Gretchen wurde an einem kalten Novembertag im Jahre 1915, mitten in den Wirren des 1. Weltkrieges geboren. Ihre Mutter taufte sie auf den Namen Annegret, aber jeder nannte sie vom ersten Tage an: Gretchen.
Bei der Geburt wäre ihre Mutter – durch einen sehr hohen Blutverlust – fast gestorben. Doch Dank der anwesenden Hebamme konnte eine Tragödie verhindert werden. Geschwister gab es, aufgrund dieses Vorkommnisses nicht mehr.
Gretchen erlebte ihr erstes Lebensjahr in einem mit Stroh ausgefüllten Weidenkorb, sie wurde nur zum Stillen und Windelwechsel herausgenommen. Ob Schreien, Strampeln oder auch mal Lachen, niemand nahm so recht Notiz von ihr. Empathie gab es nicht.
Ihre Eltern bewirtschafteten einen kleinen Bauernhof, mit Gänsen, Hühnern, 3 Schweinen und 2 Kühen. Da weder Pferd nach Gerätschaften vorhanden waren, musste die Ackerfläche per Muskelkraft bestellt und bearbeitet werden. Seit der Geburt kränkelte die Mutter, so dass die Hauptlast der Arbeit dem Vater auferlegt war. Im Laufe der Zeit wurde der einst so friedliche Mann ein mürrisches und aggressives Familienoberhaupt, auf dessen Bezeichnung er immer wieder großen Wert legte.
Das winzige Bauernhaus bestand aus einer immer verrußten Küche, weil die alte Esse nicht mehr den nötigen Abzug zu ließ, einem kleinen Alkoven und den daran anschließenden Tierställen. Zu Essen gab es nur das, was das Feld hergab. Eier, Milch, geschlachtete Schweine, Hühner und Gänse wurden auf dem Markt verkauft. Die beiden Kühe gingen erst dann zum Schlachter, wenn sie keine Milch mehr gaben und meist nur noch aus Haut und Knochen bestanden. Von dem Erlös wurden erneut zwei Kühe angeschafft, das Elend der Tiere begann dann wieder von neuem.
Im Alter von 3 Jahren, begann für Gretchen dann „ der Ernst des Lebens „. Sie setzte sich auf einen Hocker in der immer kalten und je nach Jahreszeit auch brutheißen Küche schälte Erbsen und Bohnen, rubbelte die Kartoffeln von den Erdklumpen und rupfte das Grün von den Möhren. Danach ging es in den Stall, Eier lesen
und wehe eines davon ging zu Bruch. Der Vater wurde immer brutaler und die Mutter- weil immer kränklicher werdend – sagte kein Wort mehr. Eines Tages erschien der Vater mit zwei kleinen Lämmern, deren Fütterung ihr aufgetragen wurde. Ein wahrer Lichtblick für dieses kleine zarte Mädchen. Sie konnte sie streicheln und an sich drücken, Gesten, die ihr nie zuteil wurden.
Je älter Gretchen wurde, umso größer wurden ihre Aufgaben. Nicht nur, dass sie mit dem Vater aufs Feld musste und stundenlang Unkraut jätete, sie musste auch der Mutter beim Kochen helfen. Bedingt durch ihre geringe Größe stellte ihre Mutter ihr einen Schemel vor den Herd, damit sie an den Topf reichte, um die Suppe umrühren zu können. Wie oft hat sie sich dabei an der heißen Herdplatte verbrannt, wagte aber nicht zu jammern, da der Vater sonst herumbrüllte und sie ein dummes Balg nannte.
Mit 6 Jahren kam Gretchen in die Schule. Der Schulweg war 10 km weit, dabei waren die Wintermonate für sie die schlimmsten.Der oft meterhohe Schnee und die bittere Kälte, machten den Schulweg zur Qual.
In Holzschuhen mit Stroh gefüllt und dünnen Socken wurden die Füße sehr schnell zu Eisklumpen. Im Klassenraum gab es auch kaum ein Aufwärmen, da hier nur ein kleiner mit Kohlen bestückter Ofen stand. Schmerzende Frostbeulen waren im Winter ihr ständiger Begleiter. Gretchen war ein gute Schülerin,aber der Vater wollte von ihren schulischen Leistungen nichts wissen. Sie hatte zu gehorchen und zu Hause zu arbeiten. Oft schlief sie im Klassenraum ein und ihr Kopf lag dann auf der Schulbank.Der noch recht junge Lehrer schrie sie an und obwohl Gretchen beteuerte, dass dies nicht mehr vorkommen würde, musste sie trotzdem ihr kalten Hände vorstrecken, um die Schläge mit einem dünnen Rohrstock hinnehmen zu müssen. Dabei liefen ihr stille Tränen über das Gesicht, wusste sie doch, dass sie die Arbeit auf dem Acker, die nach der Schule anstand, kaum verrichten konnte.
