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Leseprobe

Table of Contents

Title Page

Motto

Klappentext

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Nachwort

Impressum

Sehnsucht nach Wärme

Maras Schenkel

 

J. Walther

 

Anna & Eva

 

Nur eine Frage der Liebe

 

 

Damit sollen Schichten, Tiefen dargestellt werden. Unerwartete, unvorhergesehene Schichten und Tiefen.

»Die Fremde im Pool«, Katherine V. Forrest

1

Anna wartete vor dem leer stehenden Gebäude, in dem die Vernissage stattfinden sollte, auf Phillip. Es herrschte ein Kommen und Gehen, ein buntes Völkchen kam zu dem Ereignis. Anna trug einen knielangen roten Mantel und fand, dass er gut zum Anlass passte. Entspannt sah sie sich um, Phillip würde sicher gleich kommen. Eine Frau fiel ihr auf, die ein schwarzes langes Kleid und darüber ein weinrotes Mieder trug – sehr apart.

Da kam auch schon Phillip näher, er trug Chinos und eine offene Cabanjacke. Seine braunen Locken, die immer länger wurden, sprangen ungebändigt um sein Gesicht. Er umarmte sie und Anna küsste ihn auf die Wange.

»Na toll, was sollen die Leute jetzt denken?«

»Kussecht, keine Sorge.« Sie hatte ihre Lippen passend zur Farbe des Mantels geschminkt.

»Küss doch lieber …«, er sah sich um, »die da.« Er deutete zu der Frau im schwarzen Kleid.

»Kein schlechter Geschmack.« Anna warf der Frau ein strahlendes Lächeln zu. »Und wo ist dein Herzbube?«

»Du weißt doch, dass Seth …«

»… nie nach Berlin kommt.«

»Das stimmt so nicht«, wandte Phillip ein.

»Naja. Ich meinte allerdings den Galeristen.«

»Red doch keinen Quatsch.«

»Wir werden ja sehen.« Anna lachte und hängte sich bei ihm ein. Phillip hatte sie gleich nach dem Gespräch mit dem Galeristen angerufen und sie hatten darüber gelacht, dass Phillip versucht hatte, mit dem deutlich älteren Mann zu flirten, um das Anliegen ihrer Künstlergruppe zu unterstützen. Aber natürlich war das mit dem Herzbuben nur ein Scherz. Jedenfalls hatte der Galerist ihnen die Vermittlung zu einer Ausstellungsmöglichkeit angeboten und darum waren sie hier.

Sie betraten das Gebäude und sahen sich um. Die Wände des leer stehenden Hauses waren mit unterschiedlichen Farbschichten und Tapetenresten überzogen. Von den Fensterrahmen splitterte der mürbe Lack. Die Räume waren mit Baulampen und Kerzen erleuchtet, an den Wänden hingen Bilder und Fotos, auch einige Skulpturen verteilten sich über die Ausstellung.

Sie holten sich ein Glas Sekt und gingen dann weiter. Phillip stieß Anna an und sagte: »Da ist er.«

»Nicht schlecht.« Der Mann war Mitte vierzig, attraktiv, schlank, mit grauen Haaren und einer modischen Brille.

»Vor allem will er uns eine Ausstellung vermitteln.« Sie gingen hinüber, der Galerist kam auf sie zu.

»Guten Abend.« Phillip gab ihm die Hand. »Das ist Anna.«

»Freut mich sehr. Schön, dass ihr kommen konntet.«

»Wie gefällt Ihnen die Ausstellung?«, fragte Phillip.

»Wir können doch ›Du‹ sagen – Christoph«, meinte der.

»Gern, Phillip.« Er hielt Christoph sein Sektglas hin und sie stießen an.

»Habt ihr euch schon umgesehen?«

»Nein, wir sind gerade erst gekommen.«

»Bisher gefallen mir die Fotos da am besten.« Christoph deutete hin und sie folgten ihm. »Ein brasilianischer Fotograf.« Anna betrachtete die Fotos. Sie zeigten junge Menschen in einem Hotelzimmer, allein, zu zweit, zu viert. Die Bilder waren in ein warmes Licht getaucht und von Melancholie durchzogen.

