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Mobbing

Die Spottdrossel

 

 

Die Spottdrossel ist ein nordamerikanischer weiß-grau gefleckter Singvogel. Ein Singvogel von ausgeprägter Intelligenz. Wenn sein Nest bedroht wird, prägt er sich das Aussehen des Angreifers genau ein, um dann den Übeltäter auch in einer großen Menschenmenge klar zu identifizieren. Als Einzelgänger – außerhalb Paarungszeit – ist er des weiteren in der Lage, den Gesang anderer Vögel nach zu ahmen und ist als opportunistischer Allesfresser auf seinen eigenen Vorteil bedacht.

 

Bei diesem Vogel finden sich einige Parallelen im Zwischenmenschlichen Bereich, dem Miteinander, der fehlenden emotionalen Intelligenz wider.

 

Aufrüttelnd macht dies die tragische Geschichte von Renate.

 

Renate wohnte mit ihren Eltern in einer Kleinstadt und lebte dort in einem sehr behüteten Umfeld, nicht zuletzt wegen ihrer körperlichen Missbildung durch das Fehlen des linken Unterarmes

und der Hand die sich an den Oberarm anschloss.

 

Dessen ungeachtet wuchs Renate – trotz dieser Fehlbildung – und Dank der ganzen Familie, als fröhliches und liebenswertes Mädchen heran. Schon früh „ ersetzte „ sie den fehlenden Unterarm durch ihren enormen Wissensdurst. So konnte sie schon im Alter von 4 Jahren addieren und subtrahieren und das Lesen von Kinderbüchern schaffte sie problemlos im Alter von 5 Jahren.

 

Nach der anfänglichen Neugierde der Kinder im Kindergarten, wurde sie von allen gemocht, nicht zuletzt wegen ihrer ständigen Heiterkeit. Niemand nahm Anstoß an ihrem „ Anderssein „ .

 

Ihre Einschulung gestaltete sich genauso unproblematisch und nachdem einige Kinder ihre Wissbegierde gestillt hatten, war Renate für sie, wie jeder andere Mitschüler auch, eben „ normal „. Schnell war allen Pädagogen klar, das Renate als Hochbegabte einzustufen war und deshalb die zweite Grundschulklasse überspringen konnte. Ihre Eltern waren über diesen Umstand nicht sonderlich erfreut, da Renate außerhalb ihrer geistigen Reife, noch recht zierlich war. Renate lachte über diese Sorgen und ging ehrgeizig ihren Weg. Ihre Klassenkameraden fanden sie einfach super, da sie ihnen in den Pausenzeiten Gelegenheit gab, fehlende Hausarbeiten bei ihr abzuschreiben. Sie ließ nie das Gefühl aufkommen, intelligenter zu sein, machte alle Späße mit und wurde dadurch auch zu vielen Kindergeburtstagsfeiern eingeladen. Renate war ein glückliches Kind.

 

Das sollte sich sehr bald und drastisch ändern. Ihr Vater bekam einen hoch dotierten Job in einer Großstadt, was für die Familie Umzug bedeutete und für Renate die Einschulung in – wie sie es nannte – riesiges Gymnasium. Sie freute sich auf diese neue Herausforderung und wischte alle Bedenken der Eltern vom Tisch.

„ Ich schaffe das schon, ihr werdet schon sehen „ .

 

Gemeinsam mit ihren Eltern wurde sie dort angemeldet, um gleichzeitig auf ihr Defizit hinzuweisen. Der Rektor sah hierin überhaupt keine Schwierigkeiten, und war sehr erstaunt über Renates bisherigem schulischen Werdegang.

 

Und dann kam der erste Schultag. Viele ihrer Mitschülerinnen kannten sich schon aus der Grundschule, so dass der Klassenverband mehr oder weniger bereits gefestigt war.

Um das vorhandene lehramtliche Klassenniveau zu erfahren, wurden bereits am zweiten und dritten Schultag kleine Tests geschrieben, die Renate mit Bravour bestand.

 

Die Ergebnisse hierüber riefen besonders drei Mädchen der Klasse jetzt auf den Plan. Heike, Erika und Sandra kristallisierten sich als die uneingeschränkten Königinnen in der Gemeinschaft heraus, wobei Heike eindeutig und heftig immer den Ton angab und ihre Vorgehensweise kritiklos übernommen und mitgetragen wurde.

 

Renate wurde fortan das Objekt ihrer Begierde.

 

Ihre Attacken begannen bereits vor der ersten Unterrichtsstunde. Heike stieg dann auf ihr Schreibpult, damit alle sie sehr gut sehen konnten, um dann auf hämische Art auf Renates Fehlbildung hinzuweisen. Sie wollte von ihr wissen, ob sie überhaupt in der Lage wäre mit Messer und Gabel zu essen oder ob sie sich alles mit der einen Hand in den Mund schaufeln würde. „ Muss Mutti dich morgens ankleiden, oder geht das auch mit deinem kleinen Händchen“? „ Zeig uns doch mal, wie du mit dem Fahrrad fährst“.

Bis dann die Lehrerin das Klassenzimmer betrat und das Gelächter und Gebrülle verstummte.

 

Ihre große Intelligenz war ein weiterer Dorn im Auge von Heike, da ihr ebenfalls eine Hochbegabung bestätigt wurde und sie in der Grundschule auch als Klassenprimus galt. Ihre bösartigen Mobbing-Attacken wurden demnach mit vielschichtiger Intensität ausgeführt. Klassen- und Fachlehrer bemerkten diesen Psychoterror nicht.

 

Renate blieb weiterhin ein freundliches Kind. Nur ihrer Mutter fiel auf, dass ihre an sonst so überbordende Fröhlichkeit abbröckelte. „ Wie geht es in der Schule, macht dir das Lernen noch Spaß, hast du bereits Freundinnen ?“ Es waren halt die üblichen Fragen einer ein wenig besorgten Mutter. „ Nein, du musst dir keine Sorgen machen, es ist alles ok, na ja, bis auf eine Mitschülerin, die heißt Heike, die ist „ manchmal „ nicht nett zu mir, aber die anderen Klassenkameradinnen schon.“ „ Was meinst du mit – nicht nett - ?“ „ Ach, sie redet manchmal Blödsinn, aber heute Nachmittag wollen wir uns im Eiscafe treffen, sie möchte etwas mit mir besprechen.“ „ Soll ich dich begleiten?“ „ Nein Mama, wie würde das denn aussehen, vielleicht möchte Heike mir ihre Freundschaft anbieten.“

 

Um 15 Uhr schulterte Renate ihren Rucksack und ging.

 

Auf dieser Brücke hatte sie schon einige Male gestanden und den

vielen großen und kleinen Schiffen zugeschaut. Sie stellte ihren Rucksack an das Brückengeländer ----- und sprang.

 

In ihrem Rucksack wurde ein Zettel gefunden:

 

  • Eine Lüge ist manchmal die bessere Wahrheit –

 

verzeiht mir Mama und Papa

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 21.06.2017

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