. Mama wohnt doch jetzt ganz weit weg, und ich mag darüber nicht am Telefon mit ihr reden. Ja, und Papa, der kommt erst heute abend ganz spät von der Arbeit – dann ist er bestimmt müde. Da muss ich warten und den richtigen Moment erwischen, bis ich ihm das mit dem Zeugnis sagen kann.“
Dies brachte Marie-Lena einen sehr ernsten Blick von Stenams blauem Auge ein, und die Märchenfängerin warnte sie: „Du weißt bestimmt selbst am besten, wie du dich verhalten musst, aber gib acht darauf, dass es dir nicht am Ende ergeht wie dem „lüttjen Frederik“!“
Wie es vonstatten ging, dass die Kinder jedesmal sofort mitbekamen, wenn sich eine neue Geschichte anbahnte, war ein Rätsel; jedenfalls war es auch jetzt von einer Sekunde auf die nächste still im „Café Fallada“ geworden.
Marie-Lena brauchte nur noch zu fragen: „Was war denn mit dem „lüttjen Frederik“?, und es entspann sich eine neue Geschichte.
„Irgendwo auf dem flachen Lande gibt es ein Dorf namens Wollenhusen, und dort lebte einmal ein Junge, den die Leute den „lüttjen Frederik“ nannten, weil er immer für sein Alter der kleinste war. Aber so kurz geraten sein Körper auch war, so große Träume hatte er. Wenn man ihn fragte, welchen Beruf er denn einmal lernen wollte, dann rief er: „Ich will Momentsucher werden!“
„Was ist das denn für eine Arbeit?“ wollte Stachu – von den anwesenden Kindern selbst der kleinste – wissen.
„Jaaa“, fuhr Stenam fort, „die Leute in Wollenhusen konnten sich auch keinen Reim darauf machen und lachten den Jungen insgeheim aus. Doch als der „lüttje Frederik“ älter wurde, änderte sich das. Wenn jemand im Dorf ein Problem hatte, kam er vorbei und erzählte davon. Dann stellte sich Frederik hin und sagte den Menschen, die bei ihm Hilfe suchten, er würde den richtigen Moment für sie aufspüren, wann sie auf irgendeine Art handeln könnten. Egal, ob es darum ging, wann man wohl bei wechselhaftem Wetter am besten die Kartoffeln setzen sollte oder ob ein heranwachsendes Kind mit den Eltern darüber reden musste, dass es in der Stadt studieren wollte – der „lüttje Frederik“ fand für alle und alles immer den passenden Augenblick. Mit einer Ausnahme.“
„Welche?“ kam es von den Kindern, und Stenam gab zurück: „Die Ausnahme war er selbst. Er hatte sich nämlich in eine junge Frau namens Johanna verliebt. Er hatte den Eindruck, dass sie ihn auch mochte. Weil er jedoch so klein war, glaubte er, dass sie eigentlich nur Mitleid mit ihm empfand. Er wollte ihr unbedingt sagen, wie viel sie ihm bedeutete, um alles zu klären. Dafür suchte er nach dem richtigen Augenblick.“
„Und was passierte?“ fragte Marie-Luise mit großen Augen.