Die Mutter wurde immer hinfälliger, welche Krankheit sie hatte, konnte Gretchen nie in Erfahrung bringen, hier legte sich ein Mantel des Schweigens drüber. Durch die jetzt meist bettlägerige Mutter, musste Gretchen alle Hausarbeiten alleine verrichten.
Das Essen kochen und die Tiere versorgen. Für Schularbeiten blieb nicht sehr viel Zeit, das oft zum Ärgernis des Lehrers führte.Gretchen hörte man nie klagen oder weinen, sie nahm ihr Schicksal an. Selbst als die Mutter gepflegt werden mußte, die Hauspflicht getan und die Schule besucht wurde, sie jammerte nie.
Mit 19 Jahren lernte Sie Konrad kennen, ein junger Bursche aus der Nachbarschaft, den sie dann mit 20 Jahren 1935 heiratete.
Da sie keine Wohnung und auch keinen Hausstand hatten, baute Konrad hinter dem Hühnerstall ihrer Eltern ein Holzhaus mit zwei Zimmern. Kurz nach ihrer Heirat verstarb die Mutter und nun hieß es für sie, auch den Vater zu betreuen und das Land weiterhin mit zu bewirtschaften. Konrad war diese Situation egal, er war eher ein ruhiger, und leider auch dummer Mann.
Unruhige Zeiten und der Beginn des 2. Weltkrieges verschlimmerten die Lage in der sie 6 Kinder zur Welt brachte.
Durch Gretchen großes Gottvertrauen meisterte sie die vielen Aufgaben. Der knappe Wohnraum, der immer nörgelnde Vater, die Arbeit im Stall und die vielen Kinder, selbst das fand sie als Gottgegeben. Sie strickte für ihre Kinderschar Strümpfe, besserte alte Kleidung aus, kochte ständig und betete dabei. Als sie merkte, dass sie mit dem siebten Kind schwanger war, ging sie zum Pfarrer und wollte sich Rat holen. Dieser sagte ihr jedoch, wo ein Häslein, da ein Gräslein, und Gretchen ging nach Hause und weinte bitterlich. In dieser Zeit veränderte sich ihr Konrad zusehends. Aus dem ruhigen, ja dummen Mann, wurde ein bestimmender und lauter werdender Mensch. Gretchen hatte diese Verwandlung ja bei ihrem Vater miterleben müssen, und schwieg diesmal nicht mehr. Sicherlich bedingt durch die erneute, ungewollte Schwangerschaft, das allabendliche Zittern, wenn die Bomben fielen, nahm sie nicht mehr alles gelassen hin. Konrad merkte sehr schnell, das seine Gretchen nicht mehr die stille Frau war
Ab jetzt nahme sie das „ Zepter „ in die Hand, und sagte allen, wo es lang zu gehen hatte. Ungewohnt für alle, aber wirkungsvoll.
Im fünften Schwangerschaftsmonat erlitt sie eine Fehlgeburt, und dankte Gotte für seine Einsicht.
1955 starb ihr Mann mit gerade mal 40 Jahren, an einer Lungenentzündung, und Gretchen war nun verantwortlich für sechs Kinder, einem kranken alten Vater und der Bauernwirtschaft.
In den nachfolgenden Jahren, dem Ende des 2. Weltkrieges und dem Tod ihres Vaters schaffte sie es mit einem unbändigen Fleiß, Stolz und Gottvertrauen, allen ihren Kindern eine gute Schul- und Berufsausbildung zu geben. Zerstreut in vielen Städten, blieb sie,ohne ihre Kinder,immer noch in der winzigen Kate wohnen.
Aufgrund körperlicher Gebrechen bestellte sie den Acker nicht mehr und schaffte die Tiere ab.
Da ihr Mann sehr früh verstorben war, bekam sie eine nur sehr kleine Rente. Ihren Kindern zur Last fallen, das kam für Gretchen niemals infrage und als der Pfarrer ihrer Gemeinde eine Putzfrau für die Kirche suchte, meldete sie sich sofort. 1985 mit 70 Jahren begann sie ihren Dienst in der Kirche, schleppte hunderte von Eimer Wasser durch das ganze Kirchenschiff, schrubbte die Steinböden, und reinigte die Kirchenbänke. Ihre Gebrechen ignorierte sie, ihr Wille eisern. Eine Arbeit, die sie bis 78 Jahren verrichtete,
1994 im Alter von 79 Jahren verstarb Gretchen, und der Trauerzug wollte nicht enden. Eine Frau, über die und ihren Lebensweg noch oft erzählt wurde.
Persönliche Anmerkung.
Für mich eine grandiose Frau, deren Einmaligkeit heute
nicht mehr zu finden sein wird.
Tag der Veröffentlichung: 21.12.2016
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Diese Zeilen widme ich allen Mädchen, Frauen und Müttern, die das gleiche oder ein ähnliches Schicksal erleiden mussten.