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Title Page
Über die Erzählung
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Impressum
Buchtipp
J. Walther
Der Duft von Salbei
in der Dämmerung
Über die Erzählung
Vivian hat einen großen Traum: ohne feste Route und Zeitdruck durch die USA zu reisen. Dafür spart sie jahrelang, aber erst der Tod ihrer Großmutter gibt ihr genug Geld dafür. Doch schon nach wenigen Tagen Fahrt durch den Südwesten trifft sie auf eine Apachin, die einsam in einem Tal wohnt. Vivian ist von Susanns Schönheit, Stärke und ihrer geheimnisvollen Ausstrahlung schnell in den Bann geschlagen und sie kommen sich näher. Doch da bleibt eine Grenze, die Nähe nicht wirklich zulässt. Was verbirgt Susann vor ihr?
Vier Jahre und acht Monate hatte ich für meinen Traum gespart. Dafür hatte ich von früh bis spät bei Harrison & Smith gearbeitet. Hatte mich von Harrison Jr. anschreien lassen. An den Wochenenden korrigierte ich zusätzlich für wenig Geld Texte, Anleitungen und Handbücher. In all der Zeit wohnte ich in einem Loch, dessen Fenster auf einen kleinen dreckigen Hof gingen, während auf der Vorderseite Tag und Nacht der Verkehr rollte.
In der Zeit hatte ich mich von Dosensuppen und Tiefkühlkost aus dem Sonderangebot ernährt. Auch die Katzen im Hof hatte ich mit Futter aus dem Sonderangebot versorgt – sie liebten mich. Einmal in der Woche gönnte ich mir einen Besuch im Burgerladen, das war’s. Ich war vier Jahre und acht Monate nicht ins Kino gegangen, von Bars oder Konzerten ganz zu schweigen. Ich hatte Serien auf Netflix geschaut. Kein Wunder, dass es keine Frau mit mir aushielt. Also nicht wegen Netflix – deswegen kamen sie bis auf meine durchgesessene Couch. Auf der ich auch schlief. Jedenfalls – nach einiger Zeit ohne Essen gehen, Kino oder Ausflüge verschwanden sie alle wieder. Meistens nach ein paar Wochen.
Wenn ich wirklich mal eine neue Hose oder Schuhe brauchte, ging ich zu Walmart. Für die Arbeit hatte ich drei Kleider, die ich sehr schonte, und mit Tüchern, Gürteln und anderen Accessoires immer wieder veränderte. Auf Make-up verzichtete ich, meine zarte helle Haut machte es nicht nötig, nur etwas Wimperntusche und Lippenstift trug ich – die gab es im Ausverkauf. Auch mit meinen Haaren musste ich zum Glück nicht viel machen, immerhin sind sie von Natur aus blond. Ich schnitt sie selbst, sie hingen glatt herunter und gut.
So konnte ich jeden Monat ein nettes Sümmchen beiseite legen. Trotzdem war es noch zu wenig. Was mir schließlich genug Geld gab, meinen Traum wahr werden zu lassen, war das Erbe meiner Grandma. Sie starb, und ich stellte fest, dass ich sie vier Jahre und acht Monate lang nicht besucht hatte, weil mir das Ticket zu teuer war. Am Anfang war sie noch zu mir zu Besuch gekommen, aber dann kam sie nicht mehr, weil sie nicht mehr gut laufen konnte und ihr ein Flug zu anstrengend war. So hatten wir uns zwei Jahre und zehn Monate nicht gesehen. Und dann starb sie. Jetzt leistete ich mir ein Ticket – um zu ihrer Beisetzung zu fahren. Ich weinte in der Abfertigungshalle und fragte mich, ob mein Traum das wert gewesen war. Aber es war zu spät, etwas zu ändern.
Meine Mutter zupfte an meinem schwarzen Kleid herum – es gehörte zu meinen Bürooutfits. Sie kritisierte den Zustand meiner schwarzen Pumps, während wir zum Friedhof fuhren. Mein Vater lächelte und nickte zu allem, was sie sagte. Selbst sagte er nichts. Am Grab weinte ich still, Tränen liefen mir über die Wangen. Meine Mutter reagierte nicht, obwohl sie es bemerkte, sie wirkte gleichgültig.
Meine Eltern erbten das Häuschen meiner Grandma und alles andere, aber ich das Geld. Ich nahm mir ihre Aquamarin-Kette zur Erinnerung mit. Meine Mutter erlaubte es gnädig. Sie sagte sogar, dass die Kette zu meinem Haar und meinen blauen Augen passen würde. Und sie fragte mich nicht mehr, ob ich einen Freund hätte oder wenigstens mal einen netten Kerl gedatet – sie hatte wohl aufgegeben.
Zurück Zuhause kündigte ich meine Wohnung und meinen Job. Dann kaufte ich mir ein Auto. Ich hatte keins besessen, ich war mit dem Bus zur Arbeit gefahren und zu Fuß einkaufen gegangen. Die Nachbarn hatten komisch geschaut. Aber nun war ich stolze Besitzerin eines gebrauchten Ford Mustangs. Der Lack war ziemlich zerkratzt, aber das Fahrzeug selbst schien in einem guten Zustand – ich hatte keine Lust, irgendwo liegenzubleiben.