»Ja, sehr natürlich, keine Models oder so. Irgendwie erinnern sie mich an einen Film aus Südamerika”, sagte Phil­lip.

»Kann sein.« Christoph nippte an seinem Sekt und betrachtete Phillip.

»Stellst du so etwas auch bei dir aus?«, fragte Anna ihn.

»Nein, ich bin auf Malerei spezialisiert. Zeitgenössische Künstler. Was sagst du zu diesen Bildern?« Christoph führte sie weiter und blieb vor großen Bildern mit leuchtenden Farben stehen. Ein grünes faunisches Wesen, dem eine Frau über die Schulter blickte. Eine blaue Schimäre mit kleinen Brüsten und fesselndem Blick. Zwei afrikanische Mädchen, deren Zöpfe sie umschlangen und miteinander verbanden. Der lebendige Pinselstrich betonte die Wirkung der Motive.

»Großartig«, sagte Anna schlicht und las die Angaben über die Künstlerin. Phillip betrachtete jedes einzelne Bild, während Christoph dicht bei ihm stand.

»Entschuldigt mich, ich muss noch mit jemandem reden«, sagte Christoph nach einer Weile, »seht euch um, es ist eine fantastische Ausstellung. Nachher stelle ich euch vor.«

»Ist das der Stil, den er in seiner Galerie zeigt?«, fragte Anna, als er gegangen war.

»Nein, überhaupt nicht. Zumindest was da zur Zeit hängt … frag mich nicht. Strichmännchen und abstrakte Linien.«

»Verstehe.« Anna betrachtete fasziniert die Gemälde, ging dann langsam weiter. »Ob die Malerin hier ist?«

»Kann schon sein. Vielleicht weiß Christoph das.«

»Er ist nett jedenfalls.«

»Sag ich doch.« Sie gingen langsam durch die Räume. Bei den Gemälden und Zeichnungen waren sie sich meistens einig, aber bei den Fotos hatten sie unterschiedliche Ansichten. Phillip war nun einmal durch und durch Foto­graf, während sie selbst einen grafischen Stil bevorzugte, aber auch Malerei schätzte.

Schließlich blieben sie vor einer filigranen Skulptur stehen, in der sich Metall und polierte Holzschiffchen zu ei­ner schwebenden Konstruktion verbanden. Ähnlich einem Mobile waren die schlanken Schiffchen an Metallstäben angebracht und bewegten sich leicht im Luftzug.

Christoph trat leise neben sie. »Das hat eine Freundin von mir gemacht, Eva Wanjak.«

»Es gefällt mir sehr«, sagte Anna und fuhr mit dem Finger über den Sockel. An der Seite war ein Kärtchen mit Angaben über die Künstlerin angebracht.

»Ist diese Malerin da?«, Phillip deutete auf die Bilder, die sie zuvor betrachtet hatten.

»Ich glaube schon, wir suchen sie dann. Aber jetzt kommt erstmal.«

Sie folgten Christoph, der sie zwei jungen Typen mit Bärten und Pflöcken in den Ohren vorstellte. Sie zeigten ihnen den Flyer und Material zu den Arbeiten ihrer Gruppe.

»Davon können wir sicher einiges in die nächste Ausstellung nehmen«, sagte der eine. Sie tauschten Kontaktdaten und verabredeten, dass Phillip einige Bilder bei Christoph vorbeibringen würde.

»Cool«, sagte Anna, als sie gegangen waren, und umarmte Phillip.

»Danke, das ist toll«, sagte er dann zu Christoph.

»Keine Ursache. Eure Sachen sind wirklich gut.«

Sie holten sich noch einmal Sekt und stießen an. Anschließend gingen sie herum und suchten die Malerin der großformatigen Gemälde, aber sie war nicht zu finden. Also sprachen sie über einige Ausstellungsstücke, bis Christoph sich verabschiedete, weil er gehen wollte.

