16. Dezember
Ein Datum, das ich wohl nie vergessen werde.
Die Hektik der Vorweihnachtstage hatten meinen Mann und mich voll im Griff. Es mussten noch etliche Präsente an diverse Großkunden verschickt werden und meinem Mann saß Ultimo bereits im Nacken.
Trotz aller guten Vorsätze wollte es uns einfach nicht gelingen, die besinnliche Zeit einmal genießen zu können. Gehetzt und oft tot müde ließen wir uns abends ins Bett fallen, auf ein leckeres Glas Rotwein mit schöner Musik verging uns ebenfalls die Lust.
Das musste sich einfach ändern, unsere Familien und Freunde hatten doch auch Berufe mit mehr oder weniger stressigem Hintergrund. Viele erfreuten sich schon an einem geschmückten Tannenbaum, an weihnachtlichen Accessoires und den abendlichen Gesprächen vor dem Kamin.
Wir beschlossen , am kommenden Wochenende zumindest einmal den Weihnachtsmarkt zu besuchen, um etwas in festlichere Stimmung zu kommen.
Am Samstag gegen 17 Uhr, als es bereits dämmerte, setzten wir unseren Vorsatz in die Tat um. Der Weihnachtsmarkt lag sehr idyllisch in einem kleinen Waldstück. Mir hatten es die vielen handwerklichen und kunstvoll gestalteten Gegenstände angetan. Mein Mann konnte sich an den vielen unterschiedlichen Krippen erfreuen und der Glühweinstand war auch ganz in seiner Nähe.
Glühwein, gehört einfach zu einem Weihnachtsmarkt Spaziergang dazu, wie auch die schönen alten Weihnachtslieder.
Auf dem Weg zu meinem Mann, sah ich – etwas abseits – eine junge Frau auf der Erde hocken, die recht laut stöhnte. Viele Menschen gingen an ihr vorüber, aber niemand nahm Notiz von ihr. Unfassbar dachte ich und ging auf die Frau zu und sprach sie an. Zunächst sah sie mich weder an, noch sagte sie etwas.“ Ich heiße Melanie, was fehlt dir, kann ich dir helfen?“ Sie schaute mich mit starren Augen an und nannte ihren Namen. „ Ich heiße Ines, bin schwanger und ich glaube, ich habe Wehen, es tut so schrecklich weh.“ „ Weshalb sitzt du hier, hast du keine Eltern?“
„ Nein, sie sind beide verstorben und seit dem lebe ich auf der Straße.“ „ Wie alt bist du, wollte ich wissen?“ „ 17 Jahre, mein Freund ist auf Droge, von ihm kann ich keine Hilfe erwarten und das Jugendamt will mich ins Heim stecken, da gehe ich aber nicht hin. Das Kind soll erst Anfang Januar kommen, vielleicht habe ich mich ja auch verzählt.“ „ Ines, ich rufe schnell meinen Mann und bestelle einen Krankenwagen.“ „ Nein bitte nicht, ich will nicht ins Krankenhaus.“ „ Willst du denn das Kind hier auf der Straße gebären? Ich verspreche dir, ich werde bei dir bleiben, aber du musst ins Krankenhaus.“ Meinem Mann erzählte ich von dem schwangeren Mädchen und wir beide entschieden sofort, sie nicht alleine zu lassen.
Der Krankenwagen kam recht schnell und wir fuhren ihm hinterher. Als wir dort ankamen, wurde Ines bereits von einer Hebamme und einem Arzt untersucht. Sie hatte zwar Wehen, aber das Kind war noch nicht bereit, das Licht der Welt zu erblicken. Ines wurde empfohlen, im Krankenhaus zu verbleiben.
Auf dem ihr zugewiesenen Zimmer und in ihrem Bett liegend sah ich erst jetzt, wie schmutzig sie und ihre Kleidung war. „ Ich fahre nach Hause und hole ihr von dir die nötigen Sachen,“ sagte mein Mann und war schon aus der Türe. Ich blieb bei Ines und beruhigte sie, wenn mal wieder eine Wehe sie quälte. Ich versprach ihr, mich ab sofort um sie zu kümmern, mit dem Jugendamt Kontakt aufzunehmen, damit sie nach der Geburt ihres Kindes in eine betreute Mutter-Kind-Einrichtung kommen konnte. Die von meinem Mann mitgebrachten Textilien überreichte er einer Krankenschwester, mit der Bitte, Ines zu versorgen .
Ein Gespräch mit der Hebamme und unserer Erklärung das Ines auf der Straße leben würde, brachte nicht nur ihr Entsetzen, sondern auch ihr ganzes Mitgefühl zu Tage. Eine nahende Geburt sei allerdings noch nicht zu erwarten, weshalb wir beruhigt nach Hause fuhren, hatte ich doch Ines versprochen, sie bei der Niederkunft zu begleiten.
Ich fuhr jeden Tag ins Krankenhaus, versorgte sie, hörte ihr bei ihren vielen Sorgen zu, so dass sich zwischen uns eine Vertrautheit einstellte, die sie und ich zu schätzen wussten.
Und tatsächlich, wenn es auch fast unglaublich klingt: am 24. Dezember – Heilig Abend - brachte sie in meinem Beisein ein gesundes Mädchen zu Welt und wir beide waren überglücklich.
Inzwischen lebt sie mit ihrer Tochter – die sie übrigens auf den Namen Melanie taufte – in einer Mutter-Kind-Einrichtung und gemeinsam mit meinem Mann haben wir regelmäßigen Kontakt zu ihr.
Die Weihnachtsbotschaft fand somit ihre Erfüllung , ein Kind wurde geboren.
Tag der Veröffentlichung: 27.12.2017
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