„Nun“, fuhr die Märchenfängerin fort, der „lüttje Frederik“ stellte sich auf den Marktplatz von Wollenhusen, weil Johanna dort oft vorbeikam; da stand er also, ganz still, und wartete. Die Momente und Augenblicke kamen und gingen, manchmal offen dahinschlendernd, dann wieder eilig und verstohlen. Es war jedoch alles egal; keine Gelegenheit erschien Frederik gut genug, und er wartete auf eine bessere. Immer länger stand er dort bewegungslos auf dem Marktplatz, und eines Morgens kamen die Menschen auf dem Weg zur Arbeit an ihm vorbei, und er war zu Stein geworden.“
„Was!?“ riefen die Kinder wie im Chor aus. „Zu Stein?“
Stenam nickte und bestätigte: „Ja, genau, zu Stein – und wisst ihr warum? Der „lüttje Frederik“ hatte immerzu nach dem richtigen Moment gesucht, aber Angst davor gehabt, ihn zu finden. Da war die Befürchtung gewesen, Johanna würde ihn zurückweisen – und weil seine Suche ihr Ziel verloren hatte, war er der Gefangene seines Zögerns geworden und zu Stein erstarrt.“
„Und ist er so geblieben?“ erkundigte sich Kemal. Da schaute ihn die Märchenfängerin mit einem wissenden Funkeln in den Augen an und sagte schlicht: „Frederik hatte Glück. Johanna kam zu ihm und küßte ihn frei.“
An Marie-Luise gewandt, meinte sie noch: „Hast du wohl den Mut, den richtigen Augenblick zu finden, um mit deinen Eltern über das Zeugnis zu sprechen? „Richtig“ heißt ja nicht gleich „perfekt“. Hab einfach Mut – die wirkliche Antwort ist womöglich nur halb so schlimm wie deine Angst davor.“
„Hallo Stenam!“ riefen die Kinder im Café Fallada, als die Märchenfängerin hereinkam.
„Was denn, ihr seid schon da? So früh?“ staunte Stenam.
„Es sind doch Ferien!“ lachte Hannes, und die anderen kicherten und quietschten und tuschelten.
„Na, was heckt ihr denn da gerade aus?“ hakte die Märchenfängerin nach und forderte mit spielerisch erhobenem Finger und amüsiert blitzendem braunem Auge: „Na los! Heraus mit der Sprache!“
Die Kinder glucksten und prusteten nur noch mehr vor Vergnügen, und es war Stachu, der rief: „Herr Dienlich! Jetzt!“
Bis dahin war der Ober des Café Fallada noch gar nicht zu sehen gewesen, aber jetzt kam er vergnügt durch die hölzernen Schwenktüren aus der Küche – und trug einen Schokoladenkuchen mit vielen kleinen, brennenden Kerzen! Gleichzeitig platzten alle heraus: „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!“
Für einen Moment war Stenam sprachlos vor Überraschung, aber dann umarmte sie vor Freude jedes Kind einzeln.
Karina sprudelte dabei hervor: „Wir haben unser Taschengeld zusammengelegt, weißt du? Wir wollten doch, dass du einen ganz schönen Geburtstag hast!“
„Ach, ihr seid so lieb, und ihr habt ganz bestimmt euer Ziel erreicht!“ meinte Stenam. „Als ich früher noch gearbeitet habe, dürfte ich dort wohl nie so ein tolles Geschenk bekommen haben.“
„Was bist du denn von Beruf gewesen?“ wollte Kemal wissen.
Da zog Stenam die Nase kraus und seufzte: „Tja, ich war mal Nachrichtensprecherin. Ihr wisst schon – jemand, der immer erzählt, was so am Tag in der Welt passiert ist. Und nein, ich war nicht beim Fernsehen, aber ich habe im Radio gesprochen.“
Die Kinder machten runde Augen, und Hannes schoss hervor: „Das ist ja toll, beim Radio zu sein! Hat das viel Spaß gemacht?“
„Nur am Anfang, aber dann musste ich wegen Rrrizzelpizzel mit den Nachrichten aufhören.“
„Rrrizzelpizzel?“ hallte es neugierig.
Stenam nickte: „Hmhm, genau, Rrrizzelpizzel – das war der Floh in meinem Ohr.“
„Du hattest einen Floh im Ohr?“ quietschte der kleine Stachu und schauderte.