»Wir kommen mit«, sagte Phillip.

»Ach so?«, meinte Anna erstaunt. Sie wollte sich noch umsehen und verstand nicht, warum er so plötzlich los wollte.

»Bleibt nur noch ein bisschen.« Christoph gab ihnen die Hand und verabschiedete sich.

»Das war unhöflich«, sagte Phillip, als er verschwunden war.

»Ja, von dir, du wusstest doch gar nicht, ob ich gehen will. Komm, die Frau, die wir vor dem Eingang gesehen haben, ist noch da.« Anna hielt ihm die Hand hin.

»Die mit dem Mieder?« Er nahm die angebotene Hand und folgte Anna in einen anderen Raum. Die Frau mit dem Mieder allerdings blieb verschwunden und so wandte sich Anna wieder der Kunst zu.

 

2

Phillip drängelte, als sie die U-Bahn verließen. Sie waren spät dran. Sie hatten wirklich eine Zusage für die nächste Ausstellung der Initiative bekommen, und sie hatten sich bereit erklärt, Christoph beim Hängen der Bilder und Einrichten der Ausstellungsräume zu helfen. Außerdem wollte Eva, die Plastikerin der wundervollen Skulptur, mit dabei sein.

Anna hatte sich etwas Praktisches angezogen, eine schwarze Jeans und ein weißes Achselshirt, dazu hatte sie ihre langen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie konnte sich in diesem Aufzug der Aufmerksamkeit einiger Damen sicher sein. Eine Kellnerin mit stachlig aufgestellten Haaren schaute ihr ausgiebig nach und vergaß darüber die Gäste.

»Schau nicht Weibern hinterher, komm«, unterbrach Phillip ihre Beobachtungen. »Ich ruf mal an.« Er holte sein Smartphone heraus. »Wir sind in zwei Minuten da, Sorry«, sagte er zu Christoph.

Sie fanden auf Anhieb das Gebäude, zu dem sie mussten. Es handelte sich um ein leer stehendes kleines Fabrikgebäude im Hinterhof. Über eine Rampe erreichten sie die Tür und gingen hinein. In dem großen Raum befanden sich Christoph und eine Frau, die Eva sein musste. Sie trug einen dunkelblauen Arbeitsoverall, der ihr sehr gut stand. Sie war groß und schlank, aber nicht zierlich. Ihre glatten braunen Haare waren schulterlang und sie war dezent geschminkt.

Christoph ging ihnen entgegen, er gab Anna die Hand und zog sie kurz an sich, dann umarmte er Phillip.

»Hi, da sind wir«, sagte der.

»Schön.« Christoph stellte Eva vor. Als sie Anna die Hand gab, sah sie ihr in die Augen, lächelte aber nicht.

»Ich bin schon gespannt auf Ihre Plastiken. Die in der aktuellen Ausstellung hat mir sehr gut gefallen«, sagte Anna.

»Christoph erwähnte das«, antwortete Eva mit strengem Gesichtsausdruck. »Aber wir können doch ›Du‹ sagen, oder wollen Sie, dass ich mich alt fühle.«

»Das stelle ich mir schwer vor. Anna.« Sie gab Eva noch einmal die Hand. »Sehr erfreut.«

»Eva. Du kannst mir mit dem Bild hier helfen.« Sie gingen hinüber und begannen, ein großes Bild auszupacken, befestigten es dann an der Wand. Phillip und Christoph machten sich inzwischen in anderen Räumen zu schaffen.

»Wie viele Plastiken hast du dabei?«, fragte Anna.

»Eigentlich nur eine Große und etwas Kleines.«

»Die Skulptur mit den Schiffchen hat mir wirklich gefallen.«

»Danke«, sagte Eva schlicht.