Meine Möbel spendete ich der Heilsarmee, die sie skeptisch betrachteten, aber schließlich nahmen. Die drei Kleider und die Pumps gab ich ihnen auch, ich brauchte sie nicht mehr. Dann packte ich meine Habseligkeiten zusammen. Sie passten in zwei große Taschen. Ich stellte den Katzen alles Futter hin, das ich noch hatte, dankbar strichen sie mir um die Beine. Ich streichelte sie. Meine Grandma hatte die Katzen auch gemocht. Ich wischte mir die Tränen aus den Augenwinkeln, während ich einfach dastand.
An einem schönen, sonnigen Tag breche ich von Sacramento Richtung Süden auf. Breche auf in meinen Traum. Ich kann kaum glauben, dass es so weit ist. Ich setze meine Sonnenbrille auf und fühle mich eigenartig. Zuerst folge ich noch der Interstate 5, dann wende ich mich bei Bakersfield Richtung Osten. Mein Weg führt mich durch die Mojave-Wüste. Las Vegas umgehe ich großzügig, es interessiert mich nicht.
Am vierten Tag erreiche ich Arizona. Es ist heiß. Bis zum Grand Canyon National Park brauche ich noch fast einen Tag, mein Auto ist nicht das Schnellste. Der Grand Canyon ist fantastisch – er übertrifft meine Erwartungen. Wie tief die Schlucht hinabstürzt, es ist kaum zu erfassen. Ich suche mir eine ruhige Ecke und setze mich auf einen Felsen. Ich bin glücklich. Das ist eindeutig ein Höhepunkt meines Traums und dafür hat es sich gelohnt.
Ich denke auch an Grandma. Am Abend lege ich die Aquamarin-Kette an, und bin in dem Diner, in dem ich esse, eindeutig overdressed.
Schon der übernächste Tag bietet mir ein weiteres Highlight, als ich den Antelope-Canyon besichtige, eine surreale Landschaft aus Streifen von rotem, gelbem und violettschimmerndem Fels. Es ist unglaublich, all die Schichten, die im Mittagslicht leuchten. Als wäre man auf dem Mars oder in einer Szene von Star Trek.
Am nächsten Tag fahre ich tiefer ins Navajo-Reservat und bezahle den Eintritt, um das Monument-Valley zu besichtigen. Die steil aufragenden einsamen Felsen sind beeindruckend, aber nicht so sehr wie die Canyons. Außerdem erinnern sie mich aufdringlich an Marlboro-Werbung. Ich bin auch nicht die einzige, die die bizarre Landschaft besichtigen will. Auf den Bildern liegen sie immer so einsam da, aber es ist einiges los. Ein alter Navajo fährt Leute zu den besten Stellen, aber das kostet natürlich extra.
Jeden Tag fahre ich weiter, mal kurze Strecken, mal mehr. Ich schlafe in billigen Motels, campe, und einmal übernachte ich im Auto. Mein Geld soll eine Weile reichen. Ich fange an, mit jeder Kellnerin, Verkäufern oder Motelbesitzern zu quatschen. Ich rede mit jedem, den ich erwischen kann. Trotzdem bin ich einsam. Aber das ist nicht schlimm, ich bin vorher auch einsam gewesen. Ich brauche nur ab und zu jemanden zum Reden.
Ich besichtige die Pueblo-Bauten in Mesa Verde und bleibe drei Tage, weil ich mich nicht losreißen kann, und jede Ecke sehen will. Die uralten Pueblos unter den Felsüberhängen strahlen irgendetwas aus, eine große Kraft. Normalerweise glaube ich nicht an so etwas, aber hier ist es leicht, sich vorzustellen, wie die Menschen vor so vielen Jahren gelebt haben. Es ist der älteste und magischste Ort, an dem ich je gewesen bin. Am liebsten würde ich allein und bis in die Dämmerung durch die Gebäude streifen, aber das ist nicht erlaubt.
Ich bleibe länger als geplant, aber so ist es ja auch gedacht. Keine feste Route, nichts abzuhaken, sondern sehen, was mir auf dem Weg begegnet. Obwohl meine Reise auch anstrengend ist, werde ich jeden Tag ruhiger und zufriedener.
Schließlich fahre ich weiter nach Süden und dann sogar zurück nach Westen. Später will ich natürlich weiter Richtung Osten fahren, aber ich habe es nicht eilig. Ich wähle kleinere Straßen. Hier gibt es keine großen Sehenswürdigkeiten, aber das stört mich nicht – ich genieße die Reise. Ich bin nicht sicher, ob ich nach Phönix hineinwill, die Stadt ist mir zu groß, und ich beschließe, mich am nächsten Tag wieder Richtung Südosten aufzumachen. Die Gegend, durch die ich fahre, ist ziemlich trocken, aber ich sehe auch grüne Berge in der Ferne. Ein Motel jedoch ist weit und breit nicht in Sicht. Das ist aber nicht schlimm, in dieser einsamen Gegend kann ich sicher gut campen. Mein einziges Problem ist
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 01.07.2021
ISBN: 978-3-7487-8704-4
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