„Ja, den hatte ich“, bestätigte die Märchenfängerin. „Erst habe ich ihn gar nicht beim Lesen der Nachrichten bemerkt. Vielleicht war er auch noch nicht da, wer weiß das schon. Nach ein paar Monaten beim Sender bemerkte ich jedoch, dass es mich manchmal im Gehörgang zwickte, wenn ich irgendwelche Meldungen vorlas. Mit der Zeit musste ich immer mehr aufpassen, dass ich dann beim Sprechen nicht ins Stocken kam oder einen Fehler machte. Außerdem fand ich heraus, dass es bei mir immer dann kribbelte, wenn ich etwas besonders Schlimmes vorlesen musste: von Krieg, von Hungersnöten, von schlimmen Unfällen und so weiter.“
„Wie hast du dann herausgefunden, dass da ein Floh daran schuld war?“ erkundigte sich Marie-Lena.
„Tja“, Stenam schob nachdenklich mit ihrem Zeigefinger die Unterlippe hoch, „ich wollte schon zum Arzt gehen. Eines Tages interhielt ich mich laut in meiner Wohnung mit mir selbst und fragte mich: „Stenam, was ist nur mit dir los? Du kannst ja kaum noch die Nachrichten vorlesen?“
Und da kam plötzlich von da drinnen in meinem Ohr eine Stimme, und ich war fürchterlich erschrocken.
„Ich bin’s, dein Floh!“ Und dann trampelte er auf einmal ganz schnell mit seinen kleinen Beinen, dass es sich anhörte wie „Rrrizzelpizzel!“
Stenam ahmte mit einem Trommelwirbel von Zeige- und Mittelfinger auf dem Tisch nach, wie sich das angefühlt haben musste.
„Oh Mann!“ japste Kemal. „Und was hat das Ding gewollt?“ Die Märchenfängerin fuhr fort: „Also, erst einmal bin ich gehörig zusammengezuckt, und dann jammerte der Floh: „Ich kann das nicht haben! Immer diese schlimmen Nachrichten. Da muss ich jedesmal niesen, wenn ich die höre. Von jetzt an werde ich bei jedem bösen Wort, das du vorlesen musst, beim Niesen herumtrampeln, dass du es gar nicht mehr aussürechenkannst!“ Was soll ich sagen – mein Floh im Ohr machte ernst: Wenn eine Nachrichtensendung kam, und ich begann nur die Meldung mit: „Beim Krieg in...“ Rizzelpizzel! – schon ging das Trampeln los. Da ich jetzt darauf achtete, konnte ich auch immer das kleine Niesen vorher hören.“
„Hatte dein Floh eine Allergie?“ wollte Jaromir wissen.
„Das könnte man so sagen. Er konnte einfach keine schlimmen Wörter ertragen. Tja, und mir ging es nicht besser; ich begann wirklich, Fehler beim Sprechen zu machen, und bevor man mich beim Sender entlassen konnte, habe ich dann lieber selbst gekündigt.“
„Oh, das tut mir leid für dich“, meinte Marie-Lena.
Da schüttelte Stenam den Kopf, daß es in ihrem Haarnetz klimperte: „Das braucht es nicht. Es war gut, dass ich mit den Nachrichten aufgehört habe. Natürlich muss man sich informieren, was so alles in der Welt passiert, und da gibt es leider viel Trauriges – aber das dann auch noch selbst laut vorzulesen, damit andere davon erfahren, das kann einfach nicht jeder. Ich jedenfalls bestimmt nicht."
„Und was ist aus Rrrizzelpizzel geworden? Jetzt kannst du ja scheinbar wieder alles sagen“, merkte Hannes an.
Das brachte die Märchenfängerin zum Grinsen, und sie erwiderte: „Oh ja, das ist richtig. Wie Jaromir schon gesagt hat – der Floh ist allergisch auf schlimme Wörter, aber ich hab die richtige Medizin für ihn gefunden: gute Geschichten. Doch jetzt genug davon und zurück zum Hier und Heute. Sagt an: Wer will ein Stück Geburtstagskuchen?“
Und alle Kinder, wie sie da waren, schrien „hier!“, so laut sie konnten – und dabei trampelten sie lauter mit den Füßen, als ein Floh es jemals könnte.
Tag der Veröffentlichung: 06.08.2014
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