Anna schaute sie immer wieder verstohlen an, während sie weiter arbeiteten. Evas Gesicht war ein wenig kantig, aber trotzdem schön, ihre Lippen dunkelrot geschminkt. Ihr Ausdruck war ernst, sie hatte noch nicht ein Mal gelächelt.

»Arbeitest du immer mit Holz und Metall?«, fragte Anna.

»Oft, aber auch mit Marmor und früher mit Bronze. Letztlich ist das Material egal. Man kann mit jedem Medium ausdrücken, was man anstrebt. Kannst du mal hier …« Evas Stimme war kratzig und dunkel. Sie hatten mittlerwei­le kleinere Bilder ausgepackt. »Und du bist Malerin?«

»Ja, aber ich arbeite mehr grafisch, Kohle, Tinte oder Pastellkreide. Das Material ist schon wichtig in der Malerei.«

»Ich meinte nicht … Aber du kannst doch mit einem Kohlestift zum Beispiel jedes Motiv umsetzen?«

»Natürlich, aber das Ergebnis wird anders sein, als mit Pastell, auch wenn ich dasselbe ausdrücken will.«

»Ich möchte deine Bilder sehen«, sagte Eva mit einem plötzlichen warmen Ausdruck, der ihr Gesicht weicher machte.

»Glaub, sie stehen da drüben.« Anna deutete hin und sie gingen hinüber. Anna packte eines der fast quadratischen Bilder, es maß fünfzig mal fünfundvierzig Zentimeter, aus und stellte es auf die Fensterbank. Es zeigte ein altes Buswartehäuschen, irgendwo an einer kleinen Straße, ein verkrüppelter Baum stand daneben, der Himmel war grau und die Wiese fahl.

»Es wirkt etwas trostlos«, meinte Eva, »aber strahlt auch viel Ruhe aus. Sind das Pastellkreiden?«

»Ölkreide.«

»Mir gefällt der kräftige Pinselstrich.«

Anna lachte leise. »Es ist Kreide.«

»Ja, du weißt schon – wie du die Kreide schräg über die Flächen gezogen hast.«

Anne nickte. »Weiter.«

Phillip und Christoph waren wieder heruntergekommen, bemerkte Anna erst jetzt. Sie stand dicht neben Eva und betrachtete ihr Bild, bevor sie ein weiteres auspackte. Es zeigte einen Turm mit großen Öffnungen, in dem die Feuerwehr früher Schläuche getrocknet hatte – eine Entdeckung in einem Dorf. Das schmutzige Ziegelrot des Turms hob sich vor dem blauen Himmel ab.

»Das gefällt mir auch – sehr. Wo ist das?«

»In einem Dorf, bei einem Freund in der Nähe, dort bin ich manchmal.«

»Das Bushäuschen ist auch von dort?«, fragte Eva mit scharfem Blick.

»Ja, das auch. Und eine Serie von alten Fabriken und Manufakturgebäuden, mit Tusche und Rötel ausgeführt.«

»Ich möchte alles sehen«, sagte Eva mit leiser Stimme, was ihren Worten Nachdruck verlieh.

Anna lachte verlegen auf. »Und ich möchte alles von dir sehen – erleben, begreifen. Ich darf sie doch anfassen?«

Nun war es Eva, die lächelte. »Ja«, sagte sie und Anna blieb der Mund offen stehen, denn dieses verhaltene Lächeln ließ Evas Gesicht aufleuchten. »Komm, ich hab Kaffee mitgebracht.« Eva stellte Becher auf die Fensterbank und packte Muffins aus, dann rief sie Phillip und Christoph heran. Während sie Kaffee tranken, überblickten sie den großen Raum, in dem sich die ersten Kunstwerke verteilten und das Chaos sich langsam lichtete.

»Bekomme ich nun endlich deine Skulptur zu sehen?«, fragte Anna Eva.

»Wir packen sie gleich aus. Aber sei nicht enttäuscht, sie wirkt erst, wenn sie hängt.«

»Eine hängende Skulptur?«

»Ja.«

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 07.08.2018
ISBN: 978-3-7438-7710-8

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